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die menschen hinter den akten und zu den "stolpersteinen" - und all die mitläufer

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Der Mensch hinter der Akte

Ausstellung in Bethel über kranke und behinderte Menschen in der NS-Zeit

Von Burgit Hörttrich | WB

Bielefeld(WB). Die Frage nach dem Wert des Lebens ist die Leitlinie dieser Ausstellung: Am 15. Mai 2018 wurde im Hauptarchiv Bethel (Bethelplatz) eine Ausstellung über kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus –»erfasst, verfolgt, vernichtet«– eröffnet.


Kerstin Stockhecke in der Ausstellung. Im Hintergrund ein Triptychon von Ralf Stühmeier . Fotos: Bernhard Pierel | WB

Die Ausstellung bestehe aus drei Teilen, sagt Kerstin Stockhecke, Leiterin des Hauptarchivs. Da sei zum einen die Wanderausstellung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, die Ausgrenzung, Zwangssterilisation und Massenmord an Patienten in Heil- und Pflegeanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Zwischen 1933 und 1945 seien bis zu 400.000 Menschen zwangssterilisiert, 200.000 ermordet worden. Ärzte, Pflegekräfte und Verwaltungsfachleute selektierten die Patienten nach Kriterien wie »Heilbarkeit«, »Bildungsfähigkeit« oder »Arbeitsfähigkeit«.

Die Ausstellung war 2014 zum ersten Mal im Bundestag zu sehen, wurde seitdem an 30 Standorten gezeigt – unter anderem in Australien, Japan und Südafrika. Mehr als 340.000 Menschen haben sie bislang besucht.

Ohne Bethel in der Zeit des Nationalsozialismus zu beleuchten, wäre es aber, sagt Kerstin Stockhecke, wohl gar nicht möglich gewesen, die Wanderausstellung in Bethel zu zeigen. Es gebe zwar mehr als 100 Veröffentlichungen zum Thema, jetzt habe man als Schwerpunkt auf die Biografien der betroffenen Menschen gesetzt. Grundlage dafür seien die Patientenakten gewesen. Gezeigt werden in der Ausstellung Schlüsseldokumente aus der NS-Zeit, die so noch nicht öffentlich zu sehen waren, darunter auch Fotos.


Jürgen Heinrich mit einem Bild
von Schanna Saranzew
Das Künstlerhaus Lydda hat sich in einer inklusiven Gruppe ebenfalls mit den Patientenakten beschäftigt (Teil drei der Ausstellung). Die Künstler, so Jürgen Heinrich als Leiter des Künstlerhauses, hätten versucht, Gefühlen wie Entsetzen oder Fassungslosigkeit Gestalt zu geben. Heinrich: »Es ging dabei aber nicht um Illustrationen oder darum, die Patienten zu porträtieren, sondern um eigenständige Kunstwerke.«

Auf Fotos der Patienten hat man in der Ausstellung bewusst verzichtet, obwohl diese in den Akten vorhanden sind. »Diese Fotos sind nicht würdevoll«, erklärt Kerstin Stockhecke.

Thematisiert wird in der Schau auch die Strategie des damaligen Bethel-Leiters Friedrich von Bodelschwingh und des Leiters von Lobetal, Paul Gerhard Braune, sowie Ernst Wilms (später Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen): Noch nie gezeigte Briefe dokumentieren ihre Einstellung zu den Zwangssterilisationen und ihr Handeln gegen die Tötungen von Kranken.

Gezeigt werden zudem Fotos und in kurzen Texten Biografien von Opfern und von Tätern.

Kerstin Stockhecke sagt, die Ausstellung biete einen umfassenden Überblick zum Thema, geeignet auch für Schulklassen. Für sie gebe es ein eigenes, pädagogisches Programm (Beratung und Terminabsprache unter Telefon 0521/144-3255). Die Ausstellung ist bis zum 13. Juli zu sehen: montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr.

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Vorträge

  • 8. Juni, 19 Uhr: Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl spricht über »Psychiatrie in Bethel. Vom Hospiz für Nervenleidende und Gemütskranke bis zur Psychiatriereform der 1970er Jahre«.
  • 12. Juni, 18 Uhr: Filmgespräch mit Jenny Janzen und Kerstin Stockhecke; gezeigt wird der Film »Ringende Menschen« von 1933.
  • 20. Juni, 19 Uhr: Prof. Dr. Thomas Pollmächer spricht über aktuelle rechtliche und ethische Herausforderungen für die Psychiatrie.
  • 2. Juli, 18 Uhr: Dr. Uwe Kaminsky stellt sein Forschungsprojekt »Alltag in der Anstalt Bethel 1924-1949« vor.
Die Veranstaltungen finden im Hauptarchiv Bethel statt.

Dies Foto entstand in 1940 in Liebenau und ist Teil der Wanderausstellung.
In der nachträglichen Colorierung des Fotos wurde der legendäre "Graue Bus" zur Deportation in die Tötungsanstalten rot eingefärbt.



  • WESTFALEN-BLATT Nr. 112 - 16.05.2016 - S.12
... und dazu auch:

In diesem Theaterstück werden Szenen nachempfunden aus dem viel zu kurzen Leben meiner Tante
- dem NS-"Euthanasie"-Opfer Erna Kronshage -
click here

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nun ist die wanderausstellung "erfasst - verfolgt - vernichtet" auf seiner kreuz-&-quer-weltreise in bethel angekommen. mit einem üppigen und  anspruchsvollen begleitprogramm versehen. 

es geht dabei immer um den menschen hinter der akte und auf den bildern und zu dem "stolperstein" vorm haus: und es sind dabei auch immer die kehrseiten: 
  • die ärzte in den weißen kitteln - 
  • die akademischen fern-begutachter in berlin, 
  • die professoren, die die tödliche "hungerkost" mit barbituraten "austüftelten" wie professor dr. paul-hermann nitsche, zunächst so, dass man ihnen hinterher kaum etwas gewaltsames nachweisen konnte,
  • die busfahrer der sogenannten legendären "grauen busse" und 
  • die disponenten der todestransporte mit der reichsbahn, 
  • die "gekrat" (für: "gemeinnützige kranken-transportgesellschaft") in berlin, 
  • die lokführer, 
  • die zugbegleiter, 
  • die denunzianten in der nachbarschaft ("da schaut mal nach: die ist so komisch geworden"), 
  • die gemeindefürsorgerin von der ns-volks"wohlfahrt", 
  • die direktoren der landes"heil"- und pflegeanstalten, 
  • die krankenschwestern und -pfleger (die alle nur "ihre pflicht" taten - und auf anordnung handelten ...) 
  • die richter und bediensteten und sachverständigen in den erbgesundheitsgerichten und deren bürokratie zur anordnung der zwangssterilisationen, 
  • die polizisten, die für eine zwangseinweisung gerufen wurden: 

sie alle waren an den ca. 300.000 "euthanasie"-morden beteiligt - also ein personenkreis von ca. 6-10 "mittätern" pro opfer - jeder auf seine art - und hinterher sagten alle - sie hätten von nichts gewusst ... - und auch die betroffenen familien haben alles "verschwiegen" - z.t. heute noch ...S!

nothing - nüscht - nix - kannste mal sehen ...

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Ei­sen­bahn­fried­hof in Un­garn: "Wir kön­nen nicht si­cher sein, dass wir die Ers­ten wa­ren."

(SPIEGEL-DAILY - CLICK ON THE PICTURE)



Interview mit dem Geobiologen 
Dirk Schulze-Makuch: 

Sind die Dinosaurier ins All geflogen?


VON OLAF STAMPF
Ressortleiter Wissenschaft und Technik DER SPIEGEL


  • Schul­ze-Ma­kuch, 54, ar­bei­tet an der TU Ber­lin. Der As­tro­bio­lo­ge er­forscht dort Me­tho­den, um au­ßer­ir­di­sche Le­bens­for­men auf­zu­spü­ren. In sei­nem neu­en Buch "The Cos­mic Zoo. Com­plex Life on Many Worlds" er­grün­det er un­ter an­de­rem, wel­che Spu­ren eine in­dus­tri­el­le Hoch­kul­tur hin­ter­lie­ße.


SPIEGEL: Herr Schul­ze-Ma­kuch, las­sen Sie uns ein klei­nes Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment an­stel­len: An­ge­nom­men, schon die Di­no­sau­ri­er hät­ten Häu­ser ge­baut, könn­ten wir da­von heu­te noch ir­gend­wel­che Über­res­te fin­den?

Schul­ze-Ma­kuch: Das ist eine span­nen­de Fra­ge. Die Ant­wort lau­tet: sehr wahr­schein­lich nicht. Wenn lan­ge vor un­se­rer Zeit ir­gend­ei­ne tech­ni­sche Zi­vi­li­sa­ti­on exis­tiert hät­te, wäre es na­he­zu un­mög­lich, Hin­ter­las­sen­schaf­ten da­von zu ent­de­cken. Wir kön­nen also nicht hun­dert­pro­zen­tig si­cher sein, dass wir die Ers­ten auf der Erde wa­ren, die eine In­dus­trie be­trie­ben ha­ben.

SPIEGEL: Gibt es denn tat­säch­lich ir­gend­wel­che Hin­wei­se, dass die Di­no­sau­ri­er schlau­er wa­ren, als wir an­neh­men?

Schul­ze-Ma­kuch: Nein, aber un­ter­schät­zen darf man die­se Bies­ter na­tür­lich auch nicht. Die ver­mut­lich in­tel­li­gen­tes­ten al­ler Di­no­sau­ri­er stamm­ten aus der Fa­mi­lie der Troodons. Sie hat­ten ein un­ge­wöhn­lich gro­ßes Ge­hirn. Wenn man sich die Arme und die Hän­de der Troodons an­schaut, hät­ten sie theo­re­tisch durch­aus in der Lage sein kön­nen, Werk­zeu­ge zu be­nut­zen.


Troodon


"Selbst Betonkonstruktionen zerfallen irgendwann"

SPIEGEL: War­um wäre es so schwer, Über­res­te ei­ner vor lan­ger Zeit un­ter­ge­gan­ge­nen in­dus­tri­el­len Hoch­kul­tur zu fin­den? Blei­ben Ge­bäu­de, Brü­cken, Bahn­glei­se oder Ma­schi­nen nicht ewig in der Land­schaft ste­hen?

Schul­ze-Ma­kuch: Kei­nes­wegs. Neh­men Sie nur un­se­re ei­ge­nen Hin­ter­las­sen­schaf­ten. Wenn man lan­ge ge­nug war­ten wür­de, blie­be von all un­se­ren schö­nen Städ­ten nichts mehr üb­rig. Holz ver­rot­tet, Me­tall ver­ros­tet, und auch Kunst­stof­fe wer­den von Bak­te­ri­en auf­ge­fres­sen, wie wir in­zwi­schen wis­sen. Übe­r­all dort, wo Mi­kro­ben an Ma­te­ri­al her­an­kom­men, fin­den un­wei­ger­lich Zer­set­zungs­pro­zes­se statt. Selbst Be­ton­kon­struk­tio­nen zer­fal­len ir­gend­wann.

SPIEGEL: Wir spre­chen na­tür­lich über sehr lan­ge Zeit­räu­me ...

Schul­ze-Ma­kuch: In der Tat, die Di­no­sau­ri­er bei­spiels­wei­se sind vor 66 Mil­lio­nen Jah­ren aus­ge­stor­ben. Nach ei­ner ähn­lich lan­gen Dau­er wür­den sich kei­ne Spu­ren mehr von Ber­lin, New York oder To­kio fin­den las­sen. Eine denk­ba­re Aus­nah­me: ver­schüt­te­te U-Bahn-Tun­nel, die un­ter der Erde vom Zer­fall ver­schont blie­ben. Aber auch das wäre nur dann mög­lich, wenn die­se nicht all­zu häu­fig mit Grund­was­ser in Be­rüh­rung kä­men – das ist aber ein sehr un­wahr­schein­li­ches Sze­na­rio.

SPIEGEL: Schwer vor­stell­bar, dass Wol­ken­krat­zer ein­fach so vom Erd­bo­den ver­schwin­den.

Schul­ze-Ma­kuch: Mag sein, aber der Zer­fall schrei­tet un­wei­ger­lich vor­an – und zwar meist schnel­ler als ge­dacht. Neh­men Sie das Denk­mal von Mount Rushmo­re, wo die Köp­fe be­deu­ten­der ame­ri­ka­ni­scher Prä­si­den­ten aus dem Berg­mas­siv ge­schla­gen wur­den. Die­se be­rühm­ten, 1941 fer­tig­ge­stell­ten rie­si­gen Skulp­tu­ren be­ste­hen aus Gra­nit­ge­stein. Doch schon heu­te, nach nur we­ni­gen Jahr­zehn­ten, sind die Ge­sich­ter schlech­ter zu er­ken­nen als frü­her. Denn auch Gra­nit ver­wit­tert.

SPIEGEL: An wel­chen Stand­or­ten wä­ren die Chan­cen am größ­ten, dass et­was von uns er­hal­ten blie­be?

Schul­ze-Ma­kuch: Recht gut wer­den Bau­ten in der Wüs­te kon­ser­viert. Des­we­gen ste­hen die Py­ra­mi­den der al­ten Ägyp­ter im­mer noch. Aber die­se Mo­nu­men­te sind auch erst ein paar Tau­send Jah­re alt. Nach ei­ni­gen Hun­dert­tau­send Jah­ren wer­den wir die Py­ra­mi­den nicht mehr von na­tür­li­chen Ge­steins­for­ma­tio­nen un­ter­schei­den kön­nen. Oder sie sind ganz ver­schwun­den – zu­mal sich in so lan­gen Zeit­räu­men die Kli­ma­zo­nen ver­schie­ben. Auch die Sa­ha­ra war frü­her grün. Zu den we­ni­gen Wüs­ten, die auf der Erde be­reits seit vie­len Jahr­mil­lio­nen exis­tie­ren, ge­hö­ren die chi­le­ni­sche Ata­ca­ma­wüs­te und die Wüs­te Gobi – aber so­gar dort gab es schon feuch­te­re Pe­ri­oden als heu­te.

SPIEGEL: Un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen wer­den Din­ge kon­ser­viert?

Schul­ze-Ma­kuch: Wie ge­sagt: Je tro­cke­ner die kli­ma­ti­schen Ver­hält­nis­se, des­to bes­ser. In der Wüs­te von Ari­zo­na ha­ben wir ver­stei­ner­tes Holz oder Fuß­ab­drü­cke von Di­no­sau­ri­ern ge­fun­den. Aber in Wahr­heit kom­men sol­che Ver­stei­ne­run­gen recht sel­ten vor.

SPIEGEL: Ist es so ge­se­hen nicht er­staun­lich, dass wir heu­te über­haupt ver­stei­ner­te Kno­chen der Di­no­sau­ri­er ent­de­cken?

Schul­ze-Ma­kuch: Ge­gen­fra­ge: Wie oft sto­ßen wir wirk­lich auf Di­no­sau­ri­er­kno­chen? Wenn man be­denkt, dass die­se im­po­san­ten Ge­schöp­fe 170 Mil­lio­nen Jah­re lang die­sen Pla­ne­ten be­herrsch­ten – hun­dert­mal län­ger als wir Men­schen –, fin­den wir ver­dammt we­ni­ge Über­res­te von ih­nen.

Handys versteinern nicht

SPIEGEL: Wenn Kno­chen kon­ser­viert wer­den, und sei es noch so sel­ten – könn­te das nicht auch mit tech­ni­schen Ge­rä­ten pas­sie­ren? Wird man in fer­ner Zu­kunft ver­stei­ner­te Han­dys fin­den?

Schul­ze-Ma­kuch: Das ist lei­der nicht zu er­war­ten. Wenn Sie heu­te ir­gend­wo ein Han­dy ver­gra­ben, ver­wit­tert es in im­mer klei­ne­re Tei­le, bis ir­gend­wann nichts mehr da­von üb­rig ist. Al­len­falls mag es im Bo­den eine ge­ring­fü­gi­ge An­rei­che­rung mit Gold, Sil­ber oder sel­te­nen Er­den ge­ben. Kno­chen üb­ri­gens, die aus Kal­zi­um­phos­phat be­ste­hen, sind un­ter be­stimm­ten Um­welt­be­din­gun­gen tat­säch­lich er­staun­lich sta­bil. Wich­tig ist, dass es mög­lichst schnell zu Luft­ab­schluss kommt, bei­spiels­wei­se in­dem ein Le­be­we­sen in ei­nem Sumpf ver­sinkt.

SPIEGEL: Wür­de man nach lan­ger Zeit über­haupt er­ken­nen, dass man auf die Über­res­te ei­nes künst­lich ge­schaf­fe­nen Ge­gen­stands ge­sto­ßen ist?

Schul­ze-Ma­kuch: Das ist ge­nau das Pro­blem. Als jun­ger Stu­dent in Gie­ßen habe ich ein­mal an ei­ner Ex­kur­si­on in Nord­hes­sen teil­ge­nom­men. Plötz­lich ent­deck­ten wir im Bunt­sand­stein den Fuß­ab­druck ei­nes Stie­fels. Jede Ril­le war ge­nau zu er­ken­nen – dum­mer­wei­se in ei­ner Schicht, die mehr als 200 Mil­lio­nen Jah­re alt war. Na­tür­lich konn­te das nicht sein, denn in der Tri­as gab es noch kei­ne Le­be­we­sen, die Stie­fel tru­gen.

SPIEGEL: Und wie war die Er­klä­rung für die­se Ent­de­ckung?

Schul­ze-Ma­kuch: Es gab kei­ne. Wir stuf­ten den ver­meint­li­chen Stie­fel­ab­druck ein­fach als eine na­tür­li­che Struk­tur ein, die nur wie eine künst­li­che aus­sah. Es hat also auch viel mit un­se­rer Er­war­tungs­hal­tung zu tun, wie wir eine Ent­de­ckung in­ter­pre­tie­ren.



"Im Vakuum verwittert nichts"

SPIEGEL: Gibt es wirk­lich nichts, was die Äonen über­dau­ert?

Schul­ze-Ma­kuch: Es gibt in der Tat nur we­nig, was von uns bleibt. Un­ter Um­stän­den wä­ren Spu­ren ei­ner frü­he­ren tech­ni­schen Zi­vi­li­sa­ti­on zu fin­den, wenn die­se En­er­gie aus Atom­kraft ge­won­nen hät­te. Die da­bei er­zeug­te künst­li­che Ra­dio­ak­ti­vi­tät wäre noch nach Jahr­mil­lio­nen vor­han­den; al­ler­dings lie­ße sie sich gar nicht so leicht von der na­tür­li­chen Ra­dio­ak­ti­vi­tät un­ter­schei­den.

SPIEGEL: Das ist al­les?

Schul­ze-Ma­kuch: Nicht ganz. Noch bes­ser wäre es, wenn eine un­ter­ge­gan­ge­ne Zi­vi­li­sa­ti­on Raum­fahrt be­trie­ben hät­te und schon auf frem­den Him­mels­kör­pern ge­lan­det wäre, wo es wie auf un­se­rem Mond kei­ne At­mo­sphä­re gibt; denn im Va­ku­um ver­wit­tert nichts.

SPIEGEL: Be­kannt­lich sind wir auf dem Mond auf kei­ner­lei frem­de Hin­ter­las­sen­schaf­ten ge­sto­ßen ...

Schul­ze-Ma­kuch: ... was be­weist, dass die Di­no­sau­ri­er nicht ins Welt­all ge­flo­gen sind. Und ein klei­ner Trost für uns: Ei­nes im­mer­hin wird auf je­den Fall von der Mensch­heit üb­rig blei­ben – die ame­ri­ka­ni­sche Flag­ge auf dem Mond.

also keine angst - irgendwann sind die geklauten daten von deinem handy und deinem pc ganz in echt verschwunden und verwittert auf nimmerwiedersehen ... - mach dir keinen kopp - aus der sicht wie in diesem interview wird einem sowieso seltsam leicht ums herz: mineralien vergehen, pflanzen und tiere verändern sich - nur "das leben" bleibt bestehen - egal ob der tag dann in stunden gemessen wird - und man sich an den gregorianischen kalender erinnern kann: ... c'est la vie - wie auch immer... - S!

erinnerungsgespür

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Holocaust-Stelenfeld in Berlin - Foto: Bundesregierung


Muss Erinnerung Pflicht sein?

Angesichts der antisemitischen Vorfälle in Deutschland wird über Pflichtbesuche von Schülern in KZ-Gedenkstätten debattiert

Der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert es schon länger. Doch die meisten Bundesländer möchten die Entscheidung über den Besuch in Gedenkstätten weiterhin den Lehrern überlassen.

RICARDO TARLI, BERLIN | NZZ

Kurz nachdem Felix Klein, der neue Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, sein Amt Anfang Mai angetreten hatte, äusserte er sich in einem Fernsehinterview zustimmend zur Forderung nach Pflichtbesuchen von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten. Damit hat der Antisemitismusbeauftragte die Diskussion um verpflichtende Besuche von KZ-Gedenkstätten neu entfacht. Die Debatte war Anfang Jahr von der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli angestossen worden. Jeder, der in Deutschland lebe, solle verpflichtet werden, mindestens einmal eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen, sagte die Sozialdemokratin im Januar in einem Zeitungsinterview. Das gelte auch für Zuwanderer. Chebli, Tochter palästinensischer Flüchtlinge, schlug vor, Gedenkstättenbesuche zum Bestandteil von Integrationskursen zu machen.

Mit dieser Forderung verbunden ist die berechtigte Hoffnung, dass antijüdisch gesinnte Einwanderinnen und Einwanderer als auch geschichtsvergessene Deutsche die katastrophalen Folgen eines ungehemmten und mörderischen Rassenwahns und Antisemitismus ungeschönt und authentisch vor Augen geführt bekommen. Das Verständnis für die historische Verantwortung Deutschlands, die Erinnerung an den Völkermord an den europäischen Juden wachzuhalten, würde so gefestigt.

Die Forderung nach Pflichtbesuchen in KZ-Gedenkstätten für Schülerinnen und Schüler ist nicht neu; der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert dies seit mehreren Jahren. Angesichts der in jüngster Zeit in Deutschland zu beobachtenden Häufung antisemitischer ­Vorfälle hat das Anliegen wieder mehr Beachtung gefunden.

Blumen an der "Blauen Wand" - Mahnmal für die Opfer der "Euthanasie" in Berlin


Gründliche Vorbereitung

In den meisten Bundesländern und in Fachkreisen stösst der Vorschlag jedoch auf Ablehnung. Besuche von Gedenkstätten werden zwar generell als sinnvolle Ergänzung des Unterrichts betrachtet. Trotzdem will die grosse Mehrheit der Bundesländer die Entscheidung weiterhin den Schulen und den Lehrerinnen und Lehrern überlassen und setzt auf Freiwilligkeit, wie eine im Januar durchgeführte Umfrage des Evangelischen Pressedienstes bei den Bildungs- und Kultusministern der Länder ergeben hat.

Auch Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgischer Gedenkstätten, hegt Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit von verpflichtenden Besuchen von KZ-Gedenkstätten. Viel entscheidender sei eine gründliche Vor- und Nachbereitung im Unterricht: «Ich stelle immer wieder fest, dass viele Schüler mit einem sehr geringen Vorwissen KZ-Gedenkstätten besuchen», sagt der Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen. «Dies kommt einer Überforderung gleich und kann dazu führen, dass sich die Schüler dem Thema in Zukunft verschliessen.»

Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, teilt diese Ansicht. Freiwilligkeit sei eine Voraussetzung dafür, dass sich die Jugendlichen mit Motivation und innerer Bereitschaft mit diesem schwierigen Thema auf eine fruchtbare Weise auseinandersetzen könnten. Alles andere würde erfahrungsgemäss eine Abwehrhaltung erzeugen, ist der Gymnasiallehrer und Schulleiter überzeugt.

Schlussstrich ziehen?

Die Frage nach der richtigen Form des gemeinsamen Erinnerns erhitzt mitunter die Gemüter, nicht nur wenn der Thüringer AfD-Chef Björn Höckes eine «erinnerungspolitische Wende um 180 Grad» fordert. In Niedersachsen soll auf der ehemaligen NS-Propagandastätte am Bückeberg bei Hameln ein Gedenk- und Lernort errichtet werden. An diesem Ort feierten die Nationalsozialisten die sogenannten Reichserntedankfeste. Im März gab der Kreistag des Landkreises Hameln-Pyrmont zwar grünes Licht. Zuvor hatte eine örtliche Bürgerinitiative mit einer Unterschriftensammlung aber versucht, das Projekt zu Fall zu bringen. Rund 2000 Bürgerinnen und Bürger der betroffenen 10 000-Seelen-Gemeinde Emmerthal hatten sich gegen das Vorhaben ausgesprochen.

«Da Antisemitismus und 
Rechtspopulismus eine neue Qualität 
erreicht haben, müssen nun auch 
Gedenkstätten ihre Stimme erheben.»

Günter Morsch
Leiter von mehreren Gedenkstätten

Die grosse Koalition hat sich die Unterstützung von Gedenkstätten im In- und Ausland auf die Fahne geschrieben, ausdrücklich unter Hinweis auf das Gedenken an beide Diktaturen auf deutschem Boden, das Dritte Reich und das SED-Regime. Ein Schwerpunkt liege auf der Förderung pädagogischer Arbeit, um dem wachsenden Antisemitismus entgegenzuwirken, heisst es im Koalitionsvertrag. Gleichzeitig geht es darum, die Toleranz und das Demokratieverständnis zu stärken, dies auch im Zusammenwirken mit Zeitzeugen. Bei den Grünen und der SPD gibt es Bestrebungen, eine bundesweite Stiftung zur Förderung von NS-Gedenkstätten und Erforschung des Nationalsozialismus ins Leben zu rufen. Als Vorbild dazu dient die 1998 gegründete Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Doch wie sollen die rund 300 NS-Gedenkstätten als zentrale Orte einer kritischen nationalgeschichtlichen Erinnerungskultur auf den zunehmenden Antisemitismus sowie auf geschichtsrevisionistische Tendenzen in Politik und Gesellschaft reagieren? Die Forderung nach einer stärkeren Einmischung in die politische Debatte steht im Raum. In der Vergangenheit haben sich Gedenkstätten bei aktuellen Fragen eher zurückgehalten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, dass die Geschichte als Argumentationshilfe für politische Auseinandersetzungen herangezogen wird und die Opfer dadurch instrumentalisiert werden.

Licht-/Namensband der 1.017 Deportationsopfer der Gauheilanstalt Gütersloh in der Klinikkirche


Eine offensivere Rolle?

Nun zeichnet sich ein Paradigmawechsel ab. «Da wir erleben müssen, dass Antisemitismus und Rechtspopulismus eine neue Qualität erreicht haben, sind alle aufgefordert, dagegen ihre Stimme zu erheben, auch und gerade die Gedenkstätten», sagt Günter Morsch, der altershalber abtretende Leiter von ­mehreren Gedenkstätten. Gedenkstätten sollten die Debatte darüber mitgestalten, was Menschenwürde heutzutage angesichts von Flucht und Terror bedeute, fordert Habbo Knoch. Er ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Köln und war Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische ­Gedenkstätten. «Gedenkstätten erinnern daran, wohin es führen kann, wenn ein rassistisch definiertes ‹Volk› zum alleinigen Massstab der Politik wird.» Daraus erwachse für diese Orte und ihre Leitung eine besondere Verantwortung, öffentlich Stellung zu nehmen, wenn die ethischen Grundlagen unseres politischen Bewusstseins angegriffen würden.

Harald Schmid, Vorstandsmitglied im Forum der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland, plädiert generell für mehr Gegenwartsbezug in der Bildungsarbeit, um die Rolle und Bedeutung der Gedenkstätten als gesellschaftlichen Akteur aufzuwerten. So könne einer «Musealisierung» der Gedenkstätten entgegengetreten werden. Angesichts wachsender antisemitischer Tendenzen gibt es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Überlegungen, Gedenkstättenbesuche in den Lehrplänen verbindlich festzuschreiben.

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schullehrkräfte legen gern den besuch von gedenkstätten - wenn es denn schon sein muss - an den schluss eines schuljahres - oft sogar direkt vor die ferien - eben wenn der "eigentliche" unterrichtsstress abgeschlossen ist - und man sich selbst auch nicht mehr auf jede stunde vorbereiten muss und will ...

das jedoch ist mir ein zu "profihafter" umgang mit diesen themen ns-"euthanasie" und "holocaust". 

um schüler dafür sensibel zu machen, muss man als lehrer sicherlich selbst eine gute vorbereitung durchführen - und auch eine "haltung" dazu entwickeln und einnehmen und sich eindeutig profilieren lernen. das fällt sicherlich nicht vom himmel - und man darf sich dabei ruhig die hilfe der tatsächlichen profis in den dokumentations- und gedenkstätten suchen ...


günter jauch putzt einen stolperstein in berlin
auch im alltag - zuhause in kleinkleckersdorf - darf man mit schülern mal ein paar von gunter demnigs "stolpersteinen" in der nachbarschaft aufsuchen - und vielleicht die opferbiografie der dort genannten menschen regelrecht nachrecherchieren in den archiven und standesämtern und durch zeitzeugen-interviews - und die ergebnisse dazu vortragen lassen - mit powerpoint und video - damit die schüler diese zeit vor 80 - 70 jahren wieder fühlen lernen - und diesen muff unter den talaren riechen - jetzt auch im hinblick auf pegida und afd. man darf sie auch ruhig fragen, was sie von großeltern und urgroßeltern aus dieser zeit mitbekommen haben ... - bei allem "datenschutzgetöse" ... - sonst schütten wir uns datenmäßig nämlich allmählich unsere eigene geschichte und vergangenheit zu - doch das scheint mir nicht gemeint beim stichwort: "leben im hier & jetzt" ...

geschichte - auch "familien"- und "orts"geschichte - besteht aus "ge-schichten", die (weiter)erzählt werden müssen, um erhalten zu bleiben als kulturell-narratives vermächtnis - geschichten, die sich schicht auf schicht bei allen verdrängungsversuchen eingebrannt haben ins kollektive gedächtnis oder sich im bauchhirn vernetzt und aufgeschichtet haben - wir müssen diese ge-schichten nur manchmal wie archäologen oft ebenso behutsam schicht um schicht wieder freikratzen - frei legen ... - und das ist oft spannender als ein sonntagabend-"tatort" ... S!

franziskus & das viele geld - der vatikan & karl marx

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"... und das verkündest du zum schnöden mammon in der welt" - "jawoll chef" - S!|cartoon|patchwork

FINANZEN

„Geld muss dienen und nicht regieren!“

Von Daniel Eckert, Virginia Kirst | DIE WELT

In einem 16-seitigen Bulletin fordert der Vatikan ein vollkommen neues Wirtschaftssystem


Wenn es nach der katholischen Kirche geht, dürfte so manche Handelsabteilung einer Bank und so mancher Investmentfonds heute geschlossen bleiben – und nie wieder aufmachen: „Das Geld muss dienen und nicht regieren!“ heißt es in einem Bulletin, die die vatikanische Glaubenskongregation am Donnerstag in Rom veröffentlicht hat. Das Schreiben trägt den Titel „Oeconomicae et pecuniariae quaestiones. Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte des gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems“. (click here)

Darin fordert die Kirche nicht mehr und nicht weniger, als Ökonomie und Bankwesen auf eine neue Grundlage zu stellen. Nicht mehr Willkür und „das Recht des Stärkeren“ sollen die Basis der wirtschaftlichen Beziehungen sein, sondern die Würde des Menschen und die ganzheitliche Entwicklung der Menschheit. In dem 16-seitigen Schreiben, das intellektuell den Stempel von Papst Franziskus trägt, werden stärker als je zuvor die Gefahren der modernen Finanzindustrie angeprangert.

DIE WELT | FINANZEN | Freitag 18.05.18 | S.13

Viele der Ideen, die in dem Dokument dargelegt werden, seien schon seit der Finanzkrise 2011 in der Kirche diskutiert, und nun schließlich in einem Dokument zusammengefasst worden, das von Papst Franziskus approbiert worden sei, sagte Luis Francisco Ladaria, der Präfekt der Glaubenskongregation, der das Papier vorstellte. „Es handelt sich bei diesem Text nicht um ein Glaubensdogma, aber es fällt unter das kirchliche Lehramt und muss von den Katholiken akzeptiert werden.“

Der Kapitalismus der Banken habe aufgrund seiner Verbreitung das Fähigkeit, die Realwirtschaft stark positiv zu beeinflussen und sogar zu dominieren, heißt es dort. Aber mittlerweile sei die Finanzwirtschaft ein Ort geworden, „wo Egoismen und Missbräuche ein für die Allgemeinheit zerstörerisches Potenzial haben, das seinesgleichen sucht.“ Für die Theologen sind viele Fehlentwicklungen auf das Wirken von Bankern und Fondsmanagern zurückzuführen,.

Aber der Vatikan belässt es nicht bei der Kritik, sondern macht konkrete Vorschläge, mit welchen Maßnahmen die heutige Finanzwirtschaft wieder in die richtige Bahn gelenkt werden könne. Denn: „Der Finanzmarkt ist kein Dschungel“, wie Leonardo Becchetti, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Rom Tor Vergata bei der Vorstellung sagte, „sondern eine Institution, die aus Regeln besteht.“ So empfiehlt das Dokument etwa die Einrichtung von Ethikkommissionen in Banken und Unternehmen, die über die bisherigen Tätigkeiten der Compliance-Abteilungen hinausgehen und fordert „angemessene Strafen, die eine abschreckende Wirkung haben“ für Akteure im Finanzsystem, die grobe ethische Verstöße begehen. „Obwohl der wirtschaftliche Wohlstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überall auf der Welt in einem nie gekannten Ausmaß und Tempo zugenommen hat, ist zu bedenken, dass im selben Zeitraum die Ungleichheiten zwischen den Ländern und innerhalb der Länder größer geworden sind. Auch ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, nach wie vor ungeheuer hoch“, heißt es in dem Bulletin.

Nach der Finanzkrise habe es die Gelegenheit gegeben, eine neue Wirtschaftsordnung zu entwickeln, die größeren Wert auf ethische Prinzipien legt und die Finanzgeschäfte neuen Regelungen unterwirft. Doch die Welt habe die Chance ungenutzt gelassen, „ausbeuterischen und spekulativen Absichten einen Riegel vorzuschieben und den Dienst an der Realwirtschaft in den Vordergrund zu stellen.“ Manchmal habe es sogar den Anschein, als wäre ein oberflächlicher, kurzsichtiger Egoismus zurückgekehrt, der das Gemeinwohl missachtet und nicht daran interessiert ist, Wohlstand zu schaffen und zu verbreiten oder stark ausgeprägte Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

Die Glaubenskongregation lässt keinen Zweifel daran, für wie gefährlich sie die entfesselten internationalen Finanzmärkte hält. In einer Formulierung des Bulletins nehmen die Theologen sogar auf eine Vorhersage von Karl Marx aus dem 19. Jahrhundert Bezug, der den Siegeszug des Finanzkapitals vorhersagte. „Was vor mehr als einem Jahrhundert vorausgesagt wurde, hat sich leider inzwischen bewahrheitet: Der Ertrag aus dem Kapital stellt eine echte Bedrohung dar und riskiert, den Ertrag aus der Arbeit zu überrunden, der im Wirtschaftssystem oft nur noch eine Randbedeutung hat.“

Konkret prangert das Bulletin den Egoismus der Akteure an, die nur nach spekulativen Gewinnen streben und die dienende Funktion des Gelds verleugnen. In diesem Sinne nutzten ungehemmte Entscheidungen nur den Starken.

Für den Vatikan ist es offensichtlich, dass „das mächtige Triebwerk der Wirtschaft, nämlich die Märkte, nicht imstande ist, sich selbst zu regulieren.“ Auch moralische Appelle an den einzelnen reichen nicht aus, um eine Besserung herbeizuführen. Vielmehr sei die übergroße Betonung des Individuums und seiner Leistungsfähigkeit eines der Grundübel der jetzigen Wirtschaftsordnung.

„Moralisch besonders beklagenswert“ sind aus Sicht des Vatikans Investmentfonds, die gegen Staaten spekulieren. Denn sie setzten sich bedenkenlos darüber hinweg, dass die wirtschaftliche Lage ganzer Länder negativ, ja sogar dramatisch beeinflusst werden kann. „Auf diese Weise setzt man die wirtschaftliche Stabilität von Millionen von Familien aufs Spiel.“ Auch komplexe Finanzinstrumente wie bestimmte Verbriefungen und CDS trifft der Bannstrahl der Theologen. Insgesamt sei eine Kultur entstanden, die „zutiefst amoralisch ist.“

Ebenso verdammt werden Steueroasen und Offshore-Zentren. Hier sollten sich die Staaten zusammentun. Nebenbei bringt das Bulletin auch einen Schuldenerlass für schwache Staaten ins Gespräch Bei Schreiben des Dokuments hatten die Vatikan-Experten etwa den Fall Ecuadors vor Augen: Dem südamerikanischen Land war als Folge einer Neubewertung der Schuldenlast ein Teil erlassen worden. In wirtschaftsstarken Ländern wie etwa Italien sei die Situation natürlich eine völlig andere.

Als Alternative schlagen die Verfasser des Schreibens ein wirtschaftliches System vor, das sich nicht mehr an den Maßstäben der Quantität und der Effizienz beim Schaffen von Profit orientiert. „Vielmehr muss es auch nach der Lebensqualität bemessen werden, die es hervorbringt, und nach dem sozialen Wohlstand, den es verbreitet: einem Wohlstand, der nicht auf bloß materielle Aspekte reduziert werden darf.“

Jedes Wirtschaftssystem rechtfertige seine Existenz nicht nur durch rein quantitatives Wachstum des wirtschaftlichen Austausches, sondern vor allem durch seine Eignung, die Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen zu gewährleisten. Profit werde zwar immer angestrebt werden, dürfe jedoch nie um jeden Preis und nie alleiniger Bezugspunkt des wirtschaftlichen Handelns sein. Auch den Steuersystemen verpasst das Dokument einen Seitenhieb, die „gewiss nicht immer gerecht“ seien und Ungerechtigkeiten zulasten der wirtschaftlich Schwächeren aufwiesen.

Konkret nehmen die Verfasser die Politik in die Verantwortung und verweisen auf die „Dinglichkeit einer überstaatlichen Koordinierung der verschiedenen Strukturen lokaler Finanzsysteme“. Die Verantwortlichen müssten über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeite und sich auf „eine stabile, klare und effiziente Regelung der Märkte einigen“. Ein Bereich, in dem eine überparteiliche Einschätzung besonderes dringend nötig sei, sei etwa die Überprüfung der Vorgehensweise von Rating-Agenturen.

Aber die Theologen belassen es nicht bei einer allgemeinen Mahnung an die Politik, sondern appellieren auch an das Gewissen des Einzelnen: Unternehmer und Akteure der Finanzwirtschaft sollten sich selbstkritisch überprüfen, ob sie das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt ihrer Unternehmenskultur stellen und „eine Art soziale Verantwortung praktizieren, die nicht bloß etwas Zufälliges oder Nebensächliches ist, sondern von innen her jede ihrer Handlungen beeinflusst.“

Aber das Dokument richtet sich nicht nur an Institutionen, Politiker und Akteure der Finanzwirtschaft. Abschließend enthält es auch einen Appell an alle Menschen, mit ihren „bedeutenden Mitteln“ zur Lösung der Probleme beizutragen, indem sie bewusst konsumieren: Denn jeder Einkauf biete die Wahl, nur Produkte zu kaufen, die auf „ethisch würdige Weise“ hergestellt wurden. „Es geht in der Tat darum, jeden Tag auf den Märkten jene Dinge auszuwählen, die dem echten Wohlergehen von uns allen dienen, und jene abzulehnen, die ihm schaden.“ Diese Richtlinie müsse auch für die Geldanlage gelten.

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KAPITALISMUSKRITIK

Der Vatikan benennt, was nicht mehr zu leugnen ist

Von Thomas Straubhaar
Kolumnist DIE WELT

Denn es ist schlicht nicht mehr zu leugnen, dass es mit der Moral und Ethik in der Marktwirtschaft nicht zum Besten steht. Zu viel Missbrauch individueller Freiheiten zulasten Dritter nähren nicht nur im Vatikan die Zweifel an der Rechtschaffenheit und dem Verantwortungsbewusstsein von Eliten und Führungskräften – nicht nur gegenüber den Shareholdern, sondern auch den Stakeholdern, also gegenüber der Gesellschaft, der Umwelt und den Kindeskindern.

Der Zorn des Heiligen Stuhls entzündet sich zwar primär am Kapitalismus der Angelsachsen, der den Staat ablehnt und alleine auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen im knallharten Wettbewerb setzt. Aber selbst wenn der rheinische Kapitalismus mit seiner sozialen Marktwirtschaft und einem durchaus beträchtlichen Sozialstaat davon weit entfernt ist und amerikanische Libertäre mit deutschen Liberalen um Welten auseinanderliegen, trifft die Kritik aus dem Vatikan auch hierzulande ins Schwarze: „Wenn die Freiheit der Wirtschaftstreibenden absolut verstanden und von dem ihr innewohnenden Bezug zur Wahrheit und zum Guten losgelöst wird, dann tendiert sie zur Schaffung von Machtzentren und Formen von Oligarchie, die letztendlich der Effizienz des Wirtschaftssystems schaden.“ Das hätte Ludwig Erhard wohl gar nicht so viel anders formuliert.

Die Bevölkerung wird misstrauisch

Dieselskandal, Datenmissbrauch bei Cambridge Analytica, „Panama und Paradise Papers“ zur Steuervermeidung und nicht zuletzt der Umgang mit den Folgen der Finanzmarktkrise haben auch in Deutschland das hässliche Gesicht des Kapitalismus grell ins Licht der Öffentlichkeit gestellt. Zu oft wurde das eiserne Gesetz der sozialen Marktwirtschaft durchbrochen, dass Selbstverantwortung im Handeln untrennbar mit der Haftung für das eigene Tun verbunden ist. Die Bevölkerung wird misstrauisch, ob das, was in den letzten Jahren sichtbar wurde, nur die Spitze eines Eisbergs sei. Und sie fragt sich verständlicher- und auch richtigerweise, wie vieles wohl noch in den Untiefen der marktwirtschaftlichen Unterwelt verborgen geblieben sein mag.

Auch wenn nicht alles, was nun kritisiert wird, ungesetzlich ist, und selbst wenn vieles, was angeprangert wird, im Einklang mit gültigen Gesetzen verläuft, wie der vom Vatikan besonders ins Visier genommene Hochfrequenzhandel an den Börsen, der „bloße Spekulationsabsichten“ verfolge und „exzessive Kapitalmengen“ an sich ziehe, bleibt die Erkenntnis gültig, dass nicht alles, was in einer Marktwirtschaft legal ist, auch legitim ist, also mit geltenden moralisch-ethischen Ansprüchen konform geht. Bei aller Komplexität von Legalität und Legitimität verletzen gewisse Verhaltensweisen von Managern und Führungskräften ein allgemein akzeptiertes Fairness-Prinzip, und andere widersprechen dem gesunden Menschenverstand, Treu und Glauben.

Das gilt in der Tat bei einigen der vom Vatikan ausführlich und wie im Falle der Derivate gar einseitig beschriebenen Finanzmarkttransaktionen, aber eben auch etwa, wenn der Fiskus bei den Lohneinkommen alles und jedes mit Akribie erfasst, besteuert und kleinste Vergehen hart ahndet, beim Kapitaleinkommen jedoch teils rechtlich gewollt stillschweigend, teils hilflos resigniert, Steuerschlupflöcher aller Art duldet und offen lässt. Deshalb sollte die vatikanische Kritik an Steuerumgehungsmodellen und Offshore-Systemen durchaus ernst genommen werden.

Kapitalismus und Marktwirtschaft leben vom allgemein getragenen Vertrauen, dass es fair zugeht, allgemeine Regeln für alle gelten und alle von den Schiedsrichtern gleich behandelt werden. Werden Gesetze von Führungskräften und wohlhabenden Eliten kaltblütig gebrochen oder von einer Minderheit durch zwar legale, aber Treu und Glauben widersprechenden Umgehungstatbestände ausgehebelt, geraten Liberalismus und die Effizienz offener Märkte zwangsläufig und schlagartig in Verruf.

Mosaiksteine moralischen Fehlverhaltens

Wenn die Elite trickst und manipuliert, bewertet die Gesellschaft derartiges Verhalten erst misstrauisch, dann mit Verachtung. Schließlich geht zuerst die allgemeine Moral und am Ende die Akzeptanz von Rechtsstaat, Demokratie, Kapitalismus und Marktwirtschaft verloren. Wenn der Vatikan an diese einfachen Zusammenhänge erinnert, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik aufrüttelt und zu Einhalt mahnt, ist das lobenswert. Das gilt selbst dann, wenn man die Argumente im Einzelnen genauso wenig teilt wie die grundsätzliche Kapitalismusschelte des lateinamerikanischen Papstes.

Die Befreiungstheologen nutzen nur den Nährboden, den ihnen nimmersatte, gierige, rücksichtslose Egoisten bereiten, denen Gemeinsinn und Solidarität genauso egal sind wie das Grundgesetz, das in Art. 14 (2) in weiser Voraussicht formuliert: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Das moralische Fehlverhalten Einzelner liefert jene kleinen Mosaiksteine, die in Summe in einem stetig größer werdenden Teil der Bevölkerung das Bild eines unfairen Wirtschaftssystems entstehen lässt, in dem die oben Moral und Anstand predigen, selber aber Maß und Mitte komplett verloren haben.

Anstand und Fairness, Treu und Glauben sind in einem freiheitlich-liberalen Wirtschaftssystem die Schattenwährung jenseits der „Legalität“. Fehlen sie, verlieren Kapitalismus und Marktwirtschaft erst das Vertrauen und die (moralische) Unterstützung der Bevölkerung, danach die gesellschaftliche Akzeptanz und schließlich die politische Stabilität. An derart schlichte Gesetzmäßigkeiten zu erinnern, ist durchaus ein Verdienst der vatikanischen Schrift. Es kann nicht schaden, wenn sich die Gesellschaft auch hierzulande „heute mehr denn je“ aufrappelt, „uns zu Wächtern des guten Lebens und zu Verfechtern eines neuen sozialen Engagements zu machen. Dafür muss unser Handeln auf das Streben nach dem Gemeinwohl ausgerichtet und auf den festen Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität aufgebaut sein.“

🔴Der Autor Thomas Straubhaar ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg



zum 200. geburtstag von karl marx meldet sich mit verspätung endlich der papst mit einem bulletin von ganz oben, wo der "schnöde mammon" in dieser welt mal wieder geradegerückt werden muss - wo von der letzten moralischen instanz gesagt werden muss, wo es langzugehen hat: 

"mammon" ist uns ein begriff, der durch die bibel überliefert ist. er stammt eigentlich aus dem aramäischen. diese sprache war die umgangssprache in palästina zur zeit des jesus von nazareth, also vor rund 2000 jahren.

schon jesus hatte kein gutes verhältnis zum besitz oder vermögen, also zum "mammon". 

seinen jüngern sagte er: "kein sklave kann zwei herren dienen, ... ihr könnt nicht beiden dienen, gott und dem 'mammon'." (lukas 16,13)
und in einem der nachbarvölker war "mammon" sogar ein gott des reichtums. jesus sprach in seinen reden auch vom "ungerechten mammon" und meint damit wohl, dass großer besitz oft nicht auf gerechte weise erworben worden ist.

insofern wiederholt franziskus diese jesu-rede eigentlich nur noch mal für unsere zeit, weil wir sie scheinbar vor lauter "mammon"-besoffenheit vergessen haben...

das, was der vatikan da anmahnt ist also in wirklichkeit ein mindestens 2000 jahre alter hut - aber wen "juckt das schon in diesem "christlichen abendland - mit seinen werten" ...

und auch in den usa singen sich die evangelikalen hardliner ja die seele aus dem leibe am sonntag - bevor sie dann am montag mit neuen aktienpakete hökern ... - vergel(d)t' gott ... - S!



ich will leben - jugendvolxtheater theaterwerkstatt bethel

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🔴 Zur Premiere eines Theaterstücks des Jugendvolxtheaters der Theaterwerkstatt in Bethel findet immer ein Vorab-Pressetermin statt. 
Hier nun die Berichte der beiden Bielefelder Tageszeitungen.  
In dem Stück werden ja auch Momente aus dem viel zu kurzen Leben von Erna Kronshage nachempfunden. Ich bin sehr gespannt auf die Premiere am 02.06.


Bewegendes Theaterstück

Jugendvolxtheater: Am Anfang stand Erna Kronshage, die 1944 in Polen ermordet wurde. Die Geschichte bildete den Hintergrund für die 12- bis 15-Jährigen

Gadderbaum (syl). Sie haben sich kein leichtes Thema ausgesucht, die acht Spieler und Spielerinnen des Jugendvolx?theaters. Das Schicksal der ermordeten Erna Kronshage nahmen die 12- bis 15-Jährigen zum Anlass, über das Anderssein, Intoleranz und Gleichschaltung nachzudenken. Herausgekommen ist eine szenische Collage, die berührt. Am 2. Juni ist Premiere des Stückes "Besonders anders - ich will Leben".

Probe: Carlotta Drescher (v.l.), Felicia Frey, Kim Tabert und Linnea Koch gehen die Szenen noch einmal durch. Bis zur Premiere liegt noch viel Arbeit vor den Jugendlichen. Foto: Sylvia Tetmeyer



"Wir haben Edward Wieand, den Neffen von Erna Kronshage, eingeladen", erzählt Lotti Kluczewitz, die gemeinsam mit Canip Gündogdu die Regie übernommen hat. Die Jugendlichen haben dabei viel über die NS-Verfolgte, die im Sennestadt aufgewachsen ist, erfahren. Außerdem haben sich auf diese Weise Welten aus vergangenen Zeiten eröffnet, die den Spielern vorher nicht bekannt waren. Die Schülerinnen und Schüler entdeckten auch Parallelen zwischen den Geschichten. Kennengelernt haben sich die jungen Frauen und Männer erst im vergangenen Jahr.

"Ich habe schon immer Theater gemacht und wollte früher Schauspielerin werden", sagt Felicia (15). Am Anfang seien verschiedene Themen aufgeschrieben worden. Dann sei die Handlung Stück für Stück entstanden. "Wir haben über unsere Besonderheiten geredet", berichtet Kim Tabert. Bei der Spurensuche sei aufgefallen, dass es sehr schwer sei, "sein eigenes Ding zu machen". Besonders heiße nicht besser oder schlechter, sondern anders. Wer anders sei und aus der Reihe tanze, laufe jedoch Gefahr gemobbt zu werden. "Wie viel soll man sich anpassen, ohne sich selber zu verlieren?" Diese Frage hat sich Felicia gestellt. "Wie vernichtend kann Intoleranz und Engstirnigkeit sein?""Wohin kann Gleichschaltung und Ausgrenzung führen?" Das sind weitere Fragen, denen die Jugendlichen nachgegangen sind.

"Die meisten Szenen haben sich organisch entwickelt", sagt Kluczewitz. Es gebe wenig Bühnenbildteile. Außerdem seien während des gesamten Stückes immer alle acht Mitspieler auf der Bühne. "Jeder hat seinen Part. Wenn einer spricht, bleiben die anderen am Rand sitzen - oder mischen sich ein", erläutert die Regisseurin. Sie bezeichnet die Darbietung als "szenische Collage mit Bewegungschoreografie". Am Stück wirken mit: Noah Böckelmann, Carlotta Drescher, Tessa Erichsen, Felicia Frey, Linnea Koch, David Nalimov, Kim Tabert und Marlene Wohlhüter.

© 2018 Neue Westfälische
03 - Bielefeld Süd, Freitag 18. Mai 2018



Spurensuche auch nach dem Ich

Jugendvolxtheater zeigt neues Stück »Ich will Leben«

Bielefeld (bp). Es ist die inzwischen neunte Produktion des Jugendvolxtheaters der Theaterwerkstatt Bethel: »Ich will Leben – besonders anders« hat am 2. Juni Premiere.

Ein Jahr lang wird ein Stück erarbeitet: Material gesammelt, Dialoge geschrieben, Choreografien erdacht. Unter der Regie von Lotti Kluczewitz und Canip Gündogdu entstand ein Stück, an dessen Anfang eine Spurensuche stand. Zunächst haben sich die acht Akteure mit der Geschichte von Erna Kronshage beschäftigt, 1922 in Senne II geboren, 1944 in Polen ermordet.

Die Szenen zeigen Parallelen zwischen den jungen Spielern von heute und der Lebensgeschichte von Erna Kronshage auf. Der Titel »Ich will Leben« habe für die Jugendlichen auch die Bedeutung von »Ich will dabei sein, dazu gehören, teilhaben, Freunde haben, so sein«, sagt Lotti Kluczewitz. Besonders heiße nicht besser oder schlechter, sondern anders zu sein. Das Stück wolle zeigen, dass Menschen mehr sind als Bodymaße, Geschlecht, Fähigkeiten oder Träume. Ignoranz, Engstirnigkeit, Ausgrenzung – auch das wird zum Thema gemacht.

"Ich will Leben" heißt das neue Stück des Jugendvolxtheaters. Die Akteure befinden sich in den Endproben vor der Premiere am 2.Juni in der Theaterwerkstatt. Foto: Thomas F. Starke | WB



Im Jugendvolxtheater treffen junge Menschen mit und ohne Einschränkungen aufeinander: Sie besuchen unterschiedliche Schulen oder arbeiten bereits, wohnen in unterschiedlichen Stadtteilen. Die Theaterstücke seien stets geprägt durch die persönlichen Erfahrungen der Akteure. Es spielen mit Noah Böckelmann, Carlotta Drescher, Tessa Erichsen, Felicia Frey, Linnea Koch, David Nalimov, Kim Tabert und Marlene Wohlhüter.

Aufführungen sind am 2. Juni um 19 Uhr, am 3. Juni um 15 Uhr und am 4. Juni um 19 Uhr in der Theaterwerkstatt an der Handwerkerstraße 5. Kartenreservierung unter Telefon 0521/144-30 40 oder online unter theaterwerkstatt@bethel.de

WESTFALEN-BLATT - Freitag 18.05.2018, S. 13


inspiration & begeisterung - ein text mit feuerzungen: frohes pfingstfest

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 Emil Nolde: Pfingsten (1909); Berlin, Nationalgalerie
Mit gespaltener Feuerzunge

Von Karl-Heinz Göttert | DIE WELT
🔵Was wird Pfingsten eigentlich genau gefeiert? Und kann heute irgendjemand noch ernsthaft daran glauben? Eine kritische Prüfung der Apostelgeschichte.
Unter den drei Hochfesten Weihnachten, Ostern, Pfingsten ist Pfingsten das unbekannteste. Es bedeutet schon viel, wenn sich jemand an die „feurigen Zungen“ erinnert. Und dann war da auch noch der „Heilige Geist“. Wer boshaft ist, könnte es Luther in die Schuhe schieben. Jeder kennt das Weihnachtsevangelium, Lukas, Kapitel 2, das „Es begab sich aber zu der Zeit …“ Dabei beruht das Pfingstevangelium genauso auf Lukas, sogar auf Kapitel 2, nur eben in dessen Apostelgeschichte, die das Evangelium fortsetzte. Aber der Beginn ist beim sonst so feurigen Luther einigermaßen lahm, man versteht ihn kaum: „Und als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander …“ Es wird nicht besser: „Und man sah an ihnen die Zungen zerteilt, als wären sie feurig …“ An so etwas erinnert man sich eben nicht.

Natürlich wissen die Kenner trotzdem Bescheid. Der „Tag der Pfingsten“ war das Pfingstfest der Juden, nach griechisch pentekoste der 50. Tag nach Passah, an dem man die Übergabe der Thora feierte. Mit „sie“ sind die Jünger gemeint, die seit zehn Tagen die Himmelfahrt ihres Herrn hinter sich haben, als fromme Juden das jüdische Fest feiern und irgendwie sehen müssen, wie es nun weitergehen soll. Da „braust“ es, und die „feurigen Zungen“ senken sich auf sie herab, auf jeden einzelnen. Anschließend können sie in „Zungen“ reden. Als sie begeistert auf die Straße gehen und über das Erlebnis berichten, kann sie jeder in seiner Sprache verstehen. Und es sind jede Menge Völker vertreten, Lukas zählt 16 auf.

Erzählen wir die Sache einmal anders. Lukas beginnt die Apostelgeschichte mit der Zeit danach, nach Ostern. Als Erstes ist die Himmelfahrt dran, die die Evangelien nicht kennen. Er weiß schon, was er weiter erzählen will, es sind vor allem die Missionsreisen von Paulus, an denen er selbst teilgenommen hat. Er weiß, dass genau diese Reisen Paulus in eine peinliche Auseinandersetzung mit Petrus bringen werden. Der nämlich versteht die ganze Entwicklung als eine jüdische Angelegenheit, Paulus wird auf die Heiden setzen. Da denkt sich Lukas etwas aus. Er lässt Petrus eine Rede halten, in der das jüdische Pfingstfest zum christlichen wird. Petrus ist im Neuen Testament sonst nie der „Redner“, auch der Petrusbrief ist nach heutiger Auffassung unterschoben. Und Petrus sagt auch noch, was Paulus denkt.

Denn Petrus spricht über die Auferstehung als Grundlage einer neuen Lage, eines neuen Glaubens. Und bekräftigt dies durch Zitate aus dem Alten Testament, also der Heiligen Schriften der Juden – genau so, wie es Paulus in seinen Briefen ständig tut. Auch die Sache mit dem „Ausgießen des Geistes“ findet sich beim Propheten Joel. Petrus weitet es aus zum Missionsbefehl. Der Geist kam nicht umsonst herab, er macht die Jünger zu Wundertätern, um die Verkündigung des neuen Glaubens zu unterstützen. Ausdrücklich sind als Adressaten „alle“ angesprochen, das Reizwort. Am Ende lassen sich um die 3000 taufen, wohl kaum nur Juden, wo ausdrücklich von Ägyptern und sogar „Ausländern von Rom“ die Rede war.

Sagen wir es einmal etwas direkt: Das war gut ausgedacht, aber eben nur ausgedacht. Sogar Lukas selbst muss es irgendwie bemerkt haben, dass die Leser oder Hörer Zweifel am Erzählten bekamen, es war auch für antike Verhältnisse eine tolle Geschichte. Und so sucht er nach Beglaubigung und findet ein noch tolleres Argument. Denn Petrus fängt erst an zu sprechen, als er merkt, dass einige der Umstehenden, an die sich die Jünger wandten, zweifelten. Sie halten diese Jünger mit ihrem eigenartigen „Zungenreden“ für schlicht betrunken – Luther übersetzt, irgendwie dann doch noch in Fahrt gekommen: „Sie sind voll süßen Weines.“ Da kontert der große Apostel: Nein, das kann nicht sein, denn es ist erst die dritte Stunde. Die Geschichte muss also stimmen, weil so früh niemand betrunken sein kann. Der Zweifel der damals Zweifelnden ist also behoben, warum nicht dann auch der Zweifel der künftigen Leser?

Man kann diese Überlegungen als überflüssige Laientheologie abtun. Wenn da nicht ein grundsätzliches Problem berührt wäre. Dieses Problem lässt sich vielleicht so formulieren: Paulus hat den Glauben an die biblischen Erzählungen, vor allem hinsichtlich der Auferstehung, zur entscheidenden Grundlage gemacht – wer will, kann es im ersten Korintherbrief, Kapitel 15, nachlesen. Wer nicht an all diese Dinge wie Auferstehung von den Toten, Himmelfahrt und eben auch die Herabkunft des Heiligen Geistes glaubt, ist also kein Christ. Man kann aber davon ausgehen, dass heute die meisten Christen nicht an diese Erzählungen im Sinne einer wörtlichen Bedeutung beziehungsweise historischen Wiedergabe glauben. Das Problem lautet dann: Kann es einen christlichen Glauben geben, wenn fast keiner mehr die Grundlage akzeptiert?

Und heute? Natürlich gibt es einen wilden Atheismus, der sich über die Bibel lustig macht, vor allem alles an den Pranger stellt, was mit Gewalt zu tun hat, wovon tatsächlich das Alte wie das Neue Testament trieft. Aber es gibt auch ein historisches Bibelverständnis in den Kirchen, als wäre die Aufklärung nie gewesen. Wer einen Pfingstgottesdienst besucht, wird es wohl erleben: Falls der Pfarrer nicht über den Krieg im Nahen Osten oder die Klimakatastrophe spricht, wird er das „Pfingstereignis“ so wiedergeben, wie es Lukas erfunden hat. Und die „Gläubigen“ werden in der Regel verständnisvoll den Mund halten und hoffen, dass der Prediger bald an ein Ende kommt. Wer das Christentum im Ernst als eine der großen intellektuellen und kulturellen Leistungen des „Westens“ versteht und verteidigt, kann sich nicht mit diesem ungeklärten Nebeneinander von Kinderglauben und aufgeklärtem Weltbild zufriedengeben. Übrigens mit einem Nebeneinander, das jeden Prediger zur Schizophrenie verurteilt.

Ich weiß, welches Problem ich damit offen lasse. Wie kann eine Kirche überleben, die das Pauluswort aus dessen Korintherbrief ignoriert, wonach ohne Glauben an die Auferstehung alles dahin ist? Schwierig zu sagen. Aber ich weiß auch, dass der Glaube dahin ist. Und ich wünsche mir eine Lösung, weil ich nicht will, dass die Kirche an diesem Problem zerbricht. Vielleicht können Prediger aber einmal den Anfang machen, etwa mit Pfingsten, und die Bibel so „auslegen“, wie oben beschrieben. Dann haben wir vielleicht keine „wahre Kirche“ mehr, aber eine, die die Wahrheit sagt. Wenn sie damit untergeht, dann wäre dies sehr zu bedauern. Es spricht so viel für ihren Erhalt. Und auch dafür, dass „das“ Christentum seine Botschaft gut begründen kann, auch wenn seine Geschichten Geschichten sind. Ich weiß, man muss sich dann beim „Glaubensbekenntnis“ etwas einfallen lassen. In der Auseinandersetzung mit dem Islam könnte man allerdings durchaus selbstbewusster auf die Aufklärung pochen.
Karl-Heinz Göttert, emeritierter Professor für Germanistik an der Universität Köln, ist Verfasser zahlreicher Bücher, darunter „Alle unsere Feste“ (2007) und „Luthers Bibel. Geschichte einer feindlichen Übernahme“ (2017).

ja - das sind fast augenzwinkernde pfingstworte eines "aufgeklärten" germanistik-professors und luther-analysators. aber ihm fällt dazu leider nur ein, auf diese zwei "schizophrenen" hochzeiten zu tanzen: zu wissen, "dass der glaube dahin ist" - dass "pfingsten" in der apostelgechichte natürlich keine "historische wiedergabe" ist - aber gleichzeitig nicht zu wollen, "dass die kirche daran zerbricht" - dass sie also weiterhin "glaubt" ... - er will also die quadratur des kreises - und dass sollen aber bitteschön die "prediger" machen ... - und die "gläubigen", die "gemeinde", und die wissenschaftlich "aufgeklärten" kommentatoren - so wie er - schauen gebannt auf die ergebnisse: wie "lügt" sich die kirche da aus der bredoullie ???

anstatt einfach bei und in sich selbst anzufangen und sich einzufühlen, und zu spüren ... in sich hineinzugehen in die achtsamkeit und selbsterkenntnis und in eine gewisse "unbedarftheit"...

"du sollst deinen nächsten lieben - wie dich selbst" ... - "wie dich selbst": sich selbst zu lieben heißt, sich kennzulernen, sich zu erforschen - in sich hineinzuhören und hineinzuspüren - sich selbst "er|kennen": sich selbst er|fahren ...

da muss ich nicht warten - bis etwa "der prediger" ..., sondern da muss ich die für heutige ohren vielleicht holprig bildhafte sprache aufnehmen und in empfindungen und gefühle "übersetzen". das jüdische "pfingsten" war dabei nur kulisse, war eine äußere verortung für innere angelegenheiten - und dabei herrscht dann beileibe nicht "kinderglaube" versus "aufgeklärtem weltbild", sondern das angeblich "aufgeklärte weltbild" scheint selbstentfremdet nicht mehr in der lage zu sein, die mahnworte jesu sinngemäß  tatsächlich "ganz in echt" erwachsen-intellektuell umzusetzen: "amen, ich sage euch: wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die kinder, werdet ihr nicht in das himmelreich hineinkommen"(matth. 18,3), um zu lauschen - um "sensibel" zu werden, zu sein und zu bleiben - um so die wunder zu erspüren, die ein alltägliches leben beinhaltet, sich be- und anrühren zu lassen: dazu ist eben fantasie gefragt, magisches denken, glauben, umsicht, achtsamkeit: in sich selbst und in bezug auf die nächsten, die mit einem sind ...

da gibt es die möglichkeiten, "historische" berichte - zumal wenn sie uralt sind - zu "interpretieren": was will uns der antike redakteur damit mitteilen, was will er in uns ansprechen: "wie sag ich's meinem (inneren) kinde" ... 

ja - dann geschieht oft dieses pfingstliche brausen in uns - auch heute noch: dieses plötzliche lichtaufgehen wie das einer pfingstzüngelnden flamme: "ich habs!" - heureka! -  ich hab plötzlich einen ge|danken in mir, bei dem mir mit einem gewissheits-gefühl "aus dem bauch heraus" signalisiert wird = das ist es - ich hab die Lösung - ich verstehe plötzlich, was gemeint ist - ich hab plötzlich wieder die uralte gewissheit, die seit ewigkeiten mein gewissen bestimmt, das ge-wissen, das mich führt und leitet wie ein navi im stau unserer inneren und äußeren "realitäten" ...

göttliche kommunikation geschieht durch geistige verquickungen mittels ge-dankenfünklein und denkpartikeln, plötzliche anstöße werden gegeben, die uns plötzlich eingepflanzt werden und geschenkt sind - wie aus dem nichts: schon im wort ge|danke selbst bedanken wir uns ja für diese zuwendungen und verbindungen: gottseidank ...


und diese direkte geistige verbindungsschiene - diese ewigen standleitungen nach "oben" bzw. "innen" kann kein parabolspiegel und kein geheimdienst in dieser welt abfangen oder auffangen und ge- oder missbrauchen - etwas was jenseits und doch diesseits unserer "intelligenz" von statten geht...


- und hier ist nun der versuch, "die bibel so 'auszulegen', wie oben beschrieben" - wie das der herr göttert vielleicht erwartet:

S!|art
Inspiration beseelt unser Leben

Das ist Pfingsten gemeint: die "Inspiration" - die "Be|geisterung":
🔴Pfingsten (altgr. πεντηκοστή ἡμέρα pentekostē hēméra ‚fünfzigster Tag‘) ist ein christliches Fest. Gefeiert wird die Entsendung des Heiligen Geistes (daher als Mysterium die Aussendung des heiligen Geistes oder auch Ausgießung des heiligen Geistes genannt). Es wird am 50. Tag des Osterfestkreises, also 49 Tage nach dem Ostersonntag, begangen.
Im Neuen Testament wird in der Apostelgeschichte erzählt, dass der Heilige Geist auf die Apostel und Jünger herabkam, als sie zum jüdischen Fest Schawuot (τὴν ἡμέραν τῆς πεντηκοστῆς ‚ zum 50. Tag‘) in Jerusalem versammelt waren (Apg 2,1-41). Dieses Datum wird in der christlichen Tradition auch als Gründung der Kirche verstanden. Als christliches Fest wird Pfingsten erstmals im Jahr 130 erwähnt.

Die Bibel in gerechter Sprache berichtet dieses Pfingsten in der Apostelgeschichte 2,1-4 so:

  • "Als der 50. Tag, der Tag des Wochenfestes, gekommen war, waren sie alle beisammen. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Tosen wie von einem Wind, der heftig daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sich aufhielten. Es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten, und auf jede und jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Da wurden sie alle von heiliger Geistkraft erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden; wie die Geistkraft es ihnen eingab, redeten sie frei heraus."

Und in Lukas 12, 11-12 heißt es durch Jesus selbst schon vor dem Pfingstereignis:

  • "Wenn sie euch aber vor die Behörden, die Obersten und die Machthaber führen, so sorgt euch nicht, wie ihr euch verteidigen oder was ihr sagen sollt. Denn die heilige Geistkraft wird euch in dieser Stunde lehren, was ihr sagen müsst."

Diese Jüngerinnen und Jünger wurden am Pfingstfest durch feurige "Geistesblitze" plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes "inspiriert": ... "wie die Geistkraft es ihnen eingab, redeten sie frei heraus..." - ... "die heilige Geistkraft wird euch in dieser Stunde lehren, was ihr sagen müsst"...: Sie konnten plötzlich frei formulieren, es sprudelte aus ihnen heraus, was sie empfanden - und was sie weiterzugeben hatten aus ihrem inneren Erfülltsein.

Was bedeutet nun diese "Inspiration" - diese innere "Be|seeltheit"? Wikipedia schreibt: Inspiration von lat.: inspiratio = Be|seelung, Einhauchen von „spiritus“ = Leben, Seele, Geist.

Wer inspiriert ist und andere inspirieren kann, ist beseelt und beseelt und begeistert andere also.

Ist es nicht so, dass wir viel zu viele Tage verbringen ohne uns auch nur einen Moment über diese Inspiration Gedanken zu machen? Wir haben zu oft zuviel zu tun, zuviel zu leisten, zuviel auf einmal, zuwenig Zeit, zuwenig Ruhe, zuwenig Muße. Denn das ist es tatsächlich, was eine gesunde angemessene Inspiration braucht: Sie braucht Muße und Raum. Raum um entdeckt zu werden. Bewusstsein, Achtsamkeit um wahrgenommen zu werden.

Ich glaube, Inspiration ist eng verwandt mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit - aber auch mit Kreativität und Motivation - mit dem "Impuls", mit der neuen "Idee"...

Inspiration scheint für viele Menschen etwas zu sein, was nur Künstler haben und was für “Normalsterbliche” wenig bis keinen Sinn macht. Doch was ist es, was uns dazu bringt, Aufgaben gern und mit Freude zu erfüllen? Ist das nicht diese Be-geisterung und damit Inspiration?

Wenn ich Menschen erreichen möchte, muss ich sie begeistern können. Eine Geschichte erzählen können, die erklärt wo die Reise hingehen soll.

Antoine de Saint-Exupery hat geschrieben:
„Wenn Du ein Schiff bauen willst,
dann trommle nicht Männer zusammen
um Holz zu beschaffen,
Aufgaben zu vergeben
und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre die Männer
die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Was bedeutet das für uns im Kleinen? Wie können wir uns Inspiration immer wieder neu schaffen und bewahren? Und wie können Sie andere Menschen inspirieren? Ich glaube, dass es eher weniger um das ‘wie’ geht als um die innere Haltung. Kehren wir doch noch einmal zur Wortbedeutung zurück:

In|spiration = Be|seelung = Be|geisterung

Sehr alte Worte. Wir verwenden sie im normalen Sprachgebrauch leider nur noch wenig. Und doch haben sie unfassbar viel Kraft, wenn wir uns auf sie einlassen - sie be|greifen. Wie fühlen wir uns, wenn uns etwas inspiriert? Ist das nicht ein unglaublich lebendiges, elektrisierendes, waches Empfinden? Voller Freude und Energie? Das ist Be|seelung - Be|geisterung. Etwas lebendig werden lassen. Uns einsetzen, an etwas glauben, andere damit anstecken, Durststrecken überstehen, weil wir das Große - das dahinterliegende Ziel - sehen. Und gleichzeitig "profilieren" wir uns damit, wenn wir von dem berichten und weitergeben, was uns bewegt ...

Das ist das Gegenteil von mechanistischem Abarbeiten, Erledigen und stumpfer Pflichterfüllung und reiner Logik, wo wir zwar existieren, aber nicht "leben". Wir brauchen die Seele/den Geist in den Dingen, in den Erlebnissen, in unserem alltäglichen Sein.

Doch die einzigen, die uns abhalten, Begeisterung wieder zu entdecken, uns selbst zu überraschen und damit zu inspirieren, sind wir selbst. Es liegt an uns, diese Gabe immer wieder zu entdecken. In jedem Tag das Lebendige zu erfahren, wahrhaft zu leben. Wahrhaft. Die Brille des Hektischen absetzen und wieder wirklich sehen, was wir betrachten und erleben.

Jeder Tag hat seinen eigenen Zauber und kann uns inspirieren. Es ist nie zu spät, wieder zu lernen, dass wir die Fähigkeit zur Be|seelung und Be|geisterung besitzen. Sich voller Be|geisterung in etwas zu verlieren, ganz einzutauchen in eine Erfahrung, und dabei andere mitnehmen um so zu einem Menschen zu werden, der andere inspirieren kann.

Nach einem Impuls von Alexandra Grassler





das paläontologische handy in der knochenkralle

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Was am Ende übrig bleibt
🔶 Könnte es schon einmal eine Industriegesellschaft auf der Erde gegeben haben? Woran würde man das erkennen? Ein erstaunlich aktuelles Gedankenspiel

Von Stefan Schmitt | DIE ZEIT


Die Silurianer sollen intelligente Echsen gewesen sein. Angeblich haben sie vor 450 Millionen Jahren auf der Erde gelebt und ihre eigene Technologie entwickelt, vergleichbar der menschlichen von heute. Natürlich sind die Silurianer eine Erfindung, sie stammen aus einer Folge der britischen Fernsehserie Dr. Who.

Jetzt aber stehen die Silurianer Pate für eine außergewöhnliche wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel Die Silurianer-Hypothese. Kein Quatsch. Der Fachaufsatz stammt von seriösen Wissenschaftlern, nämlich dem Klimaforscher Gavin Schmidt, Direktor des Goddard Institute for Space Studies der Nasa, sowie dem Physiker Adam Frank von der University of Rochester. Die beiden fragen sich: Könnten Geologen Spuren einer untergegangenen Industriegesellschaft in den stratigrafischen Aufzeichnungen, also den Ablagerungen der Erdgeschichte, erkennen? Dabei geht es Schmidt und Frank nicht um die Silurianer, sondern um uns selbst – in radikaler Zeitrafferperspektive.

Die Stratigrafie ist so etwas wie das Tagebuch des Planeten. Geologische Schichten zeugen allerdings nicht von den Geschehnissen einzelner Tage, sondern ganzer Epochen. Berge türmen sich auf und vergehen, Meeresboden fällt trocken und wird Land, Klimazonen verschieben sich, Tierarten entstehen und sterben aus. Und am Ende bleiben davon vielleicht ein paar Millimeterchen Sediment.

Archäologen der näheren Zukunft mögen einmal Handys oder Kaffeebecher aus dem frühen 21. Jahrhundert ausgraben. Gebäude und Anlagen? Der Gedanke an die Hinterlassenschaften einer untergegangenen Industriegesellschaft erinnert an Alan Weismans Sachbuch Die Welt ohne uns, in dem dieser beschreibt, wie Städte, Autobahnen und Fabriken von der Natur zurückerobert werden (ZEIT Nr. 41/07). Doch das alles ginge zu schnell vonstatten, um sich auf einer Zeitskala, die in Multimillionen Jahren misst, niederzuschlagen. Stattdessen blicken Schmidt und Frank auf die Geochemie. Wie sehen Ablagerungen natürlicherweise aus, und welche Spuren darin ließen sich als Zeugnisse industrieller Aktivität deuten?

Es gäbe da einige. Eine entsprechende Kultur könnte man zum Beispiel daran erkennen, dass sich plötzlich große Mengen von Blei und Chrom, Rhenium, Platin und Gold in einer Sedimentschicht zeigten, dass sich darin feinste Plastikpartikel und Rückstände synthetischer Steroide fänden, dass der Mix der Kohlenstoff-Isotope von einem starken Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxid-Gehalts zeugte – kurz gesagt daran, dass in ferner Vergangenheit dieselben geochemischen Signale entstanden sein sollten, wie wir sie gerade selbst erzeugen.

Deshalb sind die Gedanken von Schmidt und Frank nicht nur für Erdgeschichtler interessant. Sie gehören in die anhaltende Debatte um das Anthropozän, jene neue geochronologische Epoche, die nach ihrem prägenden Einflussfaktor benannt werden soll, nach anthropos, dem Menschen.

Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hatte den obskuren Begriff bei einer Konferenz im Jahr 2000 popularisiert; zwei Jahre später schrieb Crutzen in Nature: »Während der vergangenen drei Jahrhunderte sind die Auswirkungen der Menschen auf die globale Umwelt eskaliert. (...) Es erscheint angemessen, den Terminus »Anthropozän« auf die gegenwärtige, vielfältig vom Menschen dominierte geologische Epoche anzuwenden.« Seitdem streiten sich die Erdwissenschaftler. Ihre oberste Fachgesellschaft, die International Union of Geological Sciences, hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Faktenlage zu sortieren. Mehrere Gremien haben sich auf dem Weg durch die Geo-Bürokratie schon dafür ausgesprochen. Aber frühestens 2019 könnte das »Anthropozän« offiziell ausgerufen werden – oder verworfen.

Denn kurioserweise ist der Begriff schneller zum soziologischen Faktum gereift als zu einem naturwissenschaftlichen. Er steht für die Folgen menschlichen Handelns zum Beispiel in Gestalt von Klimawandel, Artenschwund (»Das sechste Sterben«) oder der Umlenkung der planetaren Nährstoffströme. Politiker und Umweltschützer bemühen die Vokabel, in den Feuilletons deuten Philosophen und Juristen sie aus. Ob das Konzept aber auch den Geowissenschaftlern genügen wird, das ist unsicher – wenngleich vieles darauf hindeutet. Das hat viel mit Timing zu tun. So gewaltig und zum Teil verhängnisvoll uns erscheinen mag, was gerade mit der Erde geschieht, so ist es doch zeitlich ein punktuelles Phänomen. Was sind schon 300 Jahre der aktuellen geologischen Ära angesichts der seit 66 Millionen Jahren währenden Erdneuzeit (Känozoikum)?

Schmidt und Frank bezeichnen den »Fingerabdruck« des Anthropozäns zwar als »klar«, legen aber dar, dass viele einzelne Faktoren erdgeschichtlich nicht einzigartig sind. »Es gibt zweifelsfrei Ähnlichkeiten zwischen früheren abrupten Ereignissen in der geologischen Abfolge und der voraussichtlichen Signatur des Anthropozäns in künftigen Ablagerungen.«

Zurück zur Hypothese von den Silurianern! Was bedeutet all das nun für die Annahme, vor vielen Millionen Jahren könnte eine Industriezivilisation auf Erden existiert haben? »Es ist vielleicht ungewöhnlich«, schreiben Schmidt und Frank, »aber die Autoren dieses Aufsatzes sind nicht überzeugt von der Richtigkeit der von ihnen vorgeschlagenen Hypothese.« Anders gesagt: Natürlich gab es keine Silurianer. Dennoch sei eine solche geochemische Spurensuche sinnvoll. Sie könnte etwa zum Nachweis längst erloschenen Lebens auf anderen Himmelskörpern dienen. Nicht ohne Grund veröffentlichen Schmidt und Frank ihren Aufsatz im International Journal of Astrobiology.

Mit dem Blick ins Weltall schließt sich der intellektuelle Bogen, den die Forscher durch die Erdgeschichte und in die ferne Zukunft schlagen. Sie bedienen sich dafür der berühmten Formel des Astronomen Frank Drake aus dem Jahr 1961. Darin finden sich alle Faktoren für die Häufigkeit außerirdischer, kommunikationsfähiger Zivilisationen. Das wird als spekulative Antwort auf die berühmte Frage des italienischen Nobelpreisträgers Enrico Fermi verstanden, der im Jahr 1950 mit himmelwärts gerichtetem Blick gemurmelt hatte: »Wo sind sie bloß alle?« Falls um Unmengen von Sternen Planeten kreisen und sich auf einem Teil davon Leben entwickelte, aus dem womöglich Zivilisationen hervorgingen, warum haben Menschen dann niemals ein Signal aus der Milchstraße aufgefangen? Dieser Gedanke ging als Fermi-Paradox in die Wissenschaftsgeschichte ein.

Eine Antwort vermag sowohl das Paradox aufzulösen als auch die Aussicht zu dämpfen, dass Spuren einer irdischen Industriegesellschaft auf der geologischen Zeitskala erkennbar bleiben. Es geht um den Faktor »L« in Drakes Gleichung, der Langlebigkeit hochtechnisierter Zivilisationen. »Die Möglichkeit, eine Erscheinung von nur ein paar Jahrhunderten (oder weniger) aufzuspüren, ist fragwürdig«, schreiben Schmidt und Frank bezogen auf die Stratigrafie. Natürlich gilt dasselbe für ferne Zivilisationen, die nur für kurze Zeit Signale aussenden. Beides wäre erdgeschichtlich nicht mehr als ein Wimpernschlag.

Ist also diese ganze Gedankenübung vom Anthropozän bis zu den Aliens nicht mehr als eine Lektion in Demut?

Gavin Schmidt hat parallel eine Science-Fiction-Kurzgeschichte geschrieben. In Under the Sun fantasiert er von einer Geochemikerin, die zufällig in 55 Millionen Jahre alten Sedimenten auf Spuren von PCB stößt, einer Stoffgruppe, die von Menschen erstmals im Jahr 1881 in einem deutschen Chemielabor erzeugt wurde. Diese Entdeckung wird in der Story als Beleg für die Existenz einer vormenschlichen Industriegesellschaft gedeutet. Doch die schriftstellerische Zweitverwertung des wissenschaftlichen Gedankenspiels geht noch weiter und rückt uns die fiktiven Silurianer erschreckend nahe. Findet sich doch in den Proben aus ihrer Schicht ein zweites Zeugnis der fernen Vergangenheit: Plutonium-244, ein radioaktives Isotop mit einer Halbwertszeit von 80 Millionen Jahren. Es entsteht nur bei der Zündung einer Kernwaffe.





So könnten Spuren von uns aussehen, die Archäologen in ein paar Hundert Jahren ausgraben. Was aber würde die Äonen überdauern? Illustration: Sören Kunz für DIE ZEIT (Negativbearbeitung)


(aus: DIE ZEIT - Nr. 22 - v. 24.05.2018 - S. 30 WISSEN)

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in meiner gestalt-ausbildung vor 35-40 jahren hieß ein grundsatz: leben im jetzt und hier (= nunc|hic - wie hier mein blog heißt ...).

insofern ist es die frage, ob wir uns mit diesen science-fiction-fragen beschäftigen sollen, ob denn tatsächlich schon einmal hier auf erden eine art industrialisierte zivilisation existiert hat. 

was wäre das für ein zugewinn für uns, wenn wir das rekonstruieren könnten über die jahrmilliarden hinweg. und ist unser heutiges wissen nicht auch nur stückwerk - und nur vorübergehender natur ... ???

ob plutonium-244 eine tatsächliche halbwertzeit von 80 millionen jahren bemisst und ausschließlich bei der zündung einer atombombe entsteht - das sei mal so dahingestellt: der einschlag eines radioaktiven himmelskörpers kann das ja vielleicht auch auslösen - und es tickt ja zumindest da draußen im all in den von menschen erdachten geigerzählern hier auf erden.

vielleicht gibt und gab es aber auch ganz andere formen der energie - und die suche nach "unserer elektronik" u.a. ist nur müßig ... -

vielleicht sind unsere sinne ja auch nur für ganz bestimmte wahrnehmungen programmiert - und z.b. eine schnecke empfängt ganz andere für uns völlig fremde impulse und ist uns in ihrer schneckenartigen wahrnehmung weit überlegen ... - wer will das wissen oder bestreiten.

all unsere maßeinheiten und messinstrumente sind ja recht willkürlich und künstlich festgelegt worden - wenn man den sachen auf den grund geht, war da auch viel trickserei und nur mittelfristige erfahrung und zufall und interessengeleitete marktstrategie mit von der partie ... - ob das alles "objektiv" uns welt & all erklärt und erschließt - keine ahnung ...

eins wissen wir: - nämlich dass wir sehr wenig wissen - und unsere "warum"-fragen kommen aus dem kleinkindstadium - gemessen an der größe und weite des allumfassenden alls - in all seinen "natürlichen" erscheinungsformen - kaum hinaus.

ich persönlich habe große probleme, wenn kleine und minderbemittelte staaten sich mit atomwaffen bewaffnen müssen oder raketen ins weltall schicken oder zum mond fliegen - und die eigen bevölkerung deswegen hungern muss oder opfer zu bringen hat.

geht damit etwa ein "ruck" durch die beteiligten gesellschaften - hin zu einer angemessenen vernunft ...???

all dieses getue ist für mich oft "sand in die augen streuen"und genau das ist für mich "opium für's volk" ...

in den heiligen erfahrungs- und offenbarungsschriften der menschheit in ihrer begegnung mit dem, was sie vornehmlich als gott oder allah oder buddha bezeichnen, stehen oft wichtigere soziologische regelungen und erkenntnisse für ein stressfreies zusammenleben der menschheit als jeder start einer marssonde beinhaltet ... - behaupte ich mal ... - S!

die gelb-weißen maden aus der couch des herrn freud

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freuds couch - 22-10-2016 = XXL (click here)



und wenn die gelb-weißen maden
und wenn die gelb-weißen maden
sich aus den tiefen der analyse schlängeln
die zuvor mit dem nürnberger trichter
eingebracht und zugeführt wurden

all diese eiweiß-bolzen
all diese eiweiß-bolzen
mit dem knorpel-knoten auf dem rücken
die wie auf den höckern eines mini-kamels
abrollen von vorn nach hinten
von hinten nach vorn
hin und wieder her
wie wüste(n) schiffe

ich höre ihr feuchtes schmatzen noch
ich höre ihr feuchtes schmatzen noch
rieche ihren zarten schmelz
bevor der therapeut mit der zunge schnalzt
und dann "heureka!" ruft:

"es war deine mutter"
"lange bevor du - schon lange ..."

und ich hatte tränen in den augen:
ich hatte tränen in den augen:
ja - jetzt konnte ich das endlich
zuordnen - wie meine mutter
wie meine mutter damals
wie meine mutter damals
die milch zum kochen brachte ...

nie ist sie übergekocht ...
nie ist sie übergekocht ...
alles ging glatt
kein anbrennen auf dem koksofen
und wir hatten auch immer
"grüne tante" im haus
gleich neben der kernseife
neben der waschschüssel 
auf dem hocker nebenan

ich dankte dem herrn therapeut
ich dankte dem herrn therapeut
aufs äußerste und tiefste
uns tröstete ihn - und sprach
ihm letztendlich mut zu ...
"nein - nein - nein", sagte er, 
"bitte nicht - ich schicke dir
die rechnung wie immer zu - 
bis zum nächsten mal..."
bis zum nächsten mal...


sinedi


gebote

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Großzügige Spende: Insgesamt 18 Werke hat der Künstler Gerhard Richter für das Projekt gegen Wohnungslosigkeit in NRW gestiftet. Ein Teil war während der Präsentation des Projekts im Landtag gestern zu sehen. Fotos: dpa


Kunst hilft Wohnungslosen


🔷Neue Idee: Der Maler Gerhard Richter stiftet wertvolle Werke für eine Online-Auktion. Mit dem Erlös kann der Ankauf von Wohnungen in ganz NRW finanziert werden

Von Lothar Schmalen | NW

"Wohnen ist ein Menschenrecht. Doch bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware in NRW, vor allem für Menschen, die schon lange auf der Straße wohnen", sagt Christian Woltering, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Mit einer neuen Idee soll diesem Problem jetzt zu Leibe gerückt werden. Und tatkräftig mitgeholfen hat dabei der international renommierte Künstler Gerhard Richter. 

Die Idee besteht darin, dass Vereine, die sich der Wohnungslosenhilfe verschrieben haben, Wohnungen erwerben und diese direkt an Wohnungslose vermieten. "Housing-First" heißt die Idee, die 2011 in Wien entstand und sich seitdem bereits in einigen europäischen Ländern (zum Beispiel in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich) ausgebreitet hat. In Deutschland wird sie seit 2014 bislang vor allem von der Düsseldorfer Wohnungslosenhilfe "fifty-fifty" praktiziert. "Mit dem Verkauf gespendeter Kunst haben wir in den vergangenen zwei Jahren 48 Wohnungen gekauft. Sie sind an 53 Langzeitwohnungslose vermietet", berichtet Streetworkerin Julia von Lindern. Die Erfahrungen mit dem "Housing-First"-Ansatz seien durchweg gut. Ein eigenes dauerhaftes Zuhause - statt ein Obdach auf Zeit - habe auf die Klienten eine sehr positive Wirkung, sagt die Sozialarbeiterin.

Jetzt hat der Künstler Gerhard Richter, mit dem "fiftyfifty" schon länger in Verbindung steht, Kunstwerke gespendet, deren Erlös in einen neuen Fonds ("Housing-First-Fonds") des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes fließen soll. Das Geld aus diesem Fonds soll freien Trägern der Wohnungslosenhilfe in ganz NRW bei der Finanzierung von Wohnungskäufen helfen. Der erwartete Erlös aus der Online-Auktion der Richter-Kunst (www.fiftyfifty-galerie.de) dürfte bei mehr als einer Million Euro liegen. "Das Land steuert 400.000 Euro bei", sagt NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). Mit dem Fonds könne der Erwerb von insgesamt 100 Wohnungen finanziert werden.

Der Minister hatte auch statistische Informationen mitgebracht. Demnach ist die Zahl der Wohnungslosen in NRW von 2014 bis 2016 von 20.486 auf 25.045 gestiegen - vor allem wegen der Flüchtlingskrise 2015, wie die Kommunen sagen. Viele Asylbewerber mussten nach ihrer Anerkennung die Asylunterkünfte verlassen, fanden aber keine bezahlbaren Wohnungen. In Ostwestfalen-Lippe alleine stieg die Zahl der Wohnungslosen von 1.671 auf 2.773 (davon allein 1.683 in Bielefeld).

"Housing-First heißt für uns nicht Housing-Only", sagt Woltering vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Nach Bezug der Wohnung würden die Betroffenen ermutigt, ihre individuellen Probleme wie etwa Sucht oder psychische Belastungen anzugehen, unterstützt von Hilfsangeboten.

Die Träger von Wohnungslosenhilfe können nun Anträge beim Paritätischen Wohlfahrtsverband stellen, um sich beim Erwerb von Wohnungen beraten und bei der Finanzierung helfen zu lassen. "Rund ein Dutzend haben bereits Interesse angemeldet", sagt Woltering. Darunter sind dem Vernehmen nach auch freie Träger aus Ostwestfalen-Lippe.

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Maler, Bildhauer, Fotograf: Der
Künstler Gerhard Richter (86). 
Gerhard Richter und seine Spende

  • Der 1932 in Dresden geborene Gerhard Richter ist Maler, Bildhauer und Fotograf. 
  • Von 1971 bis 1993 war er Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf.
  • Richter wird auch als "Picasso des 21. Jahrhunderts" bezeichnet und gehört inzwischen zu den höchstgehandelten zeitgenössischen Künstlern. 
  • Für die Sonderedition "Cage f.ff" hat Richter Fotografien von seinen Ölgemälden "Cage 1-6" in einer Auflage von je fünf Exemplaren erstellt. Drei der fünf Sets stiftete er für den Wohnungsfonds, die beiden anderen gehen für andere Zwecke an die Düsseldorfer Wohnungslosenhilfe "fiftyfifty". (los)


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Berühmter Künstler unterstützt Wohnungslosenprojekt
Kreative Sozialhilfe

Lothar Schmalen | NW

Sozialminister Karl Josef Laumann war gut gelaunt, als er im Landtag vor die Journalisten trat. Verständlicherweise. Denn die Idee, die er gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und einem Düsseldorfer Verein für Wohnungslosenhilfe vorstellte, war ebenso überraschend wie simpel: Wenn es Wohnungslosen auf dem überteuerten Wohnungsmarkt nicht gelingen kann, eine Wohnung zu bekommen, die vielleicht ihr Rettungsanker sein könnte, dann kaufen Träger der Wohnungslosenhilfe eben selbst Wohnungen, um sie an die Betroffenen zu vermieten.

Laumann lobte die Idee mehrfach und unterstrich, dass es richtig und notwendig sei, dass Wohlfahrtsträger selbst Eigentümer von Wohnungen werden. Dass dies gleichzeitig das Eingeständnis ist, dass es der private Markt eben nicht in jedem Fall richtet, wie es die Vertreter der "Privat-vor-Staat"-Ideologie jahrelang behauptet haben, ficht Laumann nicht an. Er selbst, Sozialpolitiker und Gewerkschafter aus Überzeugung, war sowieso nie ein großer Anhänger dieser Art von Weltsicht.

Gerhard Richter, einer der Stars der deutschen Kunstszene, ist übrigens nicht der erste Künstler, der dem Verein für Wohnungslosenhilfe in Düsseldorf hilft. Den engagierten Sozialarbeitern aus der Landeshauptstadt wurden schon mehrfach Kunstwerke gespendet. Die Idee, auf diese Weise Geld für den Ankauf von Wohnungen für Wohnungslose zu beschaffen, zeigt: Sozialhilfe kann auch kreativ sein.

lothar.schmalen@ihr-kommentar.de


© 2018 Neue Westfälische
03 - Bielefeld Süd, Donnerstag 24. Mai 2018

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so ein wenig erinnert diese aktion ja an die mithilfe von "ehrenamtlichen" im sozialbereich. und dass jetzt sogar ein international bedeutender künstler sich an diesem "ehrenamt" beteiligt, ist doch große klasse und nachahmenswert - und hält auch ein wenig den auktionshäusern und dem internationalen kunsthandel den spiegel vor - deren prinzip der preistreiberei mittels scheingeboten hier kaum greifen kann ... - das war ja auch schon bei der übergabe des fotografisch reproduzierten geschichtsschweren "birkenau-zyklus" für die südwand im eingangbereich des "reichstags" der fall ...

ich meine - das grundprinzip dieser art spendenbeschaffung insgesamt hat ja bethel-"vater" bodelschwingh vor fast 130 jahren ganz amateurhaft und im kleinen entwickelt: mit seiner "brockensammlung" ("sammelt die übrigen brocken, auf dass nichts umkomme!" - joh 6,12 ...) und seiner "briefmarkenstelle", wo gebrauchte briefmarken abgelöst und zu sammlerzwecken sortiert und aufbereitet werden - die "kunstwerke der kleinen leute" ... - und seinem "pfennigverein", wo von einer gruppe monatlich "kleingeld" eingesammelt wurde - nach dem motto: "kleinvieh macht auch mist" ...

nun will ich die echten teuren richter-kunstwerke beileibe nicht als "brocken" abqualifizieren, die ansonsten drohten "umzukommen": richter-kunstwerke werden nicht umkommen sondern wohl ihren marktwert behalten und steigern - und auch drohende inflationen überleben.

es wäre gut, wenn mehrere herausragende künstler es gerhard richter gleichtun würden - und ob da eventuell noch ein steuerlicher vorteil für die kunstschaffenden und ihre agenten und galeristen abfällt, sei mal dahingestellt - für einen guten zweck ist ja jeder dabei abfallender "lohn" gut angelegtes geld ... - S!

eine späte genugtuung

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Danke - liebe Bundesrepublik - für diese Auszeichnung an Dunja Hayali. Ende Februar hatte ja der unersättlich Spitzenjournalist Henry M. Broder seinen Verriss zu Dunja Hayali in der WELT veröffentlicht: die WELT, die so super"neutral" ist, dass sie auf ihrer Titelseite jetzt Frau Hayali beim Bundespräsidenten vor der Flagge bei der Ordensübergabe abbildet - und bei der Ankündigung dazu vor einigen Tagen auch auf den Verriss durch ihren Spitzenjournalisten hinwies ...

(aber vielleicht betreibt die WELT ja auch schlitzohrig "real-satire" in ihren Augen - und zeigt deshalb den Präsidenten

Lesen Sie bitte dazu insgesamt meine damalige Stellungnahme zum Streit Hayali/Broder:




als hätte ich die ordensverleihung im februar geahnt: ich habe wenigstens diese illustration in schwarz-rot-gold gehalten ... S!

mars - schall & rauch

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"Tal" (1999): Ein Dorf in Deutschland, ein paar Häuser, eine Windmühle, ein Zaun, Feldwege in die Ferne - in den 60ern? In den 90ern? Typisch für Neo Rauch: Erstaunlich mühelos überbrücken seine Bilder den Wandel der zeiten.
Fotos: Andreas Schnadwinkel

Die Sache mit dem Andreaskreuz

Museum in Zwolle zeigt einen Querschnitt des Werks des Malerstars Neo Rauch

Von Andreas Schnadwinkel | Westfalen-Blatt

Zwolle(WB). Neben Altmeister Gerhard Richter ist Neo Rauch international der gefragteste deutsche Maler. Seine Bilder sind in bedeutenden Sammlungen und Museen weltweit vertreten. Sein Werk, das sich mit dem Künstler entwickelt hat, ist vielschichtig. Das zeigt noch bis zum 3. Juni die Ausstellung »Neo Rauch – Dromos. Malerei 1993 bis 2017« im Museum Fundatie im niederländischen Zwolle.

Die Hauptstadt der Provinz Overijssel muss sehr wohlhabend sein, sonst könnte sie sich eine solche Ausstellung mit enormen Versicherungs-, Transport- und Leihkosten gar nicht leisten. Für den Wohlstand der ehemaligen Hansestadt spricht schon der Museumsbau, ein alter Justizpalast im klassizistischen Stil. Ein surrealistisches Ei bildet das Dach, außen beklebt mit mehr als 50.000 Fliesen.

"Mars" (2002):
ist der hünenhafte Arbeiter mit Speer
in Kämpferpose ein Selbstporträt?
Ort und Gebäude passen also zu dem, was präsentiert wird. Natürlich ist Neo Rauch kein Surrealist
im herkömmlichen Sinn. Sein Stil ist ausgesprochen eigen, annähernd mythologisch und versammelt vielerlei Einflüsse. Manche sehen in ihm einen Neoromantiker, einen Neobarockmaler oder gleich einen Vertreter des Neokonservativismus. Das Unklare und die Bildsprache mit ihrer entsättigten Farbgebung machen den Erfolg aus.

In Zwolle sind 65 Gemälde zu sehen, auch das titelgebende »Dromos«. Das griechische Wort bezeichnet in der Archäologie den Korridor in die Grabkammer und in der Ägyptologie die zum Tempel führende Sphingenallee. »Dromos« aus dem Jahr 1993 ist das älteste gezeigte Bild, der Ausgangspunkt für ein Vierteljahrhundert Malerei – offensichtlich ein Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Bislang stand der 58-Jährige aus Leipzig nicht im Verdacht, quartalsweise einen Seelenstriptease hinzulegen und sein Werk gedanklich zugänglicher zu machen. Doch seit einigen Monaten erklärt er sich immer offener, das ist neu an Rauch. »Wegen des frühen Unfalltods meiner Eltern lag sicher von Anfang an ein Schatten über der Familie«, sagt er heute freimütig. Am 15. Mai 1960, vier Wochen nach der Geburt des Sohnes, kamen die Eltern Hanno Rauch und Helga Wand beim schwersten Eisenbahnunglück der DDR ums Leben.

Wer sich über die vielen Windmühlenflügel, Rotorblätter und Stromleitungen in Rauchs Bildern wundert, sollte sich ihre Form genauer anschauen: Es sind An­dreaskreuze, die an Bahnübergängen vor dem Zugverkehr warnen sollen. Es mag eine Portion Küchenpsychologie dabei sein, will man die Verarbeitung dieses Schicksalsschlags in das Werk interpretieren. Aber ist das falsch?

Zu seinem Wesenskern sagt Rauch: »Das ist wahrscheinlich ein ängstliches, träumendes Kind in der Nacht, im Keller, von Ängsten durchpulst. Jedenfalls bin ich kein verantwortungsbewusster, couragiert handelnder Erwachsener.«

"Der Durchstich" (2017) -
ob im Tunnelbau oder zur Flussbegradigung,
bleibt offen.
Die »Dromos«-Schau macht sichtbar, wann und wie Einflüsse auftauchten und wieder verschwanden. In der frühen Phase erkennt man in der figürlichen Darstellung eine Prägung aus den USA der 60er und 70er Jahre. Der junge Neo Rauch stellte Männer und Frauen so holzschnittartig dar wie der legendäre »MAD«- Cartoonist Dave Berg (1920-2002).

Auch die Wirkung der einstigen sowjetischen Propaganda auf den DDR-Bürger ist unverkennbar: Der Sozialistische Realismus hat Spuren hinterlassen. Viele Bilder zeigen Menschen bei einfachen Arbeiten und haben ebenso einfache Titel wie »Der Former«. Aber einfach zu verstehen sind sie nicht.

Dazu ist im Museum Fundatie eine Wand mit einem Zitat von Neo Rauch beschriftet: »Ich versuche jedenfalls, eine Hygiene zu halten, weil ich zum einen natürlich die DDR-Vergangenheit im Nacken habe mit der ausgesprochenen Erwartungshaltung an den kunstbetreibenden Zeitgenossen, Flagge zu zeigen, Haltung zu zeigen. . . ›Sag mir, wo du stehst‹, hieß es so schön in diesem schlagerähnlichen Politsong, den der Oktoberklub an unser Ohr brachte.«

Die Sozialisation in der DDR ist so etwas wie der Rote Faden durch Neo Rauchs Gesamtwerk. Wenn die Personen wie in der Vergangenheit gekleidet sind und seltsame Kopfbedeckungen tragen, dann hat Neo Rauch vielleicht niederländische Barockmaler zitiert – oder sich an DDR-Märchenfilme erinnert gefühlt. Beides ist möglich.

"Die Kontrolle" (2010): bevor die geheimnisvolle Sänfte das Tor (zu was?) passieren darf, muss es vermessen werden - allerdings mit Maßstäben offenbar ohne Eichung.


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früher war sein name für mich als eingefleischten wessie einfach nur "schall & rauch" - aber im laufe der staatstragenden vereinigung lief er mir immer öfter über den weg: neo rauch...

und erst kürzlich habe ich hier ja seinen großen lehrmeisterarno rink entdecken dürfen - und in dem film dann auch dazu neo rauch: arno rink & neo rauch - das war für mich dann so etwas wie "pat & patachon": beide malten streng sozialistisch gegenständlich - und beide malten sich ihre "seele aus dem leibe" ... die angst- und albträume in monumentalen szenen und aberwitzigen konstellationen - in kafkaesken tagträumen.

und was zunächst furchtbar altbacken wirkte, wurde plötzlich die "neue leipziger schule" - und ein exportschlager aus dem neuen vereinigten deutschland - besonders auch für das ausland: der ursprünglich aus dresden stammende gerhard richter, der aber mit seiner fotografischen abstraktheit als strikter wessie durchging - und dann die wucht des jungen neo rauch aus dem osten, dem schüler von dem ebenfals mit viel unwucht versehenen arno rink.

zunächst haben mich rauchs werke immer an alte "sigurd"-comic-hefte erinnert, wenn auch das dortige heldentum-ritter-schlacht-ambiente aufging in albtraumhafte tiefenpsychologisch zu deutende gesichte und szenen aus dem dunstkreis ("rauch") des "kollektiven unbewussten" und "neo"-magisch-märchenhaften ... rauchs bild-personal sind fast allesamt die nachdenklich geführten asozialen zombies ihrer selbst - in einem eigentümlich bühnenbildhaften beziehungslosen schlafwandlerischen mit- und umeinander agieren ...

und so scheinen mir seine szenen so unrealistisch fast surrealistisch "fertig", dass ich gar nicht mehr die berühmte frage stellen will: "was will mir der künstler damit sagen ?" - sondern es einfach einwirken lasse - und abwarte, was es in mir auslöst - und aus welchem seelischen steinbruch sich brocken anfangen zu lösen, um herunterzupurzeln in die bewusstheit ... - S!

auf die erde geplumpst

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die tür geht auf
in der raststätte nach süden
stehst du plötzlich vor mir
wie aus dem nichts
wie ich es mir immer erträumt habe
aber: ich - ich bin in begleitung
und: du - du hast auch jemanden dabei

das funkeln aus deinen augen ist erloschen
das ist mir schon auf deiner homepage aufgefallen,
die ich ab und zu aus lauter langeweile
und neugier aufsuche
da hinunter
sind längst all die sterne
auf die erde geplumpst

und mir sind sie jetzt schnuppe
ich wünsche mir nichts mehr
wenn ich sie aufglühen sehe
wenn sich der blaue lichtschein
mit einem ganz zarten spektralring
auf der eisfläche spiegelt
auch jetzt an der tür
verzieht sich mein gesicht nur automatisch
zu einem gequälten faltigen lächeln

hier drin geht nicht mal die alte
funzel an
woher - wohin - und guten tag
und dann habe ich mir doch
bei deiner abfahrt
die autonummer gemerkt
falls du mich mal auf der a2 überholst
du hast es ja immer so eilig ...

sinedi

pfingsten findet ständig statt - immer wieder neu

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die leute - so behaupteten zum pfingstfest einige medien - wüssten heutzutage mit der "ausgießung des heiligen geistes" nichts mehr anzufangen - das sei wohl "schnee von gestern" ... 
und deshalb habe ich letzte woche laienhaft versucht, eine "geistige" wirklichkeit zu beschreiben - die uns nicht nur zu "pfingsten" umgibt - sondern uns jeden tag trägt und immer wieder neu "entzündet" - alle tage im leben - und auch darüber hinaus ...
die verortung "pfingsten" - das "pfingstfest" in israel im jahr 32, 50 tage nach der ermordung des jesu von nazareth - war lediglich eine redaktionelle festlegung um der gewollten "glaubwürdigkeit" willen. 
auch heute sagen wir ja noch: wenn ich das tatsächlich glauben soll, dann nenne mir zeit und stunde und ort und zeugen ... nach meiner überzeugung kam so das christliche "pfingstfest" in die welt: als ortsbezeichnung eines an sich uns ständig umgebenden phänomens geistiger "befeuerung"des lebens in all seinen erscheinungsformen von"wer-weiss-woher" ...: das"navi"des geistigen gewissens zur orientierung im hier & jetzt ...
ich habe nun in der nzz zwei artikel gefunden, die "naturwissenschaftlich" sich mit diesem geistigen phänomen in den physikalischen weltabläufen auseinandersetzen, die sogar in der modernen quantentheorie existent scheinen - auf alle fälle können sie selbst die eingefleischten "atheisten" unter den wissenschaftlern nicht gänzlich "wegrechnen" ... 
machen sie sich dazu selbst ein bild - hier dazu die beiden artikel:


Die seltsame Wiederkehr der Weltseele

Der Panpsychismus, also die Vorstellung, dass alle Dinge geistige Eigenschaften besitzen, ist wieder salonfähig geworden. Das zeugt vor allem von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Naturwissenschaften.

Eduard Kaeser | NZZ v. 10.05.2018


Die Grenzen zwischen beseelter und unbeseelter Materie sind laut Panpsychismus fliessend. - S!|art 

Bis ins 19. Jahrhundert hinein, als die Naturwissenschaften definitiv die Vorherrschaft im Welterklären erlangten, hielt sich die Vorstellung, dass das Universum im Grunde regiert sei von einer kosmischen Akteurin namens Weltseele. Sie durchdringt alles Existierende und sorgt für einen Zusammenhang und Zusammenhalt von allem: Die Welt ist ein beseelter Makroorganismus. Diese Idee trat zunehmend zurück vor der viel mächtigeren und umgänglicheren Idee der Welt als eines Makromechanismus, oder heute: eines Makroalgorithmus.

Die Idee der Weltseele gewinnt in den Naturwissenschaften und vor allem in der Wissenschaftsphilosophie wieder an Diskussionswürdigkeit. Man spricht vom Panpsychismus oder Kosmopsychismus. Die Gründe dafür liegen in der Entwicklung der Wissenschaft selbst. Und zwar sind es zwei Brennpunkte, die das Interesse der einschlägigen Forscherkreise binden und bündeln: Universum und Gehirn. Beide haben mit einem sogenannten «harten Problem» zu schaffen.

Ein Fresko von Zufälligkeiten

Je mehr die moderne Kosmologie über das Universum herausfindet, desto mehr nimmt auch eine Frage Kontur an: Unser Leben und unser Bewusstsein hängen von derart vielen fein abgestimmten Zufällen in der Geschichte des Universums ab – könnte da mehr als Zufall im Spiel sein? Wäre etwa die Kraft zwischen den Bausteinen der Atomkerne nur etwas schwächer als ihr tatsächlicher Wert, enthielte das Universum nur Wasserstoff. Würden die Massen des Elektrons und der Quarks vom tatsächlichen Wert nur wenig abweichen, wäre die Bildung von Atomen und dadurch jede chemische Komplexität physikalisch unmöglich. Das Fresko dieser «Zufälligkeiten» ist überwältigend.

Selbst wenn man nun die Entwicklung der Urmaterie zur hochkomplexen Hirnmaterie einmal als gegeben hinnimmt, stellt sich ein weiteres Problem: Wie erzeugt diese Hirnmaterie unsere Wahrnehmungen, Schmerzen, Gedanken, Wünsche? Die Neurowissenschaften verfügen zwar über immer ausgeklügeltere Modelle der materiellen Gehirnprozesse, die sich während unserer bewussten Handlungen abspielen. Die Erklärung des Auftauchens – der Emergenz – von Bewusstsein aus den Wechselwirkungen der Neuronen ist indes ein nicht eingelöster Anspruch.

Wenn hier von der «Wiederkunft» des Panpsychismus die Rede ist, dann deshalb, weil es so etwas gibt wie ein «kollektives Unbewusstes» der Naturwissenschaft: einen Keller voller überwunden geglaubter Ideen und Konzepte, die nur darauf warten, wieder ans Tageslicht geholt zu werden. Zum Beispiel vertrat der Paläontologe und Theologe Teilhard de Chardin eine panpsychistische Weltsicht. Auch bei den Biologen Julian Huxley und J. B. S. Haldane ist solches Gedankengut auszumachen. Einflussreiche Physiker wie Eugene Wigner oder John von Neumann erwogen in der Debatte um die Interpretation der Quantentheorie zumindest eine Zeitlang, ob der sogenannte Kollaps der Wellenfunktion als ein Indiz für ein kosmisches Bewusstsein gedeutet werden könnte.

Führende Neurokybernetiker wie Christof Koch und Giulio Tononi haben sogar eine Theorie der integrierten Information entwickelt, die es erlauben soll, jedes System, ob natürlich oder künstlich, durch ein Mass an Bewusstheit zu charakterisieren: den sogenannten Phi-Wert Φ. Das ist alles hochelaboriert, aber damit ordnet man Systemen einfach eine neue Eigenschaft zu. Φ als Bewusstheit zu deklarieren, setzt schlicht das voraus, was man erklären will – eine «petitio principii», wie die Philosophen sagen.

Erklärungsdefizite der Physik

Nun handelt es sich bei den panpsychistischen Ansätzen in der Regel nicht um artikulierte Theorien, sondern um ein artikuliertes Misstrauen gegenüber der herkömmlichen Naturwissenschaft. Oft wird ein angebliches Erklärungsdefizit an der Physik diagnostiziert. Sie beschreibe «nur» mathematisch die Aussenansicht der Materie, die Wechselwirkungen der Elementarteilchen, nicht ihre innere Natur.

Das zeugt nun freilich, höflich gesagt, nicht gerade von einem grossen Verständnis der Physik. Zwar beschreibt die Quantentheorie Masse, Ladung oder Spin tatsächlich nicht mehr wie die klassische Physik als der Materie anhaftende Eigenschaften, sondern als momentane und lokale Zustände eines Feldes. Felder sind die intrinsische Realität der Physik: ein Pool virtueller Teilchen. Daraus erklären sich die Eigenschaften der Materie auf Mikroebene, und sie führen zum Verständnis von Eigenschaften der Materie auf Makroebene – erfolgreich in zahlreichen Gebieten der Physik, Chemie, Biochemie und Biologie. Und tatsächlich gibt es heute Versuche, Bewusstseinsphänomene als Quanteneffekte zu deuten, zum Beispiel in der Theorie von Stuart Hameroff und Roger Penrose. Sie ist aber alles andere als akzeptiert.

Eine kontroverse Hypothese

Vor allem aber sind Philosophen von der Frage «Wie kommt der Geist in die Materie?» angetan. Einer der renommiertesten, Thomas Nagel, sorgte 2012 mit seinem Buch «Mind and Cosmos» für ziemlich erregte Kontroversen, zumal mit seiner These, «dass alle Elemente der physischen Welt auch mental (sind)». Neuestens vertritt der junge Philosoph Philip Goff mit viel Aplomb diese Ansicht: Geist ist schon drin in der Materie, als eine «Bewusstsein-involvierende» Komponente. Wie diese Komponente in Gehirnen Bewusstsein erzeugt, wird selbstverständlich nicht durch die Eigenschaft «Bewusstsein-involvierend» erklärt; ebenso wenig, wie man die Nässe des Wassers durch eine Nässe-involvierende Eigenschaft der Moleküle erklärt.

Für Goff gibt es allerdings kein Halten mehr. Er unterschiebt dem Universum die Rolle eines Akteurs, der schon in der Urphase dafür sorgte, dass alles «richtig» ablaufen werde. Goff schwingt sich in seiner kosmischen Luftnummer zu dem Schluss auf: «Wenn das Universum in der Planck-Epoche seine Gesetze so fein justierte, dass in den nächsten Jahrmilliarden Leben entstehen konnte, dann muss es sich in einem gewissen Sinn auch der Folgen seines Agierens bewusst gewesen sein.» Goff postuliert daher eine Grunddisposition des Universums, welche die komplette potenzielle Nachfolgegeschichte bereits in nuce repräsentiert. – Es gibt Geistiges in der Welt, weil die Welt geistig angelegt ist. Und warum ist die Welt geistig angelegt? Weil es Geistiges in der Welt gibt.

Ernst zu nehmen ist der Panpsychismus dennoch, aus einem anderen Grund: als Symptom eines Bedürfnisses nach metaphysischem Trost. Eine Welt, die von einer Seele durchwirkt und durchweht wird, spendet existenzielles Grundvertrauen, das Gefühl des Zuhauseseins. Kosmologie und Neurobiologie vermitteln uns kein solches Gefühl. Sie werfen uns in das kalte Bad eines Universums um die absolute Nulltemperatur herum – sie machen uns kosmisch unbehaust. Hier schaudert uns buchstäblich metaphysisch. Und diesem Schauder begegnet der Mensch traditionellerweise mit dem Glauben.

Nicht von ungefähr finden sich verkappte Bündnisse des Panpsychismus mit Glaubensüberzeugungen. So äussert zum Beispiel der Philosoph Godehard Brüntrup die Vermutung: «Wäre es nicht faszinierend, wenn die einfachste und eleganteste Erklärung des Universums gleichzeitig eine wäre, die mit dem Schöpfungsglauben harmoniert?»– Ach woher! Faszinierend ist das höchstens für ein Denken, das schon weiss, was es sich beweisen will; dem es um Bekenntnis, nicht um Erkenntnis geht. Man betreibt hier nicht Physik, sondern Metaphysik, in wissenschaftlichen Jargon eingekleidet. Sie entlarvt sich spätestens dann, wenn sie den Anspruch einer «besseren» Lösung für die harten wissenschaftlichen Probleme erhebt, als das, was sie ist: Fake-Science. Und für diese gilt immer noch das Urteil des Physikers Wolfgang Pauli: Sie ist nicht einmal falsch!

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S!|art

Metaphysik und Physik schliessen sich nicht aus


Kürzlich wurde in dieser Zeitung mit dem Panpsychismus abgerechnet. Eine Entgegnung.

Godehard Brüntrup

Der Panpsychismus behauptet, dass es Vorstufen des Psychischen in allen Wirklichkeitsbereichen gebe. Jüngst wurde in der NZZ nahegelegt, Panpsychisten seien religiös motivierte Verächter der Naturwissenschaft. Das verwundert, denn viele der heute einflussreichen Panpsychisten sind Atheisten. Dass die Freunde des Panpsychismus Verächter der Naturwissenschaften seien, fällt schwer zu glauben, wenn man einige bekannte Anhänger anführt: Giordano Bruno, Gottfried W. Leibniz, Sir Arthur Eddington, Bertrand Russell, Alfred N. Whitehead und Sir Roger Penrose.

Das harte Problem

Der Physiker Roger Penrose, bekannt durch seine Arbeiten zu Raumzeit-Singularitäten, ist der Meinung, dass komplexe Konfigurationen von physikalischen Bausteinen allein nicht in der Lage seien, das Entstehen von Bewusstsein zu erklären. Für jede materielle Struktur, die in unserer Welt mit Bewusstsein korreliert ist, kann man sich eine funktional bedeutungsgleiche Struktur vorstellen, die kein Bewusstsein hervorbringt. Man nennt dies «das harte Problem des Bewusstseins». Es wird als Fragestellung selbst von reduktionistischen Materialisten gemeinhin akzeptiert.

Penrose hat zusammen mit Stuart Hameroff eine Theorie vorgelegt, nach der es einen Zusammenhang zwischen Quantenmechanik und Bewusstsein gibt. Demnach ist jeder Kollaps der Wellenfunktion (also der Übergang von einem Überlagerungszustand in einen Eigenzustand des Systems) identisch mit einem winzigen Bewusstseinsereignis. Aus dieser Theorie folgt, dass sich Spuren von Bewusstsein bereits in der raumzeitlichen Grundstruktur des Kosmos antreffen lassen. Diese Theorie ist umstritten, aber niemand hält einen hochdekorierten Physiker wie Penrose für einen Verächter der Naturwissenschaften.

Der Physiker Arthur Eddington vertrat die These, dass die Physik ein komplexes Netzwerk von mathematisch-formal erfassbaren Relationen und Funktionen beschreibe, dass sich hinter diesem Aspekt der Materie aber ein «unbekannter Gehalt» verberge, der die Grundlage unseres Bewusstseins sei. Nach Bertrand Russell greift die physikalische Beschreibung nur bestimmte abstrakte Strukturen der Raumzeit heraus. Was die Natur der raumzeitlichen Dinge ist, wird durch die physikalische Beschreibung nicht vollständig erfasst.

Dieser Gedanke ist nicht neu. Descartes war einer der Begründer des neuzeitlichen Begriffs des Physischen. Materielle Dinge waren für ihn mathematisch beschreibbare Objekte im Raum. Schon Leibniz hatte erwidert, dass diese Bestimmung des Physischen etwas Wichtiges auslasse. Ausdehnung oder Struktur allein reicht nicht, um zu bestimmen, was ausgedehnt oder strukturiert wird. Hawking hat es in der Gegenwart so formuliert: Selbst wenn wir die Physik mit einer grossen vereinheitlichten Theorie vollendet hätten, so hätten wir doch nichts anderes als Formeln. Wie aus diesen formalen Strukturen eine konkrete Welt werden kann, bleibt noch immer rätselhaft. Hawking fragte: Was haucht den Gleichungen Feuer ein, damit ein konkretes Universum entsteht? Erwies er sich als Verächter der Physik, weil er diese metaphysische Frage stellte?

Im erwähnten Artikel in der NZZ wird eine Antwort versucht: Die intrinsischen Naturen, die alle Fragen nach der Existenz des Universums und des Bewusstseins beantworten, sind die virtuellen Teilchen. Das Einführen von solchen Teilchen ist in der Tat nützlich, um die fundamentalen Wechselwirkungen der Elementarteilchen zu beschreiben. Wir erweitern damit unser physikalisches Weltbild um mathematisch beschreibbare Fluktuationen eines Quantenfeldes. Aber das virtuelle Teilchen ist wiederum ganz durch seine mathematisch beschreibbare kausale Rolle als Austauschteilchen definiert. Von der intrinsischen Natur als Träger der kausalen Rolle weit und breit keine Spur. Als Argument gegen den Panpsychismus taugt es also nicht.

Für den Gegner des Panpsychismus wäre es vielversprechender, zu behaupten, dass es gar keiner intrinsischen Naturen des Physischen bedarf. Es gibt nichts hinter der formalen Struktur. Die ganze Welt ist nur ein System mathematisch beschreibbarer Strukturen. Es gibt nichts, was durch diese Strukturen strukturiert wird. So wie Descartes sagte, dass alles Ausdehnung sei, so kann man sagen, dass alles Struktur sei. Die Fragen «Ausdehnung wovon?» oder «Struktur wovon?» könnte man dann getrost vergessen. Hawkings Frage nach dem, was Feuer in die Gleichungen haucht, geht ins Leere. In letzter Konsequenz besteht die Welt nur aus mathematischen Strukturen und sonst nichts.

Computer mit Bewusstsein?

In der heutigen Debatte nennt man diese Position den «ontischen strukturalen Realismus». Ich halte diese Position für eine bessere Kritik am Panpsychismus. Sie hat grosse Vorläufer in der Geschichte, etwa den Pythagoreismus, wonach die letzte Grundlage der Welt mathematische Symmetrien und Harmonien sind. Aber: Wie kann aus mathematischen Symmetrien Bewusstsein hervorgehen? Nehmen wir an, wir konstruierten eine hinreichend komplexe virtuelle Welt in einem Computer, die auf eleganten mathematischen Symmetrien beruhte. Wäre damit sichergestellt, dass der Computer etwas erleben könnte? Der Verdacht bleibt bestehen, dass formal-funktionale Struktur allein nicht ausreicht, um Bewusstsein hervorzubringen.

Wenn das aber korrekt ist, dann sind wir durch unser eigenes Bewusstsein mit einem Aspekt des Universums vertraut, der mehr ist als Struktur. Wir wissen nicht genau, was dieses «Mehr» ist. Wir haben bis jetzt keine überzeugende Theorie darüber, wie Bewusstsein in der physikalischen Welt möglich ist. Aber wenn Eddington, Russell und andere recht haben, dann hängt die Beantwortung von Hawkings Frage nach dem Feuer, das in die Gleichungen gehaucht werden muss, mit der Frage nach dem Bewusstsein zusammen. Vielleicht irren sie sich. Aber die Grösse des Gedankens sollte auch der kritische Beobachter zu erkennen vermögen.

Godehard Brüntrup ist Professor für Philosophie des Geistes an der Hochschule für Philosophie in München.
Freitag, 25. Mai 2018 - NZZ Forschung & Technik - Wochenende - S. 27




kann man getrost nach hause tragen ...

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FOTOGRAFIE

Ein wilder Taumel

Schnappschüsse aus den Siebzigern werden zu Mysterien: Sigmar Polke hatte immer eine Kamera dabei. Hunderte Aufnahmen wurden erst jetzt entdeckt. Das Museum Morsbroich zeigt den Malernun als Fotografen.

Von Boris Pofalla

Sigmar Polke (1941–2010) war ein Anarchist und auch Alchimist, ein sehr eigensinniger Mensch, der mit teils giftigen Stoffen Kunst machte und spöttisch auf Verehrung reagierte. Polke machte sich lustig über die staatstragenden Kollegen und über den heiligen Ernst der Kunst.




„Höhere Wesen befahlen: obere rechte Ecke schwarz anmalen“ ist wohl sein berühmtester Bildtitel und zeigt genau das: eine obere Ecke, schwarz angemalt. Polkes Bilder hängen heute in den großen Museen der Welt, sind Kunstgeschichte, weggerahmt.

Doch es gibt noch eine andere, unbekannte Seite dieses ungewöhnlichen Menschen zu entdecken: den Fotografen Sigmar Polke. Immer hatte er seine Kamera dabei, im Alltag und auf Reisen. Hunderte Aufnahmen aus den 70ern hat sein Sohn Georg Polke in einem Karton wiedergefunden. Erst jetzt wird dieser Schatz gehoben und ausgestellt.

Es ist ein wilder Taumel, eine Zeitreise in die 70er-Jahre, als die Haare der Männer lang, die Drogen psychedelisch und die Aschenbecher knallvoll waren. Polke knipst sich und sein künstlerisches Umfeld und verwandelt Schnappschüsse in kleine Mysterien.

Der Künstler tut, was ein guter Fotograf nicht macht: Er unterbricht die Entwicklung des Films, solarisiert ihn, verwendet unterschiedliche oder verdorbene Entwicklungsbäder und arbeitet insgesamt in einem „spontanen und intuitiv gesteuerten, teils durch bewusstseinserweiternde Substanzen beförderten Prozess“, wie Fritz Emsländer vom Museum Morsbroich es beschreibt. In dem Leverkusener Museum sind die Fotokunstwerke ab Sonntag bis zum 2. September zu sehen. In der Bildegalerie zeigen wir exklusiv eine Auswahl.

DIE WELT © Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten


tja - der polke war neben dem kippenberger sicherlich so etwas wie das "enfant terrible" im deutschen kunstbetrieb der nachkriegszeit. er glaubte nicht an das hehre meisterwerk, an das begnadete genie. 

es ist schon paradox, dass er selbst nun durchaus genau mit seiner ironie als ein solcher ausnahmekünstler anerkannt ist. 

und während beuys und dann auch kiefer immer noch inhaltsschwere nachkriegsdeutsche blei- und filzschwere auch mal strohbestückte schicksalsschläge abarbeiteten und installierten - und gerhard richter auf formalen "stil" und farbexperiment und fotorealismus und fotoabstraktion bedacht war - machte polke in der gleichen zeit luftige lebensfreudige "foto-knipsereien" und allerhand anderen grafisch-künstlerischen schabernack: abends in der kneipe, beim gang zum kiosk, an filmplakaten vorbei ...: den augenblick festhalten für eine ewigkeit. und zuhause angekommen wurde der film vielleicht nur halbentwickelt oder der entwickler mit geheimen zusätzen versetzt - und einer prise "ommm" - die die abzüge dann einfärbten - oder das foto wurde gerastert in punkt und in bunten punk, wie man es damals in den zeitungen sah ... - als stilmittel zu einer fast kabarettistischen aktualität - gerade auch um das motiv ad absurdum zu führen ...: die wilden 60er/70er jahre: und unter den talaren ...

und dann kommt es wie immer - wie es kommen muss: auf dem dachboden steht dann ein alter pappkarton - und der sohn vom polke, der schorch oder jörres, findet plötzlich dieses unschätzbare konvolut an zeit-schnappschüssen ... - schatzsuche - archäologie - archivierung - danke ... S!

plakat-rekonstruktion

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S!|art: plakat-rekonstruktion 27|05|2018


wenn "buddha"& der "loddar" spinnen ...

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S!|art



wir kennen das doch auch - von unseren kleinen mini-unfällen im straßenverkehr: kleine auffahrunfälle, vorfahrt übersehen: "ich habe sie überhaupt nicht kommen sehen", ist dann meist die erste reaktion am unfallort - "wo kamen sie denn her ???" ...

und nun passiert so etwas ausgerechnet einem torwart in einem endspiel um die champions-league: karius will - wohlgemerkt: wir schreiben bereits die 51. spielminute - den ball schnell seinem mitspieler zuwerfen und hat in dem moment - im bruchteil einer sekunde - den gegenspieler benzema gar nicht gesehen: er wollte alles richtig machen - und dann "plumps" - so ein aussetzer - so ein lapsus - so eine scheiße ...

inwieweit ein ungeahndeter bodycheck nur ein paar minuten zuvor des eisenharten madrilenen ramos mit dem ellenbogen ihn dabei noch benebelte, das sei mal dahingestellt ...

und dann sitzt ihm der schock in den gliedern: aber das spiel läuft ja weiter: liverpool gleicht aus - alles ist gut - dann schlägt ein unhaltbares traumtor von bale wie aus dem nichts plötzlich hinter karius ein, der zwar noch eine vergebliche flugparade hinlegt ... - aber das passiert eben - normal ...

und dann - in der 83. kommt so ein flatterball aus 35 metern auch wieder von bale auf ihn zugeflogen. karius will den locker runterpflücken, da glitscht der glitschige ball vor lauter flatterei ihm durch die fäuste - und landet im tor ...

zwei krasse fehler - zugegeben - aber immerhin hat karius wegen seiner kontinuierlichen leistungen in den spielen zuvor einen erheblichen anteil am einzug in das finale überhaupt - und deshalb hat klopp an ihn geglaubt - und auch in diesem endspiel hat karius 1-2 "unhaltbare" gehalten (!)...

zwei kleine leider folgenschwere aussetzer innerhalb von über 90 minuten "können eine ganze karriere beenden", meint der altersweise torwartkollege olli kahn am sicheren moderatorentisch - "so etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen - da fehlen einem die worte", meint er kopfschüttelnd - vergisst aber dabei ebenso folgenschwere fehler, die selbst diesem titan-"buddha" - "del gloße khan" - dem olli kahn unterliefen, z.B. im wm-finale 2002 in seoul:

oliver kahns fataler fangfehler nach einem rivaldo-Schuss vor dem 0:1 ist der ausgangspunkt zur bitteren 0:2-niederlage der dfb-elf gegen brasilien, das seinen fünften wm-titel damit feiert: "das war mein einziger fehler in sieben spielen", sagt kahn damals trotzig, "und das wird bitter bestraft." - 

alles velgessen, glossel hell kahn ???

für keeper kahn wird das finale gegen brasilien zum alptraum. gerade ihm, dem perfektionisten, unterläuft der fauxpas. der «tagesspiegel» entdeckt darin jedoch auch etwas gutes: "der fehler im finale, dieser entscheidende fehler, hat ihn wieder zum menschen gemacht."

allerdings kann ich mich an einen herzzerreißend weinenden olli kahn, der seine fans um entschuldigung bittet, nicht erinnern.

also - während der gute olli bei karius von "karriereende" schwafelt, vergisst er glattweg, wie solche aussetzer einen torhüter auch wieder nach vorn peitschen können.

aber da muss dann auch noch unser fehlerloses großmaul "loddar" matthäus seinen senf dazugeben: bei sky sprach lothar matthäus von der „schlechtesten torhüterleistung in den letzten 20, 30 jahren“... - und der 24-jährige sei „kein weltklasse-keeper, weil er diese patzer generell (!) immer mal wieder (!) drin hat“ - "generell" kann man sagen, dass man den ton abschalten sollte, wenn loddar "immer mal wieder" anhebt, unnützes zeugs zu labern: "wäre - wäre - fahrradkette" ...

ja - und dann schlage ich die nächste seite meiner heutigen morgenzeitung auf: und da les ich die überschrift: "manuel neuer als nummer eins zur wm" - mit der unterzeile: "löw legt sich ein wenig überraschend frühzeitig fest ..." 

nach acht-monatiger zwangspause vom spielbetrieb wird torwart neuer einfach "vorab" ohne jede spielpraxis mal zur nummer eins eines wm-titelverteidigers erhoben - während in kiew ein torhüter, der zwei minimal-blackouts hatte, gleich von einem senior-kollegen mit der möglichkeit eines "karriereendes" bedacht wird.

ähhh - mit dem ganz normalen leben - das du und ich führen - hat diese fußballwelt nichts - aber auch gar nichts - mehr zu tun - ich jedenfalls wünsche dem loris karius viel kraft - und alles alles gute - ich für meinen unbedeutsamen teil nehme seine entschuldigung an - auf gehts - auf ein neues... - S!

... und hoffentlich werden alle morddrohungen gegen karius und sonstiges böswillige gedöns punkt für punkt verfolgt und knallhart abgeurteilt - ohne wenn & aber ...

dr. med. algorithmus - fluch & segen ...

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S!|art



Doktor Algorithmus

von Thomas Schulz | SPIEGEL.de



Zukunft🔴 Das Silicon Valley stürzt sich auf die Medizin: Konzernriesen wie Google und Hunderte neue Start-ups arbeiten an neuen Behandlungsmethoden. Krebs soll per Bluttest entdeckt, das Leben verlängert und der Mensch mit Maschinenimplantaten aufgerüstet werden.

Hin­ter meh­re­ren Si­cher­heits­schleu­sen, in ei­ner fens­ter­lo­sen Werk­statt, schrau­ben In­ge­nieu­re am Chir­ur­gen der Zu­kunft: eine Ma­schi­ne, aus­ge­stat­tet mit künst­li­cher In­tel­li­genz (KI), ein­ge­bet­tet in vir­tu­el­le Rea­li­tät und be­wor­ben als »Kom­plett­lö­sung für alle Ope­ra­ti­ons­sä­le«. Gleich ne­ben­an ar­bei­ten For­scher an in den Men­schen im­plan­tier­ba­ren Mi­ni­com­pu­tern, die elek­tri­sche Si­gna­le in den Ner­ven­bah­nen ma­ni­pu­lie­ren, um auf die­se Wei­se Krank­hei­ten zu be­han­deln: der ers­te Schritt in eine neue »bio­elek­tri­sche Me­di­zin«.

Ei­ni­ge Tü­ren wei­ter geht es um neue The­ra­pi­en ge­gen Krebs und De­pres­si­on, ent­wi­ckeln fast tau­send Wis­sen­schaft­ler neue Bio­sen­so­ren, Me­di­zin­ro­bo­ter, Me­di­ka­men­te. Sie kom­men aus den un­ter­schied­lichs­ten Fel­dern; aus Bio­lo­gie, Me­di­zin, Che­mie, Ma­te­ri­al­wis­sen­schaf­ten, In­for­ma­tik, Ma­schi­nen­bau.

Und sie alle for­schen für Goog­le.

Als der In­ter­ne­trie­se vor fünf Jah­ren erst­mals an­kün­dig­te, nun auch die Me­di­zin er­obern zu wol­len, ha­ben noch vie­le in den Chef­eta­gen der Phar­ma­fir­men ge­lacht. Die An­fän­ge wa­ren be­schei­den: zwei Dut­zend Goog­le-Mit­ar­bei­ter, aus­ge­la­gert in ei­nen nichts­sa­gen­den Bun­ga­low am Ran­de des Fir­men­haupt­quar­tiers im Si­li­con Val­ley.

Aber nun brei­tet sich be­reits ein fünf­stö­cki­ges Kar­ree aus Stahl und grü­nem Glas an der Bucht von San Fran­cis­co aus, ein ei­gen­stän­di­ger For­schungs­cam­pus rund 40 Ki­lo­me­ter nörd­lich des Goog­le-Haupt­quar­tiers, groß wie eine gut aus­ge­stat­te­te Uni­kli­nik, mit zahl­lo­sen La­bo­ra­to­ri­en hin­ter Sicht­schutz­glas. In der Lob­by wächst Gras die Wän­de hoch.

Aus der Ab­tei­lung ist eine ei­gen­stän­di­ge Fir­ma ge­wor­den, Ve­r­i­ly, un­ter dem Dach des Goog­le-Mut­ter­kon­zerns Al­pha­bet. Pro­mi­nen­te Me­di­zi­ner und selbst der Chef der US-Auf­sichts­be­hör­de für Le­bens- und Arz­nei­mit­tel wech­sel­ten zu Ve­r­i­ly, an­ge­zo­gen von hoch­flie­gen­den Plä­nen: »Un­se­re Mis­si­on ist es, die Ge­sund­heits­da­ten der Welt nutz­bar zu ma­chen, da­mit wir ge­sün­der le­ben kön­nen«, sagt Jes­si­ca Mega, Chef­me­di­zi­ne­rin von Ve­r­i­ly. Sie ist eine der füh­ren­den Kar­dio­lo­gin­nen der USA, war zu­vor Pro­fes­so­rin an der Har­vard Me­di­cal School.

Sie lä­chelt fast un­un­ter­bro­chen, wäh­rend sie über die Plä­ne von Ve­r­i­ly spricht: eine neue me­di­zi­ni­sche Platt­form zu bau­en, »die In­fra­struk­tur für die di­gi­ta­le Ge­sund­heits­welt« zu schaf­fen. Mehr als eine Mil­li­ar­de Dol­lar stell­te Goog­le dazu be­reit – für den An­fang.

Aber trotz sol­cher gro­ßen An­stren­gun­gen läuft Goog­le längst nicht mehr al­lein vor­weg bei dem Ver­such, die Ge­sund­heit zu di­gi­ta­li­sie­ren. Das gan­ze Si­li­con Val­ley stürzt sich auf die Me­di­zin, die gro­ßen Kon­zer­ne von App­le bis Face­book ge­nau­so wie Hun­der­te Start-ups. Die Wag­nis­ka­pi­tal­fir­men in­ves­tie­ren Mil­li­ar­den in Bio­tech­no­lo­gie und Ge­sund­heit.

In den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten hat die di­gi­ta­le Re­vo­lu­ti­on eine In­dus­trie nach der an­de­ren er­obert und um­ge­krem­pelt – und da­bei auch grund­le­gend ver­än­dert, wie wir le­ben. Die Si­li­con-Val­ley-Stra­te­gen sind nun über­zeugt: Kein Be­reich sei bes­ser ge­eig­net, von den im­mer mäch­ti­ge­ren di­gi­ta­len In­stru­men­ten re­vo­lu­tio­niert zu wer­den als un­se­re ei­ge­ne Bio­lo­gie. Nir­gends bie­te sich eine grö­ße­re Chan­ce, den Weg der Mensch­heit zu ver­än­dern. Und neue Ge­schäfts­fel­der zu er­schlie­ßen.

Da­ten sind der Schlüs­sel für die­se Zu­kunfts­me­di­zin: aus­ge­le­sen aus Ge­rä­ten, Ge­no­men, Sen­so­ren und zahl­lo­sen Tests zu al­len mög­li­chen Bio­mar­kern, von der bak­te­ri­el­len Be­sied­lung des Darms bis zur Pro­te­in­zu­sam­men­set­zung. Und ana­ly­siert und auf­be­rei­tet durch klu­ge Soft­ware, die da­zu­lernt und Mus­ter selbst in rie­si­gen In­for­ma­ti­ons­men­gen er­kennt. Wo der Arzt nicht mehr durch­blickt, lie­fert Dok­tor Al­go­rith­mus Ant­wor­ten.

»Stell dir eine Zukunft vor,
in der du alterst,
aber ohne die Krankheiten deiner Eltern.«

Die größ­ten Chan­cen für neue di­gi­ta­le In­stru­men­te se­hen vie­le der Si­li­con-Val­ley-Tech­no­lo­gen zu­nächst nicht in der Be­hand­lung, son­dern in der Dia­gno­se. Ve­r­i­ly ar­bei­tet des­we­gen der­zeit vor al­lem dar­an, »die mensch­li­che Ge­sund­heit zu kar­to­gra­fie­ren«, wie Mega sagt. Dazu sam­melt das Un­ter­neh­men ge­mein­sam mit Uni­ver­si­tä­ten über vier Jah­re alle denk­ba­ren Bio­da­ten von 10 000 Men­schen: ge­ne­ti­sche, mo­le­ku­la­re, psy­cho­lo­gi­sche.

Die Teil­neh­mer wur­den un­ter an­de­rem mit neu­en Sen­so­ren und Mess­ge­rä­ten aus­ge­stat­tet, die rund um die Uhr Da­ten lie­fern. Am Ende soll ge­nau de­fi­niert sein: Was ist ein ge­sun­der Mensch? Um mit die­sen Wer­ten die neu­en di­gi­ta­len Mess­ge­rä­te zu ei­chen. Dann lie­ßen sich di­gi­ta­le Früh­warn­sys­te­me für vie­le Krank­heits­bil­der bau­en, die den Arzt warn­ten: Ach­tung, hier bahnt sich et­was an.

Die meis­ten Krebs­for­men etwa sind heu­te schon be­han­del­bar, vie­le so­gar heil­bar, so­lan­ge sie nur recht­zei­tig er­kannt wer­den. Erst wenn die Tu­mo­ren zu lan­ge un­er­kannt blei­ben und die Pa­ti­en­ten be­reits im drit­ten oder vier­ten Sta­di­um der Krank­heit in die Kli­nik kom­men, steigt die Sterb­lich­keits­ra­te ra­sant. Was also, wenn sich Krebs schon in sei­ner frü­hes­ten An­fangs­pha­se mit ei­nem ein­fa­chen Blut­test er­ken­nen lie­ße?

Auf die­sen Weg set­zen gleich meh­re­re Si­li­con-Val­ley-Un­ter­neh­men. Al­len vor­an Grail, be­nannt nach dem Hei­li­gen Gral, dem le­gen­dä­ren mys­ti­schen Ge­fäß, das ewi­ges Le­ben ver­spricht. Die For­scher des Start-ups er­hof­fen sich zu­min­dest die Chan­ce auf ein län­ge­res Le­ben, in­dem sich alle Men­schen rou­ti­ne­mä­ßig durch so­ge­nann­te »li­quid bi­op­sies«, flüs­si­ge Ge­we­be­pro­ben, tes­ten las­sen, ob sie Warn­zei­chen für Krebs in sich tra­gen.

Die Idee ist eine gro­ße Wet­te auf die Macht der di­gi­ta­len Tech­no­lo­gie: Die For­scher hof­fen, dass sich mit ra­send schnel­len DNA-Se­quen­zie­rungs­ma­schi­nen, KI-ge­stütz­ter Soft­ware und neu­en Ana­ly­se­ver­fah­ren das ge­ne­ti­sche Ma­te­ri­al er­ken­nen lässt, das selbst von kleins­ten, noch un­er­kann­ten Tu­mo­ren ab­ge­son­dert wird.

Grail ist da­bei min­des­tens ge­nau­so Soft­ware-Un­ter­neh­men wie Bio­tech-Fir­ma. Aus den Blut­pro­ben je­des Pa­ti­en­ten sam­meln die Tech­ni­ker rund tau­send Gi­ga­byte Da­ten und ja­gen die­se dann durch ei­nen »Klas­si­fi­zie­rer«, der mit KI-Al­go­rith­men nach Mus­tern sucht. Wenn sol­che Früh­er­ken­nungs­blut­tests Stan­dard wer­den soll­ten, wür­de Grail wohl schnell »zur größ­ten Big-Data-Fir­ma der Welt«, sagt Jeff Hu­ber, Grün­dungs­chef von Grail. Nicht zu­fäl­lig ist er zu­vor Top­ma­na­ger bei Goog­le ge­we­sen.

Schon län­ger ist be­kannt: Im Blut lässt sich Krebs früh fest­stel­len – so­gar, wenn sich der Pa­ti­ent noch kern­ge­sund fühlt. Dar­aus ei­nen ge­ne­rel­len In­di­ka­tor für eine Krebs­er­kran­kung zu ent­wi­ckeln wur­de aber erst mit neu­er Tech­no­lo­gie zur schnel­len und bil­li­gen Ana­ly­se von Erb­gut mög­lich. Gro­ße Tei­le des Haupt­quar­tiers von Grail in Men­lo Park, gleich um die Ecke von Face­book, sind mit neu­ar­ti­gen DNA-Se­quen­zie­rungs­ma­schi­nen voll­ge­stellt.

Tes­ten wol­len die Grail-For­scher ihre Tech­no­lo­gie an ei­nem ers­ten Groß­pro­jekt: Aus den Blut­pro­ben von 120 000 Frau­en sol­len die frü­hen DNA-Si­gna­tu­ren von Brust­krebs her­aus­ge­fil­tert wer­den. Sta­tis­tisch ge­se­hen wer­den 650 Frau­en aus die­ser Test­grup­pe in­ner­halb ei­nes Jah­res Brust­krebs ent­wi­ckeln. Grail will dann die ge­sam­mel­ten Pro­ben ana­ly­sie­ren, um fest­zu­stel­len, ob der DNA-Test den Krebs kor­rekt vor­her­ge­sagt hät­te.

Ob sich die gro­ßen Plä­ne des Un­ter­neh­mens, schon bis Ende des Jahr­zehnts ei­nen kom­mer­zi­el­len Krebs-Blut­test be­reit­zu­stel­len, ver­wirk­li­chen las­sen, wird je­doch von vie­len Krebs­ex­per­ten be­zwei­felt. Zu­dem müss­te der Test na­he­zu per­fekt sein: Wenn tat­säch­lich Mil­lio­nen Men­schen je­des Jahr ge­tes­tet wür­den, wä­ren schon we­ni­ge feh­ler­haf­te Krebs­dia­gno­sen ge­nug, um zu ei­ner Pa­nik­wel­le zu füh­ren und die Kran­ken­häu­ser zu über­las­ten.

Trotz­dem sam­mel­te Grail be­reits mehr als eine Mil­li­ar­de Dol­lar Ka­pi­tal ein und ge­hört da­mit zu den best­fi­nan­zier­ten pri­va­ten Bio­tech-Start-ups der Welt. Zu Grails Geld­ge­bern ge­hö­ren un­ter an­de­rem Goog­le, der Ama­zon-Grün­der Jeff Be­zos und Bill Gates.

Vie­le der be­kann­ten Tech­no­lo­gie­vor­den­ker en­ga­gie­ren sich per­sön­lich in der Me­di­zin­for­schung. Face­book-Grün­der Mark Zu­cker­berg etwa fi­nan­ziert den Auf­bau ei­nes »mensch­li­chen Zel­lat­las«: Ein mit 600 Mil­lio­nen Dol­lar aus­ge­stat­te­tes For­schungs­zen­trum soll un­ter an­de­rem alle Zel­len des mensch­li­chen Kör­pers kar­to­gra­fie­ren und da­mit die Ent­wick­lung neu­er Me­di­ka­men­te er­mög­li­chen. Ins­ge­samt wol­len Zu­cker­berg und sei­ne Frau Pri­scil­la Chan, eine Kin­der­ärz­tin, mehr als drei Mil­li­ar­den Dol­ler in die Er­for­schung neu­er The­ra­pi­en in­ves­tie­ren.

»Wir glau­ben nicht an ›un­mög­lich‹«, so lau­tet das Mot­to des »Chan Zu­cker­berg Bio­hub«, pro­mi­nent ver­kün­det auf ei­nem Mo­ti­va­ti­ons­pos­ter auf den Flu­ren des neu­en For­schungs­zen­trums, gleich ge­gen­über der Uni­kli­nik von San Fran­cis­co. Die Zie­le von Bio­hub sind ähn­lich gi­gan­tisch wie die Welte­r­obe­rungs­vi­sio­nen von Face­book: »Alle Krank­hei­ten noch zu Leb­zei­ten un­se­rer Kin­der zu hei­len, zu ver­hin­dern oder zu ma­na­gen mag auf den ers­ten Blick un­mög­lich er­schei­nen – bis man die Er­run­gen­schaf­ten des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts in Be­tracht zieht.«

Der ers­te kom­plet­te Zel­lat­las soll dazu ein wich­ti­ges In­stru­ment sein. Me­di­zin­stu­den­ten ler­nen bis­lang, dass es rund 300 Ar­ten von Zel­len gibt, Ge­hirn­zel­len etwa, Blut­zel­len oder die T-Zel­len des Im­mun­sys­tems. Wahr­schein­lich sei­en es aber viel mehr Zell­ty­pen, bis zu 10 000, sagt Ste­phen Qua­ke, Co-Prä­si­dent von Bio­hub und Pro­fes­sor für Bio­tech­nik an der Stan­ford Uni­ver­si­ty, ein erns­ter Mann mit Halb­glat­ze und flin­ken Au­gen, der schnell und mit in­ten­si­ver Über­zeu­gung spricht.

Wenn man künf­tig vor­ab weiß, wie ge­nau wel­che Zel­len auf The­ra­pi­en re­agie­ren, so Qua­kes Plan, wird das die Su­che nach neu­en Me­di­ka­men­ten er­heb­lich er­leich­tern. Sein Ziel: »ei­nen uni­ver­sel­len Dia­gno­se­test für jede Art von In­fek­ti­ons­krank­heit zu ent­wi­ckeln«. Ein Pro­to­typ dia­gnos­ti­zier­te eine sel­te­ne bak­te­ri­el­le In­fek­ti­on bei ei­nem Teen­ager, in­dem die neue DNA-Ana­ly­se­tech­nik schnell zwi­schen mensch­li­cher DNA und der des Krank­heits­er­re­gers un­ter­schei­den konn­te.

»Wir set­zen dar­auf, die Zu­kunft zu er­fin­den«, sagt Qua­ke. Wenn das ge­lingt, wäre es si­cher höchst lu­kra­tiv: Eine neue Art von The­ra­pie zu er­schaf­fen ver­spricht Mil­li­ar­den­ein­nah­men.

Ent­spre­chend treibt die Si­li­con-Val­ley-Vor­den­ker nicht nur For­scher­geist, son­dern die Hoff­nung, die di­gi­ta­le Ge­sund­heits­bran­che zu do­mi­nie­ren.

So ist es auch kein Zu­fall, dass der neue Prä­si­dent der Stan­ford Uni­ver­si­ty aus der Me­di­zin kommt. Stan­ford ist der Ne­xus des Si­li­con Val­ley, hier lau­fen all die Netz­wer­ke aus For­schern, Grün­dern, Geld­ge­bern und Kon­zern­füh­rern zu­sam­men. Je­des Jahr wer­den et­li­che Start-ups von Stan­ford-Stu­den­ten ge­grün­det, an man­chen die­ser Fir­men ist die Uni fi­nan­zi­ell be­tei­ligt. So ent­stan­den hier etwa Hew­lett-Pa­ckard und auch Goog­le, ge­grün­det von den bei­den Stan­ford-Dok­to­ran­den Lar­ry Page und Ser­gey Brin.

Seit 2016 ist Marc Tes­sier-La­vi­g­ne der Prä­si­dent der Uni­ver­si­tät, ein Neu­ro­wis­sen­schaft­ler und ei­ner der welt­weit füh­ren­den Ex­per­ten für die Ent­wick­lung des Ge­hirns. Er lei­te­te lan­ge die For­schung des Bio­tech-Rie­sen Gen­en­tech. Tes­sier-La­vi­g­ne sagt: »Wir sind im gol­de­nen Zeit­al­ter der Er­for­schung von Krank­hei­ten, dank der Se­quen­zie­rung des mensch­li­chen Ge­noms und an­de­rer mäch­ti­ger Tech­no­lo­gi­en.«

Schmal und hoch­ge­wach­sen, mit sil­ber­grau­em Sei­ten­schei­tel und ho­hen Wan­gen­kno­chen, ist Tes­sier-La­vi­g­ne eine mar­kan­te Er­schei­nung, er wirkt ernst und in­ten­siv. Auf Fra­gen ant­wor­tet er fast im­mer druck­reif. Die Zu­kunft sieht er so: »Wenn wir die nö­ti­gen In­vest­ments ma­chen, wer­den wir ver­ste­hen kön­nen, wie sich Tu­mo­ren aus­brei­ten, wer­den wir ler­nen kön­nen, wie Ner­ven­zel­len funk­tio­nie­ren, und die Ge­heim­nis­se des Im­mun­sys­tems ent­schlüs­seln. Und die­ses Wis­sen brau­chen wir, um den Krebs zu un­ter­wer­fen, die De­menz zu be­sie­gen und Imp­fun­gen ge­gen HIV zu ent­wi­ckeln.«

Tes­sier-La­vi­g­ne hält den tech­no­lo­gie-ge­trie­be­nen Fort­schritt »in die­ser Zeit der enor­men wis­sen­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Chan­cen« für eine ge­sell­schaft­li­che Auf­ga­be. Und für eine staat­li­che, wie er vor dem ame­ri­ka­ni­schen Kon­gress be­ton­te: »Um in der Bio­me­di­zin die Vor­herr­schaft zu be­wah­ren, müs­sen die not­wen­di­gen Mit­tel be­reit­ge­stellt und die struk­tu­rel­len Rah­men­be­din­gun­gen ge­schaf­fen wer­den.«

Stan­ford ist eng ver­wo­ben mit dem viel­leicht ei­gent­li­chen Macht­zen­trum des Si­li­con Val­ley: den Wag­nis­ka­pi­tal­ge­bern, die je­des Jahr Mil­li­ar­den Dol­lar an jun­ge Un­ter­neh­men ver­ge­ben. Vie­le von ih­nen ha­ben ih­ren Sitz an der Sand Hill Road, ei­ner lan­gen, kur­vi­gen Stra­ße, die sich gleich hin­ter dem Uni-Cam­pus die Hü­gel des Si­li­con Val­ley hoch­schlän­gelt.

Hier hat sich auch An­d­rees­sen Ho­ro­witz nie­der­ge­las­sen, die wohl ein­fluss­reichs­te In­vest­ment­fir­ma der Tech­no­lo­gie­welt. Tau­sen­de Un­ter­neh­mens­ver­tre­ter pil­gern je­des Jahr den Berg hin­auf zu der ele­gan­ten Bun­ga­lo­wan­la­ge mit Spring­brun­nen und künst­li­chen Bä­chen, um sich be­ra­ten zu las­sen oder um Geld zu bit­ten.

Bes­te Chan­cen ha­ben der­zeit »Soft­ware-Start-ups, die bio­tech­no­lo­gi­sche Pro­ble­me lö­sen wol­len«, sagt Vi­jay Pan­de. Als Pro­fes­sor für »Struc­tu­ral Bio­lo­gy« war er Chef des Bio­phy­sik­pro­gramms der Stan­ford Uni­ver­si­ty, ent­wi­ckel­te dort neue In­for­ma­tik­pro­zes­se zur An­wen­dung in der Me­di­zin. Nun lei­tet Pan­de die Bio­tech-In­vest­ments von An­d­rees­sen Ho­ro­witz.

Beim Ge­spräch auf der son­ni­gen Ter­ras­se des An­d­rees­sen-Haupt­quar­tiers re­det Pan­de be­däch­tig und nüch­tern, als ana­ly­sie­re er tri­via­le, alt­be­kann­te Tat­sa­chen, wenn er sagt, dass wir durch die Ver­mi­schung von In­for­ma­tik und Me­di­zin zwei­fels­frei am An­fang ei­nes »Jahr­hun­derts der Bio­lo­gie« stün­den. Künst­li­che In­tel­li­genz und ma­schi­nel­les Ler­nen müss­ten da­bei als »Mit­tel zum Zweck« ver­stan­den wer­den »für et­was viel Grö­ße­res«, als In­stru­men­te, »um die Bio­lo­gie zu kon­stru­ie­ren«. Die­se Bio­kon­struk­ti­on wer­de »buch­stäb­lich wie Pro­gram­mie­rung zu hand­ha­ben« sein.

Ei­nes der Lieb­lings­pro­jek­te von Pan­de ist der­zeit Bio­Age: Das Start-up setzt sich glei­cher­ma­ßen aus Bio­che­mi­kern und Da­ten­wis­sen­schaft­lern zu­sam­men, ge­mein­sam su­chen sie nach Bio­mar­kern, die für das Al­tern ver­ant­wort­lich sind. Wenn die spe­zi­fi­schen Merk­ma­le erst ein­mal be­kannt sind, könn­te der Kör­per mit der rich­ti­gen Be­hand­lung vor­sorg­lich ge­pflegt wer­den, da­mit er mög­lichst lan­ge Spit­zen­leis­tung bringt.

Als Ver­gleich ver­weist Pan­de auf den schon lan­ge be­kann­ten Zu­sam­men­hang zwi­schen dem Cho­le­ste­rin­wert im Blut und Herz­er­kran­kun­gen. Da man den re­le­van­ten Bio­mar­ker – Cho­le­ste­rin – kennt, las­sen sich Herz­er­kran­kun­gen vor­beu­gend mit Me­di­ka­men­ten be­kämp­fen, die den Cho­le­ste­rin­spie­gel sen­ken. Durch Ein­satz von künst­li­cher In­tel­li­genz will Bio­Age nun ähn­li­che Bio­mar­ker mit ei­ner kla­ren Ver­bin­dung zu Al­te­rungs­pro­zes­sen fin­den. Soll­te das Start-up mit der Bio­mar­ker-Su­che er­folg­reich sein, wä­ren die Fol­gen für das Le­bens­al­ter enorm, glaubt Pan­de: »Das bringt uns sehr nah an eine Welt, in der 120 die neu­en 80 sind und 60 buch­stäb­lich die neu­en 40.«

Bio­Age ist nur ei­nes von vie­len Si­li­con-Val­ley-Un­ter­neh­men, die ganz ge­zielt an Al­te­rungs­pro­zes­sen for­schen. Le­bens­ver­län­ge­rung ist in die­sen Ta­gen das Ste­cken­pferd der Tech­no­lo­gie­vor­den­ker, ein stän­di­ges Dis­kus­si­ons­the­ma in den Ge­sprächs­run­den der Si­li­con-Val­ley-Eli­te: Sie se­hen den Kör­per als In­for­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tungs­sys­tem, das kon­trol­liert und ge­steu­ert wer­den kann, wenn man nur alle sei­ne Bau­stei­ne und Pro­zes­se kennt. Ver­stopf­te Ar­te­ri­en, ab­ster­ben­de Ge­hirn­zel­len, schwin­den­de Mus­keln, er­lah­men­de Mo­to­ren in den Zell­ker­nen: Das Si­li­con Val­ley träumt da­von, die­ses Sys­tem­ver­sa­gen auf­zu­hal­ten, in­dem das Be­triebs­sys­tem stän­dig er­neu­ert wird.

Un­ter­neh­men wie Unity Bio­tech­no­lo­gy wer­den in­zwi­schen mit Geld über­schüt­tet. Das Start-up ist ei­ner der Stars der neu­en An­ti­al­te­rungs­for­schung und ar­bei­tet dar­an, »die Ge­sund­heits­span­ne zu ver­län­gern, die Zeit, in der man in gu­ter Ge­sund­heit lebt«. Ama­zon-Grün­der Jeff Be­zos, der pro­mi­nen­te In­ves­tor Pe­ter Thiel und an­de­re Ka­pi­tal­ge­ber steck­ten zu­sam­men mehr als 130 Mil­lio­nen Dol­lar in die­se Vi­si­on der Grün­der: »Stell dir eine Zu­kunft vor, in der du al­terst, aber ohne die Krank­hei­ten dei­ner El­tern. Eine Zu­kunft, in der Al­tern nicht schmerzt.«

Vie­len Si­li­con-Val­ley-Tech­no­lo­gen geht das al­les je­doch noch nicht weit ge­nug: Das Ziel müs­se am Ende das Zu­sam­men­wach­sen von Mensch und Ma­schi­ne sein, den Kör­per hoch­zu­rüs­ten, da­mit er bes­ser und län­ger funk­tio­niert. So­ge­nann­te Ge­hirn-Com­pu­ter-In­ter­faces sind ein ei­ge­nes For­schungs­feld, in dem sich zahl­rei­che Start-ups und die gro­ßen Tech-Kon­zer­ne tum­meln.

Und das ame­ri­ka­ni­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um: Mit 65 Mil­lio­nen Dol­lar un­ter­stüt­zen die US-Mi­li­tärs gleich sechs Pro­jek­te, die un­ter an­de­rem Läh­mung, Blind­heit und Sprach­stö­run­gen durch ma­schi­nel­le Un­ter­stüt­zung über­win­den sol­len.

Den größ­ten Teil der För­der­mit­tel er­hielt Pa­r­a­d­ro­mics, ein klei­nes Start-up aus San Jose am süd­li­chen Ende des Si­li­con Val­ley. Die Un­ter­neh­mer wol­len ein pfen­nig­gro­ßes im­plan­tier­tes Ge­hirn­mo­dem bau­en, mit ei­nem Hoch­ge­schwin­dig­keits­da­ten­link zwi­schen Mensch und Com­pu­ter. Eine Art »Breit­band­an­schluss für das Ge­hirn«, das ein Gi­ga­byte Da­ten pro Se­kun­de ver­ar­bei­ten und da­bei min­des­tens eine Mil­li­on Neu­ro­nen gleich­zei­tig »le­sen« soll. Selbst mit sol­chen Ge­schwin­dig­kei­ten lie­ße sich auch nur an­nä­hernd das Ziel er­rei­chen, das hin­ter die­sem For­schungs­auf­trag steht: be­schä­dig­te Sin­ne zu re­pa­rie­ren.

Ers­te kli­ni­sche Stu­di­en sol­len bald be­gin­nen. »Auch wenn es sich erst mal so an­hö­ren mag, sind Ge­hirn­im­plan­ta­te kei­ne fer­ne Zu­kunfts­mu­sik«, sagt Matt Ang­le, der Chef des Start-ups.

So se­hen es vie­le der Si­li­con-Val­ley-For­scher, das Zeit­al­ter der di­gi­ta­len Me­di­zin ste­he nicht erst be­vor, son­dern habe be­reits be­gon­nen: »Man muss nicht alle Me­cha­nis­men der Bio­lo­gie bis ins De­tail ver­stan­den ha­ben, um sol­che neu­en In­stru­men­te schon jetzt für Pa­ti­en­ten zu nut­zen.«

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ÜBER DEN AUTOR 
Thomas Schulz, Jahrgang 1973, berichtete fast ein Jahrzehnt als Wirtschaftskorrespondent für den SPIEGEL aus New York und San Francisco. Seit diesem Frühjahr zurück in Deutschland, schreibt er als SPIEGEL-Reporter über Digitalisierung und Fortschritt.
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Tho­mas Schulz: »Zu­kunfts­me­di­zin«. DVA; 286 Sei­ten; 20 Euro. Er­scheint am 29. Mai.



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natürlich befeuern solche artikel bei mir nicht nur eitel-sonnenschein-positive gefühle in die menschliche zukunft allgemein. 

denn mit dem wissen, dass all die im text genannten konglomerate von unternehmen und standorte eben auch die ersten marken im globalen algorithmen-gesteuerten turbokapitalismus sind, will man mit all den anstrengungen nicht zuletzt auch macht & geld generieren.

und mich beschleicht dabei auch das eigenartige gefühl, dass man aufgrund der angerissenen methoden nicht nur auf heilung und "chuat-choan" setzt, sondern ja auch krankheiten oder symptome und verdachtsmomente bzw. "abweichungen von der norm" implizieren kann - auf der einen seite - die man auf der anderen seite dann für teuer geld wieder eindämmt: das ganze also zur immerwährenden gelddruckmaschine weiterhin ausbaut.

aber vielleicht ist das auch nur mein (un)gesundes misstrauen ... - ansonsten freue ich mich als 71-jähriger natürlich noch auf die vor mir liegenden satten 50 jahre ohne aua und wehweh ...😉

in der nächsten woche wird mir mein arzt dann schon den einen oben erwähnten biomarker einflüstern, nämlich endlich einen "cholesterin-senker" einzusetzen, vor dem ich mich bis dato erfolgreich gedrückt habe ... - und letztlich weiß ich immer noch nicht - ob der senker mir hilft oder doch mehr dem hersteller aus der pharmazeutischen industrie, die ja längst die normwerte so bestimmen und "setzen", dass ihr börsenkurs keine einbrüche erfährt ... - S!

NEOM

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NAHER OSTEN

HIMMEL & SAND
Eine Stadt, 33 Mal größer als New York

Riad/Dubai/Kairo – Die Herrscher der Arabischen Halbinsel formulieren Visionen für revolutionäre Mammutprojekte: hochmoderne Städte - als Vorbilder in Infrastruktur, Ökologie und Lebensqualität.

Von Gil Yaron | WELT.de

Geht es nach Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed Bin Salman, dann hat die Zukunft der Menschheit in einem Küstenstreifen zwischen schneebedeckten, 2500 Meter hohen Bergen und den weißen Sandstränden des Roten Meeres begonnen. Für den Prinzen ist dieser dünn besiedelte Landstrich „die leere Seite, die die Menschheit benötigt, um ihr nächstes Kapitel zu schreiben“. Vor wenigen Wochen begann hier die Errichtung einer neuen Stadt.

Neom heißt das Mammutprojekt, für das kein Superlativ zu pompös scheint. Es sei eine Stadt, die „geschaffen wurde, um Menschen endgültig vom Stress zu befreien“, heißt es in der Werbung. Hier beginne ein neues Leben mit künstlicher Intelligenz, mit autonomen Autos, die Staus verhindern, und Drohnen, die Online-Einkäufe liefern, während man sich am Sandstrand erholt. Der Energiebedarf soll aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden, während Landwirte in der Umgebung gesundes Gemüse anbauen – hydroponisch, also ohne Erde.

Der Rest der Welt mag den Nahen Osten als Problemherd betrachten. Seine Herrscher formulieren indes Visionen für revolutionäre Mammutprojekte. In Ägypten errichtet Präsident Abdel Fatah al-Sisi eine neue Hauptstadt. Dubai, wo bereits der höchste Wolkenkratzer der Welt und das größte Einkaufszentrum der Welt stehen, will 2028 die Ziggurat-Pyramide einweihen, den weltweit größten autarken Wohnkomplex, für rund eine Million Bewohner, auf einer Grundfläche von 2,3 Quadratkilometern. Und Abu Dhabi arbeitet seit 2008 an Masdar City, einer Stadt, die als ökologisches Vorbild dienen soll.

Hunderte Milliarden Dollar fließen in diese Projekte. Sie sollen Probleme lösen, zukunftsweisend sein, die Massen begeistern. Ganz nebenbei setzen sie den Herrschern noch zu Lebzeiten ein Denkmal. Aber werden sie den Hoffnungen gerecht, oder versenken Autokraten hier nur den Wohlstand ihrer Völker im Sand?

Dass die Städte der arabischen Welt neue Impulse brauchen, ist unumstritten. „Kairo entspricht den Ansprüchen der Ägypter nicht mehr. Überall ist Stau, die Infrastruktur bricht zusammen“, sagt Khaled al-Husseini. Der Ex-General ist Sprecher von ACUD, ein Zusammenschluss von Ägyptens Militär und dem Bauministerium, der al-Sisis neue Hauptstadt bauen soll.

Tatsächlich wächst Kairo schneller als jede andere Großstadt der Welt. Allein im vergangenen Jahr kamen zu den rund 20 Millionen Einwohnern 500.000 neue hinzu, im Jahr 2050 könnten hier 40 Millionen Menschen wohnen. Schon jetzt sei Kairo „überbevölkert“, meint Husseini. „Es gibt keinen Generalbebauungsplan, alles ist hässlich – das ist unmenschlich.“

Mitte 2019 soll das neue Kairo, für das es noch keinen offiziellen Namen gibt, – als Antithese der 1000 Jahre alten Hauptstadt eingeweiht werden. Werbevideos veranschaulichen al-Sisis Vision: Sanft schwebt die Kamera über das 700 Quadratkilometer große Areal – siebenmal größer als Paris – und zeigt eine ultramoderne Stadt mit neuen glitzernden Regierungsgebäuden, einem Opernhaus und Museen. Hinzu kommen der mit 345 Metern höchste Wolkenkratzer Afrikas und ein Vergnügungspark, viermal größer als Disneyland.

Fünf bis sechs Millionen Ägypter sollen hier eines Tages wohnen, rund um den „grünen Fluss“, ein Stadtpark doppelt so groß wie der Central Park. Die Wüste, die sich hier heute befindet, erscheint nur am fernen Horizont.

Dafür gibt es hier alles in Fülle, was in Kairo fehlt: Neben 2000 Schulen sollen 600 medizinische Einrichtungen entstehen. Die größte Kirche Ägyptens wird bereits gebaut, für die koptischen Christen. „Wir haben das Recht zu träumen. Und das ist unser Traum“, sagt Husseini.

Schon mahnen Kritiker, hier entstehe ein Getto für Superreiche. Der Quadratmeterpreis der bereits fertigen 30.000 Wohnungen liegt bei 400 Euro, das Durchschnittsgehalt ägyptischer Beamter indes bei 220 Euro im Monat. Die werden also in Kairo zurückbleiben, deren Ressourcen geplündert werden.

Zwei Wasserwerke sollen der neuen Hauptstadt später 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser pro Tag liefern – auf Kosten anderer Städte, die schon jetzt unter Wassermangel leiden. Kurzfristig schafft die Bautätigkeit zwar 1,5 Millionen Arbeitsplätze, langfristig dürfte die neue Hauptstadt aber keines der Grundprobleme Ägyptens lösen.

Kairo selbst drohen verheerende Konsequenzen. „Wenn bei einem Neubau keine polyzentrischen Modelle verfolgt werden, sondern alle Funktionen auf eine neue Stadt übertragen werden, droht dem alten Standort Verwahrlosung“, sagt Christa Reicher.

NEOM - big think
Sie ist Professorin für Städtebau an der TU Dortmund, die enge Kontakte zur arabischen Welt pflegt. Laut Husseini gibt es noch keine Pläne dafür, wie die ganzen Regierungsgebäude mitten in Kairo genutzt werden sollen, die bald leer stehen.

Und was, wenn al-Sisi das Geld ausgeht? Bislang erhielt ACUD knapp zehn Milliarden Euro – obwohl das Projekt mindestens 40 Milliarden kosten soll. Doch Ägypten ist ein bitterarmer Staat, der gerade erst bei der Weltbank einen Kredit von zwölf Milliarden Dollar aufnehmen musste, um sich vor dem Bankrott zu retten. Ob die neue Hauptstadt jemals fertiggestellt werden kann, ist fraglich.

Anders im saudischen Neom. Kronprinz Bin Salman will hier 500 Milliarden Dollar investieren. Seine Vision ist grandios. Die neue Stadt soll 33 Mal größer werden als New York, mit einer „Lebensqualität, welche die aller Metropolen weltweit übertrifft“.



Er setzt auf Standortvorteile: Neom liegt unweit des Suezkanals, durch den zehn Prozent des Welthandels fließen, und nur sieben Flugstunden von 70 Prozent der Erdbevölkerung entfernt. Die Stadt im Länderviereck zwischen Saudi-Arabien, Jordanien, Israel und Ägypten soll ein internationales Drehkreuz werden.

Neom ist futuristisch angelegt. Der Energiebedarf soll ausschließlich aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Der Sonnenstaat Saudi-Arabien könne mit heutiger Solartechnik mit nur sechs Prozent seiner Oberfläche die ganze Welt mit Strom versorgen, behauptet einer der Investoren. Die Stadt soll als globales Zentrum für Biotechnologie und erneuerbare Energien dienen. Doch der lange Strand allein wird keine Unternehmer herlocken.

In den Werbevideos joggen Frauen in ärmellosen Sportshirts allein durch grüne Parks – kaum etwas erinnert daran, dass sich dieser Ort sich im streng religiösen Saudi-Arabien befindet. In einem Land, in dem keine Kirchen errichtet werden dürfen und Häretiker hingerichtet werden, erfreut sich das imaginäre Neom der „größten kulturellen Vielfalt, die die Welt zu bieten hat“.

„Wir werden 98 Prozent von dem umsetzen, was in anderen Städten der Welt zu finden ist, nur zwei Prozent bleiben unmöglich, wie eine Aufhebung des Alkoholverbots“, gelobte Bin Salman. Dazu will er ein eigenes Rechtssystem für die Stadt schaffen, das er gemeinsam mit Investoren formuliert. So soll die Stadt zu einem „riesigen urbanen Testlabor für neue Technologien“ werden.

Experten bezweifeln, dass Salmans hohe Ambitionen und tiefe Taschen genügen, um diese Träume umzusetzen. Die Region ist voller gescheiterter Mammutprojekte. In Ägypten träumte Anwar al-Saddat schon 1978 von einer neuen Hauptstadt. Doch „Saddat City“ stagnierte, als der Präsident 1981 ermordet wurde und blieb ein Trabant Kairos.

Saudi-Arabien eröffnete 2005 die „König Abdullah Economic City“ als „eines der größten Wirtschaftszentren der Welt“. Statt zwei Millionen Einwohnern leben dort heute nur knapp 5000 am Hafen, dessen Schiffsverkehr von Dubai übertroffen wird.

„Neue Städte sind oft künstliche Visionen, die mit den spezifischen Rahmenbedingungen vor Ort sehr wenig zu tun haben. Ihre Gründung geschieht unter Annahmen, die sich stark von ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten unterscheiden“, sagt Städteplanerin Reicher.

Das wird nirgends deutlicher als in Abu Dhabi. Als das Emirat 2008 Masdar City in Angriff nahm, sprach man von der ersten Stadt weltweit, welche die Umwelt nicht verschmutze. Ein modernes öffentliches Transportsystem sollte Menschen in kleinen, selbstfahrenden Zügen zwischen 1500 Stationen pendeln lassen. Doch nach zehn Jahren gibt es nur zwei Haltestellen.

Statt 50.000 wohnen hier nur 1300 Einwohner, zumeist Studenten. Nur sieben Prozent der insgesamt 3,7 Millionen Quadratmeter Baufläche wurden fertiggestellt. Nachts ist Masdar City eine Geisterstadt. Wenn die Stadt 2030 endlich fertig sein wird, soll die Hälfte ihres Strombedarfs aus Abu Dhabis regulärem Netz gedeckt werden. Ein Grund für die schleppende Umsetzung sei die Skepsis von Investoren bezüglich der Planungssicherheit, heißt es: Die autokratischen Herrscher könnten das Projekt jederzeit kippen.

„Wunsch und Wirklichkeit liegen bei solchen Projekten weit auseinander. Das hat mit den großspurigen Visionen der Gründer zu tun“, meint Reicher. Vor allem der Hang zum Futurismus könnte dem Nahen Osten zum Verhängnis werden. Nur 1,2 Prozent der jungen Saudis werden in naher Zukunft laut Schätzung der OECD einen akademischen Abschluss haben. Ihnen fehlt das Know-how, Hightech-Städte zu warten.

Es fehlen demokratische Strukturen

Reicher zöge deshalb „Nachverdichtung bestehender Städte“ vor: Es wäre besser und effizienter, das Geld in bereits existierende Strukturen zu investieren. Erfolg rühre vor allem von der Schaffung demokratischer Strukturen, die es der Bevölkerung ermöglichen, Pläne an Bedürfnisse anzupassen.

Städteplaner wie Federico Cugurullo loben an Projekten wie Masdar City deshalb vor allem die Lowtech-Aspekte, wie die engen, schattigen Gassen der Innenstadt. Sie sind dank ihrer Bauweise im Sommer bis zu 20 Grad kühler als die Wüste – eine ideale Lösung für heiße Städte in aller Welt.

Neu ist daran freilich nichts: Die Planer ahmten schlicht die Altstädte von Aleppo in Syrien und Schibam im Jemen nach. „Dieser Jahrhunderte alte, traditionelle Urbanismus ist nachhaltig“, meint Cugurullo. Und wohl auch zukunftsweisender als die neuen arabischen Metropolen.

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gestern habe ich einen artikel abgedruckt zur zukunftsentwicklung unserer medizin & gesundheit - heute gibt es hier die science-fiction-ideen für die metropolen von morgen. mit gigantischen pyramidenähnlichen bauten mitten in der wüste, in denen millionen menschen leben oder hausen oder pyramidisieren sollen ...

ich meine - will der gemeine arabisch- bzw. europäische mensch in 50 jahren so wohnen wollen: postanschrift: neom - saudi-arabien ...

und da - wo der wüstensand platz machen soll für gigantische metropolen - versanden hier in mitteleuropa die alten ausgedienten städte ... birken auf dem prinzipal-markt in münster und farnkraut auf dem alten markt in bielefeld - und mitten in hannover werden wölfe erlegt ...

ach - wer's glaubt wird selig ... - aber es soll hinterher niemand sagen, er hätte das nicht wissen können... -S!

30jähriger krieg - gestern & heute

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Während der Dreißigjährige Krieg im 17. Jahrhundert Städte und Landstriche verwüstete, steht Syrien heute als Sinnbild für Zerstörung in einem erschreckenden Ausmaß. Foto: dpa/WB
Ein moderner Dreißigjähriger Krieg?

Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht Parallelen im Nahen Osten

Von Dietmar Kemper | WB

Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 ist schon lange her. Ist er deshalb nur noch etwas für Lokalhistoriker, die bei Gelegenheit darauf hinweisen, dass zum Beispiel die Burg in Bad Lippspringe damals beschädigt wurde? Nein, glaubt der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler.

Wer sich mit der Tragödie damals in Mitteleuropa befasse, verstehe die Kriege der Gegenwart in Syrien, Libyen, dem Jemen und in Somalia besser und bekomme eine Ahnung von den Konflikten der Zukunft. Der Dreißigjährige Krieg tauge als Analysefolie, weil es »strukturelle Gemeinsamkeiten« zur Zeit heute gebe, betont Münkler in seinem mehr als 800 Seiten dicken Buch »Der Dreißigjährige Krieg: europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648« (Rowohlt-Verlag). Der Konfliktforscher der Berliner Humboldt-Universität bezeichnet die damalige Zeit als für »gegenwärtige Fragen hochgradig aufschlussreichen Abschnitt der deutschen und europäischen Geschichte«. Vom Kampf um Macht und Einfluss überlagerter Religionsstreit, Kriegsunternehmer, die das Blutvergießen in die Länge ziehen, massive Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, Erschöpfung auf allen Seiten: All das haben die Kriege im Vorderen Orient und Nordafrika nach Münklers Ansicht mit dem Dreißigjährigen Krieg gemein.

Damals, zwischen 1618 und 1648, entwickelte sich ein lokaler Konflikt in Böhmen zu einem Flächenbrand, die spanischen und österreichischen Habsburger kämpften mit Frankreich und Schweden, das sich als Schutzmacht der Protestanten ausgab, um die Vorherrschaft. Sie finanzierten die Söldnerheere von Kriegsunternehmern wie Ernst von Mansfeld, Albrecht Wallenstein oder Bernhard von Sachsen-Weimar. Deren Landsknechte verwüsteten die Dörfer und Städte auf deutschem Boden, etwa ein Drittel der Bevölkerung kam dabei um. Die Übergriffe von Söldnern auf die Bevölkerung verbanden sich mit dem großen Kriege zwischen den Mächten. Erst die allseitige Erschöpfung zwang sie zu Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück, die 1648 das scheinbar nicht enden wollende Blutvergießen stoppten.

Münkler fasst zusammen: »Wäre der Krieg 1620/21 mit der Niederschlagung des böhmischen Aufstands beendet worden, so hätte er keine dreißig Jahre gedauert und sich auch nicht mit den europäischen Hegemonialkonflikten verbunden. Da der Krieg jedoch immer weiterging, hat er wie ein großer Magnet das gesamte Kriegsgeschehen in Europa auf sich ausgerichtet.«

Der Verlauf erinnert Münkler frappierend an das, was in Syrien, im Nordirak, im Jemen, in Libyen, Somalia und Nigeria zu beobachten ist. Hier verhaken sich lokale Aufstände und Bürgerkriege mit Interventionen regionaler und überregionaler Mächte wie den USA und Russland und den religiösen Feindschaften zwischen Schiiten, Sunniten und Christen. Im Hintergrund agieren, damals im Dreißigjährigen Krieg und heute im Nahen Osten, regionale Großmächte, analysiert Münkler. Damals waren es Spanien und Frankreich, heute sind es die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran. Die »Unübersichtlichkeit der wechselnden Bündniskonstellationen und Feindschaften« kennzeichne gleichermaßen die Kriege heute und den vor 400 Jahren. Indem sie mit Geld und Soldaten eingriffen, sorgten und sorgen die Mächte in diesen Fällen für eine Fortsetzung des Blutvergießens, betont Münkler.

War der Aufstand in Böhmen die Keimzelle des Dreißigjährigen Krieges, so hält Münkler den »Arabischen Frühling«, den Machtverlust Ägyptens, das Chaos im Irak und den seit 2011 andauernden Bürgerkrieg in Syrien für die Feuerstellen, an denen sich die gesamte arabische Welt angesteckt habe. Stichwort Assad: Syriens Diktator stuft der durch Bücher über den Ersten Weltkrieg, über Weltreiche und die Mythen der Deutschen bekannt gewordene Politikwissenschaftler als Person und Clanchef ein, der sich an seinem Land schamlos bereichere. Auch in diesem Punkt weise der Dreißigjährige Krieg unrühmliche Vorbilder und Parallelen auf: »Akteure wie Ernst von Mansfeld und Albrecht Wallenstein können in der Verbindung von Warlord und Kleptokrat als Prototypen dieser modernen Akteure angesehen werden.«

Schließlich sind da noch die religiösen Konflikte als unübersehbare Gemeinsamkeit. Flugschriften von katholischer und protestantischer Seite betonten im 17. Jahrhundert, es gehe bei dem Krieg um den »wahren Glauben«. Heute werfen Sunniten, Schiiten, Wahhabiten und die Steinzeit-Islamisten des IS sich gegenseitig vor, sich gegen den Propheten Mohammed zu versündigen und nicht getreu dem Koran zu leben. Münkler betont: »Der religiös-konfessionelle Gegensatz ist weder im Dreißigjährigen Krieg die alleinige Konfliktursache gewesen, noch ist er das in den strukturanalogen Kriegen der Gegenwart. Aber er sorgt dafür, dass politisch lösbare Konflikte von einem Geist der Unversöhnlichkeit erfasst werden, der keinerlei Vermittlungs- und Ausgleichsebenen mehr kennt.« Religiös-konfessionelle Frontbildungen führten dazu, dass das Völkerrecht ignoriert werde und eine »bedingungslose Feindschaft« mit extremer Gewalt und Grausamkeit entstehe. Weil nicht mehr zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterschieden werde, leide die Zivilbevölkerung schrecklich. Große Flüchtlingsströme, so der 66-Jährige, seien ein gemeinsames Merkmal des Dreißigjährigen Krieges, der heutigen Auseinandersetzungen und des Zweiten Weltkriegs, der für das geschichtliche Denken in Deutschland zur neuen Bezugsgröße geworden sei. Dessen Schrecken zwischen 1939 und 1945 hätten in der Erinnerung die in der Zeit von 1618 bis 1648 überschrieben.

In Vergessenheit geraten und damit zum Steckenpferd von Lokalhistorikern werden sollte er nach Münklers Meinung aber nicht. Das meint übrigens auch der englische Historiker Peter H. Wilson. Die Stimmen und Bilder des 17. Jahrhunderts warnten auch heute »vor der Gefahr, jenen Macht zu verleihen, die sich durch Gott zum Krieg berufen fühlen oder glauben, dass ihre Vorstellungen von Recht und Ordnung die einzig gültigen sind«.

🔲 Herfried Münkler lehrt an der Humboldt-Universität in Berlin. Mit Kriegen befasst sich der Politikwissenschaftler seit vielen Jahren. Vor dem Buch über den Dreißigjährigen Krieg verfasste er ein vielbeachtetes über den Ersten Weltkrieg (»Der große Krieg. Die Welt 1914-1918«). Wie sich die Gestalt des Krieges veränderte – vom begrenzten Kräftemessen der Könige in den Kabinettskriegen des 18. Jahrhunderts bis zu den asymmetrischen, unübersichtlichen militärischen Auseinandersetzungen und Stellvertreterkriegen der Gegenwart im Nahen Osten – ist eine Frage, die ihn immer wieder beschäftigt hat (»Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert«). Außerdem hat er die Rolle des heutigen Deutschlands in der Welt und die Auswirkungen der Flüchtlingskrise analysiert und Bücher über die Mythen der Deutschen geschrieben. Zu den Spezialgebieten des Wissenschaftlers gehört auch die politische Theorie.

Das Gemälde zeigt die Schlacht bei Lützen 1632, bei der Schwedens König Gustav Adolf II. ums Leben kam. Es war einer der grausamsten Schlachten des Krieges. Foto: imago/WB



aus: WESTFALEN-BLATT - 30.05.2018 - S. 7

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vor 400 jahren fing der dreißigjährige krieg an - und vor 370 jahren hörte er folglich erst auf - mit den schwierigen friedensverhandlungen in osnabrück und münster - und wie ich erst neulich erfahren habe: der entscheidung zur neutralität der schweiz.

ein krieg, den heute viele zeitgenossen scheinbar vergessen haben, obwohl er sich sicherlich als trauma in das kollektive unbewusste der menschlichen seele vererbt und niedergeschlagen hat und ab und zu auch hochgespült wird - in albträumen etwa und bei erschreckensbildern, die uns im fernsehen gezeigt werden. 

denn auch menschen, die nie eine militärische ausbildung hatten oder an kampfhandlungen teilgenommen haben, haben eine relativ nahe und plastische vorstellung vom "krieg" in all seinen auswüchsen - furcht, angst und schrecken sind beim begriff "krieg" seitdem im menschen als "angelegtes" verhaltensmuster über diese jahrhunderte hinweg fest verankert ...

man sieht das ja auch an diesen beiden bildern hier, die ja irgendwie leider gottes zu "ikonen" geworden sind über das grauen in der welt.

und dann geht ja das lamentieren wieder los: dass gott das alles zulässt und diesem grauen nicht in die speichen fällt: und die menschen vergessen dann, dass ihre entscheidungen und kompromisslosigkeiten und unmenschlichkeiten das alles auslösen - und gott dem menschen die freiheit für ihre entscheidungen mitgegeben hat, die jedoch damit in ihrer hartherzigkeit gar nicht umgehen können.

rechthaberei, macht und ungerechtfertigtes egoistisches reichtumstreben führen dann zu einem solchen desaster, was gerne einfach abgespalten wird - mit: "was geht mich das an ???" ...

aber damit geht es dann ja schon los: mit dem eigenen ego: was geht mich der andere an - was geht mich das überhaupt an in der welt "da draußen": 3 tote - 300 tote - 300.000 tote menschen - was soll's - hab ich doch nichts mit zu tun ... - aber was haben meine alltäglichen ansprüche vielleicht letztlich doch genau damit zu tun ... ???

dieses gewirr von ansprüchen und egoismen ist es aber, was dann irgendwann in zyklischen abständen zum ausbruch kommt - was sich regelrecht zusammenbraut in einer von menschen gemachten giftküche - wie die gewitter ... - S!

die eigentliche spitzenfrau der cdu

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Monika Grütters - Foto: DIE ZEIT
Interview mit Kulturstaatsministerin Grütters

"Auch wir waren locker und widerspenstig"

Wie denkt die Kulturstaatsministerin über die Wiederkehr konservativer Normen? Ein Besuch bei Monika Grütters. Von Sebastian Hammelehle, Ulrike Knöfel

Grütters, 1962 in Münster geboren und seit 2013 Kulturstaatsministerin, ist neben Angela Merkel und Ursula von der Leyen die einzige Politikerin, die aus der alten in die neue Regierung gewechselt ist. Sie empfängt in ihrem Büro im Kanzleramt, mit Blick auf den Reichstag. Es geht um Fragen der Identität, die Renaissance konservativer Werte und ihren persönlichen Ehrgeiz auf andere Ämter.

SPIEGEL: Frau Grütters, Sie sind 1978 in die Junge Union eingetreten, als 16-Jährige. Warum?

Grütters: Weil wir in Münster gute CDU-Leute hatten. Und weil ich schon damals ein politischer Mensch war.

SPIEGEL: Der Zeitgeist der Siebzigerjahre war völlig anders: Da waren die Langhaarigen, die Punks – und dazwischen Sie, das Mädchen von der Jungen Union?

Grütters: Auch wir waren locker und etwas widerspenstig. Auch ich wollte unbedingt mit einem Palästinensertuch herumlaufen oder mit diesen lila gefärbten Windeln um den Hals. Oder Patschuliparfum und Vanilletee, Berberjacke, Parka, Kreppsohlenschuhe, Clogs – all das musste sein. Ich habe mich mit meiner Jeans in die Badewanne gelegt, damit sie wirklich hauteng ist, oder nachts heimlich Flicken daraufgenäht. Meine Mutter meinte: Damit kannst du nicht als Messdienerin vor den Altar treten ...

SPIEGEL: Haben Sie denn Franz Josef Strauß unterstützt? 1980, als Sie 18 waren, trat er als Kanzlerkandidat der Union an.

Grütters: Strauß fand ich echt schwierig. Aber als er auf einem Poster als Fleischermeister, als Schlächter verunglimpft wurde, haben sogar wir Jüngeren uns mit ihm solidarisiert.

SPIEGEL: Das war ein Plakat des Politgrafikers Klaus Staeck, eines SPD-Mitglieds. Strauß war für viele ein Gottseibeiuns, für die Linke damals in etwa das, was heute die AfD ist.

Grütters: Mutige These.

SPIEGEL: Für seine politischen Gegner war er die Hassfigur schlechthin.

Grütters: Das stimmt. Nur war man damals generell nicht gerade zimperlich im Umgang miteinander.

SPIEGEL: Sie haben Geisteswissenschaften studiert, da wehte der Geist links. Fühlten Sie sich gemobbt von Ihren linken Kommilitonen?

Grütters: Die schärfste Form solchen Mobbings habe ich in Münster erlebt, wo ich zuerst studiert habe. Als sich der Asta vorstellte, saß ich im Publikum für den Ring Christlich-Demokratischer Studenten, bis der Hausmeister kam und mich – auf dem Stuhl sitzend – heraustrug. Ich würde da nicht hingehören, meinte er. Später bin ich nach Bonn gewechselt. Das war die Zeit der Demos im Hofgarten, gegen Pershing II und die Nachrüstung.

SPIEGEL: Haben Sie mitdemonstriert?

Grütters: Wir haben viel diskutiert, über Aufrüstung, über das Gleichgewicht der Kräfte oder: Wenn der Klügere immer nachgibt, regieren nur noch die Dummen. Ein naiver Pazifismus war unsere Sache nicht, Hochrüstung aber auch nicht.

SPIEGEL: Haben Sie damals nie an der CDU gezweifelt?

Grütters: Doch, als Kurt Biedenkopf Mitte der Achtziger von Helmut Kohl als Spitzenkandidat in NRW abserviert wurde. Und später, 1989, als Heiner Geißler als CDU-Generalsekretär das Feld räumen musste, auch er irgendwie ein Opfer Kohls. Ich habe per Brief meinen Parteiaustritt mitgeteilt und ihn wohl auch abgeschickt, aber ich glaube, die haben das bei der CDU nie registriert.

SPIEGEL: Warum hat Sie die Sache mit Geißler so aufgebracht?

Grütters: Ich bin bis heute eine große Bewunderin Heiner Geißlers, der eine intellektuelle Schärfe hatte, der austeilen konnte und einstecken. Vor allem hat er die CDU sozialpolitisch geformt und bis heute nachhaltig geprägt.

SPIEGEL: Hat er die Sozialdemokratisierung der CDU eingeleitet, die schließlich zu einer Kanzlerin Angela Merkel führte?

Grütters: Geißler war damals fast so etwas wie ein Apostel, ein Glücksfall für die C-Partei; er stand für die katholische Soziallehre als politisches Element. Später hat Norbert Blüm das verkörpert. Heute fehlen uns markante Vertreter dieser Haltung.

SPIEGEL: Jens Spahn, indirekt ein Nachfahre Blüms als CDU-Sozialpolitiker, müsste Ihnen doch sympathisch sein: wie Sie katholisch und aus dem Münsterland.

Grütters: Jens Spahn und ich sind uns auch sympathisch. Aber er begründet seine Politik öfter etwas pointierter, als ich es täte.

SPIEGEL: Er hat den Eindruck erweckt, den Hartz-IV-Empfängern ginge es nicht schlecht.

Grütters: Erfolgreiche Politik hat viel mit Empathie zu tun. Die Grundlagen dafür sind bei mir in dem sehr undogmatischen christlich-katholischen Milieu Münsters gelegt worden. Vielleicht würde ich deshalb solche Aussagen so nicht treffen. Ich habe einen tief verwurzelten Respekt vor Menschen in völlig anderen Lebenslagen als meiner eigenen, doch eher privilegierten. Allerdings: Parteien brauchen Strategen, die gezielt Positionierungen vornehmen, um sie hinterher wieder ein Stück weit zurückzunehmen. So steckt man Claims und Ziele ab.

SPIEGEL: Wenn die Sozialpolitiker Geißler und Blüm Ihre Vorbilder waren – warum sind Sie dann in die Kulturpolitik gegangen?

Grütters: Weil ich mich von Anfang an für Literatur, für Kunst und Geschichte interessiert habe. Und dafür, nach grundsätzlichen Zusammenhängen zu suchen und sich nicht nur in der Tagespolitik zu erschöpfen. Das ist kein Widerspruch zum sozialpolitischen Denken.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Grütters: Dass die Kulturpolitik in den vergangenen Jahren ganz anders in die Wahrnehmung der allgemeinen Öffentlichkeit gerückt ist, zeigt doch, dass "Kultur" schon lange keine Milieufrage mehr ist, sondern dass hier in einem breiteren Kulturbegriff viele gesamtgesellschaftliche Fragen verhandelt werden. Daraus leiten sich viele, zum Beispiel bildungs- und sozialpolitische, Aspekte ab.

SPIEGEL: Welche?

Grütters: Beispielsweise eine Flüchtlingspolitik, die dem Grundgedanken der Barmherzigkeit verpflichtet ist. Macht endlich Ernst mit dem C in unserem Parteinamen! Deshalb bin ich nach wie vor überzeugt davon, dass die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen in akuter Not grundsätzlich richtig war und dass wir die damit zusammenhängenden Probleme in den Griff bekommen. Schlimmer, als daran zu scheitern, wäre, es gar nicht erst versucht zu haben.

Kreuz in Grütters' Büro:
"Ernst machen mit dem C
in unserem Parteinamen" -
FOTO: HANNES JUNG / DER SPIEGEL
SPIEGEL: Wir sitzen hier in Ihrem Büro mit Blick auf das Kreuz an der Wand. War es klug vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, ein Kreuz für jede bayerische Amtsstube zu verordnen?

Grütters: Jemand, der das Bekenntnis nicht mehr so gewohnt ist und dem es nicht selbstverständlich zur Haltung geworden ist, neigt im Bekenntnisfall auch mal zu Übereifer und Unbeholfenheit. Man kann über die Amtszimmer das Kreuz nicht wieder in die Herzen der Menschen verpflichten. Ich finde, der Gebrauch zum Zwecke der Politik ist nicht nur fatal, sondern gefährlich. Das entwertet das Kreuz.

SPIEGEL: Ist die christliche Partei überhaupt noch christlich?

Grütters: Zumindest fehlt manchmal das ausdrückliche Sichbesinnen, die Berufung auf eine solche Tradition und auf zentrale Begriffe wie zum Beispiel Nächstenliebe. Die Empfehlung zu Toleranz und Friedfertigkeit, die Offenheit für Vielfalt – das alles sollte schon eine praktische und konkrete Relevanz haben. Und hat es in Ansätzen ja auch. Denn in unserer Fraktion gibt es sehr wohl Mitglieder, die den Familiennachzug auch für subsidiär Geflüchtete richtig finden. Der Stellenwert von Kindern und Familien ist in unserem Menschenbild eben nicht nur auf Deutsche beschränkt.

SPIEGEL: Die Revolte des Jahres 1968 hat eine Säkularisierungswelle ausgelöst, die dazu geführt hat, dass die christlichen Bezüge weitgehend verschwunden sind.

Grütters: Eine noch größere Säkularisierung hat die DDR bewirkt. Da war sie wirklich einmal Weltspitze. In Berlin wohnen nur noch neun Prozent Katholiken. Im Westen hat man damals auch mit der etwas muffig wirkenden Selbstdarstellung der Kirchen gebrochen. Ich bin Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, also der Laienorganisation, und meine, manche Würdenträger in der Amtskirche haben auch heute noch Bedarf, sich offener, pragmatischer, dem Leben näher darzustellen. Aber die Priester in den Gemeinden vor Ort sind zum Glück oft sehr wohltuende Seelsorger, und auch Papst Franziskus strahlt das aus.

SPIEGEL: Auch der katholischen Kirche fehlt manchmal das Christliche.

Grütters: Ich habe zeit meines Lebens gute Erfahrung mit geistlicher Begleitung gemacht. Aber ich nehme an, Sie sprechen von Missbrauchs- und Korruptionsfällen. Das erschüttert uns alle. Es geht auch um Demut. So hat es schon beim Zweiten Vatikanischen Konzil lateinamerikanische Bischöfe gegeben, die forderten, kein Priester solle reicher leben als seine Gläubigen, auch sollten Laien die Gemeindefinanzen mitverwalten. Das waren wertvolle Anregungen auch für Deutschland. Heute diskutieren wir auch energisch über das Diakonat der Frau.

SPIEGEL: Auch über Priesterinnen?

Grütters: Da sollte man die Traditionalisten nicht überfordern. Aber ohne die Frauen an maßgeblicher Stelle wird es diese Kirche irgendwann nicht mehr geben.

SPIEGEL: Sie haben sich als Frau in einer Männerwelt durchgesetzt, das gilt vor allem für Ihre Zeit in der West-Berliner CDU. Bezeichnen Sie sich als Feministin?

Grütters: Nein, auch nicht als Kampfhenne. Aber ich habe während meiner politischen Karriere sowohl im privaten wie im politischen Bereich gelernt, die Frauenfrage nach oben zu rücken. Und: Ich selbst habe mehr als 50 Prozent Mitarbeiterinnen, in einigen Bereichen sogar mehr als 60 Prozent.

SPIEGEL: Also befürworten Sie die Quote?

Grütters: Je nachdem, wo man sie anwendet. Man kann bei der CDU keine Quote von 50 Prozent einführen, wenn wir 26 Prozent weibliche Mitglieder haben. Aber bei allen Gremien, für die ich Verantwortung trage, achte ich auf Parität. Und wir haben bewiesen, dass es in vielen Fällen auch funktioniert. Dabei geht es übrigens nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit, sondern vor allem um eine Vielfalt der Perspektiven.

SPIEGEL: Aus welchem Antrieb heraus? Weil Sie die vorherige Situation als ungerecht empfanden?

Grütters: Weil ich es falsch finde, auf das Potenzial der Frauen zu verzichten. Bei den Gremien im Filmbereich zum Beispiel kann sich keiner herausreden, es gäbe diese Frauen nicht. Es gibt sie. Deshalb haben wir auch das Filmförderungsgesetz geändert, zugunsten einer stärkeren weiblichen Präsenz in Gremien.

SPIEGEL: Viele Männer reagieren auf solche Veränderungen allergisch.

Grütters: Klar – einige denken, dass wir ihnen etwas wegnehmen. Dass sie es so empfinden, lässt tief blicken. Sie haben schließlich keinen Anspruch auf Macht und Einfluss. Außerdem wissen wir doch inzwischen alle: Gemischte Teams sind erfolgreicher.

SPIEGEL: Im Film- und Fernsehbereich hat man den Eindruck, sexualisierter Machtmissbrauch sei ein strukturelles Problem.

Grütters: Ja, denn die asymmetrischen Machtverhältnisse sind leider typisch für diese Branchen.

SPIEGEL: Wobei im WDR, der zuletzt in diesem Zusammenhang in die Schlagzeilen geraten ist, viele Frauen in Führungspositionen sitzen. Dort regierte lange eine Intendantin, dort arbeiten Chefredakteurinnen. Dort gibt es eine hohe Frauenquote.

Grütters: Sie können auch als Frau in einer sehr großen Institution nicht überall verhindern, dass jemand übergriffig wird. Aber viel zu lange waren Scham und Angst stille Begleiter. Dieses Schweigekartell darf es nicht mehr geben. Und übrigens: Von neun ARD-Intendanten plus Deutsche Welle und Deutschlandradio sind gerade einmal zwei weiblich. In der Zeitungsbranche ist es übrigens auch nicht besser: In Regionalzeitungen sind 95 Prozent aller Chefs Männer. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Auswahl und Aufbereitung der Themen. Und jetzt bestätigt eine aktuelle Studie zu den Vorständen in Dax-Unternehmen, dass Deutschland da Schlusslicht ist.

SPIEGEL: Sehen Sie sich Ihre eigene kulturelle Großunternehmung an, das Humboldt Forum. Da wirken an den wirklich entscheidenden Stellen Männer.

Grütters: Aber nicht ausschließlich, und wir müssen noch wichtige Positionen besetzen, für die wir gezielt Frauen ansprechen werden.

SPIEGEL: Die CDU war vor Merkel von Männern dominiert, von Ausnahmen wie Rita Süssmuth abgesehen.

Grütters: Und die hatte ordentlich zu kämpfen.

SPIEGEL: Waren, als Sie anfingen, sexuelle Übergriffe in der Politik üblich, und man sprach einfach nicht darüber?

Grütters: Ich habe keine erlebt und kann deshalb da nicht mitreden.

SPIEGEL: Haben Sie je davon gehört?

Grütters: Nein, und wenn das ein latenter Charakterzug der damaligen Politik gewesen wäre, wüsste ich es.

SPIEGEL: Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki erwähnte einmal die einschlägige Atmosphäre in der Hauptstadtpolitik. Er wäre – so sagte er 2010 – "vielleicht zum Hurenbock" geworden, wäre er länger in Berlin geblieben.

Grütters: Gott sei Dank gehört er nicht zu unserer Partei.

SPIEGEL: Er schilderte ein parteiübergreifendes Milieu.

Grütters: Das sagt mehr aus über ihn als über die Politik. Allein seine Sprache ist verräterisch. Es bleibt also hoffentlich sein Spezialproblem.

SPIEGEL: Und diese Welt, die er da andeutet, haben Sie nie erlebt?

Grütters: Nein, im Gegenteil. Ich bin von Männern, auch in der Berliner Union, immer gefördert worden. Allerdings nur so lange, bis ich auf Augenhöhe angekommen war. Dann wurde es auch einmal schwierig. Aber das gilt für Männer wie Frauen gleichermaßen. Und klar, es gibt überall auch ziemliche Rüpel.

SPIEGEL: Was meinen Sie?

Grütters: Na, wenn man Sätze hört wie: "Setz dich neben mich, gibt gute Bilder."

SPIEGEL: Heute führen Sie die Berliner CDU an. Könnten Sie sich vorstellen, 2021 für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin zu kandidieren?

Grütters: Es ist für mich eine große Ehre und Herausforderung, auch heute schon meiner Wahlheimat, dieser großartigen Stadt Berlin, in meinem politischen Amt dienen zu können. Wie es weitergeht, wenn ich diese zweite Amtszeit als Kulturstaatsministerin vorangebracht habe, möchte ich in Ruhe entscheiden.

SPIEGEL: Sie schließen eine Kandidatur nicht aus.

Grütters: Entscheiden werden wir das – unabhängig von meiner Person – nicht vor 2020, weil man jeden Kandidaten, jede Kandidatin verheizen würde, wenn man sie zu früh nennt. Für mich ist das ein echtes inneres Ringen.

SPIEGEL: Weil Sie sich ein Leben als Kulturstaatsministerin auch über diese Amtszeit hinaus vorstellen könnten?

Grütters: Gemach, gemach – nun hat ja erst mal meine zweite Amtszeit hier begonnen. Ich habe Ideen, auch Leidenschaften für manche Vorhaben. Und ich bin ungeduldig, das merkt man ja. Deshalb gehe ich mit Eifer an die jetzt anstehenden Aufgaben.

SPIEGEL: Es könnte eine schwierige Amtszeit werden, weil Ihr Vorzeigeprojekt – das Humboldt Forum im Stadtschloss – zur Blamage zu werden droht. Vor langer Zeit wurde beschlossen, dort Schaustücke aus außereuropäischen Kulturen zu präsentieren, aber erst jetzt kommt man darauf, die dazugehörige Kolonialzeit zu thematisieren. Ein wenig zu spät, um glaubwürdig zu sein.

Grütters: Ich nehme unsere Museen anders wahr. Sie wissen viel über unsere Objekte und stellen das dar. Aber das öffentliche Interesse ist – anders als zur Zeit der Dahlemer Ausstellungen – stark gestiegen, gerade auch an den Herkunftsgeschichten aus kolonialen Kontexten. Da hat das Humboldt Forum wie ein Katalysator gewirkt, und zwar schon vor seiner Eröffnung.

SPIEGEL: Der Katalysator waren doch eher die Aktivistengruppen, die ein Umdenken eingefordert haben, die infrage stellten, ob uns überhaupt gehören darf, was da ausgestellt werden soll.

Grütters: Ja, die sind während des Richtfestes sogar zu mir auf die Bühne gestiegen. Und ich habe sie damals schon zum Dialog eingeladen. Das Thema Kolonialismus war lange ein blinder Fleck in der Erinnerungskultur. Diese Erinnerungskultur ist mir wichtig, nicht weil ich mir einrede, man könnte Menschen läutern, aber man kann sie sensibilisieren für Unrecht.

SPIEGEL: Und dann müssen Sie bei aller Aufarbeitung, bei aller Erinnerungskultur auch noch die Leerstelle im Auge behalten, die von der Rechten bewirtschaftet wird – denken Sie an den AfD-Mann Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal ein "Denkmal der Schande" nannte. Vernachlässigen wir den Blick auf die positiveren Kapitel der deutschen Geschichte?

Grütters: Warum wollen Sie das gegeneinander ausspielen? Beides gehört zu unserer Geschichte.

SPIEGEL: Einer der Gründungsintendanten Ihres Humboldt Forums hat gesagt, es sei die Kardinalfrage, ob sich das deutsche Selbstbewusstsein ausschließlich auf Schuld und Scham aufbauen solle. Man muss diese Ansicht nicht teilen. Aber wenn man dann sieht, dass die AfD das historische Hambacher Fest des Jahres 1832 kapert und als patriotisches Event neu inszenieren will, stellt sich eben die Frage: Wollen wir die hellen Seiten der Geschichte den Rechten überlassen?

Grütters: Wir waren in den vergangenen 70 Jahren zu Recht mit der Aufarbeitung der monströsen Verbrechen der NS-Diktatur beschäftigt. Das war und ist richtig und absolut notwendig. Aber zur deutschen Geschichte gehören eben auch die positiven Momente, mit denen wir uns in der Vergangenheit durch die Überlagerung der beiden Weltkriege, die von Deutschland ausgingen, schwergetan haben. Im Land Berlin denkt man jetzt über einen neuen Feiertag nach, und mit einem solchen Tag könnte man erinnern an den 18. März 1848, auch an den 17. Juni 1953, den Tag des Arbeiterwiderstandes in der DDR. Oder an die friedliche Revolution von 1989, immerhin das größte Ereignis der jüngeren Geschichte. Bisher ehren wir diese mutigen Anfänge dort ja viel zu wenig.

SPIEGEL: Ausgerechnet die AfD hat den Anspruch auf den Vorsitz des Unterausschusses für Auswärtige Kulturpolitik. Der erste Kandidat, der aufgestellt wurde, ist abgelehnt worden. War das politisch klug?

Grütters: Nun ja, die AfD-Abgeordneten sind jetzt unsere Kollegen im Deutschen Bundestag, und da gibt es Regeln, die wir einhalten. Wenn die AfD also einen Anspruch auf einen Ausschussvorsitz hat, finde ich es schwierig, das zu konterkarieren. Aber auch da hängt, wie so oft, viel davon ab, welche Personen vorgeschlagen werden. Insgesamt gilt jedoch: Wir müssen mit den AfD-Politikern korrekt und regelkonform umgehen, selbst wenn das bei mancher Pöbelei aus der Fraktion schwerfällt.

SPIEGEL: Und wenn der AfD-Politiker Marc Jongen sagt, er wolle den Kulturbetrieb "entsiffen"?

Grütters: Das ist nicht mehr als eine Worthülse, vieles darf man bei denen nicht zu ernst nehmen. Da geht es in erster Linie um Provokation. Aber wir müssen klar Haltung zeigen, wenn es um die Verteidigung einer freien, unabhängigen, auch sperrigen und unangepassten, aber diskursfreudigen Kunst und Kultur geht. Das ist das Lebenselixier unserer aufgeklärten Demokratie. Das gilt auch bei der Diskussion, ob wir wieder zu einem nationalen Kulturbegriff kommen müssen.

SPIEGEL: Und, muss man?

Grütters: Nationale Identität erwächst zuallererst aus dem Kulturleben eines Landes und nicht aus der Dichte eines Autobahnnetzes. Kultur wiederum beruht zum einen auf der Bewahrung des materiellen und immateriellen Erbes, was der AfD vielleicht näherliegt, also von der Bewahrung von Burgen und Schlössern bis hin zu den großen Mythen und Grimms Märchen. Zum anderen geht es aber auch um die Ermöglichung der gesellschaftlichen Avantgarde, die den demokratischen Diskurs am Leben erhält. Hier würde mich ein intelligenter Widerspruch reizen.

SPIEGEL: Kultur funktioniert als demokratisches Therapiemittel nur, wenn sie die Menschen auch erreicht, wenn sie in die Museen gehen. Sie wollen – auch wegen mäßiger Besucherzahlen – die berühmte Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren vielen Museen in Berlin evaluieren lassen, am Ende dürfte ein radikaler Umbau stehen.

Grütters: Es war ja vor rund 60 Jahren so, dass die junge Bundesrepublik eine Entscheidung treffen musste, wie sie mit dem preußischen Erbe umgehen will. Daraus entstand die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Nach mittlerweile sechs Jahrzehnten wollen und müssen wir prüfen, ob alles so bleiben kann und ob die Struktur von damals den Aufgaben von heute noch gerecht wird. Denn es stimmt, es sind oft zu wenige Besucher, es gibt schwierige Hierarchien, es herrscht mitunter noch eher ein Amtsverständnis und zu wenig ein Service- und Dienstleistungsdenken.

SPIEGEL: Die ehemalige Messdienerin Grütters agiert als Staatsministerin mit harter Hand. Sie haben einmal gesagt, es fehle der Mut zur Autorität.

Grütters: Mir hat noch niemand mangelnden Mut unterstellt. Autorität in einem schwierigen Umfeld ist gut und richtig, manchmal auch gerade in dieser kreativen Szene, die ja mitunter eigenwillig und anspruchsvoll sein kann. Aber auch die Fähigkeit zum fairen Ausgleich gehört dazu, ein kommunikatives Talent, Zuneigung und Lust auf die Herausforderung. Man sollte das alles haben.

SPIEGEL: Frau Grütters, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Dieser Text-Beitrag erschien in der SPIEGEL-Ausgabe 22/2018.

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ich gebe es ja ehrlich zu: frau grütters ist meine persönliche nachfolgerin als spitzen-sympathieträger(in) in der eigentlich mir abseits stehenden cdu - nachfolgerin nämlich vom leider ausgeschiedenen bundestagspräsidenten norbert lammert, von heiner geißler, norbert blüm und rita süssmuth ... - auch den ollen biedenkopf fand ich seinerzeit so schlecht nicht - und auch der laschet armin macht bis auf die affäre um seine landwirtschafts-ministerin schulze-föcking eine überraschend positive figur... - für einen cdu-ministerpräsidenten ...

doch schon vor monaten traute ich ihr hier den aufstieg zur bundespräsidentin zu.

und deshalb soll sie sich bitte nicht als parteisoldatin evtl. zur spitzenkandidatur der cdu für die wahlen zur regierenden bürgermeisterin in berlin "missbrauchen" lassen - ihr talent wäre zu schade für einen solchen abschuss-posten angesichts von BER und ähnlichen skandälchen und skandalen.

bundespräsidentin, bundestagspräsidentin, evtl gar bundeskanzlerin - für mich noch weit vor annegret kamp-karrenbauer - das wären so aus meiner sicht die jobs in ihrer augenhöhe ...

hoffentlich sehen die "freunde" in ihrer partei - und sie selbst natürlich - das auch so ... - S!
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