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... und wir können kaum mehr in deckung gehen ...


nicht das kind mit dem bade ausschütten ...

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abgelegte blüten an der gedenkstätte für die opfer der ns-"euthanasie" in berlin

Politikerin fordert Pflichtbesuch in KZ-Gedenkstätte

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli fordert, einen Besuch im Konzentrationslager für Deutsche und Asylbewerber zur Pflicht zu machen. Das sagte die Berliner Staatssekretärin der „Bild am Sonntag”.

„Ich fände es sinnvoll, wenn jeder, der in diesem Land lebt, verpflichtet würde, mindestens einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenk­stätte besucht zu haben”, erklärte Chebli, selbst Tochter palästinensischer Flüchtlinge.

Sawsan Chebli fordert positive deutsche Identität

Im Gegensatz zu ihrer Generation tue sich die dritte Generation muslimischer Einwanderer deutlich schwerer mit der Identifikation mit Deutschland. Es brauche deshalb eine positive Definition deutscher Identität.

Teil dieser Identität soll ihrer Meinung nach die Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen sein. So könne man auch den Antisemitismus bei Migranten wirksam bekämpfen.

Die gläubige Muslimin engagiert sich seit Jahren gegen Antisemitismus. Nach den jüngsten israelfeindlichen Demonstrationen in Berlin hatte Chebli bereits ein größeres muslimisches Engagement gegen Judenfeindlichkeit in Deutschland gefordert. (lan)


stolpersteine als beispiel für gedenk-kultur

also - ich bin 70 jahre alt - ich habe die kz-gedenkstätte bergen-belsen besucht, wo anne frank ermordet wurde - und ich engagiere mich für das gedenken an meine tante erna kronshage (1922-1944), in einem insgesamt "nur" 484 tage andauernden erbarmungslosen leidensweg elendig umgebracht im zuge der ns-"euthanasie"-krankenmorde, nachdem sie ein paar wochen zuvor bereits zwangssterilisiert wurde ... 

meine intention ist es: den stummen ns-opfern durch recherche endlich eine sprache zu geben - und davon zu berichten.

ich habe also wohl als alter 68-er die von sawsan chebli für alle hier lebenden menschen eingeforderte auseinandersetzung mit den opfern des holocaust aktiv erfüllt. aber ich frage mich angesichts dieser forderung von frau chebli, ob ich mich jetzt irgendwie zufriedener, stolzer, besser, deutscher fühle, ob ich mich deshalb mehr mit deutschland identifiziere ...

die verbrechen des nazi-regimes waren verbrechen gegen die allgemeine menschlichkeit - denen auch menschen vieler hautfarben und nationalitäten zum opfer fielen. trotz aller blut-und-boden-mentalität damals sollte man heute die "nationalen" aspekte dazu ("alle in deutschland lebenden menschen"... - "identifikation mit deutschland" usw.) zurückstellen ...: alle europäer, alle menschen aus dem arabischen raum, asiaten, afrikaner: allewelt sollte, wenn sie wollen, kz-gedenkstätten besuchen ...  

eine "verpflichtung" von außen für solche besuche halte ich für unsinnig. jeder mensch in deutschland muss in der schule davon hören, zeitzeugen oder angehörige oder experten zu veranstaltungen dazu eingeladen werden, die eigene familiengeschichte in der ns-zeit kann man aufarbeiten (ur-großeltern, großeltern, tante und onkel: was haben die von 1933-1945 gemacht ???) - aber alles möglichst "aus freien stücken" - aus ein-sicht und überzeugung und neugier.

eine verordnete trauer, eine verordnetes staatlich gelenktes pflichtgedenken führt sicherlich auch zum gegenteil - zum oberflächlichen "pflicht-besuch" - zum gedankenlosen "absolvieren", damit man vielleicht dann den notwendigen überprüfungsstempel im ausweis erhält - so wie wir früher vor dem konfirmandenunterricht per stempelkarte an gottesdiensten teilnehmen "mussten" - und ohne sinn und verstand texte auswendig lernten: es hat uns nicht geschadet - ich kann sie heute noch herbrabbeln - aber das hat uns auch nicht automatisch auf den "rechten lebensweg" und zum glauben geführt. 

ich finde auch - eine solche verpflichtung - eine art zwangsbetrauerung und zwangsgedenken - kratzt an diese für mich jedenfalls nicht nachvollziehbare "kunstaktion" neulich, dem unsäglichen herrn höcke ein paar betonstelen á la holocaust-stelenfeld in berlin in nachbars garten zu setzen: das ist vielleicht ein "gut gemeinter" gag - ist aber in wirklichkeit kontraproduktiv ...

da wird mit echten betroffenheitsgefühlen und betroffenheitssymbolen ein etwas zu billiger klamauk betrieben - aber das ist ja auch der alte streit: was darf kunst und satire  und karikatur und cartoon - und ab wann kippt die ganze aktion - und die an sich gute absicht "verbrennt" in peinlichkeit ...

ein regelmäßiger eventuell noch saisonaler gedenk-"tourismus" ("wir machen klassenfahrt") etwa nach polen - mit fete oder abend-schlürschluck in gemütlicher runde - oder in berlin mit dem rausch ausschlafen auf den betonstelen des holocaust-gedenkfeldes, weil man vielleicht die nacht vorher durchgetanzt hat in der disco - so etwas hat für mich auch etwas von blasphemie - und doch: jeder muss nach seiner facon selig werden dürfen, er darf dabei nur nicht die gefühle anderer verletzen - 

aber niemand sollte staatlich zwangsbeseelt werden - davor sei das grundgesetz, werte frau chebli - das sollten sie als staatssekretärin beachten ... - auch jedem schüler sollte die freiheit gegeben werden, sich von einem kz-gedenkstätten-besuch abzumelden - trotz "schulveranstaltungs-verpflichtung", um in der zeit begründet etwas anderes sinnvolles, für ihn angemesseneres, zu tun - wir brauchen keine "harten", wir brauchen angemessen sensible junge menschen: jeglicher zwang - und "du musst" - sind eher attribute an die zeit, die mit dem ns-regime einherging ("flink wie windhunde, zäh wie leder, hart wie kruppstahl" ...). 

es ist immer nur ein ganz schmaler grad, für diese ungeheuerlichkeiten in der nazi-zeit die persönlichen und gesellschaftlich akzeptierten angemessenen gefühle und die dazugehörende ethisch vertretbare gedenksymbolik zu entwickeln - das muss auch mit versuch und irrtum wachsen dürfen - aber sie sollten aus dem inneren des menschen aufsteigen - und man muss sie für sich auch wirklich wollen und "pflegen" - alles andere ist vergebliche liebesmüh ... 

und frau chebli sollte mit ihrer durch sie selbst in einem anderen zusammenhang bekanntgewordenen feinfühligen eigen-sensibilität ein gespür für ein dem gedenken an die ns-opfer angemesseneres "bürgerschaftliches engagement" finden - als ausgerechnet einen "pflicht"besuch in kz-gedenkstätten... 

das gedenken an die verbrechen des ns-regimes sind kein einfacher selbstbedienungsladen (etwa: "und dann haben wir auch noch auschwitz 'gemacht'...) und keine rabattmarken für wohlverhalten und wohlergehen in diesem unserem lande -S!


show more - sharing heritage

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show more





Europäisches Kulturerbejahr 2018 soll «Seele Europas erspüren» 


Was macht Europa aus? - Auf diese Frage will das Europäische Kulturerbejahr 2018 eine Antwort geben. «Das Kulturerbe ist das Kernstück der europäischen Art zu leben. Es definiert, wer wir sind, und schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit», sagte Tibor Navracsics, EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport bei der Eröffnung im Dezember in Mailand.

Von Carola Große-Wilde, dpa, KIZ | neue musikzeitung - nmz

Zum Kulturerbe gehörten nicht nur Literatur, Kunst und Gegenstände. «Wir begegnen ihm auch in dem Handwerk, das wir erlernen, den Geschichten, die wir erzählen, dem Essen, das wir genießen und den Filmen, die wir uns ansehen», meinte Navracsics damals.

Das Programm in Deutschland koordiniert das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz im Auftrag von Bund, Ländern und Kommunen. Einen Überblick über die bislang 130 Projekte und Veranstaltungen bietet die Internetplattform www.sharingheritage.de: Es reicht von dem Projekt «The Wall Net», das den Resten der Berliner Mauer in der ganzen Welt nachspürt, über ein multimediales Projekt in Frankfurt, das die Erinnerung an das Vernichtungslager Auschwitz wachhalten will, bis zu dem Fotografieprojekt «Scherben von Prora» auf der Insel Rügen, das an die wechselvolle Geschichte des von den Nationalsozialisten begonnenen Gebäudekomplexes erinnert.

Mit der Ausstellung «Ich habe mich nicht verabschiedet - Frauen im Exil» werden auch aktuelle Flüchtlingserfahrungen thematisiert. Die Fotografin Heike Steinweg porträtierte in Berlin im Exil lebende Frauen - von der Schriftstellerin bis zur politischen Aktivistin. «Eine gemeinsame Willkommenskultur, die sich auf die europäischen Grundwerte stützt, bildet dabei als immaterielles Kulturgut eine Basis für ihre Integration», heißt es auf der Homepage. Auf die gemeinsame europäische Geschichte machen Ausstellungen im Bergbaumuseum Bochum «Das Zeitalter der Kohle» oder in Münster und Osnabrück zum Dreißigjährigen Krieg deutlich.

Das Europäische Kulturerbejahr sei eine Chance, über gemeinsame Wurzeln und Werte «der Seele Europas nachzuspüren», sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bei der Eröffnung des Europäischen Kulturerbejahr am Montag in Hamburg. «Deshalb wollen wir vor allem junge Menschen in Europa dazu bewegen, unsere Geschichte zu ergründen und zu erfahren, was wir Europäer inzwischen geschafft haben: das Gemeinsame über das Trennende zu stellen sowie unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Traditionen und Träumen, Lebensentwürfen und Weltanschauungen eine Heimat zu bieten.» Aus dem Etat der Kulturstaatsministerin werden bundesweit 38 Projekte und Initiativen mit insgesamt 7,2 Millionen Euro unterstützt.

Laut einer neuen Eurobarometer-Umfrage sind 8 von 10 Europäern davon überzeugt, dass das Kulturerbe nicht nur für sie persönlich, sondern auch für ihre Gemeinschaft, ihre Region, ihr Land und die Europäische Union als Ganzes von Bedeutung ist. Eine große Mehrheit ist stolz auf das Kulturerbe, egal aus welchem Land es kommt. Mehr als 7 von 10 der befragten Bürger glauben außerdem, dass das Kulturerbe ihre Lebensqualität verbessern kann. Die Umfrage zeigt ferner, dass nach Ansicht von 9 von 10 Befragten das Kulturerbe in Schulen vermittelt werden sollte. Drei Viertel fordern, dass vor allem die Mitgliedstaaten und die EU mehr Ressourcen für den Schutz des Kulturerbes Europas bereitstellen sollten.

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Monika Grütters eröffnet Europäisches Kulturerbejahr 2018

Zum Auftakt lud die Kulturstaatsministerin in Hamburg dazu ein, "der Seele Europas nachzuspüren". Unter dem Motto "Sharing Heritage" beleuchten 2018 zahlreiche Projekte und Initiativen europäisches Kulturgut.

Gemeinsam wollen sich die EU-Mitgliedstaaten in diesem Jahr auf das verbindende Element europäischer Kultur besinnen. Zur Eröffnung des Europäischen Kulturerbejahres 2018 betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Notwendigkeit, Europa als Wertegemeinschaft zu begreifen. "Nur so weckt die europäische Idee jenen Enthusiasmus, der Europa vor einem Rückfall in Abschottung, Gewalt und Unfreiheit bewahren kann", sagte Grütters in Hamburg.

"Offenheit für Vielfalt ist Ausdruck von Humanität"

Der Kulturstaatsministerin zufolge müssten vor allem junge Menschen in Europa motiviert werden, das Gemeinsame über das Trennende zu stellen. Das gelte den unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Traditionen und Träumen, Lebensentwürfen und Weltanschauungen. "Genau diese Offenheit für Vielfalt ist es, die Europas Wertegemeinschaft im Kern ausmacht: Sie ist Ausdruck von Humanität."

Aus dem Etat der Kulturstaatsministerin werden bundesweit 38 Projekte und Initiativen rund um das Europäische Kulturerbejahr 2018 unterstützt. Dafür stehen 7,2 Millionen Euro zur Verfügung. Deutschland gehört zu den Initiatoren des Europäischen Kulturerbejahres. Das Programm zum Themenjahr in Deutschland koordiniert das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz im Auftrag von Bund, Ländern und Kommunen.

Fünf Leitthemen zum Motto "Sharing Heritage"

Insgesamt werden allein in Deutschland über 1000 Veranstaltungen in Form von Projekttagen, Ausstellungen, Führungen, Workshops, Foren und Performances stattfinden. Das übergeordnete Motto lautet "Sharing Heritage" - "Erbe teilen". Fünf Leitthemen geben die Richtung vor:
  • Europa: Austausch und Bewegung
  • Europa: Grenz- und Bewegungsräume
  • Europa: Erinnern und Aufbruch
  • Europa: Gelebtes Erbe
  • Die Europäische Stadt

Zu den Initiativen gehören beispielsweise ein deutsch-französisches Park- und Gartenprojekt, ein eigens gegründetes europäisches Folk-Ensemble und ein Literaturfestival, das den Geschichtenschatz europäischer Länder erlebbar machen soll. Die Kirchen beteiligen sich mit einem "Glockenprojekt" am Kulturerbejahr, das auf die Tradition des Läutens aufmerksam machen will.

pr/nf (dpa, epd) | Deutsche Welle

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tja - da jammert man allerorten, dass zu wenig geld für die "kultur" da ist. denn wenn es etwas in den budgets zu kürzen gibt, dann bietet sich mit als erstes ja oft das theater an, die musikschule, und die zuschüsse für kulturelle veranstaltungen werden gestrichen und und und ...

aber dann verkündet die €U ein "europäisches kulturerbejahr" für 2018 - ausgestattet mit einem ordentlichen etat - aber dann scheint es - wenigstens für den "welt"-rezensenten der eröffnungsveranstaltung in hamburg mit staatsministerin monika grütters - auch wieder nicht "richtig" - in seinem sinne - rüberzukommen. 

1000 veranstaltungen werden unter diesem label "sharing heritage" in deutschland mit einem zuschuss von 7,2 millionen gefördert - aber der welt-autor meint unter der überschrift:"vielfältig sind wir stark, nicht gemeinsam" ... (!) nur müde lächelnd: "was in hamburg zu hören war, [siehe oben] waren hohl klingende proklamationen. was folgen muss, ist die umsetzung". 

er bekrittelt auch das englische "sharing heritage" als titel in einer europaweiten veranstaltungsreihe und möchte die deutsche sprache hier erhalten wissen - und über einen grafischen gag im logo, wo man die "dachschrägen" der A-versalien (siehe Abb.), die diagonal übereinstehen, mit einem kühnen und kecken strich verbunden hat, mokiert sich der autor als eine für ihn "unverständliche metapher", da so das logo ja überall "durchgestrichen" sei ... - 

sehen sie selbst: das "durchgestrichene" und "undeutsche" logo zum "europäischen (!) kulturerbejahr 2018"


ja - lieber welt-rezensent - - manchen kann man es nie recht machen - da kann ich nur mit irgendetwas schütteln - und wenn es der kopf ist: tempus fugit | zeit vergeht - und nichts ist so beständig wie der wandel ... - 

aber ich muss für die "welt" auch noch ein gutes wort einlegen - hat sie doch für das "kulturerbejahr" auch einen großartigen artikel von placido domingo abgedruckt ... S!

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Salvator Mundi - aus der Werkstatt von Leonardo da Vinci


DAS KULTURERBEJAHR AUS DER SICHT VON 
PLACIDO DOMINGO

Europa – eine große kulturelle Gemeinschaft

Von Plácido Domingo | welt.de

Ohne Kultur wäre das europäische Projekt ein seelenloses Unterfangen, ist Startenor Plácido Domingo überzeugt und beschreibt in diesem Artikel, was „Einheit in der Vielfalt“ für ihn bedeutet.

Deutschland feiert heute den offiziellen Beginn des Europäischen Kulturerbejahres. Dieses Europäische Jahr ist eine wichtige Etappe für Europa, sowohl für seine Bürger als auch für seine Institutionen. Warum? Weil es uns Europäern die Möglichkeit bietet, das wahrhaft europäische Wesen unserer Kultur, die in unserem gemeinsamen Erbe und unserer Geschichte verankert ist, zu entdecken, ja wiederzuentdecken.

Wir müssen dieses gemeinsame kulturelle Erbe als eine stabile Brücke zwischen allen Europäern nutzen, als Ausdruck unserer gemeinsamen Werte. Diese „Einheit in der Vielfalt“ unserer Kultur und Identität ist keine Schwäche, sondern Europas größte Stärke. Aus ihr kann Europa schöpfen, wenn es mehr Nachhaltigkeit, stärkeren Zusammenhalt und mehr soziale Gerechtigkeit schaffen will. Ein Europa, das offen ist für den kreativen Austausch und den Dialog mit anderen Kulturen der Welt.



Europa als Ganzes betrachten

Wenn Sie möchten, erzähle ich Ihnen, was es für mich bedeutet, Europäer zu sein und sich als Europäer zu fühlen. Ich wurde in Spanien geboren, wuchs aber in Mexiko auf und verbrachte die prägenden Jahre überwiegend außerhalb Europas. Dies eröffnete mir einen anderen Blickwinkel. Europa betrachtete ich eher als etwas Ganzes, nicht nur als bloße Ansammlung verschiedener Nationalstaaten.

Für mich war Europa immer eine große kulturelle Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft aus Ländern, Völkern und Kulturen, die viel mehr Gemeinsamkeiten hatten, als ihnen selbst bewusst war. Für mich klingt dieses gemeinsame Erbe wie eine bezaubernde „Variation eines Themas“, das auf der Grundlage vieler verschiedener Kulturen, die sich gegenseitig inspiriert haben, komponiert wurde. Sie sind miteinander verwoben und lassen sich nicht voneinander trennen. Diese „Variationen eines europäischen Themas“ sind das Produkt von Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden von Interaktionen über Zeit und Raum zwischen so vielen Völkern und so vielen Gemeinschaften.

Starke geschichtliche und kulturelle Bande

Unter all unserer bunten Vielfalt schlägt ein warmes europäisches Herz. Heute ist dieses kulturelle Erbe Teil der DNA Europas. Unsere Kultur ist es, die Europa zu Europa macht! Sie erzählt unsere Geschichte, die Geschichte von uns Europäern, mit unseren reichen, vielschichtigen Identitäten: lokal, regional, national und europäisch.

Doch wir dürfen dabei nicht vergessen, dass derart starke Gefühle der Zugehörigkeit zu einer größeren europäischen Gemeinschaft nie von allen Europäern vorbehaltlos geteilt wurden. Deshalb muss es uns ein vordringliches Anliegen sein, die Menschen dafür zu sensibilisieren, welche starken geschichtlichen und kulturellen Bande zwischen den Menschen in Europa und seinen Städten und Ländern bestehen und dass diese Bande die wahre Grundlage für den fortwährenden Prozess der europäischen Integration sind.

Lehren aus der Geschichte ziehen

Tun wir dies nicht, wird es uns nicht gelingen, unsere Gesellschaften gegen unterschiedliche Arten von Populisten und Nationalisten zu verteidigen, die allzu oft und vor allem heute versuchen, Europa in die falsche Richtung zu lenken, geleitet von lokalen und persönlichen Interessen, die sie über eine gemeinsame Vision und ein gemeinsames Ziel stellen.

Wie so viele Europäer wurde ich in eine Diktatur hineingeboren. Das hat mich gelehrt, Freiheit, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Offenheit und Demokratie zu schätzen. Europa sollte der Kontinent sein, der Lehren aus der Geschichte zieht, und nicht der Kontinent, der Fehler wiederholt. Ich glaube fest daran, dass dies möglich ist. Einhundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs steht Europa erneut an einem Scheideweg.

Europa durch die Kultur wiederbeleben

Europa ist so viel mehr als nur eine geografische Einheit, mehr als eine Wirtschaftspartnerschaft oder ein Militärbündnis. Ich bin überzeugt davon, dass es unsere gemeinsame Kultur ist, die uns als Europäer ausmacht. Ohne die Kultur ist das europäische Projekt ein seelenloses Unterfangen. In unserer heutigen fordernden Zeit ist es daher umso wichtiger zu erkennen, dass das europäische Projekt unsere gemeinsame Kultur zu seinem Herzstück machen muss. „Recommençons aussi par la culture“ (Lasst uns die Kultur für einen Neustart nutzen), drängte der französische Präsident Macron in seiner visionären Rede zu Europa, die er im September an einem sehr symbolischen Ort, der Pnyx in Athen, gehalten hat.

Lob gilt der sich anschließenden gemeinsamen Initiative der französischen Kulturministerin Nyssen und der deutschen Kulturstaatsministerin Grütters, auf der Frankfurter Buchmesse 2017 darüber zu diskutieren, wie sich Europa mithilfe der Kultur wiederbeleben ließe. Das Europäische Kulturerbejahr ist die ideale Plattform, um dieses Vorhaben in Gang zu bringen und die Kultur in der aktuellen Debatte über die Zukunft Europas stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

Erinnerung zu zerstören ist ein Verbrechen

Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche, und unser kulturelles Erbe ist unser verlässlicher Anker in einer instabilen und unberechenbaren Welt. Darum müssen wir unser Erbe, das uns von vielen Generationen unserer Vorfahren übereignet wurde, mit angemessenem Respekt und Sorgfalt behandeln. Wir müssen es vor den verschiedensten unkontrollierten und nicht nachhaltigen Entwicklungen schützen, genauso wie vor ernsten Umweltgefahren. Wir müssen dafür sorgen, dass künftige Generationen – ebenso wie wir heute – in den Genuss ihres Rechts auf dieses Erbe kommen.

Wir müssen unsere Stimme auch erheben, wann immer Kulturerbe zum willkürlichen Ziel von Zerstörung in beklagenswerten Konflikten oder Kriegen wird. Angriffe auf die Erinnerung sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und wir müssen die Erinnerung davor bewahren und solche Angriffe vehement verurteilen. Ich glaube, dass das Erbe genauso viel mit unserer Vergangenheit zu tun hat wie mit unserer Zukunft. Europa Nostra verfolgt daher einen ganzheitlichen und zukunftsorientierten Ansatz im Umgang mit unserem materiellen und immateriellen Erbe.

Politisches Momentum in Handeln übertragen

Dieses Erbe ist für unsere Identität und unser Zugehörigkeitsgefühl von entscheidender Bedeutung. Es ist darüber hinaus auch eine besonders wichtige Ressource für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in Europa und weltweit. Daher begrüße ich so nachdrücklich die Initiative von Donald Tusk, dem Präsidenten des Europäischen Rates, der auf dem Sozialgipfel in Göteborg im November 2017 die erste Diskussion überhaupt zwischen den EU-Führungsspitzen zur Rolle von Bildung und Kultur für die Zukunft Europas angeregt hatte. In wegweisenden Schlussfolgerungen vom 14./15. Dezember 2017 hat der Europäische Rat sich dazu bekannt.

Das Europäische Kulturerbejahr, das gerade erst begonnen hat, bietet uns nun eine ideale Möglichkeit, dieses politische Momentum in konkretes Handeln zu übertragen. Genau aus diesem Grund sind Europa Nostra und viele andere staatliche wie private Kulturerbe-Organisationen Verfechter einer ehrgeizigen EU-Agenda und eines Aktionsplans für das kulturelle Erbe.

Echte Renaissance der Kultur und Bildung

Eine solche europäische Kulturerbe-Agenda sollte unsere gemeinsame Wahrnehmung von Geschichte und Identität bestärken, sollte zusätzliche finanzielle Unterstützung leisten für Erhalt, Weiternutzung, Verwaltung, Förderung und Digitalisierung von Europas vielfach gefährdetem kulturellen Erbe, sollte neue lohnenswerte Arbeitsplätze vor allem für unsere Jugend schaffen. Eine echte Renaissance der Kultur und der Bildung anzustreben und das Europäische Kulturerbejahr dafür zu nutzen – was hindert uns daran?

Es wird ein Jahr werden voller aufregender und innovativer Aktivitäten, organisiert von Tausenden von Kulturerbe-Organisationen überall in Europa, von zahllosen staatlichen und privaten Eigentümern und Verwaltern historischer Sehenswürdigkeiten in ganz Europa. Einer der Höhepunkte des Jahres wird der europäische Kulturerbe-Gipfel sein, der unter dem Motto „Gemeinsames Erbe – Gemeinsame Werte“ (Sharing Heritage – Sharing Values) vom 18. bis 24. Juni 2018 in Berlin stattfinden wird.

Über Bedeutung des Kulturerbes diskutieren

Zu den Organisatoren gehören unter anderem Europa Nostra, das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Viele europäische Führungsspitzen aus staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen werden auf diesem Kulturerbe-Gipfel zusammenkommen, um über die zentrale Bedeutung unseres kulturellen Erbes für die Zukunft Europas zu diskutieren.

Mir wird die große Ehre zuteil werden, gemeinsam mit den höchsten Vertretern der EU-Institutionen anlässlich der Verleihung des Preises der Europäischen Union für das Kulturerbe am 22. Juni 2018 die wahren „Schutzengel“ unseres Erbes – Frauen und Männer aus allen Teilen Europas – zu ehren. Wir freuen uns, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Teilnahme zugesagt hat und auch andere führende europäische Politiker ebenfalls in Berlin zu Gast sein werden.

Größtes Geschenk an die Welt

Unser kulturelles Erbe ist Europas größtes Geschenk an die Welt. Lassen Sie uns dieses Erbe feiern und gemeinsam erleben, erkunden und genießen. Lassen Sie es uns gemeinsam behüten und achten! Nutzen wir es als Inspirationsquelle für neues Schaffen und neue Beziehungen! Europa Nostra und ich hoffen, dass möglichst viele Europäer diese wichtigen Botschaften weitertragen und sich aktiv an diesem gerade erst eingeläuteten Europäischen Kulturerbejahr beteiligen werden.

Der Autor:  
Plácido Domingo ist seit 2010 Präsident der Organisation Europa Nostra, der Stimme des kulturellen Erbes in Europa. Weltweit berühmt wurde er als Opernsänger. Die internationale Karriere des 1941 in Spanien geborenen und später in Mexiko aufgewachsenen Künstlers begann 1966 mit seinem Debüt an der New York City Opera. Seither ist er an allen großen Opernhäusern der Welt aufgetreten. Er ist auch als Dirigent tätig. Für sein künstlerisches Wirken erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen.


groß - größer - julian schnabel

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Julian Schnabel mag große Formate - und das Malen im Freien, denn das Licht ist dort so hell und erbarmungslos: Was im Freien bestehen kann, kann es in Innenräumen dann auch, meint er. (Foto: Porfirio Munoz)





Groß, größer, Schnabel

Neu im Kino: Pappi Corsicato porträtiert den US-Maler, Filmemacher und Exzentriker Julian Schnabel. Die Hommage ist etwas oberflächlich, aber unterhaltsam

Von Anke Groenewold

"Vielleicht mag ich ihn, weil ich ihn nicht verstehe", sagt der Drehbuchautor Jean-Claude Carrière über den Maler Julian Schnabel. "Er ist eine der rätselhaftesten Personen, die ich kenne." Diese Sätze fallen in Pappi Corsicatos Filmporträt des amerikanischen Malers und Regisseurs Julian Schnabel. 

Das Rätsel Schnabel vermag Corsicato, der mit dem Maler befreundet ist, auch nicht zu lösen. Sein Film ist eine flott geschnittene Hommage. Eine tiefer gehende Analyse des Phänomens Julian Schnabel fehlt, Kritisches ebenso.

Der Regisseur holt neben Schnabel dessen Schwester, zwei Ex-Ehefrauen, mehrere seiner Kinder und Prominente wie die Schauspieler Al Pacino, Willem Dafoe, die Musiker Laurie Anderson und Bono oder den Künstler Jeff Koons vor die Kamera. Sie alle singen Loblieder auf den Mann, der mit seiner ersten Ausstellung 1979 schlagartig zum Star der New Yorker Kunstszene aufstieg, aber auch kontrovers diskutiert wurde. 

"Er ist überlebensgroß", sagt der Regisseur Héctor Babenco über Schnabel. Ein Satz, der immer wieder in dem Film zu hören ist. Denn was das Überlebensgroße diese 1951 in New York geborenen Malers und Filmregisseurs ("Schmetterling und Taucherglocke", "Basquiat") jenseits seiner gigantischen Bilder und seines exzentrischen Lebensstils ist, kann Corsicato in seinem stilistisch biederen, flatterhaften Film nicht wirklich vermitteln. Dazu fehlen ihm Ruhe, Fokus, vor allem aber Distanz und eine echte Auseinandersetzung mit der Kunst und den Geschichten hinter den Bildern. Dennoch: Der Film ist materialreich, unterhaltsam und macht neugierig auf dieses Multitalent. 

Schnabel beim Malen zuzusehen, ist reizvoll. Zum Beispiel, wenn er unter freiem Himmel farbgetränkte Lappen auf gigantische Leinwände schleudert und am Ende selbst vor Farbe trieft. Oder wenn er eins seiner Tellerbilder malt. Leider hält sich Corsicato nie lange bei der Kunst auf. Die Gemälde Schnabels rauschen so schnell vorbei, dass man zwar viel zu schauen bekommt, aber am Ende das Gefühl hat, nichts wirklich gesehen zu haben. 

"Als ich jung war, wollte ich ein großer Künstler werden", erklärt Schnabel, der als Sohn jüdischer Einwanderer 1959 in New York geboren wurde, zunächst in Brooklyn aufwuchs und später ins ländliche Texas umsiedelte. Seine Tochter Lola sagt einen Schlüsselsatz: "Er sagte immer zu mir, dass Kunst zu erschaffen ein Fluchtweg aus der Realität ist - sie wird dich vor allem retten." Wovor das Allheilmittel Schnabel rettet, bleibt vage. Der Künstler selbst deutet private Krisen an - gescheiterte Beziehungen etwa, bei denen er den Sänger Lou Reed als mütterlich sorgenden Vertrauten an seiner Seite hatte. Aber der 66-Jährige lässt sich in den recht knapp geratenen Gesprächen mit Corsicato nur bedingt in die Seele schauen, etwa wenn er verrät: "Ich bin nicht gern allein."

Schnabel hat sich seine eigene Welt erschaffen. Er inszeniert sich als barocker Malerfürst in Seidenpyjamas, baute sich in New York einen rosaroten, protzigen venezianischen Palazzo. "Er machte immer nur das, was er wollte", sagt seine Schwester Andrea Fassler über Schnabels behütete Kindheit. Nichts scheint unmöglich für dieses selbstbewusste Energiebündel, sein Umfeld lobt ehrfürchtig seine Energie und Willensstärke. In Bologna wollte man ihm mal den Schlüssel der Stadt überreichen. Den wies er zurück, forderte vom Bürgermeister statt dessen die ausgeblichenen Vorhänge des Rathauses für seine Kunst - und bekam sie, erklärt Julian Schnabel freudestrahlend. 

"Er machte immer diese übertriebenen Aussagen", erinnert sich die Galeristin Mary Boone, die als Erste seine Werke ausstellte, "aber die meisten wurden wahr" . 

Den schrägsten Satz des Films sagt sein Sohn, der Kunsthändler Vito Schnabel, der mal mit Model Heidi Klum liiert war: "Er ist einer der letzten Künstler, die ihre Werke wirklich noch selbst malen."


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Film und Ausstellung 
Der Film "Julian Schnabel: A Private Portrait" läuft in Programm-Kinos bundesweit  
Originale von Julian Schnabel stellt zurzeit die Galerie Samuelis Baumgarte in Bielefeld aus. Noch bis 3. Februar sind dort Arbeiten aus den Jahren 1991 bis 2016 zu sehen.  
Neben Gemälden wie dem großflächigen "Untitled (Chinese Painting)" aus dem Jahr 2008, das die große Ausstellungshalle dominiert, sind mehr als 30 grafische Werke zu sehen. 
Die Galerie am Niederwall 10 ist geöffnet von Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr und am Samstag von 10 bis 14 Uhr.  
© 2018 Neue Westfälische, Donnerstag 11. Januar 2018




ich lernte den namen julian schnabel zunächst als filmemacher kennen: "basquiat", 1996, über den von mir verehrten wilden jung verstorbenen künstler jean-michel basquiat, mit dem er befreundet war, und den er deshalb sehr hautnah porträtieren konnte.

in diesem film "a private portrait" nun lässt auch der bildende "groß"-künstler julian schnabel den regisseur pappi corsicato ebenso nahe heran an sich, denn schnabel bleibt ansonsten eben gern etwas exzentristisch in übervornehmer distanz - trotz all der "größe", die er selbst und seine werke mit ihm ausstrahlen.

wenn ich etwas von ihm sehe und ihn höre - und seine vorliebe für seidene pyjamas, die er in verschiedenen ausführungen am liebsten immer trägt - so erinnert mich das stark an salvador dali - und bei mir macht es dann den inneren click: julian schnabel - als "wiedergänger" von dali ...

natürlich anders und im künstlerischen stil mit der zeit mitgegangen: aber wenn ich z.b. seine arbeit "untitled (dom zu köln)" 2016, anschaue, die er für die grafik-edition des kölner stadt-anzeigers schuf, dann macht es wieder diesen click hin zu dali:  ausgangspunkt seiner überarbeitung bildet dabei ein original schulwandbild, wie es ursprünglich für lehrzwecke bis in die 1950er jahre hergestellt wurde.



in dieser übermalung spielt das gestisch-expressive in seiner pinselführung eine ebenso entscheidende rolle wie die zufälligkeit des farbabdrucks, den ein in farbe getränkter lappen auf der bildoberfläche hinterlassen hat. diese spannung, einen altmeisterlichen aber mittlerweile vergammelten stich mit figuration und abstraktion in ein neues anderes und plötzlich zeitgenössisches kunstwerk zu verwandeln, ist mit "einfachen" mitteln hervorragend gelungen ... 

sein fiktionaler fast surrealistischer gestus macht dieses werk zu einer komposition, in der schnabel vor allem das bleibende aufsteigend metaphysische in und über der vergehenden materie sichtbar macht. - S!

basquiat kehrt heim

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Die vom Auktionshaus Sotheby's zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt das Gemälde "Untitled"
des amerikanischen Künstlers Jean-Michel Basquiat - Copyright: dpa


Basquiat-Gemälde kommt nach New York


Das für gut 110 Millionen Dollar (90 Mio. Euro) versteigerte Gemälde „Untitled“ des verstorbenen US-Künstlers Jean-Michel Basquiat bekommt eine eigene Ausstellung in New York. „Ich bin begeistert, Basquiats Meisterwerk nach Hause nach Brooklyn zu schicken“, sagte der japanische Unternehmer Yusaku Maezawa, der das Gemälde ersteigert hatte, laut einer Mitteilung des Brooklyn Museum. Dort soll das auf 1982 datierte Gemälde, das einen mit Öl-Stift und Sprühfarbe gemalten, bunten Totenkopf auf hellblauem Untergrund zeigt, vom 26. Januar bis 11. März zu sehen sein.

Maezawa hat „Untitled“ im Mai für eine Rekordsumme beim Auktionshaus Sotheby's ersteigert – dem Auktionshaus zufolge der höchste Preis für die Arbeit eines US-Künstlers. Nach Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“, das bei Christie's im November für gut 450 Millionen US-Dollar (371 Mio. Euro) den Besitzer wechselte, war es auch die erfolgreichste Auktion des Jahres 2017.

Nach der Ausstellung soll „Untitled“ dem Brooklyn Museum zufolge auf „Welttournee“ gehen und seinen dauerhaften Platz dann im japanischen Chiba nahe Tokio finden, wo Maezawa ein Museum bauen lassen will.

Basquiat wurde 1960 in Brooklyn geboren und besuchte das Museum in Kindheitstagen auch selbst, wo seine Mutter ihn im Alter von sechs Jahren als Junior-Mitglied anmeldete. 2005 widmete ihm das Museum eine Retrospektive und 2015 eine weitere Ausstellung.

Basquiat starb 1988 im Alter von 27 Jahren an einer Überdosis Heroin nach einer kurzen aber steilen Karriere. Er zählt zu den posthum erfolgreichsten Künstlern des 20. Jahrhunderts.

© WeltN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten





... und hier:
"BASQUIAT", der Porträtfilm von Julian Schnabel (siehe nächsten Post) von 1996 im Original 

wie im gefängnis - aber the show must go on ... - update

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"nach hause - nach hause - nach hause gehen wir nicht - im w-b-h da brennt noch licht" - "Blick" durch die Fenster-Lamellen des Willy-Brandt-Hauses, wo die Sondierungs-Runde der Union und der SPD einen turbulenten 25-Std.-Marathon hinlegten - Foto: DIE WELT | AP | Michael Sohn

ach ja - als ich heute mal nach dem bild oben "googelte", zeigte mir google-chrome vielsagend das bild zwar an - aber mit der vermutung, dass es sich wohl um das foto einer "gefängniszelle"(prison) handeln könne ...


screenshot der bildersuchseite bei google-chrome zu dem bild ganz oben ...



vielleicht fühlten sich auch einige teilnehmer so oder so ähnlich: erst wenn "weißer rauch" aus dem willy-brandt-haus in den dämmernd regnerischen morgen aufsteigt, dürfen alle nach hause gehen - bis dahin: mitgefangen - mitgehangen ... - und der letzte macht das licht aus ...

ich meine, warum tun diese leute sich das an? warum enden all solche verhandlungen immer in spektakulären nachtsitzungen, wo man völlig fertig nicht mehr so genau hinsieht oder überhaupt noch durchblickt - und ab irgendwann sich wahrscheinlich mit seinen vorstellungen "über den tisch ziehen" lässt (siehe interview am ende dieses posts) - auf beiden seiten - weil man ganz nötig auf's klo muss - oder ins bett will: denn die allerfrischesten nachteulen, so echt disco-durchtrainiert, sind die ja alle nicht mehr ...

warum versammeln sich unsere spitzenpolitiker mit solch einem völlig unsinnigen setting ... - wer tut ihnen das an ???: erst ein vierteljahr rumdödeln und dann ausgiebig advent & weihnachten feiern - und dann aber - dann geht's - aber erst nach der ersten januarwoche urplötzlich mit nem ruck und paukenschlag und marathon-nachtsitzung los: ein polit-iron-man für nicht ganz austrainierte akteure sozusagen ...



the show must go on ...

mit: "nach hause - nach hause - nach hause gehen wir nicht - im willy-brandt-haus brennt noch licht ..." ist es auch nicht mehr besungen - selbst die nationalhymne, die 3. strophe vom lied der deutschen von hoffmann von fallersleben, wird morgens um 08.30 uhr nach 25 stunden kaum mehr intoniert worden sein - warum tun die sich das an - immer und immer wieder ...???

will man uns etwa weismachen, man täte das für's "volk" - für die wähler ??? - damit es endlich voran ginge ... ??? - aber nicht doch fast 120 tage nach der wahl - wo man doch bis jetzt die ruhe weg hatte und die demokratische wahlentscheidung vom september einfach verdrängte und ignorierte ... - nee - also nee - die machen sich da doch echt nicht tot - und bringen alle hübsch ihre delegationen und experten-teams mit, die für nen appel & nen ei alles haarklein vorbereiten müssen...

auch hier gilt also der spruch der barbiere: klappern gehört zum handwerk - ne ordentliche nachtsitzung - und dann werden die wähler schon wieder beruhigt sein ... nee - das wird nichts ... - ich wenigstens lass mich so nicht mehr beruhigen und hinhalten: 

ich werde euren zirkus da einfach ignorieren: es ist mir egal - völlig egal - mit wieviel "turbulenzen" ihr da was beschließt oder verwerft ... - denn damit z.b. die genossen der spd selbst nur keine persönliche verantwortung für das ausgeheckte tragen müssen, beschließt nicht etwa morgen - sondern erst in gut einer woche ein parteitag, ob überhaupt nach den sondierungen die koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen - bis dahin sind alle wieder erholt - und nötigenfalls schafft man dann schon wieder die nächste nachtsitzung - und dann steigt unser aller angela merkel in die bütt, denn sie will zum "fasching" die koalitionsverhandlungen abschließen: dann ist schluss mit lustig - und dann erfolgt die sich hinziehende mitgliederbefragung der spd - und "bis ostern" will man ggf. die koalition besiegeln ... -

die spd - und leider auch die meisten ihrer immer-noch-wähler - verwechseln solche verhandlungen immer gern mit so 2-4-monatigen "ganz schwierigen" tarifverhandlungen mit warn- und dann richtigen streiks ihrer gewerkschafter - und zum schluss kommt dann immer der "große unerwartete durchbruch" ... (auch diese streiks und verhandlungsrunden sind völlig überflüssige show's - denn die ergebnisse werden vorher per budget-einstellungen [im öffentlichen dienst wenigstens] und am telefon ausgekungelt ...).  

ich sagte ja - man macht sich nicht tot - und das ist diese völlig überflüssige overprotection-über-demokratur, die uns demokratie nur noch als popanz vorspielt: von hinten durch die brust ins auge - das ist alles nur noch "kulisse" ...

dieses herumgehampel nimmt der politik doch jede spontaneität und jede aktualität - und zeigt ihre eigentlich genuine unwichtigkeit heutzutage - und die medien müssen sich bei dem schneckentempo jeden tag den stoff für 25 bedruckte seiten oder 5 tägliche ausgaben der tagesschau aus den fingern saugen ... - und dann schimpft man, dass sie jedem gerücht gleich hinterherhecheln ...: the show must go on ...

viel lärm um nichts - und: der berg kreißte - und gebar eine maus ... 

es lebe die herrschaftsfreie anarchie ... !!! -
in meinem herzen - ganz ohne raf  ...
also - dreht euch alle wieder um - die nächste nachtsitzung kommt bestimmt - vielleicht mit der frage, ob man nun endlich eine katzensteuer einführt - oder eine katzenstreu-steuer - und ob ich vor dem erwerb einer katze in deutschland womöglich alle tierheime in uropa konsultieren und angebote einholen muss - ehe ich mich dann entscheiden darf - und vielleicht ausgerechnet in bulgarien oder auf malta fündig werde ... - nach 16-wöchiger quarantäne darf ich dann das kätzchen mit nach hause nehmen - flug in einem extra-tierkäfig-katzenbehälter - ausbruchsicher nach eu-norm XY 456-3428 DIACAT - so gott will ...

gefängnis - prison - ??? - in manchen zellen bzw. einzelzimmern einer psychiatrie sieht es bestimmt ähnlich
aus ...: 

"isch glaab se hohle misch ab" - ha-haaa ... - die nacht war einfach zu lang - ha-haaa ... -S!



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foto: corbis - spiegel.de


24 Stunden ohne Schlaf – geht das?

Forscher Ingo Fietze über die Auswirkungen von Marathon-Verhandlungen auf den menschlichen Körper

Mehr als 24 Stunden haben die Politiker von Union und SPD zuletzt sondiert. Geht das überhaupt? Ingo Fietze ist Professor an der Berliner Charité. Er leitet dort das schlafmedizinische Zentrum. Eine solche Marathon-Verhandlung lässt sich kaum durchhalten, sagt der Schlafforscher im Gespräch mit Hagen Strauß.

Herr Professor Fietze, kann man bei mehr als 24 Stunden Verhandlungen noch klar denken?

Ingo Fietze: Nein. Wenn man 24 Stunden wach ist, fehlen acht Stunden Schlaf. Dann leiden Gedächtnis, Geschicklichkeit, Konzentration und Reaktionszeit. Eben das Gehirn.

Dann müsste das Sondierungsergebnis von Union und SPD doch viel Murks enthalten, oder?

Ingo Fietze: Das will ich nicht bewerten. Aber man kann es so sagen: Alle vier Stunden haben wir ein geistiges Hoch. Man sitzt also nicht die ganze Nacht wie im Nebel. Wenn alle zur selben Zeit ein solches Hoch haben, müssten eigentlich genau in diesen Momenten die wichtigen Entscheidungen fallen. Das ist aber nur graue Theorie, da jeder biorhythmisch ein bisschen anders tickt. Unter dem Strich wird aber wahrscheinlich im Laufe der Nacht die Kompromissbereitschaft größer.

Gibt es Tricks, wie man bei solchen Verhandlungen ge­gen die Müdigkeit ankämpfen kann?

Ingo Fietze: Als Politiker kann man natürlich darauf setzen, dass die andere Seite irgendwann müde wird, um dann selber mehr durchzusetzen. Ich würde in den Pausen, die es ja auch gibt, fünf bis zehn Minuten die Augen zumachen. Das wäre klug. Dann ist man die nächsten zwei Stunden wieder eindeutig fitter. Ansonsten gibt es außer hellem Licht und koffeinhaltigen Getränken keine Tricks.

Gerade Politiker behaupten immer wieder gerne, dass sie mit sehr wenig Schlaf auskommen. Kann das überhaupt sein?

Ingo Fietze: Das ist ein Mythos. Angeborene Kurzschläfer gibt es nur ganz wenige. Außerdem würde das ja bedeuten, dass ein Mensch, der dauerhaft weniger als sechs Stunden schläft, und das ist für uns Schlafmediziner wenig, dies auch am Wochenende oder in seinem Urlaub macht. Und dass er dann in den restlichen 18 Stunden fit ist. Das geht nicht. Irgendwann muss der fehlende Schlaf nachgeholt werden.

Kann man es denn zumindest trainieren, mit wenig Schlaf auszukommen?

Ingo Fietze: Das hat noch keiner geschafft. Man kann aus einem Normalschläfer auch keinen Lang- oder Kurzschläfer machen. Die benötigte Schlafzeit lässt sich nicht wirklich manipulieren.

WESTFALEN-BLATT - 2018-01-13

rückrundenstart - ist doch alles nur grokolores

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karikatur: rürup - wams 14-01-18

der arme zungenwurm

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Dorothea Grünzweig erhält Kurt Sigel-Lyrikpreis

„Feine Sprachbilder“: Die Lyrikerin Dorothea Grünzweig erhält den mit 4000 Euro dotierten Kurt Sigel-Lyrikpreis des deutschen PEN-Zentrums.


Die Lyrikerin Dorothea Grünzweig erhält den mit 4000 Euro dotierten Kurt Sigel-Lyrikpreis des deutschen PEN-Zentrums. Die Jury lobte in einer Mitteilung vom Dienstag Grünzweigs feine Sprachbilder. Dadurch lasse sie die Leser „Tod, Trauer, Verlassenheit und die wuchernde Natur neu sehen“. Grünzweigs Texte seien findig und originell. Die Lyrikerin wurde 1952 im baden-württembergischen Korntal geboren. Seit 1998 lebt sie in einer Kommune in Finnland. Stifter des Preises ist der Frankfurter Schriftsteller Kurt Sigel. Die Auszeichnung, die alle zwei Jahre vergeben wird, soll am 26. April bei der Jahrestagung der Schriftstellervereinigung in Göttingen verliehen werden. (dpa|tagesspiegel)

S!|bearbeitung





Die Wiederkunft der Orgeln

I

Es ist ein Pflock in uns getrieben
auch wenn wir neben und
nicht im Gefängnis leben
ein Pflock aus Tönen
so laufen wir nicht fort

Die Kathedralen sind herangerückt
wir sind gebettet an Kathedralen
auf die wir lauschen weil sie im Innern

                     Orgeln schlagen

Wir lauschen
hier sind die Muscheln an unserem Kopf
die wir wie schwere Krüge
stützen müssen
wir gehen in die Orgelhocke
in die Orgelknie
vertraut schon unserem Kindesbein
ein einziges Neigen und
                     Beugen vor der Musik
II

Sonnenorgeln
Schattenorgeln der Kathedralen
wir lauschen im Licht
der Sonnenorgeln lauschen
im Schatten der Schattenorgeln
stemmen die Muscheln
dass sie nicht brechen

werden den Tonpflock nicht
ausziehn und uns an Orgelstatt
an anderes halten
werden nicht
         aufstehn verleugnen gehen

III             

Die Schattenorgeln 
sind dicht bei den Sonnenorgeln
der Abstand beträgt einen Viertelton
so wie wir 
dicht beim Gefängnis
dicht bei den Kathedralen wohnen
mit einem kleinen Dazwischen 
das abwehrt die Macht 
der Deckungsgleiche

ein Reibungsraum ist vorhanden
wo alles Abgeblühte Öde
zu Sand zermahlen wird damit
wirs nur noch
              wegzublasen brauchen

IV

Das Orgeln ist kein Trostgesang
kein Hirtenaug uns ruhig zu weiden
kein Winterweizen der sich dann
emporlebt wenn
die Eisschicht bricht

es ist ein ungebärdiges Gestehn
 von Wünschen von Verzweiflung

            ein Stampfen  Schlagen  Schreien
                  Lustschluchzen Lobschluchzen aus Brustwerk Hauptwerk
                             gegen den Himmel ein Jagen über Tod- und Auferstehungsgrenzen

ist Löschung unsrer Augen

V

Wir hören sind betört
sind hörig reine Form Spiralen

bald von Orgeln hochgerissen
bald gestaucht
Orgeln die wie’s am Anfang war

in offene Kindsgemüter                                                                        
das Majestätische in Überlebensgrösse
gleich einem Vormund eintreten

                                     Orgeln ihr
 Brausen bei den Fruchtgewässern
vor unserem Anfang schon uns in
das Fleisch gesenkt

                           als ein Organ
                              als das Geschlecht 
                                  als unsere Orgelleiblichkeit und jetzt
                                                                   durch Orgeln wiederkünftig

in den herangerückten Kathedralen 
werden auch wir
weil wir dafür geschaffen sind
wir werden auch geschlagen
     
VI

Der arme Zungenwurm
wie er
sich krümmt und windet 
weil er ins Wortreich will
bei diesem Toben
        
und ist es ihm verwehrt

(Quelle: lyrikline)

Dorothea Grünzweig - S!|bearbeitung nach einem Privatfoto im tagesspiegel


Dorothea Grünzweig

* 25.12.1952, Korntal bei Stuttgart , Deutschland
lebt in: Dorf in Südfinnland, Finnland

Nach ihrem Studium der Germanistik und Anglistik verbrachte sie zunächst einige Jahre in England und Schottland. Danach unterrichtete sie sieben Jahre lang in einem Internat in Süddeutschland. Seit 1989 lebt Grünzweig in Finnland, wo sie neun Jahre an der Deutschen Schule Helsinki tätig war.

1997 erschien ihr erster Gedichtband ...



future cities

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click here



zeit.de: filterblasen in denen wir wohnen sollen ...


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"Wenn man in der Lage wäre, 
eine Stadt von Grund auf neu zu bauen, 
könnte man auch bestehende Konzepte 
der Sozialpolitik und der politischen Führung 
komplett neu erfinden 
und ganz neue Ideen 
eines datengetriebenen Managements testen."

Dan Doctoroff - Sidewalk-CEO, ehemals stellvertretender Bürgermeister von New York und Chef von Bloomberg LP


in dem vielleicht etwas zu üppig geratenen artikel von adrian lobe aus "zeit/kultur" wird die nächste tendenz für das menschliche urbane zusammenleben skizziert: der Bewohner ist dann noch ... "...lediglichein computer, der mit der vernetzten stadt zu einem großrechner verschaltet wird. daher rührt auch die neoliberale rhetorik von der 'performanz' der stadt, als müsse man das urbane leben irgendwelchen messbarkeitskriterien zuführen. der intellektuelle, der im straßencafé (analog) notizen macht, wäre demnach unproduktiv, weil er gar keine daten generiert. ..." (lobe).

ich meine, wir sind ja auf dem besten wege dahin: alle daten, die wir "hinterlassen" werden ja bereits gefiltert und sortiert und zugeordnet - und nicht "umsonst" ist mein mail-postfach morgens mit 40-50 oft dubiosen und anrüchigen werbeaufrufen vollgestopft - wie ja auch mein briefkasten "in real life" unten an der haustür.

ich bin einfach nur noch ein konsument, ein zahlendes etwas, was es zu ködern und zu "integrieren", sich "einzuverleiben" gilt - und manche nennen das in seinen "ganzheitlichen" auswüchsen dann ganz neudeutsch auch gern "inklusion": alles was etwas exotisch anmutet, was (noch) eigenständig ist und nicht einsortierbar - was im falle der frühkindlichen defizite etwa ge"sondert" in tagesstätten oder schulen nur mit "aufwand""betreut" werden kann, wird passend gemacht - liefert auch bald daten - und wird dann für die it-gesteuerte hilfsmittel-industrie interessant - und es werden extra "chice" und auf das individuum "zugeschnittene" lebensräume generiert: für viel geld - damit wir dann alle miteinander rasch an die futtertröge kommen, die sie uns hinstellen und mit ihrem synthetischem "fast food" füllen - und was wir gar nicht fressen wollen - wird uns schmackhaft gemacht - wünsche entfacht - sonst rollt die knete (bitcoins, uro, rubel, $ollar, yuán) nicht: eine neue moderne variante von "friss oder stirb" - irgendwie eine art "pseudohumaner weltfaschismus" - andernorts heißt das dann noch "globale neoliberal-kapitalistische wirtschaftsordnung" - und da sind wir ja jetzt schon mittendrin mit merkels "marktkonformer demokratie"...

der einzige trost ist, dass auch die, die so etwas planen und umsetzen ebenfalls teil des systems sind - ebenfalls mit allem vernetzt und in alles mit allem total eingesponnen ...

bis irgendwann mal das netz vor lauter prallheit und sattheit reißt ... - S!


abb: prezi/vamedia gmbh

crying eye - kunst aus guantánamo

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"Untitled (Crying Eye)" von Muhammad Ansi, 2016, Pigment auf Papier.
(Foto: Muhammad Ansi)

Kunst aus Guantánamo


Ausstellung: Im Ringen mit ihrer Vergangenheit fertigen US-Häftlinge oft eindrucksvolle Kunstwerke an. Selbst im Gefangenenlager auf Kuba dürfen Insassen malen

Tupfer in Blau, Rot, Grün, Gelb. Sie kreisen, werden enger, verbinden sich zu einem Abwärtsstrudel. Die Pünktchen erzeugen ein Schwindelgefühl - das Aquarell heißt"Vertigo auf Guantánamo". Gemalt hat es Ammar al Baluchi, einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001, der seit mehr als zehn Jahren in dem Gefangenenlager auf Kuba einsitzt. Bis Ende Januar sind seine Kunstwerke und diejenigen weiterer Guantánamo-Insassen in New York zu sehen. Sie bieten Einblick in die Gedankenwelt jener, die die Regierung der USA als Terroristen und Massenmörder beschuldigt.

"Vertigo auf Guantánamo" von Ammar al Baluchi


Aber was sagt ein Bild über einen Gefangenen, der es malt? Was davon ist Betrachtung der Außenwelt, was Spiegel zur Seele einer oft schwerkriminellen Vergangenheit? Verkürzt die Beschäftigung mit Kunst Häftlingen lediglich ihre Wartezeit bis zum Ende ihrer Strafe, oder hilft ihnen die Kunst, Vergangenes zu verarbeiten?

Wie eine kleine Sensation wirkte es, als im New Yorker John Jay College im Oktober plötzlich 36 Arbeiten von acht Männern ausgestellt waren, die in Guantánamo inhaftiert waren oder sind. Das höchst umstrittene Lager ist für seine harten Bedingungen bekannt - Ammar al Baluchi wird einem UN-Experten zufolge bis heute gefoltert, obwohl die US-Regierung Foltermethoden in dem Lager vor fast zehn Jahren offiziell abschaffte. Dass Häftlinge hier Aquarelle pinseln oder Modellboote bauen dürfen, wirkte ebenso befremdlich wie die Tatsache, dass sie "Harry Potter"-Bücher und Disney-Filme ausleihen können.

Selbst im Umgang mit mutmaßlichen Terroristen hat auch das US-Militär offenbar erkannt, dass künstlerische Arbeit einen Alltag hinter Gittern positiv beeinflussen kann.

"Ode an die See: Kunst aus Guantánamo Bay" heißt die Schau, die etwas versteckt im fünften Stock der Hochschule im Westen Manhattans liegt. Rund 500 Besucher hätten die Ausstellung bereits besucht und mehr als 20.000 hätten sich zur dazugehörigen Website geklickt, erklärt eine Sprecherin.

click here zum Katalog der New Yorker Ausstellung - die so auch im Internet verbleibt - auch wenn die US-Regierung die Arbeiten verbrennen will ...


Die Arbeiten sind beeindruckend angesichts der Tatsache, dass eine Gefängniszelle auf Guantánamo etwa so inspirierend sein dürfte wie ein stillgelegter Fußgängertunnel bei Nacht. Sie drehen sich fast ausnahmslos um die See und die Seefahrt. "Einige dieser Zeichnungen waren eine Mischung aus Hoffnung und Schmerz. Die See bedeutet Freiheit, die niemand kontrollieren kann, Freiheit für alle", schrieb Mansoor Adayfi, der 2016 aus Guantánamo entlassen wurde.

Aus Sicht ihrer Aufseher sind Häftlinge vor allem eine Nummer im System. Persönliche Gegenstände und selbst verfasste Texte oder selbst gemalte Bilder geben ihnen ein Stück ihrer Identität zurück. "Sie waren ein Beweis, dass ich existiere", schreibt Mohamedou Ould Slahi in der Washington Post über seine mittlerweile als "Guantánamo-Tagebuch" bekannten Aufzeichnungen sowie Geschenke seiner Familie. Beim Umzug in eine andere Zelle musste er sie hinter sich lassen. Zurückbekommen hat er diese "Komfort-Gegenstände", wie das US-Militär sie bezeichnet, bis heute nicht.

Was die Kunst aus Guantánamo angeht, dürfte es die vorerst letzte Schau dieser Art gewesen sein. Im Zuge der Ausstellung sei der Transfer von Kunstwerken verboten worden, teilt Pentagonsprecher Ben Sakrisson mit. Solche Arbeiten gelten künftig als Regierungseigentum der USA.

Regierungsamtliche Bilderverbrennung ?

Sie schicken Bilder an ihre Familien oder schenken sie ihren Anwälten, manche wurden sogar ausgestellt. Doch nun beansprucht die US-Regierung die Werke der Guantánamo-Insassen für sich - wohl um sie zu verbrennen.

Brutale Haftbedingungen in Guantánamo auf Kuba



Seit Jahren kämpfen die Insassen des US-Gefangenenlagers Guantánamo Bay mit Kohlestücken, Aquarell- und Acrylfarbe gegen ihre Langeweile. Die Bilder legten sie oft Briefen an ihre Familien bei oder schenkten sie ihren Anwälten. Kuratoren begannen, die Werke zu sammeln. Nun ist die Kunst unter dem Titel "Ode to the Sea" in einer Hochschule in New York zu sehen - noch. Denn die US-Armee, die das Gefangenenlager betreibt, hat nun festgelegt: Eigentümer von auf Guantánamo geschaffenen Werken seien nicht deren Schöpfer, sondern die US-Regierung. Als deren Vertreter werde man nicht weiter gestatten, dass Werke das Lager verlassen.

Bisher mussten die Häftlinge ihre Artefakte lediglich den Militärzensoren vorlegen, die prüften, ob in ihnen versteckte Botschaften, politische Aussagen oder sicherheitsrelevante Informationen zum Lager enthalten waren. Das "Guantánamo-Tagebuch" des Mauretaniers Mohamedou Ould Slahi schwärzten die Zensoren an über 2500 Stellen - ein internationaler Besteller wurde es dennoch, die Verkaufserlöse ermöglichten dem Autor nach der Entlassung einen Start ins neue Leben.

So etwas soll nun unmöglich gemacht werden: Auf der Internetseite der New Yorker Schau war eine E-Mail-Adresse für Kaufinteressierte angegeben, die den Ärger der Armee erregte. Es sei "fraglich, wohin die Erlöse gehen", sagte ein Armeesprecher. Sie stünden der Regierung zu. Die Ausstellungsmacher verstehen das nicht: "Es ergibt keinen Sinn, hier finanzielle Begründungen vorzuschieben", sagt Kuratorin Erin Thompson. Laut Menschenrechtlern koste jeder der 41 verbliebenen Häftlinge den US-Steuerzahler 11 Millionen Dollar pro Jahr, neben diesen Kosten könne man den Wert der Häftlingskunst trotz ihrer zeitgeschichtlichen Relevanz vernachlässigen. Man werde die Werke nun wohl verbrennen, teilte die Armee mit.


Texte aus: Johannes Schmitt-Tegge (dpa) für © 2018 Neue Westfälische, Freitag 19. Januar 2018 und Moritz Baumstieger für Süddeutsche Zeitung



It is something we can smell. - Es ist etwas, das wir riechen können.




Im eindrucksvollen digitalen Katalog, der auch Briefe, Gedichte und kurze Texte der Gefangenen enthält, ist eine Videoarbeit von Mansoor Adayfi (Link anclicken) eingebaut, der vor der Kamera von den Anfängen seiner künstlerischen Arbeit im Gefängnis berichtet. "Einige der Zeichnungen waren eine Mischung aus Hoffnung und Schmerz. Die See bedeutet einfach Freiheit, die niemand kontrollieren kann", sagt Adayfi darin. "Menschen werden immer alles tun, um ihre Gedanken der Hölle entkommen zu lassen", hört man ihn im Hintergrund abstrakter Wasser- und Wellenbilder sagen. 2016 konnte er Guantánamo endlich als freier Mann verlassen. (Quelle: DW)

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"Untitled (Hands Holding Flowers Through Bars)" von Muhammad Ansi.
(Foto: Muhammad Ansi)


"Bisher mussten die Häftlinge ihre Artefakte lediglich den Militärzensoren vorlegen, die prüften, ob in ihnen versteckte Botschaften, politische Aussagen oder sicherheitsrelevante Informationen zum Lager enthalten waren." 
"versteckte botschaften" sind ja eigentlich in jeder kreativen arbeit irgendwo und irgendwie enthalten - wenn auch nicht die kriminellen oder militärisch-sicherheitsrelevanten - nach denen gefahndet wurde... 

in diesen arbeiten aus guantánamo von verschiedenen insassen dort sind natürlich eine menge - vielleicht von dumpfen miltitärköppen übersehene botschaften enthalten: der "geruch" der freiheit - der "durst" nach dem lebenselixier "wasser" - die angesichts der erlebten traumata unbewusste sehn- und fühlsucht zum "fruchtwasser" ... - zum verlangen nach einer neugeburt in freiheit nach dieser durchlebten hölle dort.

das sind ja noch immer die "blinden flecken" in der amtsführung von obama, dass er guantanámo trotz des versprechens als geehrter friedens-nobelpreisträger nicht beseitigen konnte: ein kz im freiheitlichsten land der welt: rache und "auge um auge - zahn um zahn" - in einem der christlichsten staaten - wenigstens nach eigener einschätzung.

und trump beschäftigt ja sogar einen evangelikalen andachtsprediger, der für eine solche moralische ausrichtung im weißen haus zuständig scheint.

und das ist ja auch der blinde fleck in der amtsführung unseres jetzigen bundespräsidenten steinmeier, der als kanzleramtschef und geheimdienstkoordinator der rot-grünen bundesregierung damals ein inoffizielles angebot der amerikaner, den inzwischen freigekommenen guantanámo-häftling murat kurnaz schon im jahr 2002 freizulassen, nicht angenommen hat. und steinmeier erklärte später sogar im rückblick: "ich würde mich heute nicht anders entscheiden." ... - ist das die "menschlichkeit" eines heutigen bundespräsidenten ... ???
wiederholt forderte kurnaz wenigstens eine entschuldigung steinmeiers. nach dessen wahl zum bundespräsidenten äußert sich der frühere guantanàmo-häftling im interview enttäuscht darüber, dass steinmeier sich dazu nicht durchringen kann... 

und dabei geht es also nicht einmal um "versteckte botschaften", sondern um ganz einfache mitmenschliche bekundungen, die aber selbst im "christlichen abendland" mit füßen getreten werden, wenn es denn irgendwem gegenüber "politisch" opportun erscheint - und wenn es auch nur der eigene starrsinn ist ... - aber trotzdem: "der islam gehört zu deutschland", wie es wiederholt der bundespräsident wulff seinerzeit und frau merkel ausdrückten ...

und so will ja nun die amerikanische regierung all diese kunstwerke der guantanámo-häftlinge verbrennen lassen - und die eventuellen verkaufserlöse will auch die us-regierung einstreichen, da die arbeiten ja in einer vom staat finanzierten "kunsttherapie" entstanden seien ...

aber es bleiben - zumindest offiziell in deutschland - : "einigkeit und recht und freiheit" ... - S!








der alte weg ist immer noch besudelt ... - die ermordung von zwangsarbeitern ...

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DER ALTE WEG - videostill


Der unbequeme Heimatdichter

Von Michael Lünstroth | kontextwochenzeitung

Seit Jahren sorgt der Autor Gerd Zahner mit seinen Stücken über die NS-Vergangenheit der Bodenseeregion für Gesprächsstoff. Er schont dabei niemanden und will vor allem eines: Dass die Menschen endlich aus ihrer Geschichte lernen.

Manchmal muss man mit dem Hass leben, sagt Gerd Zahner. So wie damals, als er das Stück über Hans Robert Jauß geschrieben hat. Darin hatte Zahner nahegelegt, dass die Ikone der Linguistik und einer der Säulenheiligen der Universität Konstanz sich in der Nazizeit schuldiger gemacht habe, als er zeitlebens selbst behauptet hatte. Sein Stück "Die Unerwünschten" rückte Jauß in die Nähe eines Kriegsverbrechers.

Historisch zweifelsfrei nachgewiesen wurde das bislang nicht. Nach der Aufführung im Audimax der Konstanzer Universität vor drei Jahren hat Gerd Zahner einige eher, vorsichtig formuliert, unschöne E-Mails bekommen. Der 60-Jährige hat das durchgestanden. "Kein Problem", sagt er, wenn er mit einer Recherche und einem Stück mit sich im Reinen sei, dann könnten die anderen machen, was sie wollen, "das ist mir vollkommen egal".

So viel Coolness vermutet man nicht hinter der Fassade: Graues, wallendes Haar, modische Brille, Schal um den Hals, sanfte Stimme – Gerd Zahner ist auf den ersten Blick nicht unbedingt der Typ knallharter Aufdecker, eher der zerzauste Professor. In Konstanz gilt er auch ein bisschen als verschrobener Kauz. Tatsächlich hat sich der Theatermacher in der Bodenseeregion in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht als unermüdlicher Erzähler der unbequemen Heimatgeschichten. In Singen hat er großen Unternehmen wie Maggi und Georg Fischer den Spiegel vorgehalten, wie sie mit Zwangsarbeitern in der NS-Zeit umgegangen sind, in Radolfzell hat er die Geschichte einer in der Stadt lieber vergessenen alten SS-Kaserne wieder aufgerollt, in Tengen hat er mit "Der alte Weg" an das Schicksal eines polnischen Zwangsarbeiters erinnert, der kurzerhand an einem Baum aufgeknüpft wurde, weil er angeblich ein Mädchen aus dem Dorf geküsst haben soll. Widerstände gab es überall gegen diese Aufführungen, meistens konnte Zahner die Entscheider am Ende von der Notwendigkeit der Projekte überzeugen.

Ein Workaholic, der die Vergangenheit ausgräbt

Was ist das für ein Mensch, der seine Heimat so unnachgiebig an ihre Vergangenheit erinnert? Gerhard Zahner, geboren 1957 in Singen. Er wächst in normalen Verhältnissen auf. Sein Vater ist Angestellter, seine Mutter bleibt Zuhause und kümmert sich um die Kinder. Als Schüler schreibt er für Lokalzeitungen, nach dem Abitur geht er nach Freiburg und studiert Jura. Danach kommt das Referendariat in Berlin. Dort bleibt er nur ein paar Jahre. Danach entscheidet er sich, wieder zurückzugehen in den Südwesten, in seine Heimatstadt Singen. Die lokale Verwurzelung ist stark, seine Anwaltskanzlei eröffnet er trotzdem in der Nachbarstadt Konstanz. Fachgebiete: Straf- und Familienrecht. Die Kanzlei läuft. "Wir setzen Ihre Ansprüche mit Konsequenz und Zielstrebigkeit durch", wirbt der Anwalt im Internet. Seine Kanzlei firmiert unter "Gerhard Zahner". Zum Gerd wird er nur als Autor, "meine Mutter hat mich Gerd genannt, das ist was Privates", sagt er.

Die Schreiberei gibt er trotz vollem Anwaltskalender nie auf. Abends, nachts, an Wochenenden, Zahner ist ein Workaholic. Ein Thema, das ihn einmal gepackt hat, lässt er so schnell nicht wieder los. Dass er sich dabei so intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt hat auch mit seiner Familiengeschichte zu tun. Sein Vater, selbst kein überzeugter Nazi, kam traumatisiert aus dem Krieg nach Hause. Über seine Erlebnisse hat er nie gesprochen. Die Kinder merken nur, dass etwas anders ist, weil sie bei Feuerwerk draußen jetzt immer die Fenster schließen müssen. Der Vater kann sonst nicht schlafen. Zum Erweckungserlebnis wird aber etwas anderes.

Als junger Mann liest Gerd Zahner ein Buch. Darin findet er die Geschichte von Nachbarn und Freunden seiner Eltern. Sie hatten verfolgten Menschen während der NS-Zeit als Fluchthelfer gedient. Der Mann landete vorübergehend im KZ, aber in Zahners Elternhaus wurde all das nie thematisiert. "Es herrschte ein Dogma des Schweigens und ich weiß noch, dass ich es damals als entwürdigend empfunden habe, nichts über die Geschichte unserer Freunde zu wissen", sagt Zahner. Es war der Ausgangspunkt von allem weiteren Schreiben. Zahner wollte das Schweigen brechen. Er wollte über die Untaten und vom Leid der Opfer berichten, "denn wenn alles beschwiegen werden kann, ist alles irgendwie gleich. Es relativiert Dinge, die man nicht relativieren kann".

Der Zuschauer soll seine eigene Wahrheit finden

Mit seinen Projekten ist Gerd Zahner in der Bodenseeregion inzwischen bekannt, manchmal sogar auf der Straße. Aber kaum einer kennt ihn so gut wie Walahfrid Schrott. Sie haben dieselbe Schule besucht, haben die Sommer gemeinsam im Freibad verbracht, kennen sich seit Jugendtagen. "Der Gerd hatte schon immer ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, er hielt immer zu den Schwächeren", erinnert sich Schrott. Das zeige sich auch heute noch in seiner Arbeit als Autor, er wende sich den Opfern zu, wolle ihnen so etwas wie späte Gerechtigkeit ermögliche. "Er hat ein Gespür für lokale Themen, er gräbt immer wieder Dinge aus, die noch nicht so richtig bekannt sind. Gerd ist im besten Sinne ein Chronist unserer Region mit dem Talent, die Geschichten so aufzubereiten, dass sie die Menschen berühren, zu Diskussionen führen und einen Prozess in Gang setzen", sagt Schrott. "Schreiben ist seine Berufung, ich glaube, wenn er davon leben könnte, würde er die Juristerei an den Nagel hängen." Ob er nicht auch manchmal nerve mit seiner Vergangenheits-Besessenheit? "Nein, gar nicht. Gerd ist ein unverbesserlicher Optimist, der daran glaubt, dass wir aus unserer Vergangenheit lernen können und müssen. Deshalb macht er das alles", ist der Weggefährte überzeugt.

Gerechtigkeitsjäger, Vergangenheitsbewältiger, Volksaufklärer, es gibt viele Etiketten, die man Gerd Zahner aufkleben könnte. Der Autor selbst winkt ab, die Beurteilung überlasse er anderen, aber die Sache mit der Gerechtigkeit sei schon ein wichtiger Punkt. "Gerechtigkeit beruht auf Wahrheit. Dazu versuche ich mit meinen Stücken beizutragen. Dinge so aufzuschreiben, wie sie waren, ohne den Zeigefinger zu erheben. Ich biete etwas an, aber der Zuschauer muss aus der Geschichte seine eigene Wahrheit finden", erklärt Zahner.

Zahn "öffnet Türen für Menschen,
an ihrer Geschichte zu arbeiten",
sagt Regisseurin Anna Hertz.
Screenshot: Doku "Der Alte Weg"
Dass mit der Wahrheit ist natürlich so eine Sache. Von Historikern ist Zahner immer wieder angegangen worden, dass er nicht exakt arbeite, nicht alle Fakten historisch korrekt wiedergebe. Auch in der Auseinandersetzung um das Hans-Robert-Jauß-Stück. Ein von der Universität Konstanz in Auftrag gegebenes Gutachten kam 2015 zu dem Schluss, eine individuelle Tatbeteiligung von Jauß sei zwar nicht nachzuweisen; "es ist jedoch völlig ausgeschlossen, dass Jauß von den Verbrechen keine Kenntnis hatte." Er verstehe die Historiker-Kritik, sagt Zahner, aber er mache die Dinge eben auf seine Art. "Ich sehe ein System, eine Farbe und die will ich zeigen", sagt er. In seinen Stücken greift Zahner einzelne Situation heraus, die dann auf das große Ganze verweisen sollen. Das Pars-pro-toto-Prinzip. Zahners Sprache changiert von poetisch bis rätselhaft. Für Regisseure, die damit arbeiten sollen, ist das eine Herausforderung.

Intensive Erlebnisse auf der Theaterbühne

Anna Hertz, Regisseurin und Schauspielerin unter anderem am Theater Konstanz, hat in den vergangenen Jahren mehrere Projekte mit dem Singener Autor gemacht. "Es ist ihm schon wichtig, dass man seinem Stoff gerecht wird. Wenn er einem vertraut, dann kann er sich aber auch rausnehmen und einen machen lassen", sagt Hertz bei einem Cappuccino in einem Konstanzer Café. Zuletzt haben sie gemeinsam die Geschichte des polnischen Zwangsarbeiters auf die Bühne gebracht, der in der NS-Zeit gehängt wurde. Sehr intensiv sei diese Erfahrung gewesen, "wahrscheinlich das intensivste Theatererlebnis, das ich je hatte", sagt die Regisseurin. Was die Arbeiten von Zahner so besonders mache? "Er öffnet Türen für die Menschen, gemeinsam an ihrer Geschichte zu arbeiten", sagt Hertz.

Diese Geschichte, das ist bei Gerd Zahner vor allem der Nationalsozialismus. Und das hat nicht nur mit dem beharrlichen Schweigen seines Vaters zu tun. Zahner hat in den Geschehnissen von damals ein Muster erkannt, eine Matrix mit Strukturen, die sich immer und immer wiederholten: "Der Nationalsozialismus liefert eine Blaupause für den Schrecken", sagt Zahner. Das treibt ihn an. Das Fatale für ihn: Radikale Kräfte auf der ganzen Welt hätten dies auch erkannt und kopierten nun die Strukturen. Das Spektrum reiche dabei von muslimischen Fundamentalisten bis zu rechtsradikalen Strömungen. Auch der sogenannte Islamische Staat (IS) habe die Methoden der Nazis übernommen. Deshalb ist er überzeugt: "Es ist nur eine Frage der Zeit bis wir in den früheren Gebieten des IS beispielsweise Massengräber von Zwangsarbeitern finden, so wie wir sie damals nach dem Zweiten Weltkrieg gefunden haben." So lange die Menschen nicht aus diesen Mustern lernten, will er weiter schreiben und dazu beitragen, dass diese Matrix entschlüsselt wird, "damit niemand mehr darauf reinfällt".

Bis es so weit ist, helfe nur, sich den radikalen Kräften entgegenzustellen und eine Gegenidee zu entwickeln. Wie die aussehen könnte? "Ich finde zum Beispiel, Flüchtlinge aufnehmen ist eine Gegenidee zu Flüchtlinge umbringen." Humanität als Antwort auf Radikalität? "Ja, daran glaube ich", sagt Zahner.

Im Juli 2017 wurde Gerd Zahns neuestes Stück zur NS-Zeit, "Der alte Weg", in Watterdingen uraufgeführt. 
Eine kurze Doku über die Produktion gibt's hier:




gerechtigkeitsjäger, vergangenheitsbewältiger, volksaufklärer, wichtigtuer - es gibt viele etiketten, die man leuten wie gerd zahner ja sicherlich anpappt, weil der ja nicht als historiker oder archivar - von amtswegen - sondern als rechtsanwalt noch die zeit findet, altes unrecht quasi narrativ nahe an die orte des tatsächlichen geschehens heranzubringen, zu erzählen und in entsprechenden theater- und volksstücken aufzuführen - heute 75 bis 80 jahre nach diesen sinnlosen ns-unrechtstaten.

als ernst klee in den 70-er/80-er jahren anfing, die "euthanasie"-morde und das ns-unrecht umfassend aufzuarbeiten in verschiedenen publikationen, hatte er es als investigativ-journalist ähnlich schwer, sich gegen die mauer des "vertuschen"-wollens durchzusetzen ... - und erst heute - weitere 30 jahre später - gibt es plötzlich "gedenkstätten" allerorten - und man interessiert sich zaghaft immer mehr für die "familiengeheimnisse" im eigenen umfeld ...

zuvor hütete man das bleierne schweigen - und auch behörden mauerten und mauern immer noch und staatsanwaltschaften waren oft einfach auf einem auge blind - so dass die alten ns-täter noch "beruhigt" ihre rente zumindest bis in die späten 60-er jahre genießen konnten - bevor dann vielleicht noch anklage erhoben wurde, die aber dann oft wegen altersgebrechlichkeiten nicht mehr zum prozess führten. 

adolf eichmann wurde ja auch nicht etwa von deutschen behörden zur aufarbeitung seiner greueltaten gesucht und gejagt, sondern es war ja der israelische geheimdienst, der mit hilfe von simon wiesenthal eichmann schließlich aufspürte.  

der historiker götz aly schätzt, dass ungefähr jeder 8. erwachsene deutsche irgendeine verwandtschaftliche beziehung zu einem ns-opfer der "euthanasie" haben muss - und ich bin der meinung, dass viele auch unbewusste belastungen einzelner heute im alltag oder in der verarbeitung von familien- und sogar gesellschaftskonflikten noch immer herrühren von unaufgearbeiteten und abgespaltenen vernachlässigten "familiengeheimnissen" aus dieser zeit ...

schon in der bibel wird meines erachtens ja zu recht darauf hingewiesen, dass die taten der väter "bis ins 3. und 4. (generations-)glied" nachwirken können ... 

wenn also leute wie gerd zahner oder auch damals ernst klee und andere fingerzeige auf diese ns-taten und -täter geben, dann dient das ja vielleicht auch dazu, dass sich menschen mit ihrer familiengeschichte vor ort auseinandersetzen. das kann dann also auch zum allgemeinen wohlbefinden mit beitragen - und ist vielleicht eine notwendige prophylaxe vor neuem "rechtslastigen" wahn aller couleur, der ja heutzutage wieder munter allerorten aufflackert ...  - S!

achtung

tres

Janis Joplin zum 75.

68-er

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S!|art: 68-er

"Bürger lasst das glotzen sein - kommt herunter, reiht euch ein!"
Im Zuge der 68er-Bewegung entsteht eine Protestkultur, die spätere Jahre prägt. Hier eine Demo im April 1973 in Bielefeld -
Bildunterschrift unter der Original-Bildquelle für die Arbeit oben: Bild: www.westfalen-blatt.de

tja - bis zum zum silvestertag, 23.59 uhr, werden wir immer mal wieder "50 jahre 68er" thematisieren, feiern, verdammen, neidvoll oder wehmütig zurückblicken können - je nach persönlicher couleur.

mit jahrgang 1947 kann ich mich ja mit fug und recht "68-er" schimpfen - wurde ich doch 1968 "volljährig" ... - erwachsen vor dem gesetz - mit 21 jahren damals ... - und vor dem gesetz sollten von nun an ja alle gleich und gleicher sein ... - doch da gab und gibt es noch manche offene oder versteckte hierarchie, die es einzuebnen gilt ...

ich bekenne mich auch unverhohlen dazu, ein 68-er zu sein. diese jahre haben mich persönlich geprägt und befreit. von stund an wusste ich, ich muss mich zu wort melden oder muss mein bild aufzeigen (... ein bild sagt ja mehr als 1000 worte ...), wenn ich was zu sagen oder auszudrücken habe, wenn ich wahr-genommen werden will, sonst können meine belange nicht berücksichtigt werden - sonst komme ich nicht vor ...

die 68-er jahre standen für be-freiung - in vielerlei hinicht: sexualität, frau- und mannsein, emanzipation der sozialberufe (die aber mit diesem etikett versehen heutzutage wieder deutlich vernachlässigt wurden), kriegsdienstverweigerung, allerorten beginn demokratischer strukturen, abrechnung mit der elterngeneration in bezug auf das "dritte reich", revolution in der musik - und - und - und ...

gewiss gab es auch radikalste und kriminelle auswüchse - etwa in der mordserie der raf - aber nicht jede provokation von rudi dutschke, fritz teufel oder joseph beuys oder joschka fischer waren gleich radikale äußerungen - sondern hielten oft der gesellschaft lediglich den spiegel vor: unter den talaren war nämlich immer noch der muff von tausend jahren ... 

mit den 68-ern gingen die fenster auf - und es kam frische luft rein ... - leider vergisst man heutzutage oft die tägliche lüftung aller räumlichkeiten ... - S!


80 jahre - und kein bisschen weise ...

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feiert am 23. Januar seinen 80. Geburtstag

Kopfüber ins Abseits: Den „Orangenesser IX“ malte Georg Baselitz 1981 (Streifenfragment)
Copyright: © Georg Baselitz, 2018, Foto: Bayer&Mitko - ARTOTHEK

Eine Kerze zum 80.

Der Selbstausgrenzer

Die Schweizer stört es nicht, dass er mit Trump sympathisiert: Basel richtet dem deutschen Jahrhundertmaler Georg Baselitz zum 80. eine fulminante Werkschau aus.

Von Hans-Joachim Müller | welt-edition

Man müsste jetzt noch einmal die ganze Geschichte erzählen. So wie man das immer tut, wenn einer 80 wird. Einen ehrenden Toast auf Georg Baselitz ausbringen. Den ergriffenen Festredner spielen, der wahrheitsgemäß von all den Skandalen des Malers berichtet, von seinem für manche befremdlichen Aufstieg zu den Erstgenannten der Szene, von den verlässlichen Provokationen seines Werks, von der verstörenden Selbstinszenierung als ewig polternder Sturkopf. Aber es ist viel mehr Laudatio, wenn man sagt: Fahrt nach Basel in die Fondation Beyeler! Dort in der grandiosen Geburtstagsausstellung erfahrt Ihr alles, was Ihr über den Künstler wissen müsst. Und Ihr braucht dort nur zu schauen, müsst nichts hören, gar nichts, kein geiles Interview lesen, seid endlich einmal frei vom ganzen öffentlichen Baselitz-Sound, der diesem Werk von Anfang an wie ein dumpfer Basso continuo unterlegt ist.

Schiere Malerei. Überwältigend in der mühelosen Gebärde, mit der sie sich immer wieder erneuert hat. So ähnlich muss es gewesen sein, als die Nachkriegsgeneration vor dem Kraftpaket stand, das die amerikanischen abstrakten Expressionisten geschnürt und zur bildmoralischen Aufrüstung nach Europa geschickt haben. Auch Georg Baselitz ist damals in den Anbetungsmodus verfallen, aber in seiner Bewunderung nicht erstarrt. Bekennender Amerikaner würde er nicht werden. Das stand fest. Und wenn das Heil auch im Rausch sublimer Ungegenständlichkeit läge, dann würde er es noch einmal mit der Figur versuchen.

Von wegen Versuch. Es ging gleich heftig los. So heftig, dass man noch immer verwundert vor diesen malerischen Schlammpanschereien verharrt, vor den Orgien der Hässlichkeit, auch wenn sie längst eingetrocknet sind und an der Wand wie stumm gewordene Erinnerungen hängen. Und nichts anderes fällt einem vor den grauslichen „Fuß“-Bildern ein als die uralte Erfahrung, dass wohl jedes Werk, das den Anerkennungskampf nicht gescheut hat, irgendwann seinen Urschrei loswerden musste.

So großartig der surreale Auftakt, so großartig das Spätwerk, das mit ungesehener Leichtigkeit und immer leiser werdender Wehmut das Figurenthema verklingen lässt. Mit zittriger Hand fährt der Maler den Körperlinien nach. Noch einmal sind sie ungeschützt nackt, er und seine Frau. Schatten nur noch, aber immer noch Thema, Antrieb, Motiv des unbändigen malerischen Willens. Und die Jahrzehnte, die dazwischenliegen? Ein singuläres Werk, das umso staunenswerter anmutet, als hier die Bilder zum privaten Kosmos verbunden sind und wunderbar vom alten Zwang entlastet scheinen, immer etwas behaupten und machtvoll anders sein oder martialischen Widerstand leisten zu müssen.

Martin Schwander, der Basler Kurator, der mit konzentrierter Neugier das Riesenwerk besichtigt hat und mit gutem Gespür für große Akzente durch alle Werkkapitel führt, hat sich auf Unterstützung aus buchstäblich aller Welt verlassen dürfen. Wohl nie zuvor ist eine Baselitz-Ausstellung so großzügig alimentiert worden und kann ohne auffällige Lücken noch einmal sämtliche Hauptbilder versammeln. Und doch darf man schon noch einmal kurz darüber nachdenken, warum es ausgerechnet ein Schweizer Museum ist, ein privat gesteuertes obendrein, das diese fulminante Retrospektive zustande gebracht hat.

Dass Baselitz die Stadt mag – inzwischen hat er Wohnsitz und Atelier in Basel –, dass seine ersten Ausstellungen in den frühen 70er-Jahren hier stattfanden und der damalige Leiter des Kupferstichkabinetts Dieter Koepplin zu den Museumsleuten gehörte, die dem Künstler unbeirrbar Freund geblieben sind, das alles ist bekannt und macht die große Feier plausibel. Aber es bleibt doch bemerkenswert, dass sich kein einziges deutsches Kunsthaus mit Rang und Namen zur Werkübersicht hat entschließen wollen. Und dazu ist auch kein Widerspruch, dass München und Dresden die Grafik ausbreiten. Der Maler steht bis heute in seltsamem öffentlichen Verdacht. Nicht einmal zur Übernahme der Ausstellung war man bereit. Sie wandert noch ins Hirshhorn Museum nach Washington. Und das war es denn auch.

Andererseits bietet der 80. natürlich großartige Möglichkeiten zum publizistischen Coup. Man bittet den Maler zum Interview und weiß genau, dass man ihn nicht lange bitten muss und dass er sich prompt wieder in jeder Meinungsfalle verfangen wird, die man vor ihm versteckt. Also verzapft er seinen Politschmarrn und bestätigt alle, die dem eitlen Außenseiter des Kunstbetriebs nie über den Weg getraut haben und in seinem Weltruhm nie etwas anderes als übelste Machinationen seiner verschworenen Entourage entdecken wollten. Wahr ist, Georg Baselitz hat geredet, wie man nicht redet, und er hat gemalt, wie man nicht malt. Aufs Ganze gesehen hat er wunderbar gegen die Genusskonventionen verstoßen, wie sie der gedämpfte deutsche Hedonismus von einem Jahrzehnt ans nächste weiterreicht. Etwas Besseres kann man über einen 80-jährigen Maler nicht sagen. Also noch einmal: Fahrt nach Basel! Für die Ächter willkommene Nachhilfe. Für die Freunde das allerschönste Geburtstagsfest.
„Georg Baselitz – Gemälde und Skulpturen“, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel; „Georg Baselitz – Werke auf Papier“, Kunstmuseum Basel. Bis zum 29. April




... mit fünf fingern "ich" sagen ... - zum tag der handschrift ...

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TAG DER HANDSCHRIFT :


VON TILMAN ALLERT - F.A.Z.


Die anstrengende Übung, mit fünf Fingern „Ich“ zu sagen: Heute werden Schüler angehalten, nur noch auf der Tastatur zu schreiben. Was für ein Fehler! Ein Plädoyer zum Internationalen Tag der Handschrift.

In jüngster Zeit melden sich wissenschaftliche Stimmen, die den Schulen empfehlen, auf das Einüben der Handschrift als unzeitgemäß zu verzichten. Die Finger sollten vielmehr frühzeitig auf das Handhaben von Tastaturen trainiert werden. In den Lehrplänen der Grundschulen ist seit Längerem schon das Üben des Schreibens zwar vorgesehen, benotet wird es hingegen nicht mehr. Die Frage nach einer verbindlichen Grundschrift oder einem Standard, der früher Schulausgangsschrift genannt wurde, ist strittig und Ländersache.

Der heutige Internationale Tag der Handschrift bietet also Anlass zum Nachdenken. So wie Kinder Märchen brauchen, so wie sie im Mythischen ein frühes Zuhause finden, so reifen sie im Ausprobieren ihres sensomotorischen Vermögens, gewinnt ihr Selbstwertgefühl im Umgang mit dem Stift, mit dem sie die ersten Linien ziehen. Beim Schreiben lernen sie, Verbindungen zu erzeugen und im Überwinden fragmentierter Wahrnehmung der Sensation eines eigenen Signums nachzuspüren. Die Bildung der Handschrift ist ein Juwel aus den frühen Zeiten einer entstehenden personalen Identität, Zeichen einer großen Ernsthaftigkeit, einer wachsenden Zuversicht in ein elementares Vermögen auf dem Weg zu dem, was die Erwachsenen schon können.

Aus den mannigfach kopierten großen und kleinen Buchstaben, einem Dickicht aus Bögen und Haken, von Strichen und Linien, zu Schleifen und Kreisen gezogen, bahnt sich die eigene Handschrift allmählich ihren Weg in das Universum der geschriebenen Sprache. En passant drängt sie sich in die tägliche Kletterei mit Stift und Papier, die Übergänge von einem zum anderen Buchstaben nutzt die Handschrift als Gelegenheiten für den beginnenden Eigensinn. So vollzieht sich ihr Auftritt kaum bemerkt. Während des Kopierens bringt sie sich ins Spiel, wenn die Finger unter der kalligraphischen Perfektion, die von der Vorlage angemahnt wird, zu verkrampfen beginnen. Statt Erschöpfung mag sich auch eine Portion Mut in die Bewegung der Hand mischen. Aus dem ein oder anderen Ausrutscher wird ein Schlenker, so dass sich unter der strengen Regie des Schönschreibens Spuren von Lässigkeit ins Gewissenhafte mogeln.

Kirchenbucheintragung um 1760

Angestrengt konzentriert wird Zeile für Zeile mit neuen Versuchen gefüllt und das soeben Entstandene mit dem Vorherigen verglichen. Das Wiederholen ist willkommen, schließlich stellt es in Aussicht, das Zeitalter der unbeholfenen Krakeleien hinter sich zu lassen. Im Gehorsam gegenüber dem Exerzitium meldet sich zaghaft ein Augenzwinkern, zunächst noch mit banger Rückkehr zum Rigorosen beim Ziehen der Linie, sogar erleichtert, weil die Lust unendlich ist, sich in dem zu verlieren, was von anderen vorgegeben wurde. Schreibend siegt das Unbekümmerte über die Vorsicht, und die Demut vor den Konventionen, zu der Eltern und Lehrer stellvertretend anhalten, wird vom Übermut überrannt. Ja, das Schreiben bildet Nuancen aus, in denen man sich fortan wiedererkennt, zunächst respektvoll dann schwungvoll beinahe virtuos – die eigene Handschrift: ein Kompromiss, den man dem Kampf zwischen Fügsamkeit und Ungehorsam abgerungen hat.

Erste Schwungübungen zum Schreibenlernen
Das Schreibenlernen unterliegt insofern einer ungeheuren seelischen Dynamik. Nicht nur der Linie und des konzentrierten Auf und Ab der Bögen wegen, sondern auch deshalb, weil im Vorgang der Gewöhnung die eine Hand die andere ziehen lassen muss und ihr eine motorische Spezialisierung einräumt, einen später nie aufholbaren Vorrang, mit Narben in den Fällen, in denen die eingespielten Gewohnheiten sich gegen das Verlangte sperren.

Das eigene Schreiben spiegelt dem Schreiber ein komplexes Erleben. Es erschließt den Sinn der Welt in eigener Fasson. Kaum, dass es entstanden ist, ist es auf Bewährung aus. Auf Zetteln, die pedantisch verwahrt werden, auf Kassibern an die Freunde, in Bekenntnissen an die erste Liebe verschickt, und sehnsüchtig an das Ende der ersten Wunschzettel gesetzt, auf Postkarten von ein paar Tagen Schulausflug mit ausführlichem Bericht über das Wetter am Ort bis hin zu den ersten Seiten des Poesiealbums, der demonstrativen Einladung an die Eltern und Geschwister, an alle besten Freunde. Stets folgt die Übung demselben Ziel, schwarz auf weiß beglaubigt, mit dem Anspruch aufzutreten, ernst genommen zu werden.

Ein Schriftkundiger zu werden, darin liegt die Sensation, die das Kind im eigenen Schreiben erlebt. Ein Schreiben, das sich fortan auf alles erstreckt, das mit Hilfe der gelehrig gewordenen Hand mitzuteilen ist. Als dessen Krönung, in unendlichen Versuchen geprüft und im Laufe der Zeit von Resten der Unbeholfenheit befreit, wird schließlich die Signatur gefeiert, Vorname und Nachname, die Schrift gewordene Fanfare des „Ich bin“, die Jahre später, versehen mit den Spuren des beruflichen Lebens – zwischen routiniert und angeberisch – unzählige Variationen durchlaufen wird. Das Schreiben, das erste große Joint Venture von Auge und Hand, verleiht Bedeutsamkeit, die leere Seite ist ein festlich heller Saal, der den Schreiber empfängt.

Mehr noch: Das eigene Selbst graphologisch ausweisen zu können lässt die ungeheure Kraft einer Geste erahnen, sich mit Geschriebenem Gehör zu verschaffen. Man ist mithin, selbst wenn man abwesend ist, anwesend. Die eigene Handschrift eine Vorstufe der Gelehrtheit, ein Pour le mérite.

Quelle: F.A.Z.
Handschrift eines deutschen Pfarrers in Ungarn - um 1940

ja - geht's noch ...???

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... und neulich in den usa hat auch niemand daran geglaubt, dass donald präsident würde ...
ja - geht's noch ... ???

Manchmal glaube ich, dass die Medien ihren Anteil am unaufhaltsamen AfD-Erfolg haben - auch wenn sie das vielleicht gar nicht beabsichtigen.

Aber sie schreiben oft Szenarien herbei, die erst durch ihre Veröffentlichung dann ins Bewusstsein dringen - und einen Sog auslösen.

Das haben sich die Redakteure von der Werbepsychologie vielleicht auch nur unbewusst abgeguckt - und für Werbeinnahmen schreiben sie ja - damit die Auflage und das Anclick-Verhalten auch stimmen. 

Der nach eigenem Bekunden "linke" Jakob Augstein hat diesen "Volkspartei"-Floh ja in seiner Spiegel-Kolumne (Motto: Im Zweifel links) uns - vielleicht warnend gemeint - brühwarm ins Ohr gesetzt - und vor Augen geführt ...

Aber so ist das mit den Selbsterfüllenden Prophezeiungen":  Anfänglich ist es eine falsche Bestimmung der Situation, die aber ein neues Verhalten auslöst, das bewirkt, dass die ursprünglich falsche Auffassung schleichend immer richtiger wird. 

"Die vordergründige Gültigkeit der selbsterfüllenden Prophezeiung führt eine Herrschaft des Irrtums fort. Denn der Prophet wird den tatsächlichen Gang der Dinge als Beweis dafür anführen, dass er von Anfang an recht hatte.“(Robert K. Merton, The self-fulfilling prophecy).

Jedwede öffentliche Verbreitung von Vorhersagen oder auch von Warnhinweisen vor möglichen Ereignissen kann zu erwünschten oder unerwünschten Änderungen in den Verhaltensweisen der Empfänger dieser Informationen führen, die selber den prognostischen Gehalt dieser Informationen verstärken oder reduzieren. Am bekanntesten ist diese Erscheinung bei Wahlprognosen, weshalb Wahlumfragen kurz vor dem Wahltermin in vielen Staaten gesetzlich untersagt sind.

Wenn ein Verbraucher seine Präferenzen für ein bestimmtes Gut verändert, nur weil er die Konsumpräferenzen anderer Verbraucher beobachten kann, so wird dieser soziale Effekt in der Mikroökonomie als Mitläufereffekt bezeichnet.Ein entsprechendes Anlegerverhalten bei der Börse wird auch „Herdenverhalten“ genannt. (aus WIKIPEDIA)

Ich weiß auch keine Lösung für solch eine dumpf blökende Masse, die wie die Lemminge einfach ins Verderben rennt ...: Schwarmverhalten - Gruppendynamik - self-fulfilling prophecy: Vielleicht müssen wir dadurch, um dahinter dann wieder den Sonnenschein wahrzunehmen: das ist wie beim Winter - danach kommt erst der Frühling: der Weg dahin - ist immer erst der Weg dadurch ... - S!


P.S.:  Manchmal geht das Auf und Nieder relativ schnell - vielleicht erinnert ihr euch noch an die Beliebtheitswerte von Martin Schulz und der SPD vor einem Jahr ...



ja - geht's noch ???: hexenverbrennung - bücherverbrennung - poesie-fassadenübermalung - update jetzt mit exkurs zur "konkreten kunst"

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Der "sexistische" Text des Gedichts „avenidas“ von Eugen Gomringer lautet auf Deutsch: 

Alleen  
Alleen und Blumen

Blumen 
Blumen und Frauen 

Alleen 
Alleen und Frauen

Alleen und Blumen und Frauen 
und ein Bewunderer. 


An der Hochschule steht der spanische Originaltext.



Eugen Gomringer, einer der Begründer der 'Konkreten Poesie' muss mit 93 Jahren erleben, wie eins seiner Schlüsselwerke der schwadronierenden Zeitgeist-Wut anheimfällt - foto: nach iconnote.blogspot.com


BEGRÜNDER DER KONKRETEN POESIE

Der Schriftsteller Eugen Gomringer, Sohn eines Schweizers und einer Bolivianerin, wurde vor 93 Jahren in Bolivien geboren. Er gilt als Begründer der Konkreten Poesie. Sein Gedicht „avenidas“ ist für ihn ein Schlüsseltext. Eugen Gomringer lebt in Rehau, Oberfranken.

Die Alice-Salomon-Hochschule vergibt seit dem WS 2006/2007 einen Poetikpreis, Eugen Gomringer erhielt diesen 2011. Er schenkte der Hochschule daraufhin das Gedicht, das diese an ihrer Fassade zur Geltung brachte. 2016 beklagte sich der Asta in einem Offenen Brief darüber.


ALICE SALOMON POETIK PREIS

Mit der Einführung des ersten Masterstudiengangs "Biografisches und Kreatives Schreiben" in Deutschland im Wintersemester 2006/07 vergab die Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) erstmalig den Alice Salomon Poetik Preis. 

Der Preis ist mit einer Alice Salomon Poetik Dozentur verbunden und wird alle zwei Jahre an Künstlerinnen und Künstler vergeben, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie akustischen Künste beitragen und dabei immer interdisziplinär arbeiten und wirken. Der Preis ist mit 6.000 Euro dotiert.


Der Masterstudiengang "Biografisches und Kreatives Schreiben" greift die in den USA erforschten gesundheitsfördernden Wirkungen und kreativen Potentiale des Schreibens auf. Er befähigt Studierende Schreibtrainings durchzuführen und mit Schreibgruppen biografisch zu arbeiten.





Gomringer-Gedicht: 

Die Alice-Salomon-Hochschule entscheidet gegen die Kunst

"Alice-Salomon-Hochschule entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade“ ist die Pressemitteilung überschrieben, mit der die Hochschule am Dienstag ihre Entscheidung bekanntgibt, das Eugen-Gomringer-Gedicht von dieser Fassade zu tilgen.

Der Akademische Senat, bestehend aus Hochschulprofessoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern, solchen aus der Verwaltung sowie Studentenvertretern, hatte am Vormittag entsprechend abgestimmt. Künftig soll ein Gedicht der Lyrikerin Barbara Köhler die Fassade zieren. Köhler ist wie Gomringer Trägerin des Poetikpreises, den die Hochschule in Hellersdorf seit einigen Jahren vergibt.

Der Abstimmung vorausgegangen sei ein Beschluss der Hochschule, die Fassade neu zu gestalten und anschließend ein demokratischer Prozess, heißt es weiter. Kein Wort über die heftige öffentliche Diskussion über das Gedicht, kein Wort von Sexismus, von Zensurvorwürfen gegen die Hochschule, von der Freiheit der Kunst.

Den Ball flach halten, lautet offenbar die Devise: 
  • Es muss renoviert werden, und das kann man doch als Gelegenheit nutzen, mal ein anderen Preisträgertext zu präsentieren. Das ist der Tenor. Gomringers Text werde ja auf einer Tafel an der Fassade angebracht. Kein Wort von einem Dissenz mit dem Dichter. Dabei gibt es diesen sehr wohl.

„Ich bin entsetzt“

„Wir sind schon traurig“, ist der erste Satz seiner Frau am Telefon. Der Dichter lebt mit seiner Familie im oberfränkischen Rehau. Am 20. Januar ist er 93 Jahre alt geworden. Dann spricht Gomringer. „Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst.“ Ende der Woche will er sich mit seinem Anwalt beraten. Müsse es weg, solle das Gedicht weiterhin auf einem Plakat an der Hochschulwand präsentiert werden, fordert er, dazu ein Plakat mit einer klaren Begründung der Entfernung in deutscher und englischer Sprache.

Gomringer verschickte am Mittwoch noch einen Kommentar in Gedichtform, darin heißt es: „vielen Bürgerinnen und Bürgern/ Freundinnen und Freunden/ der Dichtkunst/ sind Begründung und/ Eingriff in das/ Verhältnis im sozialen Leben/ zu Kunst und Poesie unverständlich/ und unverantwortlich“. Dann erzählt er noch von seiner Geburtstagstorte. Seine Tochter, die Dichterin Nora Gomringer, hatte sie mit dem Fassadengedicht verziert.

„Ich bin entsetzt“, sagt Thomas Wohlfahrt, der Leiter des Hauses für Poesie in Berlin, das mit der Hochschule bei der Vergabe des Poetikpreises kooperiert. Bisher jedenfalls. Denn die Kooperation will Wohlfahrt aufkündigen. „Der Künstler ist beschädigt, der Preis ist denunziert.“ Und die Frage ist ja tatsächlich, welcher Autor die Auszeichnung in Zukunft noch entgegennehmen würde.

"Klassische patriarchale Kunsttradition"

So schön könne die Welt sein, wenn man sie sich schönredet, sagte Wohlfahrt noch in Bezug auf die Mitteilung der Hochschule. Wie wahr. Denn angefangen hat alles ja keineswegs mit einem Renovierungsvorhaben, sondern mit einem Sexismusvorwurf gegen das Gedicht, einem Unwohlsein der in der Mehrheit weiblichen Studenten an dieser Hochschule, die Sozialarbeiter ausbildet, Kindheitspädagogen, Pflegemanager.

Der Asta hatte 2016 einen Offenen Brief geschrieben: Das Gedicht reproduziere „eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind“. Die Studenten bezogen sich auf die neben der Hochschule gelegene U-Bahnstation, den Platz vor der Hochschule. Frauen fühlten sich hier oft unwohl, Station und Platz seien vor allem zu späterer Stunde männlich dominiert. „Dieses Gedicht dabei anzuschauen, wirkt wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können.“

Eine Entscheidung gegen die Kunst

Welcher Text von Barbara Köhler die Fassade ab Herbst 2018 ziert, wurde nicht bekanntgegeben. Die Lyrikerin hatte der ASH bei einer Podiumsdiskussion im November angeboten, ihr eines ihrer Gedichte zu schenken. „Ich möchte meinen Vorschlag als etwas verstanden wissen, das neben das demokratische Prozedere die Kunst setzt“, sagte sie. Was damals wie eine ironische Spitze gegen ein demokratisches Verfahren mit dem Ziel der Tilgung eines Gedichts wirkte, war wohl erschreckenderweise ernst gemeint.

Die Entscheidung der Alice-Salomon-Hochschule ist keine Entscheidung für die Kunst, es ist eine nicht nachvollziehbare Ermächtigung von Menschen, die alles auf sich beziehen, denen eine Assoziation genügt, um etwas unter Diskriminierungsverdacht zu stellen.

Im Licht der #MeToo-Debatte erscheint einem das Austragen des Machtkampfs zwischen den Geschlechtern anhand eines Gedichts noch absurder. Die Entscheidung ist keine für die Kunst, es ist eine gegen die Kunst, die doch eine Tochter der Freiheit ist.


– Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/29546600©2018

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im mittelalter war es die hexenverbrennung, im "dritten reich" verbrannte man die bücher unliebsam gewordener schriftsteller - und 2018 wird ein unschuldiges luftig und schön gestaltetes gedicht der "konkreten poesie" an einer hochschulfassade in berlin übermalt, weil es von irgendwelchen verbrämten engstirnigen "kunstbanaus-inn-en" auf den "gender"-index gesetzt wurde - weil man glaubt - kulturelle kunst-entwicklung mit fassadenfarbe übertünchen zu können ... - das ist unfassbar - das ist kulturell-künstlerische geschichtsklitterung ... - ja das ist schon eine kulturschande ...

die namenspatronin der hochschule, alice salomon, hat selbst herabwürdigungen durch andersdenkende in deutschland aber auch in den usa erlebt: 1933 hatten die nationalsozialisten die international bekannte wegbereiterin sozialer arbeit aus allen öffentlichen ämtern gedrängt. vier jahre später wurde die inzwischen 65-jährige nach verhören durch die gestapo zur emigration gezwungen.
  • ihre jüdische Herkunft,
  • ihre christlich-humanistischen ideen,
  • ihr eintreten für eine pluralistische berufsarbeit,
  • ihr offener pazifismus,
  • ihr internationales auftreten 
waren sicherlich dafür die motive.

sie emigrierte über england in die usa und lebte zurückgezogen dort in new york. 1939 wurden ihr dort die beiden doktortitel aberkannt. in der neuen heimat konnte alice salomon ihre berufliche karriere nicht fortsetzen. sie konnte ihre autobiografie, begleitet von vertröstungen, zusagen und absagen, dort zu lebzeiten nicht mehr veröffentlichen - und erst im Jahr 1983 gelang das dann wieder in deutschland - 35 jahre nach ihrem recht einsamen tod in den usa.

und an einer hochschule mit dieser namenspatronin erdreistet man sich nun, dies "schlüsselwerk der konkreten poesie" (gomringer) als erzeugnis aus "einer klassischen patriarchalen kunsttradition," zu bezeichnen "in der frauen ausschließlich die schönen musen sind“ ... - ja - allmählich sieht man und frau sie tatsächlich kommen": das gedicht entstand 1951 - 6 jahre nach dem 2. weltkrieg: die frauen mussten sich damals noch eine "arbeitserlaubnis" von ihrem ehemann holen - und es gab kaum ausbildungsberufe für frauen - sie durften eventuell am band serienfertigung verrichten oder vielleicht noch als trümmerfrauen mit aufräumen und aufbauen - adolf hitler wenigstens hatte den frauen noch kurz zuvor ihre rolle in der küche am herd und in der kindererziehung fest zugeschrieben, sie sollten bewusst nicht in die "arbeitsdomäne" des mannes eindringen ... - 

und all dieser tatsächliche horror war erst 6 jahre her - und wenn man sich dann den übersetzten text mal interessehalber durch eine andere brille betrachtet, sind ihm doch viele gleichberechtigte und emanzipatorische, freiheitliche züge durchaus immanent - obwohl die wortbedeutung und die übersetzung bei einer "konkreten poesie-arbeit"überhaupt keine rolle spielen: die dort genannten "frauen" hocken nämlich nicht hinterm ofen und erziehen voller unterwürfiger inbrunst ihre kinder, während der mann vielleicht draußen in der welt sich ergeht und arbeitet: die frauen in dem übersetzten gomringer-text flanieren ganz selbstverständlich über die von trümmern geräumten straßen und alleen - und nehmen teil, haben sich die welt selbstverständlich und gleichberechtigt erobert und aufgeräumt - und bleiben trotzdem in dieser ihrer eroberung und alltags-emanzipation so schön wie die blüten der blumen - immer noch oder eben vielleicht - auch als vertriebene und heimatlose nach dem krieg oder warten eben noch auf den mann, bis der hoffentlich aus der kriegsgefangeschaft heimkehrt - ja - wenn ich als schnöder mann überhaupt dieses attribut "schöne frau" nochverwenden darf - aber "das wird man ja wohl noch sagen dürfen" ... - bei der entstehung des gedichtes war ich immerhin schon 4 jahre alt - 

aber - 

ich weiß gar nicht, ob das gedicht jemals aus seinem kunsthistorischen kontext heraus betrachtet und "analysiert" wurde - aber es ist ja eine hochschule, die sich auch mit "kreativem schreiben" beschäftigt - und von daher ihren "poetik-preis" vergibt.

das gedicht "avenidas" ist ja ein beitrag aus der "konkreten poesie"

die konkrete poesie ist eine avantgardistische strömung der literatur, welche sich mit experimenteller dichtung befasst. die konkrete poesie versucht, die sprachlichen elemente aus ihrem sinn zu lösen. unterscheiden lassen sich dabei akustische dichtung (wort-wiederholungen - vielleicht rhytmisch intoniert - wie "avenidas-avenida") ... und auch visuelle poesie: dabei werden oft wort-"spielereien" aus ihrem zusammenhang geholt und auch typo-grafisch besonders angeordnet - z.b als runde endlos-nonsens-lautmalereien usw. 

wörter, buchstaben oder satzzeichen werden aus dem zusammenhang der sprache herausgelöst und treten dem betrachter „konkret“, d. h. für sich selbst stehend, gegenüber. diese sprachliche demonstration soll ein gegenpol zur sprachlichen reizüberflutung sein. 

der spanische text steht also ohne jede sinnübersetzung als neutrale lautmalerei dort an der wand: "avenidas" ist avenidas ist avenidas und bleibt avenidas - und hat mit "alleen" oder "straßen" erst einmal gar nichts gemein - "flores" hat nichts mit "blumen" zu tun, sondern bleiben flores - und "mujeres" sind nicht etwa "frauen" - sondern einfach mujeres: also - worüber regen sich diese beleidigten möchtegern-expert-inn-en auf ? - 

was ist in deutschland - in berlin - an der fassade einer hochschule, die sich auch mit "kreativem schreiben" beschäftigt, mit den zusammengesetzten buchstaben m-u-j-e-r-e-s "sexistisch"??? - nein: das erst einmal völlig abstrakte wort "mujeres" ist diesmal alles aber gerade nicht eine "schöne muse" - sondern einfach "mʊ'xeɾɛs" - nicht mehr - und nicht weniger - und so können wir das gesamte gedicht laut für laut durchdeklinieren: das ist "konkrete poesie" - kerl/frau mensch nochmal - wenn du verstehst was ich meine - 
aber das sollte ja an einer hochschule möglich sein ... - liebe frauen - so leid es mir vielleicht tut - aber ihr seid diesmal gar nicht gemeint - es macht euch niemand an: 
da ergibt sich an der fassade aus m-u-j-e-r-e-s - wenn - ja wenn man es ausspricht: "mʊ'xeɾɛs" - da ist nichts anzügliches, doppeldeutiges, das hat keine hintergedanken - das ist zunächst nur reine lautmalerei: da könnte auch "muh-kuh" stehen oder "straßenbahn-schaffner" oder ganz ein fach: "bö - bö-wö-rö-pö" ...

um noch einmal auf die historische einordnung zurückzukommen: gleichzeitig mit der "konkreten poesie" entwickelte sich auch die "konkrete malerei" - eng verwandt mit der "informel-malerei" - besonders auch in deutschland. 

direkt nach dem krieg musste man gerade auch durch solche experimentelle avantgardistische - eben oft ungegenständliche (!) abstrakte (!) kunst die "realistische" sinnlich-figürliche - tatsächlich oft frauen herabsetzende - üppig gegenständlich schwelgende ns-kunst überwinden:  und deshalb auch im gomringer-gedicht für den nicht-spanier im vorübereilen an der fassade erst einmal eine "abstrakte sprache" in "abstrakten" zeichen, die aber buchstaben sein könnten ...).

gomringer war eine zeitlang auch der sekretär des konkreten malers max bill, von dessen kunst-philosophie er bestimmt beeinflusst war - und umgekehrt.

um auch bildlich (ein bild sagt mehr als 1000 worte) das gedicht "avenidas" richtig zu verstehen und einzuordnen - besonders auch aus seinem kontext heraus - hier noch einmal hoffentlich erläuternde 3 bildbeispiele:


das gedicht entstand 1951 - da waren solche straßenbilder wie hier gerade vielleicht mal überwunden in den großstäden:  und da schwirrten dann vielleicht vokabeln wie "avenidas" im kopf herum ...



ein werk des informel-künstlers hann trier, 1956 - es geht nicht mehr darum: was will uns dieses bild  "sagen" - 
sondern es geht um den duktus der zeichen und ihre ausstrahlung ...




hier ein ausstellungsplakat vom konkreten bild-künstler max bill, der mit gomringer zusammenarbeitete: die flächen und zeichen strukturen sich zu mustern, die sich durchdringen und verschlingen: wer denkt da an dreiecke und karo ???















daduic (tdats) - bitte sagen sie jetzt nichts, hildegard - mir kommt das alles spanisch vor ...

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ähhh - wie war das jetzt nochmal: alleen und blumen und frauen und ein bewunderer - also - das kommt mir aber spanisch vor - und dann noch rückwärts .... S!|concrete poetic|ImageChef.com

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