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angeschwollen

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S!|art: singender teutscher rehbock durch ein schwellglas betrachtet




Botho Strauß

Eine merkwürdige Wiederbegegnung

Was bleibt von Botho Strauß’ "Anschwellendem Bocksgesang", 25 Jahre nach seinem Erscheinen?

Von Iris Radisch | DIE ZEIT

Als am Montag, den 8. Februar 1993 der Essay Anschwellender Bocksgesang von Botho Strauß im Spiegel erschien, haben wir noch mit dem Festnetztelefon telefoniert. Die Mauer war seit drei Jahren gefallen, aber Martin Walser und Günter Grass schrieben noch immer abwechselnd die Aufmacher in den Feuilletons. Karl-Heinz Bohrer beklagte sich aus Paris über die provinzielle und langweilige Bundesrepublik. Die Wörter Jägerzaun und Mainzelmännchen spielten dabei eine heute schwer verständliche Schurkenrolle. Im Westen also nicht viel Neues. Rechts und links, hieß es schon damals, spielten keine Rolle mehr. Das Zeitalter der Ideologien sei vorbei. Ein neu aufgetauchtes Wunderpräfix fegte alles weg, was jetzt noch störte: Man war postideologisch, posthistorisch, postmetaphysisch, postheroisch. Vier kleine Buchstäblein, die wie eine Partydroge wirkten und alles ehemals schlecht Gedachte, schlecht Gemeinte und schlecht Aussehende neutralisierten.

Der legendäre Essay aus der Feder eines der bedeutendsten deutschen Nachkriegsautoren platzte in diese kindische Tranquilizerstimmung der Neunziger. Das war gut. Nicht so gut war, dass Strauß statt mit heiltherapeutischen Präfixen mit unförmigen Wortklumpen aus der männlichen Vorgeschichte hantierte und die in Deutschland angeblich real bevorstehende Wiederkehr von Mysterienlärm, Verhängnis und Blutopfer vorhersagte. Solche Vokabeln waren in unserem Deutschunterricht nicht vorgekommen. Strauß kritisierte das. Die Bundesrepublik, klagte er, moderiere alles Große und Tragische weg. Er hielt sie für ein Gartenzwergparadies, dessen vergnügungssüchtige Insassen nicht merkten, dass sie in einer Wohlfühl-Hölle schmorten. Und wer war schuld? Die Demokratie als Ganze oder nur die sozialdemokratischen Pfeifen, die sie zu Tode verwalteten? Das blieb im Dunkeln und bot Debattenstoff für unzählige Sammelbände. Hauptangeklagte waren schon damals die Medien als Agenten des verlogenen linksliberalen Verblendungszusammenhangs. Lügenpresse avant la lettre: Das "elektronische Schaugewerbe" zeige die Welt in "dem äußersten Illusionismus, der überhaupt möglich ist". Dagegen stand in heldenhafter Klagepose über einem Meer von medial Verblendeten doch wieder: der "Rechte". Ein einsamer Mann, der die Zeitalter überblickte.

25 Jahre später entdeckt man in dem berühmten Essay einen Schlüsseltext für die nach intellektuellen Stahlgewittern dürstenden angeblich neuen Rechten. Aber auch einen rührend vergeblichen Fall von Mansplaining. Seine untergangslüsternen Prophezeiungen sind in Deutschland nicht wahr geworden. Sein politischer Existenzialismus blieb ein Erdbeben im Feuilleton, Sonderabteilung wehmütige Männerblütenträume aus dem Frakturzeitalter.



ZDF - 25 Jahre "Anschwellender Bocksgesang" Die Neue Rechte nimmt Botho Strauß'"Spiegel"-Essay vom 8. Februar 1993, "Anschwellender Bocksgesang" gerne für sich in Anspruch. Traf das damals den Kern des Essays?

S!NEDi|graphic nach einem Ursprungsfoto von © Jean-Christian Bourcart/Rapho/laif - ZEIT

obwohl ich vor 25 jahren den "anschwellenden bocksgesang" durchaus mitbekam - und ich mich bemüht habe, ihn mir damals "reinzuziehen", verstand und verstehe ich bis heute eigentlich nur "bahnhof". der bocksgesang ist in meinen aufnahmeaggregaten nur ein intellektuellen-geschwafel, das mir zu "angeschwollen" daherkommt, so dass für mich der autor ganz in echt damals nichts als einen bock geschossen hatte ...

jedenfalls muss ich fast jede zeile in meine alltagssprache im kopf rückübersetzen - und kann deshalb immer nur ahnen, was er meint - damals wie heute ... und ob der text eine "weise" vorausahnung der doch wesentlich platter daherkommenden heutigen realen "rechten scene" mit afd und pegida ist ... ???

zweifellos hat botho strauß damals gegen alle trends auf eine entwicklung aufmerksam gemacht, die mit der "wiedervereinigung" beider deutscher staaten allmählich wie eine nicht behandelte chronische wundrose in den fokus geriet: denn wo es "links" gibt - da gibt es eben auch in deutschland immer noch ein "rechts" - und die von väterchen franz-josef degenhardt schon vormals besungenen "totgesagten" lebten tatsächlich noch im "innern des landes" - hier: hauptsächlich im osten - diese ewig braune brut ... 

"der schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" warnte schon bertolt brecht vor über 50 jahren zuvor in seinem theaterstück "der aufhaltsame aufstieg des arturo ui": dort im osten vornehmlich, in der ddr, war nämlich die heute so geschmähte 68-er "revolution" ausgeblieben, denn rudi dutschke hatte ja rechtzeitig "rüber gemacht": die 68-er: das kollektive pubertäre reifwerden mit dem lautstarlen aufmucken gegen die alten und gegen das alte - und deshalb konnte dort "drüben" verstärkt die braune soße so vor sich hin hindumpfen auch als heimliche abwehr zum sed-staat...: das schnupperte ein botho strauß bereits, ehe es denn wie heute bereits "zum himmel stinkt" - und botho strauß führte diese mutmaßungen scheinbar recht gescheid verquast in seinem essay bewusst oder unbewusst in jedem falle hellsichtig aus - aber in solchen metaphern versteckt, dass man das - wenn überhaupt - nur mühsam im text erahnen konnte.

wahllos zunächst habe ich mal (und dann auch noch vom inhalt her irgendwie passend zum aschermittwoch ...) ein paar zeilen herauskopiert (oben und hier ist das original-machwerk verlinkt) - um zu zeigen, was ich meine:
- Selbstverständlich muß man grimmig sein dürfen gegen den "Typus" des Deutschen als Repräsentanten der Bevölkerungsmehrheit. Die Würde der bettelnden Zigeunerin sehe ich auf den ersten Blick. Nach der Würde - ach, Leihfloskel vom Fürstenhof! - meines deformierten, vergnügungslärmigen Landsmannes in der Gesamtheit seiner Anspruchsunverschämtheit muß ich lange, wenn nicht vergeblich suchen. - 
und außerdem sagt man inzwischen ja gar nicht mehr "zigeunerin" - sondern political correct heißt das inzwischen mindestens: "die würde der bettelnden sinti- oder roma-frau ..." - und das ist aber sicherlich auch nur wieder eine"leihfloskel vom fürstenhof!"  - fürstenhof ??? 1993 ??? - wo ist der denn da gewesen - ich kenne nur ein hotel gleichen namens - vielleicht war das aber auch die verraucht vergilbte kneipe, die wegen mangelndem bierkonsum längst geschlossen hat ... - von wegen "stammtischparolen" ...

und angesichts der bodenständigeren strammrechten texte und reden der rechtspopulistischen ideologen-"mann"schaft heutzutage fliegt botho strauß mit seinem abgehobenen sprachstil drohnenhaft zimperlich mindestens 1,20 m über der grasnarbe und dem dazwischen verwelkenden laubblättern der teutschen eiche vom letzten "deutschen herbst" bzw. dem letzten sturmtief mit dem schönen schlichten teutschen vornamen: friederike ...  - und besser ist es, den kopf einzuziehen, damit der anschwellende bocksgesang sich mir nicht um die ohren haut ... - beim (hoffentlich) darüberfliegen -S!

p.s.: ich weiß gar nicht, ob etwa der henryk m. broder ... - aber warum fällt der mir justement hierzu ein ...???

schirn/ffm: basquiat | 16.02. - 27.05.

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BASQUIAT. BOOM FOR REAL

16. FEBRUAR BIS 27. MAI 2018

Im New York der 1970er-Jahre hinter­ließ Jean-Michel Basquiat auf Häuser­wän­den Graf­fiti-Nach­rich­ten, colla­gierte Base­ball- und Post­kar­ten, kreierte seine eigene Klei­dung, malte auf Türen, Fens­ter­rah­men und auf riesi­gen Lein­wän­den. Heute zählt Basquiat (1960–1988) zu den bedeu­tends­ten Malern des 20. Jahr­hun­derts. Aus der sich im Lower Manhat­tan versam­meln­den Kunst­szene des Post-Punk-Under­ground kommend, eroberte das Wunder­kind ohne akade­mi­sche Ausbil­dung die Kunst­welt. Er arbei­tete mit Künst­ler­freun­den wie etwa Andy Warhol, Keith Haring oder auch Blon­die zusam­men.1982 erhielt er als bislang jüngs­ter Teil­neh­mer der Docu­menta inter­na­tio­nale Aner­ken­nung.

Basqui­ats leben­dige, rohe Bilder­welt entspringt einer Bele­sen­heit, die sich in großen Schrift- und Text­frag­men­ten durch das gesamte Werk zieht. Mehr als 30 Jahre nach Basqui­ats letz­ter Präsen­ta­tion in einer öffent­li­chen Samm­lung in Deutsch­land widmet die SCHIRN dem Werk des US-ameri­ka­ni­schen Ausnah­me­künst­lers eine große Einzel­aus­stel­lung und zeigt eine heraus­ra­gende Auswahl von über 100 Werken. Viele der Leih­ga­ben aus inter­na­tio­na­len Museen und priva­ten Samm­lun­gen waren zuvor noch nicht in Deutsch­land zu sehen. Erst­mals wird dabei auch Basqui­ats Bezie­hung zu Musik, Text, Film und Fern­se­hen in einem über­ge­ord­ne­ten kultu­rel­len Zusam­men­hang deut­lich.

Eine Ausstel­lung des Barbi­can Centre, London, in Koope­ra­tion mit der SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT

ein gut viertelstündiger bericht von der gleichen ausstellung, die schon london in der barbican art gallery gezeigt wurde.


ich mache jetzt mal reklame für eine ausstellung in der schirn in frankfurt/main. jean-michel basquiat (1960-1988) ist für mich einer der wichtigsten künstler überhaupt, ein autodidakt, der sein multitalent (basquiat schrieb auch texte und war auch musiker) als "begabung" in die wiege gelegt bekam.

trotz zum teil widriger kindheits- und jugenderlebnisse und ohne ausbildung einer stabilen sicherheits- und geborgenheitszone schrieb die "berliner zeitung" 2017 zur eröffnung der jetzigen schirn-ausstellung vor einem jahr in london: „basquiat war zu seinen lebzeiten jemand, der grenzen aufgebrochen hat. er ist der erste afro-amerikanische künstler, der zum star aufstieg.” als jüngster künstler überhaupt nahm der damals 21 jahre alte basquiat 1982 an der documenta 7 in kassel teil.

basquiat hat durch seine energie, seine einzigartige flirrend rasche linienführung und die „art, wie er wörter verwendet”, neue denkbahnen eröffnet. sein copy-und-paste-ansatz reflektiert mit unserer heutigen denkweise, heißt es zu den mit textfragmenten durchsetzten collagewerken und haben dadurch jeweils etwas hypertextuales - und dokumentiert so für mich damit geradezu "typisch" die epoche der "postmoderne" - anything goes.

mit seinen klaren aussagen zu fragen wie rassismus, kolonialismus, sozialem unrecht oder sklaverei habe basquiat dem betrachter neue Zusammenhänge eröffnet. und das ist ja heute wichtiger denn je.

ja - basquiat nahm vieles vorweg in seinen superschnell fertiggestellten arbeiten - eine bildwelt, wie sie uns heute beim surfen im internet in den sozialen medien begleitet - aber die auch in den graffities, die uns in den ballungszentren umgeben, enthalten ist. -S!

burn-out in der manga-kunst

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manga - das ist diese japanische comic-kunst, deren charakteristik mir zu allererst in den, ich glaubte damals, preiswerteren massenhaften "heidi"-comic-streifen in den 70er jahren im tv auffielen:


da sahen alle gesichter zu allen emotionen immer gleich aus - und alle trugen züge von der barbie-puppe - und die kulleraugen taten ihr übriges - alles wirkte "hei-tei-tei" ... 

manga [ˈmaŋɡa] (jap. 漫画) ist der japanische begriff für comics. für das wort „manga“ finden sich verschiedene direkte übersetzungen aus dem japanischen. darunter sind „spontan“, „impulsiv“, „ziellos“, „unwillkürlich“, „bunt gemischt“, „ungezügelt/frei“, „wunderlich/skurril“ und „unmoralisch“ für die erste silbe, die zweite bedeutet ganz einfach „bild“.

wikipedia schreibt unter dem stichwort "manga" weiter: in der kulturwissenschaft ist umstritten, zu welcher zeit der manga entstand, beziehungsweise ab welchem zeitpunkt man bei japanischen comics von manga sprechen kann. die ansichten reichen von einer ursprungssuche in der mittelalterlichen japanischen kultur mit ihren karikaturen und bildrollen über die satiren, drucke und skizzen der edo-zeit, deren heute bekanntester künstler hokusai katsushika ist, über die umbrüche in der japanischen kultur und die einflüssen des westens um 1900, als kitazawa rakuten das medium prägte, bis zu osamu tezuka, der nach dem zweiten weltkrieg neue erzählformen und themen fand. 

mir gerieten diese irgendwie - so schien es mir - elektronisch rasch durch irgendeine verfielfältigungstechnik entstandenen massen-"kunstwerke" rasch aus dem fokus. 

und erst jüngst fiel mir diese doch irgendwie gleichförmig zeichenhafte bildsprache in den figuren auf, die an die feste bedeutung japanischer kalligraphie, an schrift-zeichensprache [漫画]  erinnert. - 

und an die verwandtschaft mit unseren beliebten emojis😊👳👻 (folglich übrigens auch eine japanische erfindung) und den emoticons-zeichensetzungen [:-)] aus standardlettern-kombinationen auf der normalen tastatur: diese bildhaften zeichen, die tatsächlich "mehr als 1000 worte" sagen können - je nach situation und verwendung - und die inzwischen in der elektronischen kommunikation einen echten und fast normierten platz gefunden haben, um rasch "emotionen", gefühle mit-zu-teilen ... - über alle kultur- und sprachgrenzen oft hinweg - was ja eine global wichtige und heilende psychologische funktion für absender und empfänger bedeuten kann.

ich finde also - man muss diesen ausflug in die eigentliche comic-welt und ihrem ernsten zeichenhaften background schon unternehmen, um nun die bilder von avogado richtig in ihrer gesamten fülle aufzunehmen und zu beurteilen:

da sind zwar noch die gleichen "heidi"-gesichter - und diese tolle licht- und schatten-wirkung, die das bild fast dreidimensional plastizieren können - aber die einzelnen situationen zeichnen sich auch vor allen dingen aus durch ihre kulturübergreifenden internationalen emotions-attribute und zeichensetzungen als zutaten.

jedes psychologische standardwerk sollte sich diesen avogado zum illustrator holen: das wäre dann vielleicht prophylaxe und genesung zugleich ... - S!

68-er: die verkehrung der tatsachen

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Dazu hier mein später dann auch abgedruckter Kommentar:
Als bekennender 68-er (Jahrgang 1947) bin ich über diesen "Verriss" einer ganzen Nachkriegs-Generation tief empört - zumal der Autor Tilman Krause 1968 erst das zarte Alter von 9 Jahren erreicht hatte. 
Besonders geärgert hat mich der Satz: "Das viel beklagte „Verstummen in den Familien“, das die deutsche Gesellschaft der Vierziger- und Fünfzigerjahre noch nicht gekannt hatte, setzte mit den 68ern überhaupt erst ein!" 
Ich erforsche seit über 30 Jahren die "Euthanasie"-Ermordung meiner Tante (1922-1944), die die Familie einfach beschwieg. Erst mit den Forschungen von so puren 68-ern wie z.B. dem Autor Ernst Klee u.a., gelang es mir nach und nach, dieses Familiengeheimnis zu lüften. 
Ein weiteres Ärgernis aus diesem Konglomerat von einseitigen Unterstellungen im Artikeltext ist die Bezugnahme auf die Zeitschrift "Monat" von M. Lasky, die besonders zur Bewusstseinsbildung hätte beigetragen. 
Die Zeitschrift wurde 1971 eingestellt, nachdem die Auflage von 60.000 Expl. auf ca. 20.000 geschrumpft war und bis dahin nur mit z.T. dubiosen Geldquellen aus Amerika am Leben gehalten wurde, zur Abwehr von amerikafeindlich-kommunistischen linken Autoren - ein Propagandaerzeugnis des "Kalten Krieges" also.

Zum Original-Artikel von Tilman Krause kam dieser weitere Kommentar: 

Also - um mal etwas ganz klar zu stellen: "Die 68-er" waren 1968 so ca. 18 - 35 Jahre alt. 
Ich bin Jahrgang 1947 - und ich weiß nicht wo aus meiner Kindheitszeit eine "wirkliche Wohlstandskindergeneration" hätte heranwachsen können. 
Wir lebten zu 5. in einer notdürftig ausgebauten wohnungs-zwangsbewirtschafteten Mini-Mietwohnung von ca. 45-50 qm - mit Plumps-Toilette unten im Keller ... 
Wohlstand ???: Mein Vater verdiente 350,00 DM als Straßenbahnschaffner für uns 5 - das war unser Wohlstand ...  
Und an Werten geschaffen haben wir, dass wir heute ohne überkommenes Erbteil in Eigentums-Wohnungen leben oder gar im eigenen Häuschen mit Garten - und dabei mit pünktlich zurückgezahlten Krediten vielen Handwerkern bundesweit Brot & Arbeit ermöglicht haben. 
Mein "Marsch durch die Institutionen" ging vom kleinen Kriegsdienstverweigerer im Sozialbereich "hinauf" zum Heimleiter ... - das ist mir nicht in den Schoß gefallen ...

leben (be)schreiben

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S!|photography


Schläft ein Lied in allen Dingen

Der große Erfolg der Bücher und Zeitschriften über Natur folgt einer neuen Weltsicht, die bei allen Lebewesen Gefühle entdeckt


VON ANDREAS WEBER | DIE ZEIT 08/2018 vom 15.02.2018 | S.42 FEUILLETON

Was, wenn alles ganz anders wäre? Wenn nicht nur Menschen eine Innenwelt hätten, sondern alles, was lebt? Wenn nicht nur Menschen Subjekte wären, sondern auch Bäume, Gräser, Affen und Schmetterlinge?
Bis vor Kurzem galt solche Hoffnung als sentimentale Schwärmerei. Doch heute hat sie sich durch harte Verkaufszahlen den Rang einer ernst zu nehmenden Position erstritten. Die Ahnung, dass wir vielleicht doch nicht inmitten automatenhafter Biomaschinen leben, lässt ein Genre auf dem deutschen Buchmarkt boomen, das noch vor einem Jahrzehnt niemand ernst nahm: das Schreiben über Natur.

Eine bislang nur im anglophonen Sprachraum vertretene Sparte hat auch in Deutschland Bestsellererfolge. Die Klassiker des Genres, von Henry David Thoreau über Roger Deakin bis Gary Snyder, verkaufen sich genauso gut wie Bände über Krähen, Kröten, Nelken und Brennnesseln – Titel, die jeder Literaturagent noch vor Kurzem nur müde belächelt hätte. Vorläufiger Kulminationspunkt des Booms ist Das geheime Leben der Bäume des Försters Peter Wohlleben, das ein echter Weltbestseller geworden ist und seit 139 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste steht. Das Genre trifft einen Nerv. Vielleicht, mag sich der Leser denken, schläft ja doch ein Lied in allen Dingen!

Gerade das macht die Eliten skeptisch. Spöttisch. Zynisch. Wer nachliest, was deutsche Rezensenten über Naturliteratur schreiben, fühlt sich an das Verdikt erinnert, das Richard Strauss über Rachmaninows 2. Klavierkonzert fällte: »Gefühlvolle Jauche.«

Naturschönheit? Da waren wir doch schon einmal! Das ist doch Romantik! Und Romantik, das wissen wir, legte den Grundstein für die krassesten Entgleisungen des Denkens. Sie ist der röhrende Hirsch schaler Eigentlichkeit oder schlimmer noch: das Sinnlose, aufgeladen mit Sentimentalität.

Naturverachtung hat sich nicht nur in den Wirtschaftsetagen breit gemacht, sondern auch in den Deputaten des Geistes. Wer in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren Geisteswissenschaften studierte, lernte vor allem eins: Natur ist eine Fiktion, ausgedacht von uns Menschen. Bestenfalls ist die Biosphäre eine sinnentleerte Maschine, auf die wir unsere Suche nach Bedeutung projizieren, die aber in Wahrheit kalt und ungerührt bleibt. Wen dennoch das Aufblühen im Frühling rührt, der ist einfach naiv.

Und jetzt das: Millionen kaufen Bücher und Zeitschriften, in denen nicht nur die Begegnung mit anderen Lebensformen als Schlüssel zum eigenen Selbstverständnis ausgekostet wird, sondern diesen anderen Lebensformen sogar Gefühle zugesprochen werden, die den unsrigen kaum nachstehen. Muss das nicht als massive Verdummung bekämpft werden?

Was aber ist, wenn die Verlage, die von der neuen Naturwelle profitieren, recht haben und die Kulturkritik mit ihrem verbreiteten Spott das nicht wahrhaben will? Was, wenn das florierende Nature-Writing die jahrhundertealte Gegenüberstellung des Humanen und der Anderen auflöste und somit eine ganz neue Wirklichkeitssicht einschleuste?

Was sich hinter der naturschwärmerischen Welle abzeichnet, könnte etwas sehr Ernsthaftes sein: das Bild einer Welt, in der wir Menschen unseren Platz wiederfinden. Nicht in der Heimat einer trivialen Idylle, sondern in einer radikalen Gegenseitigkeit, in der auch den nicht menschlichen Mitspielern jene schöpferischen und emotionalen Qualitäten nicht fremd sind, die wir allein für unser eigenes Artmerkmal halten.

Abb.: Anne ten Donkelaar -
aus der Serie "Broken Butterflies"
Wer über sentimentale Blümchenbuchliebhaber spottet und über Esoteriker, die es in den Bäumen raunen hören, verkennt, dass Blümchen und Bäume mit Menschen eine entscheidende Eigenschaft gemeinsam haben: Sie sind verletzliche Wesen, die aus dem unbekannten schwarzen Loch eines winzigen Keimes entstehen, eine eigene Geschichte mit Aufschwüngen und Rückschlägen erleben, sich mit anderen verbinden müssen, um Nachkommen zu zeugen und Nahrung aufzunehmen, um sie selbst zu werden und wieder zu vergehen.

Andere Geschöpfe, ob Torfmoose oder Javaner-Affen, teilen, um es mit Hannah Arendt zu sagen, mit uns das »Schicksal der Gebürtigkeit«. Oder wie es eine andere unsentimentale Intellektuelle, die Polin Wisława Szymborska, formuliert, sie werden vom »selben Stern in Reichweite gehalten«. Man könnte sogar Adorno, Feind jeder trüben Eigentlichkeit, bemühen, um die Hingezogenheit zu anderem Leben zu erklären, der sagt: »Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen.«

Wie auch immer: Der aktuelle Boom der Naturbücher und Landlusttitel reagiert auf eine neue kulturelle Eruption. Er folgt den Ergebnissen einer Biologie, die sich wie keine andere Naturwissenschaft gerade selbst neu gebiert. Konzepte, die Biologen noch in den 1990ern so sicher galten wie Newtons Schweregesetz vor dem Einschlag der Relativitätstheorie, sind heute als Altlasten entsorgt.

So ist das einst jedem Schüler eingebläute Dogma, dass die Umwelt niemals die Gene beeinflussen kann, begraben. Mittlerweile weiß man, dass Traumata, die eine Großmutter erlebt hat, noch das Genom der Enkel durcheinanderbringen können. Botaniker entdecken wirklich ein geheimes Leben bei Pflanzen, die fühlen und kommunizieren wie Menschen, nur anders. Zoologen weisen Emotionen heute sogar bei so roboterhaft wirkenden Wesen wie der Erdhummel nach, die sowohl unter Verstimmung leiden wie Euphorie auszudrücken vermag.

Statt zu spotten, sollten wir unseren Blick schärfen: für den splitternden Umbruch, der gerade jetzt, in diesen Tagen, die Wissenschaft vom Leben erfasst. Die Biologie steht vor ihrem Quantensprung, und dieser ist nicht technisch, sondern sentimental. Der Bioforscher ist mit seinen Subjekten auf untrennbare Weise verschränkt. Denn wer Lebewesen erforscht, ist selbst eins. Wer Leben untersucht, spricht auch über sich selbst. Was gestern noch kühle Naturwissenschaft war, wird dadurch zur Biopoetik, zu einer Wissenschaft des Lebens in der ersten Person.

Der Naturbuch-Boom markiert also das Heraufdämmern einer Weltsicht. Diese knüpft einerseits da an, wo Hölderlin, Schelling, Wordsworth und Coleridge im 19. Jahrhundert aufhören mussten, nämlich bei der Idee, dass alles, was eine berührbare Außenseite hat, auch eine empfindsame Innenseite hat, genau wie wir. Andererseits reagiert sie auf die Erkenntnisse der Biologie, die sich vom Maschinenmodell der Natur verabschiedet hat.

In der angelsächsischen Kultur war dieser Boden anders als in Deutschland immer fruchtbar. Dort blieb mit Emerson, Thoreau und Whitman die Romantik bis ins 20. Jahrhundert aktuell. Die Sparten Ökophilosophie und Nature-Writing gehen heute fruchtbar ineinander über, setzen sich mit der Biologie auseinander und probieren neue Kommunikationsformen und eine radikal subjektive Sprache.

Was dort im Werk von Protagonisten wie Rebecca Solnit, Robert MacFarlane und Gary Snyder entsteht, ist eine poetische Wissenschaft des Lebens. Diese ist nicht regressiv, sondern tastende Forschung. Von dieser Forschung hatte sich die deutsche Kultur lange abgeschnitten. Das wird jetzt vorsichtig revidiert.

Es gibt ein wirksames Gegenmittel gegen die deutsche Furcht, dass Nature-Writing und Biopoetik nichts als verträumter Kitsch wären, nichts als ein schaler Aufguss der ersten Romantik. Dieses Gegenmittel ist die Idee, mit der die historischen Romantiker damals stecken geblieben sind, die radikale Konsequenz ihres Denkens, die schnell vergessen wurde. Sie geht so: Wenn die Welt seelenförmig ist, dann ist Seelisches, Ausdruck, Schönheit, ja sogar Identität nicht der Triumph souveräner Subjektivität, sondern ein massiv distribuierter Prozess. Dann ist Sein immer nur Sein durch Teilen. Ein Wesen ist nicht eine Seele, die einen Körper bewohnt wie ein mehr oder weniger schickes Konsumgut, sondern sie ist ein Teil der Welt, der nur blühen kann, wenn andere mit ihm solidarisch sind.

So gesehen ist die Rede von »der Natur« unbedingt zu korrigieren. Sie ist keine feste Größe, sondern ein Gewirr von sowohl lebensspendenden als auch tödlichen Gestaltungsprozessen, die Individuen formen wie Meere ihre Wogen und deren Essenzen sich wieder vermischen. Keiner ist einer, immer sind wir viele (was nicht erst Richard David Precht, sondern schon Goethe behauptet hat). Alles ist unauflöslich vermengt.

Das ganze Lebensreich ist »queer« – gebrochen, widersprüchlich, nicht auf den sauberen Nenner einer Individualität zu bringen. Wir selbst haben in unserem Körper mehr Gene von unseren Darmbakterien als eigene. Ein Fünftel unserer DNA stammt von Viren ab, die vor langer Zeit unsere entfernten Vorfahren umgebracht haben, bis diese das infektiöse Erbgut als etwas Neues, Nützliches eingemeindeten.

Eine solche Sicht auf die Natur und uns selbst würde helfen, den Spott der Gebildeten gegenüber den Naturliebenden und Naturliteraten abzubauen. Auch der Körper ist ein Sprachspiel, aber nicht weil er Fiktion ist, sondern weil alles Körperliche existenzielle Poesie und Bedeutung ist. Das zu sehen ließe uns verstehen, dass wir in einer Welt der graduellen Fremdheit und Verwandtschaft leben und nicht: wir hüben und der Rest drüben.

Auch wir selbst stimmen mit uns nicht zu hundert Prozent überein, mit der Partnerin vielleicht zu sechzig Prozent und mit unserem Hund zu dreißig – Ebenen der Überlappung, aus denen Sinn geschaffen werden kann, der freilich niemals erschöpflich ist.

Auf dieses Argument setzt der Ökophilosoph und Björk-Intimus Timothy Morton in seinem neuen Buch Humankind. Morton, bislang Star-DJ eines wilden Zynik-Slams, stellt die Romantik auf die Füße. Er zeigt: Was uns alle empfindungsfähig macht, ist das Gebrochene, Unperfekte aller biologischen Individualität. Die Welt ist zersplittert, die der Tomaten genauso wie unsere eigene.

Folglich müssten die Texte, welche diese Revolution avant la lettre beschreibt, eigentlich gar nicht Nature-Writing heißen, nicht Natur-Schriftstellerei. Sondern vielleicht »Leben schreiben«, das eigene und das der anderen Lebewesen, die ebenso einen Körper haben, der empfindet und der kaputt gehen kann.
Dieses Leben »zu schreiben« erfordert Mut gegenüber den Zynikern, die Fühlen für uncool halten. An denen arbeitete sich kürzlich eine Studierende im Schreibseminar einer Berliner Universität ab. Sie schämte sich, dass sie in einem poetischen kleinen Aufsatz einen Schmetterling erwähnte, weil das ihrer Meinung nach kitschig sei. Sie unterbrach sich extra, um vor ihrem Fauxpas zu warnen, bevor sie die angeblich kitschige Schmetterlingspassage las. 
Und dann fing sie ihren Fehler auf, indem sie unmittelbar danach lakonisch die Dimensionen des gegenwärtigen Insektensterbens umriss. Wer dem exponentiellen Schwinden der Insekten – 80 Prozent der Insektenbiomasse in den letzten zwanzig Jahren – gerade noch entgangen ist, sollte nicht verspottet werden.
Der Schmetterling beschwört etwas ganz anderes: Er ist kein Abgesandter von Mutter Natur, sondern unsere zerbrechliche Freude, die aufflackert, bevor das Leben von der Sachzwangmaschine unter schalen Vergnügungen begraben wird. Das bunte Insekt als Idyll trennt uns ab, der bedrohte Falter vermag uns zu verbinden, auch mit uns selbst. Er erinnert uns an unsere Solidarität mit dem Leben. Und Leben ist das, was sich selbst will, indem es anderes, was auch sich selbst will, zu berühren vermag, zu streicheln, zu verdauen.

»Ich spiele Perlspanner, um die Lebensformen / der ganzen Welt in eine einzige zu bringen. / So dass ich dem Tode antworten kann, wenn er kommt ...« schreibt die dänische Lyrikerin Inger Christensen – auch sie eine der Kräfte hinter dem Comeback der Natur ohne Sentimentalität.

Schmetterlinge, das sind ja die Blüten der Luft, das, was Blumen wären, wenn sie fliegen könnten. Sie sind es, weil sie sich ganz in ihre eigene Verletzlichkeit geben und blind in Kauf nehmen, zu Billionen an Windschutzscheiben und Kühlergrills zu zerschellen, wenn man sie denn noch ließe. In ihnen bildet sich die Einsicht ab, dass wir den anderen brauchen, um blühen zu können, dass wir uns öffnen und den anderen einlassen müssen. Und dass Schönheit etwas ist, in dem die Welt zu unserem Atem wird.

Timothy Morton nennt solche Schönheit in einem kühnen Schlenker, der den Psychoanalyse-Imperator Freud und seinen Vollstrecker Lacan mit einem einzigen Federstrich abhakt, das »Symbiotisch- Reale«: die Sphäre des Lebens, in der jeder des anderen Geist und jeder des anderen Echo ist. Das »Symbiotisch-Reale« ist das, was vom »selben Stern in Reichweite gehalten wird«. Es ist ein dauerndes Sehnen nach mehr Wirklichkeit und ein dauerndes Vergehen in der Wirklichkeit des anderen. Es ist keine Rettung im Idyll, sondern ein machtvolles Gefühl.

Wir können uns in dieser neuen Wirklichkeitssicht noch nicht wirklich zurechtfinden. Aber es ist die Sphäre, welche die Millionen Leser von Peter Wohllebens beseelter Waldwelt wiedererkennen, weil sie in ihr leben. Diese neue Wirklichkeit hat vielleicht nicht die simplistische Form, die solche Waldliteratur manchmal annimmt. Aber sie folgt doch einer Erkenntnis, die der Beginn einer neuen kulturellen Epoche sein könnte, und zwar in jeder Form des Austauschs, auch des ökonomischen: Wir alle, wir verletzlichen Körper, sind durch und ineinander, und dieses Durch- und Ineinandersein ist keine effizient absurrende Mechanik, sondern ein seelisches Geschehen intensivster Betroffenheit.

Was sich da abzeichnet, ist kein Paradies, in dem eine gute Mutter uns an ihre Brust nimmt, wenn wir nur brav Biotope schützen. Es ist ein Begehren, in dem jede Geburt einen Tod voraussetzt, in dem alles, was wir erhalten, von einem anderen erst losgelassen werden musste. Wir sehnen uns danach, zu empfangen, aber auch freizulassen, um zu geben. Wir sind lebendig, und die anderen sind es auch. Aber wir sind es nur miteinander und durch einander, in der Sehnsucht, zu blühen, indem mein Gegenüber blühen darf.


geboren 1967, lebt als Autor und Hochschuldozent in Berlin und Italien. Zuletzt erschien sein Buch »Sein und Teilen« 2017 im transcript Verlag

Mikrobiom - nach naturalnews.com


ich muss meine leser unbedingt teilhaben lassen an diesem text, den ich im neuesten "zeit"-feuilleton fand. also - ganz ehrlich - ich bin ganz überwältigt - ganz hin & weg - von sprache und sinn dieses textes - auch weil es sich mit vielen überlegungen deckt, die ich so vor mich hin ausbrüte - die ich aber nie so prägnant zum ausdruck bringen könnte.

bitte - bitte - lassen sie sich nicht von der länge des artikels abschrecken, ihn auch wirklich ganz zu lesen ...

ich meine - es ist vielleicht ein schlüsseltext - zumindest für mich - der mich anrührt ... 

ich habe mich vorgestern ja noch mit dem für mich kaum leserlichen botho-strauß-text vom "anschwellenden boxgesang" von vor 25 jahren beschäftigt. das war so ein text, der trotz seiner intellektuellen verquastheit anscheinend etwas bewirkt hatte - ein "abschlusstext" zum "marsch durch die institutionen" der 68-er vielleicht - sozusagen der schlusspunkt: von jetzt an geht es wieder "rääts heröm" ...

dieser text hier nun vom biologen andreas weber ist da etwas ganz anderes, da wird mir zumindest frische luft zugewedelt mit den flügelpaaren all der schmetterlinge, die noch verpuppt winterschlaf halten, die vielleicht irgendwo jemandem im bauch herumflattern, die im schmetterlingshaus irgendwelcher botanischer gärten herumwedeln ... - und die auf ihren start in den frühling warten ... - immer wieder neu und doch nach dem uralten ritus der individuellen metamorphose ...: ent-wicklung - verpuppung - ent-wicklung usw. ...

wie gesagt - ich bin ganz hin und weg und mir stehen die tränen in den augen: alles kommt vor: die fülle des mikrobioms, mit dem ich mich neulich erst ausführlich beschäftigt habe: sein millionen von jahren währendes alter, das die körper immer wieder neu besiedelt und uns schon im mutterleib teilweise übertragen wird: eine metapher vielleicht für "ewiges leben" ... seine partnerschaft in und zu meinem leib, den ich als gabe erhalten habe ... - 

hoffentlich sind diese geschriebenen "natürlichkeiten" nicht nur wieder eine welle, weil in china ein sack reis umgekippt ist, oder der flügelschlag eines schmetterlings einen tsunami ausgelöst hat - eine welle, die nach dem anplanschen auf den sand einfach vergeht und wieder wegsackt. ich weiß noch, als wenigstens in unseren damals esoterisch angehauchten kreisen alle welt zu "rudolf-steiner-vorträgen" schritt: ommmm ... - das hat nach meiner wahrnehmung wieder nachgelassen ...

tja - da bleibt vielleicht nur ein spätes ehrfurchtsvolles staunen - und das gefühl der geborgenheit in der geborgenheit ... danke - S!
So gesehen ist die Rede von »der Natur« 
unbedingt zu korrigieren. 
Sie ist keine feste Größe, 
sondern ein Gewirr von sowohl lebensspendenden 
als auch tödlichen Gestaltungsprozessen, 
die Individuen formen wie Meere ihre Wogen 
und deren Essenzen sich wieder vermischen. 
Keiner ist einer, immer sind wir viele 
(was nicht erst Richard David Precht, 
sondern schon Goethe behauptet hat). 
Alles ist unauflöslich vermengt.

noch ein tipp: wenn sie mal in nächster zeit ganz mies drauf sind, dann versuchen sie sich an diesen text zu erinnern - und ihn erneut zu lesen:
ich glaube zu ahnen, dass es danach besser wird ...

anne-frank-haus-nachbau - ein haus der hoffnung | ttt

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Simon Fujiwara, britischer Künstler mit japanischen Wurzeln, zeigt seine neueste Arbeit im Kunsthaus Bregenz. Das Hope House ist eine 1:1-Nachbildung des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam - ein Spiel mit der Illusion des Authentischen.

nun - wie geht das mit der "erinnerungsarbeit" - wie geht das mit der "authentizität" dabei: ich erinnere noch die zeit, als ich das anne-frank-tagebuch gelesen habe - so vor ca. 55 jahren - und ich mir dabei voller jugendlichem elan vorstellte, wie das gewesen wäre, wenn anne frank meine freundin wäre ... - und wie ich mit ihr geflohen wäre, wie ich sie beschützt hätte ...

wenn heute justin bieber, ein noch viel zu blutjunger pop-künstler, den ich schon deshalb gar nicht kennen muss, nach dem besuch im anne-frank-museum in amsterdam ins gästebuch schreibt, ob sie wohl eine "belieber" - ein fan von ihm - geworden wäre ... - bricht gleich ein #shitstorm los - wie "unsensibel" denn das wohl sei ... - das aber das anne-frank-museum diesen fakt gleich nach facebook postete - ist ja auch nicht die feine englische art ...

dabei geht bei einer persönlich authentischen gedächtniskultur auch immer um die persönliche empathie, um die persönliche betroffenheit und reflexionsfähigkeit und das persönliche hinein- und mitfühlen ... - 

so entfernt von meiner anne-frank-verarbeitung vor 55 jahren ist dieser wunsch des künstlers nach ihrer bewunderung für ihn ja gar nicht - hauptsache ist ja erst einmal: überhaupt eine reaktion - eine angerührtsein in diesem sumpf von "mir doch egal" ...


durchzogen von hirn

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XXL = CLICK HERE

hallo -

in dem beitrag von gestern - dem großartigen aufsatz von dr. andreas weber im aktuellen "zeit"-feuilleton - habe ich in meiner stellungnahme bezug genommen auf meine überlegungen "neulich" zum "mikrobiom" und zum "bauchhirn".

ich habe dazu noch mal in den annalen des "http://sinedi2.rssing.com/catalog.php?indx=8720313" - meinem heimlichen "darknet" aller blog-einträge von mir von anno-dunnemals - recherchiert ...

es war also schon 2014 - als ich mich in 3 ausführlichen posts damit beschäftigt habe.

in diesen "archiv"/catalog ist inzwischen das arte-video vom "bauchhirn" neu verlinkt worden - deshalb stelle ich es hier zum besseren verständnis all meiner manchmal vielleicht damals etwas hanebüchenen, stichwortartigen skizzen hier neu ein - und setze hier nochmal die links zu diesen (leider nicht mehr im original layouteten) beiträgen.

→ 1. http://sinedi2.rssing.com/chan-8720313/all_p28.html#item547

→ 2. http://sinedi2.rssing.com/chan-8720313/all_p28.html#item546

→ 3. http://sinedi2.rssing.com/chan-8720313/all_p29.html#item572

vielleicht interessiert sie das ja noch - auch in ergänzung zum "weber-artikel" ...

schneck

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gif-quelle: stadt bremerhaven


gestern las ich
das smartphone-gewische
sei eine sucht
83 prozent der menschen hier
haben sich bereits ganz bös infiziert
und twitter und consorten
spielten nur auf dieser klaviatur:
wischen wischen wischen 
und noch mehr wischen
immer weiter, immer länger, immer besser

jedes like auf meinem account
löst glückshormone aus
immer ein kleiner lottogewinn
immer eine anerkennung
ist doch toll - wenn selbst werner
aus buxtehude schreibt - 
das sei aber geil
was ich da hochgeladen hätte
inge auch wieder - wieder die inge
wie inge wohl tatsächlich aussieht

ist doch schön:
187 tweets habe ich ausgelöst
mit meinem foto von dem
alten schneckenhaus
in dem ich früher saß - 
finde ich doch echt geil:
so macht das leben 
einfach mehr spaß ...
und ich erleben was ...
finde ich wirklich - echt geil ...

sinedi




S!|photography: schneck


marias testament - in wort, schrift und bild

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S!NEDi|art: schreihals - update: 19-02-2018


NICOLE HEESTERS IN MARIAS TESTAMENT

Die etwas andere Marienlegende

Von Monika Nellissen | welt.de

Nicole Heesters glänzt in ihrem großen Monolog 

Atemloses Schweigen, dann orkanartiger Beifall. Nicole Heesters glänzt in Colm Tóibíns Monolog „Marias Testament“ an den Hamburger Kammerspielen. „Das war es nicht wert, dass er die Welt erlöst hat“, ist ihr bitteres Fazit.

Stille. Zwei Tische, der eine vollgestellt mit Küchenutensilien, der andere, kleinere, geschmückt wie ein Altärchen mit ewigem Licht und Blumen. Eine Frau und ihre Stimme. Was für eine Stimme! Nicole Heesters. Sie spielt in den Kammerspielen die Mutter Gottes in Colm Tóibíns Monolog „Marias Testament“.

Nein, sie spielt nicht, sie ist ganz einfach eine Frau, die Mutter eines Mannes, der berühmt ist und gefährlich wegen seiner Wunderkraft und deshalb den furchtbaren Tod am Kreuz erleidet. Was hat sie falsch gemacht? Hätte sie dieses Schicksal verhindern können? fragt sie sich. Nein. Aber sie will jetzt Zeugnis ablegen, wie es wirklich war, wie sie es erlebt hat und wie es die Legendenbildung nicht vorsieht. „Das war es nicht wert, dass er die Welt erlöst hat“, ist ihr bitteres Fazit. Atemloses Schweigen, dann orkanartiger, nicht enden wollender Beifall. Nicole Heesters ist Ereignis.

Eine andere Auslegung der Marienlegende

Anderthalb hoch konzentrierte Stunden lang ist die Heesters das vitale Kraftzentrum in einem Monolog, der Maria nicht als schmerzensreiche, als reine zeigt, der der Makel der Erbsünde durch die unbefleckte Empfängnis genommen ist. Sie ist eine Mutter, die ihren Jungen, der selbstverständlich Joseph zum Vater hat, nicht beschützen konnte.

Jetzt blickt sie, die glaubt, bald sterben zu müssen, zurück, und gibt zwei hier unsichtbaren Chronisten, ehemaligen Jüngern, die sie gleichermaßen bewachen wie beschützen, buchstäblich ihre Sicht, also die Wahrheit, zu Protokoll.

Manche mögen die Auslegung der Marienlegende durch den irischen Schriftsteller Colm Tóbín als blasphemisch empfinden, doch bringt sie uns Maria als Mensch viel näher, als es jene im Neuen Testament merkwürdig unbeschriebene Frau tut, die auf Bildern als liebliche Heilige, oder schöne Madonna Jesus als Kleinkind, oder den mit Wundmalen übersäten Toten in ihrem Schoß darstellen.

Diese Maria  räumt in ihren Erinnerungen auf

Hier ist Maria eine alte, wenngleich schöne, aufrechte, ungebrochene Frau, die genau das tut, was eine liebende Mutter macht, die möglicherweise in ihrer Erziehung Fehler gemacht hat und jetzt mit sich hadert, weil sie auch in entscheidenden Augenblicken versagt hat. Sie konnte den Anblick ihres am Kreuz gequälten, sterbenden Sohnes nicht ertragen und ist weggelaufen. Sie war eben keine Heldin, keine Heilige. Sie war und ist ein mit Fehlern behafteter Mensch.

Dieser Tatsache stellt sie sich nun in ihrem Testament. Sie räumt auf in ihren oft unbequemen, schmerzhaften Erinnerungen. Sie erzählt jetzt die Wahrheit, weil sie sie ja als Zeugin erlebt hat. Die sie aber lange Zeit als „Träumerei“ verdrängt hat. Das muss endlich aufgeschrieben werden. Schluss mit der Legendenbildung!

Elmar Goerden, verantwortlich für Bühnenbild und Textfassung, hat sich als Regisseur vollkommen auf Nicole Heesters fokussiert. Sie steht an der Bühnenrampe, reibt und knetet unaufhörlich ihre Handknochen, die Gelenke. Sie ist unruhig, nervös. Wird es ihr gelingen, so sachlich wie möglich das Erlebte den beiden Chronisten zu schildern, mit denen sie innere Zwiesprache hält?

Energisch, geradezu wütend, räumt sie das Altärchen zur Erinnerung an ihren Sohn ab. Das ewige Licht. Weg damit. Auch die Blumen. Devotionalien, Plunder, die ihrer Schilderung hinderlich sein könnten. Nur der Stuhl für ihren Sohn, der im Monolog ebenso wenig Jesus genannt wird, wie sie Maria, bleibt stehen.

Die „Horden“, die „Nichtsnutze“ der Jüngerschaft

Sie hat sich jetzt von äußeren Dingen befreit, kann sich ihrem Haushalt widmen und mit klarer Stimme erzählen. Sie ist eine starke Frau, die lacht, wenn sie sich an „alberne Anekdoten“ erinnert, wird zornig und ist voller Verachtung, wenn sie an die „Horden“, die „Nichtsnutze“ der Jüngerschaft denkt.

Es schmerzt sie, dass sich ihr Sohn von ihr abgewandt hat. Sie glaubt nicht an das Wunder bei der Hochzeit von Kanaan, bei dem ihr Sohn Wasser in Wein verwandelt hat. Wie soll das gehen? Sie verurteilt das Wunder der Auferstehung des Lazarus, der bereits beerdigt ist und dennoch zum Leben erweckt wird, um erneut zu sterben. Das macht sie wütend. Zynisch.

Sie begehrt auf, hadert, zweifelt, weint, nur kurz wird sie vom Schmerz überwältigt, sie duldet keine Sentimentalität sich selbst gegenüber. Sie wird ganz ruhig, verstummt, schreit sich den Kummer und die Empörung über den normalen Irrsinn während der Kreuzigung, die wie ein Volksfest gefeiert wird, von der Seele. Es geht doch um ihren Jungen, ihr Kind, nicht um den Erlöser, durch dessen Tod die Menschheit errettet werden soll. „Das war es nicht wert“, bilanziert sie.

© Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten.

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Gerhard Richter, S. mit Kind 1995 46 cm x 41 cm - Bild auf Buchcover!

irgendwie ist das mein "marien-jahr" - wenn ich als protestant das mal so ausdrücken darf. schon weihnachten habe ich ein marienbild kreiert (link)- zu einem kommentar von alan posener aus der "welt", der auch die maria sehr menschlich und weniger als "göttliche mutter" beschrieb.

das - was da jetzt in den hamburger kammerspielen als monolog in der hauptrolle mit nicole heesters gezeigt wird, sind auch die gedanken einer alten frau über ein ganz normales leben und die allmähliche entfremdung von ihrem sohn jesus. für sie war er kein "christus" - und ihrer meinung nach hat er sich mit den "falschen leuten" umgeben.

ich mag das, wenn man dieses "göttlich"überzogene wieder auf "den boden der tatsachen" stellt - wenn man zeigt, dass sie alle menschen wie du und ich sind ... und wenn da oben der himmel allmählich mangels masse schließen muss, weil sie alle "mitten unter uns" sind.

maria ist für mich ein junges mädchen, vielleicht etwas altklug - etwas einsam und meist allein - und der vater ihres ersten kindes muss sich als reisender tischler verdingen: ein tagelöhner - alles ganz normal ... hochintelligent dann auch der sohn - aber eigentlich ganz normal ... na - eben wie die meisten geschichten, die von der begegnung des menschen mit gott handeln ... - 

ich habe mir jetzt das buch von tóibín auf mein "kindle" heruntergeladen - und freu mich schon auf die lektüre ... S!

afd-stolpern am stolperstein

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Der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon fordert ein Ende der Stolperstein-Aktionen. Mit den Steinen wird in vielen deutschen Städten den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Gedeon bezeichnet sie nun als "Erinnerungs-Diktatur".

Auf seiner Homepage hat er einen öffentlichen Brief gegen die Steine veröffentlicht. Den Brief richtet Gedeon vor allem an den Oberbürgermeister der Stadt Singen.

Der Hintergrund: Singen plant, drei Stolpersteine für Ernst Thälmann und seine Familie zu verlegen. Thälmann war zur Zeit des Nationalsozialismus Chef der Kommunistischen Partei Deutschlands und wurde von den Nazis verfolgt. 1944 wurden er und seine Familie im Konzentrationslager Buchenwald getötet.

Nun behauptet AfDler Gedeon über die Stolpersteine:

"Mit ihren Aktionen versuchen die Stolperstein-Initiatoren ihren Mitmenschen eine bestimmte Erinnerungs-Kultur aufzuzwingen und ihnen vorzuschreiben, wie sie wann wessen zu gedenken hätten."

Die Forderung erinnert an den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der im Januar vergangenen Jahres ebenfalls ein Ende der "lächerlichen Bewältigungspolitik" forderte (bento). 

Wer ist Gedeon?
Der AfD-Politiker sitzt im Landtag von Baden-Württemberg – dort allerdings als fraktionsloser Einzelabgeordneter. Er fällt immer wieder durch antisemitische Äußerungen auf, selbst in der Partei ist er umstritten. Mehrere AfDler wollten Gedeon bereits aus der Partei ausschließen (bento). Das Ausschlussverfahren wurde jedoch im Dezember aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Anderen mangelt es nicht an Beweisen: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nennt Gedeon offiziell einen Holocaust-Leugner. Der AfD-Politiker wollte dagegen klagen, verlor aber erst kürzlich vor Gericht. (Die Zeit)

Worum geht es bei der Stolperstein-Aktion?
Die Stolpersteine werden seit vielen Jahren durch den Künstler Gunter Demnig in ganz Europa verlegt. Es handelt sich um kleine goldene Pflastersteine, auf denen Namen und Lebensdaten von Opfern der Nationalsozialisten eingraviert sind. (Stolpersteine.eu)

So sehen die Stolpersteine aus:



Wer durch eine Stadt spaziert, wird durch die Steine so auf die Vergangenheit des Ortes aufmerksam gemacht – und erfährt, wie viele Leben durch die Nationalsozialisten ausgelöscht wurden.

Meist werden die Steine vor dem letzten Wohnsitz der Betroffenen ins Gehwegpflaster eingelassen. Oft handelt es sich um jüdische Familien, derer gedacht wird. Aber auch andere NS-Opfer – Opfer des Euthanasieprogramms oder politisch Verfolgte zum Beispiel – bekommen Stolpersteine.

In ganz Europa sind nach Angaben von Demnig mittlerweile mehr als 60.000 Steine verlegt, die meisten davon in Deutschland.

Der AfD-Politiker Gedeon will nun aus zwei Gründen gegen die Stolpersteine vorgehen:
1. Ihm ist die Erinnerungskultur zuwider. 
2. Ihm ist speziell auch Ernst Thälmann zuwider. Der Kommunist wollte angeblich eine "rote Diktatur" in Deutschland errichten, schreibt Gedeon. Ihn jetzt zu würdigen, verwandele Deutschland in eine "Groß-DDR".
Dass es eine der wahrscheinlich spannendsten Leistungen Deutschlands ist, sich kritisch mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen und an düstere Kapitel zu erinnern, scheint der Abgeordnete der AfD nicht zu verstehen.

Dabei kann man sich durchaus um die Form des Gedenkens streiten:

So sprach sich die ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Charlotte Knoblauch, wiederholt gegen die Gedenksteine aus – allerdings aus ganz anderen Gründen. "Für mich ist der Gedanke unerträglich, dass diese Menschen und die Erinnerung an sie erneut mit Füßen getreten wird", sagte sie bei einer Debatte um Stolpersteine in München. Unter anderem wegen ihres Engagements sind Stolpersteine München auf öffentlichem Grund untersagt. (Süddeutsche Zeitung)

Und der ehemalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Hamburgs, Daniel Killy, warf dem Künstler vor, sich einen "politisch korrekt ummantelten Businessplan" geschaffen zu haben. (NDR)

Eine Sache ist aber für alle klar: Das Gedenken an den Holocaust ist wichtig für Deutschland – ob in Schulbüchern, auf Steinen oder in Form von Denkmälern.


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als pate eines stolpersteins für meine tante erna kronshage (1922-1944), die in der "euthanasie"-aktion der nazis ermordet wurde, muss ich mich noch einmal besonders zu der stolperstein-kritik vom vorsitzenden der jüdischen gemeinde in hamburg, daniel killy, wenden (lesen sie unbedingt dazu den schon oben erwähnten ndr-beitrag). killy hatte behauptet, der künstler gunter demnig würde mit der stolperstein-aktion "millionen" verdienen ... 

für einen stolperstein wie den, der sich hier in der abbildung dreht, zahlt der jeweilige pate 120,00 uro inklusive der fachmännischen verlegung und verankerung auf einem öffentlich-städtischen grund (meist gehwege, bürgersteige in der nähe des letzten wohnsitzes des ns-mordopfers). 

dafür kommt oft der künstler und stolperstein-"erfinder" gunter demnig persönlich mit seinem ganzen know-how und seinem werkzeug und legt selbst hand an mit presslufthammer und bohrmaschine und befestigungsmörtel und spachtel, den stein zu legen. insgesamt liegen in europa mittlerweile über 60.000 dieser steine vor ort - und so entsteht ein gesamteuropäisches "martyrologium". und natürlich passt das einer afd und vielleicht auch anderen europäischen holocaust-leugnern und rechts-populisten nicht in den kram. 

im preis inbegriffen ist also der kleine pflasterstein selbst: die individuelle gravierte metallplatte, die stoßfeste befestigung der dinge miteinander, die erdarbeiten und die verlegung des steins. hinzu kommen ja noch kosten für unterkunft und verpflegung, werkzeugbenutzung, fahrtgeld usw. für gunter demnig oder seine crew.: wenn man das alles zusammenzieht, kann man von einem "millionen"-geschäft wohl kaum noch sprechen.

es ist mir völlig schleierhaft - weshalb frau knoblauch in münchen und herr killy in hamburg da so einen "bohei" veranstalten - der ja letztlich ihre sache mit ist - ihr engagement dagegen bei aktionen gegen höcke und gedeon geschieht da wohl mehr im stillen ... - wenigstens höre ich da in den medien nicht so viel von wie gegen den widerstand gegen die stolpersteine ... - was ist da nur los ??? - S!

art 1968

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Geiger Rupprecht "Documenta 1968" (pinterest)

»Sie haben gesagt: ›Was wir machen, ist Kunst‹«
Thomas Kellein, ehemaliger Direktor der Kunsthalle Bielefeld, über Künstler und die 68er-Bewegung
1968 und die Kunst – das ist ein weites, spannendes Feld. Haben Künstler die Entwicklung gespürt? Wie ist die Documenta 1968 gelaufen? Darüber hat Andreas Schnadwinkel mit Dr. Thomas Kellein (62), dem ehemaligen Direktor der Kunsthalle Bielefeld, gesprochen.

Was war damals der Grund »1968. Die Große Unschuld« erst 2009 und nicht 2008 zum 40. Jahrestag in der Kunsthalle zu zeigen?

Thomas Kellein: Der Hauptgrund war, dass wir 2007 die Ausstellung »1937« gezeigt haben. Das war bis dato die größte Ausstellung, die die Kunsthalle Bielefeld jemals gemacht hat. »1937« war sehr erfolgreich, aber auch sehr anstrengend, weil wir gezeigt haben, in welchen Ländern 1937 welche Kunst produziert wurde. Das forderte alle Ressourcen. Deswegen kam erst nach »1937« die Idee, und wahrscheinlich zu spät, das zweite wichtige Jahr des 20. Jahrhunderts ins Auge zu fassen:1968.

Hat es sich im Nachhinein als günstige Fügung erwiesen, den 1968-Medienhype im Jahr 2008 ins Land gehen zu lassen, um dann mehr Aufmerksamkeit zu haben?

Kellein: Bei 1968 wurde schon im Dezember 2007 klar, dass der Jahrestag von allen abgefrühstückt würde. Im März 2008 war das Thema in den Medien eigentlich schon durch. Was aber überhaupt nicht vorkam, war die Frage: Was ist 1968 denn künstlerisch passiert? Als ich 2007 und 2008 mit Künstlern über 1968 sprach, zum Beispiel auch mit Georg Baselitz, sagten viele, dass es kaum ein kunstfeindlicheres Jahr als 1968 gegeben hätte.
Thomas Kellein (rechts), mit Georg Baselitz 2009 im
Klostergarten Dalheim - war 1996-2010 Direktor der
Kunsthalle Bielefeld. Seit 5 Jahren ist er Leiter
der Kunstberatung der Privatbank Berenberg

Inwiefern war 1968 kunstfeindlich?

Kellein: Alles stürzte sich auf die Politik und auf gesellschaftliche Veränderungen, die Kunst erlebte insofern eine Art Generalverdacht. Baselitz ging weg aus Berlin, weil es in Berlin wenig opportun und kaum noch möglich war, Künstler zu sein. Kreativität passte nicht in die Absicht der Studenten und Professoren, politischen Widerstand zu organisieren. Die Illusion aus heutiger Sicht, dass Studenten die deutsche Arbeiterschaft überzeugen könnten, die Revolution zu starten, wurde damals ja nicht belächelt, sie wurde entweder stark genährt oder stark gefürchtet.


War Georg Baselitz ein typischer Künstler für 1968?

Kellein: Baselitz war ein untypischer Künstler für 1968. Man hat ihm ja lange vorgeworfen, dass er ein Oberreaktionär sei. Diesen Streit genoss Baselitz, das steigerte die Reputation. Er wollte Malerfürst sein wie übrigens auch Markus Lüpertz, während andere sich um Gesellschaft, Architektur und Konzeptkunst kümmerten.

Also ist eher Anselm Kiefer ein typischer 68er-Künstler?


Anselm Kiefers "Heroische Sinnbilder" gelten als
wichtige Werke der "68er-Kunst" - dpa
Kellein: Wenn man den »Marsch durch die Institutionen« auf die Kunst überträgt, dann ist Anselm Kiefer einer der wichtigsten 68er-Künstler. Seine »Heroischen Sinnbilder«, Selbstporträts mit Hitlergruß in der Landschaft, wurden politisch angegriffen, in der Kunstszene jedoch respektiert. Gut zwei Jahrzehnte später aber gab es kaum noch ein westliches Museum, das Anselm Kiefer nicht geschätzt hätte. Als ich Anfang der 80er oft in New York war, um für die Staatsgalerie Stuttgart Ausstellungen vorzubereiten, wurde ich häufig gefragt, ob ich ein Werk von Anselm Kiefer besorgen könne. Kiefer war ganz zu Anfang nicht unbedingt Maler, sondern eher Konzeptkünstler, der mit einer Haltung auftrat. Es waren die Haltungen oder »Attitüden«, die man sehr schnell mit »1968« in Verbindung brachte: Arte Povera, Land Art, Conceptual Art.

Gibt es außer Anselm Kiefer noch andere Künstler, die durch 1968 groß herauskamen?

Kellein: Sicherlich, viele Künstler, Carl Andre und Bruce Nauman zum Beispiel. In Deutschland geschah das von 1968 an stilprägend in der Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf.

Was hat 1968 Positives für die Kunst bewirkt?

Kellein: Die Hauptleistung der 68er-Künstler besteht darin, dass seitdem nichts mehr an der zeitgenössischen Kunst vorbeiführt. Das haben sie erreicht. Sie haben gesagt: »Wir sind da. Was wir machen, ist Kunst. Und es reicht, wenn wir sagen, dass es Kunst ist.«

Hat 1968 in der Kunst auch die Emanzipation der Frau gestärkt?

Kellein: Als wir die Ausstellung »1968« gemacht haben, waren wir bestürzt, dass die Gleichberechtigung der Frau damals noch mit ganz wenigen Ausnahmen kein Thema war. Sexuelle Freiheit und Antibabypille waren Ausdruck von Hedonismus im Sinne von sexueller Befriedigung, nicht jedoch wirklich von Befreiung. Im Grunde wurden Künstlerinnen nur geduldet und nicht gefördert. Große Ausnahmefiguren waren Yoko Ono, Yayoi Kusama und Valie Export. Zwei davon sind heute Weltstars.

Wer waren 1968 die Weltstars der Kunst?

Kellein: Joseph Beuys natürlich, Christo, und umstritten war Georg Baselitz. Einflussreiche 68er-Kunst gab es hauptsächlich in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich und den Niederlanden. Und nicht nur wegen des Vietnamkriegs sehr stark in den USA.

Gab es vor 1968 in der Kunst eine Strömung, die den kommenden gesellschaftlichen Umbruch vorspürte?

Kellein: Eine sehr weitreichende erträumte gesellschaftliche Veränderung ging vor 1968 von der Fluxus-Bewegung aus. In der Kunsthalle Bielefeld haben wir mal den Fluxus-Künstler George Maciunas gezeigt. Diese Kunst ist wahnsinnig komisch, aber auch schrecklich, weil sie alles entlarvt. Ein Beispiel: Man geht mit einem 100-Mark-Schein in die Bank und wechselt den Geldschein so lange in andere Währungen, bis nichts übrig ist. Das ist Fluxus, da wird der Glaube an die hohe Kunst sehr stark zerbröselt.
Zwei Weltstars der Kunst: Andy Wahol (links) und Joseph Beuys - fotografiert 1979 (dpa)

Was ist mit Andy Warhol?

Kellein: Warhol war ein unglaublich kluger, weiser und scharfsinniger Künstler, der über seine Kunst nie redete und so tat, als wäre er permanent auf Droge und gar nicht zurechnungsfähig. Das gehörte zu seiner Attitüde und war eine Form von Unschuld.

Haben Sie Ihrer 1968-Ausstellung deshalb den Untertitel »Die Große Unschuld« gegeben?

Kellein: Ja. Dieser kindliche Ansatz, dass es nichts gibt als meine Einstellung, meine Ideen und meine Phantasie, ist die große Unschuld. Einerseits ist diese Egozentrik befreiend, andererseits ist das schrecklich. Dass wir uns, jeder einzelne Mensch, heute für so wichtig halten wie Sonne und Mond, geht natürlich auf die 68er-Zeit zurück. Keine nachfolgende Generation hat so gesponnen wie die 68er.


BILD-Zeitung zur Ausstellungseröffnung in Bielefeld


Welche Bedeutung hatte 1968 die Documenta?

Kellein: Das waren drei verschiedene Veranstaltungen. Die eine war die offizielle Eröffnungsfeier mit Bürgermeister, die zweite war die Störung dieser Eröffnungsfeier durch Demonstranten, und die dritte war eine Anti-Documenta von Künstlern wie Wolf Vostell, die sich ausgeschlossen sahen. Unter den Störern war übrigens ein gewisser Jörg Immendorff, der einen Kunststoff-Eisbären auf einen Besenstiel gesteckt hatte und sagte: »Ich will hier mal den Eisbären reinhalten«. Darüber habe ich mich immer kaputt gelacht. Was für ein kurioser Unsinn!

Gehören die Schüsse der Radikalfeministin Valerie Solanas auf Andy Warhol auch zu 1968?

Kellein: Auf jeden Fall. Das Attentat zeigt auf dramatische Weise, wie wenig Frauen damals und auch noch später in der Kunst zu sagen hatten. 1972 beklagte sich die Künstlerinnen-Gruppe »Guerilla Girls« beim Documenta-Leiter Harald Szeemann über fehlende Gleichberechtigung. Szeemann schrieb einen Satz zurück: »Frauen sollen Suppe kochen.« Das habe ich in einem Archiv gefunden, es war ein dickes Ei.

Ob Biennale in Venedig oder Documenta in Kassel. Heute kommt Kunst kaum ohne die Flüchtlingskrise aus. Muss Kunst politisch und aktuell sein?

Kellein: Man muss unterscheiden zwischen Kunst, die mit Kriegsgewinnlertum zu tun hat, und Kunst, die politisch ist. In meinen Augen wird die Kunst zum Teil dafür missbraucht, dass sie diese Themen aufgreift. Dann haben alle ein schlechtes Gewissen, und die Politiker können ihre Zuschüsse rechtfertigen. Das ist mir zu billig. Natürlich muss Kunst politisch sein, sonst hätte es keinen Goya und keinen Beuys gegeben. Aber nicht so penetrant mit dem Zeigestock.

Quelle.: westfalen-blatt.de/68er - Teil 5 (? - nach meiner zählung müsste das schon teil 6 sein) - 21.02.2018 - oder click here



Museum Fridericianum 1968 - documenta 4: Tom Wesselmann, Great Ameriacan Nude *No.98 (1968), *Mouth No. 15 (1968) (c) Tom Wesselmann/VG Bild-Kunst; Richard Smith, Second Time Around 1-5 * (1967); Roy Lichtenstein,*Yellow Broshstroke II (1965), (c) Roy Lichtenstein/VG Bild-Kunst; Escobar Marisol, The Dealers (1965/66), Couple (1965/66); Robert Indiana The great Love (1966), (c) Robert Indiana/VG Bild-Kunst; Larry Poons, One Credit (1967), (c) Larry Poons/VG Bild-Kunst - Foto: Hans-Kurt Boehlke - documenta 4, Kassel




natürlich war ich seinerzeit in kassel bei der documenta - natürlich habe ich neben joseph beuys gestanden - und sein etwas grau-schwarz wirkender hinterer hals zum weißen kragen hat mich damals fasziniert - und all die leute, mit denen er sich umgab. und seine politischen äußerungen vom anthroposophischen von rudolf steiner zunächst beeinflusst - aber dann mit viel 68er zeitgeist verrührt - was dann ja auch überging in die "grüne bewegung" - wo er dann auch auf den ober-"68er" rudi dutschke stieß.

"die basis war der kunstbegriff, die gestaltung der gesellschaft auf der grundlage der selbstbestimmung und freiheit." beuys kandidierte bei der europawahl 1979 und machte mit rudi dutschke wahlkampf - und der spätere bundesinnenminister otto schily war damals dabei als rechtsanwalt der raf - ehe er sich später der spd anschloss.


wenn man von der kunst bei den "68-ern" spricht muss man auch die aktion "LIDL" von jörg immendorff ind chris reinecke unbedingt erwähnen: LIDL war ein aktionsprojekt, bestehend aus mehreren kunstaktionen zwischen 1968 und 1969.

ziel der „LIDL“-kunstaktionen war es, das verhältnis von darstellung und zeigbarem, bildmacht der sprache und sprachhaftigkeit der bilder zu hinterfragen (= ein bild sagt mehr als 1000 worte ...). Es war der versuch, bewegung in die konservative nachkriegsatmosphäre der brd zu bringen. „LIDL“ ist ein nonsens-wort, das vom geräusch einer babyrassel abgeleitet war und das immendorff als schlachtruf für seine spätdadaistischen auftritte diente ...



in diesen tagen wird ja viel über die "68-er" resümmiert - im guten wie im schlechten.

viele, die heute vor allem negativ darüber schreiben, waren damals erst 8-10 jahre alt - und die verbreiten nur das "igittigitt" ihrer konservativen eltern weiter, oder sind eben in einer 68-er landkommune so frei verzogen worden, dass sie sich nun "führung und eine starke hand" wieder herbeisehnen, der ihre eigenen kinder jetzt endlich wieder "flink wie windhunde, zäh wie leder und hart wie krupp-stahl" macht! 

die meisten aber, übersehen die kulturelle tiefe und breite und die befreiung vom alten mief und pulverdampf der braunen ns-zeit dieser 68-er völlig - und haben keine ahnung über die kulturelle und politische und internationale dimension des ganzen ... 

dazu gibt es einen lesenswerten aufsatz in der stockkonservativen "welt" von alan posener, der ja das "links-konservative - aber dafür jüdische" aushängeschild der "welt" gegenüber dem alten schlachtross henryk m. broder ist - und alan posener stellt fest, dass "1968" fast eine internationale "jüdische weltverschwörung" als reaktion auf den holocaust war ...

da sei auch noch mal auf die "beat"-literatur eines jack kerouac und eines allen ginsburg und ihrer "bewegung" hingewiesen - von wo es überallhin ausstrahlungen in die internationale literatur gab: rolf d. brinkmann und dann uwe timm in deutschland als beispiele ... - und die mainzer minipressen-messe mit den alternativ-verlagen und dem zentralorgan eines "ulcus-molle"-infos von "bibi" wintjes aus bottrop ... - und was wäre die musik ohne die forschungen und experimente eines john cage ... beuys berichtet ja im video von einer ähnlichen "akustischen" kunstaktion ...

das war nicht alles "unmöglich" und "igittigitt" - das wurde nur zu schnell vom kapitalismus aufgefressen - weil es zu "gefährlich" für die geldzähler wie onkel dagobert wurde - und weil man sich deshalb einen solchen alternativen geschäftszweig schnell zu eigen machen musste - mundtot machen durch "integration" - ein altbewährtes multinational globalliberales turbo-kapitalismus-mittel zum einschläfern der breiten massen ...- S!


frösche sezieren im park - 1968 - update

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S!|art: sezierter frosch nach wollfroschvorlage




even sixty-eight

die papierrüschen sind längst abgerissen

das kopfsteinpflaster ist geschreddert,
nur die krümel knirschen beim gang über
die messing-goldenen stolpersteine -
mit den eingravierungen über das woher - wohin
was weiß ich denn noch  

sie schütteln unmerklich den kopf

und verstehen die texte nicht
die auslassungen, in die 
etwas hineingeahnt werden müsste:
nie wieder - schwört man sich hoch & heilig
und ballt die fäuste in der tasche

was wollt ihr denn eigentlich

da wird doch nicht erst überlegt
da muss man schnurstracks - ohne zu zögern
drüber hinweggehen - einfach drüber weggehen
ach was sage ich: also ent-schlossen
un-mittel-bar - unverzüglich: mensch nochmal ...

witwen im sarg steckt man weiß-verblümte rosen zu
unter die gefalteten leichenhände
mit den pechschwarz abgebrochenen fingernagelrändern:
die kerzen werden wegen brandgefahr ausgepustet
und - herrschaften - das gilt auch im krematorium:
der letzte macht dann bitte das licht aus

sie sezieren mit dem brieföffner jetzt frösche 

die grün-gelb-schwarz-gestreiften
denn seit mai 1945 ist die forschung
am lebenden objekt unterbrochen worden 
wegen fehlendem human-material
und die bücherverbrennung ist auch nicht mehr das ...

lasst sie - lasst sie doch schreien 

dann wird der fort-schritt eben warten müssen
die haben zu viel zeit - obwohl sie eilen
sie sind in der blase gefangen
und doch sind ja schon wieder dabei 
und verschütten ihre schale plürre
aber da ist doch längst mehr als kalter kaffee - denn

unter dem nass-schwarzen pflaster - ja da liegt der strand


sinedi



S!|photocollage

sophie scholl: der zaun

wertloses zeugs - als meine antwort auf tilman krause von der "welt" ...

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dieses "bild" müsste schon geschreddert werden - sonst hängt sich das am ende noch jemand hin - oder verkauft es auf dem trödelmarkt


wie ein braunes sahnehäubchen
knurrt der schaum im darm
und sucht sich den günstigsten weg
ins pralle leben

ein doppelter espresso 
mit einer süßstoff-tablette
lichtspiegelt sich im holzkruzifix
vom fenstersims her

alte suizidale vogelscheuchen
hängen aufgeknüpft am galgen
wo der mehlige loden
in frischen brisen hangelt

das ist alles nur der augenblick
die tatsächliche situation
mit feinen pfeifen aus dem tinnitus
mit einem rausch im zimmerdunst

du kannst das so einpacken
wickelst es in papier ein
machst ein gummiband drum
und legst es zu den anderen teilen

du weißt schon



sinedi
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als ich mich mit der kunst der "68-er" jetzt befasste - angeregt durch das interview mit dem ehemaligen leiter der kunsthalle bielefeld, thomas kellein, kam mir ja auch die "situationistische internationale" (= s.i.) unter. ich hatte mal früher davon gelesen - aber ansonsten blieben mir jetzt nur die skizzenhaften aussagen dazu bei "wikipedia" u.a.
also - "situationistisch": da las ich etwas von "poesie ohne gedichte" - oder von dem jungen rimbaud:  "es geht darum, durch ein entgrenzen aller sinne im unbekannten anzukommen...". mit kunst die kunst überwinden, die keine kunst mehr ist - nach auschwitz kann man keine kunst mehr machen ...
"situationen", in denen sich menschen unmittelbar frei und gleichberechtigt begegnen, austauschen, sich selbst verwalten, kreativ sind, sich ihren leidenschaften hingeben und keinerlei unnötigen zwängen mehr unterliegen...

gut - dachte ich - es kommt auf den "situationistischen moment" an - darauf, wenn sich ein augenblick vielleicht zu 21 spontanen zeilen eingespeichelt hat - ohne jede metapher oder bedeutung = einfach so...

auch wenn es eigentlich eine "poesie ohne gedicht" ist, führte mich der versucher dahin, einen "situationistischen" und vielleicht lyrischen text zu kreieren im augenblick: im hier & jetzt - im nunc & hic - wie zufällig ja auch dieses blog heißt ...

also das, was die gestaltarbeit mit dem ewig mitwandernden winzigen "zeitpunkt der gegenwart" beschreibt: was eben war - ist jetzt nicht mehr - und ich weiß nicht - was gleich sein wird - was man dann vielleicht von dritten hineininterpretiert ...

der zeitpunkt der gegenwart umfasst die augenblickliche "situation" - oder so ähnlich: ohne blick zurück im zorn - ohne luftschlösser und ohne die offenbarung des johannes oder die kristallkugel von madame zolta ... - einfach so - wie ein rülpser aus wortfindungen - ohne jede planung und ab-sicht oder be-ab-sichtigung - spontan - und vor allen dingen: unverkäuflich - wertlos ... -S!


_____________________________

nachsatz: neulich stand da in der "welt", dem zentralorgan der ja durchaus mit den "68ern" irgendwie verbandelten springer-presse, also 50 jahre danach, immer noch oder schon wieder ein unsäglicher verriss meiner generation - den 68ern - unter dem titel: "Selbstdarsteller: Die 68er haben rein gar nichts erfunden." von einem gewissen tilman krause, der 1968 selbst mal gerade 9 jahre alt war. 

leider scheinen diesem tilman krause humor, phantasie, einfühlungsvermögen, nachempfinden und empathie mit dem damaligen"zeitgeist"und eben diesen "situationen" völlig abzugehen. das wurde dem kleinen tilman wahrscheinlich als böses "igittigitt" und irgendwie fürchterlich dargestellt: "spiel nicht mit den schmuddelkindern" ... 

und doch kann ich mich eine woche später nach dieser kollektiven rund-um-beleidigung meiner nachkriegsgeneration (meiner "kohorte" - wie das bezeichnet wurde) damit versöhnen, dass dieser unsägliche krause ja auch recht hat - nur in einem ganz anderen sinn - dem er zu folgen aber nicht in der lage sein wird:
DIE 68er HABEN TATSÄCHLICH IMMERHIN DAS "REIN GAR NICHTS" ERFUNDEN. 
john cage experimentierte ja in seinem berühmten werk "4'33" mit der stille, mit dem "nichts", wie viele andere "künstler" seinerzeit, die gar keine "kunst" mehr machen wollten oder konnten, eher die kunst wenigstens virtuell zerschlagen - zumindest als konsumgut oder ideelles metaphergewaber ... - 

also: wo der krause recht hat - hat er recht: die 68 haben (das) "rein gar nichts"erfunden - aber das ist doch auch schon was - nachdem man andernorts ja längst schon beim trümmer wegräumen nach 45 erkannt hatte: "haste was - biste was"... - bzw. "geld regiert die 'welt'"  - immer lauter - immer mehr "spektakel" und radau (bild) - und immer wieder eine sau durchs dorf traben lassen - das bringt kohle - durch lobby- und werbeeinnahmen - aber da sei der herr vor ... - S!

nachhilfe-unterricht: wer oder was waren das - die "68-er"

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wer waren die "68er" ??? 

sogar mein konservatives heimatblättchen widmet ihnen in loser folge recht gute um "neutralität" bemühte berichte (link) ... - ansonsten wird in den gazetten zum "50." auch viel propaganda & mist - meist dagegen - und wenig dafür - verzapft ...: aber auch da gilt: die "68er" sind auch als "marke" längst abgefrühstückt - und man muss schauen, welche werbeeinnahmen sich mit dem ollen plot noch erzielen lassen ... 

nun - ich habe die "68-er" relativ hautnah miterleben dürfen. ich wurde 1968 volljährig - damals noch mit 21 jahren. und wenn man heute fragt, was haben die 68er denn schon erreicht - so schon einmal das als erstes genannt: heute wird man mit 18 jahren bereits volljährig (wurde 1974 beschlossen und trat zum 01.01.1975 in kraft)- von anderen weiteren emanzipations- und partizipations-erfolen einmal abgesehen ...

ansonsten habe ich hier für alle, die so schrecklich viel unsinn schreiben über diese epoche - und die sie nur noch vom hörensagen kennen - hier mal eine hörcollage von 5 sendungen à 30 minuten des süddeutschen rundfunks auf der seite von einem der autoren, anselm weidner, aufgetan - die bereits 1993 und dann 2003 entstanden und gesendet wurden - die aber nichts von ihrer aktualität und frische eingebüßt haben - 

und die bei aller "einseitigkeit" des autoren trotzdem gerade in den zwischentönen oft aufzeigen, was die 68er bleibend bewirkt haben, wo ihre leistungen liegen - und wo ihr scheitern ... - S!

CLICK HERE



und noch ein epochaler erfolg - ohne worte:

diese beiden straßen mit prominenten adressen finden sich jetzt direkt nebeneinander in berlin



ein wahres 68er-wunder:
DIE WELT - Axel Springer SE
Axel-Springer-Straße 65
10969 Berlin


taz Verlags u. Vertriebs GmbH
Rudi-Dutschke-Str. 23
10969 Berlin

nochmal ein 68er: f.c. delius - vom free jazz wachgeküsst - und ein interview mit tilman krause (welt) - vor 17 jahren ...

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Spiegel-Titel 44/2007 - Illustration: Thomas Fluharty

„Es war alles ganz anders“

Der Erzähler und Lyriker F. C. Delius hat viel über 68 geschrieben – jetzt spricht er

DIE WELT: Sie sind kürzlich Joschka Fischer beigesprungen.

F. C. Delius: Wegen der Scheinheiligkeit der Diskussion und der Denunziationen. Daher mein Vergleich mit Bill Clinton: Der hatte im Wahlkampf 1992 zugegeben, dass er gegen den Vietnamkrieg protestiert hat und wurde trotzdem gewählt.

DIE WELT: Aber er hat nicht auf Polizisten eingedroschen.

Delius: Aber eine Demonstration mitorganisiert, auf der es auch zu Ausschreitungen kam. Ich wollte auch keine klare Parallele ziehen. Ich wollte vor allem an das Klima von damals erinnern.

DIE WELT: Sie beklagen das Niveau der gegenwärtigen Debatte. Was fehlt Ihnen?

Delius: Es fehlt zum Beispiel der Hinweis darauf, dass Fischer zehn Mal verprügelt wurde von der Polizei und sich einmal gewehrt hat. Mir gefällt auch die Überheblichkeit nicht, mit der man heute lässig ein Verhalten verurteilt, dessen Hintergründe nicht ausgeleuchtet werden. Und vor allem: Mir fehlt ein deutscher Mc Namara, der namens des Establishments bekannt hat: „Wir haben da und da grundlegend geirrt.“ Bei uns ist es immer die Linke, die sich rechtfertigen muss, nie der Verfassungsschutz, nie die „Bild“-Zeitung, von Politikern ganz zu schweigen. Eine Entschuldigung von diesen Gruppen wäre ein Akt demokratischer Reife.

DIE WELT: Kommen wir zu Ihnen. Sie sind ja ein Vor-68er, haben 1965 mit Gedichten debütiert, 1966 sind Sie mit der gut recherchierten Politsatire „Wir Unternehmer“ bekannt geworden. Sie waren eines der jüngsten Mitglieder der Gruppe 47. Mit anderen Worten: Sie gehörten zu dem oppositionellen Milieu, das den 68ern den Boden bereitete. Hätte man die Bundesrepublik nicht auch ohne 68er reformieren können?

Delius: Wer weiß. Es gab auch vor 1968 eine sehr politische Kritik von Künstlern an den Verhältnissen, das stimmt. Denken Sie an Wolfgang Neuß. Aber die Situation änderte sich mit dem Beginn der Großen Koalition. Willy Brandt, von dem wir uns so viel versprachen, Arm in Arm mit dem Altnazi Kiesinger. Das hat den Weg ins Außerparlamentarische sehr befördert. Ich sage oft: Ich bin kein 68er, ich bin ein 66er. Auf diesem Niveau friedlicher Demonstrierens bin ich stehen geblieben. In der Novelle „Amerikahaus“ habe ich das zu beschreiben versucht. Für mich war prägend der Rausch der Offenheit in diesen Jahren, die Erweiterung des Horizonts, bis in die fernsten Ecken der Dritten Welt, politisch, musikalisch, literarisch. 1968 ging das schon zu Ende. Da begann die doktrinäre Verengung, die hat mich abgestoßen.

DIE WELT: Aber Sie haben sich auch einen „Mitläufer von 68“ genannt.

Delius: Ja, in einem ganz neutralen Sinne, ich bin bei Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnamkrieg, für die Bildungsreform mitgelaufen. Ich habe das nicht organisiert, nicht dazu aufgerufen, aber hinten oder in der Mitte war ich dabei.

DIE WELT: Gibt es ein Ereignis, mit dem Sie Ihre Abkehr von 68 verbinden?

Delius: Abkehr von bestimmten Gruppen, nicht vom Ziel Veränderung. Das war 1968 die so genannte Schlacht am Tegeler Weg, als zum ersten Mal Steine flogen. Und beim Aufkommen der RAF 1972.

DIE WELT: Sie haben kürzlich von der „neurotischen Liebe der Deutschen zu Ihren Gewalttätern“ gesprochen.

Delius: Als ich mich in meinen drei Romanen über den „Deutschen Herbst“ mit dem Verhältnis Herold-Baader beschäftigt habe, ausgehend von Herolds Ausspruch „Ich habe ihn (Andreas Baader) geliebt“, wurde mir klar: Es gab damals auch ein Bedürfnis, die RAF groß zu reden. Es gab das Bedürfnis nach einem Feind, auf beiden Seiten.

DIE WELT: Der autoritäre Charakter der Deutschen! Dazu gehört die Feindbildfixierung, die Feindbildbedürftigkeit.

Delius: Ja, beide Seiten haben sich gebraucht – zur Ichfindung. Letztlich aber hat die ganze Geschichte der Bundesrepublik sehr genützt. Seit dieser Bewährungsprobe, seit diesem Kampf steht der Staat. Seitdem bekennen sich die Linken zur parlamentarischen Demokratie.

DIE WELT: Nochmal zu den Anfängen. Sie haben vor allem in Ihrer Novelle „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ ein Elternhaus geschildert, in dem ein späterer Aufmüpfiger in den 50ern heranwuchs. Hätte 68 sich nicht so radikalisieren müssen, wenn es in deutschen Familien liberaler zugegangen wäre?

Delius: Sicher. In den 50ern gab es wahrscheinlich zu 90 Prozent autoritäre Elternhäuser. Aber das muss nicht immer ein Schade sein. Das kann auch die Wahrnehmung für Machtstrukturen schärfen. So war es jedenfalls bei mir. Mit 18 schrieb ich ein Gedicht zum deutschen Ordnungsfanatismus am Beispiel der Berliner Mauer. Das war 1962. Wer hat es veröffentlicht? Die WELT!

DIE WELT: Da sieht man wieder: Es war kein Privileg der Linken, sich über die verkrusteten Verhältnisse der 60er aufzuregen. Und schon gar nicht brauchte es 1968, damit man sich „politisierte“.

Delius: Ja und nein. Für viele war 68 die Initialzündung. Aber in Berlin gab es auch vor 1968 genug Anregung und Aufregung. Ich erinnere mich an den Besuch von Kennedy, der nicht nur sein „Ich bin ein Berliner“ sagte, sondern auch uns Studenten der FU ins Gewissen redete: „Kümmert euch um die Demokratie, mischt euch ein.“

DIE WELT: Nun zu den Konsequenzen von 68. Im Vergleich zu Frankreich fällt ja auf, dass es bei deutschen Intellektuellen keinen Abschied von den 68er-Ideen gibt, auch von Ihnen nicht. In Frankreich gab es Mitte der 70er bereits die Wende zum Engagement für die osteuropäischen Dissidenten, für Bürger- und Menschenrechte, Antitotalitarismus. Weshalb nicht bei Ihnen?

Delius: Das ist ganz einfach. Ich war, anders als André Glucksmann, kein Maoist. Ich hatte nie laut getönt, wo’s lang gehen soll. Da gab’s nichts Großes abzubitten. Und für Dissidenten habe ich eher still gearbeitet. Als Lektor bei Wagenbach hatte ich viel mit Wolf Biermann zu tun, als er noch in der DDR lebte, seit 1973 bei Rotbuch, dann mit Heiner Müller. Das Engagement für die Dissidenten war Praxis, nicht Theorie, schon gar nicht Rhetorik.

DIE WELT: Das typisch Linke verflüchtigt sich immer mehr! Um noch eins draufzusetzen: Sie, der in den 60er mit links-avancierter Dokumentarliteratur begonnen hat, lieferten mit Ihren letzten Veröffentlichungen klassische Novellen. Werden Sie immer konservativer?

Delius: Also, schon meine Satiren auf die Unternehmerwelt verhielten sich parodistisch zu Weiss und Kipphardt. Und mir wurden schnell die engen Grenzen dieser Form klar. Wenn ich Romane, Erzählungen, Novellen schreibe, dann weil sich in diesen Formen die Geschichten, die ich erzählen will, am besten erzählen lassen. Das hat nichts mit Konservatismus zu tun, sondern mit Entwicklung.

DIE WELT: Eine Form haben Sie bisher ausgelassen: Den repräsentativen Epochenroman über 68.

Delius: Als ich meine drei Romane zum Deutschen Herbst geschrieben hatte („Ein Held der inneren Sicherheit“, 1981; „Mogadischu Fensterplatz“, 1990; „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“, 1992) habe ich mir gesagt, ich könnte jetzt natürlich noch weiter zurückgehen. Dann dachte ich aber auch: Es gibt schönere Dinge als Gewalt und Terror, und ich will mich nicht ewig damit befassen. Aber einer sollte es schon tun.

DIE WELT: Sie finden also den großen Zeitroman über 68 und die Folgen wünschenswert.

Delius: Aber nichts ist schlimmer als die Veteranenperspektive. Der Hass auf 68 rührt ja nicht zuletzt daher, dass man meistens nur die Leute hört, die ganz vorne dabei waren, die rechthaberisch und im Gewissheitston sagen, was sie alles Tolles gemacht haben und was die Nachfolgenden eben nicht mehr hingekriegt haben. Hinderlich ist auch, dass die Medien nur die knalligsten Äußerungen zitieren, sich für die wildesten Details interessieren, das Thema superlativisch verzerren. Man müsste davon runterkommen, mit einem frischen Blick die Sache angehen.

DIE WELT: Ein Aufruf an junge Kollegen?

Delius: Ich bin kein Aufrufer. Wichtig wäre jedenfalls, dass sie die 68er nicht als Ikonen wahrnehmen, sondern Naivität, Hilflosigkeit, das Spielerische berücksichtigen. Es war eben alles ganz anders. Und vor allem: Helden waren wir nicht!

Das Gespräch führte Tilman Krause [sic!] (Die Welt: 20.01.2001)

... und jener Tilman Krause haut 17 Jahre später die 68er kräftig in die Pfanne: "Selbstdarstellung: Die 68er haben rein garnichts erfunden." Da muss sich jeder selbst seinen Reim drauf machen ...

________________________________________________

Armes Schwein

Um zwei Uhr nachts stürmten wir das Haus
des namhaften Kritikers. Der saß noch bei der Arbeit,
sprang sofort erleichtert auf und
nahm die Arme hoch. Sah zu, zufrieden
spielte er Entrüstung, als wir seine Bücher
in die Wäschekörbe packten, faßte aber nicht
mit an. Wir dachten an seinen bekannten
Enthusiasmus für „La Chinoise“, ließen ihm also
Majakowskij und Brecht. Schon holte er Wein
aus dem Keller. Als wir die Schallplatten
wegnahmen, sagte er bloß, er wolle von Beethoven
sowieso nichts mehr wissen, bestand aber plötzlich
auf Albert Ayler. Wir stimmten ab, ja der
sollte ihm bleiben. Wir tanzten mit seiner Frau.
Sie lud uns in die Küche, manierlich aßen wir
die Delikatessen auf. Er wollte uns dann
mit Whisky halten. Es wurde hell, wir schleppten
das Zeug endlich raus, da bot er uns das Du an.
Das, fanden wir, ging zu weit.
Da haben wir also doch wieder einen Fehler gemacht.

F.C. Delius - ca. 68/69




Albert Ayler Quintet - Truth is marching in

Donald Ayler (tp) Albert Ayler (ts) Michel Sampson (vln) Lewis Worrell (b) Ronald Shannon Jackson (d)
Live at Slug's Saloon, May 1, 1966

Fruit Tree Records FT 841


F.C. Delius - S!|bearbeitung nach einem Foto von DPA

Weckruf in New York

Neuerscheinung: F. C. Delius beschreibt in "Die Zukunft der Schönheit", wie er in den 60ern erst zum Jazz und dann zum Schreiben fand. Das Ergebnis ist eine Ermutigung

Von Stefan Tomas Gruner

Sonntag, 1. Mai 1966. Ein Schriftstellerkollege und ein Rundfunkredakteur nehmen das junge literarische Talent F. C. Delius mit in New Yorks Slug's Saloon (s. Video oben). Dort überfällt ihn das "Getröte, Gezirpe, Gehämmer, Gejaule" eines Free-Jazz-Quintetts um den Saxofonisten Albert Ayler. Mitverantwortlich für die "Zirkusmusik" sind Trommel, Trompete, Bassgitarre, Geige. Was Delius zuerst verstört, erweist sich als Befreiung. Stunden später verlässt er den Club als Dichter. 

Die Initiation hin zum eigenen poetischen Schaffen begann mit der Teilnahme an der im Nachhinein bekanntesten, ihren Niedergang einläutenden, Dichter-Lesung der Gruppe 47 in Princeton, USA. Delius war erleichtert, dort nicht lesen zu müssen. Er fand sein mitgebrachtes Gedicht unbefriedigend, wusste nur nicht, was seiner literarischen Produktion fehlte.

Von den Stunden im Jazzclub, die ihm darauf Antwort geben sollten, berichtet die autobiografisch gehaltene Erzählung "Die Zukunft der Schönheit". Dem berechtigten Stolz, als 23-Jähriger die deutschsprachige Literatur an einer amerikanischen Eliteuniversität mit vertreten zu dürfen, standen nicht weniger berechtigte Selbstzweifel gegenüber. Und nun, am letzten Abend vor dem Rückflug nach Deutschland, versetzt ihn die "Katzenmusik" in Slug?s Saloon in einen Zustand produktiver Verunsicherung.

Die Musik, die mit der Unbekümmertheit von Kammbläsern daherkommt und gleichzeitig so unverschämt klug und durchtrieben ist, macht den angehenden Schriftsteller erst einmal klein. Statt überheblicher Posen zwingt ihn das fremdartige Tongemisch zu Geständnissen, wie sie keine Kritik nach einer Lesung gnadenloser hätte vorbringen können: Gehört er in den Kreis der "Heiligen", die die Musiker gerade mit "I want to be in that Number" beschwören? Nein.

Er sieht sich als Dorfkind, Provinzler, Hinterherläufer, Nichtskönner, verklemmt, unmusikalisch, der schüchternste aller schüchternen Jungdichter. Er sitzt neben Kennern, die den "genialen" Ayler bewundern, hat jedoch weder geschultes Ohr, noch zum Fachsimpeln geeignete Ahnung. Das ist sein Vorteil. Die freien Improvisationen dringen ohne Reflexionsfilter in ihn, wühlen ungeordnete Bilder hoch: Die Schüsse auf Kennedy, Polizeisirenen, das Börsenspektakel, die Schlachtfelder Vietnams, seine Schülerliebe, sein sterbenskranker Vater, der ihn zu Unrecht fleischlicher Sünde und Lüge bezichtigt. Unzusammenhängendes Zeug zwischen großer Politik und privaten Ereignissen.

Kein klares Muster erkennbar, wie bei den Klangläufen dieser Jazzer, die bekannte Melodien nur zitieren, um sie zu zerlegen. Die sich nicht nur von den üblichen Harmonien, sondern auch von den Mitspielern trennen und darauf vertrauen, in einer neuen Ausdrucksform wieder zusammenzukommen.

Was da aufbricht, stört und zerstört, folgt keiner Willkür, sondern dem offenen Wagnis. Bei wachsender Verschmelzung mit den über alle Stile und Geschmäcker gleitenden Improvisationen des Quintetts erlebt Delius das Grundmuster echter Kreativität: "Frei, und doch an versteckte Regeln gebunden." Nicht anders beim Schreiben. Die versteckten Regeln? Der Selbstschutz. Die Assoziationsströme bewegen sich vom Unverfänglichen zum gerade noch Verkraftbaren. Bei Delius geht es vom Weltpolitischen über Jugendschwärmerei bis zu intimsten Kränkungen durch den Vater.

Saxofonwirbel, Geigenzirpen, Bassgrunzen, Trommelschüsse, Trompetenjaulen - die Musik des Free Jazz, die Delius zunächst wie eine Gehörfolter anspringt, treibt ihn, da er sich auf sie einlässt, auf einen neuen Stand seines Schreibens. Er fühlt, was seinem mitgebrachten "viel zu vernünftigen" Gedicht fehlt: die Musik, das gewagte Spiel, die schrägen Töne, die Lust zu scheitern, vor allem die Bereitschaft, etwas falsch zu machen. Auf Unverständnis zu stoßen und weiter zu machen.

Delius ist mit "Die Zukunft der Schönheit" ein bestechend ehrliches Musikstück in Worten gelungen, zur Ermutigung für alle, denen an der Zukunft der Schönheit liegt - und gegen alle, die an einer Zukunft ohne Schönheit arbeiten.


  • Friedrich Christian Delius
                       geboren am 13. Februar 1943 in Rom, aufgewachsen im hessischen Wehrda.
  • 1963-1970 Studium der Literaturwissenschaft (FU und TU Berlin), Dissertation 1971. 
  • 1970-78 Tätigkeit als Lektor (Wagenbach Verlag, Rotbuch Verlag). 
  • Seit 1978 freier Schriftsteller: gesellschaftskritische Lyrik, dokumentarische Texte, Romane zu Themen aus der Geschichte der BRD. (wikipedia)

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© 2018 Neue Westfälische
03 - Bielefeld Süd, Samstag 24. Februar 2018

kahn: das leben des menschen

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Abb.: medium.com
In seiner Lehrtafel »Der Mensch als Industriepalast« erklärte Dr. Fritz Kahn den menschlichen Körper. Das großformatige Motiv stammt von 1926 und lag seiner fünfbändigen Serie »Das Leben des Menschen« bei. Das Format ist so gewählt, dass der menschliche Körper lebensgroß wiedergegeben wird. Die organischen Funktionen verglich Kahn – vom großen technischen Fortschritt seiner Zeit inspiriert – mit industriellen Vorgängen oder alltäglichen Bürosituationen, um komplizierte Abläufe einfach darzustellen. Eine Pionierleistung des modernen Informationsdesigns, die junge und alte Entdecker gleichermaßen beeindruckt und zu einer Reise durch den Körper einlädt!

Tja - ich glaube diese Vorstellung geistert immer noch in einigen Köpfen herum, dass nämlich Biologie ähnlich funktioniert wie der Diesel aus Papas Garage ... Doch wie beim Diesel kommen wir auch beim Menschen auf immer neue und zunächst unerklärliche Phänomene und vielleicht Langzeitschäden bzw. vielleicht auch in anderen Zusammenhängen auf Langzeitnutzen. 

Kahn hat zum Beispiel offensichtlich noch nicht viele gewusst vom "Bauchhirn" und vom "Mikrobiom", wie ich es neulich im Zusammenhang mit dem ZEIT-Aufsatz von Dr. Andreas Weber noch einmal angesprochen habe - und wie es sich in dem ARTE-Video dort darstellt - aber eben auch in den umfassenderen biophilosophischen Zusammenhängen, die Weber anspricht ...

All diese Zusammenhänge haben mit "Technik" und "Maschine" weniger zu tun. Es sind komplexe biologische Abläufe, die aber nicht mechanisch "immer gleich" sind - im Sinne des "man nehme ..." - sondern immer wieder anders - als psychosomatische Prozesse - eben als vitales und fortschreitendes Leben ...

Eine andere spannende Frage ist es, ob in Betrieben und im Büro eine andere Hierarchie sich herausgebildet hätte, wenn man die "Vergleichs-Tafeln" von Kahn zu Beginn der allgemeinen Industrialisierung und Mechanisierung mit ihrer innerbetrieblichen Organisation so gar nicht gekannt hätte - und von einem anderen "inneren Sosein" ausgegangen wäre ...

Beim Anblick der Tafel frage ich mich ja schon - was war zuerst: "Huhn oder Ei" - bzw. die Industrialisierung und deren Organisationsabläufe als "Vorbild" für Kahn zur grafischen Konzeption der medizinischen Lehrtafeln - oder umgekehrt: die Organisation der Betriebe letztlich dann so ähnlich zu gestalten wie die erdachten Abläufe im Körper - vielleicht auch, weil man innerpsychisch und unbewusst abhängig war von einer solchen angenommenen menschlichen Signatur und Prägung als Denkablauf-"Vorgabe" ...

Die derzeitigen Zusammenhänge in der computergesteuerten Informationstechnik sind ja auch wieder prägend für unsere derzeitigen Ablaufvorstellungen mit digitalen Datenverarbeitungsfunktionalitäten im Arbeitsalltag - etwa: der Kollegen X sollte mal"seine Festplatte löschen"und"ein anderes Programm hochladen"usw.

Innere Betriebsstrukturen und Abläufe sowie Fragestellungen der betrieblichen "Identity" liefen vielleicht völlig anders ab ... - und auch das "Große & Ganze" des herrschenden globalen Systems eines neoliberalen Turbo-Kapitalismus wäre vielleicht ganz anders aufgebaut und vernetzt, wenn nämlich im übertragenen Sinne "die Taktgeber des Lebens" mehr in Nabel- und Sonnengeflechtnähe in der Mitte des Körpers als miteinanderverflochtene "Teamleistungen" (eines "Mikrobioms" etwa) verortet wären, statt einzig im Kopf - im dortigen Gehirn. - Ja - wir sprechen ja schon länger allgemein auch von einem "Nabel der Welt" und nähern uns somit einer solch verorteten Denke an ...  

Und so ergeben sich ja vielleicht auch spannende und neue Fragen in der "Organisationsberatung" ...-S!

noch ein 68er-wunder: gretchen dutschke bei axel springer: "wir können stolz sein auf deutschland - und 68"

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Es war eine Premiere, als
Gretchen Dutschke Ende
Januar das Berliner
Gebäude des Axel-
Springer-Verlags betrat.

Im Journalistenclub,
hoch über den Dächern
der Hauptstadt, sprach sie
mit WELT AM SONNTAG
über Erfolge und Fehler
der 68er-Bewegung:

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Die Revolte von 1968, längst Chiffre und Mythos geworden, begann schon in den frühen 60er-Jahren. Sie hatte viele Wurzeln, von der Rockmusik der Beatles und Rolling Stones über umherschweifende Existentialisten und Post-Dadaisten bis zur „Subversiven Aktion“, von den „Gammlern“ in München-Schwabing bis zu den theoriebesessenen Marx-Exegeten im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Und sie kamen von überall her: aus der tiefsten deutschen Provinz wie aus den Großstädten. Nicht zuletzt: aus Ost und West. Rudi Dutschke kam aus Luckenwalde in der damaligen DDR, und Gretchen Dutschke, seine spätere Kampfgefährtin und Ehefrau, reiste aus dem fernen Amerika an. 
In ihrem neuen Buch „1968, worauf wir stolz sein dürfen“ beschreibt sie unter anderem ihre ersten Jahre in Deutschland und Berlin. 

WELT AM SONNTAG | NR. 8 | 25. FEBRUAR 2018 | S. 14

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irgendwie zeigt das ja auch ein hohes maß an innerer redaktions-liberalität nach all den jahren, dass in "springers"WELT AM SONNTAG vorab ein kleiner auszug aus dem neuesten buch und ein interview mit gretchen dutschke-klotz abgedruckt wird - als THEMA auf den seiten 11-14 ...  - und der buchtitel heißt ja immerhin: "1968, worauf wir stolz sein dürfen" .

auch wenn ich vermute, dass es dabei auch um marktstrategische überlegungen im hintergrund geht, vermeine ich als ehemals sozial berufstätiger mensch doch darin auch eine geste der handreiche zu erkennen, vielleicht des hauses springer bzw. des "welt"-herausgebers stefan aust gegenüber frau gretchen dutschke, was ja auch das vertraute "du" im interview mir zumindest suggeriert.

mich jedenfalls haben diese geste aber auch der inhalt und die aussagen gretchens zu 68 ausgerechnet in der "welt" wieder etwas versöhnt mit dem für mich weiterhin unsäglichen artikel des tilman krause (fast hätte ich schon "krüger" geschrieben, wahrscheinlich weil mir das immer noch zu "trunken" vorkommt) von neulich, als er quasi der gesamten "68er-kohorte" (krause) ebenfalls in der altehrwürdigen "welt" jegliche bedeutung absprach - und damit auch die lebensleistung einer ganzen nachkriegs-generation - wenigstens musste ich das nach meiner persönlichen sozialisation so empfinden ...

als wären diese sogenannten "68er" nichts weiter als ein völlig überdrehter fliegenschiss in diesem unserem Lande und seiner geschichte und kulturellen entwicklung gewesen.

gretchen dutschke nun rückt das mit ihrem "stolz auf 68" wieder etwas zurecht - in ihrem buch - aber auch in dem interview dank der fragestellungen von stefan aust und einem weiteren welt-redakteur. - S!

Jean-Michel Basquiat: POPSTAR DER KUNSTWELT | Arte/ZDF-Dokumentation

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54 min. - Jean-Michel Basquiat, der mit Warhol befreundet war und Madonna datete, war der Star in der Kunstszene der frühen 1980er Jahre in New York. Er lebte schnell, starb jung und schuf Tausende von Zeichnungen und Malereien, die heute für bis zu 50 Millionen US-Dollar pro Werk verkauft werden. Nach seinem Tod wurde er zu einem der wichtigsten Künstler seiner Generation.
Jean-Michel Basquiat war die Personifikation der ultra-hippen Subkultur der Post-Punk-Ära Manhattans. Er hing mit Warhol ab, ging mit Madonna aus und veröffentlichte bahnbrechende Kunstwerke. Basquiat mischte die New Yorker Kunstwelt mit Arbeiten auf, die das Leben der Straße in die Hochkunst brachte. Rau, provokativ, schön, kindlich, spontan und voller Anspielungen: Seine Malereien und Zeichnungen – eine Kombination aus gekritzelten Formen und durchgestrichenen Wörtern – erschienen chaotisch, waren aber äußerst zweckorientiert. Kunst war sein Mittel, seine Erlebnisse als schwarzer Mann in einer weißen Welt zu verarbeiten. Das Porträt zeigt seine ambivalente Freundschaft mit Andy Warhol, taucht unter die Oberfläche und geht einigen Mythen auf den Grund. War Basquiat das gepeinigte, selbstverletzende Genie, ähnlich wie Vincent van Gogh? Oder war sein Schicksal ähnlicher dem eines Stars, der sich in einem Strudel aus Ruhm und Drogen verliert? Oder war er einfach das Opfer habgieriger Dealer, der Wall-Street-Gier und des Kunstmarkt-Hypes?

Besetzung und Stab
Regie : David Shulman
Land : Großbritannien
Jahr : 2017
Herkunft : ZDF

1968 - ein Mythos ???

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«Die 68er waren Getriebene von den Dämonen der Zeit»
Aufbruch in eine befreite Moderne oder Beginn eines Werteverfalls? Wie die 68er-Bewegung zu beurteilen ist, erläutert der Historiker Gerd Koenen in «NZZ Standpunkte».

Kathrin Klette | NZZ

ZUM VIDEO: CLICK HERE

Der deutsche Publizist und Historiker Gerd Koenen kann auf eine wertvolle Erfahrung zurückblicken: An der 68er-Bewegung nahm er selbst als linksradikaler Politaktivist teil, später setzte er sich in seinem wissenschaftlichen Werk kritisch mit der Ideologie der Jugendrevolte und seiner eigenen Rolle in der Bewegung auseinander. Rückblickend sagt er heute, seine stärkste Erinnerung an die damalige Zeit sei, «zu all den Dingen, die da draussen in der Welt passierten, in einem unmittelbaren Kontakt zu stehen». Wesentlich ist für ihn im Nachhinein eine Erkenntnis: Je mehr die Bewegung mit Theorie und Ideologie aufgeladen worden sei, desto enger sei die Welt geworden.

Rebellion gegen die Weltordnung nach 1945
Die 68er-Bewegung war zwar eine weltweite Revolte; dennoch wurden die Proteste von den jeweiligen historischen Begebenheiten der einzelnen Länder geprägt, wie Koenen erläutert: Die USA standen unter dem Eindruck der Bürgerrechtsbewegung und des Vietnamkriegs, in Frankreich wurde das Verhältnis zur früheren Kolonie Algerien aufgearbeitet, und Deutschland setzte sich mit dem Nationalsozialismus auseinander. Das Verbindende der 68er-Bewegung sei gewesen, so Koenen, dass die Nachkriegsgeneration gegen die Weltordnung rebellierte, die die Weltkriegsgeneration nach 1945 errichtet hatte.

«1968» – ein Mythos wird besichtigt
Vor 50 Jahren erhob sich die Jugend in den westlichen Industriestaaten gegen die Welt ihrer Väter. Dabei strebten zumal die deutschen Kinder von Marx und Coca-Cola nicht weniger als die Weltrevolution an. Während die linke Revolte im Politischen krachend auflief, hat sie die Liberalisierung der Lebenswelt stark vorangetrieben. Trotzdem scheiden sich bis heute die Geister über ihr Vermächtnis. Mit dem Historiker Gerd Koenen unterhalten sich der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer und die Politikphilosophin Katja Gentinetta über Aufbruch und Scheitern, Utopie und Ideologie, Ursachen und Folgen der Bewegung. Koenen gehört zu den wenigen 68ern, die den eigenen gewaltbereiten Radikalismus kritisch hinterfragt haben.

Das Erstaunliche war, dies stellt auch Koenen fest, dass die Mitglieder der 68er-Bewegung zur «Jeunesse dorée» gehörten: Aufgewachsen im Wohlstand der Nachkriegszeit, noch dazu mit guten Bildungschancen ausgestattet, ging es ihnen eigentlich gut. Dennoch waren sie «Getriebene von den Dämonen der Zeit», die dem Frieden nicht trauten, wie Koenen sagt: misstrauisch gegenüber dem Establishment und in Furcht vor einem neu aufkommenden Militarismus und Faschismus, angefeuert etwa unter anderem durch den Erlass der Notstandsgesetze in Deutschland im Mai 1968. Manche Vorbilder seien dabei im Kampf für Frieden und Freiheit durchaus verklärt worden: Dass Politiker wie der vietnamesische Premierminister Ho Chi Minh oder auch der Revolutionär Che Guevara keineswegs nur gut waren, hätten viele erst spät erkannt, sagt Koenen.

«Kult der Militanz»
Heute sind vor allem die positiven und lebensbejahenden Aspekte der 68er-Bewegung präsent: Woodstock, Hippies, Flower-Power. Die sexuelle Revolution, unter anderem ins Leben gerufen durch Oswalt Kolle, befreite die Menschen von den bis dahin vielfach vorherrschenden strengen und einengenden Vorstellungen von Sexualität. Das Paradoxe war jedoch, dass die 68er-Bewegung keineswegs immer nur friedlich war: Einige Figuren der Revolte, erzählt Koenen, etwa Rudolf Dutschke oder die «Spontis» in Frankfurt, traten damals durchaus autoritär auf; bisweilen sei ein «Kult der Militanz» zu spüren gewesen. Letztlich war auch die Rote Armee Fraktion (RAF) ein Produkt der 68er-Bewegung. Mit dem ursprünglichen theoretischen Gerüst der Jugendbewegung hatte diese Gruppe laut Koenen nichts mehr zu tun: «Bei der RAF war der leere Existenzialismus der Tat das Entscheidende», sagt er. Koenen sieht hier zumindest strukturelle Parallelen zum heutigen Islamismus, dem sich plötzlich radikalisierte junge Menschen anschliessen.

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"Das Erstaunliche war, dies stellt auch Koenen fest, dass die Mitglieder der 68er-Bewegung zur «Jeunesse dorée» gehörten: Aufgewachsen im Wohlstand der Nachkriegszeit, noch dazu mit guten Bildungschancen ausgestattet, ging es ihnen eigentlich gut."
das höre ich als 68er heutzutage immer wieder. aber ich zähle zur 68er-generation alle die, die 1968 ca. 18 - 35 jahre alt waren. ich weiß nicht, wie gerd koenen in bochum und gelsenkirchen aufgewachsen ist, er ist ja auch ein 68er - aber die oben definierten geburtsjahrgänge von ca. 1933 - 1950 mussten ja alle 
  • den desolaten zumeist am boden und in trümmern liegenden schulbetrieb nach 1945 durchlaufen - wo es zumeist auch noch schulgeld gab für "höhere schulen" - kleinstklassen zumeist mit anderen jahrgängen in einem klassenraum usw. - viele 68er haben dann ja die höheren schul-reifeprüfungen damals erst auf dem zweiten bildungsweg erhalten (z.b. auch gerhard schröder) oder keinen offiziellen abschluss (wie z.b. joschka fischer) - und ich habe bis zu meinem beruflichen ruhestand in insgesamt 7 berufen vollgültige abschlüsse erreicht: das leben war spannend und in der postmoderne schon recht patchworkartig.
  • wir mussten selbst die trümmern des krieges auch im weitesten sinne von den straßen und aus den wohnungen räumen - 
  • viele mussten auf ihre väter warten, die vielleicht noch in kriegsgefangenschaft waren oder die danach ganz neu anfangen und zurechtfinden mussten - oder auch gar nicht mehr zurückkamen - 
was daran "vergoldete jahrgänge" ["jeunesse dorée"] sein könnten ... das sei mal dahingestellt ...

ich bin jahrgang 1947 - und ich weiß nicht wo aus meiner kindheitszeit eine "wohlstandskindergeneration" hätte heranwachsen können. 
wir lebten zu 5. (2 erwachsene - 3 kinder) in einer notdürftig ausgebauten wohnungs-zwangsbewirtschafteten mini-mietwohnung von ca. 45-50 qm - mit plumps-klo im keller ... 

"wohlstand" ???: mein vater verdiente damals um die 350,00 DM als straßenbahnschaffner für uns 5 - das war unser "wohlstand" ... 

und an werten geschaffen haben wir, dass wir heute ohne ein von unseren eltern überkommenes erbe in eigentums-wohnungen leben oder gar im eigenen häuschen mit garten - und dabei mit pünktlich zurückgezahlten hochverzinsten krediten vielen handwerkern bundesweit brot & arbeit ermöglicht haben. 

mein "marsch durch die institutionen" führte mich vom kleinen noch 18 monate "dienenden" zivildienstleistenden - als kriegsdienstverweigerer mit geprüftem gewissen vor der staatlichen prüfungskomission - im sozialbereich "hinauf" bis zum leiter eines heimverbundes mit zunächst 108 plätzen - und das ging nur mit einigen berufsbegleitenden und mühsamen mehrjährigen nachqualifizierungen ... - das ist mir nicht in den schoß gefallen ... - und zählt für mich auch zur "lebensleistung"eines 68ers... - 
symbolische bühnen-szene zu einem song von michael jackson

ja - als "68er" fühle ich mich immer noch - in einem durchaus positiven sinn. ich gehörte zwar nie zu irgendeinem "harten kern" - zu keiner "k"-gruppe - war aber mitglied bei den jusos in der spd und kurz in der gaz als vorläufer-partei zu den "grünen" - und ich habe auch nicht mein marx-buch oder die "rote bibel" von mao unterm kofkissen liegen gehabt - dann schon eher die echte bibel - denn mein vater war mal früher diakon in bethel gewesen, ehe er dann aus gründen einer selbstbestimmten persönlichkeitsentfaltung, die man ihm dort versagte, bethel wieder verließ. - und ich kam als so geborener "gutmensch" und kriegsdienstverweigerer ende der 60er/anfang der 70er in bethel wieder an - und schulte dort dann um - vom gelernten schriftsetzer zum erzieher/heilpädagogen und heimleiter.

und doch hat mir die 68er epoche (!) als "zeitgeist" auch ohne die marxistisch-leninistische theorie-unterfütterung zu meiner selbstbestimmten persönlichen entfaltung den im nzz-video angesprochenen nötigen "drive" und den mut als im grunde ängstlichen mensch gegeben - und ich fühle und fühlte mich "ein-stück-weit" (alte sponti-floskel) getragen durch diese formale gesellschaftliche befreiung, die von dort ausging und uns forttrug und das knöchern vertrocknete land bewässerte und ergrünen ließ - und lässt (!)... - wenn sie so wollen bin ich heute wohl ein jesuanisch anarchistischer links-alt-"68er" - etwas kompliziert, aber das wird man ja heute wohl noch sagen dürfen 👦 ...
überhaupt lese ich mit allen abwertungen der 68er einhergehend immer öfter auch abwertungen der "sozialen berufe" allgemein ... folglich erleben wir heute einen mangel im sozialbereich an qualifizierten bewerbern, weil man diesen berufszweig kaputtredet und das einstiegsniveau herabsetzt bis zur unkenntlichkeit - und total unterbezahlt - und auch die gleichstellung der geschlechter hat hier noch keinen einzug gehalten: es sind und bleiben fast ausschließlich "frauen"berufe - ... ein "gestandener deutscher mann" leert doch nicht die bettpfanne anderer menschen - womöglich noch von "ausländern" ... 
alle diejenigen, die also über diese "sozial-fuzzies" und "gutmenschen" verächtlich ihre nase rümpfen, sollten sich überlegen, wer denn ihr kind nach dem autounfall pflegt und trainiert und wiederherstellt - und wer die mama im altenheim betreut und dort ihre vollgepillerten pampers hoffentlich zur rechten zeit wechselt ...
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wams: gretchen dutschke
am wochende erschien in der "welt am sonntag" ein langes interview des herausgebers stefan aust und eines kollegen mit gretchen dutschke, 76, witwe von rudi dutschke.

in einem kommentar in der "welt" dazu schrieb ich: 
ich wenigstens freue mich, dass neben den hardlinern der 68er-ablehner und -leugner nun auch menschen zu wort kommen, die mittenmang dabei waren - im falle von gretchen dutschke auch viel persönliches leid ertragen mussten - und trotzdem kurz vor ihrem 76. geburtstag sagen: "ich bin stolz auf deutschland - und auf die 68er" ...
dazu fragte dann ein(e) "Aurora": "was sind denn 68er-Leugner?"

meine antwort dazu:

das sind die menschen, die heute meinen die 68er hätten nichts aber auch gar nichts bewirkt - oder wie der "welt"-autor tilman krause, der kürzlich einen artikel/einen verriss veröffentlichte mit dem titel: "die 68er haben rein gar nichts erfunden"...
was man also nicht mag oder wahrhaben will, verschweigt man, macht es nieder, ignoriert es, spaltet es ab - verleugnet es: das sind die "68er-leugner" ...: die in den 68ern nur ein paar krakeelende studenten oder die maßlos radikalisierte "raf "sehen (deren höhepunkt erst 9 jahre nach 68 war - vom "deutschen herbst" jedenfalls spricht man erst 1977) - die aber die globale "aufbruchstimmung", das gesamte befreiende klima insgesamt in dieser epoche - und den mut eines "zivilen ungehorsams" und widerstands gegen das überkommene establishment auch in den eigenen familien und lebensbereichen nicht sehen wollen - oder heute negieren ... - 
  • die experimente und befreiungen in sozialen bereichen, im zusammenleben von mann und frau (beginn der "emanzipation"), die befreiungen im bereich der sexuellen orientierung (verhütung, "pille", abtreibung, homosexualität, transsexualität u.a.) - 
  • herabsetzung der volljährigkeit von 21 auf 18 - und die damit verbundene legitime emzipation und partizipation
  • im gesamten kulturellen bereich und in der kunst - (z.b.: literatur: beat-literatur - cut-up - slam -  musik: john cage, pop u.a. - kunst: joseph beuys, jean-michel basquiat, andy warhol, informel, cobra, SPUR u.a.) 
  • im politischen bereich: grüne  und antiautoritäre bewegungen - auch im ostblock: polen, cssr, jugoslawien - die "außerparlamentarische opposition" (apo) und in ihrem gefolge auf lokaler ebene die "bürgerinitiativen" als neue instrumente einer basisdemokratie -
  • in schule, studium und ausbildung (antiautoritäre erziehung, verbot der züchtigung, aufwertung des kindes) - 
  • widerstand gegen die (auch atomare) wiederbewaffnung, friedensbewegungen, anti-akw-bewegungen - 
  • und nicht zuletzt: aufarbeitung des ns-horrors auch in den eigenen familien durch recherche in den archiven usw.
"die 68er" - das ist ja als begriff wie wir oben im video von koenen schon mehrfach gehört haben, eine künstlich konstruierte einordnende jeweils willkürlich festgelegte narrative rückkonstruktion, die in ihren jeweiligen begrenzungen und ihrem umfang immer wieder neu zu definieren wäre. die heute von uns so bezeichneten "68er" wussten selber 1968 ff. nicht, dass sie einmal so benannt werden ...

überhaupt - man müsste eine art "stammbaum" aus der historie entwickeln, wenn man seriös darstellen möchte, was alles originär aus dem "geist" der 68er angeschoben und befeuert worden ist. nur so könnte man der fülle dieser entwicklung geschichtlich und kulturell einigermaßen beikommen - und diesem kraus-artikel: "die 68er haben rein gar nichts erfunden" auch entsprechend paroli bieten ... dabei ist natürlich nicht alles exakt zwischen dem 01.01. und dem 31.12.1968 aus dem hut gezaubert worden - aber aus dem zeitgeist entwickelten sich entsprechende initiativen - im guten - z.b. apo und bürgerinitiativen und basisdemokratie ... - wie eben auch im schlechten: die raf und deren morde ... eine ähnliche entwicklung ins extreme sehen wir ja heute auch bei den dschihadisten unter den muslimen ...


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