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Ratten - eine Zählungsmythos ...

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Der Gedanke, dass auf einen Stadtbewohner eine Ratte käme, ist einfach und gut. Und diese Mär wird in aller Welt übernommen: In den Städten hausten demnach pro Bewohner zumeist unterirdisch eben auch eine Ratte - so wird geschätzt ...: Also in Berlin demnach etwa 3,5 Millionen - und in Köln ca. 1 Million... - und hier in BI-Sennestadt immerhin noch 21.000 ...

Der Rattenexperte Robert Sullivan sagte der "New York Times" aber nun, es sei schon längst bekannt, dass es nicht so viele Ratten in der Stadt gebe wie Einwohner, aber eine solche Schätzung 1:1 "über den Daumen", habe ja schon eben eine gewisse Attraktivität ...

Aber da sei seit neuestem Jonathan Auerbach vor ... Der macht zurzeit seinen Doktor in Statistik an der Columbia University in New York - und der hat sich ein ganz besonderes Thema gesucht, das er erforscht: Auerbach untersucht nämlich, wie viele Ratten es in New York gibt.

Demnach soll es im Big Apple lediglich rund zwei Millionen Ratten geben, wie die "New York Times" berichtet. Auerbach schreibt, die These der gleichen Anzahl von Menschen und Ratten in New York sei ein urbaner Mythos.



Der Rattenfänger von New York ...

Der Ratten-Doktorand Auerbach sagte, eine Rattenzählung durchzuführen berge große Herausforderungen für einen Statistiker. Ratten seien schreckliche Umfrageteilnehmer. Zunächst habe er versucht, Ratten zu fangen, zu zählen, zu markieren und wieder freizulassen, um dann die nächsten Ratten zu fangen. Doch das Gesundheitsministerium hätte nicht gebilligt, die Ratten, die er einmal gefangen hätte, wieder freizulassen.
Auerbach benutzte für seine Zählung letztlich Beschwerden, die es über Ratten in der Stadt gegeben hatte. Der Doktorand schaute, aus welchen Gegenden die Beschwerden stammten und rechnete aus, dass es ungefähr 40.500 Grundstücke mit Ratten in New York geben müsste. Zudem gehörten etwa 40 bis 50 Ratten zu einer Kolonie. Demnach müsste es insgesamt etwa zwei Millionen Ratten in der Stadt geben.

Das Gesundheitsministerium setzt Inspektoren ein, die verschiedene Grundstücke untersuchen, in denen es vermehrt Ratten geben soll. Finden sie Beweise dafür, geben die Inspektoren den Eigentümern den Auftrag Kammerjäger zu engagieren. Sollten sie dies nicht tun, gibt es einen Mahnbescheid. Der Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sagte, er könne nicht einschätzen, wie sehr sich die Anzahl verringert habe, weil es trotz Jonathan Auerbach noch keine adäquaten Methoden gebe, die Ratten zu zählen.



nach: kha - Link

Mauerbild: Manchem Betonkopf geht erst nach 25 Jahren ein Licht auf ... | S!NNTAGSMALER

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S!NEDi-ART: Manchem Betonkopf geht erst nach 25 Jahren ein Licht auf ...: Mein Bild zu Sonntag, 09.11.2014 - 25 Jahre nach Mauerfall ....

UITGEZONDERD - ein einfaches Photo - und all der Bauch ....

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Also - nee - ich weiß nich ... Wenn ich ein neues Photo hier einspeichern will - bleibt da so ein Gefühl, als wenn das von irgendwo her doch nicht erwünscht wäre - von wem auch immer ... - irgend etwas fällt mir da wiederholt in den Arm - will verhindern ... - so dieses Gefühl ...
Diesmal so eine olle Straße in Enschede, wo der Tag durch Photoshop zur Nacht wird ...  - wo es regnet - auch - und doch warte ich immer unwillkürlich - wer mir das Photo "freigibt" ... frei - geben will - geben tut - geben gibt - nee - also jetzt spinnt der wieder... - frei - ohne schlechtes Gewissen - den Blitz in den Kirchturm jagen .... da wo es dann nach Schwefel stinkt ... wo einem der Boden unten im Schritt versinkt ... - ich werde - den Weg gehen - komme - was da wolle - Schritt für Schritt - also immer der Reihe nach ... 

sinedi


da wo es dann nach Schwefel stinkt ... wo einem der Boden unten im Schritt versinkt ... - ich werde - den Weg gehen - komme - was da wolle - Schritt für Schritt - also immer der Reihe nach ... 

Enzensberger - 85 - NICHT ZUTREFFENDES STREICHEN

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HANS MAGNUS ENZENSBERGER

NICHT ZUTREFFENDES STREICHEN

Was deine Stimme so flach macht
so dünn und so blechern
das ist die Angst
etwas Falsches zu sagen

oder immer dasselbe
oder das zu sagen was alle sagen
oder etwas Unwichtiges
oder Wehrloses
oder etwas das mißverstanden werden könnte
oder den falschen Leuten gefiele
oder etwas Dummes
oder etwas schon Dagewesenes
etwas Altes

Hast du es denn nicht satt
aus lauter Angst
aus lauter Angst vor der Angst
etwas Falsches zu sagen

immer das Falsche zu sagen?


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freizeit


rasenmäher, sonntag
der die sekunden köpft
und das gras.

gras wächst
über das tote gras
das über die toten gewachsen ist.

wer das hören könnt!

der mäher dröhnt,
überdröhnt
das schreiende gras.

die freizeit mästet sich.
wir beißen geduldig

ins frische gras.

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Denker und Sprachzauberer: Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger 2013 in München. nach einem FOTO von DPA

Intellektueller von Format

Hans Magnus Enzensberger wird 85

Von Andreas Heimann, dpa

Gleich sein erstes Buch machte ihn bekannt: "Die Verteidigung der Wölfe" erschien 1957, ein eher schmaler Lyrikband. Doch der Tonfall der Gedichte ließ aufhorchen: Da meldete sich einer zu Wort, der mit Sprache zaubern konnte, Lyrik aber nicht für Zauberei hielt, der kein Loblied auf die blaue Blume sang, aber eine Vorliebe für starke Metaphern und spottreiche Anspielungen zeigte. 

Seitdem hat Enzensberger oft von sich reden gemacht, als Intellektueller von Format, politischer Denker, als eine Stimme von Gewicht in vielen Debatten. Am heutigen 11. November wird er 85 Jahre alt. Auf ein literarisches Genre festlegen ließ er sich nie. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang. Etliche Gedichtbände waren darunter, Kinderreime und Balladen inklusive, aber auch Essays und politische Betrachtungen. Nicht zuletzt mit Literatur hat er sich immer wieder beschäftigt - mit Clemens Brentano beispielsweise, über den er schon seine Doktorarbeit geschrieben hatte.

Enzensberger kam in Kaufbeuren im Allgäu zur Welt und verbrachte seine Kindheit in Nürnberg. Aber sein Horizont hat sich schnell geweitet. Noch im Studium ging er nach Paris. Später lebte er in Norwegen, genauso wie in den USA, in Rom und fast ein Jahr lang in Kuba. Enzensberger war damals Marxist, aber keiner von denen, die auf dem linken Auge blind waren.

In seine Wohnung in Berlin zog 1967 kurzzeitig die Kommune I ein, zu der auch sein Bruder Ulrich zählte. Die Kritik der Kommunarden an der Außenpolitik der USA und am Krieg in Vietnam teilte er, viel mehr verband ihn aber nicht mit ihnen. Dennoch war er keiner, der sich im Elfenbeinturm verbarrikadierte. Ab Mitte der 1960er Jahre gab er das "Kursbuch" heraus, ein Leitmedium der intellektuellen Linken und der Studentenbewegung. Mitte der 80er Jahre startete er "Die Andere Bibliothek", eine Buchreihe für Bibliophile mit Werken abseits des Mainstreams. Auch solchem Engagement verdankt Enzensberger seine Rolle als einer der wichtigsten deutschen Intellektuellen der Nachkriegszeit. 

Heute lebt der Autor in München, nicht weit entfernt vom Englischen Garten. Zur Ruhe gesetzt hat er sich nicht. Gerade ist eine neue Anthologie erschienen: "Gedichte 1950-2015" und fast zeitgleich sein jüngstes Werk mit dem bezeichnenden Titel "Tumult". Es ist ein Rückblick auf die 1960er Jahre, aber keine Autobiografie. Memoiren à la "Enzensberger - Das war mein Leben" soll es nicht geben, hat er mehrfach betont. Diesem Genre sei einfach nicht zu trauen. 

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Ein Leben im Tumult


  • Hans Magnus Enzensberger blickt zurück. In seinem neuen Buch "Tumult" erinnert er sich an seine ersten Reisen in die Sowjetunion, an die Kommune 1 und an Andreas Baader. 

Eitelkeit und Selbstverliebtheit haben in diesen Erinnerungen keinen Platz. Dafür stellt sich der Autor zu sehr selbst infrage. Es ist eine Spurensuche in eigener Sache, nachdem Enzensberger in einer Pappschachtel im Keller vergessene Briefe, Notizbücher und Fotos von damals gefunden hat. Der alte Enzensberger befragt gewissermaßen den jungen - nach dem Motto: "Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?" Enzensberger war kein Vorkämpfer der Studentenbewegung - das war gar nicht seine Generation. Aber er war doch dicht dran, an der APO und auch an der Kommune 1 zum Beispiel, die sich 1967 gegründet hatte. Zu den interessantesten Passagen gehört Enzensbergers Nachdenken über die RAF. Die RAF erschien ihm als "Gespensterarmee" und Andreas Baader als "abscheulich", schreibt er. Das Abgleiten in den Terrorismus sah er als Irrweg, mit dem er nichts zu tun haben wollte. 


"Tumult" ist eine ausgesprochen anregende Lektüre und liest sich auch wegen Enzensbergers Vorliebe für klare Sprache angenehm: keine Bandwurmsätze, keine Phrasen, keine Schnörkel. (dpa)


  • Hans Magnus Enzensberger: "Tumult", Suhrkamp, 285 Seiten, 21,95 Euro



© 2014 Neue Westfälische - Dienstag 11. November 2014

DARIO FO & PICASSO

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DARIO FO& PICASSO



Täuschend echt: Dario Fo mit seinem Bild "Falso Picasso Donna nuda con copricapo turco" aus dem Jahr 2012. Foto: dpa

Stuttgart - Geständnis eines Literaturnobelpreisträgers: Um Zwist mit den Erben von Pablo Picasso (1881-1973) aus dem Weg zu gehen, hat Dario Fo (88) persönlich und mit seiner Malschule rund 80 Werke des Spaniers gefälscht. Oder «nachempfunden», wie es Fos Frankfurter Galerist Peter Femfert nennt. Der Hintergrund: Fo suchte für sein Theater- und Buch-Projekt «Picasso desnudo» Werke des Altmeisters, jedoch habe Picassos Sohn «übertriebene Summen» für die Bildrechte gefordert, sagte Fo am Dienstag in Stuttgart. «Da habe ich mir gedacht: Dann mache ich eben falsche Picassos.»

Dario Fos mit «Falso Picasso» betitelte Gemälde sind bis Sonntag (16.11.) in Stuttgart zu sehen. Die Galerie Abtart gibt einen Einblick in das malerische Werk des Italieners, der 1997 als erster reiner Theaterautor den Literaturnobelpreis bekam. Gewürdigt wurde die politische und soziale Theaterarbeit des Dramaturgen, der ob seines politischen Engagements gerne auch als «Hofnarr» Italiens bezeichnet wird.

Dass Fo ein umfangreiches malerisches Werk schuf, ist in Deutschland wenig bekannt, obwohl die Theaterlegende seit 74 Jahren malt, wie Femfert berichtete. Das Schreiben und das Malen gehören für Dario Fo zusammen. «Ich kann nicht schreiben, wenn ich nicht gleichzeitig die Möglichkeit habe, zu zeichnen, zu malen», sagte der 88-Jährige. Nicht selten helfe das Malen ihm, eine Schreibkrise zu überwinden. An der Leinwand «legt sich dann offen, was ich eigentlich schreiben wollte».

Quelle

...und noch ein paar Beispiele aus dem Fo'schen Picasso-Oeuvre










Dario Fo blättert in seinem Picasso-Oeuvre - Fotos unten: Link







































  • Dario Fo in seinem Theaterstück „Zufälliger Tod eines Anarchisten“: „Wenn es keine Skandale gäbe, müsste man sie erfinden, weil sie ein unentbehrliches Mittel sind, die Macht der Mächtigen zu erhalten und den Unmut der Unterdrückten fehlzuleiten. […] Worauf es ankommt, ist der Skandal! […] Damit endlich auch das italienische Volk sozialdemokratisch wird, wie die Völker Englands, Nordamerikas, Deutschlands usw. …moderne Völker! Damit unsere Mitbürger endlich stolz sagen können: »Ja, wir waten bis zum Hals in der Scheiße, aber genau deshalb tragen wir den Kopf hoch erhoben!«“
  • Dario Fo anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1997 in Stockholm: „Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Phantasie, Intelligenz und das Gegenteil von Fanatismus. Ich bin nicht mit der Idee zum Theater gegangen, Hamlet zu spielen, sondern mit der Ansicht, ein Clown zu sein, ein Hanswurst.“
  • Im Nachwort zu „Der Teufel mit den Titten“: „Selbstverständlich ist jede Ähnlichkeit mit aktuellen Tagesereignissen gänzlich unbeabsichtigt; es ist ja bekannt, dass die Klassiker stets schamlos die Skandale und Persönlichkeiten der Chronik unserer Tage kopiert haben!“

Gedenkkultur: Namen sind kein Tabu (mehr) - Zum Volkstrauertag | impuls für die woche -153

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Ja - sagt dieser Gnom Rumpelstilzchen im Grimm-Märchen zu der Königstochter - wenn Du meinen Namen errätst - darfst Du dein Kind behalten ...
Wir erkennen schemenhaft in diesem Märchen bereits, welch eine Be-Deutung der persönliche Namen hat - mit einem Schlag sind wir bei einer Namensnennung "entpuppt" und identifiziert und es wird etwas "bekannt" - wir werden einmalig - unverwechselbar - wir tragen einen anderen Namen als vielleicht unser Zwillingsbruder - der uns sonst bis aufs I-Tüpfelchen gleicht ... Der Name ist ein machtvolles Merkmal. Er bestimmt unseren Personalausweis - er weist uns an er weist uns aus - ein Vermächtnis der Eltern (NOMEN EST OMEN) - er unterscheidet uns... macht einmalig ... - 

Und oft sehen wir im Getümmel ein bekanntes Gesicht - und wir grübeln: "Mensch, wie hieß die doch gleich" ... - Wer war das ... ??? - Und wir bekommen ein eigenartiges suchendes Gefühl - und erst dann, wenn uns dann der korrekte Name wieder eingefallen ist, wenn der uns wieder "präsent" ist, spüren wir direkt sogar eine körperliche Erleichterung ... Jemanden zu kennen, dessen Name uns nicht einfällt, macht unruhig und unsicher ... Manchmal ist es wie in diesem Rumpelstilzchen-Märchen: Der Name eines Wesens nimmt ihm die Unberechbarkeit, kennzeichnet ihn, macht ihn wieder auffindbar - und macht uns damit sicherer in unserer Orientierung ... 

Eingangsspruch Haus Patmos, Bethel
Und Gott hat uns in Jesaja 43,1 zugesagt: 
"ICH HABE DICH BEI DEINEM NAMEN GERUFEN - DU BIST MEIN...".

Dieser Spruch stand zu meiner Zeit dort eingemeißelt am Eingang des Hauses Patmos in Bethel, seinerzeit ein Wohnheim für schwerstmehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche, in dem ich damals fast 10 Jahre gearbeitet habe mit den zumeist schwer epilepsiekranken Kindern, die immer dann zu Einzelindividuen aufblühten, wenn wir uns ganz natürlich ihnen oft sprachlos zuwandten und uns auf ihre besondere und oft beglückende nonverbale Kommunkationsschiene einließen, wenn wir ihre Unverwechselbarkeiten lernten zu akzeptieren und zu differenzieren, wenn wir ihre Persönlichkeit achteten - und sie somit einzeln und unverwechselbar bei ihren Namen nannten ...

Wie uns alle hatte Gott natürlich auch diese Kinder gemeint, auch diese Kinder bei ihrem Namen gerufen ...

Bei Gott ist der Begriff der "Inklusion" nie ein Thema - erst durch unser Leistungsdenken und unsere Hybris wurde und wird immer wieder versucht, Menschen mit Schädigungen und Behinderungen auszugrenzen - wenn wir für ihre zweifellos ebenso vorhandenen Fähigkeiten keine Verwendung und kein Verständnis in unserer Gesellschaft entwickeln konnten und können - und ihre Besonderheiten nicht als kulturellen Zugewinn akzeptieren können. Mit einem Ausgrenzen - einer "Exklusion" - ging einher, dass Namen einfach vergessen wurden - und Individuen in der Anonymität verschwanden ...

In der Gedenkkultur zum 1. Weltkrieg und zum 2. Weltkrieg und dem Holocaust und den NS-"Euthanasie-Opfern" werden zwar oft fast unvorstellbare Opferzahlen skizziert, jedoch die Namen der Opfer werden auch von den Archiven und Forschungsinstituten gern ausgeblendet - angeblich "zum Schutz" der noch lebenden Familienmitglieder, die ja jahrhundertelang durch den Familiennamen verbunden bleiben ...: Der Name ist oft auch ein "Genealogischer Ahnenpass" - aber oft genug mit einer deutlichen Bevorzugung der "männlich-väterlichen Linie" ... - und dann ist es gar nicht mehr so weit bis zum Rassedenken und zur Eugenik ...  - und zur pränatalen Untersuchung, um möglichst pflegeleichten leistungsfähigen Nachwuchs zu züchten bzw. zu klonen ... - und die "Fehlbildungen", die oftmals erst späterhin die Einzigartigkeit des Individuums ausmachen können, rechtzeitig abzutöten ...


Stolperstein ERNA KRONSHAGE
in BI-Sennestadt
Mit der Legung der "Stolpersteine" durch den Künstler Gunter Demnig begann dann vor 10-15 Jahren ein allmähliches Umdenken in der Belastung durch Opfertod und Massenmord mittels schamhaften Verschweigen und mit dem Ausblenden der jüdischen und den eben nicht so industriell-kapitalistisch funktionierenden Vorfahren und Familienmitgliedern: Mit der Nennung der Namen und mit dem Beknntnis zur Verwandtschaft befreit sich aber auch der Verwandte und die Familie: In der Systemischen Familientherapie werden ja oft genug die kniffligen oft weit zurückliegenden Familiengeheimnisse aufs Tapet gebracht, die latent noch weiter still und oft krankmachend belasten - " bis ins 3. und 4. Glied" ... - erst nach einem oft rollenspielerischen "Durcharbeiten" der Vorfahren- und Familienbiographie mit all ihren Brüchen und Verfehlungen entlastet sich die "Schuld", das durchschleppende "schlechte Gewissen", die man meint immer noch in sich zu tragen ...

Gunter Demnig sagt aber auch deutlich, der Stolperstein sei kein hochstilisierter Ersatz-Grabstein - und ein alleinlaufender Hund dürfe ihn dann schon einmal beschmutzen und Schneereste können bis zur Schmelze auf ihm liegen, und das "Stolpern" geschehe durch Innehalten und der Kopf(ver)neigung beim Lesen und Buchstabieren des Opfernamens - und dem Wahrnehmen seines Schicksals ...: Die Namen einfach wieder in Alltag integrieren ...


Leucht-Namensband Gütersloh
Dieses "Offenlegen" der Klarnamen der Opfer setzt sich jetzt immer mehr durch: In Gütersloh in der LWL-Klinikkirche werden nun - nach 70 Jahren - die 1.017 Namen auf einem Leucht- und Namensband genannt, die von Gütersloh aus in Vernichtungskliniken deportiert wurden ... Jedes dieser Euthanasieopfer ist auf er- und be-leuchtenden, die Wände des inneren Kirchenschiffs umlaufenden Paneelen verzeichnet. Die Nennung der Namen - darunter auch meine Tante ERNA KRONSHAGE (zu einer Fülle von Infos dazu einfach den Namen googeln) - machen uns klar, dass wir eben nicht vor einer anonymen, unvorstellbar großen Menge stehen, sondern dass es Menschen aus unserer unmittelbaren Umgebung waren, die vernichtet wurden. Dieses Bewusstsein können nur lokale Orte des Gedenkens schaffen, und die die Namen veröffentlichen. Ein Großteil wurde in der Gaskammer von Hadamar, der zentralen Tötungsanstalt für die westfälischen Patienten, oder zum Beispiel in den Tötungsanstalten im besetzten Polen in Meseritz-Obrawalde oder Tiegenhof/Gnesen ermordet. Diese Menschen starben gezielt und planvoll durch Überdosen an Medikamenten, durch Hunger, Kälte und katastrophale hygienische Verhältnisse in den Durchgangs- und Zielanstalten. Neben diesem beeindruckenden Leucht- und Namensband - graphisch gestaltet vom Bielefelder Designer Mario Haase - komplettieren ein "Rundgang zur Klinikgeschichte" auf dem Friedhof und ein "Stein des Gedenkens" mit einer Inschriftplatte diese Verortungen des "Erinnerns und Gedenkens" - nun endlich - nach Jahren des würdelosen vornehmlichen Verschweigens ...


"Ring der Erinnerung" mit 580.000 Namen - Video-Still


Und in diesen Tagen entstand in Nordfrankreich ein Denkmal zum Ersten Weltkrieg mit den eingravierten Namen von 580.000 getöteten Soldaten, den sogenannten "Ring der Erinnerung" am Soldatenfriedhof Notre-Dame-de Lorette in der Nähe von Lens ... - also auch dort in hervorragender typographischer Gestaltung - die Namensnennung von bisher anonymen Gefallenen aus aller Herren Länder ...
"Ring der Erinnerung" mit 580.000 Namen - Video-Still






PLAYLIST: GEDENKKULTUR - NAMEN NENNEN ....




Vielleicht müssen auch wir hier - bei unserem Sterben - den Trend zum anonymen Urnengrab auf dem ungekennzeichneten grasbewachsenen Gräberfeld nochmal überdenken: aber Gottes Zuspruch bleibt auch für ein solches Grab ohne Namen bestehen: 

"ICH HABE DICH BEI DEINEM NAMEN GERUFEN - DU BIST MEIN...".



Efeu & Atomium

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 e-pfui - efeu - efeugeblüt
efeu: immergrün
ewig lebend - 
die blüte:
wie ein atomium
da pulsiert der saft
staccato-artig
wie honigpumpen
durch all das geäst
da tropfen die knöllchen
efeu-blüten
einmal und nie wieder ...
purzelbaum schlagend
e-pfui
efeu: nimmerrot
ewig lebend
phantastisch schön:
so anders - wie
von der anderen seite
des lebens ...
sinedi

ach - ich weiß onnich - warum ich bei einer efeublüte immer ans atomium denken muss ...


schachweltmeisterschaft: anand - carlsen - mord inbegriffen - rochade ...

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S!NEDi-art: Schach









ja - was denn:
das da - das ist
dieses gegenseitige belauern:
und immer ist - ist ein mord vorstellbar ...

das plötzliche blanklegen

der funkelnd scharfen stahlwaffen
das leichte knirschen dann - 
beim einstich: und dann - dann 
sickert - dann läuft - sprudelt 
dann pulsiert das blut - 
um den tatort zu bebildern ...

sowas nennt man "augenhöhe"
face to face
da ist neugier aufeinander
auf den nächsten zug
da ist der bann des blickes
und der blick des bannes
fixierung - aug um aug
zahn um zahn - 
ein allerletztes gefecht ...

ja - was spiegelt sich da

in der pupille des gegenübers
auf der feuchtigkeit der netzhaut
das leichte zittern
die handtranspiration
beim nächsten zug

wenn das rössl entgleitet

beim rösslsprung
die diagonale des läufers
zugestellt wird vom bauern
da rochiert dann der könig:

alle felder zwischen könig 

und turm müssen frei sein
um mit dem turm rechts 
von deinem könig zu rochieren
müssen der läufer und der springer 
auf dieser seite sich 
bereits wegbewegt haben
wenn du mit dem Turm links von deinem 
könig rochieren willst
müssen der läufer, der springer 
und die dame sich bewegt haben

und genauso wenig dürfen 

die felder von figuren 
deines gegenspielers besetzt sein
du kannst also nicht rochieren
um eine Figur zu schlagen ...

der könig darf momentan 

nicht im schach stehen 
und auch nicht während 
und nach der rochade

und wenn du früher im spiel 

im schach gestanden hättest, 
aber im moment nicht mehr, 
darfst du rochieren
wenn der turm angegriffen wird, 
darfst du trotzdem rochieren

sinedi 

- unter verwendung von einschlägiger schach-literatur


ja - was weiß ich denn ...







Rosetta kostet ...

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  • Die Aufnahme von Flüchtlingen ist teuer ...
  • Ebola kostet ...
  • Der doppelte Dienstsitz in Berlin und Bonn hat den Steuerzahler in den vergangenen 15 Jahren rund 350 Millionen Euro gekostet. Allein für leer stehende Liegenschaften in Berlin, die für Bundesbehörden in Frage kämen, gebe der Bund jährlich 2,8 Millionen Euro aus. In Bonn wiederum werden an Mietzahlungen für die obersten Bundesbehörden demnach 6,7 Millionen Euro jährlich fällig.
  • Die Bundeswehr ist marode ...
  • Jeden Tag hoppelt mein Auto über Schlaglöcher ... (um nur Einiges zu nennen ...)
Fotos von Steinen 455 Millionen km von der Erde entfernt. ...



VOLTAIRE & GOTT - GOTT & VOLTAIRE | impuls für die woche -154

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François Marie Arouet de Voltaire

Wenn Gott nicht existierte, müsste man ihn erfinden“


S!NEDi: DEO


Materialismus oder Gottesglaube?

Die Erkenntnis eines Gottes ist uns nicht von der Natur eingeprägt. Sonst hätten alle Menschen die gleiche Vorstellung; nun ist aber keine einzige Vorstellung mit uns geboren. Sie kommt uns nicht zu wie die Wahrnehmungen des Lichts, der Erde usw., die wir haben, sobald unsere Sinne und unser Verstand sich öffnen. Ist es ein philosophischer Gedanke? Nein. Die Menschen haben das Dasein von Göttern angenommen, ehe es Philosophen gab.

Woher stammt dann also dieser Gedanke? Aus dem Gefühl und aus der natürlichen Logik, die sich auch in den rohesten Menschen entwickelt, wenn sie älter werden. Man hat erstaunliche Wirkungen der Natur beobachtet, fruchtbare und unfruchtbare Zeiten, heitere und stürmische Tage, Wohltätiges und Plagen, und man hat einen Herrn gespürt. Man hat Häuptlinge gebraucht zur Leitung der menschlichen Gemeinschaften, und man hat das Bedürfnis gefühlt, Oberherren für diese neuen Oberherren anzunehmen, welche die menschliche Schwachheit über sich gesetzt hatte, Wesen, vor deren überlegener Gewalt auch die Menschen zittern müßten, die ihre Nebenmenschen in den Staub treten konnten. Und die ersten Herrscher ihrerseits haben sich ebenfalls dieser Begriffe bedient, um ihre Macht zu unterbauen. Auf diesen Wegen gelangte jede kleine Gemeinschaft zu ihrem Gott. Diese Begriffe waren noch ganz grob und roh; alles war ja grob und roh. Es ist durchaus natürlich, sich seine Gedanken zu bilden, indem man von Vergleichen ausgeht. Eine Gemeinschaft, die unter einem Häuptling stand, konnte nicht leugnen, daß die Gemeinschaft neben ihr auch einen Richter, einen Anführer im Krieg hatte; so konnte sie auch nicht leugnen, daß sie ebenfalls einen Gott hatte. Aber wie jeder Völkerschaft daran gelegen sein mußte, daß ihr Anführer mehr taugte, so mußte ihr daran gelegen sein zu glauben und so glaubte sie, daß ihr Gott der mächtigere sei. Daher stammen jene alten Fabeln, die so lange im Schwange waren, daß die Götter eines Volkes mit den Göttern eines anderen Volkes im Kampf liegen. So erklären sich die vielen Stellen in den hebräischen Büchern, die auf Schritt und Tritt die Überzeugung der Juden aufdecken, nach der ihnen feststand, daß die Götter ihrer Feinde existierten, daß aber der Judengott ihnen überlegen sei.

Mittlerweile gab es Priester, Magier, Philosophen in den Großstaaten, in denen die Fortschritte der Gesellschaft es ermöglichten, daß Menschen da waren, die sich mit einiger Muße der Gedankenforschung hingeben konnten.

Einige von diesen bildeten ihr Denkvermögen soweit aus, daß sie im Geheimen einen einzigen, allgemeinen Gott anerkannten. So betete man bei den alten Ägyptern zwar Osiri, Osiris oder Osireh an – der Name bedeutet: dieses Land gehört mir; sie beteten auch noch andere höhere Wesen an; und doch nahmen sie einen höchsten Gott an, ein einziges Grundwesen, das sie Kneph nannten und dessen Sinnbild eine Kugel über dem Giebel des Tempels war. Nach diesem Vorbild bekamen die Griechen ihren Zeus, ihren Jupiter, den Herrn der anderen Götter, die nichts anderes waren, als was die Engel bei den Babyloniern und bei den Hebräern sind oder die Heiligen bei den römisch-katholischen Christen.

Es ist eine Frage, die heikler ist, als man gemeinhin denkt, eine Frage, über die man noch durchaus nicht genügend nachgedacht hat, ob mehrere an Macht gleiche Götter nebeneinander bestehen können.

Wir haben keinerlei sachgemäßen Begriff von der Gottheit, wir schleppen uns nur fort von Mutmaßung zu Mutmaßung, von wahrscheinlichen Ansichten zu annehmbaren Ansichten. Die Zahl der sicheren Überzeugungen, zu denen wir gelangen, ist sehr gering. Es gibt etwas von Ewigkeit her; denn nichts stammt von nichts. Das ist eine sichere Wahrheit, auf die sich unser Geist verlassen kann. Jedes Werk, das uns Mittel und Zweck aufzeigt, kündigt einen Werkmeister an. Also offenbart uns dieses Weltall, das eine Zusammensetzung von Springfedern und Mitteln ist, deren jedes einem Zweck entspricht, einen höchst mächtigen, höchst verständigen Werkmeister. Das ist eine Wahrscheinlichkeit, die der höchsten Gewißheit nahekommt. Aber ist dieser höchste Baumeister unendlich groß? Ist er allgegenwärtig? Ist er an einem Ort? Wie sollen wir mit unserem beschränkten Verstand, mit unseren geringen Kenntnissen diese Frage beantworten?

Meine Vernunft allein für sich vermag mir zu beweisen, daß es ein Wesen gibt, das den Stoff dieser Welt gestaltet hat; aber meine Vernunft hat nicht die Kraft mir zu beweisen, daß es diesen Stoff geschaffen, daß es ihn aus dem Nichts gezogen hat. Alle Weisen des Altertums haben ohne jede Ausnahme den Stoff für ewig gehalten und als etwas angesehen, das aus sich selbst heraus besteht. Ohne die Hilfe einer übernatürlichen Erleuchtung kann ich also nicht weiter kommen als zu dem Glauben, daß der Gott dieser Welt auch ewig ist und aus sich selbst heraus besteht; Gott und der Stoff sind da kraft natürlicher Notwendigkeit. Sollten andere Götter, sollten andere Welten nicht auch da sein? Haben doch ganze Völker, hochgebildete Denkergemeinschaften das Dasein von zwei Göttern in dieser Welt angenommen, von denen der eine der Urquell des Guten, der andere der Urquell des Bösen sein sollte. Sie haben einen endlosen Kampf zwischen zwei gleichstarken Mächten angenommen. Gewiß liegt es eher in der Natur der Dinge, daß es im unendlichen Raum mehrere unabhängige Wesen gibt, die jedes in seinem Bezirk unbedingt herrschen, als daß es in dieser Welt zwei beschränkte, kraftlose Wesen gibt, von denen das eine nur das Gute, das andere nur das Böse hervorbringen kann. Wenn Gott und der Stoff von Ewigkeit her da sind, wie es der Glaube des Altertums war, so haben wir zwei notwendige Wesen; wenn es aber zwei notwendige Wesen gibt, so kann es deren auch dreißig geben. Schon diese Zweifel allein für sich, die auf unendlich viele weitere Gedankenmöglichkeiten hinführen, genügen, um uns von der Schwäche unserer Fassungskraft zu überzeugen. Wir müssen mit Cicero unsere Unwissenheit in Betreff des Wesens der Gottheit bekennen. Nie werden wir mehr wissen, als er wußte.

Mag uns die Schulgelehrsamkeit sagen, Gott sei negativ unendlich, aber nicht privativ; formaliter, aber nicht materialiler; er sei der erste, der mittlere und der letzte Actus, er sei überall, ohne irgendwo zu sein: hundert Seiten Erklärungsschriften über derartige Begriffsbestimmungen können uns nicht den geringsten Aufschluß geben. Es fehlt uns an Stufen, es fehlt uns an Stützpunkten, um uns zu der Höhe solcher Erkenntnisse zu erheben. 

Wir fühlen, wir sind in der Hand eines unsichtbaren Wesens; das ist alles; darüber hinaus können wir keinen Schritt vordringen. Es ist eine sinnlose Verwegenheit, wenn man erraten will, wer dieses Wesen ist, ob es ausgedehnt ist oder nicht, ob es an einem Ort existiert oder nicht, wie es existiert, wie es wirkt.

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S!NEDi: Voltaire-Pop|Art

Voltaire [vɔltɛːʀ] (eigentlich François-Marie Arouet [fʀɑ̃swa maʀi aʀwɛ], * 21. November 1694 in Paris; † 30. Mai 1778 ebenda) war einer der meistgelesenen und einflussreichsten Autoren der französischen und europäischen Aufklärung.

In Frankreich nennt man das 18. Jahrhundert auch „das Jahrhundert Voltaires“ (le siècle de Voltaire). Als Lyriker, Dramatiker und Epiker schrieb er in erster Linie für ein Publikum gebildeter Franzosen, als Erzähler und Philosoph für die gesamte europäische Oberschicht im Zeitalter der Aufklärung, deren Mitglieder für gewöhnlich die französische Sprache beherrschten und französische Werke zum Teil im Original lasen. Viele seiner Werke erlebten in rascher Folge mehrere Auflagen und wurden häufig auch umgehend in andere europäische Sprachen übersetzt. Voltaire verfügte über hervorragende Kenntnisse der englischen und der italienischen Sprache und veröffentlichte darin auch einige Texte. Er verbrachte einen beträchtlichen Teil seines Lebens außerhalb Frankreichs und kannte die Niederlande, England, Deutschland und die Schweiz aus eigener Erfahrung.

Mit seiner Kritik an den Missständen des Absolutismus und der Feudalherrschaft sowie am weltanschaulichen Monopol der katholischen Kirche war Voltaire ein Vordenker der Aufklärung und ein wichtiger Wegbereiter der Französischen Revolution. In der Darstellung und Verteidigung dessen, was er für richtig hielt, zeigte er ein umfangreiches Wissen und Einfühlungsvermögen in die Vorstellungen seiner zeitgenössischen Leser. Sein präziser und allgemein verständlicher Stil, sein oft sarkastischer Witz und seine Kunst der Ironie gelten oft als unübertroffen.

Voltaire war einer der bedeutendsten Kirchenkritiker des 18. Jahrhunderts. Dies brachte ihm früh die Missbilligung der katholischen Kirche ein, die ihn als Atheisten brandmarkte und seine Schriften verbot.
Die von Voltaire restaurierte Schlosskapelle, die einzige 
Kirche in Frankreich, die GOTT direkt gewidmet 
ist: Deo erexit VOLTAIRE - „ VOLTAIRE“ ist dabei in 
größeren Buchstaben angebracht als „Gott“. Eine Metallgabel 
verschließt die Kirche. Seitdem der Staat 1999 das Anwesen 
erwarb, befindet sich die Kirche im Dornröschenschlaf, wartet 
auf den Kuss - die Restaurierung  - (nach einem Foto: 
Freunde der Stadtbücherei Haltern am See e.V.: Begegnung 
mit Voltaire von Eva Masthoff- privat)
Voltaire durfte es nicht wagen, das kleine Kirchlein in seinem Schlosspark in Ferney, das einer geplanten zentralen Zufahrtstasse im Wege stand, abreißen oder versetzen lassen. Voltaire renovierte diese Kirche und widmete sie Gott selbst "Deo erexit Voltaire", 1761 („Für Gott erbaut von Voltaire“) - die einzige Kirche in ganz Frankreich, die Gott - es muss nicht der christliche sein - direkt gewidmet  wurde und nicht einem später ernannten menschlichen Stellvertreter. Und Voltaire wehrte sich stets gegen den Vorwurf des Atheismus. Bei aller Distanz zu den überkommenen Religionen vertrat er eine Haltung, die der deistischen Position verwandt war, das heißt einen toleranten und undogmatischen und von archaischen Vorstellungen befreiten Monotheismus. So folgerte er aus der Gesetzmäßigkeit des Kosmos die Existenz einer höchsten Intelligenz (Traité de métaphysique, 1735) und betonte die moralische Nützlichkeit des Glaubens an Gott: „Wenn Gott nicht existierte, müsste man ihn erfinden“ (in Épitre à l’auteur du livre des trois imposteurs, 1770). Ohne jeden dogmatischen Anspruch bejahte Voltaire auch die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit des Willens.

An der katholischen Kirche und ihrer Verquickung mit der weltlichen Macht übte er schärfste Kritik. Viele seiner späteren Briefe beschloss er mit der berühmt gewordenen Parole Écrasez l’infâme! (wörtlich: „Zermalmt die Niederträchtige!“), was in der Regel auf die Kirche als Institution bezogen wird. Einer anderen Lesart zufolge war mit l’infâme der von Voltaire oft gegeißelte Aberglaube (l’infâme superstition) gemeint. Im Jahr 1768 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Corbera das Pamphlet Epître aux Romains, das zum Widerstand gegen den Papst aufruft.

Voltaire wünschte sich ein kirchliches Begräbnis, doch verweigerte er auf dem Totenbett die Kommunion ebenso wie den von der Kirche verlangten Widerruf seiner Schriften. Auch von seiner Verneinung der Gottessohnschaft Jesu rückte er nicht ab.



Texte aus: Voltaire | Kleine philosophische Aufsätze - Kapitel 2  und WIKIPEDIA



Umarmung im Tod | Meine Slide-Show zum Totensonntag | Das eindrückliche Foto von Taslima Akhter

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Zum Totensonntag kommt meine SL!DE-SHOW nicht zu spät:

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Berühmtes Foto von Taslima Akhter: Das Gefühl, sie zu kennen - ihnen schon mal begegnet zu sein ...




Mehr als 1100 Menschen sterben, als am 24. April 2013 ein Fabrikgebäude in Bangladesch einstürzt. Ein Bild von den Opfern geht um die Welt: ein Paar, bis zur Hüfte begraben in Trümmern, das sich im Tod umarmt. Wer waren diese zwei Menschen? Ein Gespräch mit der Fotografin Taslima Akhter.

Dhaka/Islamabad - Es ist laut auf den Straßen von Dhaka, Autos hupen, Händler brüllen, Fahrräder klingeln. Taslima Akhter versucht, in diesem Höllenlärm zu telefonieren. Ständig klingelt ihr Telefon, Fernsehsender, Zeitungen, Online-Redaktionen aus aller Welt sind dran, oft auch Menschen, die einfach nur wissen wollen, wie sie helfen können.

Ein Foto hat Taslima Akhter berühmt gemacht: jenes Bild, das ein totes Paar in den Trümmern der eingestürzten Fabrik von Savar am Stadtrand von Bangladesch zeigt. Zwei Menschen, die sich im Tod umarmen. Ein gespenstisch-schönes Bild, das sagt: Wir sind Menschen, die in diesen Fabriken arbeiten und die Kleidung für euch herstellen, keine Maschinen, keine gesichtslosen Arbeiterinnen und Arbeiter, keine Nummern.

Akhter hat versucht herauszufinden, wer diese beiden sind. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE berichtet sie von ihren Erlebnissen und was sie bewegt.

SPIEGEL ONLINE: Frau Akhter, wie ist dieses Bild entstanden?

Akhter: Als ich am Morgen des 24. April von dem Einsturz hörte, bin ich sofort nach Savar gefahren. Ich bin Aktivistin und setze mich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Näherinnen in Bangladesch ein. Es war entsetzlich, überall diese Toten und Verletzten zwischen Trümmern und Schutt. Ich versuchte zu helfen und machte Bilder, viele Stunden lang. Stunden später, gegen 2 Uhr morgens, sah ich dieses Paar, das sich umarmt. Mich überkamen Trauer und Entsetzen, ich empfand auch Zuneigung für die beiden und hatte das Gefühl, sie zu kennen, ihnen schon mal begegnet zu sein.

SPIEGEL ONLINE: Wer sind die beiden?

Akhter: Ich weiß es leider nicht. Dreieinhalb Wochen nach dem Unglück habe ich es immer noch nicht herausgefunden. Ich habe alle möglichen Leute gefragt, Rettungskräfte, Polizisten, das Personal in den Krankenhäusern. Ich habe ihnen das Bild gezeigt und gefragt: Kennt ihr sie? Immer schüttelten die Leute die Köpfe. Manche reagierten auch verärgert. 'Warum interessieren dich diese zwei? Da sind so viele Menschen gestorben, warum findest du diese zwei so besonders?'

SPIEGEL ONLINE: Suchen Sie trotzdem weiter?

Akhter: Im Moment nicht. Mir geht es nicht gut, psychisch wie körperlich. Diese Katastrophe hat auch bei mir Spuren hinterlassen. Manchmal möchte ich gar nicht über dieses Foto sprechen und mich am liebsten für ein paar Tage zurückziehen und nachdenken. Aber das geht natürlich nicht. Ich muss jetzt so viel tun, die ganze Welt interessiert sich endlich für das Schicksal der Arbeiterinnen in Bangladesch. Wenn ein bisschen Zeit vergangen ist, werde ich die Suche nach ihnen fortsetzen. Ich glaube aber nicht, dass das erfolgreich sein wird.

SPIEGEL ONLINE: Sie könnten Aushänge machen oder eine überregionale Zeitung um Hilfe bitten.

Akhter: Es sind so viele hundert Leichen aus den Trümmern geborgen und anschließend begraben worden, ohne dass ihre Identität geklärt wurde. So ist das eben. Viele Arbeiterinnen kommen vom Land, ihre Angehörigen wissen überhaupt nicht, wo sie arbeiten. Vielleicht werden sich die Familien erst in ein paar Monaten oder auch Jahren wundern, warum sie nichts mehr von ihrer Tochter oder Schwester hören. Bei dem Paar kann es sich um Eheleute handeln, die in derselben Firma arbeiteten, vielleicht auch um eine Beziehung zwischen Kollegen, von der die Familien nichts wusste. Vielleicht ist es deshalb auch gut, sie in Ruhe zu lassen.

SPIEGEL ONLINE: In den sozialen Medien wurde Ihr Bild viel gelobt, aber auch kritisiert, weil es den Toten sehr nah kommt und sie weltweit sichtbar macht. Trifft Sie diese Kritik?

Akhter: Ja, sehr. Da sind mehr als 1100 Menschen gestorben. Menschen, die sich zu Tode gearbeitet haben, die ausgebeutet wurden. Kein Mensch interessiert sich für sie, aber sie sollen gefälligst für die ganze Welt unter schlimmen Bedingungen Kleidung herstellen. Jetzt soll die Welt hinschauen! Sie soll das Leid sehen! Was ist das für eine grausame Gesellschaft, die verlangt, sie wolle das nicht gezeigt bekommen? Das waren Menschen mit Gefühlen und Träumen. Manche schreiben im Internet, das Bild würde sie verfolgen. Ja, es verfolgt mich auch.

SPIEGEL ONLINE: Ahnten Sie, als Sie auf den Auslöser drückten, dass Sie gerade das Foto machen, das zur Ikone für dieses Unglück werden würde?

Akhter: Überhaupt nicht. Ich bin keine Fotojournalistin, ich will mit meinen Bildern auch kein Geld verdienen. Die Einnahmen für dieses Foto spende ich, um den Näherinnen zu helfen. Ich fotografiere also nicht für Medien, sondern nutze Fotografie als politisches Instrument, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Als im November eine Textilfabrik nahe Dhaka brannte, war ich auch dort und habe fotografiert.

SPIEGEL ONLINE: Wie wurde dieses Bild von der letzten Umarmung zweier Menschen weltbekannt?

Akhter: Ich habe es auf meiner Facebook-Seite hochgeladen, zusammen mit anderen Bildern. Da haben Leute es geteilt, immer mehr Menschen wurden darauf aufmerksam. Irgendwann riefen die ersten Redaktionen an.

SPIEGEL ONLINE: Dann hat das Bild ja bewirkt, was Sie wollen: die Aufmerksamkeit auf die Situation der Arbeiterinnen in Bangladesch zu lenken.

Akhter: Ich befürchte, dass die Menschen aus der Katastrophe die falschen Schlüsse ziehen. Wir wollen nicht, dass Kleidung aus Bangladesch boykottiert wird und dass Fabriken geschlossen werden. Manche Fabrikbesitzer und auch unsere Regierung tun so, als seien wir Aktivisten und Arbeiterinnen gegen die Textilindustrie, als wollten wir sie zerstören. Aber im Gegenteil, wir sind für Industrialisierung. Da sind wir einer Meinung, auch die Gewerkschaften. Aber wir verlangen, dass die Sicherheitsstandards und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Derzeit bekommt eine Arbeiterin umgerechnet etwa 40 Euro im Monat. Das reicht nicht, um zu überleben.

SPIEGEL ONLINE: Sie geben also den Fabrikanten und der Regierung von Bangladesch die Schuld an der Misere?

Akhter: Nicht nur. Das ist kein lokales Problem, sondern ein internationales. Die westlichen Textil- und Handelskonzerne kaufen zu Preisen, die viel zu niedrig sind. Sie scheren sich nicht um die Arbeitsbedingungen und um die Sicherheit der Menschen. Fabrikbesitzer, unsere Regierung und internationale Käufer sind gleichermaßen verantwortlich. Seit fünf Jahren versuche ich, das mit meinen Bildern zu zeigen.

Das Interview führte Hasnain Kazim.

Erstveröffentlichung des Interviews in diesem Blog am 17.05.2013 ...

Boat-People: Auf auf - zum fröhlichen Jagen ... - Wie man Flüchtlinge "aufgreift" ....

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Mittelmeer
Binnen 96 Stunden mehr als 1000 Flüchtlinge aufgegriffen*)

Mehr als 700 Flüchtlinge vor der italienischen Küste, knapp 300 vor der Küste Nordzyperns: Die vergangenen Stunden zeigen, wie bedeutend die Seenotrettung im Mittelmeer ist. Gerade dort will die europäische Politik aber sparen.



REUTERS /Guardia Costiera





Rom/ Nikosia - Die Küstenwache hat vor Nordzypern rund 300 Menschen geborgen, auf dem in Seenot geratenen Schiff drängten sich viele Frauen und Kinder. Die mutmaßlich aus Syrien stammenden Migranten seien am Sonntag in eine Sporthalle der Küstenstadt Girne gebracht und medizinisch untersucht worden, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu.

Jedes Jahr versuchen Tausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika, über das Mittelmeer in die Europäische Union zu gelangen. Insgesamt mussten Helfer in den vergangenen Tagen mehr als 1000 Bootsflüchtlinge retten, die im Mittelmeer in Seenot geraten waren. Dabei hat Italien die Seenottettungs-Programme aus Kostengründen eingeschränkt.

Laut der Nachrichtenagentur Anadolu war in der Nacht zum Sonntag ein Notruf vor der Küste Nordzyperns abgesetzt worden. Schlechtes Wetter hatte die Rettung behindert, das Schiff trieb stundenlang im aufgewühlten Meer umher. Einer der Flüchtlinge erzählte anschließend, Menschenschmuggler hätten den Migranten versprochen, sie nach Italien zu bringen. Jeder habe dafür umgerechnet rund 5000 Euro gezahlt.

Zwei Schwangere auf einem der Boote

Zuvor hatte die italienische Küstewache zwischen Donnerstagnacht und Freitag bereits 520 Menschen von fünf verschiedenen Booten geborgen, wie die Behörde mitteilte. Weitere 78 Menschen seien von einem Handelsschiff aufgenommen worden. Die Flüchtlinge hatten versucht, die italienische Küste zu erreichen und auf hoher See mit Satellitentelefonen Notrufe abgesetzt.

Sie wurden in den sizilianischen Hafen Porto Empedocle gebracht. Unter den Geretteten sollen sich sechs Schwangere sowie zwei Kinder befinden. Anschließend eilte die Küstenwache einem Handelsschiff zu Hilfe, das rund 110 Kilometer nördlich der libyschen Hauptstadt Tripolis weitere 93 Menschen aufgefasst hatte. Am Samstag rettete die italienische Marine schließlich 98 Menschen, darunter neun Kinder.
Hilfsprogramm für Italien zu teuer

Die vergangenen Stunden zeigen, welche Bedeutung die Seenotrettung im Mittelmeer für die Leben tausender Menschen hat. Dennoch hat die italienische Regierung Anfang des Monats verkündet, aus Kostengründen die "Mare nostrum"-Mission zu beenden. Diese war gestartet, nachdem vor einem Jahr kurz vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa ein Schiff mit 545 Menschen an Bord gesunken war. Mehr als 300 der Flüchtlinge ertranken.

Seitdem wurden mithilfe der Mission mehr als 100.000 Menschen vor der Küste Italiens aus der Seenot befreit - und mehr als 140 Millionen Euro investiert. Statt allein Italien zu belasten, soll jetzt eine europäische Gemeinschaftsaktion die "Mare nostrum"-Mission ersetzen. Geplant sind allerdings nur ein Drittel der bisherigen Aufwendungen. Sie soll nicht mehr der sicheren Überfahrt von Flüchtlingen gewidmet sein, sondern vornehmlich der "Identitätsermittlung" und der "Rückkehrpolitik" dienen.

irb/AP/dpa/Reuters/SPIEGEL-ONLINE


*)Also - da stolpere ich doch über diese SPIEGEL-Überschrift oben, in der das Wörtchen "aufgegriffen" verwendet wird: "Aufgegriffen" - das klingt nach "ertappt", nach "festgenommen", ... "wurden die Flüchtigen aufgegriffen" ...
Da schippern im Mittelmeer 1000 Menschen umher - auf Schlepper-Booten - um oft in Seenot und unter Lebensgefahr das "gelobte Land uropa" zu erreichen ...
Und anstatt wir sie nachbarschaftlich-freundlich empfangen - und sie Willkommen heißen, "greifen" wir sie lieber auf - und entledigen uns ihrer schnurstracks, so gut es geht .......

Papst Franziskus: €€€€€€uropa - und der IS ...

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Papst Franziskus:
Man darf nie die Tür verschließen ...Der IS schockiert die Welt mit Gräueltaten, Papst Franziskus sagt dennoch: "Man darf nie die Tür verschließen." Kritik übt er an "Staatsterrorismus, der vorgibt, gegen Terrorismus vorzugehen".


Rom - Es ist ein überraschender Vorstoß: Papst Franziskus hält Gespräche mit Terrormilizen wie dem "Islamischen Staat" (IS) trotz deren Bluttaten für möglich. 

"Ich gehe immer davon aus, dass man nie aufgeben soll. Vielleicht kann man in der Tat keinen Dialog führen, aber dennoch darf man nie die Tür zum Gespräch verschließen", sagte der Argentinier laut Radio Vatikan während seines Rückflugs aus Straßburg. 

Dort hatte er vor dem Europaparlament und dem Europarat gesprochen.

Terrorismus stellt nach den Worten von Franziskus eine Bedrohung dar und muss bekämpft und vor allem gestoppt werden. Dafür sei ein internationaler Konsens nötig, forderte Franziskus. Im August hatte der Pontifex erklärt, er halte das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen den IS für berechtigt.

Der 77-Jährige mahnte nun: 
"Die Bedrohung der Terroristen ist aber genauso schlimm wie der Staatsterrorismus, der vorgibt, gegen Terroristen vorzugehen. Das Resultat ist immer Gewalt." 

Zudem rief das Oberhaupt der katholischen Kirche dazu auf, die Augen vor "Tragödien" wie Menschenhandel oder Sklaverei nicht zu verschließen.

Am Vormittag hatte Papst Franziskus in einer Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg zu einer Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte Europas aufgerufen und vor einer Bedrohung des Friedens durch eine "Kultur des Konflikts" gewarnt. Europa müsse den Menschen in den Mittelpunkt seines Handels stellen, sagte der aus Argentinien stammende Papst. Zugleich forderte er die EU-Staaten zu einer gemeinsamen und solidarischen Flüchtlingspolitik auf. Es sei nicht hinzunehmen, "dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird".

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Herr Präsident, meine Damen und Herren Vizepräsidenten, verehrte Europaabgeordnete und alle, die in den verschiedenen Arbeitsbereichen dieser Einrichtung tätig sind, liebe Freunde,

ich danke Ihnen für die Einladung, vor dieser Institution, die für das Leben der Europäischen Union grundlegend ist, das Wort zu ergreifen, und für die Gelegenheit, die Sie mir bieten, mich über Sie an die über fünfhundert Millionen Bürger zu wenden, die Sie in den 28 Mitgliedsstaaten vertreten. Meinen besonderen Dank möchte ich Ihnen, Herr Parlamentspräsident, ausdrücken für die freundlichen Worte, mit denen Sie mich im Namen aller Mitglieder der Versammlung willkommen geheißen haben.

Mein Besuch findet in einem zeitlichen Abstand von mehr als einem viertel Jahrhundert nach dem von Papst Johannes Paul II. statt. Vieles hat sich seit jenen Tagen in Europa und in der ganzen Welt verändert. Es existieren nicht mehr die gegensätzlichen Blöcke, die damals den Kontinent in zwei Teile teilten, und langsam erfüllt sich der Wunsch, dass "Europa sich souverän freie Institutionen gibt und eines Tages sich in die Dimensionen entfalten kann, die die Geografie und mehr noch die Geschichte ihm gegeben haben".
Neben einer weiträumigeren Europäischen Union gibt es auch eine Welt, die komplexer geworden und stark in Bewegung ist. Eine Welt, die immer stärker vernetzt und global und daher auch immer weniger "eurozentrisch" ist. Einer ausgedehnteren, einflussreicheren Union scheint sich jedoch das Bild eines etwas gealterten und erdrückten Europas zuzugesellen, das dazu neigt, sich in einem Kontext, der es oft nüchtern, misstrauisch und manchmal sogar argwöhnisch betrachtet, weniger als Protagonist zu fühlen.

Indem ich mich heute an Sie wende, möchte ich aufgrund meiner Berufung zum Hirten an alle europäischen Bürger eine Botschaft der Hoffnung und der Ermutigung richten.

Eine Botschaft der Hoffnung, die auf der Zuversicht beruht, dass die Schwierigkeiten zu machtvollen Förderern der Einheit werden können, um alle Ängste zu überwinden, die Europa - gemeinsam mit der ganzen Welt - durchlebt. Eine Hoffnung auf den Herrn, der das Böse in Gutes und den Tod in Leben verwandelt.

Eine Ermutigung, zur festen Überzeugung der Gründungsväter der europäischen Union zurückzukehren, die sich eine Zukunft wünschten, die auf der Fähigkeit basiert, gemeinsam zu arbeiten, um die Teilungen zu überwinden und den Frieden und die Gemeinschaft unter allen Völkern des Kontinentes zu fördern. Im Mittelpunkt dieses ehrgeizigen politischen Planes stand das Vertrauen auf den Menschen, und zwar weniger als Bürger und auch nicht als wirtschaftliches Subjekt, sondern auf den Menschen als eine mit transzendenter Würde begabte Person.

Es liegt mir vor allem daran, die enge Verbindung hervorzuheben, die zwischen diesen beiden Worten besteht: "Würde" und "transzendent".

Die "Würde" ist ein Schlüsselwort, das den Aufschwung der zweiten Nachkriegszeit charakterisiert hat. Unsere jüngere Geschichte zeichnet sich dadurch aus, dass die Förderung der Menschenwürde zweifellos ein zentrales Anliegen war gegen die vielfältige Gewalt und die Diskriminierungen, an denen es im Laufe der Jahrhunderte auch in Europa nicht gefehlt hat. Das Wahrnehmungsvermögen für die Bedeutung der Menschenrechte entsteht gerade als Ergebnis eines langen, auch aus mannigfachen Leiden und Opfern bestehenden Weges, der dazu beigetragen hat, das Bewusstsein für die Kostbarkeit, Einzigkeit und Unwiederholbarkeit jedes einzelnen Menschen heranzubilden. Dieses kulturelle Bewusstsein hat seine Grundlage nicht nur in den Ereignissen der Geschichte, sondern vor allem im europäischen Denken, das gekennzeichnet ist durch ein reichhaltiges Zusammenfließen, dessen vielfältige, weit zurückliegende Quellgründe"aus Griechenland und aus Rom, aus keltischem, germanischem und slawischem Boden und aus dem Christentum [stammen], das sie tief geprägt hat"und so zu der Idee der "Person" führte.

Heute spielt die Förderung der Menschenrechte eine zentrale Rolle im Engagement der Europäischen Union, mit dem Ziel, die Würde der Person zu stützen, sowohl innerhalb Europas als auch in der Beziehung zu den anderen Ländern. Es handelt sich um ein wichtiges und bewundernswertes Engagement, denn es bestehen immer noch zu viele Situationen, in denen Menschen wie Objekte behandelt werden, deren Empfängnis, Gestaltung und Brauchbarkeit man programmieren und sie dann wegwerfen kann, wenn sie nicht mehr nützlich sind, weil sie schwach, krank oder alt geworden sind.

In der Tat, welche Würde besteht, wenn die Möglichkeit fehlt, frei die eigene Meinung zu äußern oder ohne Zwang den eigenen Glauben zu bekennen? Welche Würde ist möglich ohne einen klaren juristischen Rahmen, der die Gewaltherrschaft begrenzt und das Gesetz über die Tyrannei der Macht siegen lässt? Welche Würde kann jemals ein Mensch haben, der zum Gegenstand von Diskriminierung aller Art gemacht wird? Welche Würde soll jemals einer finden, der keine Nahrung bzw. das Allernotwendigste zum Leben hat und - schlimmer noch - dem die Arbeit fehlt, die ihm Würde verleiht?

Die Würde des Menschen zu fördern, bedeutet anzuerkennen, dass er unveräußerliche Rechte besitzt, deren er nicht nach Belieben und noch weniger zugunsten wirtschaftlicher Interessen von irgendjemandem beraubt werden kann.

Man muss aber Acht geben, nicht Missverständnissen zu verfallen, die aus einem falschen Verständnis des Begriffes Menschenrechte und deren widersinnigem Gebrauch hervorgehen. Es gibt nämlich heute die Tendenz zu einer immer weiter reichenden Beanspruchung der individuellen - ich bin versucht zu sagen: individualistischen - Rechte, hinter der sich ein aus jedem sozialen und anthropologischen Zusammenhang herausgelöstes Bild des Menschen verbirgt, der gleichsam als "Monade" () zunehmend unsensibel wird für die anderen "Monaden" in seiner Umgebung. Mit der Vorstellung des Rechtes scheint die ebenso wesentliche und ergänzende der Pflicht nicht mehr verbunden zu sein, so dass man schließlich die Rechte des Einzelnen behauptet, ohne zu berücksichtigen, dass jeder Mensch in einen sozialen Kontext eingebunden ist, in dem seine Rechte und Pflichten mit denen der anderen und zum Gemeinwohl der Gesellschaft selbst verknüpft sind.

Ich meine daher, dass es überaus wichtig ist, heute eine Kultur der Menschenrechte zu vertiefen, die weise die individuelle, oder besser die persönliche Dimension mit der des Gemeinwohls - mit jenem ""Wir alle", das aus Einzelnen, Familien und kleineren Gruppen gebildet wird, die sich zu einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen" - zu verbinden versteht. Wenn nämlich das Recht eines jeden nicht harmonisch auf das größere Wohl hin ausgerichtet ist, wird es schließlich als unbegrenzt aufgefasst und damit zur Quelle von Konflikten und Gewalt.

Von der transzendenten Würde des Menschen zu sprechen, bedeutet also, sich auf seine Natur zu berufen, auf seine angeborene Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden, auf jenen "Kompass", der in unsere Herzen eingeschrieben ist und den Gott dem geschaffenen Universum eingeprägt hat. Vor allem bedeutet es, den Menschen nicht als ein Absolutes zu betrachten, sondern als ein relationales Wesen. Eine der Krankheiten, die ich heute in Europa am meisten verbreitet sehe, ist die besondere Einsamkeit dessen, der keine Bindungen hat. Das wird speziell sichtbar bei den alten Menschen, die oft ihrem Schicksal überlassen sind, wie auch bei den Jugendlichen, die keine Bezugspunkte und keine Zukunfts-Chancen haben; es wird sichtbar bei den vielen Armen, die unsere Städte bevölkern; es wird sichtbar in dem verlorenen Blick der Migranten, die hierhergekommen sind, auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Diese Einsamkeit ist dann durch die Wirtschaftskrise verschärft worden, deren Wirkungen noch andauern mit Konsequenzen, die unter gesellschaftlichem Gesichtspunkt dramatisch sind. Zudem kann man feststellen, dass im Laufe der letzten Jahre mit dem Prozess der Erweiterung der Europäischen Union eine Steigerung des Misstrauens der Bürger gegenüber Institutionen einhergeht, die als fern betrachtet werden, damit beschäftigt, Regeln aufzustellen, die als weitab von der Sensibilität der einzelnen Völker, wenn nicht sogar als schädlich wahrgenommen werden. Von mehreren Seiten aus gewinnt man den Gesamteindruck der Müdigkeit, der Alterung, die Impression eines Europas, das Großmutter und nicht mehr fruchtbar und lebendig ist. Demnach scheinen die großen Ideale, die Europa inspiriert haben, ihre Anziehungskraft verloren zu haben zugunsten von bürokratischen Verwaltungsapparaten seiner Institutionen.



Dazu kommen einige etwas egoistische Lebensstile, die durch einen mittlerweile unhaltbaren Überfluss gekennzeichnet und oft ihrer Umgebung, vor allem den Ärmsten gegenüber gleichgültig sind. Mit Bedauern ist festzustellen, dass im Mittelpunkt der politischen Debatte technische und wirtschaftliche Fragen vorherrschen auf Kosten einer authentischen anthropologischen Orientierung. Der Mensch ist in Gefahr, zu einem bloßen Räderwerk in einem Mechanismus herabgewürdigt zu werden, der ihn nach dem Maß eines zu gebrauchenden Konsumgutes behandelt, so dass er - wie wir leider oft beobachten - wenn das Leben diesem Mechanismus nicht mehr zweckdienlich ist, ohne viel Bedenken ausgesondert wird, wie im Fall der Kranken, der Kranken im Endstadium, der verlassenen Alten ohne Pflege oder der Kinder, die vor der Geburt getötet werden.

Es ist das große Missverständnis, das geschieht, "wenn sich die Verabsolutierung der Technik durchsetzt", die schließlich zu einer "Verwechslung von Zielen und Mitteln" führt. Das ist ein unvermeidliches Ergebnis der "Wegwerf-Kultur" und des "hemmungslosen Konsumismus". Dagegen bedeutet die Menschenwürde zu behaupten, die Kostbarkeit des menschlichen Lebens zu erkennen, das uns unentgeltlich geschenkt ist und deshalb nicht Gegenstand von Tausch oder Verkauf sein kann. Sie sind in Ihrer Berufung als Parlamentarier auch zu einer großen Aufgabe ausersehen, die vielleicht unnütz erscheinen mag: sich der Gebrechlichkeit anzunehmen, der Gebrechlichkeit der Völker und der einzelnen Menschen. Sich der Gebrechlichkeit anzunehmen bedeutet Kraft und Zärtlichkeit, bedeutet Kampf und Fruchtbarkeit inmitten eines funktionellen und privatistischen Modells, das unweigerlich zur "Wegwerf-Kultur" führt. Sich der Gebrechlichkeit der Menschen und der Völker anzunehmen bedeutet, das Gedächtnis und die Hoffnung zu bewahren; es bedeutet, die Gegenwart in ihrer nebensächlichsten und am meisten beängstigenden Situation auf sich zu nehmen und fähig zu sein, sie mit Würde zu salben.

Wie kann man also der Zukunft wieder Hoffnung verleihen, so dass - angefangen bei den jungen Generationen - das Vertrauen wiedergewonnen wird, das große Ideal eines vereinten und friedvollen, kreativen und unternehmungsfreudigen Europas zu verfolgen, das die Rechte achtet und sich der eigenen Pflichten bewusst ist?

Um diese Frage zu beantworten, gestatten Sie mir, auf ein Bild zurückzugreifen. Eine der berühmtesten Fresken Raffaels im Vatikan stellt die sogenannte Schule von Athen dar. In ihrem Mittelpunkt stehen Platon und Aristoteles. Der erste deutet mit dem Finger nach oben, zur Welt der Ideen, zum Himmel, könnten wir sagen; der zweite streckt die Hand nach vorne, auf den Betrachter zu, zur Erde, der konkreten Wirklichkeit. Das scheint mir ein Bild zu sein, das Europa und seine Geschichte gut beschreibt, die aus der fortwährenden Begegnung zwischen Himmel und Erde besteht, wobei der Himmel die Öffnung zum Transzendenten, zu Gott beschreibt, die den europäischen Menschen immer gekennzeichnet hat, und die Erde seine praktische und konkrete Fähigkeit darstellt, die Situationen und Probleme anzugehen.

Die Zukunft Europas hängt von der Wiederentdeckung der lebendigen und untrennbaren Verknüpfung dieser beiden Elemente ab. Ein Europa, das nicht mehr fähig ist, sich der transzendenten Dimension des Lebens zu öffnen, ist ein Europa, das in Gefahr gerät, allmählich seine Seele zu verlieren und auch jenen "humanistischen Geist", den es doch liebt und verteidigt.

Gerade ausgehend von der Notwendigkeit einer Öffnung zum Transzendenten möchte ich die Zentralität des Menschen bekräftigen, der andernfalls zum Spielball der Moden und der jeweiligen Mächte wird. In diesem Sinne halte ich nicht nur das Erbe, welches das Christentum in der Vergangenheit der soziokulturellen Gestaltung des Kontinentes überlassen hat, für grundlegend, sondern vor allem den Beitrag, den es heute und in der Zukunft zu dessen Wachstum zu leisten gedenkt. Dieser Beitrag stellt nicht eine Gefahr für die Laizität der Staaten und für die Unabhängigkeit der Einrichtungen der Union dar, sondern eine Bereicherung. Das zeigen uns die Ideale, die Europa von Anfang an geformt haben, wie der Friede, die Subsidiarität und die wechselseitige Solidarität - ein Humanismus, in dessen Zentrum die Achtung der Würde der Person steht.

Darum möchte ich erneut die Bereitschaft des Heiligen Stuhls und der katholischen Kirche betonen, durch die Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) einen gewinnbringenden, offenen und transparenten Dialog mit den Institutionen der Europäischen Union zu pflegen. Ebenso bin ich überzeugt, dass ein Europa, das fähig ist, sich die eigenen religiösen Wurzeln zunutze zu machen, indem es ihren Reichtum und ihre inneren Möglichkeiten zu ergreifen versteht, auch leichter immun sein kann gegen die vielen Extremismen, die sich in der heutigen Welt verbreiten - auch aufgrund des großen ideellen Vakuums, das wir im sogenannten Westen erleben, denn "es ist gerade die Gottvergessenheit und nicht seine Verherrlichung, die Gewalt erzeugt".

Wir können hier die zahlreichen Ungerechtigkeiten und Verfolgungen nicht unerwähnt lassen, die täglich die religiösen und besonders die christlichen Minderheiten in verschiedenen Teilen der Welt treffen. Gemeinschaften und Einzelne, die sich barbarischer Gewalt ausgesetzt sehen: aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben; als Sklaven verkauft; getötet, enthauptet, gekreuzigt und lebendig verbrannt - unter dem beschämenden und begünstigenden Schweigen vieler.

Das Motto der Europäischen Union ist Einheit in der Verschiedenheit, doch Einheit bedeutet nicht politische, wirtschaftliche, kulturelle oder gedankliche Uniformität. In Wirklichkeit lebt jede authentische Einheit vom Reichtum der Verschiedenheiten, die sie bilden: wie eine Familie, die umso einiger ist, je mehr jedes ihrer Mitglieder ohne Furcht bis zum Grund es selbst sein kann. In diesem Sinn meine ich, dass Europa eine Familie von Völkern ist, welche die Institutionen der Union als nah empfinden können, falls diese es verstehen, das ersehnte Ideal der Einheit weise mit der je verschiedenen Eigenart eines jeden zu verbinden, indem sie die einzelnen Traditionen zur Geltung bringen, sich der Geschichte und der Wurzeln dieses Kontinents bewusst werden und sich von vielen Manipulationen und Ängsten befreien. Den Menschen ins Zentrum zu setzen bedeutet vor allem zuzulassen, dass er frei sein eigenes Gesicht und seine eigene Kreativität ausdrückt, sowohl auf der Ebene des Einzelnen als auch auf der des Volkes.

Andererseits bilden die Eigenarten eines jeden in dem Maß, wie sie in den Dienst aller gestellt werden, einen echten Reichtum. Man muss sich immer an die besondere Struktur der Europäischen Union erinnern, die auf den Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität gründet, so dass die gegenseitige Hilfe vorherrscht und man, beseelt von gegenseitigem Vertrauen, vorangehen kann.

In dieser Dynamik von Einheit und Eigenart ist Ihnen, meine Damen und Herren Europaabgeordnete, auch die Verantwortung übertragen, die Demokratie lebendig zu erhalten, die Demokratie der Völker Europas. Es ist kein Geheimnis, dass eine vereinheitlichende Auffassung der Globalität der Vitalität des demokratischen Systems schadet, indem es dem reichen fruchtbaren und konstruktiven Gegensatz der Organisationen und der politischen Parteien untereinander seine Kraft nimmt. So läuft man Gefahr, im Reich der Idee, des bloßem Wortes, des Bildes, des Sophismus zu leben… und schließlich die Wirklichkeit der Demokratie mit einem neuen politischen Nominalismus zu verwechseln. Die Demokratie in Europa lebendig zu erhalten erfordert, viele "Globalisierungsarten" zu vermeiden, die die Wirklichkeit verwässern: die engelhaften Purismen, die Totalitarismen des Relativen, die geschichtswidrigen Fundamentalismen, die Ethizismen ohne Güte, die Intellektualismen ohne Weisheit.

Die Wirklichkeit der Demokratien lebendig zu erhalten ist eine Herausforderung dieses geschichtlichen Momentes: zu vermeiden, dass ihre reale Kraft - die politische Ausdruckskraft der Völker - verdrängt wird angesichts des Drucks multinationaler nicht universaler Interessen, die sie schwächen und in vereinheitlichende Systeme finanzieller Macht im Dienst von unbekannten Imperien verwandeln. Das ist eine Herausforderung, die Ihnen die Geschichte heute stellt.

Europa Hoffnung geben bedeutet nicht nur die Zentralität des Menschen anzuerkennen, sondern schließt auch ein, seine Begabungen zu fördern. Es geht deshalb darum, in ihn und in die Bereiche zu investieren, in denen seine Talente sich entwickeln und Frucht bringen. Der erste Bereich ist gewiss der der Erziehung, angefangen von der Familie, welche die grundlegende Zelle und ein kostbarer Bestandteil jeder Gesellschaft ist. Die geeinte, fruchtbare und unauflösliche Familie bringt die fundamentalen Elemente mit sich, um Zukunftshoffnung zu geben. Ohne diese Festigkeit baut man letztlich auf Sand, mit schweren gesellschaftlichen Folgen. Andererseits dient die Betonung der Bedeutung der Familie nicht nur dazu, den neuen Generationen Aussichten und Hoffnung zu vermitteln, sondern auch den zahlreichen alten Menschen, die oft gezwungen sind, in Situationen der Einsamkeit und der Verlassenheit zu leben, weil es nicht mehr die Wärme einer häuslichen Gemeinschaft gibt, die imstande ist, sie zu begleiten und zu unterstützen.

Neben der Familie gibt es das Erziehungswesen: Schulen und Universitäten. Die Erziehung darf sich nicht darauf beschränken, eine Ansammlung von technischen Kenntnissen zu vermitteln, sondern muss den äußerst komplexen Wachstumsprozess des Menschen in seiner Ganzheit fördern. Die Jugendlichen von heute verlangen, eine angemessene und vollständige Ausbildung erhalten zu können, um mit Hoffnung in die Zukunft zu schauen und nicht mit Enttäuschung. Zahlreich sind zudem die kreativen Möglichkeiten Europas auf verschiedenen Gebieten der wissenschaftlichen Forschung, von denen einige noch nicht ganz erkundet sind. Man denke beispielsweise nur an die alternativen Energiequellen, deren Entwicklung dem Umweltschutz von großem Nutzen wäre.

Europa hat in einem lobenswerten Einsatz zugunsten der Ökologie immer in der vordersten Reihe gestanden. Diese unsere Erde braucht tatsächlich eine ständige Pflege und Aufmerksamkeit, und jeder trägt eine persönliche Verantwortung in der Bewahrung der Schöpfung, dieses kostbaren Geschenkes, das Gott in die Hände der Menschen gelegt hat. Das bedeutet einerseits, dass die Natur uns zur Verfügung steht, wir uns an ihr freuen und sie in rechter Weise gebrauchen können. Andererseits bedeutet es jedoch, dass wir nicht ihre Herren sind. Hüter, aber nicht Herren. Wir müssen sie deshalb lieben und achten, stattdessen sind wir "oft vom Hochmut des Herrschens, des Besitzens, des Manipulierens, des Ausbeutens geleitet; wir "hüten" sie nicht, wir achten sie nicht, wir betrachten sie nicht als unentgeltliches Geschenk, für das wir Sorge tragen müssen." Die Umwelt achten bedeutet aber nicht nur, sich darauf zu beschränken, sie nicht zu verderben, sondern auch, sie für das Gute zu nutzen. Ich denke vor allem an den landwirtschaftlichen Sektor, der berufen ist, dem Menschen Unterstützung und Nahrung zu liefern. Es ist nicht tolerierbar, dass Millionen von Menschen in der Welt den Hungertod sterben, während jeden Tag Tonnen von Lebensmitteln von unseren Tischen weggeworfen werden. Außerdem erinnert uns die Achtung gegenüber der Natur daran, dass der Mensch selbst ein grundlegender Teil von ihr ist. Neben der Ökologie der Umwelt bedarf es daher jener Ökologie des Menschen, die in der Achtung der Person besteht, die ich heute in meinen Worten an Sie ins Gedächtnis rufen wollte.

Der zweite Bereich, in dem die Talente des Menschen zur Blüte kommen, ist die Arbeit. Es ist Zeit, die Beschäftigungspolitik zu fördern, vor allem aber ist es notwendig, der Arbeit wieder Würde zu verleihen, indem man auch angemessene Bedingungen für ihre Ausübung gewährleistet. Das schließt einerseits ein, neue Methoden zu finden, um die Flexibilität des Marktes mit der Notwendigkeit von Stabilität und Sicherheit der Arbeitsperspektiven zu verbinden, die für die menschliche Entwicklung der Arbeiter unerlässlich sind. Andererseits bedeutet es, einen angemessenen sozialen Kontext zu begünstigen, der nicht auf die Ausbeutung der Menschen ausgerichtet ist, sondern darauf, durch die Arbeit die Möglichkeit zu garantieren, eine Familie aufzubauen und die Kinder zu erziehen.

Gleichermaßen ist es notwendig, gemeinsam das Migrationsproblem anzugehen. Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem Massenfriedhof wird! Auf den Kähnen, die täglich an den europäischen Küsten landen, sind Männer und Frauen, die Aufnahme und Hilfe brauchen. Das Fehlen gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Europäischen Union läuft Gefahr, partikularistische Lösungen des Problems anzuregen, welche die Menschenwürde der Einwanderer nicht berücksichtigen und Sklavenarbeit sowie ständige soziale Spannungen begünstigen. Europa wird imstande sein, die mit der Einwanderung verbundenen Problemkreise zu bewältigen, wenn es versteht, in aller Klarheit die eigene kulturelle Identität vorzulegen und geeignete Gesetze in die Tat umzusetzen, die fähig sind, die Rechte der europäischen Bürger zu schützen und zugleich die Aufnahme der Migranten zu garantieren; wenn es korrekte, mutige und konkrete politische Maßnahmen zu ergreifen versteht, die den Herkunftsländern der Migranten bei der sozio-politischen Entwicklung und bei der Überwindung der internen Konflikte - dem Hauptgrund dieses Phänomens - helfen, anstatt Politik der Eigeninteressen zu betreiben, die diese Konflikte steigert und nährt. Es ist notwendig, auf die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen.

Herr Präsident, Exzellenzen, meine Damen und Herren Abgeordnete,

das Bewusstsein der eigenen Identität ist auch notwendig, um konstruktiv mit den Staaten zu verhandeln, die gebeten haben, in Zukunft der Union beizutreten. Ich denke vor allem an jene aus dem balkanischen Raum, für die der Eintritt in die Europäische Union dem Friedensideal entsprechen kann, in einer Region, die unter den Konflikten der Vergangenheit so sehr gelitten hat. Und schließlich ist das Bewusstsein der eigenen Identität unerlässlich in den Beziehungen zu den anderen Nachbarländern, besonders zu denen, die ans Mittelmeer grenzen, von denen viele aufgrund innerer Konflikte und unter dem Druck des religiösen Fundamentalismus und des internationalen Terrorismus leiden.

Ihnen, verehrte Mitglieder des Parlaments, kommt als gesetzgebende Instanz die Aufgabe zu, die europäische Identität zu bewahren und wachsen zu lassen, damit die Bürger wieder Vertrauen in die Institutionen der Union und in den Plan des Friedens und der Freundschaft gewinnen, der das Fundament der Union ist. "Je mehr […] die Macht der Menschen wächst, desto mehr weitet sich ihre Verantwortung, sowohl die der Einzelnen wie die der Gemeinschaften." In diesem Wissen appelliere ich daher an Sie, daran zu arbeiten, dass Europa seine gute Seele wiederentdeckt.

Ein anonymer Autor des 2. Jahrhunderts schrieb, dass"die Christen in der Welt das sind, was die Seele im Leib ist". Die Aufgabe der Seele ist es, den Leib aufrecht zu erhalten, sein Gewissen und sein geschichtliches Gedächtnis zu sein. Und eine zweitausendjährige Geschichte verbindet Europa mit dem Christentum. Eine Geschichte, die nicht frei von Konflikten und Fehlern - auch von Sünden -, immer aber beseelt war von dem Wunsch, am Guten zu bauen. Das sehen wir an der Schönheit unserer Städte und mehr noch an der Schönheit der vielfältigen Werke der Liebe und des gemeinschaftlichen menschlichen Aufbaus, die den Kontinent überziehen. Diese Geschichte ist zum großen Teil erst noch zu schreiben. Sie ist unsere Gegenwart und auch unsere Zukunft. Sie ist unsere Identität. Und Europa hat es dringend nötig, sein Gesicht wiederzuentdecken, um - nach dem Geist seiner Gründungsväter - im Frieden und in der Eintracht zu wachsen, denn es selbst ist noch nicht frei von Konflikten.

Liebe Europaabgeordnete, die Stunde ist gekommen, gemeinsam das Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Werte; das Europa, das mutig seine Vergangenheit umfasst und vertrauensvoll in die Zukunft blickt, um in Fülle und voll Hoffnung seine Gegenwart zu leben. Es ist der Moment gekommen, den Gedanken eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, das ein Protagonist ist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen Werten und auch Träger des Glaubens ist. Das Europa, das den Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Menschen schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, das auf sicherem, festem Boden voranschreitet, ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit!

Danke.

Quelle

Beziehungsweise ... - bzw. ... | Klaus-Peter Jörns | impuls für die woche -155

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Die Beziehung zu Jesus als Gottes-beziehung 

Dass es Erfahrungen gibt, die Menschen von (einem) Gott herleiten, hat damit zu tun, dass wir das uns umgebende Leben als etwas empfinden, das größer ist als wir, ja, das unfassbar ist. Unfassbar ist das wirkliche Leben in seiner Vielfalt und Vielschichtigkeit, weil wir es trotz allen Wissens und Verstehens niemals von außen betrachten können. Denn wir sind und bleiben vom Geborenwerden bis zum Sterben selbst Teil des Lebens. Das Reden von „Gott“ ist, so besehen, ein vernünftiger Versuch auszudrücken, dass alles mit allem zusammenhängt - durch den Geist, der alles in Beziehung hält.

Wer das Leben mit Gott in Verbindung bringt, vertraut darauf, dass sich das eigene und alles andere Leben zusammen mit der Erde und dem Weltall weiter entwickeln werden, obwohl alle Lebensgestalten sterblich sind. Denn jede Pflanze, jedes Tier und jeder Mensch gestalten, indem sie sich entfalten, das Leben als Ganzes in der fortdauernden Schöpfung (creatio continua) mit. Alle Begegnungen und Entdeckungen, aber auch alle Abschiede und Verluste und vor allem das wachsende Bewusstsein, selber sterben zu müssen, lösen Fragen nach dem Sinn des Lebens aus. Die Antworten auf diese Fragen wandeln sich - und sprechen davon, dass auch Gottes Sein ein Werden ist. Zu Gottes Werden gehören Bilder und Namen, mit den Menschen Gott wahrnehmen. Auch sie sind an die Bildprogramme der sich wandelnden Kulturen gebunden, werden und vergehen.

In Gott sind weiblich und männlich, unsere Herkunft und Zukunft, aber auch Lebens- und Gottesbeziehung verbunden. Gott ist Geist, ist in uns und ist das alltägliche Du, an dem wir werden (M. Buber). „Denn das Leben ist die Liebe, und des Lebens Leben Geist“ (J. W. v. Goethe, Westöstlicher Divan). In jedem Gegenüber können wir Gott Dank sagen für das, was wir am Leben als schön und gut empfinden, aber auch beklagen, was uns erschreckt und peinigt.

Glaubensreform zielt darauf, diesen Lebensbezug des Glaubens wieder herzustellen. Der Weg dahin wird von der Spur gewiesen, die die Jesus-Überlieferung in den vier biblischen Evangelien und in außerbiblischen Quellen bereithält. Allerdings ist die Jesus-Überlieferung schon im Neuen Testament von der „apostolischen Tradition“ in vielen Bereichen wieder den religiösen Denkstrukturen angepasst worden, die Jesus überwunden hatte. Davon ist inbesondere die Deutung seines gewaltsamen Todes als kultisches Sühnopfer betroffen. Für Jesus galt der Grundsatz: Menschen sind nicht für die Religion da, sondern Glaube und Religion haben dem Leben zu dienen (Markus 2, 27), Leiden zu lindern (Matthäus 25, 40.45) oder zu heilen (Lukas 9, 1-6) und eine mit dem herrscherlichen Gottesbild verbundene lebensfeindliche Gesellschaftsstruktur zu bekämpfen.

Wo dieser Grundsatz gilt, ist die Gestalt der Kirche sekundär (Lukas 9, 49-50). Gerade weil es so viel Leid in der evolutionär-kreatürlichen Welt gibt, ist seit Jesus der Dienst an Menschen und Tieren (Matthäus 12,11f) und ihrer je eigenen Würde der zentrale Gottesdienst. Und weil es schwer ist, gut zu sein, ist es das „Gesetz Christi“, sich gegenseitig zu helfen (Galater 6,2), Schuld zu vergeben und so einander Christus zu sein (Johannes 20, 21-23) - ohne Vorbedingungen und über alle religiösen Grenzen hinweg. Indem uns die Beziehung zu Jesus zur Vergebung fähig macht, erweist sie sich als Gottesbeziehung. Herrschaftsansprüche über Menschen und die alte Schreckensherrschaft der Menschen über Tiere (Genesis 9,2) aber gehören nicht mehr zum „Reich Gottes“, wie Jesus es gelebt hat.




Das Menschenbild Jesu als Evangelium *)

Das Besondere an Jesu Denken und Leben wird durch sein Bild vom Menschen geprägt. Allen einzelnen Charakteristika, die ich im Folgenden aufzählen werde, ist eins gemeinsam: Jesus sieht die Menschen nicht als missratene und auf kultische Erlösung angewiesene Wesen. Vielmehr bleiben sie auf jeder Stufe ihres Lebens auf die Liebe anderer Menschen und auf eine geduldige Begleitung angewiesen - denn Mensch sein ist Mensch werden. Niemand ist vollkommen, alle bleiben im Laufe ihres Lebens vielen vieles schuldig. Und weil keiner sich selbst entschuldigen kann, ist Vergebung der Schlüssel zum Reich Gottes.

- Das Bild vom bösen Menschen, der für seine Taten bestraft und so angeblich vor dem Bösen bewahrt werden muss, ist nicht mehr Jesu Menschenbild. Deshalb benutzt Jesus auch nicht mehr die „Sprache der Gewalt“, mit der die Menschen vor allem im 5. Buch Mose zum absoluten Gehorsam gegenüber Gott Jahwe gezwungen werden sollten. Trotzdem verschwindet die „Sprache der Gewalt“ im Neuen Testament nicht, sondern modifiziert sich in der apostolischen Tradition nur und wird vor allem im Zusammenhang mit dem Thema Erlösung bzw. Versöhnung benutzt. Denn für die kultische Theologie gilt: „Vergebung ohne Blutvergießen ist nicht möglich“ (Hebr. 9,22). Von dort aus ist die Sprache der Gewalt in den Sprachgebrauch der Kirche gekommen: Durch Drohungen mit dem Jüngsten Gericht und durch den Einsatz von Gewalt in der Kindererziehung sind unendlich viele Menschen seelisch und leiblich gequält worden. Vor allem Eugen Biser hat herausgestellt, dass Gott, wie Jesus ihn verkündet und gelebt hat, uns un-bedingt liebt, also ohne jede Vorleistung; und dass es ihm nicht um den Gehorsam der Menschen geht, sondern darum, dass sie sich in der von Gott ausgehenden Lebensbeziehung geborgen wissen.

- Jesu Menschenbild spiegelt seine Gottesverkündigung und richtet sich zuerst an die Kinder. Jesus hat den Kindern das Himmelreich aufgeschlossen und die Erwachsenen ermahnt: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Reich Gottes kommen“ (Matthäus 18,3). Jesus hat den Kindern damit einen Rang zugewiesen, den sie bis dahin nicht hatten. Das bedeutete die völlige Abkehr vom gewohnten Bild des durch die „Erbsünde“ bösen Menschen.

- Frauen sind für Jesus nicht besser oder schlechter als Männer. Er lebte mit beiden zusammen. „ Die Zwölf begleiteten ihn und einige Frauen …, die mit ihrem Vermögen für sie sorgten.“ (Lukas 8,1-3) Seine Auferstehung haben zuerst Frauen bezeugt. Deswegen kann sich niemand auf Jesus berufen, der Frauen von irgendwelchen Ämtern prinzipiell ausschließt oder Kindern durch Prügel „den Teufel austreiben“ will oder sie sonst irgendwie zwingt, ihm zu Willen zu sein. Verraten und verleugnet worden ist Jesus nach den Evangelien von Männern.

- Zu Recht hat man den folgenden Ausruf Jesu gern als „Heilandsruf“ bezeichnet: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und belastet seid, ich will euch Ruhe geben (vor dem, was euch quält).“ Jesus hat offenbar wahrgenommen, dass das Leben gerade für diejenigen Menschen schwer ist, die gut sein wollen. Seine Aufgabe hat er darin gesehen, die Menschen von der Vorstellung zu befreien, dass Gott als Despot mit allen Mitteln seelischer und körperlicher Gewalt sein Recht einfordert.

- Auch bei Jesus sollen Menschen bekommen, was sie verdient haben. Aber das ist nicht das letzte Wort. Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20,1-15) fügt Jesus eine neue Regel hinzu, die die alte Äquivalenzregel bricht. Denn es gibt viele Menschen, die keinerlei Verdienst vorweisen können. Jesu Regel lautet: Jeder soll bekommen, was er zum Leben braucht. Denn keine Regelung kann lebensdienlich heißen, die nicht dafür sorgt, dass alle leben können.

- Der Mensch braucht Zeit, um zu lernen, auch aus Fehlern. Niemand verliert das Lebensrecht dadurch, dass er ein fehlerhafter Mensch ist.„Wie oft soll ich meinem Bruder vergeben? Bis zu sieben Mal?“ wurde er gefragt. Und Jesus soll geantwortet haben: „Sieben Mal siebzig Mal.“ (Matthäus 18,21-22) Das heißt: Immer wieder, wenn es nötig ist. Und weil wir alle Täter und Opfer zugleich sind, können wir nicht Gott für uns um Vergebung bitten, ohne den Mitmenschen vergeben zu wollen (Matthäus 6,12).

- Doch nicht nur Menschen schulden wir Liebe und Achtung, sondern auch Tieren. Jesus lebte 40 Tage und Nächte allein mit Tieren, bevor er seine Wandertätigkeit begann, lesen wir bei Markus (1,12-13). Vielleicht deshalb wollte er später auch, dass Menschen für ein Tier, das Hilfe braucht, die Sabbatruhe brechen (Matthäus 12,11). Welche Gewohnheiten müssen wir aufgeben, damit wir uns vor Gott und den Tieren sehen lassen können?

Prof. Dr. Klaus-Peter Jörns

- Das Recht zu vergeben, kennzeichnet die neue Würde der Menschen, die Jesus folgen.Das ist nicht nur Sache des einen Gottessohnes, sondern aller Kinder Gottes. Mit der revolutionären Entscheidung, die Vergebung der Sünden aus der Vollmacht der Priester und des Kultes herauszunehmen und den Fischern und Handwerkern zu übertragen, hat Jesus die Mächtigen in Jerusalem gegen sich aufgebracht. Sie hat ihn sogar den Kopf gekostet. Aber mit ihr hat er auch am stärksten ausgedrückt, wie viel er denen, die seinen Weg gehen wollten, anvertraut und zugemutet hat: „Ihr seid das Licht der Welt!“ hören sie, die ‚kleine Lichter’ wie wir alle waren. „Ihr seid das Salz der Erde!“ Wer sich von Gottes Liebe anstecken lässt, bringt Gott als große Energie ins Lebensspiel, überall. Der als einziger Gottessohn Geglaubte wollte für sich keine Sonderrolle. Die Kraft, die traditionellerweise von dem einen Messias, Erlöser, Heiland, Versöhner, Davids Sohn, Gottessohn und seinen Priestern erwartet wurde, sollte nach Jesu willen nun von allen ausgehen, die ihm folgten. Darum hat er die Vergebung, die wir von Gott erbitten, zusammen mit der Bereitschaft zu vergeben im Zentrum des Unser-Vater-Gebetes verankert. Ein Amt oder gar eine spezielle Weihe braucht es dafür nicht, aber die Einsicht, dass das Reich Gottes ohne Vergebung der Menschen untereinander nicht gebaut werden kann.

Klaus-Peter Jörns (25.11.2014)


*) Dieser Abschnitt bezieht sich auf meinen Aufsatz „Das Menschenbild Jesu als Weg aus der Glaubenskrise“, erschienen in: R. Heinzmann (Hg.), Kirche – Idee und Wirklichkeit. Für eine Erneuerung aus dem Ursprung, Freiburg


Grönemeyer: Einverstanden - Morgen | Dauend Jetzt

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Neues Album "Dauernd Jetzt" 
Herbert Grönemeyer lässt jetzt tanzen

Herbert Grönemeyer ist zurück. Kraftvoll und gut gelaunt. "Dauernd Jetzt" heißt das Album, das ein ewiges Ja zum Leben beschwört. Das nimmt man dem Meister aus dem Pott auf der Releaseparty auch ab. 

Von Sophie Albers Ben Chamo | Stern.de

Herbert Grönemeyer ist Herbert Grönemeyer ist Herbert Grönemeyer, und das ist gut so. Kein anderer deutscher Popstar ist so angenehm deutsch wie er. Die Grönemeyerschen langen Vokale, die Universalität seiner Pop-Poesie, dieses freundliche, harmlose Gesicht mit den blonden Strähnen, darauf können sich alle einigen. Auch im November 2014. "Morgen" heißt der Begrüßungscocktail auf Gin-Basis. "Dauernd Jetzt" heißt das neue Album.

Grönemeyers unschätzbaren Wert für die deutsche Musikindustrie (Er IST der nachhaltigste Popstar dieses Landes) kann man auch daran ablesen, dass der gesamte Grill Royal (George Clooneys Lieblingsrestaurant in Berlin) für die Release-Party gemietet wurde. Rund 200 "Freunde" (Journalisten, PR-Agenten, Labelmitarbeiter und sonstige) werden mit Champagner abgefüllt, während Herbert so laut aus den Luxus-Boxen dröhnt, dass Unterhaltungen unmöglich sind.

"Der Löw ist los"

Die Songs klingen mal ein bisschen nach Sting ("Fang mich an"), mal ein bisschen nach amerikanischer Singer-Songwriter ("Ich lieb mich durch"). Es gibt eine WM-Hymne ("Der Löw") und sogar einen Dance-Remix. Aber natürlich ist jedes Stück zu 100 Prozent Herbert Grönemeyer, sogar wenn er nicht singt ("Annäherung"). Der 58-Jährige ist und bleibt der Balladenkönig. Und sein Liebeslied auf Deutschland ("Unser Land") bringt vielleicht sogar eine kleine Patriotismus-Diskussion in Gang. Grönemeyer selbst ist über allen Zweifel erhaben. Keiner biegt die deutsche Sprache so schön, ohne je Authentizität einzubüßen. Und das seit Ende der 70er Jahre.

Deshalb oder vielleicht weil er auch mal am Schampus genippt hat, parliert Grönemeyer nach dem gemeinsamen Album-Listening aufs Entspannteste: "Ich klimper' so vor mich hin", beschreibt er den Song-Entstehungsprozess, der bei ihm wie bei allen großen Sängern mit der Musik beginnt. "Dann stehe ich auf, rufe Freunde an, dann ess' ich was, dann setz' ich mich wieder ans Klavier und klimper was." Es sei wie ein Puzzle, "wie ein Bild, das ich male". Und manchmal, im Fluss, merke er dann "Oh, das war klug. Und dann fange ich an zu singen und merke, das war nix." Annette Humpe hat übrigens Song Nummer elf geschrieben: "Einverstanden".
"Ich denke mir nicht viel bei meinen Platten"

Grönemeyer ist wirklich in bester Plauderlaune, wie er so im schwarzen Jackett überm schwarzen T-Shirt vor dem edlen Tresen steht. "Wenn ich besonders glücklich bin, quatsche ich besonders viel und halte mich für besonders lustig. Und weil ich ja prominent bin, lachen die Leute auch." Natürlich lachen sie, sogar als er das hier sagt: "Ich denke mir nicht viel bei meinen Platten." Da allerdings wohl eher in der Hoffnung, er möge doch bitte scherzen. Schließlich hat man doch immer so viel von sich selbst in diese Texte hineingelesen. Sich verstanden gefühlt. Aber er lässt nicht locker: "Manche Worte sind einfach nur da, weil da 'ne Lücke ist. Er lacht allein. Dann, immerhin: Der Albumtitel "Dauernd Jetzt", das heiße vielleicht, den "Augenblick zu strecken", sich fallen zu lassen, dass es okay ist, so wie es ist. Dankbares Klatschen.

Herbert Grönemeyer ist für uns alle da. Ob er will oder nicht. Und deshalb gibt er als Schlusswort auch ein Versprechen ab: "Musik schreiben werde ich immer, so wie ich hoffentlich immer küssen werde." Deine Fans danken, Herbert.



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Herbert Grönemeyer im Interview mit dem stern 

Warum er Angela Merkel nicht gern treffen möchte

Er hat Flugzeuge im Bauch - Bochum steckt ihm in den Knochen. Herbert Grönemeyer im stern-Gespräch über neue und alte Songs, seine DDR-Erfahrungen und das Leben als alleinerziehender Vater.

Das Interview mit Herbert Grönemeyer erschien in der stern-Printausgabe Nr. 47 am 13. November 2014.

Herr Grönemeyer, Sie haben mal gesagt: "Ein neues Album gibt immer viel radikaler über mich Auskunft als jede Selbstanalyse." Was verrät Ihr neues Album "Dauernd Jetzt"über Sie?

Es erzählt davon, dass ich wieder einen Standort habe. Ich bin in meinem jetzigen Leben angekommen. Vorher war ich unterwegs, auf der Suche, habe ich versucht, aufzubrechen … ohne eigentlich zu wissen, wohin. Nun habe ich schon länger das Gefühl: Ich stehe wieder. Auf beiden Beinen. Ich kann losmarschieren.

Woran liegt das?

Vor allem daran, dass ich seit zweieinhalb Jahren wieder eine Beziehung habe. Eine sehr glückliche. Musik zu schreiben fiel mir bei dieser Platte leicht. Fast so wie in den 80er Jahren. Die Art, wie ich Musik komponiere, erzählt mir oft mehr über mich selbst, als ich weiß. Es war wirklich so, dass ich während des Schreibens gemerkt habe: Dir geht’s besser, als du denkst.

Sie arbeiten sich auf der neuen Platte aber auch am Zeitgeist ab. Ein Stück handelt von digitaler Überwachung – weil das ein modernes Thema ist oder weil Sie sich wirklich davor fürchten?

Weil wir viel zu leichtfertig mit diesem Thema umgehen. Wir sollten auf der Hut sein. Im Netz geben wir unsere Privatsphäre auf, ohne wirklich zu begreifen, was wir da tun, welche Dimension das hat. Und ich stelle mir dann vor, wie sich die Chefs von Facebook, Google und Apple irgendwann zusammentun und sagen: Wir könnten jetzt doch mal still die Welt regieren. Die Leute feuern ja alles rein in diese Netzwerke. Jeder fühlt sich wie ein Star, jeder dreht seinen eigenen Film. Wir denken, wir steuern das noch, aber das Drehbuch kommt immer mehr aus dem Netz. Diese Big-Brother- Kultur des Sich-zeigen-Wollens bei totaler Überwachung finde ich schwierig.

Streiten Sie darüber mit Ihren Kindern?

Wir streiten nicht. Wir debattieren. Die sind jetzt erwachsen, in ihren Zwanzigern. Mein Sohn hat eine kleine Internetfirma, aber bei Facebook ist er schon wieder ausgestiegen, glaube ich. Meiner Tochter habe ich irgendwann mal abends mein altes Handy mitgegeben, mit dem man nur telefonieren kann. Ich dachte, so könnte sie wieder mal ein Gefühl dafür bekommen, wie es sich anfühlt, sich abzuschalten.

Sind Sie auch so ein Vater, der sagt: "Wir waren früher viel politischer. Wir sind sogar gegen die Volkszählung auf die Straße gegangen"?

Nein. Ich finde nicht, dass die Jugend heute unpolitischer ist. Wir leben alle zurzeit in einer Kultur der Folgsamkeit. Wer etwas anprangert, der stört viele in ihrem Einerlei. Wir leben wie unter einer Blase. Die Volkszählung ist trotzdem ein gutes Beispiel: Damals haben die Leute zum Boykott aufgerufen – das war eine Straftat, die kollektiv begangen wurde! Sie haben etwas riskiert. Heute heißt es: Och, wir haben doch nichts zu verbergen. Das Denken hat sich komplett gedreht, nicht nur bei diesem Thema. Ich fürchte, Deutschland hat sich gerade so eingerichtet in dem bequemen Gefühl: Der Laden läuft gut, und wer aufbegehrt, der stört nur.


Ist das das Merkel-Deutschland-Gefühl?

Ganz genau, sie macht das schon, und wir lassen uns einlullen. Dabei habe ich nichts gegen Frau Merkel, aber politisch ist sie mir eher fremd. Sie ist sicher eine sehr interessante Frau. Sie tickt einfach anders als andere Politiker, irgendwie ingenieursartiger. Ich glaube auch, sie klebt nicht so bedingungslos an der Macht, wie es eher Schröder, Koch oder Kohl taten. Sondern Frau Merkel findet es vor allem faszinierend, zu analysieren, wie die Macht funktioniert. Deswegen ist sie so anders. Man kann sich durchaus vorstellen, wie sie abends mit ihrem Mann auf dem Sofa sitzt und diese beiden hochintelligenten Naturwissenschaftler dann darüber reden, wie erstaunlich das doch alles abläuft.

Würden Sie Angela Merkel gern treffen?

Nein. Warum auch? Ich finde, dass Kunst sich nicht mit Politik gemein machen sollte. Der Job eines Künstlers ist es, unberechenbar zu sein. Nicht, weil Künstler klüger sind als andere, sondern, weil sie einfach mehr Zeit haben als jemand, der den ganzen Tag arbeiten muss. Wir Künstler sitzen ja auch viel rum und gucken aus dem Fenster. Das verpflichtet uns zum Querdenken.

"Ich spiele nicht für Politiker"

Sie haben 1983 sechs Monate in der DDR gelebt und einen Film dort gedreht.

Ja, zwei sogar. An Originalschauplätzen in Leipzig und Weimar. Da habe ich richtig gespürt, wie schwer es war, dort ein entspanntes Leben zu führen. Man konnte sehr die Angst vor dem Staat fühlen. Bei mir in der Garderobe saß immer einer. Keine Ahnung, wer das war, man durfte nichts fragen, und es wurde auch nichts erklärt.

Hat diese Erfahrung Ihre Entscheidung gefestigt, niemals in der DDR aufzutreten? Andere BRD-Sänger hatten sich damals anders entschieden, mit der Begründung, das sei im Sinne des Dialogs zwischen West und Ost.

Nein, aber mir hatten damals schon viele Leute aus der ehemaligen DDR geschrieben: "Bitte spiel nicht hier, wir würden niemals eine Karte kriegen. Für uns bricht eine Welt zusammen, wenn du für das System singst. Das macht uns alles kaputt, was wir mit deiner Musik verbinden." Diese Briefe waren der Hauptgrund für mich, nicht in der DDR aufzutreten. Aber natürlich soll da jeder Künstler seinen Weg finden. Meiner war und ist: Ich spiele nicht für Politiker. Vergangenes Jahr habe ich ein Angebot bekommen, im Kreml zu spielen. Aber ich habe das abgesagt. Obwohl ich mich zum Baltikum und zu Russland hingezogen fühle, weil meine Vorfahren mütterlicherseits daher kommen.

Ihren Durchbruch hatten Sie ebenfalls in den Achtzigern, 1984 mit dem Album "4630 Bochum". Das ist jetzt …

... auch schon 30 Jahre her. Herrje. Ja, das ist fast tragisch.

War Ihnen damals klar, dass Sie eine Hymne schreiben? Ein modernes Heimatlied?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe bloß nach Themen gesucht, über die ich singen konnte – und mit Bochum kannte ich mich aus. Dabei haben damals viele gesagt: "Was soll denn der Mist – Bochum ich komm aus dir, Bochum ich häng an dir, aaaaaaaahhh Bochum. Das kauft doch schon in Bottrop keiner mehr." Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ausgerechnet dieses Lied eine Hymne wird.

Sie hatten zu diesem Zeitpunkt bereits vier Platten veröffentlicht.

Die haben aber kaum jemanden interessiert. Die Leute bei meiner Plattenfirma sagten damals: "Sie haben jetzt zwar 'Das Boot' gedreht, aber Ihre Musik will niemand, das hat keinen Sinn mit Ihnen!" Sie warfen mich raus. Eine andere Plattenfirma gab mir dann eine Chance.

Und da ging es dann bergauf ?

Na ja, es sah erst nicht danach aus. Bevor "Bochum" veröffentlicht wurde, bin ich auf Werbetour durch einige Plattenläden getingelt. Eine Erfahrung voller Demütigungen. Da stand ich dann neben einem Vertriebsmann meiner Plattenfirma, der zum Inhaber eines Ladens sagte: "Hier, den kennst du doch, das ist der Grönemeyer!""Hörnse mir bloß auf mit dem", sagte der, während ich mit hochrotem Kopf daneben stand. "Gucken Sie den ganzen Müll hier", dabei zeigte er auf ein Regal mit meinen Platten, "die kauft keiner. Bleibense mir weg mit dem."

Das Lied "Bochum" wurde dann trotzdem das Lied, das bis heute Ihren Erfolg mitbestimmt.

Ja, das ist schön verrückt. Es gibt heute wohl noch Kneipen in Bochum, die spielen jeden Abend um Mitternacht das Lied. Und beim VfL Bochum spielen sie das auch im Tunnel im Stadion, wenn die Spieler rausgehen, das hat mir einmal Bastian Schweinsteiger erzählt. Bis heute! Das freut mich wirklich sehr.

Sie leben inzwischen schon seit Jahren in London und Berlin. Wie erklären Sie Ihren Freunden dort, was das Tolle am Ruhrgebiet ist?

Im Ruhrgebiet kannst du jedem direkt auf die Nase zusagen, was du denkst.

Auch Ihnen?

Klar, das kommt vor. Wenn ich in Bochum bin, werde ich aufgenommen wie ein Familienmitglied. Und dann muss man auch aushalten können: "Herbert! Hast aber auch ein bisschen zugelegt, Herbert!" So was sagt dir der Blumenhändler, wenn du in seinen Laden reinkommst. Das Allerwichtigste im Ruhrgebiet ist allerdings: Du musst hundertprozentig zuverlässig sein. Das ist das erste Bergmann-Gesetz. Du brauchst nicht gut Fußball spielen zu können, du brauchst kein Intellektueller zu sein. Aber wenn du nicht zuverlässig bist, dann kannst du da auswandern. Mit der Kultur bin ich groß geworden.

Kann man eigentlich ein bodenständiger Künstler sein?

Nein. Man ist kein bodenständiger Künstler. Man tut vielleicht so, als sei man bodenständig. Gleichzeitig pumpt man sich auf, stilisiert sich. Die Leute gehen schließlich in ein Konzert oder ins Theater, um einen Wagemutigen zu sehen. So ist das eher. Der "bodenständige Künstler" ist eine Kunstfigur.

Die Lieblings-Kunstfigur der Deutschen?

Ja, kann sein, weil der Deutsche es bevorzugt, dass sich niemand aus dem Mittelmaß bewegt, das ist ihm nicht geheuer. In England gilt: je schräger und schriller, desto interessanter. In Deutschland sind kleine Ausreißer erlaubt, aber dann schnell zurück ins Glied, denn nur so läuft die Maschine.

Offenbar verstehen Sie es sehr gut, das spezifisch "Deutsche" anzurühren. Ihr Co-Produzent Alex Silva, ein Brite, findet sogar, dass Ihre Songs an deutsche Volkslieder erinnern …

Ach ja? Das hat er mir so noch nie gesagt. Vielleicht, weil die Menschen viele dieser Lieder kennen und gern selbst singen. Also früher haben wir auf Reisen im Auto die Lieder aus der "Mundorgel" rauf und runter gesungen. Da gibt es tolle Stücke, schöne Melodien, das war schon eine Prägung. Ich habe bereits als Kind Ukulele gespielt. Und später dann Gitarre. Meine Klassenkameraden erzählen heute noch, wie ich manchmal genervt habe: "Soll ich mal was spielen?" Und sie so: "Nein! Nicht schon wieder 'Morning Has Broken'!" Es ist wirklich keine Übertreibung, wenn ich sage, ich habe immer Musik gemacht, immer.

Was wären Sie heute ohne Musik?

Vielleicht wäre ich ein großer Melancholiker geworden. Schon in der Pubertät hat mir das Singen und Musikmachen bei Krisen, die ich damals durchlief, geholfen. Das macht sehr glücklich. Viele Leute fahren dafür heute für viel Geld nach Tibet und chanten dort vor sich hin – die könnten genauso gut im Kirchenchor in Gelsenkirchen singen. Das ist dasselbe und viel günstiger.

Sie haben mal gesagt: Musik ist das einzige Revier, in dem ich mich wirklich sicher fühle. Sind Sie denn im Leben ein Zauderer?

Zauderer? Das klingt mir zu dramatisch. Ich denke nicht, dass ich wie jemand wirke, der nicht von eins bis zwei zählen kann. Ein verkopfter Künstlertyp, der vor lauter Ideen nicht allein über die Straße kommt.

Was sind Sie dann?

Jedenfalls keiner, der mit dem Leben hadert, sondern eigentlich eine ziemliche Frohnatur. Aber ich trage die Musik immer bei mir. Das ist mein persönlicher Hochsicherheitstrakt.

Waren Sie so ein Vater, der mit seinen Kindern Musik gemacht hat, als sie klein waren?

Nein. Hätte ich aber gern. Denn als ich klein war, haben mir meine Tanten oft am Bett vorgesungen, mehrstimmig. Und ich dachte später: Wenn ich mal Vater bin, mache ich das auch. Aber meine Kinder haben nur den Kopf geschüttelt. Die konnten mit meiner Schlafliedkultur nichts anfangen. Leider. Ich hatte nur das so romantisch vorgestellt.

Ihre Frau Anna ist 1998 an Krebs gestorben, als Ihre Kinder, Marie und Felix, zehn und elf Jahre alt waren. Was waren die größten Befürchtungen als alleinerziehender Vater?

Man ist in die Rolle hineingeworfen, man sitzt ja nicht da und fürchtet sich. Meine größte Sorge war, ob sich die Kinder ihre Lebensfreude bewahren. Wie schafft man es nach so einem Trauma, sich dem Leben zuzuwenden? Das war mein Hauptaugenmerk. Ein immerwährendes Thema für alle Menschen mit ähnlichen Erlebnissen.

War das dann später besonders schwer, die Kinder ziehen zu lassen?

Nein. Also gar nicht, im Gegenteil. Ich denke eher, dass es für die Kinder auch nicht gerade einfach war und ist, in einer Situation wie der unsrigen, weil man ja dieses natürliche Abnabeln nicht hat. Normalerweise würde man sich gegen die Eltern auflehnen, und das war in diesem Fall umgekehrt, dass die Kinder sich auch immer gefragt haben, wie es mir geht. Meine Eltern haben aber Wert darauf gelegt, dass wir so schnell wie möglich das Haus verlassen. Und das sehe ich ähnlich.

Auf der neuen Platte gibt es ein Stück, "Einverstanden"…

… ein Stück, das Annette Humpe geschrieben hat …

Dort singen Sie die Zeile "Ich weiß, was Abschied ist". Der Satz klingt ganz einfach, wenn man ihn liest, aber unendlich anders, wenn man ihn hört in dem Stück.



PLEASE CLICK ON THE SPEAKER-ICON ....



Der Tod ist ein Teil des Lebens, das weiß jeder, und trotzdem ist es so schwer, es zu begreifen. Abschied nehmen müssen ist eine Lektion, man muss das verstehen und annehmen. Dann wird der Abschied nicht leichter, aber man kämpft nicht mehr so. Es ist einer der Bestandteile, die das Gewürz "Leben" ausmachen. Tod ist der brutale Bitterstoff, aber er gehört dazu.

Wenn Sie sich das Musikgeschäft ansehen – hätte ein junger Grönemeyer heute noch Chancen in der Branche?

Bei einer normalen Firma sicher nicht, die Geduld leistet sich heute niemand mehr. Das war schon Irrsinn, damals.

Eines noch: Wie fanden Sie das eigentlich, als Bela B. und Wiglaf Droste 89 sangen: "Grönemeyer kann nicht tanzen"?

Ich fand’s grundsätzlich gut. Es entsprach natürlich nicht der Wahrheit, denn ich kann tierisch gut tanzen. Das ist allgemein bekannt, nur das Lied dazu gibt’s leider noch nicht. Kommt hoffentlich bald.

Interview: Hannes Roß und Andrea Ritter



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sprachlos - all diese windzüge
dieses hin- und her-geziehe
in all dem hin- und her-gesäusel
in all dem steten verschieben
all dieser koordinations-
koordinaten

ich meine immer - 
wenn kondensstreifen summten
also so richtig aktuell 
mal wieder summen könnten ...
wie im roggenfeld
die ähren
dies halmvibrieren

ich mein: so long
mein nackenhaare:
hin- und her-
im friseursalon an
der alten straße
an der alten straße 

ach hörn sie mir doch auf
mit all dem gedöns
dem hin und dem her
und dem hin und wider ...

was was wollen sie
da sprengen sich innerste
schädelknochen ab
und tauchen in die - in die
umlaufbahn ein

bio-bio-bio-gase
bi so oder so
ammoniake und sulfonamide
und plötzlich einknickendes
fichtengehölz
harzanhaftungen
harzanhaftungen
harzanhaftungen


Real Madrid: KREUZ und QUER|PASS

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Makonde-Kreuz aus Afrika/Tanzania

Das Kreuz ist den Menschen 
der letzten Jahrtausende als Marterpfahl 
der Hinrichtung bekannt 
und als Wahrzeichen der Opferbereitschaft. 
Nur wenige haben darin 
das uralte Zeichen des Treffpunkts erkannt, 
an welchem die von oben einbrechende Liebesordnung 
den Weg der Weltgesetze überschneidet.


Waldemar Bonsels



Fürs Geschäft verzichtet Real Madrid aufs Kreuz


Vorher und nachher: Das Wappen von Real Madrid mit und ohne Kreuz. Foto: Screenshot | Berliner Zeitung


KREUZ UND QUER|PASS - 
ES IST EIN KREUZ MIT DEM KREUZ

Madrid (dpa). Für seine Geschäftsexpansion im arabischen Raum nimmt Real Madrid eine Änderung des Vereinslogos in Kauf. Der spanische Fußball-Rekordmeister und Champions-League-Sieger verzichtet auf das Christenkreuz, das auf einer Krone den oberen Teil des Clubwappens ziert. Die Änderung gilt vorerst nur für die neue Kreditkarte der National Bank des Emirats Abu Dhabi, mit der die Königlichen eine dreijährige Zusammenarbeit vereinbart haben. 

Die Stars um Weltmeister Toni Kroos und Weltfußballer Cristiano Ronaldo gehen weiterhin mit dem kompletten Logo auf den Trikots auf Torejagd. Das Wappen besteht seit 1920, als das Königshaus dem Verein den Nobeltitel Real verlieh. 


Wie viel Geld Real für die Kooperation mit der Bank einnimmt, ist nicht bekannt. Real-Präsident Florentino Pérez hob die Bedeutung des Deals hervor: "Es ist eine strategische Allianz mit einer der renommiertesten Institutionen der Welt." Im Geschäftsjahr 2013/14 hat Real mit 603,9 Millionen Euro einen Einnahmerekord erzielt.

Vor zwei Jahren fehlte das Kreuz bereits bei Bauplänen im Arabischen Raum

Es ist nicht das erste Mal, dass das Kreuz aus Marketinggründen aus dem Vereinswappen verschwindet: Als der Champions-League-Sieger vor zwei Jahren die Pläne für das "Real Madrid Resort Island" in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorstellte, fehlte das christliche Symbol ebenfalls. Es sollte ein etwa 50 Hektar großer Sport- und Freizeitpark entstehen, doch das Milliardenprojekt wurde schon vor Baubeginn wegen Geldmangels gestoppt.

Damals sagte Raquel Baena von der Kommunikationsabteilung von Real Madrid: «Alles, was Sie über das Wappen und das Kreuz gelesen haben, ist falsch, Real Madrid wird nie sein Wappen ändern. Es gehört zur Geschichte des Clubs.»

Seit 1920 trägt der Verein den Zusatz "Real" (deutsch: königlich) im Namen und das Kreuz im Wappen. Nur in einer Epoche der Vereinsgeschichte fehlte es danach auch auf den Trikots: in den Jahren 1931 bis 1940, als mit Beginn der Zweiten Spanischen Republik Monarchie-Symbole verboten wurden.

Und nun ist es wieder so weit ...: ... diesmal ist es der schnöde Mammon ...


Materialien aus: © 2014 Neue Westfälische | Freitag 28. November 2014 und http://www.sueddeutsche.de/sport/marketing-im-arabischen-raum-real-madrid-trennt-sich-von-kreuz-im-logo-1.2241316

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Wer so korrupt seine fast 100-jährige Identität verkauft wie Real Madrid um des schnöden Mammons willen, der müsste meiner Meinung nach lebenslänglich vom Spielbetrieb durch FIFA und UEFA gesperrt werden ...

Weil man nun Geld aus den gleichen windigen Kanälen wie auch der IS/ISIS erhält, wird nach fast 100 Jahren mal flott das Kreuz aus dem Vereinswappen getilgt - genau so wie hierzulande Leute mal flugs aus der Kirche austreten, die ihren Eltern und Großeltern und Ahnen seit altersher noch Heimat und Trost und Ansporn war - nur um sich diese leidige Kirchensteuer zu ersparen ...

Andere moralische und ethische Qualitäten sind dann ganz einfach schnurzpiepegal ...

Was haben sich der DFB und die sogenannte "Fan-Scene" aufgeregt, damit RB Leipzig sein Clubwappen endlich abändert, weil es sonst zu sehr an die Marke Red Bull erinnere, wobei man aber gleichzeitig locker den MERCEDES-STERN als Hauptsponsor auch auf offiziellen DFB-Verlautbarungen immer gleich mit abdruckt und natürlich dick und unübersehbar das Weltmeister-Trikot damit "verziert" ...- und VW steht selbstredend für VfL Wolfsburg - und das Stuttgarter Vereinswappen erinnert wegen seiner Württemberger Herkunft "nicht umsonst" irgendwie an das Porsche-Wappen - und beim BAYER-Kreuz von Leverkusen denkt natürlich jeder an Fußball - und niemand an einen Chemie-Konzern - und ähnlich ist das bei GAZPROM/TÖNNIES 04 aus Herne-West ... 

Mir tun die "armen" Spieler von RB Leipzig immer leid, wenn nun sogenannte Fanclubs und sogar Bürgerinitiativen wie z.B. die Kampagne„Nein zu RedBull! Für euch nur Marketing – Für uns Lebenssinn!“ (hört - hört - und just dabei fällt mir doch tatsächlich eine Abänderung zum ollen Biermann-Song ein: "Das kann doch nicht alles gewesen sein ...dat bissken Fußball und Tore-Schreien - Da muss doch noch Leben ins Leben - eben!!!) gegen diesen "traditionslosen kapitalistischen Dosenclub" Sturm laufen und ganze Fankurven symbolische "Rote Karten" zeigen - bzw. Spiele boykottieren ...

Beim nächsten Auftritt von Real Madrid in diesen Stadien bin ich gespannt, ob es ähnliche Aktionen geben wird ...

R.E.M. | Losing My Religion | S!NEDi|Slideshow

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S!NEDi|photography




R.E.M.
Losing My Religion 

Übersetzung

Das Leben ist größer 
es ist größer als du selbst 
und du bist nicht ich 
Die Strecke die ich gehen werde, 
die Entfernung in deinen Augen 
Oh nein, ich habe zu viel gesagt 
ich bringe es zu Ende (bringe es fertig)

Das in der Ecke bin ich 
Das bin ich im Rampenlicht 
ich verliere meinen Glauben 
Ich versuche, mit dir mitzuhalten 
und ich weiß nicht, ob ich das kann. 
Oh nein, ich habe zu viel gesagt. 
Ich hab noch nicht genug gesagt. 
Ich dachte, ich hörte dich lachen 
Ich dachte, ich hörte dich singen 
Ich denke, ich dachte, ich sah dich es versuchen.

Jedes Geflüster 
jeder schlaflosen Stunde 
ziehe ich meinen Geständnissen (Beichten) vor 
Versuche ein Auge auf dich zu haben, 
wie ein verletzter, verirrter und blinder Narr, Narr 
Oh nein, ich habe zu viel gesagt. 
Ich bringe es zuende

Bedenke dies 
Bedenke dies 
Der Hinweis dieses Jahrhunderts 
Bedenke dies 
Der Fehltritt (Fehler) der mich in die Knie zwang, 
misslang 
Was wenn all diese Phantasien 
kommen, vorbeiwirbeln. 
Jetzt habe ich zu viel gesagt. 
Ich dachte, ich hörte dich lachen 
Ich dachte, ich hörte dich singen 
Ich denke, ich dachte, ich sah dich es versuchen.

Aber das war nur ein Traum 

Das war nur ein Traum


Advents- und S!nntagsmaler

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ähhh - selbst die himmel ahnen, dass zum ersten advent festbeleuchtung angesagt ist ...




































ähhh - und manchmal - wenn man genau hinschaut - geht einem das ganze all ins netz ...

Advent: ES KOMMT EIN SCHIFF GELADEN | Johannes Tauler

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1. Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort. 
2. Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast. 
3. Der Anker haft’ auf Erden,
da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden,
der Sohn ist uns gesandt. 
4. Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muß es sein. 
5. Und wer dies Kind mit Freuden
umfangen, lieben will,
muß vorher mit ihm leiden
groß Pein und Marter viel, 
6. danach mit ihm auch sterben
und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben,
wie an ihm ist geschehn.


Es kommt ein Schiff geladen - bis an sein' höchsten Bord .... - Flüchtlingsschiff vor Lampedusa






Aufgrund der ältesten erhaltenen Textquelle, einer vor 1450 in dem Straßburger Dominikanerinnenkloster St. Nicolaus in undis entstandenen Handschrift eines Marienliedes, wird der Text dieses Liedes gern dem Mystiker Johannes Tauler zugeschrieben, der in jenem Kloster verkehrte. Dabei wird auf den angeblich für Tauler charakteristischen Gebrauch des Wortes „enphohet“ (‚empfängt‘) verwiesen.

In typisch mittelalterlicher Allegorese wird in Aufnahme biblischer Motive die Schwangere (Jungfrau Maria) mit einem beladenen einlaufenden Schiff verglichen. Aus Taulers Gedankengut geht andererseits hervor, dass das Schiff als Sinnbild des gemuete, der Seele fungiert. In Bewegung gesetzt wird das Schiff durch Segel (= Liebe) und Mast (= Heiliger Geist).

Als Taulers Schriften wegen Verdachts der Ketzerei auf den Index gesetzt wurden, geriet das Lied katholischerseits in Vergessenheit.

Die älteste Überlieferung der Melodie ist im Andernacher Gesangbuch (1608) enthalten. Das Lied ist dort zweisprachig unter dem Titel Vns kompt ein Schiff gefahren sowie dem lateinischen En nauis institoris zu finden.

In Daniel Sudermanns (1550–1631) Straßburger Gesangbuch (1626) wurde das Lied unter dem Titel Es kompt ein Schiff geladen publiziert. Der radikalprotestantische Sudermann nahm es unter der Überschrift Ein uraltes Gesang, so unter deß Herrn Tauleri Schrifften funden, etwas verständlicher gemacht: Im Thon, Es wolt ein Jäger jagen wol in des Himmels Thron in seine Sammlung auf. Durch Hinzufügung der Bethlehem- und Stall-Motivik (v. 4) stellte er einen explizit weihnachtlichen Bezug her.

Ab 1899 (Friedrich Spitta) fand das Lied wieder Eingang in den protestantischen Gebrauch (EG 8; FL 191; MG 245). Im katholischen Bereich erscheint es ergänzt um die Marienstrophe Maria Gottes Mutter / gelobet musst du sein. / Jesus ist unser Bruder, / das liebe Kindelein (GLalt 114). Im am 1. Adventssonntag 2013 eingeführten neuen Gotteslob wurde das Lied unter Nummer 236 ohne die genannte Marienstrophe abgedruckt und anstelle der Rubrik „Advent“ in die Rubrik „Weihnachten“ eingeordnet.


Johannes Tauler | S!NEDi|graphic nach der Statue von Johannes Tauler an der Außenseite der Kirche Saint-Pierre-le-Jeune protestant in Straßburg


Johannes Tauler (* um 1300 in Straßburg; † 16. Juni 1361 ebenda) war ein deutscher Theologe und Prediger. Er war Dominikaner und zählte in seinem Orden zur neuplatonischen Strömung. Mit Meister Eckhart und Heinrich Seuse gehört er zu den bekanntesten Vertretern der spätmittelalterlichen deutschsprachigen Dominikaner-Spiritualität.

Ebenso wie Meister Eckhart geht Tauler von der Überzeugung aus, dass Gott im „Grund“ der menschlichen Seele dauerhaft – wenn auch gewöhnlich auf verborgene Weise – anwesend ist und daher dort erreicht werden kann. Voraussetzung für die innere Gotteserfahrung ist nach Taulers Lehre ein unablässiges Bemühen um Selbsterkenntnis. Die Selbsterkenntnis ermöglicht es, die Hindernisse, die der Begegnung mit Gott entgegenstehen, abzubauen. Die „Einkehr“, mit der man sich von weltlichen Bestrebungen abwendet, seinem Inneren zuwendet und Gelassenheit erlangt, bedeutet aber keineswegs eine Vernachlässigung der im Alltagsleben zu erfüllenden Aufgaben. Vielmehr sollen tätiges und beschauliches Leben eine unauflösliche Einheit bilden. Die nachdrückliche Aufwertung der Alltagsarbeit, insbesondere der gewöhnlichen Erwerbstätigkeit, die als integraler Bestandteil der Spiritualität aufgefasst wird, ist für Tauler charakteristisch.

Leben und Werk

Tauler stammte aus einer – wie aus seinen eigenen Worten hervorgeht – wohlhabenden Familie. Der Name der seit Jahrzehnten in Straßburg ansässigen Familie wird verschiedentlich in zeitgenössischen Urkunden genannt. Ein Klaus Tauler, vermutlich der Vater Johannes Taulers, war Ratsherr.

Tauler trat in den Dominikanerkonvent seiner Heimatstadt ein. Er durchlief den für Priester des Dominikanerordens üblichen Ausbildungsgang, also ein Studium von sechs bis acht Jahren, das umfangreiche philosophische und theologische Kenntnisse vermittelte. Dies geschah wahrscheinlich nicht in Straßburg, sondern in einem anderen Kloster der dominikanischen Ordensprovinz Teutonia in Süddeutschland. Wohl im Straßburger Dominikanerkonvent begegnete er Meister Eckhart, der nachweislich zwischen 1314 und 1322/1324 mehrmals in der Stadt weilte. Nach seiner Ausbildung war Tauler vor allem in der Seelsorge für geistlich lebende Frauen (dominikanische Ordensschwestern und Beginen) tätig. Für diese schrieb er seine etwa 80 deutschsprachigen Predigten, die schon frühzeitig zu Sammlungen zusammengestellt wurden; die handschriftliche Überlieferung setzt schon zu seinen Lebzeiten ein. Diese Predigten sind außer einem persönlichen Brief sein einziges erhaltenes sicher authentisches Werk.

Während des Konflikts zwischen Kaiser Ludwig dem Bayern und Papst Johannes XXII. entschied sich Straßburg für die Seite des Kaisers und wurde vom Papst mit dem Interdikt belegt. Da die Straßburger Dominikaner der Weisung des Papstes gehorchten und sich weigerten, für die Bürger weiterhin die Messe zu zelebrieren, wurden sie 1339 aus der Stadt ausgewiesen. Tauler hatte Straßburg wohl schon 1338 verlassen. Wie die meisten seiner von der Ausweisung betroffenen Mitbrüder ging er nach Basel. Dort blieb er mindestens bis zur Rückkehr des Dominikanerkonvents nach Straßburg (1342/43). Anscheinend hielt er sich zwischen 1343 und 1346 teils in Basel, teils in Straßburg und Köln auf. Während der Zeit seines Exils in Basel betätigte er sich im Kreis der spirituell orientierten „Gottesfreunde“, unter denen auch zahlreiche Laien waren. Er hielt populäre Volkspredigten, die jedoch im Unterschied zu seinen Predigten für klösterliche Gemeinschaften verloren sind. Zu seinem Freundeskreis gehörten der Weltpriester Heinrich von Nördlingen und die Dominikanerin Margarete Ebner. 1339, 1343 und 1346 reiste er nach Köln, wo er seiner Predigttätigkeit nachging, wie Bezüge auf Kölner Gewohnheiten in zwei Predigten zeigen. In den späten vierziger Jahren war er bereits ein berühmter Prediger. Die Dominikanerin Christine Ebner berichtete im Jahr 1351 von einer Vision, worin ihr Gott offenbart habe, Tauler sei ihm der liebste Mensch auf Erden.


Tauler trat für die Beginen ein, eine Gemeinschaft von Frauen, die keinem von der Kirche anerkannten Orden, sondern dem Laienstand angehörten, aber sich an die traditionellen Ordensgelübde (Armut, Enthaltsamkeit und Gehorsam) hielten und meist ein ordensähnliches, gemeinschaftliches Leben führten. Die Beginen, die oft von Dominikanern seelsorglich betreut wurden, waren damals päpstlichen und bischöflichen Verfolgungen ausgesetzt. Tauler wandte sich in Predigten scharf gegen Personen, welche die Beginen verachteten oder durch üble Nachrede in Verruf brachten.

Seine letzte Lebenszeit verbrachte Tauler, von Krankheit geschwächt, im Gartenhaus des Dominikanerinnenklosters St. Nikolaus am Gießen (St. Nicolaus in undis) in Straßburg. Nach seinem Tod am 16. Juni 1361 wurde er im Dominikanerkloster beigesetzt; die Grabplatte, die eine Zeichnung seiner Gestalt zeigt, ist erhalten.

Lehre

Tauler hat seine Lehre nie systematisch dargestellt. Sie ist daher nur aus seinen Predigten abzuleiten.

Verhältnis zu Autoritäten

Taulers Lehre ist selbständig, doch beruft er sich oft auf Autoritäten, darunter vor allem Kirchenväter wie Augustinus und Gregor der Große, aber auch pagane Philosophen wie Platon und Aristoteles. Von den mittelalterlichen Mönchstheologen schätzt er besonders Bernhard von Clairvaux sowie die Viktoriner Hugo von Sankt Viktor und Richard von Sankt Viktor. Eine herausragende Rolle spielen für ihn neuplatonisch orientierte Philosophen und Theologen wie Pseudo-Dionysius Areopagita, Dietrich von Freiberg und der spätantike nichtchristliche Neuplatoniker Proklos, der ihm aus dem Proklos-Kommentar seines Mitbruders Dietrich von Freiberg vertraut ist, sowie Meister Eckhart, den er allerdings nur einmal namentlich erwähnt. Im Umgang mit Autoritäten aller Art legt er großes Gewicht auf den Unterschied zwischen „Les(e)meistern“, gelehrten Theologen, die viel wissen, aber es kaum praktisch umsetzen, und „Leb(e)meistern“, die selbst beispielhaft leben. Sein Urteil über die Lesemeister fällt sehr ungünstig aus.

Seelenlehre

Tauler geht es darum, seiner Zuhörerschaft den Weg zur Vereinigung mit Gott zu eröffnen. Diese Erfahrung, die in der lateinischen theologischen Terminologie unio mystica genannt wird, bezeichnet Tauler, der nur deutsch schreibt, als „Durchbruch“ oder „Überfahrt“. Sie ist nach seiner Überzeugung jedem Menschen möglich. Stets kreist sein Denken um die Voraussetzungen und den Verlauf dieses Geschehens. Den begrifflichen Rahmen bietet eine trichotomische Seeleneinteilung: Tauler ist der Auffassung, dass der Mensch hinsichtlich seiner seelischen Eigenschaften und Neigungen dreigliedrig ist, „wie aus drei Menschen gestaltet“. Er unterscheidet drei „Dinge“ (Aspekte) im Menschen: den äußeren Menschen, den inneren Menschen und den dritten, den „obersten inneren“ Menschen, der den Kern der Persönlichkeit bildet, während die beiden anderen als „niedere Menschen“ bezeichnet werden. Der äußere, sinnliche Mensch „haftet der Natur an, in Fleisch und Blut“. Er wird von tierhaftem, leiblichem Begehren gesteuert; wer dieser Neigung folgt, „verharrt in den Sinnen bei den Geschöpfen und in den geschaffenen Dingen“. Der innere Mensch verfügt über die „natürliche Vernunft“ und ist daher zu vernunftgemäßem Handeln befähigt, doch können seine Gedanken niemals in Gottes „Einsamkeit“ gelangen. Den dritten (obersten und innersten) Menschen bezeichnet Tauler als „Grund“ (der Person, des Geistes oder der Seele) und oft auch als „Gemüt“ (nicht im modernen Sinn dieses Begriffs). Er ist „reine unvermischte Seelensubstanz“ und als solche gottfähig und gottartig (gotlich, gottig).Tauler lehrt, nur der „Grund“ sei Träger der Fähigkeit, die Einheit mit Gott zu erreichen, denn dieses Geschehen übersteige die naturgegebenen Kräfte der Sinne und der Vernunft. Im „Grund“ sei Gott stets präsent, wenn auch oft nicht in spürbarer Weise. Da die drei Instanzen des Seelischen von verschiedener Beschaffenheit seien, empfänden sie ungleich; zwischen ihnen bestehe ein Widerstreit, da sie von sich aus unterschiedliche, teils gegensätzliche Ziele anstrebten. Daher seien die beiden niederen Menschen, die Tauler mit einem Esel (sinnlicher Mensch) und einem Knecht (vernunftgeleiteter Mensch) vergleicht, der Herrschaft des obersten Menschen zu unterwerfen.

Der Weg zur Vereinigung mit Gott

Das Beschreiten des spirituellen Wegs beginnt für Tauler mit der „Umkehr“ (kêr), zu der er beständig aufruft. Sie soll sich äußerlich auf das ethische Verhalten auswirken und damit das Verhältnis zu den Mitmenschen verbessern. In erster Linie stellt er sie jedoch als Hinwendung zu sich selbst dar. Als „Einkehr“ (inkêr) sei sie eine nach innen, in den eigenen „Grund“ der Seele gerichtete Bewegung. Diese Bewegung sei von einem Prozess der Selbsterkenntnis begleitet, auf den Tauler größtes Gewicht legt, da die Selbsterkenntnis letztlich in die Gotteserkenntnis einmünde.

Auf dem Weg unterscheidet Tauler drei „Grade“ (erreichbare Haltungen oder Lebensformen). Den untersten Grad nennt er „Jubel“, „eine große, wirksame Freude“. Dieser erste Grad entsteht aus der Wahrnehmung der „köstlichen Liebeszeichen“ Gottes in der Natur, der „Wunder des Himmels und der Erde“, und aus der Betrachtung der Gaben, die der Mensch selbst empfangen hat. Wer dies „in rechter Liebe betrachtet, wird von innerer Freude so überwältigt, dass der schwache Leib die Freude nicht zu halten vermag“. Nachdrücklich warnt Tauler davor, die „Kinder Gottes“, die in diesem Zustand sind, davon abzulenken, ihnen Hindernisse in den Weg zu legen oder „grobe Übungen“ zuzuweisen; damit richte man sich selbst zugrunde.

Nach Taulers Ausführungen ist der Mensch, wenn er den zweiten Grad erreicht, „kein Kind mehr“, sondern gleichsam „Mann geworden“ und verträgt als solcher harte Kost. Diese Phase ist durch Bedrängnis und Leid (getrenge) gekennzeichnet. Hier nimmt Gott dem Menschen alles wieder ab, was er ihm zuvor gegeben hat, und überlässt ihn gänzlich sich selbst, so dass dieser Mensch „von Gott gar nichts mehr weiß“ und „nicht weiß, ob er je auf dem rechten Weg gewesen ist, ob es einen Gott für ihn gebe oder nicht“. In diesem Zustand erlebt der Betroffene sein Dasein als höllisch, und alles, was man ihm sagen kann, „tröstet ihn nicht mehr als ein Stein“.

Die zweite Stufe dient zur Vorbereitung des Übergangs („Durchbruch“, „Überfahrt“) zur dritten, auf welcher der Mensch aller Not enthoben wird und die Wahrheit erkennt. Indem er „die allerwahrste Erkenntnis des eigenen Nichts“ (seiner Nichtigkeit) erlangt, wird er „vergottet“ und „eins mit Gott“; sein demütiges Versinken ins Nichts ist zugleich ein Aufstieg, denn „Höhe und Tiefe ist hier ein und dasselbe“. Der Mensch ist ein „geschaffener Abgrund“, Gott ein „ungeschaffener Abgrund“; die beiden rufen sich gegenseitig herbei, wie Tauler es in Anlehnung an Ps 42,8 EU ausdrückt, sie begegnen einander, und dann fließt der eine Abgrund in den anderen Abgrund, „versinkt das geschaffene Nichts in das ungeschaffene Nichts“.

Die Schöpfung, den Hervorgang der Welt aus Gott, betrachtet Tauler als Emanation (Ausgießung), die Erlösung als Rückkehr zum Ursprung: „Dasselbe, was der Mensch jetzt in seiner Geschaffenheit ist, war er von Anbeginn her in Gott in Ungeschaffenheit, mit ihm ein seiendes Sein (ein istig wesen mit im). Und solange der Mensch nicht zurückkehrt in diesen Zustand der Bildlosigkeit (luterkeit), mit dem er aus dem Ursprung herausfloss, aus der Ungeschaffenheit in die Geschaffenheit, wird er niemals wieder in Gott hineingelangen.“

Verschiedene Metaphern, die Tauler in diesem Zusammenhang verwendet, deuten an, dass für ihn die Vereinigung mit Gott als eine restlose erlebt wird, die zur Ununterscheidbarkeit führt; so spricht er vom Wassertropfen, der sich im Meer verliert oder dem Wein beigemischt wird. Andere Aussagen von ihm lassen aber erkennen, dass unabhängig von solchem subjektiven Erleben die Persönlichkeit des Menschen objektiv immer intakt verbleibt. Taulers Lehre ist nicht pantheistisch zu verstehen.

Um die Schwierigkeiten, die dem Gott Suchenden auf dem Weg begegnen, zu illustrieren, vergleicht Tauler in der elften Predigt das Schicksal des Menschen, der nach Gott dürstet, mit dem eines Hirsches, der von Hunden gejagt wird. Zuerst verfolgen ihn seine „starken, großen, groben Gebrechen“, die sieben Hauptlaster, die großen Hunden entsprechen. Wenn er sich ihrer erfolgreich erwehrt hat, etwa indem er einem Hund, der sich in ihn verbissen hat, den Kopf an einem Baum zerschmettert, kommen kleine Hunde, die ihn zwicken. Das sind kleine Ablenkungen, „Gesellschaft oder Kurzweil oder menschliche Liebenswürdigkeit“, die er für relativ harmlos hält. Da er ihre Gefährlichkeit nicht erkennt, sind sie „oft viel schädlicher als die großen Versuchungen“. Hat der Hirsch schließlich alle Hunde überwunden, so gelangt er zum Wasser (Gott), wo er seinen Durst stillen kann.

Eine Hauptvoraussetzung für die vollständige Bewältigung dieses Weges ist für Tauler so wie für Meister Eckhart die Loslösung von allem. Sie führt zur „Ledigkeit“ und „Gelassenheit“. Darunter versteht er nicht nur äußere Armut im Sinne eines Verzichts auf Eigenbesitz und weltliche Wünsche, sondern eine umfassende geistige Armut oder Leere, zu der auch der Verzicht auf den Anspruch auf eigene Erlösung und Seligkeit gehört.

Tätiges und beschauliches Leben

Wie schon Meister Eckhart lehnt Tauler eine Trennung zwischen tätigem und beschaulichem Leben und die Geringschätzung der tätigen Lebensweise ab. Da die von ihm geforderte „Umkehr“ ein innerseelischer Vorgang ist, hält er keineswegs eine äußerliche Abkehr von den gewöhnlichen Verrichtungen des bürgerlichen Alltags für erforderlich. Vielmehr lobt er ungebildete Laien (Nichtgeistliche) ohne theologisches Wissen, die ihre weltlichen Aufgaben erfüllen und schwere Arbeit verrichten, und wendet sich scharf gegen ihre Abwertung durch manche Kleriker. Generell betont Tauler den ethischen und spirituellen Wert der Arbeit einschließlich der gewöhnlichen Erwerbstätigkeit. Der einzelne Mensch soll dem „Ruf“ Gottes folgend seine tätige oder beschauliche Lebensform entsprechend seiner Veranlagung und Befähigung wählen. Der Gegensatz zwischen den beiden Lebensformen besteht für Tauler nur scheinbar, in Wirklichkeit bilden sie eine Einheit, die sich aus dem Einssein mit Gott ergibt; ist dieses Einssein erreicht, so wirkt Gott selbst in dem Menschen alles und bestimmt daher auch, wann ein Werk vollbracht werden soll und wann die Zeit für Beschaulichkeit ist. Nach dieser Sichtweise beeinträchtigt die äußere Tätigkeit das geistliche Leben nicht und der gelassene Mensch zieht weder das eine noch das andere vor, sondern beides ist ihm gleichermaßen willkommen. Keine Tätigkeit ist an sich geringer als eine andere.

Gottesauffassung

Tauler verwendet bei der Darlegung seiner Gottesauffassung Ausdrucksweisen aus dem Schrifttum zur negativen Theologie, einer Herangehensweise, die in der (neu)platonisch beeinflussten theologischen Tradition eine wichtige Rolle spielte und besonders von Pseudo-Dionysius Areopagita und Meister Eckhart entwickelt wurde. Dabei geht es um eine Kritik positiver Bestimmungen des Göttlichen als unangemessen und deren Ersetzung durch negative Aussagen, die festhalten sollen, was Gott nicht ist, indem sie als unzulänglich betrachtete positive Bestimmungen verneinen. So verwendet Tauler mit Berufung auf Pseudo-Dionysius den Begriff der göttlichen „Finsternis“, obwohl im Neuen Testament (1 Joh 1,5 EU) festgestellt wird, in Gott sei keine Finsternis. Er bezeichnet Gott auch als das „ungeschaffene Nichts“ (ungeschaffen nút). Weitere Begriffe, die er bei Aussagen über Gott verwendet, sind „Tiefe“ und „Abgrund“. Nach seiner Auffassung ist Gott namenlos („ungenannt“).

Daneben kommen bei Tauler aber auch affirmative Aussagen über Gott vor; so nennt er ihn ein „ungeschaffenes Licht“ und „das Gute“ und spricht von seiner „Weisheit“. Vor dem Hintergrund der negativen Theologie erweisen sich diese Begriffe als Metaphern, die das Gemeinte nur andeuten sollen, nachdem jeder Anspruch, eine angemessene Beschreibung geben zu können, zurückgewiesen wurde.

Nachwirkung

Taulers Lehre erzielte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit eine enorme Nachwirkung. Dazu trug der Umstand bei, dass er im Gegensatz zu Meister Eckhart, der oft die gleichen oder ähnliche Ansichten vertrat wie er, im Mittelalter nie im Verdacht der Häresie stand. Sein großes Ansehen im Spätmittelalter zeigt sich unter anderem darin, dass ihm verschiedene Schriften anderer Autoren zugeschrieben wurden. Unter diesen „Pseudo-Tauleriana“, die das Bild der Nachwelt von ihm mitprägten, waren Predigten, Traktate und Briefe. Starke Verbreitung fand in der Frühen Neuzeit ein Werk eines unbekannten Autors, das Buch von der geistlichen (oder: geistigen) Armut, das Daniel Sudermann Tauler zuschrieb. Sudermann druckte es 1621 unter dem Titel Doctors Johan Taulers Nachfolgung des armen Lebens Christi. Von Taulers Predigten direkt oder indirekt inspiriert war die Urfassung des Liedes Es kommt ein Schiff, geladen (Evangelisches Gesangbuch Nr. 8), das ihm daher zugeschrieben wurde.

Die Predigtsammlung verbreitete sich vor allem in den Klöstern, die an den religiösen Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts beteiligt waren. Mindestens 178 Handschriften sind erhalten. Die ersten Drucke erschienen 1498 in Leipzig und 1508 in Augsburg; sie enthielten bereits unechte Predigten neben den authentischen.

Traditionell umstritten sind das Ausmaß des Einflusses Taulers auf Martin Luther und die Frage, inwieweit er als Vorläufer der Reformation betrachtet werden kann. Die konfessionelle Prägung dieses Streits stand lange einer unbefangenen Klärung des Sachverhalts entgegen. Luther schrieb Randbemerkungen in sein Exemplar der Augsburger Tauler-Ausgabe.Er erwähnte den Dominikaner 1516 in seinem Römerbriefkommentar und zitierte ihn später häufig. Die Theologia deutsch, die er sehr schätzte und herausgab, hielt er für eine Zusammenfassung der Lehre Taulers. Diese Weichenstellung führte zu einer großen Beliebtheit Taulers in den evangelischen Gebieten, wo die Sammlung seiner Predigten bis ins 19. Jahrhundert zu den beliebtesten Erbauungsbüchern gehörte, vor allem in pietistischen Kreisen; erst in der Romantik wurde sein Einfluss von dem Meister Eckharts übertroffen. Zu den reformatorischen Persönlichkeiten, die Tauler schätzten, gehörten im 16. Jahrhundert Thomas Müntzer, Sebastian Franck und Michael Neander, der 1581 eine Theologia Bernhardi et Tauleri veröffentlichte, im 17. Jahrhundert Johann Arndt, der in seinem populären Erbauungsbuch Vier Bücher vom wahren Christentum zahlreiche Texte aus der Basler Taulerausgabe zitierte, Jakob Böhme, Philipp Jacob Spener und Ahasverus Fritsch, der in einer Schrift unter dem Titel Pietas Tauleriana („Taulersche Frömmigkeit“, 1676) Aussprüche und Lebensregeln Taulers zusammenstellte.

Die Berufung reformatorischer Theologen auf Tauler ließ ihn zur Reformationszeit manchen Katholiken suspekt erscheinen. Luthers prominenter katholischer Gegner Johannes Eck bezichtigte Tauler sogar 1523 in seiner Schrift De purgatorio contra Ludderum („Über das Fegfeuer gegen Luther“) der Häresie.[16] Dagegen wandte sich der Benediktinerabt Louis de Blois 1553 in einer Verteidigungsschrift (Apologia pro Thaulero). Der vierte General der Jesuiten, Everard Mercurian, der von 1573 bis 1580 amtierte, verbot in seinem Orden die Tauler-Lektüre. Werke, die Tauler teils zu Unrecht zugeschrieben wurden, kamen im 16. Jahrhundert auf den Index.

Mit den protestantischen Tauler-Ausgaben konkurrierten katholische, darunter die von dem Kartäuser Georg Carpentarius bearbeitete, allerdings mit einem Vorwort eines Lutheraners ausgestattete Ausgabe von Basel (1521 und 1522) und die auf den Jesuiten Petrus Canisius zurückgehende von Köln (1543). Canisius fügte eine umfangreiche Sammlung von Texten hinzu, die nicht von Tauler stammen, aber fortan zu dessen wichtigen Werken gezählt wurden; die Unechtheit wurde erst 1841 erkannt. Der Kartäuser Laurentius Surius veröffentlichte 1548 in Köln eine lateinische Übersetzung, die neben den authentischen Predigten nicht nur das von Canisius eingebrachte unechte Material enthielt, sondern darüber hinaus noch zusätzliche, von Surius stammende Erweiterungen. Durch die Übersetzung ins Lateinische wurde Tauler auch außerhalb des deutschen Sprachraums bekannt. Besonders schätzte ihn Paul vom Kreuz, der im 18. Jahrhundert die Ordensgemeinschaft der Passionisten gründete. Daher war und blieb bei den Passionisten der Einfluss Taulers relativ stark.

Gedenktag
16. Juni im Evangelischen Namenkalender.

WIKIPEDIA


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