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im kirschbaum hat er gesessen

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Aus dem neues Band der Jubiläums-Zeitschrift "Das Gedicht":

S!NED!|art: hamster und wacholder-drossel


Michael Augustin

Mein toter Hamster

Heute habe ich
ihn wiedergesehen:

Im Kirschbaum
hat er gesessen
und gezwitschert

weil er jetzt
ein Vogel ist

so ein kleiner brauner
mit gelbem Schnabel
und roten Füßen

Mein Bruder sagt:
Du spinnst ja!

Dabei weiß ich ganz genau
dass es mein Hamster ist

Schnell, guck: Da fliegt er!

ein baum mit vielen blättern

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Gudrun Modlich

Meine 9,5 Thesen: 

1. Gott ist das transzendente Du, das dem Dasein die Bedeutungsdimension hinzufügt. Diese Bedeutung ist mystisch, unverstehbar, durchzieht die Welt und übersteigt sie zugleich. Mit Gott erhält alles Dasein Glanz und Schimmer. Im Bild gesprochen: Ein an Gott Glaubender erlebt die Welt gewissermaßen in 4 D. (Was nicht heißt, dass 3 D nicht auch okay ist.)

2. Gott ist ein Baum mit vielen Blättern. Wiewohl der einzelne Mensch Gott spüren, ahnen und erfahren kann, reichen die Erfahrungen aller Menschen aller Generationen nicht aus, um das Bild Gottes zu vervollständigen.


3. Gott ist NICHT notwendig, um die Welt zu erklären. Verstandesmäßig lässt er sich nicht erfassen. Gott ist eher zu „begreifen“ mit Grundeinstellungen wie Staunen, Hingabe, Liebe.


4. Gott ist NICHT notwendig, um ethische Normen zu etablieren. Wir haben mittlerweile genügend Erfahrungen gesammelt, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen. Der Mensch ist in der Lage, “gut” und “böse” selber zu erkennen.


5. Wer OHNE Gott NICHT auskommt, das ist der Mensch in seinen existenziellen Erfahrungen, Leid, Schmerz, Verlust, Tod. In diesen Momenten ist Gott ein Ufer, an dem wir ankern können, um nicht wahnsinnig zu werden. Ohne Gott wird es hier sehr hart.


6. Das zu verkündende Gottesbild muss demzufolge ein menschliches und Leid linderndes sein. Einen unmenschlichen und grausamen Gott brauchen wir nicht! Damit Gott ein menschlicher ist, müssen wir ihn als rettend, haltend, tröstend, helfend, liebevoll, verstehend, annehmend und verzeihend beschreiben.


7. Wir Menschen sind Partner Gottes. Gott handelt durch uns, sofern wir ihn nicht daran hindern. Indem wir von uns selbst absehen, werden wir durchscheinend für die Liebe Gottes, und durch uns wird sie in der Welt erfahrbar.


8. Gott straft nicht. Niemals. Die Hölle, das sind wir selber. Das Fegefeuer ist unser Entsetzen im Erkennen darüber, wer wir selber sind, wenn wir unser Leben betrachten. Je mehr wir vorher mit unserem Leben Frieden gemacht haben, desto friedlicher ist unser Tod. Uns erfasst eine Sehnsucht. Wir werden abgeholt. Wir gehen ins Licht. Alle.


9. Gott ist nicht nur Gott aller Menschen. Er ist Gott alles Seienden. Was wir als grundloses Leid erfahren, ist nur von unserem anthropozentrischen Blickwinkel her unverstehbar. Aus einer “onto-zentrischen” Warte, d. h. mit Focus auf alles Seiende in seinem steten Wandel (welches zu überschauen nur Gott möglich ist) wären diese Erfahrungen erklärbar.


9,5. Raus aus bedrückenden Denkmustern!



Copyright: Gudrun Modlich - Quelle: click here


reformation contra helloween

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KULTUR & GLAUBEN

Neuneinhalb Thesen gegen Martin Luther
Von Alan Posener  | welt.de

Die EKD übersieht im Lutherjahr gern die dunkle Seite des Reformators: Fundamentalismus, Judenhass, Hexenwahn, Apokalyptik. Kritische Bemerkungen zu irrigen Annahmen über Luther.

Am 31. Oktober 1517 schlägt der Augustinermönch Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags soll die Welt das Wirken Luthers feiern.

Die offiziöse Sicht auf den Reformator fasst die Luther-Botschafterin der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Margot Käßmann, in ihrem Buch „Mehr als Ja und Amen“ so zusammen: „Luthers Freiheitsbegriff hat große Konsequenzen nach sich gezogen. ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘ als Parole der Französischen Revolution hat im Gedanken der Freiheit eines Christenmenschen durchaus Wurzeln. Am Ende ist der Bogen bis zur Aufklärung zu spannen.“

Luther ist sicher der größte Prophet seit Mohammed. Er ist jedoch weder Freiheitsapostel noch Vorläufer der Aufklärung. Wie sein Biograf Richard Marius schrieb, bedeutete Luther „eine Katastrophe für die westliche Zivilisation“.

1. Luther ist kein Aufklärer. Er ist ein religiöser Fundamentalist.

Ende des 15. Jahrhunderts führen die Wiederentdeckung der Antike, das Studium des Aristoteles und die Verweltlichung der Kirchenhierarchie dazu, dass sich in der europäischen Elite ein toleranter Skeptizismus breitmacht, am besten verkörpert in den Humanisten um Erasmus von Rotterdam. Dieser Bewegung gegenüber vertritt Luther eine buchgläubige Intoleranz: „Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig!“

Die Vernunft bezeichnet Luther als „des Teufels Hure“. Die Astronomie des Kopernikus lehnt er ab, weil sie der Bibel widerspricht: „Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!“ Wo Schrift und Verstand einander widersprechen, ist Luther immer für die Schrift und „will doch meinen Verstand gefangen nehmen unter den Gehorsam Christi“. Luther verhilft dem Fundamentalismus zum Sieg über den aufklärerischen Humanismus.


2. Im 16. Jahrhundert gibt es eine breite Bewegung für eine Reform der Kirche.

Luther jedoch will keine Reformen, sondern eine „Reformation“: eine Neu-Formierung der Kirche gemäß seiner Lehre. Der Papst ist für ihn der „Antichrist“ im Dienst des Teufels: „Wenn wir Diebe mit dem Galgen, Räuber mit dem Schwert und Häretiker mit dem Feuer bestrafen, warum werfen wir uns nicht umso stärker mit allen unseren Waffen auf diese Herren der Sündhaftigkeit, diese Kardinäle, diese Päpste und diesen Sumpf römischer Sodomie, die unablässig die Kirche Gottes befleckt, und waschen unsere Hände in ihrem Blut, um uns ... zu befreien“? Das ist wörtlich gemeint.

3. Luther hat die Frohe Botschaft in ihr Gegenteil verkehrt.

Der befreiende Kern der christlichen Botschaft lautet: Jesus ist für die Sünden der Menschen gestorben. Die Rechnung mit Gott ist beglichen. Diese Botschaft hat Luther bei Augustinus und Paulus wiederentdeckt. Doch würde diese Botschaft, konsequent zu Ende gedacht, auch die Entlassung der Menschen in die völlige Freiheit bedeuten. Kirche, Liturgie, Sakramente, ja der Glaube selbst wären überflüssig.

Befreiung aber will Luther so wenig wie sein Lehrer Augustinus, der große Pessimist der Antike. Luther will ja die totale Unterwerfung des Menschen, das Leben als Buße. Wie Luther schreibt: „Das ist die höchste Stufe des Glaubens, zu glauben, jener (Gott) sei gütig, der so wenige selig macht...“

4. Luther predigte einen eliminatorischen Antisemitismus.

„Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird ... die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt.“ So bejubelte der evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach die Reichskristallnacht.

Er fährt fort: „In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.“

Dass Luther „als Freund der Juden begann“, ist ein Gerücht. Dass er ein großer Antisemit war, ist richtig. So stammt von ihm eine der ersten Formulierungen der Mär von der „jüdischen Weltverschwörung“. Luther schreibt: „Die Juden begehren nicht mehr von ihrem Messias, als dass er ein weltlicher König sein solle, der uns Christen totschlage, die Welt unter den Juden austeile und sie zu Herren mache.“

Auch die Losung „die Juden sind unser Unglück“ findet sich bereits bei Luther wieder: „Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen.“

Und schließlich entwirft Luther ein antisemitisches Aktionsprogramm, das erst von den Nazis umgesetzt wurde: „Erstlich, dass man ihre Synagoga oder Schulen mit Feuer anstecke ... Zum anderen, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre ... Zum dritten, dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein ... Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren ... Zum fünften, dass man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe ... Zum sechsten, dass man ... nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold und lege es beiseite zum Verwahren ... Zum siebten, dass man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen ... “ Zu Recht sagt der Nazi-Propagandist Julius Streicher vor dem Nürnberger Militärtribunal: „Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank“, wenn er noch lebte. Dorthin gehört er aber auch heute.

5. Luther identifiziert den Kapitalismus mit dem Wucher und den Wucher mit dem Judentum.

Luther wendet sich in seinem kleinen und großen „Sermon vom Wucher“ und in der Schrift „Von Kaufshandlung und Wucher“ gegen zwei Grundlagen der Marktwirtschaft: die Bildung von Preisen am Markt und die Finanzierung von Geschäften mittels Kredit. Die Kreditwirtschaft gilt ihm als Teufelswerk.

Die Titelblätter aller drei Werke gegen den Geldhandel zieren Bilder geldgieriger Juden. Der Einfluss dieser protestantischen Wirtschaftsethik ist in der Unterscheidung zwischen „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital bei den Nazis zu spüren, wirkt aber auch heute nach, etwa im Misstrauen gegen „die Märkte“, das „Finanzkapital“ oder „die Wall Street“.

6. Luther begründet die Autoritätshörigkeit des Protestantismus.

Die deutschen Fürsten, Ritter, Bürger und Bauern wollen „los von Rom“ und das Eigentum der Kirchen und Klöster an sich ziehen. Daher genießt Luther deren Schutz. Im Gegenzug verpfändet er die Religion an die Fürsten, bis es zum Augsburger Religionsfrieden kommt. Cuius regio, eius religio: Der Landesherr bestimmte die Religion seiner Untertanen. Aus dem Gegensatz von Staat und Kirche im Mittelalter wird die Staatskirche der Neuzeit.

Mit Demokratie hat Luther nichts am Hut: „Der Esel will Schläge haben, und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein. Das wusste Gott wohl; drum gab er der Obrigkeit nicht einen Fuchsschwanz, sondern ein Schwert in die Hand.“ Der große demokratische Aufstand des 16. Jahrhunderts ist der deutsche Bauernkrieg. Luther jedoch ruft im Interesse der Fürsten zum Kreuzzug „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ auf. „Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“ Das Scheitern der Bauern begründet Deutschlands politische Rückständigkeit auf Jahrhunderte.

7. Luther hat den Hexenwahn und die Hexenverfolgung gefördert.

„Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird“, schreibt der Reformator. Hexen könnten „Milch, Butter und alles aus einem Haus stehlen, … ein Kind verzaubern, … geheimnisvolle Krankheiten im menschlichen Knie erzeugen … Schaden fügen sie nämlich an Körpern und Seelen zu … Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder …“ Der Hexenwahn ist kein „mittelalterliches“ Phänomen: In den protestantischen Teilen des Reichs ist die Hexenverfolgung schärfer als im katholischen Teil.

8. Luther sieht den Platz der Frau unter dem Mann – in jeder Hinsicht.

„Wer mag alle leichtfertigen und abergläubischen Dinge erzählen, welche die Weiber treiben. Es ist ihnen von der Mutter Eva angeboren, dass sie sich äffen und trügen lassen.“ So Luther über das, was spätere Frauenhasser den angeborenen Schwachsinn des Weibes nennen werden. Luther-Apologeten weisen auf seine Heirat mit der entlaufenen Nonne Katharina von Bora hin. Dadurch habe er die Frau aufgewertet.

Mit der Auflösung der Klöster verlieren die Frauen jedoch einen Ort, an dem sie vor männlicher Zudringlichkeit sicher sind. Fortan ist ihr Platz – in jeder Hinsicht – unter dem Mann: „Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.“

9. Luther ist nicht unser Zeitgenosse, sondern Prophet der Endzeit.

Luther hätte die Moderne gehasst. Er will die Menschen angesichts des kommenden Weltenendes nicht befreien, sondern dem Willen Gottes unterwerfen. Der Chiliasmus, die Vorstellung, das Ende unserer Welt stehe bevor, ist die Grundlage aller blutigen Revolutionen. Luther hat der pluralistischen, individualistischen, permissiven, marktwirtschaftlich und demokratisch angelegten Gesellschaft des Westens kaum mehr zu sagen als etwa der Ayatollah Khomeini, mit dem er sich vermutlich besser verstehen würde als mit Margot Käßmann.

9,5. Ach und übrigens: Der Ablasshandel war eine gute Sache.

Im Mittelalter lehrt die Kirche, dass sie durch die Heiligen und Märtyrer einen „Gnadenschatz“ aufgehäuft habe, an dem alle Christen durch gute Werke teilhaben könnten. Im Rahmen dieser Ökonomie der Gnade ist der Ablasshandel zu verstehen. Durch ihn können sich die Menschen von der Höllenangst freikaufen. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Der Sünder bekommt einen Teil seiner Zeit im Fegefeuer erlassen, der Papst erhält die Mittel zum Bau des Petersdoms und zur Förderung der Künste. Der Ablass ist eine Art Lebensversicherung für die Zeit nach dem Tod. Übrigens mit gestaffelten Sozialtarifen: Auch der Arme kann die Gewissheit ewigen Lebens erlangen.

Nun kann man das alles als Aberglauben abtun. Doch die Menschen klammerten sich damals angesichts von Pest und Elend an die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod. Der Ablass gibt ihnen die Hoffnung, trotz Sünden dem Gericht Gottes zu entgehen. Luther wettert jedoch nicht nur gegen den Ablasshandel, sondern gegen den Ablass selbst.

Dagegen setzt Luther in seiner ersten Wittenberger These die Forderung: „Das ganze Leben solle Buße sein.“ Luther will die Menschen nicht von ihrer Angst befreien, sondern die Angst zum ständigen Lebensbegleiter machen. Dass der Mensch nichts tun könne, um der Verdammnis zu entgehen, dass er „ein Stück Scheiße“ sei, ist der zentrale Glaubensartikel Luthers, die Ergänzung seiner Lehre von der unverdienten Gnade Gottes.

Indem er den Menschen die Möglichkeit nimmt, sich von der Strafe freizukaufen, unterwirft er sie einer masochistischen Auffassung vom rechten Leben: „Daher bleibt die Strafe, solange der Hass gegen sich selbst – das ist wahre Herzensbuße – bestehen bleibt ... Aufrichtige Reue begehrt und liebt die Strafe. Die Fülle der Ablässe aber macht gleichgültig und lehrt sie hassen ...“ Selbsthass statt Befreiung: Was für eine finstere Lehre!



das ist das problem - nach 500 jahren sollten diesmal die "schattenseiten" des reformators einfach unter den kirchenteppich gekehrt werden: jubel-events waren und sind angesagt - auch da, wo innehalten und nachdenklichkeit und scham vielleicht eher hingehört hätten.

luther war ein kind seiner zeit, dem ausgehenden mittelalter - hatte nach außen viel mumm - aber war nach innen ängstlich und kleinlich und unsicher.

er war verhaftet noch im mystisch-magischen glauben und sah die welt "voll teufel". die ihn "gar verschlingen" wollten - und diese ihn quälende ängstlichkeit sollte mit einem direkten "draht nach oben", mit dem allmächtigen "gnadenerlass" gottes besiegt werden - ohne zwischenschaltung irgendwelcher ablasshändler und "pfaffen", die eine solche standleitung lediglich gegen knete "vermitteln"  und schalten wollten.

in die heutige zeit ist diese spätmittelalterliche denke kaum noch zu vermitteln und auch kaum noch modifiziert zu transportieren.

luthers kirche aber hat es - außer vielleicht mit den 2-jährlich stattfindenden massen-events der kirchentage - bisher kaum geschafft, die "gläubigen" bei der stange zu halten. sie verwechselt immer noch den gottesdienst mit einer fast universitären vorlesungs-veranstaltung "ex-cathedra" - anstatt vielleicht tatsächlich "in ein seelsorgerliches - beiderseitiges - gespräch" einzutreten ... - miteinander tatsächlich ein "abend(!)-mahl" zu "feiern" bei brot und getränken und vielen gesprächen mit musik "über gott und die welt" - ohne dass dabei vor ehrfurcht und bamborium einem das herz bis zum halse schlagen muss ...: das ist nämlich bisher in all den jahrhunderten kein befreiendes und fröhliches mahl im miteinander am "tisch des herrn" - sondern ein mahl im kreis - irgendwie immer noch "von oben herab", das wenig mit-menschlichkeit zulässt - und vor allen dingen: es ist öfters zu feiern als eben nur sonntags - mindestens so oft - wie man bei beerdigungen ja oft noch im beisein eines pfarrers das "fell versäuft" und kaffeetrinkt und "freud-und-leid-kuchen" von der plate isst... -S!

verdaddelt

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500 JAHRE REFORMATION

Die Deutschen und das elektrisierende Luther-Jahr

Von Matthias Kamann | welt.de

Zum Ende des Jubiläumsjahres lässt sich feststellen: Martin Luther und die Seinen haben viele Deutsche elektrisiert - historisch und kulturell. Aber nicht theologisch.


Man sollte es nicht gering schätzen, dass die Playmobil-Figur von Martin Luther in den vergangenen Jahren zu einem der meistverkauften Produkte des Unternehmens wurde.

Spielzeug ist ein elementarer Teil der Alltagskultur, und dass in diese die Erinnerung an Geschehnisse der frühen Neuzeit integriert wurde, ist ein starker Beleg für das gesellschaftliche Interesse am Reformationsjubiläum. Das ist doch was: Den meisten Deutschen dürfte klar sein, dass in diesem Jahr der 31. Oktober ein gesetzlicher Feiertag nicht wegen Halloween ist.

Und vergleicht man die Aufmerksamkeit für die 500. Wiederkehr von Luthers Thesenveröffentlichung mit dem Interesse an anderen runden Jahrestagen – etwa des Ersten Weltkriegs oder der russischen Oktoberrevolution –, dann muss man sogar sagen: Luther und die Seinen haben die Deutschen elektrisiert.

Dass trotzdem in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Ende ihrer Reformationsdekade ein ungutes Gefühl herrscht, kann an der kulturellen Resonanz jedenfalls nicht liegen. Die beschränkt sich ja keineswegs auf Populäres wie Spielzeug oder Luther-Feste, Luther-Socken, Luther-Musicals und Luther-Biere.

Zurück zu Luthers Sprache

Auch die Hochkultur profitierte: durch zahllose Konzerte mit Luthers Liedern (und ihren Bearbeitungen bei anderen Komponisten), durch exzellente, viel gelesene Sachbücher, durch lehrreiche Ausstellungen in den bestens renovierten Reformationsgedenkstätten sowie durch die neue Ausgabe der Luther-Bibel, mit der die EKD ein gutes Stück weit zurückkehrt zum sprachlichen Ingenium des Reformators.

Besonders bemerkenswert war der Boom lokaler Geschichtsbetrachtung. Von Bretten in Baden-Württemberg über Soest in Westfalen bis nach Norden in Ostfriesland beschäftigten sich Historiker und Gemeindeglieder intensiv mit der Geschichte ihrer Stadt und Gegend vor einem halben Jahrtausend. In einem Satz: Das Reformationsjubiläum war ein Triumph des Kulturprotestantismus.

Der aber wird in evangelischen Kreisen (auch in katholischen) scheel angesehen. Nämlich als Treiben von liberalen Bildungsbürgern, die nicht „richtig glauben“, die in Museen strömen statt in Gottesdienste, die Bach-Kantaten schätzen und Predigten langweilig finden, die sich über theologische Positionen informieren, aber mit keiner identifizieren.

Dass diese Leute die großen Gewinner der Luther-Dekade sind, heißt im Umkehrschluss: Verlierer sind diejenigen, die das Entzünden neuen Glaubensfeuers erhofften. Etwa der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm – er neigt zum Linksevangelikalismus –, in dessen Wunschdenken eine „Generation 2017“ von so munteren wie glaubensfesten Protestanten existiert. Die es aber in der Realität nicht gibt.

Wobei Bedford-Strohms Problem nicht nur darin besteht, dass er eine solche Wiedererweckung evangelischer Massenbegeisterung aus dem Geist des Reformationsgedenkens gegen die tatsächliche religiöse Lage behauptet. Gewiss, auch diese Faktenverdrängung ist ein Problem.

Denn statt zu beschwören, was nicht geschieht, müsste man sich in den Führungskreisen der EKD und ihrer Landeskirchen jetzt fragen, warum es misslungen ist, durch zentral geplante Massen-Events – die oft schlecht besucht waren –, die Kirche noch einmal als Glaubensstiftungsagentur ins Spiel zu bringen.

Wer jener Frage nachgeht, kann auf die Idee kommen, dass das Luther-Jahr das Scheitern jenes EKD-Hierarchisierungsprozesses markiert, welcher vor rund 15 Jahren unter dem Ratsvorsitz von Wolfgang Huber gerade im Verlangen nach einem spektakulär zu feiernden Reformationsjubiläum in Gang gesetzt wurde.

Doch liegt das Problem von Bedford-Strohm schon darin, dass der Kirchenchef überhaupt hoffte, durchs Jubiläum evangelische Begeisterung entfachen zu können. Als sei so etwas möglich bei historischem Gedenken an Reformatoren, die weder Heilige waren noch Religionsstifter sein wollten, die zeitgebunden argumentierten und deren Glaubenslehren in vielem einfach fremd sind.

Taugt das für die Gegenwart?

Theologieprofessoren und Reformationshistoriker haben auf diese unüberbrückbare Distanz während der Luther-Dekade unentwegt hingewiesen, haben vor Aktualisierungen gewarnt und sich für außerstande erklärt, aus dem historischen Luther einen Glaubenslehrer der Gegenwart zu machen.

Aber wie wurde dies den Wissenschaftlern gedankt? So, dass ihnen der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes, Thies Gundlach, eine „grummelige Meckerstimmung“ vorwarf und ankreidete, sie ließen die Kirchenleitungen „bei einer gegenwartsbezogenen Interpretation des Jubiläums allein“.

Das aber geschah den Kirchenleitungen ganz recht. Denn sie machten den grundlegenden Fehler, die Reformation als Gegenstand nicht der Verstörung und Irritation, sondern der Identifikation feiern zu wollen. Deshalb mussten sie zunächst aussortieren, womit sich tatsächlich nichts anfangen lässt: zumal Luthers Judenhass und die aggressive Frontstellung zwischen den Konfessionen.

Sie wollten dann aber umso heller strahlen lassen, womit die Gegenwart sich wohlfühlen kann. Also wurden vermeintliche Errungenschaften der Reformation behauptet, als welche sie in geschichtswissenschaftlicher Verkürzung – wenn nicht Ignoranz – ausgegeben wurden: die Demokratie und der Sozialstaat, die Aufklärung und die Wissensgesellschaft sowie die Gleichberechtigung.

Auch individuell soll alles gut enden. Bedford-Strohm deutete im Frühjahr Luthers Konzept von der Rechtfertigung durch Glauben so, dass man entlastet werde von den „Ansprüchen, an denen wir heute gemessen werden“. Als Beispiel nannte er die „Magersucht als Ausdruck davon, dass Menschen sich nicht annehmen können und sich nicht von Gott angenommen fühlen“. Luther als Therapeut.

Dabei ist Magersucht eine psychische Krankheit, die den Betroffenen nicht als Versagen angelastet werden kann, schon gar nicht im moralischen Sinne. Luthers Gnadenlehre hingegen beruht darauf, dass der Mensch ein Sünder ist, der permanent mit dem unaufhebbaren Vorwurf des Versagens leben muss und nur auf Gottes Gnade hoffen kann.

Luthers Theologie konfrontiert uns also mit einer negativen Anthropologie, bei der sich die Menschen mindestens erst einmal grundlegend infrage stellen müssen, ehe sie sich vielleicht mal wohlfühlen können. Damit widersetzt sich Luthers Theologie jener „gegenwartsbezogenen Interpretation“, die das EKD-Kirchenamt fordert. Denn wenn die Gegenwart irgendetwas überhaupt nicht mag, dann die These, dass der Mensch nicht per se gut sei.

Zu hohe Erwartungen

Aber selbst wenn die Gegenwart zur Einsicht käme, dass an uns vieles doch sehr schlecht ist, bliebe immer noch die Frage, ob wir es im Einklang mit Luther intellektuell verantworten könnten, die Heilung dann von Gott und Jesus Christus zu erhoffen. Selbst dann also, wenn man sich mit Luthers Grundannahme auseinandersetzt, verstehen sich seine theologischen Schlussfolgerungen keineswegs von selbst.

Wie dann mit Luther umzugehen ist, können nach Stand der Dinge Bildungsbürger immer noch am besten reflektieren, und wenn sie das in kulturprotestantischer Auseinandersetzung mit kirchlichen Traditionsbeständen tun, kommen sie womöglich ziemlich weit.

Aber mehr ist auch dann nicht drin, mehr als eine gedankliche Herausforderung kann die Auseinandersetzung mit Luther nicht sein. Wer ist bloß auf die Idee gekommen, man könne sich mit ihm identifizieren? Wenn das nicht geschehen wäre, wenn nicht wunders was von diesem Jubiläum erwartet worden wäre – dann könnte man jetzt hochzufrieden sein.

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dabei war die eigentliche sensationelle jubiläumsfeier  zum 500-jährigen reformationsfest bereits vor einem jahr zum beginn des jubiläums gelaufen. 

nicht in wittenberg, nicht in deutschland, denn die lutherischen kirchen sind ja nach 500 jahren eine weltkirche im "lutherischen weltbund", dem zusammenschluss von 145 mitgliedskirchen in 98 ländern, denen mehr als 72 millionen gläubige angehören - und der seit 1947 seinen sitz in lund, in schweden hat.

und zu dieser feier kam auch der papst als repräsentant der römisch-katholischen weltkirche - also quasi eine geste von weltkirche zu weltkirche ... - das war stark - und auch angemessen "seriös", dem nachdenklichen anlass angemessen ...

genau dieser ökumenische aspekt war wahrscheinlich bei der planung der deutschen feierlichkeiten rund um das reformationsjubiläum etwas ins "hintertreffen" geraten ... so war der ekd-vorsitzende bischof bedford-strohm nicht etwa auch in lund, sondern hielt einen "eröffnungs-gottesdienst" zum jubiläums-jahr in berlin ab - quasi als "gegen-veranstaltung" zu den feierlichkeiten in lund zum gleichen anlass.

da hilft dann auch nicht mehr die "ökumenische" auszeichnung an alt-kardinal lehmann im beisein des bundespräsidenten und aller deutschen repräsentanten von rang und namen: die ökumenische sensation war echt "verdaddelt" worden - ein fehlstart bereits auf der startlinie ins jubeljahr ...

ja - die kathedrale der alten bischofsstadt lund hat schon viel erlebt. aber so etwas noch nicht: der papst und die spitzen der lutherischen kirchen gemeinsam, im gedenken an die reformation - genau 499 Jahre nachdem martin luther in wittenberg seine 95 thesen veröffentlicht hat.

der papst will damit ein starkes zeichen setzen, schon mehrfach hatte er in den vergangenen monaten die rolle luthers gelobt, betont, dass auch die katholische kirche vom reformator gelernt habe. das betonte er heute erneut: "dankbar erkennen wir an, dass die reformation dazu beigetragen hat, die heilige schrift mehr ins zentrum des lebens der kirche zu stellen. die geistliche erfahrung martin luthers hinterfragt uns und erinnert uns daran, dass wir ohne gott nichts vollbringen können."


GEMEINSAME ERKLÄRUNG

anlässlich des gemeinsamen katholisch-lutherischen Reformationsgedenkensin Lund, 31. Oktober 2016

»Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt« (Joh 15,4).

Mit dankbaren Herzen

Mit dieser Gemeinsamen Erklärung bringen wir Gott unsere frohe Dankbarkeit für diesen Augenblick des gemeinsamen Gebets in der Kathedrale von Lund zum Ausdruck und beginnen damit das Gedenken an 500 Jahre Reformation. 50 Jahre ununterbrochener und fruchtbarer ökumenischer Dialog zwischen Katholiken und Lutheranern haben uns geholfen, viele Unterschiede zu überwinden, und haben unser gegenseitiges Verständnis und Vertrauen vertieft. Gleichzeitig sind wir einander durch gemeinsame Dienste an unseren Mitmenschen, oft in Situationen von Leid und Verfolgung, nähergekommen. Durch Dialog und gemeinsames Zeugnis sind wir nicht länger Fremde. Vielmehr haben wir gelernt, dass das uns Verbindende größer ist als das Trennende.

Vom Konflikt zur Gemeinschaft


papst-cartoon
Während wir eine tiefe Dankbarkeit empfinden für die geistlichen und theologischen Gaben, die wir durch die Reformation empfangen haben, bekennen und beklagen wir vor Christus zugleich, dass Lutheraner und Katholiken die sichtbare Einheit der Kirche verwundet haben. Theologische Unterschiede wurden von Vorurteilen und Konflikten begleitet und Religion wurde für politische Ziele instrumentalisiert. Unser gemeinsamer Glaube an Jesus Christus und unsere Taufe verlangen von uns eine tägliche Umkehr, durch die wir die historischen Meinungsverschiedenheiten und Konflikte, die den Dienst der Versöhnung behindern, ablegen. Während die Vergangenheit nicht verändert werden kann, kann das, woran man sich erinnert und wie man sich erinnert, verwandelt werden. Wir beten um die Heilung unserer Wunden und Erinnerungen, die den Blick aufeinander verdunkeln. Nachdrücklich lehnen wir allen vergangenen und gegenwärtigen Hass und alle Gewalt ab, besonders jene im Namen der Religion. Wir hören heute Gottes Gebot, jeden Konflikt beizulegen. Wir erkennen, dass wir durch Gnade befreit sind, uns zur Gemeinschaft hin zu begeben, zu der Gott uns beständig ruft.

Unsere Verpflichtung zum gemeinsamen Zeugnis

            Da wir diese Begebenheiten der Geschichte, die uns belasten, hinter uns lassen, verpflichten wir uns, gemeinsam Gottes barmherzige Gnade zu bezeugen, die im gekreuzigten und auferstandenen Christus sichtbar geworden ist. Im Bewusstsein, dass die Art und Weise, wie wir miteinander in Beziehung treten, unser Zeugnis für das Evangelium prägt, verpflichten wir uns selbst, in der Gemeinschaft, die in der Taufe wurzelt, weiter zu wachsen, indem wir uns bemühen, die verbleibenden Hindernisse zu beseitigen, die uns davon abhalten, die volle Einheit zu erlangen. Christus will, dass wir eins sind, damit die Welt glaubt (vgl. Joh 17,21).

            Viele Mitglieder unserer Gemeinschaften sehnen sich danach, die Eucharistie in einem Mahl zu empfangen als konkreten Ausdruck der vollen Einheit. Wir erfahren den Schmerz all derer, die ihr ganzes Leben teilen, aber Gottes erlösende Gegenwart im eucharistischen Mahl nicht teilen können. Wir erkennen unsere gemeinsame pastorale Verantwortung, dem geistlichen Hunger und Durst unserer Menschen, eins zu sein in Christus, zu begegnen. Wir sehnen uns danach, dass diese Wunde im Leib Christi geheilt wird. Dies ist das Ziel unserer ökumenischen Bemühungen. Wir wünschen, dass sie voranschreiten, auch indem wir unseren Einsatz im theologischen Dialog erneuern.

            Wir beten zu Gott, dass Katholiken und Lutheraner fähig sein werden, gemeinsam das Evangelium Jesu Christi zu bezeugen, indem sie die Menschheit einladen, die gute Nachricht von Gottes Heilshandeln zu hören und zu empfangen. Wir bitten Gott um Eingebung, Ermutigung und Kraft, damit wir zusammenstehen können im Dienst und so für die Würde und die Rechte des Menschen, besonders der Armen, eintreten, für die Gerechtigkeit arbeiten und alle Formen von Gewalt zurückweisen. Gott fordert uns auf, all denen nahe zu sein, die sich nach Würde, Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung sehnen. In besonderer Weise erheben wir heute unsere Stimme für ein Ende der Gewalt und des Extremismus, die so viele Länder und Gemeinschaften sowie unzählige Schwestern und Brüder in Christus betreffen. Wir bitten dringend, dass Lutheraner und Katholiken zusammenarbeiten, um den Fremden aufzunehmen, denen zu Hilfe zu kommen, die wegen Krieg und Verfolgung gezwungen waren zu fliehen, und die Rechte der Flüchtlinge und der Asylsuchenden zu verteidigen.

            Mehr als je zuvor stellen wir fest, dass unser gemeinsamer Dienst in dieser Welt sich auf Gottes Schöpfung erstrecken muss, die durch Ausbeutung und die Auswirkungen einer unersättlichen Gier in Mitleidenschaft gezogen wird. Wir anerkennen das Recht der zukünftigen Generationen, sich an Gottes Erde in all ihrem Reichtum und all ihrer Schönheit zu erfreuen. Wir bitten um einen Wandel der Herzen und der Sinne, der uns zu einer liebevollen und verantwortlichen Art und Weise der Sorge für die Schöpfung führt.

Eins in Christus

Bei diesem glücklichen Anlass bekunden wir unsere Dankbarkeit gegenüber den Brüdern und Schwestern, die die verschiedenen christlichen Weltgemeinschaften und -vereinigungen vertreten, die anwesend sind und sich im Gebet mit uns verbinden. Wenn wir uns wieder verpflichten, uns vom Konflikt zur Gemeinschaft zu bewegen, tun wir das als Teil des einen Leibes Christi, in den wir alle durch die Taufe eingegliedert worden sind. Wir fordern unsere ökumenischen Partner auf, uns an unsere Verpflichtungen zu erinnern und uns zu ermutigen. Wir bitten sie, weiter für uns zu beten, mit uns zu gehen und uns dabei zu unterstützen, unser durchbetetes Engagement, das wir täglich zu erkennen geben, lebendig werden zu lassen.

Aufruf an Katholiken und Lutheraner weltweit

Wir wenden uns an alle lutherischen und katholischen Gemeinden und Gemeinschaften, unerschrocken und schöpferisch, freudig und hoffnungsvoll bezüglich ihres Vorsatzes zu sein, die große Reise, die vor uns liegt, fortzusetzen. Mehr als die Konflikte der Vergangenheit wird Gottes Gabe der Einheit unter uns die Zusammenarbeit leiten und unsere Solidarität vertiefen. Indem wir uns im Glauben an Christus näher kommen, indem wir miteinander beten, indem wir aufeinander hören und Christi Liebe in unseren Beziehungen leben, öffnen wir uns, Katholiken und Lutheraner, der Macht des Dreieinen Gottes. In Christus verwurzelt und ihn bezeugend erneuen wir unsere Entscheidung, treue Boten von Gottes grenzenloser Liebe für die ganze Menschheit zu sein.

(radio vatican)



würde ich heute noch ein apfelbäumchen pflanzen

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Foto: Hoffnungstaler Werkstätten gGmbH

Ein Apfel namens »Martin Luther«
Playmobil-Luther: Eine Bereicherung
der Alltagskultur

Zum 500. Reformationsjubiläum ist in Brandenburg eine neue Apfelsorte gezüchtet worden. Die ersten 95 Bäume der Sorte »Martin Luther« wurden von den diakonischen Hoffnungstaler Werkstätten aus Biesenthal bei Bernau in der Lutherstadt Wittenberg übergeben, wo sie an Hotels, Firmen und Bildungseinrichtungen weitergegeben werden. Das teilte die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal mit.


Die Reformationsapfelbäume wachsen seit 2012 in den Barnimer Baumschulen Biesenthal, einem Betriebszweig der Hoffnungstaler Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Die Idee dazu habe die Berliner Religionspädagogin Gisinda Eggers vor einigen Jahren in Biesenthal vorgestellt und sich dabei auf das Martin Luther zugeschriebene Zitat berufen: »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.«

Die neue Sorte sei ein Abkömmling des Edelborsdorfer Apfels, der ältesten dokumentierten Apfelsorte Deutschlands und vermutlich ganz Europas. Da der Edelborsdorfer bereits im Mittelalter bekannt gewesen sei, habe ihn vermutlich auch Martin Luther »gekannt und verzehrt«.

Der »Martin Luther« sei ein klassischer Herbstapfel »mit rötlichen Bäckchen«. Das verwendete Pflanzenmaterial stammt aus der Obstbauversuchsstation in Müncheberg im Osten Brandenburgs. In den Barnimer Baumschulen Biesenthal arbeiten zehn Fachkräfte mit vierzig geistig oder psychisch behinderten Menschen zusammen. Die Apfelsorten in Deutschland wurden völlig reduziert und hochgezüchtet. Die alte Sorte ist ein Schritt dagegen.

Publik-Forum | 20|2017 | S.24




gottes identitäten ...

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Im September 2017 habe ich in diesem Blog (click here) ein Interview mit dem Vorsitzenden der "Gesellschaft für eine Glaubensreform" Prof. Klaus-Peter Jörns wiedergegeben - aus "Publik-Forum" Nr. 17|2017 | S. 32/33 - Darin heißt es u.a.:

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Das würde bedeuten, dass es Erlösung weder gibt noch braucht.

Jörns: Nur in dem Sinn braucht es Erlösung, dass man von sich selbst als gefühltem Zentrum der Welt wegkommt. Es geht darum, die Empathie mit dem Leben zu lernen. Das Leben ist ein Ganzes, und Gott entfaltet sich in der Evolution. Unbegreiflich bleibt, dass das Leben so schön und schrecklich ist, wie es ist.

Nach dem Sinn darf man nicht fragen?

Jörns: Einen für alle und alles zutreffenden Sinn im Leben gibt es nicht. Sinn ist entsprechend unseren Wahrnehmungsmöglichkeiten immer etwas perspektivisch Begrenztes. Als Geist und Liebe schafft, erhält und wandelt Gott das vielfältige Beziehungssystem, in dem wir leben und in dem »Sinn« millionenfach variiert.

Ein Atheist würde das Leben vielleicht ähnlich beschreiben, nur Gott weglassen.

Jörns: Denkbar. Für mich hat der Gottesglaube etwas Einleuchtendes: Das Leben ist aus einer unglaublichen Verdichtung von Quanteninformation entstanden und hat sich entfaltet in einem immer differenzierter werdenden Beziehungssystem. Dass dies alles Zufall gewesen sein soll, mag ich nicht denken. Diese Vorstellung ist mir zu kalt. Denn ich weiß aus Erfahrung: Geist hellt das Gemüt auf, und Liebe wärmt das Herz. Das ist und hat Sinn.

Viele Theologen halten an der Personalität Gottes fest, weil sie den Gedanken der Gerechtigkeit nicht aufgeben wollen. Das »Letzte Gericht« ist ein Hoffnungsbild für Opfer, dass Mörder am Ende nicht triumphieren.

Jörns: Die Personalität Gottes ist ein Produkt unserer Wahrnehmungsmuster, die sich an unserem Selbstbild orientieren. Übertrügen wir unser Selbstbild auf Gott, müssten wir von einer Menschenebenbildlichkeit Gottes reden. Aus meiner Sicht gibt es kein Weiterleben von Personalität, weil die ja mit der irdischen Existenz und ihrer Leiblichkeit zusammengehört. Meine Hoffnung ist eine andere: Alles, was in einem Leben gedacht, geglaubt, gehofft und geliebt wird, ist Energie, und Energie geht im Kosmos nicht verloren. Jeder Mensch wirkt durch diese geistigen Kräfte evolutiv-schöpferisch, über seinen Tod hinaus. Ich glaube, dass sich alle Potenzen von Geist und Liebe, die wir in dieses Leben hineingeben, nach allen Toden miteinander verbinden und neue Lebensgestalten schaffen. Aber es gibt keine Hoffnung auf eine wie auch immer gedachte Gerechtigkeit bei Gott, die etwas Furchtbares »wieder gut« machte. Die einzige Kraft, die mit erlittenem Unrecht leben lässt, ist die Vergebung. Sie kann selbst IS-Terroristen, die zum Morden radikalisiert worden sind, zugestehen, was Jesus seinen Kreuzigern zugestanden hat: »Vater, vergib ihnen. Denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lukas 23, 34).

...


... und schwupps - hat Stephan Schaede, Leiter der Evangelischen Akademie Loccum, dazu eine Stellungnahme abgegeben - in "Publik-Forum" Nr. 18|2017 | S. 38/39 - aber lesen Sie selbst:

Gott ist mehr als Energie

Warum der biblische personale Gottesglaube nicht unvernünftig ist. Eine Erwiderung auf Klaus-Peter Jörns

Von Stephan Schaede

Ist Gott Person? Diese Frage ist heikel. Denn von Gott zu reden hat es in sich. Gott ist zwar ein Wort unserer Sprache. Aber: »Niemand hat Gott je gesehen«, schärft der erste Johannesbrief (4, 12) ein. Die Instanz, die das Wort bezeichnet, entzieht sich prinzipiell menschlichem Zugriff. Zugleich sollte das Wort »Gott« religiöser Willkür entzogen werden. Wer es mit Gott ernst meint, beansprucht mehr, als über eine fromme private Fantasie zu sprechen. Deshalb meinte der evangelische Theologe Karl Barth (1886-1968): »Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.«

Noch einmal unter dieser Prämisse: Ist Gott Person? In einem Gespräch mit dieser Zeitschrift und in seinen zahlreichen Publikationen hat der evangelische Theologe Klaus-Peter Jörns die Vorstellung von Gott als Person als ewiggestrig, unrettbar anthropomorph und naiv charakterisiert. Sie sei verknüpft mit einer altorientalischen Gottkönigsideologie und mit überholter philosophischer Metaphysik. Allein die biblischen Bildwelten: Gott, der ewige Gärtner, der wütende Kriegsherr, der gütige Vater, Gott als Mutter, als Gebärende … Vielen Dank! Das seien alles lediglich Projektionen menschlicher Selbstbilder.

Jörns schlägt vor, stattdessen von Gott als einer »Energie« zu sprechen, und er sieht die Gesellschaft für eine Glaubensreform (GfGR) als christliche Spitze dieser Bewegung an. Glaubensreform klingt, zumal im Jubiläumsjahr 2017, nach Reformation. Und die Gesellschaft für Glaubensreform hat mit der Reformationsbewegung gemeinsam, dass sie sich gegen theologische Denkverbote ausspricht. Es geht ihr um die Glaubwürdigkeit des Glaubens, einsehbar auch für aufgeklärte Nichttheologinnen und Nichttheologen. Das wollte Luther auch. Es sei ein Fluch, wenn Menschen nicht verstehen können, was sie glauben. Aber das war es dann auch mit den Gemeinsamkeiten. Denn der Reformation ging es darum, zu den inspirierenden Quellen des Glaubens zurückzukehren. Hinter das Wort Gottes zu kommen ist eine Lebensaufgabe – täglich zu üben.

Die Gesellschaft für Glaubensreform aber sieht die Kirchen als Gefangene der Bibel und will das Gegenteil. Ihr Leitbild sind die Lehren der evolutionären Anthropologie und die Erkenntnisse der Human- und Naturwissenschaften. Die Religion, so die Forderung, müsse sich mit der kulturellen Evolution verändern. Es gelte, Gott in eigenen Erfahrungen wahrzunehmen.

Jetzt beziehe ich die Gegenposition und sage: Es ist das Allermindeste, Gott als Person zu denken! Darunter macht es Gott in keinem Fall. Ihn lediglich als Energie zu beschreiben geht gar nicht. Wie komme ich darauf? Auch ich nehme meine Erfahrungen mit Gott als Ausgangpunkt – und stelle fest: Ich sinne ihm nach, spreche ihn an während des Gottesdienstes, am Tisch zu Haus, wenn ich zu Bett gehe, ich trage ihm Fragen vor, die – hart zu ertragen – nicht beantwortet werden. Aber zu diesen Erfahrungen hat mich nicht die Evolutionsbiologie gebracht. Meine christlich bestimmte Gotteserfahrung ist geprägt durch das kulturelle Vermächtnis und Gedächtnis der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin. In diesem Kontext werden für die Frage, wer Gott ist, biblische Texte zentral.

Dabei gilt: Die christliche Religion ist eine Religion des Wortes Gottes, aber sie ist keine Buchreligion! Das Christentum nimmt den Geist Gottes nicht in Texthaft und macht ihn nicht zum Knecht eines Buchstabens, der unfehlbar sei. Was in der Bibel steht, haben Menschen aufgeschrieben. Sie dokumentieren darin, zum Teil sehr widersprüchlich, was sie vom göttlichen Leben in ihrer Geschichte oder der Geschichte ihrer gesellschaftlichen Umgebung wahrgenommen haben. So ist sie zu lesen. Auch hier gilt: »Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig« (2 Korinther 4, 6). Das Wort Gottes nimmt Gestalt an im vitalen Deutungsprozess von Menschen. Sie lesen nach, denken nach, gleichen die Bibel mit ihren Einsichten und Erlebnissen ab. So wird das Wort Gottes als Gottes Wort manifest. Der Vorwurf Jörns’, christliche Kirchen und die akademische Theologie seien einem strikten Biblizismus verfallen, ist unhaltbar. In der gegenwärtigen Gesprächskultur gibt es über hundert Spielarten der Bibelinterpretation. Man kann die Bibel lesen, ohne Biblizist zu sein. Die Alternative, entweder fanatischer Biblizist oder aufgeklärter Kulturwissenschaftler zu sein, ist nicht redlich.

Auch die Gesellschaft für eine Glaubensreform kann die Bibel nicht einfach beiseite legen. Auch die GfGR spricht von Jesus. Von dem wird jedoch nur in der Bibel, genauer in den Schriften des Neuen Testaments, berichtet. Von Jesus weiß die GfGR erstaunlich viel. Zum Beispiel, dass wir, wenn wir gut sein wollen, Hilfe brauchen. Sie weiß, dass sein Tod am Kreuz nicht die Relevanz hat, die von den Evangelien und den Aposteln behauptet wird. Sie weiß auch, dass Gott Geist, Leben und Liebe sei – eine Einsicht, die ihr die Evolutionsbiologie schwerlich eingeflüstert haben kann, auch nicht die Summe der zusammengetragenen Lebenserfahrungen, die für Menschen tragisch zwielichtig bleiben müssen.

Und deshalb frage ich mich: Warum sollte der biblische Gott auf eine bloße Energie hinuntergedimmt werden? Gott ist Geist, ist Kraft, Leben, Energie. Ja, das ist er wohl auch, wobei erst einmal genauer zu fassen wäre, was Energie überhaupt bedeutet. Aber in jedem Fall ist Gott unterbestimmt, wenn man ihn mit einer bloßen apersonalen Kraft gleichsetzt. Was ist damit gewonnen, wenn Gott als physikalische Kraft oder biodynamische Energie gefasst wird? Das ist biomorph oder physikomorph gedacht. Weshalb aber sollte »biomorph« aufgeklärter sein als »anthropomorph«?

Ich hänge übrigens nicht an dem Ausdruck Person. Wenn dafür ein besserer gefunden wird, der Missverständnisse vermeidet, ist es mir nur recht. Person hängt jedenfalls nicht, wie unterstellt wird, an der Bindung an einen endlichen Leib oder menschlichen Körper. Es sind folgende Züge, die in meinen Augen Person zu einer Bestimmung machen, die wichtige Züge des christlichen Gottesverständnisses aufschlüsselt und beschreibt: Personen haben ein komplexes Selbstverhältnis. Personen verfügen über eine lebensbiografische Dynamik. Personen sind in der Lage, etwas zu erleben. Das vermögen Energien nicht. Personen können versprechen und vergeben. Energien erinnern sich an nichts. Sie haben weder mit sich noch mit anderen etwas vor. Personen stehen in einem dialogischen Verhältnis zu anderen und zu sich selbst. Sie können sich korrigieren. Davon sind apersonale Energien weit entfernt.

Was für ein herber Verlust für das christliche Gottesbild, wenn ihm seine Substanz genommen wird und Gott auf Lebensenergie reduziert wird. Und welch ein Widerspruch, wenn dieser als unpersönlich definierte Gott gleichzeitig als Liebe und Geist beschrieben wird. Das ist von hinreißender Inkonsequenz. Wie soll denn Liebe apersonal gedacht werden? Liebe ist, wie Leibniz als Kenner der Bibel einmal fein formuliert hat, die Fähigkeit, sich an der Freude der anderen zu freuen. Wie soll ein Lebensenergiefeld dazu in der Lage sein? Geist ist immer schon als eine Instanz gedacht, die ein Selbstverhältnis hat. Welches Verständnis von Geist ist also gemeint?

Was bringt es, frei flottierbare Lebensenergie religiös zu beschwören, gelebte Lebensenergien von irdischen Lebewesen zu summieren und darauf zu hoffen, dass daraus überschäumend eine Gotteskraft herausspringe? Es ist an der Zeit, den Beziehungsreichtum, der Gott selbst ist, also die faszinierende »Lebensbiografie« Gottes, die sich grundlegend von einer menschlichen Lebensbiografie unterscheidet, so zu fassen, dass Zeitgenossen etwas damit anfangen können. Vielleicht wird dann auch wieder deutlich: Jesus hat versprochen, mir einen neuen, heilsam unterschiedenen Lebensentwurf anzubieten, nämlich Person im vitalen Beziehungsgeflecht mit Gott als Person sein zu dürfen.

Noch ein Wort zur Evolutionsbiologie, für die ich von Herzen dankbar bin. Denn sie lässt mich über die Entstehung und Entwicklung des Lebens staunen. Und sie steht in keiner Konkurrenz zu den biblischen Schöpfungserzählungen, die als hinreißende Gottespoesie nie eine naturwissenschaftliche Theorie über die Entstehung von Leben abgeben wollten. Meinen Zugang zur Gottesfrage haben Gespräche mit Naturwissenschaftlern geschärft. Die Naturwissenschaften warnen mich vor einem falschem Export theologischer Vorstellungen in die naturwissenschaftliche Welt. Sie machen aber auch klar. Ein Import naturwissenschaftlicher Einsichten in die Theologie hilft nicht weiter. Denn Naturwissenschaften müssen per se einem methodischen Atheismus folgen. Es gibt keine biologische oder physikalische Gotteslehre.


Stephan Schaede, geboren 1963, studierte evangelische Theologie in Tübingen, Rom und Göttingen. Er ist Leiter der Evangelischen Akademie Loccum.


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In Publik-Forum" Nr. 20|2017 | S. 34/35 nun ein paar Leserbriefe zu der spannenden "Kontroverse" zum "Sein - oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ - oder so ähnlich ...:

Gott – Person oder Energie?

Die Vorstellung von Gott als Person sei naiv, alles im Kosmos sei Energie, sagte Klaus-Peter Jörns im Interview in Publik-Forum 17/2017. Im darauffolgenden Heft widersprach ihm Stephan Schaede. Reaktionen unserer Leserinnen und Leser


Stephan Schaede setzt Energie mit einer nichtintelligenten Kraft gleich, die sich folglich völlig zufällig verhält. So gesehen hat er aber die Erkenntnisse der Quantenmechanik außer Acht gelassen, die nicht nur von Energie als einem Zufall, sondern von Information, also einer Intelligenz, spricht, die den gesamten Kosmos durchdringt. Herr Schaede sieht einen unüberwindbaren Widerspruch zwischen einem apersonal gedachten Gott und Liebe beziehungsweise Geist. Ich halte es für zu eng gedacht, Liebe nur im Kontext von Personalität zu sehen. Welche Wirkung Liebe auf Tiere und Pflanzen hat, denen wir das Personsein absprechen, ist bekannt. Liebe überschreitet die Grenze des Personalen. Wenn Gott etwas mit seiner Schöpfung zu tun hat, dann ist die gesamte Materie von seiner Intelligenz (Logos) durchdrungen. Genau an diesem Punkt treffen sich Naturwissenschaften und Religionen. Man muss nur die Mystiker aus allen Erdteilen lesen, um zu einem viel weiteren Verständnis von Gott oder dem Einen zu kommen. Wenn Gott in allem ganz tief verborgen ist, kann ich ihn – ohne ihn personal zu denken – trotzdem mit Du ansprechen. Bernhard Fichtner, Riedstadt

»Gott ist mehr ist als Energie«: Das würde ich sofort unterschreiben. Aber Herr Schaede hätte als Theologe sehen müssen, dass christliche Mystiker (Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila, Meister Eckhart u. a.), auch evangelische (Tersteegen u. a.), von Erfahrungen von Allverbundenheit sprechen, die ganz eindeutig apersonale Gotteserfahrung beschreiben. Klemens J. P. Speer, Osnabrück

Das häufigste Argument gegen ein »personales« Gottesbild lautet, dass dabei nur menschliche Wünsche und Bilder anthropomorph naiv auf »Gott« übertragen würden (Feuerbach lässt grüßen). Es mag psychologisch einen Unterschied zwischen personalen und apersonalen Vorstellungen geben, erkenntnistheoretisch sind sowohl Gott als »Vater/Mutter/guter Hirte« als auch Gott als »Energie/Grund des Seins/Urkraft« Übertragungen menschlicher Bilder auf ein transzendentes Gegenüber. Über rein bildhafte Aussagen über Gott kommen wir nie hinaus, es sei denn, wir reden vom ganz und gar immanenten Jesus aus Nazareth. Axel Denecke, Isernhagen

Bei den Diskussionen zur Frage, ob Gott Person sei, fällt mir auf, dass der Person-Begriff nirgends definiert wird. In einer älteren Ausgabe des Lexikons für Theologie und Kirche wird »Person« als ein Wesen umschrieben, das zumindest potenziell über ein Bewusstsein seiner selbst verfügt. Einen Gott ohne Bewusstsein zu denken wäre unsinnig. Vielmehr müsste ein Bewusstsein seiner selbst ein vollkommenes sein. Somit wäre Gott sogar Person in Vollendung – während wir Menschen gebrochene, werdende Persönlichkeiten sind. Max Lang, München

Eine apersonale Gottesvorstellung muss nicht gleichbedeutend mit einer Reduktion auf Vorstellungen von Lebensenergie oder Ähnlichem sein, wie Stephan Schaede unterstellt. Gott als Freiheit der Geringsten in der Gemeinschaft aller – das verbindet personale Interaktion mit dem Abschied von einem anthropomorphen Gottesbild. Georg Lechner, A-Ternitz

In der »Religion des Wortes Gottes«, sagt Stephan Schaede und zitiert Karl Barth, »müssen die Theologen von Gott reden« – also biblisch vom allmächtigen Schöpfer. Theologen, welche »ihm nachsinnen«, müssten eigentlich Evolutionsbiologie und Astrophysik schätzen, um Näheres über Gott zu erfahren. Denn was in den heiligen Büchern steht, war ja zuerst »in die Bäume geschrieben«, wie schon Luther ahnte. Manfred Fennemann, Hamm

Ich meine, dass sich Abschied nehmen lässt von dem Projektionsbild Gott, ohne als Alternative Natur und Kosmos zu bemühen. Dazu müsste man in einem existenziellen Ansatz von den Menschen ausgehen, von dem, was in ihnen vorgeht, was sie suchen und worunter sie leiden. Wir können so zu Menschen werden, die sich und ihrer Geschichte bewusst werden. Der Kosmos hat kein Bewusstsein. Seine Energie ermöglicht durch zufälliges Werden Leben. Leben entwickelt Bewusstsein, um sich besser organisieren zu können. Menschen schaffen Kultur mit höheren Formen des Bewusstseins. Die Religion möchte das Bewusstsein weiten zum Unendlichen hin und gleichzeitig zur tieferen Menschwerdung. Gott taucht auf, sobald die Menschen beginnen, sich selber bewusst zu werden. Zuerst in äußeren Gestalten und dann schrittweise in der Verinnerlichung. Georg Milz, Bonn

Zuruf von der Basis: Es geht nicht darum, was Gott ist, ob »Person« oder »Energie«, sondern um die »Wirk-lichkeit«, das Wirken Gottes an jedem von uns verschiedenen Menschenkindern in verschiedenen Zeiten, also nicht um »Sein«, sondern um »Erfahrung«. Um diese Erfahrungen mit Gott geht es auch den Menschen der Bibel – je in ihrer Zeit, ihrem Leben und Umfeld. Renate Iseke, Überlingen

Herr Schaede macht es sich zu einfach, wenn er Jörns’ Gottesverständnis als Energie auf eine »physikalische Kraft« verkürzt. Wir müssen den Energiebegriff, wenn er zum Verständnis Gottes taugen soll, viel weiter fassen. Schon in der Physik ist Energie Licht, Wärme, Anziehungskraft. Und jenseits der Physik ist Liebe ganz sicher eine Energie, ebenso wie Vergebung, Hoffnung, Vertrauen – geistige Phänomene, die übertragbar sind. Es gibt Hinweise, dass es ein globales Bewusstseinsfeld geben könnte (R. Sheldrake), mit dem wir kommunizieren. Ein apersonales Gottesverständnis – oder, wie ich lieber sage: ein transpersonales – kann durchaus zum »Du« einladen. Gerhard Breidenstein, Traunstein

Stephan Schaede glaubt, die »Lebensbiografie« Gottes zu kennen, und ist selbst nur Geschöpf. Gott ist »ewig«, wissen Theologen. Und Gott ist die Liebe. In einem Hadith heißt es: »Ich liebte, um erkannt zu werden, darum schuf ich das Universum.« Der berühmte Sufi Ibn ’Arabi schrieb: »Gott ist das Potenzial, aus dem alles Sein kommt, der Ursprung allen Seins, und alle Existenz ist eine Einheit in ihm.« Warum suchen Theologen nach Gotteserfahrung nicht auch im transpersonalen Raum? Alle Religionen bezeugen, dass sie durch den Weg in die Stille geschenkt werden kann; aber den lehren die Kirchen seit 200 Jahren nicht mehr! Philipp Bockenheimer, Linden

Natürlich ist unser Gott ein personaler Gott. Gott ist Liebe, Barmherzigkeit – beides braucht ein Gegenüber. Die Frage ist doch nur: Ist er ein personaler Gott nach menschlichen Maßstäben – der Opa mit Bart? Sicher nicht. Das Schöne an unserem Glauben ist die Dreifaltigkeit: Manche brauchen Jesus, um sich an ihm auszurichten, wieder andere den Geist, der uns antreibt, oder aber eben auch Gott Vater, die Liebe und Barmherzigkeit »in Person«. Edith Furtmann, Tönisvorst

Martin Luther wandte sich entschieden gegen hinderliche Gottesbilder und naive Vorstellungen vom Himmelreich. Wir wissen heute um das Universum mit seinen Unermesslichkeiten. Deshalb ist ein Gottesbild notwendig, das ihnen standhält und sie einzubeziehen vermag. Gottes Wirklichkeit ist größer als das Universum, hat es hervorgebracht und lässt es sich entwickeln. Sie ist allgegenwärtig-nahe. Wie in früheren Zeiten, so kann der Mensch auch heute sich dafür öffnen. Gottes Wirklichkeit wird unterschiedlich erlebt: einerseits wie von einer Person herrührend, zum andern als Kraft, Trost, Licht ... In beiden Weisen zeigen sich die menschenmöglichen Formen des Empfangens und Erlebens. Dazu Paulus: »Wir haben aber diesen Schatz nur in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns« (2 Korinther 4, 7). Jürgen Linnewedel, Garbsen

Die biblischen Gottesbilder sind Bildworte: Gott als Vater, Mutter, König, als »Frau Weisheit«, als Adler, als Bärin. Aber auch: Gott als Schild, Quelle, als »ruach«, als Licht. Auch Jesus praktiziert die anschaulich-konkrete Bildrede. Allerdings: Seine Bilder sind einer patriarchalischen, von Ackerbau und Viehzucht geprägten Gesellschaftsstruktur entnommen. Wir leben heute in einer industriellen, von Aufklärung und Naturwissenschaften geprägten Kultur. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn sich religiös aufgeschlossene Menschen Gott als eine Art Energie vorstellen: Energie hat viele Erscheinungsformen, kann weder erzeugt noch vernichtet werden. Weil die sakralen Sprachen Zeitgenossen zunehmend fremder geworden sind, sah schon vor über siebzig Jahren der Naturforscher und Theologe Pierre Teilhard de Chardin die Notwendigkeit, religiöse Inhalte in profanen Sprachen (zum Beispiel der Naturwissenschaften) vorzustellen, wenn Glaube nicht in der Sprachlosigkeit der tradierten Floskeln und theologischen Leerformeln verloren gehen soll. Norbert Scholl, Wilhelmsfeld

Was ist Gott? Eine abstrakte Energie oder ein persönliches Gegenüber? *)Wir polarisieren schnell in ein Entweder-oder. Die moderne Physik lehrt uns aber, dass die Natur auch doppeldeutige Antworten gib : Licht ist sowohl eine immaterielle Welle ohne festen Ort als auch ein Teilchen mit konkreter Ausdehnung, obwohl wir uns nicht beides gleichzeitig vorstellen können. Spirituelle Erfahrung kann uns jenseits von Logik und Verstand führen. Wenn wir uns darauf einlassen, geraten wir in Kontakt mit einer überpersönlichen Wirklichkeit, die uns doch unbedingt angeht und jede Faser von uns ergreift – ungeheuer intim und trotzdem völlig abstrakt. Etwas, was mich als Gegenüber hält in einer Sphäre, in der auch ich nicht mehr nur Person bin. Ich löse mich auf, werde Teil von etwas Größerem. Da ist Energie und gleichzeitig zärtliche Nähe. Es fühlt sich an wie ein tiefes Verstehen jenseits der Verstandesebene. Unser Verstand kann nicht erfassen, wie Gott ist. Aber es gibt eine Ebene tief in uns, die ahnen kann, was den Verstand übersteigt!Simone Brietzke, Willmenrod


Zu den beiden Artikeln von Klaus-Peter Jörns und Stephan Schaede erreichten publik|forum so viele Leserbriefe, dass wir leider nur einen Teil davon abdrucken können. Kürzungen waren unvermeidlich.  
Und ich will nicht verhehlen, dass ich Mitglied in der "Gesellschaft für eine Glaubensreform"bin - und schon von daher dem Bild von Jörns recht nahe stehe - und mich mit meinem Gottesbild in dem Leserbrief von Simone Brietzke aus Willmenrod am besten wiederfinde - in dem sie schreibt: ... *) "Wir polarisieren schnell in ein Entweder-oder. Die moderne Physik lehrt uns aber, dass die Natur auch doppeldeutige Antworten gibt" ...(s.d.) - S!

... und click auch here 

unterhalb des vernünftigen

lachmöwenschaum - ein umweltgedicht - gratulation zu jan wagner's buechner-preis-verleihung

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sinedi|art: lachmöwenschaum


wenn ich über die hellgelbe 
braungeränderte
hundescheiße
die in risottokonsistenz 
unter meinem schuh breitgetreten
klebt
wenn ich über die ein gedicht schreiben will
oder eben nur zeilen dazu
untereinanderreihe - 
schreien alle: wo bleibt dabei
der politische zeitgeist
geist

dabei müsste man 
das hundeherrchen
oder frauchen 
aufhängen
die den kot ihres lieblings
nicht schnurstracks
in einem plastikbeutel verpacken
und in der manteltasche
nach zuhaus mitschleppen
baumelnd mitschleppen

das wäre ein akt von
umweltschutz - 
nur der plastikbeutel
in der manteltasche
stört noch ein wenig:
denn plastik zersetzt sich erst
nach jahrhunderten
jahrein jahraus

wird vielleicht zu plastik
sand zerbröselt, der dann
im magen einer lachmöwe
als unverdaubares gewölle
landet, das trotz allem gewürge
nicht mehr erbrochen werden kann
es ist zum kotzen

hingeblättert liegt die möwe dann
zerzaust
im blitzenden algenschaum am strand
und wird vom strandsäuberungsdienst
eingesammelt:
zu einem großen haufen 
verfaulender kadaver - 
der wie hundescheiße
zum himmel stinkt
pfui ...

sinedi


feste burg

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dieser tage komme ich ja nicht umhin, einige worte zu luther und zur reformation vor 500 jahren auch hier zu veröffentlichen ... - und über jubilare und jubiläumsanlässe sagt man ja nur das beste - neben aller kritischen betrachtungen der feierlichkeiten aus diesem anlass (siehe vorangegangene posts) ...

luther war - wie gesagt - ein kind seiner zeit ... - und auch die reformation war ein zeitgebundenes ereignis, das aber große wirkungen und kulturelle umwälzungen nach sich zog ... 

das mittelalter wurde mit seinem dumpfen mief hinweggefegt - und es kam der hauch von "frischer luft" und "befreiung" - auch für alle bürger - männer und frauen - unterschiedlichster stände - und deren kinder ... sie sollten nun in den bürgerschulen lernen, selbstständig zu lesen ...

luther hatte ja just in der apostelgeschichte die stelle übersetzt, wo ein königlicher kämmerer aus äthiopien in einer kutsche im buch des propheten jesaja las - und philippus an die kutsche trat und fragte: "verstehst du auch, was du da liesest? er (der kämmerer) aber sprach: wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?" - und philippus begann mit der biblischen unterweisung dieses mannes... (apg 8,26-40).

diese bildung aller menschen brach sich nun ab der reformation durch luther unaufhaltsam bahn - und das ist nach meinem dafürhalten die größte umwälzung ... - auch wenn nun 500 jahre allgemeinbildung heutzutage nicht immer nur zur vernunft geleiten - wie wir es ja heutzutage im alltag und in der großen politik erleben müssen ... 

ein aspekt dieser jubelfeier ist aber auch, welch eine mehrdimensional verändernde kraft mit langzeitwirkung von dieser reformation ausging für alle bereiche des "zivilisierten" lebens von damals bis heute: eigentlich aus einem begrenzten "klerikalen" randereignis - aus dem glauben an einen gott heraus... - in unserer derzeitigen gottfernen atheistisch-säkularisierten welt ist das kaum noch nachzuvollziehen - es fehlt auch vielleicht der nötige vom glauben getragene enthusiasmus - im wahrsten sinne des wortes einfach die dazu nötige anstachelnde "be-geisterung" ... ...

trotzdem einen schönen reformations-jubeltag - statt diesem blöden und unsäglichen "helloween" S!


Luthers Thesenanschlag: Der belgischen Historienmaler Ferdinand Pauwels stellte das Ereignis von Wittenberg 1872 dramatischer dar, als es sich wohl in Wirklichkeit abgespielt hatte - Quelle: S!|graphic nach picture-alliance / akg-images










Keiner entkommt Martin Luther

Von Matthias Heine | welt.de

Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel. Aber was geht uns das 500 Jahre später eigentlich noch an? 95 Gründe, warum die Reformation unser aller Leben immer noch beeinflusst


1. Weil sich aus der Einladung zu einer akademischen Diskussion, die ein Mönch in einer kleinen deutschen Provinzuniversitätsstadt veröffentlichte, rasch etwas entwickelte, das größer war als sein geringfügiger Anlass. Die Entwicklung der religiösen Strömungen, die man heute unter dem Begriff Protestantismus zusammenfasst, ging irgendwann über Deutschland hinaus und prägt immer noch die Welt, in der wir alle leben.

Deutschland

2. Ohne die Ereignisse des 31. Oktober 1517 gäbe es Deutschland in seiner heutigen Gestalt nicht.

3. Ein nicht-protestantisches Preußen ist undenkbar. Und damit die deutsche Einigung unter den Hohenzollern.

4. Die preußischen Tugenden sind protestantische Tugenden: Treue, Ehre, Pflichtbewusstsein, Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit, Sachlichkeit, Diensteifer und Selbstzucht wurden durch evangelische Tradition legitimiert und verstärkt.

5. Die Mann, der Deutschland 1871 einigte, war durch sein protestantisches Denken und Fühlen geprägt. Katholiken empfand Bismarck bekanntlich als „Reichsfeinde“.

6. Der Kaiser, der das zweite deutsche Reich in den Ersten Weltkrieg führte und zerstörte, war leider auch ein Protestant. Ein ziemlich fanatischer dazu.

Kultur

7. Die Meisterdenker der deutschen Philosophie waren Produkte einer evangelischen Kultur: Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Nietzsche.

8. Die klassische deutsche Literatur wurde fast ausschließlich von Protestanten hervorgebracht. Die Reihe reicht von Gryphius über Lessing, Wieland, Goethe, Schiller, Mörike, bis hin zu Thomas Mann. Noch Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ ist in seinem Stolz auf die Affektkontrolle ein zutiefst protestantisches Werk und Bertolt Brecht nannte die Lutherbibel das für ihn wichtigste Buch.

9. Wie der Literaturhistoriker Heinz Schlaffer gezeigt hat, haben bis um 1900 nur die protestantischen Gebiete Deutschlands Weltliteratur hervorgebracht. Der Beitrag der katholischen deutschsprachigen Gebiete zur Weltliteratur beginnt erst mit der Wiener Moderne – und deren wichtigste Vertreter waren bezeichnenderweise auch noch fast ausschließlich Juden: Schnitzler, Freud, Roth, Kraus.

10. Das protestantische Pfarrhaus hat auch seine zersetzendsten Kritiker hervorgebracht: Zwei so gottlose Seelen wie der Luther-Hasser Friedrich Nietzsche, der mit seinem „Zarathustra“ eine Art Antibibel schrieb, und Gottfried Benn waren Pfarrersöhne.

11. Johann! Sebastian! Bach!

Alphabetisierung

12. Volksbildung fängt in Deutschland erst mit Luther an. Seine Flugschrift „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ aus dem Jahre 1525 legt den geistigen Grundstein für das Volksschulwesen. Darin fordert der Reformator eine humanistische Schulbildung für alle Stände, vor allem mit dem Ziel, jedem eine eigene Bibellektüre zu ermöglichen.

13. Ein Beispiel für die Wirkung: Während es 1520 im Herzogtum Württemberg 89 Schulen gab, waren es um 1600 bereits über 400.

14. Der Historiker Robert A. Houston schreibt: „Tatsächlich war die Alphabetisierung in protestantischen Ländern im Allgemeinen weiter fortgeschritten als in katholischen und wo beide Glaubensrichtungen nebeneinander bestanden, wie etwa in Frankreich, Irland und in den Niederlanden, waren die Calvinisten meist gebildeter als die Katholiken.“

Wissenschaft

15. Auch auf dem Gebiet der Wissenschaftsfreiheit und der Universitätsqualität wirkte sich der Impuls Luthers langfristig aus. Neugegründete evangelische Universitäten in Deutschland mussten schon, um sich gegenüber der etablierten Konkurrenz katholischer und ausländischer Hochschulen zu behaupten, ein relativ größeres Maß an Freiheit der Lehre zulassen.

16. Hinzu kamen typisch protestantische Internalisierungen. Friedrich Wilhelm Graf schreibt: „Der reformatorischen Entdeckung einer Eigenwürde des Weltlichen entsprach es, dass die kirchliche Obrigkeit nicht mehr als die normative Instanz zur Beurteilung gelehrten Wissens galt.“

17. Protestantische Wissenschaftler entwickelten stärker als Katholiken ein Rollenverständnis, das an Traditionsbruch, Kritik, Innovation, Rationalisierung und individueller Wahrheitssuche orientiert war.

18. Dem widerspricht nicht unbedingt, dass Leute wie Kepler, Wolff oder Thomasius mit Autoritäten der lutherischen Orthodoxie in Konflikt gerieten, wenn sie Forschungsfreiheit tatsächlich in Anspruch nahmen. Sie durften sich mit einigem Recht als wahre geistige Nachfolger Luthers fühlen.

19. Der Schweizer Theologe Karl Rudolf Hagenbach vertrat daher, allen Einschränkungen zum Trotz, schon im 19. Jahrhundert die These, die meisten Protestanten sähen „das Princip der freien Forschung“ als „das eigentliche Princip des Protestantismus“.

20. Ein Beispiel dafür, dass dieses „Princip“ heute noch nachwirkt: Die wichtigsten Bücher über Luthers Judenhass sind von den protestantischen Theologen Peter von der Osten-Sacken und Thomas Kaufmann verfasst worden.

21. Pioniere der deutschen Wissenschaftssprache wie Leibniz, Thomasius oder Wolff waren nicht zufällig Protestanten oder wirkten an protestantischen Bildungsinstitutionen. Wenn man die Bibel dem Volk in seiner Sprache zugänglich machte, lag es nahe, auch die Ergebnisse der Wissenschaft für alle Menschen, nachvollziehbar zu machen. Christian Thomasius hängte seine Einladung zu einer ersten deutschsprachigen Vorlesung am Reformationstag, dem 31. Oktober 1687, ans Schwarze Brett der Universität Leipzig und wählte dieses Datum natürlich wegen seines symbolischen Gewichts. Diejenigen, die auf Latein als Wissenschaftssprache beharrten, empfanden das als Skandal – darunter waren ironischerweise die Vertreter der lutherischen Orthodoxie, die an der Hochschule im sächsischen Kernland der Reformation sehr mächtig war.

Frauenbildung

22. Luther war auch ein Pionier der Frauenbildung. Das Privileg, die Bibel selbst lesen zu können, sollte nicht auf Männer beschränkt sein. Bereits in seiner grundlegenden Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ schrieb er 1520: „Und wollte Gott, jede Stadt hätte auch eine Mädchenschule, in der die Mädchen täglich eine Stunde das Evangelium hören, es wäre auf deutsch oder lateinisch.“

23. In der bildungspolitischen Ermahnung an die Ratsherren vier Jahre später wurde Luther noch konkreter. Er ermahnte die Obrigkeiten deutscher Städte, „die allerbesten Schulen für Knaben und Mädchen an allen Orten aufzurichten.“

24. Der britische Historiker Andrew Pettegree beschreibt den Bildungsimpuls für Mädchen, der vom Protestantismus ausging: „Das gesamte Ausmaß dieser Leistung zeigt erst ein Vergleich deutscher Regionen mit einer Bestandsaufnahme der Schulen in Venedig von 1587. Dort gab es zahlreiche Schulen mit mehreren Tausend Schülern, aber der Anteil der Mädchen lag bei lediglich 0,2 Prozent. Laut späteren Erhebungen machten Mädchen in ländlichen Gegenden Deutschlands annähernd die Hälfte der Schüler aus. Luthers Pionierleistung auf diesem Gebiet findet kaum Anerkennung.“

Die Diktatur Griechenlands

25. Die konkrete Gestalt der deutschen Schulen wurde nachhaltig geprägt durch die Reformen von Luthers wichtigstem Weggefährten Philipp Melanchthon, einem Griechisch-Professor.

26. Die intensive Beschäftigung mit den alten Griechen an deutschen Schulen hatte Auswirkungen auf die Klassik – ohne Melanchthon kein Winckelmann, keine „Iphigenie“ Goethes, keine „Götter Griechenlands“ von Schiller, kein Nietzsche. Die englische Germanistin E. M. Butler hat ein Buch geschrieben, in dessen Titel sie geradezu von einer „Tyrannei Griechenlands über Deutschland“ sprach.

27. Gerade die „Iphigenie“, dieses Musterbeispiel der Entsagung, Selbstüberwindung und Affektkontrolle hat natürlich mit den realen Griechen viel weniger zu tun als mit protestantischen Tugendidealen.

Unsere Muttersprache

28. Auch wenn Luther unser Deutsch nicht „erfunden“ hat, so hat doch kein einzelner Mensch mehr Einfluss auf die deutsche Sprachgeschichte gehabt als er.

29. Mit seiner Bibelübersetzung, aber auch mit seinen Kirchenliedern, mit dem Katechismus und mit seinen Predigten, die von weniger kreativen Pfarrern lange Zeit immer wieder vorgelesen wurden, schuf er die Grundlage für eine überregional verständliche Form des Deutschen.

30. Auf der Basis dessen entwickelten Dichter und Grammatiker zur Zeit des Barock und später in der Epoche der Klassik eine Literatursprache, die in allen deutschsprachigen Gebieten anerkannt war – seit den Bildungsreformen Maria Theresias und ihres Sohnes Joseph II. auch im katholischen Österreich.

31. Die Zahl der Wörter, die Luther erfand oder zumindest in die Schriftsprache einführte, ist Legion: Feuereifer, Herzenslust, Bubenstück, Denkzettel, Rotzlöffel, Rüstzeug, Schandfleck und viele mehr.

32. Die Luthersprache hatte aber auch subtilere Wirkungen auf den Satzbau und sogar die Wortformen.

33. Ohne die Lutherbibel hätten sich die heute nur süddeutschen Wortformen Kron, Sonn, Seel wohl durchgesetzt. Das unbetonte e war in solchen Wörtern um 1500 in fast allen deutschen Dialekten verschwunden – nur nicht im Ostmitteldeutschen, das Luther als Grundlage seiner Bibelsprache nahm. Durch das hohe Prestige der Luthersprache und den Einfluss protestantischer Sprachtheoretiker wie Opitz und Gottsched kehrte das e schließlich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auch im katholischen Schrifttum zurück. Vorher war es jahrhundertelang als lutherisch empfunden worden.

34. Der hohe Stellenwert, den Arbeit in Deutschland hat, ist von Luther begründet. Vor ihm bedeutete Arbeit „Not, Leid, Entbehrung“. Er verhilft der Bedeutung „sinnvolles, gottgefälliges Tun“ zu Durchbruch. Heute ist Arbeit eines der global verbreitetsten deutschen Wörter, man kennt es auch in Korea, auf Samoa und Belize.

Globale Wirkung

35. Die Bewegung, die mit Luthers Thesen begann, löst sich relativ rasch von ihm und der Beschränkung auf Deutschland. Wenn Luther Deutschland verändert hat, hat Jean Calvin die Welt verändert. Aber: „Alle Protestantismen beziehen sich auf den Protest eines Wittenberger Universitätstheologen gegen eine tendenziell allmächtige Institution“, schreibt Friedrich Wilhelm Graf in seinem Buch „Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart“.

36. In den letzten 400 Jahren hat es nach- und nebeneinander drei protestantische Weltmächte gegeben, von denen die neuzeitliche Globalisierung vollendet wurde: Holland, Großbritannien und die USA.

Holland

37. Das calvinistische Holland wurde die erste globale kapitalistische Handelsmacht.

38. Dass die Holländer sich von den Spaniern lossagten und bereit waren, 100 Jahre um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen, liegt natürlich auch daran, dass sie es als Protestanten nicht mehr im doktrinär-katholischsten Land der Welt aushielten.

England

39. Das anglikanische England trat schließlich in Hollands Fußstapfen und übertraf den Vorgänger noch an Macht und Reichtum. Den Anstoß dafür gab der puritanische Militärdiktator Oliver Cromwell mit der „Navigationsakte“.

Die USA

40. Die Grundsteine der britischen Kolonien in Nordamerika sind von protestantischen Sekten gelegt worden. Die Pilgerväter gehören dazu und auch der Quäker William Penn, der das nach seinem Vater benannte Pennsylvania als „Heiliges Experiment“ gründete, und zum Zufluchtsort für anderswo verfolgte christliche Gruppierungen machte.

41. Die Lossagung der britischen Kolonien in Amerika erfolgte im Geiste eines aufmüpfigen Protestantismus. Der König in London war für die amerikanischen Revolutionäre der „Pharao“, eine Metaphorik, die überhaupt erst möglich wurde, weil im evangelischen Christentum das Alte Testament eine viel größere Rolle spielte, als zuvor im Katholizismus.

42. Die Bürger der neu gegründeten USA empfanden sich als neues auserwähltes Volk, ihr Land als „God’s Own Country“ oder „New Zion“.

43. George Washington sagte: „It is impossible to rightly govern the world without God and the Bible.“ Und natürlich verstand er Gott als einen protestantischen Gott.

44. Der White Anglo-Saxon Protestant galt fast 200 Jahre lang als der archetypische Amerikaner. Es dauerte bis 1961, bis die USA erstmals einen katholischen Präsidenten bekamen: John F. Kennedy. Es gibt ein faszinierendes Buch des Kulturhistorikers Michael Hochgeschwender namens „Amerikanische Religion“ – darin geht es nur um typische Formen des Protestantismus in den USA.

45. Die Eroberung des amerikanischen Westens wurde auch als eine protestantische Kulturmission verstanden. Nicht umsonst ist der „circuit rider“, der berittene Wanderprediger, eine archetypische Figur der Westernfolklore. Seine idealtypische Verkörperung war der Methodist Francis Asbury (1745–1816), der 270.000 Meilen durch das Land ritt und über 16.000 Mal vor Weißen, aber auch vor Native Americans predigte.

Revolution

46. Auf die Idee, man könnte einem König den Kopf abschlagen, kamen 140 Jahre vor der französischen Revolution schon die Vertreter einer protestantischen Bewegung: die Puritaner in England.

47. Die Idee kam ihnen, weil vor allem calvinistische Theologen den Bürgern ein Recht auf Widerstand gegen eine Obrigkeit, die Gott missachtete, zustanden.

48. Die französischen Revolutionäre von 1789 haben Luther als einen ihrer Vorgänger angesehen. 1802 stellte die Académie Française die Preisfrage: „Welches ist der Einfluss der Reformation Luthers auf die politische Lage der verschiedenen Staaten und den Fortschritt gewesen?“ Es gewann der Privatgelehrte Charles de Villers, der antwortete: „Die Reformation, welche anfangs nichts als eine Rückkehr zur Freiheit in Religionssachen war, wurde auch eine Rückkehr zur Freiheit in Absicht auf Politik.“ Deshalb sei die Gründung der französischen Republik „ein entferntes aber notwendiges Corollar der Reformation.“

Freiheit

49. Solche Theorien knüpfen vor allem an Luthers Schrift: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahre 1520 an. Friedrich Wilhelm Graf schreibt, die Botschaft dieses Werks, „erlaubte unterschiedlichen sozialen Gruppen, ihre jeweiligen Freiheitsforderungen durch die Wittenberger Kirchenerneuerung legitimiert zu sehen.“

50. Es spielt keine Rolle, dass Luther seine keineswegs als Anleitung zum Ungehorsam verstanden wissen wollte. Sein Freiheitsbegriff wurde ihm bald aus den Händen genommen und radikalisiert, zuerst im Bauernkrieg der 1520er-Jahre.

51. Der Zusammenhang von Protestantismus und Freiheit wurde im 19. Jahrhundert noch ganz klar gesehen. Hegel hielt die Reformation für die „Hauptrevolution“ der Neuzeit. Weil die Unmittelbarkeit des einzelnen Christen zu Gott durchgesetzt wurde, habe sie „das Prinzip des freien Geistes zum Panier der Welt gemacht“.

52. Der jungdeutsche Schriftsteller Heinrich Laube nannte 1833 die politischen Emanzipationsbewegungen der Vormärzzeit, die die Revolutionen von 1848 vorbereiten, den „Protestantismus der Völker“.

53. Zwölf Jahre zuvor hatte König Friedrich Wilhelm III. den öffentlichen Gebrauch des Begriffes Protestantismus in Preußen verboten, weil er ihm zu sehr nach Revolution und Aufruhr schmeckte. Nach einer Kabinettsorder von 3. April 1821 sollte „darauf gehalten werden, die Benennung: evangelisch statt protestantisch – Evangelische, statt Protestanten zu gebrauchen.“

Recht

54. Die deutsche Staatslehre ist eine Schöpfung von Protestanten. Weil sie, anders als die Katholiken, ihre Rolle im politischen Gefüge des Deutschen Reichs immer rechtfertigen mussten, begründeten evangelische Theoretiker wie Samuel von Pufendorf und Veit Ludwig von Seckendorff im 17. Jahrhundert die Reichspublizistik.

55. Seckendorffs Buch „Der deutsche Fürstenstaat“ ist auch der Beginn aller wirtschaftswissenschaftlichen Literatur in Deutschland.

56. Die moderne Völkerrechtstheorie wurde zwar vom spanischen Jesuiten Francisco Suárez mitbegründet, etabliert und ausformuliert wurde sie aber im 17. Jahrhundert von Protestanten wie dem Holländer Hugo Grotius und den Deutschen Samuel von Pufendorf und Christian Wolff.

Pazifismus

57. Der neuzeitliche Pazifismus ist mit protestantischen Glaubensgemeinschaften wie den Mennoniten, den Hutterern oder dem Amischen in die Welt gekommen. Sie waren die ersten, die bereit waren, lieber ins Gefängnis zu gehen, ihr Land zu verlassen oder gar zu sterben, als Soldat zu werden und eine Waffe anzufassen.

Sklavenbefreiung

58. Die Abschaffung der Sklaverei in Amerika ist von religiös inspirierten protestantischen Aktivisten vorbereitet worden und durchkämpfen ließ sie ein tiefgläubiger protestantischer Präsident.

59. Dieser Präsident, Abraham Lincoln, trug, wie so viele Amerikaner des Westens, einen Namen aus dem Alten Testament. Der Antiheld des größten amerikanischen Romans heißt Ahab, der zwiespältige Sucher mit der Winchester im größten aller Western heißt Ethan. Die Hochschätzung des Alten Testaments im Protestantismus beginnt mit Luther.

Rock ‘n‘ Roll

60. Die klassische amerikanische Popmusik hat eine protestantische Wurzel: Hank Williams, Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Little Richard und Johnny Cash waren Sprösslinge des tiefgläubigen ländlich-evangelischen Milieus des Südens und sie alle haben religiöse Lieder gesungen.

61. Noch greifbarer ist der protestantische Einfluss in Blues und Gospel, den traditionellen Musikstilen der Schwarzen.

Nordeuropa

62. Man kann mit dem Finger jedes Land West- und Mitteleuropas und Amerikas auf der Landkarte zeigen und sagen, auf welcher Seite es im Zeitalter der Glaubensspaltung gestanden hat.

63. Die nordischen Länder sind bis heute die protestantischsten Staaten der Welt und alles, was wir mit skandinavischer Liberalität verbinden, rührt aus ihrer lutherischen Tradition her.

64. Den Staat Finnland würde es gar ohne Martin Luther vermutlich gar nicht geben. Das Luthertum war hier, noch mehr als in den Nachbarstaaten, ein Mittel, sich geistig und kulturell vom großen Nachbarn Russland abzugrenzen, der sich das Gebiet Finnlands immer gerne einverleiben wollte. René Nyberg, ein ehemaliger finnischer Botschafter in Moskau und Berlin, hat kürzlich in der „FAZ“ geschrieben: „Der wichtigste Finne, der je gelebt hat, war Martin Luther.“

Nationalkulturen

65. Auch Länder, in denen die Mehrheit der Einwohner keinen aktiven Christen mehr sind, sind natürlich von ihrer religiösen Vergangenheit kulturell geprägt. Die Nationalkulturen Großbritanniens, Deutschlands, den Niederlanden, der USA, der skandinavischen Länder und der Schweiz sind vom jahrhundertelangen Einfluss protestantischer Eliten bestimmt.

66. Beispiel Skandinavien: Weder Strindberg noch Ibsen, weder Ingmar Bergman noch Astrid Lindgren waren glühend evangelisch, die meisten waren Skeptiker und Agnostiker, aber in den Werken dieser skandinavischen Weltkünstler ist das Protestantische natürlich überall mit den Händen zu greifen.

67. Sogar der DDR-Atheismus war ein sehr protestantischer und der Staat war – jenseits aller sowjetischen Einflüsse – natürlich ein groß angelegter Versuch, den preußischen Zaubertrick zu wiederholen und sich durch Konsumverzicht (um nicht zu sagen Austerität) hinaufzuhungern. Im Westen sprach man ironisch von den „roten Preußen“.

Tod und Jenseits

68. Unser modernes Verhältnis zum Tod ist vom Protestantismus geprägt. Friedrich Wilhelm Graf spricht von einer „Entzauberung des Todes“. Von Luther sind erstaunlich wenige Aussagen über das Jenseits überliefert. Er, Zwingli und Calvin unterbanden die bis dahin selbstverständliche Kommunikation mit den Toten, die etwa im Heiligenkult und bei Totenmessen üblich war. Für Protestanten ist der Tod vor allem eine Mahnung, das diesseitige Leben gottgefällig zu führen und das kostbarste aller Güter, die knapp bemessene Zeit, nicht zu verschwenden. Michael Hochgeschwender erklärt die Entstehung frühkapitalistischer Effizienzsteigerungsmethoden, die man Taylorismus und Fordismus nannte, aus dem Geist typisch evangelischen Zeitgewinnstrebens.

Andere Religionen

69. Bis heute beziehen sich Reformbewegungen in anderen Religionen immer auf das Vorbild Luthers.

70. Der Zionismus wurde bei seiner Entstehung als „jüdischer Protestantismus“ interpretiert.

71. Reformströmungen innerhalb des Islam fordern immer mal wieder eine „islamische Reformation“. Man sieht von außerhalb offenbar schärfer, dass Luther bei aller berechtigten Kritik an seinem Dogmatismus und Fanatismus, ein großer Befreier war.

72. Mönche in Sri Lanka forderten in den 1950er-Jahren die Erneuerung ihrer Religion im Sinne eines „buddhistischen Protestantismus“.

Katholizismus

73. Auch der Katholizismus sähe heute ohne Luther anders aus. In seiner gegenwärtigen Gestalt ist er ein Ergebnis der Gegenreformation, mit der das Konzil von Trient 1545 auf den Siegeszug des Protestantismus reagierte.

74. Der 1534 von Ignatius von Loyola gegründete Jesuitenorden ist das bekannteste Produkt einer innerkatholischen Reformbewegung, die auf die „Häresien“ der Lutheraner und Reformierten reagierte, indem sie eigene neue Wege zu Gott suchte.

Kapitalismus

75. Spätestens seit Ernst Troeltsch und seit Max Webers epochaler Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ ist wissenschaftlich belegt, dass die Reformation die Entstehung der modernen Wirtschaftsform förderte. Selbst Autoren, die Weber in Details widersprechen, zweifeln nicht an seiner Gesamtthese.

76. Der Zusammenhang zwischen Protestantismus und Wohlstand fiel nicht erst Weber und Troeltsch auf. Bereits im 18. Jahrhundert antwortete der katholische Autor Johann Adam von Ickstatt auf die Frage „Warum ist der Wohlstand der protestantischen Länder so gar viel größer als der catholischen?“ so: „Ausser den Werktagen haben sie gar wenige Feyertage und also auch wenig Versäumnis. Von besonderen Andachtsübungen wissen sie nichts, sie werden daher von Jugend auf zur Arbeit der Werktage und nicht zum Müßiggang der Feyertage gewöhnt.“

77. Was Adam von Ickstatt beobachtete, ist die besondere Auffassung des „Berufs“ bei Evangelischen. Im Mittelalter nannte man „Beruf“ eine geistliche Tätigkeit. Unter dem Einfluss Luthers wurde es zur Bezeichnung für jegliche Tätigkeit, die in Verantwortung Gott gegenüber geschieht – die bürgerliche Arbeitswelt eingeschlossen.

78. Die Sphären des Profanen und des Heiligen waren nicht mehr getrennt. Man konnte Gott auch dienen, indem man gute Schuhe machte oder als Kaufmann ehrlich handelte.

79. Weitere mit der protestantischen Glaubenspraxis verbundene Tugenden wie Affektkontrolle, Disziplin, Beharrlichkeit, höhere Wertschätzung von Bildung, Individualisierung, größere Wissenschaftsfreiheit förderten ebenfalls die Entstehung des Kapitalismus.

80. Aufgrund der vor allem bei den Reformierten ausgeprägten Prädestinationslehre, wonach jeder Mensch schon vor der Geburt von Gott entweder erwählt oder verworfen sei, konnte man Wohlstand als Zeichen der eigenen Erwähltheit ansehen. Das motivierte zum Gelderwerb über die konkreten Bedürfnisse hinaus.

81. Steve Jobs war zwar der Sohn eines Syrers und er wurde später Buddhist. Aber erzogen wurde er von lutherischen Großeltern, die ihm ein strikt protestantisches Arbeitsethos einpflanzten. Seine minimalistisch schwarze Kleidung kann man als Hommage an asiatisch reduziertes Design betrachten – aber im Grunde ist es der Look eines modernen lutherischen Weltpriesters.

Rassismus und Antirassismus

82. Die Prädestinationstheorie konnte einerseits zur Rechtfertigung von Rassismus dienen. In der Vorstellungswelt der weißen Pfingstler (eine im 19. Jahrhundert entstandene protestantische Unterströmung) des amerikanischen Südens sind die Schwarzen von Gott verworfen. Auch der Ku-Klux-Klan ist nicht nur rassistisch, sondern aggressiv antikatholisch.

83. Andererseits ist die Emanzipation der amerikanischen Schwarzen und ihr Kampf um Bürgerrechte bis in die jüngste Zeit vorrangig von protestantischen Geistlichen betrieben worden. Nicht zufällig trägt der größte aller US-Bürgerrechtler die Vornamen Martin Luther.

Emanzipation

84. Apropos Emanzipation: Protestantische Kirchen waren die ersten in der Neuzeit, in denen Frauen als Priesterinnen zugelassen wurden. Allen voran, die Heilsarmee, in der bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts Frauen den gleichen Status haben wie Männer. Der Typus des weiblichen jungen Heilsarmeeoffiziers („Offiziere“ sind hauptamtliche Geistliche) war noch für die Dramatiker wie George Bernhard Shaw und Bertolt Brecht ein Faszinosum, das sie in den Mittelpunkt großer Dramen stellten.

Individualität

85. Unsere moderne Hochschätzung von Individualität und Subjektivität ist ein Ergebnis der Reformation. Im Protestantismus steht der Einzelne ohne Vermittlungsinstanz Gott und Christus gegenüber. Am großartigsten hat es Thomas Mann in seinen „Buddenbrooks“ formuliert: „Obgleich Thomas Buddenbrook in seinem Leben hie und da mit einer kleinen Neigung zum Katholizismus gespielt hatte, war er doch ganz erfüllt von dem ernsten, tiefen, bis zur Selbstpeinigung strengen und unerbittlichen Verantwortungsgefühl des echten und leidenschaftlichen Protestanten. Nein, dem Höchsten und Letzten gegenüber gab es keinen Beistand von außen, keine Vermittlung. Absolution, Betäubung und Tröstung! Ganz einsam, selbstständig und aus eigener Kraft mußte man in heißer und emsiger Arbeit, ehe es zu spät war, das Rätsel entwirren und sich klare Bereitschaft erringen oder in Verzweiflung dahinfahren …“

86. Die dem Protestantismus eigene Kultur individualisierter religiöser Reflexivität förderte über den Glauben hinaus Tendenzen subjektiver und individueller Weltanschauung in der neuzeitlichen Psyche.

Psychologie

87. Die moderne Neigung, sich selbst und andere psychologisch zu analysieren, hat eine ihrer Wurzeln in der Seelenzergliederung und kritischen Selbstbeobachtung, der sich vor allem die Pietisten, eine protestantische Reformbewegung im 18. Jahrhundert, unterwarfen. Nicht zufällig wurde die erste psychologische Fachzeitschrift, „Das Magazin für Erfahrungsseelenkunde“ ab 1783 von dem pietistisch geprägten Schriftsteller Karl Philipp Moritz herausgegeben.

Politik

88. Die hohen moralischen Ansprüche, die gerade in Deutschland und anderen protestantischen Ländern an die Politik gestellt werden, sind eine Folge evangelischer Theologie. Wenn jeder Gläubiger Priester und jede Tätigkeit gelebter Gottesdienst ist, muss Berufstätigkeit immer ethischen Richtlinien folgen. Das gilt auch für den Beruf des Politikers.

Sozialstaat

89. Der moderne Sozial- oder Wohlfahrtsstaat ist eine ferne Nachwirkung Luther’scher Ideen.

90. Wie der Theologe Hans-Richard Reuter schreibt, fiel schon länger auf, „dass in den Staaten des angelsächsisch-liberalen Typs, in denen sich eine sozialstaatliche Verantwortung nur ansatzweise (USA) oder verspätete (England oder Niederlande) durchgesetzt hat, calvinistische oder freikirchliche Strömungen prägend gewesen sind, während Länder mit früher wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung wie Deutschland und Skandinavien unter dem Einfluss des lutherischen Staatskirchentums standen“.

91. Luther hat der weltlichen Obrigkeit die Aufgabe zugewiesen, die destruktiven Elemente der menschlichen Sündhaftigkeit – Selbstsucht, Neid, Hass und Gewalt – notfalls mit Zwangsmitteln zu zügeln.

92. Hans-Richard Reuter schreibt: „Während in der katholischen Frömmigkeit die Armut geradezu als religiöse Institution galt – der Wohltäter half dem Bedürftigen und dieser betete für das Heil des Spenders – sagte Luther dem Bettel den Kampf an.“

93. Der Reformator propagierte den „gemeinen Kasten“, eine öffentliche Kasse, aus der die lokale Armenfürsorge finanziert werden sollte.

94. Als im 19. Jahrhundert die Grundlagen des deutschen Sozialstaats geschaffen wurden, standen die Protagonisten – allen voran Reichskanzler Otto von Bismarck – in der dem Luthertum entstammenden ideenpolitischen Tradition, die dem Staat eine zentrale Rolle bei der Lösung der sozialen Frage zusprach.

Ja, klar, aber …

95. All das hat Luther nicht geplant, nicht kommen sehen und manches davon hätte ihn sicher entsetzt. Dennoch beginnt es mit der Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517.


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In einer 3D-Animation rekonstruierte die Hallenser Firma MotionWorks auf die Idee des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie hin den Kopf Martin Luthers.
Quelle: S!|graphic nach der Animation vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte/MotionWorks GmbH/Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH








Martin Luther – die Freiheit, die er meinte

Von Antje Vollmer | welt.de

Vor 500 Jahren veröffentlichte Luther seine 95 Thesen: Beginn der Reformation, die Europa veränderte. Was fangen wir heute mit einem Menschen an, der mittelalterlich und zugleich so modern war?

Die Protestanten tun sich schwer mit ihm, weil ihnen seine Attacken gegen die „mörderischen Rotten der Bauern“ und seine antisemitischen Ausfälle peinlich sind, die sich leider in nichts von denen seiner Zeitgenossen unterschieden. Die Katholiken kultivieren schon aus Tradition ihr Desinteresse an dem Werk ihres verlorenen Sohnes, obwohl er vermutlich mehr für die innere Reform des Katholizismus und damit dessen Befreiung aus der „babylonischen Gefangenschaft“ getan hat als viele Kirchenväter, Päpste und Kardinäle.

Den Deutschen ist er äußerst fremd geworden, weil er so lange als teutonisches Muster-Mannsbild dienen musste, dass er geradezu zum Inbegriff dessen wurde, wovon sich die Nation endlich befreien will, um in der modernen Welt ihren politisch korrekten Platz zu finden.

Und doch war mit ihm, mit Martin Luther, ein „Weltaugenblick der Rebellion“ (Willi Winkler) verbunden, ohne den die Geschichte der letzten 500 Jahre in Europa ganz anders verlaufen wäre. Das weiß sogar Heinrich Heine: „Die Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon hätten uns nimmer so weit gebracht wie manchmal die göttliche Brutalität des Bruder Martin.“ Wenn nichts sonst von ihm bliebe als seine Sprache, er hätte für immer seinen Platz in der Weltliteratur sicher.

Luther hat nicht nur die Bibel ins Deutsche übersetzt und damit einen sinnlichen Ausdruck dafür gefunden, dass für jeden Christenmenschen das Wort Gottes „Fleisch“, tägliche Seelenspeise, werden konnte. Er hat die kreative Methode schlechthin erfunden, dass man ihm beim Schreiben, Sprechen, Denken und Wortbilder finden, staunend zuschauen konnte. Er hat viel riskiert und alles gewagt beim Denken und Reden und Urteilen. Seine Irrtümer nahmen diesem Willen zur absoluten existentiellen Redlichkeit nichts, sie erhöhten nur den Preis für solche Art von Existenz.

Nach dem Reichstag für vogelfrei erklärt

Diese Freiheit lebte nur in seinem Kopf und weil er sie sich nahm. Persönlich war er nie frei. Ihm gehörte keines der modernen Menschenrechte. Er war exkommuniziert und damit von der Ausübung seiner Glaubensfreiheit ausgeschlossen. Er war nach dem Reichstag zu Worms für vogelfrei erklärt, also bis zu seinem Tod seiner Staats-und Bürgerrechte beraubt und der willkürlichen Gewalt von jedermann preisgegeben.

Eigentumsrechte, die man ihm hätte nehmen können, besaß er von vornherein nicht. Seine Bewegungsfreiheit beschränkte sich von da an bis ans Ende seiner Tage auf das Territorium seines Landesfürsten, das sich in wenigen Tagen leicht durchwandern ließ. Als er auf der Wartburg festgehalten wurde, war er als „Junker Jörg“ seiner Identität und seines Namens beraubt und versammeln konnte er sich dort auch nur mit seinen Gespenstern, seinen Tag- und Nachtträumen und mit seinem Teufel, der ihn sein Leben lang verfolgte.

Was fangen wir heute mit so einem Menschen an, der mit seiner einen Hälfte – mit seinen Angstneurosen, Leidenschaften und seiner inbrünstigen, mystischen Sehnsucht nach Gottesnähe, Gerechtigkeit, Erlösung – noch ganz und gar ins Mittelalter gehörte, mit seiner anderen aber moderner, freier, radikaler, individueller lebte als alle unsere heutigen Freiheitsikonen?

Man kann nicht gerade behaupten, dass die Kirche, die er geschaffen hat (hatte er je diese Absicht? Da sind große Zweifel erlaubt) fortan ein Hort der Freiheit und der freien Geister geworden ist. Sie legte sich nach dem Augsburger Religionsfrieden freiwillig und dankbar in den Schatten ihrer jeweiligen Landesfürsten und begann damit ein Bündnis von Thron und Altar, das selbst zunehmend unfreie Züge annahm.

Die Unfähigkeit zum Frieden

Für die Christenheit und den europäischen Kontinent hatte die Euphorie der großen Glaubensfreiheiten schon gegen 1525 geendet, nach kaum sieben köstlichen Jahren. Dann kam das neue Arrangement zwischen den weltlichen und kirchlichen Mächten und die Zeit eines militanten Konfessionalismus, der mehr zur Intoleranz als zu einer neuen europäischen Ordnung führte.

Der große dreißigjährige Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts brachte schließlich eine Verwüstung und allseitige Verrohung, deren Brutalität fast die Hälfte aller Einwohner zum Opfer fiel. Die heutige Eskalation der Machtkämpfe und der großen Glaubenskriege im arabischen Raum haben also ihre Vorbilder.

Das „christliche Abendland“ ist kleinmütig geworden, narzisstisch, rechthaberisch und selbstgenügsam. Die Frage nach Gott und einer möglichen Gerechtigkeit für alle fesselt nur noch wenige. Moral und Ethik haben sich säkularisiert und dienen mehr zur Moralkeule gegen wöchentlich wechselnde Bösewichter und Sündenböcke als zur selbstkritischen Überprüfung der eigenen Haltung zur Welt.

Alarmierend ist die Unfähigkeit zum Frieden – und das sowohl in äußeren wie in inneren, ja sogar in innerkirchlichen Angelegenheiten.

Reformationsjubiläum als letzte Chance

„Ich bin hindurch! Ich bin hindurch!“ jubelte Martin Luther, als er in Worms der Konfrontation mit dem Kaiser standgehalten hatte. Die Kirchen, die diesem Schockerlebnis folgten, sind längst noch nicht „hindurch“.

Wo ist das ökumenische Feuer eines Philip Potter, des ersten farbigen Generalsekretärs des Weltkirchenrates, geblieben? Wo eine heutige Theologie der Befreiung aus alten Fesseln? Das Jahr 2017, 500 Jahre nach dem Beginn der großen Kirchentrennung, ist vermutlich das letzte symbolträchtige Datum zur Überwindung der gewaltgetränkten Spaltungsgeschichte der Christenheit.

Man kann diese Chance nur verpassen, wenn man schon mutlos akzeptiert hat, dass es mit der weltgeschichtlichen Rolle einer Christenheit, in deren Zentrum die Bergpredigt steht, sowieso schon vorbei ist.

Realistisch gesehen werden die Kirchenleitungen aller Schattierungen, die Theologen und Kirchenordnungshüter, alle nicht rechtzeitig „hindurchkommen“ durch ihre Bedenken, Regeln und theologischen Differenzen.

Kirchen stehen in der Pflicht

Das Neue kann nur von den Gemeinden kommen, die endlich selbstbewusst die magische Trennungslinie überschreiten, indem sie die notwendige Gemeinsamkeit einfach leben, sich praktisch gegenseitig akzeptieren und anerkennen in ihren Sakramenten, Traditionen und Ritualen. Neben der Taufe ist die gegenseitige offene Einladung zum gemeinsamen Abendmahl dabei unverzichtbar – und zwar ohne konfessionelle Einschränkungen.

Der jetzige Papst, Franziskus, wartet offenbar längst auf solche Schritte aus den Basisgemeinden, auf die er dann reagieren kann. Wenn von unten nichts kommt, kann auch von oben nichts Gutes kommen. Die Brücke zu einer neuen Praxis des innerkirchlichen Friedens- und Einheitsangebotes ist leicht zu finden.

Sola scriptura - sie steht im Neuen Testament: Jesus feierte sein letztes Abendmahl gemeinsam mit allen seinen Jüngern ( und vermutlich auch Jüngerinnen). Niemand war damals ausgeschlossen, nicht einmal sein Verräter.

Dr. Antje Vollmer ist Theologin und war von 1994 bis 2005 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Im September 2016 erschien ihr neues Buch „Ökumene in Zeiten des Terrors“.



marginale randbemerkung

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wie man 
in einem neuen 
regulatorischen rahmen 
wachstum 
fördern kann

schönen feiertag

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verringert sich 
durch die mangelnde lichteinstrahlung
der glücksbotenstoff serotonin 
dies schlägt sich 
auf die stimmung nieder

warum lachen sie, fräulein erna - update

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einen menschen so einfach beiseiteräumen
wie eben das tempo-taschentuch
erst besudeln 
dan zerknüllen
und dann ab in die spülung
auf nimmerwiedersehen
warum lachen sie, fräulein erna

das entsorgen erfolgt
automatisch schritt für schritt
wie ein uhrwerk
ein rädchen greift ins andere
da ist die anklage wegen bummelei
der verstoß gegen die grundordnung
da ist dann der deal:
"ich gehe freiwillig - und ich komme weg
von den eltern ..."
damit ich nicht weinen muss

eine jede bekommt 
was sie verdient hat
bohnerwachsgeruch
desinfektionsmittelgeruch
isopropanol - karbol - cardiazol
"das ist nur ein kleiner pieks"
"und danach hilfst du in der
kartoffelschälküche"
und sei nicht so albern
warum lachen sie, fräulein erna

das hast du jetzt
mit brief und siegel:
sei nimmer fruchtbar
und mehre dich nicht
- und noch das ticket
zum verlegebahnhof:
roter backstein - gelber backstein
bellende schäferhunde
stahlhelme
glänzende lederstiefel
damit ich nicht weinen muss

"hast du deine gelbe suppe
auch aufgesaugt"
"ich drück dir sonst den rest noch rein
ich versprechs dir":
"für führer - volk und vaterland"
und dann ab in die spülung
auf nimmerwiedersehen
warum lachen sie, fräulein erna

wir haben von nichts gewusst
das wussten wir nicht
wir haben an ihrer welken leichenhaut
keinen einstich feststellen können
sie war ja nur noch haut & knochen
es ist doch alles - mit rechten 
mit rechten dingen zugegangen:
der wald steht schwarz und schweiget
und aus den wiesen steiget's
damit ich nicht weinen muss

es war aber auch kalt
ja - es war bitterkalt
im reichsbahn-packwaggon ...
auf nimmerwiedersehen
aber wir hören noch voneinander
was - warum lachen sie, fräulein erna ...
damit ich nicht weinen muss!


marginale randbemerkung: aufbaumen

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aufbaumen: 
das setzen oder sich niederlassen 
von wild 
auf einen erhöhten platz 

Bs. Bss. Bsssss: Papa, was ist ein Star?

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S!|graphic nach Gregory Kurpiel/EyeEm/Getty Images






Bernd Ulrich | DIE ZEIT

Die Wahrheit auf sechs Beinen

Das Insektensterben ist eine Umweltkatastrophe. Doch die Politik verschließt die Augen, weil sie den Sinn fürs Radikale verloren hat: Breiter Konsens und mittlere Vernunft sind ihr wichtiger als das ökologisch Unausweichliche. Und was machen die Grünen?

Bsssss. Bss. Bs. Tief drin wusste man es schon seit Jahren. Die Wahrheit der Windschutzscheiben im Sommer verriet es: Die Insekten sterben. Und die unangetastet im Wind baumelnden Meisenringe ergänzten zur Winterzeit: Nun also auch die Vögel.

Doch seit einer Woche ist es gewissermaßen amtlich. Die Wissenschaft bestätigt, was alle ahnten: 76 Prozent weniger Insekten als 1989 leben an den Messorten der Insektenzählung – und die befinden sich in Naturschutzgebieten. Kaum auszudenken, wie es in den geschundenen Teilen Deutschlands aussieht. Jeder weiß auch, was das bedeutet, dafür haben die Menschen immerhin noch genug Erfahrung mit Natur, mit Garten und Landwirtschaft gesammelt oder zumindest ein bisschen was im Biologie-Unterricht gelernt: Vor aller Augen vollzieht sich hierzulande eine ökologische Katastrophe.

Es wird zurzeit ja wieder gern über Heimat geredet, reden wir also drüber: Wenn dieser Wahnsinn so weitergeht, dann werden wir das heimische Ökosystem in wenigen Jahren nicht mehr wiedererkennen. Und das schöne Volkslied Alle Vögel sind schon da wird mehr und mehr zur Elegie. »Amsel, Drossel, Fink und Star ...« – Papa, was ist ein Star?

Das Unheimliche ist in Wahrheit ja nie das Tier, nicht einmal das sterbende, das Unheimliche ist immer der Mensch. Auch jetzt wieder. Nicht das Verstummen der Insekten, sondern das Schweigen der Menschen muss einen erschrecken. Denn was ist passiert, seit die Botschaft von den 76 Prozent in der Welt ist? Ein kurzes Zittern der Öffentlichkeit, wenige wispernde Stimmen aus der Politik – das war’s.

Vor sechseinhalb Jahren hat die Havarie eines japanischen Atomkraftwerks in Deutschland eine Energiewende ausgelöst. Heute zieht der Insektozid mitten unter uns keineswegs eine Agrarwende nach sich oder ein Ende der Flächenversiegelung, sondern so ungefähr: gar nichts. Die gerade entstehende Jamaika-Koalition beschäftigt sich mit Steuerfragen, mit Glasfaserkabeln und all diesen zweifellos wichtigen Dingen. Die neue Opposition beschäftigt sich mit sich selbst, was auch immer ein spannendes Thema ist. Doch eine Dringlichkeitssitzung zur galoppierenden deutschen Ökokatastrophe findet nicht statt.

Das alles wirft Fragen auf, weniger zum Gesundheitszustand der Natur als zum Gesundheitszustand von Politik und Öffentlichkeit. Sind die überhaupt noch in der Lage, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden? Ist die Politik für fernsehuntaugliche Katastrophen noch empfänglich? Kann etwas ins Zentrum der Aufmerksamkeit vordringen, das nicht explodiert oder havariert oder schreit oder weint oder vermittels zweier Jahrzehnte unaufhörlich tagender internationaler Konferenzen in die Köpfe gehämmert wurde, wie das beim Klimawandel immerhin der Fall ist?

Warum also versagt die Politik vor dem Phänomen des verstummenden Frühlings?

Tatsächlich enthüllt das Insektensterben ein dramatisches Demokratieproblem, insbesondere ein deutsches. Denn dieses Land hat sich aus sehr guten historischen Gründen angewöhnt, bestimmte Tonlagen in der Politik systematisch zu marginalisieren, um nicht zu sagen, unschädlich zu machen: Alles, was zu laut ist, zu extrem, zu radikal oder zu groß, alles, was sich nach Missionarismus anhört, nach Chiliasmus oder nach Volkserziehung, wird für eine Weile als unterhaltsam akzeptiert, aber sofort niedergemacht und ausgegrenzt, wenn es Ernst, also echte Politik zu werden droht. Nichts gilt in Deutschland so eisern wie das Gebot der mittleren Vernunft. (Und nie galt es so sehr wie in der Ära Merkel.) Und was soll man sagen?! – Bislang hat diese Demokratie mit ihrem Immunsystem gegen alles Ideologische ziemlich gut funktioniert.

Was aber, wenn die mittlere Vernunft einen extremen Wahnsinn verhüllt? Wenn das Schlimme nicht schrill ist? Das ist offenkundig zurzeit der Fall, jedenfalls wenn es um die Ökologie geht. Der Insektozid ist unter anderem die Folge ganz gewöhnlichen Essverhaltens. So viel Fleisch, wie die Deutschen pro Jahr konsumieren, ist eben nur industriell herzustellen, mit Gülleflut, Massenproduktion von Futter und den entsprechenden Folgen für die Sechsbeinigen unter uns. Die sich gerade vollziehende Ökokatastrophe ist zudem die Nebenwirkung »vernünftiger«, ganz gewiss in sachlichem Ton erzielter Kompromisse zwischen den Interessen der Natur und denen der Agrarindustrie. Niemandes Adern sind da geschwollen, keiner hat da geschrien, nicht der Prozess war radikal – nur das Ergebnis.

Es kommt aber noch schlimmer. Denn die Demokratie der mittleren Vernunft ist nicht nur blind für die oft extremen Folgen ihres eigenen so gemessen erscheinenden Tuns, sie bestraft zugleich reflexhaft jene, die proportional auf die realen ökologischen Gefahren hinweisen oder versuchen, ihnen entgegenzuwirken. Darum nennt man solche Menschen auch Ökofundamentalisten. Diese Veganer und Baum-Umarmer, diese Vogelliebhaber und Müslifresser, diese Tierschützer und militanten Radfahrer – ja, das sind auch seltsame Leute, sie mobilisieren in sich oft viel Selbstgerechtigkeit, generieren moralische Überlegenheit, erlauben sich Wut und Arroganz. Wie das bei Avantgarden und sonstigen Minderheiten halt so ist. Sie verhalten sich gesellschaftlich unerwünscht oder jedenfalls verdächtig, sie tun aber – auf der anderen Seite – zumeist auch etwas, das, gemessen an den ökologischen Erfordernissen, weit rationaler ist als das Verhalten der in ihrer eigenen Scheinvernunft ersaufenden Mehrheit.

Was also, wenn das Gefährliche und Extreme diesmal nicht an der schrillen Tonlage zu erkennen ist? Womit man bei den Grünen wäre, die 35 Jahre nach ihrer Gründung für diesen Widerspruch zwischen Tonalität und Realität eine klare Antwort gefunden haben: Die Partei, die sich am intensivsten und am detailliertesten mit dem ganz normalen ökologischen Irrsinn unserer Lebensweise beschäftigt, ist heute am meisten darum bemüht, sich bei keinerlei Missionarsarbeit, Hysterie oder Kassandraruferei erwischen zu lassen. Die Grünen sind die Vernünftigsten von allen.

Ganz von allein kam das freilich nicht, denn bei der Erziehung der Grünen durch die Öffentlichkeit war durchaus schwarze Pädagogik im Spiel. Als beispielsweise die Grünen im Jahre 1998 vorschlugen, den Benzinpreis schrittweise auf fünf D-Mark zu erhöhen, um die unsichtbaren Folgekosten des Verkehrs für Mensch und Umwelt im Preis abzubilden, da ging ein Sturm der Entrüstung los, der die Partei um ein Haar an der Fünfprozenthürde hätte scheitern lassen. Und als im vorvergangenen Wahlkampf Renate Künast einen Veggie-Day ins Spiel brachte, wurde sofort der Artikel 20 des Grundgesetzes aktiviert, um der grünen Erziehungsdiktatur entgegenzuwirken. Nun, der Vorschlag mit dem Veggie-Day zielte darauf ab, den für Mensch, Vogel und Insekt höchst ungesunden Fleischkonsum von sechzig Kilo pro Kopf und Jahr ein wenig abzusenken. Die damalige wütende Kampagne gegen den Veggie-Day hat die bevorstehende grüne Ökodiktatur zwar verhindert, allerdings liegt der Fleischkonsum auch heute noch bei denselben sechzig Kilo pro Kopf und Jahr. Nur der Export von Schweinefleisch hat sich noch gesteigert.

Womit wir wieder bei den Insekten sind.

Und bei Winfried Kretschmann. Keiner verkörpert den Widerspruch zwischen vernünftiger Ökologiepolitik und dem eisernen Gebot der mittleren Vernunft besser und tragischer als er. Kretschmann ist ein geläuterter Kommunist, weswegen er aus tiefster Seele alles Missionarische ablehnt und ebenso die heimliche linke Skepsis gegen die Mehrheit. Zugleich ist er auch ein echter Ökologe, ihm ist nicht erst letzte Woche aufgefallen, dass mit den Insekten etwas gewaltig schiefläuft. Wütend wird er aber (öffentlich) nicht etwa gegen die Autoindustrie oder gegen die Agrarlobby – wütend wird er gegen Ökoradikale in der eigenen Partei. Diese Wut ist, soweit wir sehen, kein Ausdruck von Arroganz oder Eitelkeit. Was ihn zerreißt, ist einfach der Widerstreit zwischen Demokratie und Ökologie.

Nun haben sich die Grünen derart zähmen lassen, dass sie nie wieder so radikal klingen wollen, wie es die ökologischen Probleme erfordern. Mit dieser Domestizierung der Partei hat sich die Gesellschaft eines wichtigen ökologischen Sensoriums beraubt. Denn sollten die Grünen nun einmal die Stimme erheben und so Großes fordern und solche Ungeduld zeigen, wie es die Sache selbst nötig macht, dann riefe die Mehrheitsgesellschaft mitsamt ihren Medien gleich: Moralismus, Hysterie, Erziehungsdiktatur ... – und schon kann es weitergehen wie immer: Wo waren wir stehen geblieben? Ach so, ja, kalte Progression, da muss dringend was passieren.

Und die Insekten? Das muss alles erst mal in einer Langzeitstudie ganz genau untersucht werden. Hier liegt schon das nächste Demokratieproblem: Denn das Tempo der ökologischen Zerstörung, die Dringlichkeit von Gegenmaßnahmen nimmt beständig zu, weswegen es nun oft leider zu spät ist für die Langzeitstudien. Die Sache mit den Insekten wird erst dann bis ins kleinste Detail geklärt sein, wenn es möglicherweise (fast) keine Insekten mehr gibt. Ökologische Politik muss darum immer mehr zu einer Art Generalprophylaxe auf empirisch wackliger Grundlage greifen. Auch das wirkt irrational oder zumindest ineffektiv, verstößt also gegen die Intuition der mittleren Vernunft. Obwohl es ja gerade diese mittlere Vernunft war, die einen solchen Zeitdruck erst entstehen ließ. Im Übrigen – ist es nicht der Normalfall des Politischen, Entscheidungen auf dürrer Datenlage im Ungefähren zu treffen?

Schließlich, die Sache mit der Größe. In den USA, auch in Frankreich hat die Politik keinerlei Scheu vor großen Worten oder großen Taten. Im Zweifel wird man dort kleine Reformen in große Worte hüllen. Bei uns, in der Republik Angela Merkels, ist es genau umgekehrt. Selbst historische Taten werden von kargen Worten begleitet. Nur, wenn eben große Taten vonnöten sind, um schlimme Folgen zu verhindern – wie kann dann in einer vom Sound dieser Kanzlerin geprägten Öffentlichkeit und einem vom Föderalismus geprägten System darüber angemessen gesprochen werden?

Unglücklicherweise zeigen sich die demokratischen Dilemmata der mittleren Vernunft, der kleinen Schritte, des maßvollen Kompromisses heute nicht nur bei der Ökologie. Auch das globale Bevölkerungswachstum, die Exponentialitätsmaschine Internet, der Klimawandel natürlich, die explodierenden Ansprüche der Menschen aus den früheren Demutszonen der Erde – alles führt in dasselbe Problem: dass nämlich sehr oft nur noch das Radikale das Realistische, nur das Rasche besonnen und nur das Riesige groß genug ist.

Zurzeit gibt es in Deutschland eine einzige Partei, deren Radikalität proportional zur Realität ist – und das ist die AfD. Das macht einen erheblichen Teil ihres Erfolgs aus. Leider haben die Lösungen der AfD wiederum sehr wenig mit der Realität zu tun, sie würden im Zweifel alles schlimmer machen. Auch das mit den guten deutschen Insekten.

Zum Schluss die gute Nachricht: Vieles, was getan werden müsste, ist gar nicht so radikal, es kommt uns nur so vor, weil wir im Nebel der Verwöhntheit und der Vernünftigkeiten einhertrotten. Halb so viel Fleisch, beispielsweise ist gar nicht radikal, sondern gesund (Extrem sind sechzig Kilo Fleisch, nicht dreißig – fragen Sie Ihren Hausarzt.) Auch was Jamaika zu tun hätte, um das Insektensterben zu bremsen, ist eher schlicht: Die neue Koalition müsste sich dafür einsetzen, dass die Agrarsubventionen der EU künftig an strengere Umweltauflagen gebunden werden. Da geht es um 55 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre. Außerdem müssten die sogenannten Neonicotinoide verboten werden, das sind Insektizide, die Bienen und andere Insekten orientierungslos machen und damit töten. Und natürlich muss das Glyphosat weg, ein Pestizid, das die ökologische Vielfalt im Boden schädigt und im Verdacht steht, Krebs zu erregen. Gewiss, davon würde das Fleisch teurer – aber das Obst bliebe erschwinglich.

Bs. Bss. Bsssss.

Mitarbeit: Petra Pinzler

aus: DIE ZEIT 44/2017 - S.3

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ähhh - was juckt denn die politik die gemeine stechmücke ??? ... - es gibt ja auch keine insekten-lobby - da kann man nämlich nix mit verdienen ... und beim glyphosat, da rudert man hin und her, wohl weil die chemische industrie da ordentlich einsackt und der landmann kein "unkraut" jäten muss ... - und da wird auch immer gleich von der "krebsgefahr" bei glyphosat geschrieben und den dazu fehlenden "langzeitstudien" - aber schon vor jahren sagten die kenner, glyphosat töte nicht nur das unkraut ab, sondern sorge auch für eine "sterile" krume - also ohne jede bodeninsekten - und bedeutet dadurch einen immensen einfgriff in das ökosystem ... - 

die chemische keule, die unsere insekten dahingerafft hat, ist ein konglomerat aus monokulturanbau, glyphosat-spritzerei, überdüngung und den vielen tödlichen insekten-sprays in haushalt, garten und handel usw. - und mit vereinten kräften mussten wir die ja mal endlich schaffen ... 

und nach diesen jamaika-koalitionsverhandlungen will cem özdemir als erster eine elektro-kutsche als ministerablen dienstwagen fahren - da kann man sich ja nicht noch um solche lappalien wie insekten kümmern...

aber: der olle einstein war ja wahrlich kein dummer - der hat schon gesagt: "wenn die biene von der erde verschwindet, dann hat der mensch nur noch vier jahre zu leben“. 

und mit dem nächsten reformationsjubiläum hat es sich dann wohl erledigt - zumindest ist es sicherlich maikäferfrei ... - S!

die immerwährende reformation: jacobus arminius und die remonstranten ...

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Reformation am Rande

Göttlicher Plan – menschlicher Wille

Humanistisch-christlich: Jacobus Arminius (1559-1609) widersprach der calvinistischen Vorsehungslehre

Von Christian Modehn

Die Reformation hat sich in den Niederlanden nur zögerlich durchgesetzt. Aber schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam es unter den Calvinisten zu Spaltungen und Verfolgungen. Es ging dabei, modern formuliert, um die Gültigkeit eines humanistisch geprägten Glaubens in einer sich dogmatisch verhärtenden calvinistischen Kirche.

Es waren vor allem Flüchtlinge, die zuerst den reformierten Glauben im Sinne Calvins in den Niederlanden verbreiteten. Die erste Synode fand 1574 statt, dabei formulierten sie auch ihr Glaubensbekenntnis mit der zentralen Lehre Calvins über die Prädestination (Vorherbestimmung): Gott hat in aller Ewigkeit verfügt, welcher Mensch erlöst und welcher verdammt ist. Aber nur Gott weiß, so Calvin, wer gerettet wird und wer nicht. »Die Theologen nach Calvin legten aber immer mehr Nachdruck auf die Verdammung bestimmter Menschen«, schreibt der Theologe Marius van Leeuwen. So entstand »ein strenges, Angst machendes Glaubenssystem«.


S!|graphic nach David Bailly (1620), Jacobus Arminius

Dem widersprach entschieden der holländische Theologe Jacobus Arminius: 1559 in der Provinz Utrecht geboren, studierte er unter anderem in Genf bei Calvins Nachfolger Theodor de Bèze. Danach wurde er in Amsterdam Pfarrer und 1603 Theologieprofessor in Leiden. Humanistisch geprägt, konnte er die pessimistische Lehre seiner Kirche nicht unterstützen: Sie gestehe dem Menschen keine Freiheit zu, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Wenn Gott alles vorherbestimme, herrsche Defätismus und vielleicht sogar Unmoral, weil letztlich alles gute Handeln wertlos sei.

Die Remonstranten
blieben eine kleine Kirche.
Als ›Freisinnige‹ deuten sie die Bibel.

Das Plädoyer von Arminius für die menschliche Freiheit fand schärfsten Widerstand. Leider konnte Arminius seine Theologie nicht umfassend darstellen, er starb schon 1609. Aber sein großer Freundeskreis verteidigte diesen von humanistischem Geist geprägten Glauben. 44 Theologen verfassten 1610 ihre grundlegende Schrift »Einspruch«, »Remonstratie«: Sie erzeugte so viele leidenschaftliche Debatten, dass ihre Anhänger Remonstranten genannt wurden. Die orthodoxen Calvinisten definierten sich als »Contra-Remonstranten«. Die Synode in Dordrecht 1618 sollte mehr Klarheit bringen, aber es kam zu keiner Versöhnung: Die Minderheit der Remonstranten musste Holland verlassen, unter anderem flohen viele auch nach Friedrichstadt bei Schleswig. Der Politiker Johan van Oldenbarneveld, der noch für Toleranz kämpfte, wurde 1619 enthauptet; der berühmte Rechtsphilosoph und Remonstrant Hugo Grotius wurde verhaftet, konnte aber nach drei Jahren fliehen. Erst zehn Jahre später beruhigte sich die Lage, und die »Ketzer«, die Remonstranten, konnten wenigstens ihre kleinen Kirchen aufbauen, meist versteckt hinter normalen Hausfassaden. Doch ihre Wirkungsgeschichte ist beachtlich: Seit dieser Zeit sind die Niederlande religiös pluralistisch und tolerant, es gab ja immer viele Katholiken im Süden des Landes. »Toleranz ist eine Forderung der Intelligenz und Einsicht. Wer intolerant ist, der ist unwissend«, sagt der remonstrantische Theologe Johan Goud.

Die Remonstranten sind in den Niederlanden immer eine zahlenmäßig kleine Kirche geblieben, haben aber ihr eigenes Profil weiter gepflegt: Als »Freisinnige« deuten sie die Bibel als ein Zeugnis von Menschen auf der Suche nach Gott. Sie halten Fragen und Disputieren für entscheidend, schätzen den individuellen Glauben des Einzelnen über alles. Auch das 2006 neu geschriebene Glaubensbekenntnis versteht sich nur als ein Vorschlag. Im Geist der Menschenrechte waren die Remonstranten die erste Kirche, die Homosexualität als eine normale Variante der Sexualität verstanden und deswegen seit 1988 homosexuelle Partnerschaften und Ehen in ihren Kirche segnen. Im Geist der Offenheit ist selbstverständlich jeder, gleich welchen Glaubens, eingeladen, am Abendmahl teilzunehmen. Aufgrund ihrer Theologie sind Remonstranten gefragte Gesprächspartner für Agnostiker, Atheisten und unreligiöse Humanisten. Aufs Ganze gesehen, sind die Remonstranten eine stark rational und vom philosophischen Disput geprägte Kirche. Weil aber Frömmigkeit heute zunehmend als starke Emotion gewünscht wird, sind ihre vierzig Gemeinden (mit insgesamt 6000 Mitgliedern und Freunden) eher überschaubare Orte für intellektuell Interessierte.


aus: Publik-Forum Nr. 7/2016 - S.36


besonders auch in den usa ist viel von fundamentalistischen, evangelikalen und liberalen protestanten die rede - trump hat im weißen haus wöchentliche andachten installiert, die von einem wohl als fundamentalistisch zu bezeichnenden freiberuflichen religionslehrer abgehalten werden, der die todesstrafe befürwortet und vehement gegen die ehe für alle eintritt.

diese strömungen haben sich hier in europa nach der reformation ebenfalls in etwas schwächeren erscheinungsformen herausgebildet, wobei sich in deutschland zumindest fundamentalistische und evangelikale strömungen am ehesten in den freikirchen manifestieren.

bsonders in den niederlanden haben sich aber vielfältige liberale protestantische kirchenformen ausgebildet - u.a. eben die oben genannten "remonstranten", die besonders den "freiheitsbegriff" betonen, auch gegen alle dogmatischen glaubensfestlegungen - ein durchaus sympathischer zug, der meines erachtens auch gut ins luthertum passen würde ... - S!

Gurlitt's Werke: hin & her - das ist nicht schwer ...

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click here



die verschiedenen stellungnahmen, recherche- und provenienz-ergebnisse, die charakter-bilder, die über vater & sohn gurlitt aufgezeigt werden: wiedersprüchlicher kann eine aufarbeitung unserer vergangenheit nicht sein - diesmal im kunsthandel während und nach der ns-zeit ... - fest steht, der apostrophierte "milliardenschwere" kunstschatz ist es nicht geworden - und über alle tüddelige unschuld des sohnes cornelius liegt auch der hauch des ganz bewussten verschweigens - und was man bewusst verschweigt, muss man ja wenigstens in umrissen ahnen oder sogar wissen ...

"viele köche verderben den brei", heißt ja ein altes sprichwort: und die zuständigkeiten in diesem fall von staatsanwaltschaften, ermittlungsbehörden, bundes- und landes-kultus-ministerien und -ämtern, den medien, experten, provenienz-rechercheuren, profiteuren, jägern und sammlern tun alles, um hier den brei gründlich zu verderben und in die suppe zu spucken.

aber der ganze kunsthandel ist ja ab einer gewissen liga sowieso irgendwie durchseucht von wichtigtuerei, bestechungen, anonymitäten, geheimnisvollem - hauptsache nur - jeder bekommt seinen anteil - und sein fett weg ... -

und übrigens - mein bescheidenes "kunst"schaffen sehen sie ab und zu völlig unentgeltlich und barrierefrei - sogar montags - hier in vereinzelten posts - (ruhig mal durch die letzten posts scrollen) oder auf meiner "gallery"-seite - click here - und wenn sie spaß daran finden, können sie sich etwas aus meinem Œuvre völlig unentgeltlich mit ein-zwei clicks "downloaden" ... - und ich bin sooo schlecht nicht 👀 ... - S!

papa

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Nachgefragt

Wie - Papst Franziskus unterstützen?

Fragen an den Wiener Theologen und Soziologen Paul Michael Zulehner




Publik-Forum: Sie haben gemeinsam mit dem tschechischen Religionsphilosophen Tomas Halik die Aktion »Pro Pope Francis« gestartet, eine Zwei-Priester-Aktion. Warum?




Paul M. Zulehner: Wir wollen mit möglichst vielen Frauen und Männern aus dem Kirchenvolk und darüber hinaus Papst Franziskus nachhaltig unterstützen. Das tun wir öffentlich, mit unseren Namen und Unterschriften. Denn wir wollen angesichts der öffentlichen Anfragen seiner Kritiker dem Papst gerade wegen seiner Vertiefung ins Evangelium und der daraus erwachsenden Menschenfreundlichkeit den Rücken stärken. Viele Leute, die schweigende Mehrheit in der katholischen Kirche und weit darüber hinaus, finden Papst Franziskus wirklich gut. Doch das medial inszenierte Bild wird vielfach geprägt von seinen lautstarken Gegnern. Das Ringen mit diesen fokussiert sich vor allem auf das nachsynodale Schreiben »Amoris Laetitia«, die Freude der Liebe. Dort öffnet der Papst für Einzelfälle eine Pforte, dass wiederverheiratete Geschiedene Katholiken, welche in auswegloser Lage von Schuld und Tragik den Weg des Evangeliums einschlagen, zur Kommunion gehen dürfen.

Warum machen Sie Ihre Aktion jetzt?

Zulehner: Es ist an der Zeit. Die innerkirchliche Lage sieht verfahren aus. Manche Papstgegner verdächtigen Franziskus des Irrglaubens. In dieser Situation geben wir nun durch den unaufgeregten und hoffnungsstarken offenen Brief (www.pro-pope-francis.com) der schweigenden Mehrheit in der Mitte der Kirche die Möglichkeit, für Franziskus ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Es gab schon in den letzten Jahren regionale Versuche, Unterstützung für Papst Franziskus zu mobilisieren. Diese Versuche kamen von Katholiken beispielsweise in Lateinamerika, Katalonien oder aus Österreich. Sie blieben freilich in ihrer Wirkmächtigkeit lokal. Deshalb kommt nun unsere breit angelegte Initiative. Das kann zudem das noble Schweigen mancher Bischofskonferenzen abmildern.

Meinen Sie, der Papst hat solche Unterstützung nötig?

Zulehner: Der Erste, der mir diesen Satz sagte, war dieser Tage der Abt von Pannonhalma in Ungarn, Bischof Imre Asztrik Varszegi, der unsere Aktion unterstützt. Doch er sagte diesen Satz nicht im Frageton, sondern im Ton des Bedauerns. – Der Vatikanjournalist Marco Politi beklagte in der letzten Zeit wiederholt, dass der Papst nur wenig Unterstützung erhalte. Zudem will der Papst die Weltkirche nicht nur strukturell weiterentwickeln, sondern er geht, in klarer Jesusnachfolge, an die Ränder der Gesellschaft. Eine permanente Selbstbeschäftigung der Kirche hält er für eine Krankheit. Unsere Aktion Pro Pope Francis signalisiert ihm, dass ihn viele auf diesem Weg begleiten wollen, dem Weg zu den Armgemachten, dem Weg für mehr Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung. Wir zeigen dem Papst, wie viel Sympathie er in allen Teilen der Kirche genießt. Wir teilen seinen Traum von einer »Kirche als Mutter und Hirtin«.

Wie erfolgreich ist Ihre Aktion?

Zulehner: Am 17. Oktober sind wir gestartet. Nach einer Woche hatten wir bereits mehr als 23 000 Unterstützer. Darunter herausragende Denker wie Charles Taylor und spirituelle Lehrer wie Anselm Grün oder David Steindl-Rast. Sehr viele Unterstützende stammen aus Osteuropa. Uns ist unser Auftritt auf Tschechisch, Ungarisch, Slowakisch und Kroatisch wichtig, denn gerade in den Kirchen Osteuropas gibt es Kritik am Papst, vor allem wegen seines Eintretens für die Flüchtlinge. Daher freut es uns, dass gerade von dort wichtige Persönlichkeiten den offenen Brief unterzeichneten, wie Weihbischof Vaclav Maly von Prag und zahlreiche Politiker.


Interview: Thomas Seiterich

  • Paul Michael Zulehner, geboren 1939, ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie in Wien. Die Aktion unterzeichnen: pro-pope-francis.com


Publik-Forum 20|2017 - S.9


es ist - leider gottes - doch überall das gleiche - auch vor dem vatikan und der ehrbaren katholischen kirche macht der weltweit populäre länderübergreifende rechtsruck nicht halt. 

wer sich vehement für flüchtlinge einsetzt (die erste "auslands"reise damals nach der amtseinführung führt den neuen papst nach lampedusa, wo er die toten opfer im mittelmeer ehrt und für sie betet), und gemeinsam mit israels staatspräsident schimon peres und den palästinensischen präsidenten mahmud abbas um den frieden dort in der region betet - und wer zu beginn des reformation-jubiläums im schwedischen lund mit den vertretern des lutherischen weltbundes gemeinsam gottesdienst feiert - um nur einiges herausragende zu nennen - der kommt bei den ultrakonservativen fundamentalisten "aller waffengattungen" - aller couleur - schnell auf die abschussliste - päpstlich "unfehlbare" autorität hin oder her - darüber setzt man sich dann rasch hinweg ...

wer sich aufgerufen fühlt, sollte diesen unseren "papa" unbedingt unterstützen ! - S!

marginale randbemerkung: gottesdienste

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warum finden 
motorradgottesdienste 
aller konfessionen 
immer größeren zuspruch

weimarer skizzen - parallelen

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Die Zeit der Weimarer Republik ist zurück. Tom Tykwers "Babylon Berlin"– die aufwändigste Deutsche TV-Serie aller Zeiten – zeichnet ein Sittenbild der Jahre ab 1929. 

In der Frankfurter Schirn wird das Glanz und Elend der Weimarer Republik in einer großen Ausstellung dargestellt. Woher kommt das Interesse für diese unruhige Zeit? Gibt es Parallelen zwischen damals und heute? 
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