Quantcast
Channel: nunc|hic
Viewing all 2576 articles
Browse latest View live

Überwachung - wir lieben sie: Der Graphiker und Videokünstler Alexander Lehmann

0
0


Heute möchte ich Ihnen den Graphiker und Videokünstler Alexander Lehmann (*1984) vorstellen, der mit einfachen klar gegliederten didaktischen Mitteln und Aussagen - dafür aber mit höchstem graphischen Niveau - den Zustand unserer komplizierten Cyber-Welt abbildet, erklärt und vor den Gefahren warnt ...



Alexander Lehmann
mediaconventionberlin.com
Alexander Lehmann 

(* 1984) ist ein deutscher Graphiker und Videokünstler, der durch das politische Webvideo Du bist Terrorist bekannt wurde.

Alexander Lehmann schloss 2005 seine Ausbildung zum Gestaltungstechnischen Assistenten ab. Anschließend studierte er Virtual Design an der Fachhochschule Kaiserslautern. Lehmann arbeitete an der Produktion der kanadischen Produktion District 9 mit. Seitdem ist er als freier Filmemacher und Autor tätig. Er lebt heute in Köln.

Für seine Produktionen benutzt er 3ds Max und verschiedene Compositing-Programme. Für seine ersten Filme verwendete er fünf Computer zum Rendern. Lehmann arbeitet mit dem Sprecher Ernst Walter Siemon und Tontechnikern zusammen.

Sein erstes Video, Du bist Terrorist, das Alexander Lehmann im Mai 2009 zunächst auf einer dafür eingerichteten Website veröffentlichte, wurde bei mehreren Filmfestivals gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. Ende 2009 folgte Rette deine Freiheit. Im Juli 2010 wurde mit Willkommen bei Facebook ein weiteres Video von ihm auf der Website der NDR-Satire-Sendung Extra3 veröffentlicht. Das Video kritisiert den Umgang der Internetplattform Facebook mit den Daten seiner Nutzer.

Alle diese Videos lizenzierte Alexander Lehmann unter einer Creative Commons-Lizenz, die die Weiternutzung unter bestimmten Bedingungen gestattet. Als das Video Du bist Terrorist sowie weitere Webvideos von Mario Sixtus nach einer Aufforderung der GVU dennoch von der Videoplattform vimeo gelöscht wurden, wurde dies in Blogs und bald auch Presseberichten kritisiert.

September 2010 folgte das Video Buugle weiß alles - über dich, ebenfalls auf der Website von Extra3. Ende September zeigte Extra3 unter dem Titel „Spieletipp: Gesundheitsreform“ einen Beitrag, der die Gesundheitsreform von Philipp Rösler im Stile eines Gesellschaftsspiels darstellte.

2011 erschien das Video "Tipps für afrikanische Flüchtlinge", in dem unter anderem die Grenzschutzagentur Frontex thematisiert wird.

Seit Oktober 2010 produziert Lehmann im Auftrag des ZDF die Animationen für „Uebermorgen.TV“. Im Januar 2011 erschien in Zusammenarbeit mit Extra3 das Video Toll: Der neue Perso.

Filmografie - u.a.

2009: Du bist Terrorist

2009: Rette deine Freiheit
2010: Willkommen bei Facebook
2010: Buugle weiß alles - über dich
2010: Spieletipp: Gesundheitsreform
2010: Lobbyismus für Dummies
2011: Toll: Der neue Perso
2011: Unternehmensmanager 2011
2011: Liebe Afrikaner (Tipps für afrikanische Flüchtlinge)
2011: Deutsche Atomkonzerne
2011: Das Netzwerk
2012: MOGiS und Freunde - Info-Spot
2012: KMW Leopard 2 A7+
2013: Telekom - Netz der Zukunft
2014: Wir Lieben Überwachung
2015: Netzneutralität tötet

WIKIPEDIA



http://www.alexanderlehmann.net/
https://www.youtube.com/user/alexanderlehmann


Pep Guardiola liest Lyrik: Miquel Martí i Pol - eine inspirierende Freundschaft

0
0
Bearbeitetes Video-Still von der Lesung in München - links: Thomas Loibl - rechts Pep Guardiola ...

Heute möchte ich von einer öffentlichen Lesung Pep Guardiolas aus den Werken seines Lieblingslyrikers Miquel Martí i Pol berichten, die auf SZ.de von Lars Langenau und von Frieder Pfeiffer, SPIEGEL.de, besprochen wurde - gleichzeitig möchte ich einen Einblick in die Werke Martí i Pol's geben durch Ausschnitte aus einem Artikel in der NZZ - und dem WIKIPEDIA-Eintrag zu ihm ... 
Also - ich kannte den Lyriker Miquel Martí i Pol bis dato noch nicht - doch schon die Beschäftigung mit einer Lesung aus seinem Œuvre macht neugierig ...

Inspirierende Freundschaft 

Pep Guardiola liest aus den Werken seines Lieblingslyrikers Miquel Martí i Pol 


Der Katalane Miquel Martí i Pol war ein dichterisches Talent mit klassenkämpferischem Charakter. 
Seine Lyrik besingt Leben und Leiden der einfachen Leute, zu denen er selbst zählte.


«Der Kopf, seine Last, hat mir den Rücken gekrümmt 
und die Brust ausgehöhlt. Unaufdringlich 
dafür muss man dankbar sein 
bekommt der Bauch 
die Rundung, wie ihn die Handbücher vorschreiben. 
Beine und Hände trödeln und meckern, 
und die Stimme macht Urlaub für immer,
eingeschüchtert von Argwohn und Fragen.
Nur die Augen halten ihre Tätigkeit 
zu überwachen aufrecht . . .»

Miquel Marti i Pol.
nach einem Bild von NZZ | Pere Virgili / Album)
So beschreibt sich der katalanische Dichter Miquel Martí i Pol in seinem «Selbstbildnis mit sechzig Jahren». Er war an multipler Sklerose erkrankt, seit dem 40. Lebensjahr in Rente und an den Rollstuhl gefesselt. Die Stimmbänder waren gelähmt, er vermochte nur noch die Lippen zu bewegen, seine zweite Frau, Montserrat Sans, konnte die rudimentäre Artikulation deuten und dolmetschen. Über sie und seine elektrische Schreibmaschine kommunizierte er mit der Welt.

Gern wäre man Zeuge gewesen, als Pep Guardiola, damals Spieler des FC Barcelona, den Lyriker in seiner Heimat, dem Pyrenäenstädtchen Roda de Ter, besuchte. Der Fußballer hatte das Gefühl, er müsse sich nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch weiterentwickeln, und suchte deshalb in Begleitung seiner Frau Cristina Serra das Gespräch mit einer geistigen Autorität. Eine paradoxe Situation; der Athlet und der Lahme, der Reiche und der arme Schlucker, der Zungenfertige und der Stumme – was hatten sie einander zu sagen? Offenbar war der Dialog unter so erschwerten Bedingungen fruchtbar. Sie «pflegten die poetische Freundschaft», schreibt Tobias Burghardt (Verleger der Edition Delta und bisher wichtigster Übersetzer Martí i Pols), und der Beweis ist die Widmung des Bandes «Buch der Einsamkeiten» an den Besucher aus Barcelona und seine Begleitung.

Das Goethe-Institut und sein katalanisches Pedant, das Institut Ramon Llull, haben nun in München, im Literaturhaus, eine Lesung aus den Werken Miquel Martí i Pol's durch Pep Guardiola auf Katalanisch und dem Schauspieler Thomas Loibl auf Deutsch möglich gemacht. Es wird ein tiefer, poetischer Abend - getragen von einem Mann, der weit mehr ist als ein Fußballtrainer.

"Poesie ist Privatsache", sagt Guardiola. "Normal liest man zuhause für sich." Auch Martí i Pol habe er vorgelesen, "peinlich" sei ihm das anfangs gewesen. Dabei ist die Zurückhaltung wohl eher Ehrfurcht denn Scham.

Irgendwann sieht es so aus, als bewege sich Guardiola so sanft und vorsichtig in seinem Sessel, damit er die lyrische Aura nicht vertreibe. Auch auf die Fremdsprache verzichtet er. "Wenn ich auf deutsch über Fußball spreche, habe ich Probleme. So werde ich gerade über meine Heimat-Literatur nicht auf deutsch sprechen. Das ist besser. Für mich - und für euch."


Als Trainer des FC Barcelona hat Guardiola dem Fußball neue Welten erschlossen, in Deutschland erweitert er auch die Spielräume der Sprache. Doch hier geht es nicht um "super, super Spieler" und "große, große Dank an meine Mannschaft". Es geht um Arbeiterlyrik aus den schlimmen Zeiten der Franco-Diktatur, um Revolution, Liebe, den Tod.

Es sei eine inspirierende Freundschaft mit Miquel Martí i Pol gewesen, sagt Pep. Inspirierend vor allem für ihn, weil er zu lesen begann. Martis Lyrik habe ihn "auf den Teppich zurückbringen" können. "Niemand hat so von der Liebe und dem Tod geschrieben wie er. Aufgrund seiner Krankheit musste er nach innen blicken." Und die Lyrik ermögliche es, mit so wenigen Worten so viel Tiefe widerzuspiegeln. Es ist eine einfache, zugängliche Sprache, die doch voller Reichtum ist.

Die politische Schnittmenge dieser Freundschaft dürfte sich vor allem auf den Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens konzentriert haben. Auch wenn der Fußballtrainer sagt: "Große Gedichte sind immer aktuell. Die, die sich auf dem Rücken der Beherrschten ein schönes Leben machen, gibt es immer noch." Pep, der Revolutionär.

Guardiola ist also ein bekennender Fan von Miquel Marti i Pol und ein selbstbewusster Katalane: "Ich bin nicht als Kulturbotschafter Kataloniens hierhergekommen und ich weiß nicht, welche Vorstellung über mein Land hier vorherrschend war." Aber es freue ihn, wenn die reiche Kultur und Kunst dieser Region wahrgenommen werde. Natürlich hätte er die Gedichte auch auf Deutsch lesen können, aber die Verantwortlichen hätten eben das Katalanische hören wollen. Und das hat sich gelohnt: Er hat eine schöne, tiefe, männliche Stimme, den Mund oft spitzend, die Zunge häufig heraus schnellend und wieder einrollend. Lispelnd und spielend mit den Betonungen.

Pep Guardiola - nach einem Foto von SZ.de|AFP
Pep Guardiola verschenkte in Barcelona zur Motivation Bücher von Miquel Marti i Pol an Spieler, die sich für Literatur interessierten. Ob das auch in München der Fall sei? Seine doppeldeutige Antwort: Es gebe auch Bayern-Spieler die lesen - "und eigentlich sollten die mir mal deutsche Bücher empfehlen". Guardiola findet aber auch noch die Brücke zwischen dem Trainer und dem Autor: "Erst gibt es eine Idee, die man verwirklichen will, dann kommt der Aufbau, man möchte ein Werk schaffen. Und dann gibt es ein Ende, das so oder so sein kann."

Zurück zu Marti i Pol, der seit seinem 14. Lebensjahr über drei Jahrzehnte Fabrikarbeiter war und den erst schwere Krankheiten zu seiner wahren Profession führten. Guardiola beginnt die Lesung mit einem handfesten, ja, kommunistischen Gedicht: Gegen die Mächtigen, gegen das Joch der Arbeiter, für Widerstand, gegen Unterdrückung.

Marti pflegte sozial engagierte Lyrik, die wir in Deutschland "Literatur der Arbeitswelt" nannten. Es ist ein in Vergessenheit geratenes lyrisches Genre, das - auf Deutsch gelesen von dem Schauspieler Thomas Loibl - trotz allem noch berührt. Zwar ist es irgendwie auch tiefsinnig, wenn sie da im katalanischen Original vom Podium von einem Millionär gelesen - und bewundert - wird.

Da ist dann der Marti i Pol-Zyklus «La fàbrica», der 1972 erstmals in einer Liebhaber-Ausgabe erschien und nach mehr als 40 Jahren nun auf Deutsch vorliegt, übertragen von dem Regensburger Romanisten Johannes Hösle, der Martí i Pol einst während einer Arbeitspause auf dem Fabrikhof kennenlernte. Vier Jahrzehnte nach Gründung des Unternehmens, 1965, begann Martí i Pol seine poetische Bilanz zu ziehen, und angesichts der anonymen Hekatomben, die der wachsende Moloch verbraucht hatte, formulierte der Chronist sein Programm, eine Art Geschichtsschreibung von unten: «An diese Leute will ich erinnern: an jene, die noch / am Leben sind, von den Jahren beschwert, senil geworden, / und die andern, die mitten auf dem Weg / jener langen vierzig Jahre gestorben sind // Sie und nicht die anderen, / jene, die grosstuerisch ihren Namen / auf das Getane drucken, / sind die einzigen Helden dieser Geschichte . . . Maria Carné, die dann ledig verstarb, / Isidre Feixas, Cinto Filosa, / Joana Martínez, die Toiletten / und die Ecken der Räume wischte und allmählich / runzlig wurde, wie Blätter runzlig werden . . . Carmeta Escalé, die jetzt aufhört und schon arbeitete, / als sie kaum acht war / . . . was kann sie vor dem Nichts, in dem sie leben, retten, / wenn nicht die Stimme eines der Ihren, die über sie spricht?»

Solange es Martí i Pol bei einem reinen Name Dropping belässt, bleibt der Abwehrzauber gegen das Vergessen schwach. Sobald er Einzelheiten liefert, hat er die Aussicht, die Amnesie zu besiegen. Davon macht er denn immer wieder Gebrauch. Beispielsweise in Falle Elionor.


«Elionor war / vierzehn Jahre und drei Stunden alt, / als sie zu arbeiten anfing. / . . . Sie trug noch Zöpfe / und sagte: ‹Ja, senyor› und ‹Guten Abend›. / Die Leute mochten sie leiden, / die so sanfte Elionor, / und sie sang, während sie / hurtig mit ihrem Besen kehrte.» Ein unverwüstlich fröhliches Mädchen, so scheint es, das sich seine primitive, perspektivlose Arbeit nicht verdrießen lässt. Aber dann stellen sich hysterische Weinkrämpfe ein «und jenes nicht unterdrückbare Gefühl, / einsam zu sein». Die lebensklugen Frauen in ihrer tristen Umgebung hinter den blinden Scheiben sagen, solche Anfälle kuriere man, indem man heiratet und Kinder bekommt. Elionor gehorcht, heiratet und bekommt Kinder. «Das Älteste, es war ein Mädchen, / war genau drei Stunden zuvor / vierzehn geworden, / als es zu arbeiten anfing. / Es trug noch Zöpfe / und sagte ‹ja, senyor› und ‹Guten Abend›». Die Fabrik ein Familienunternehmen in jenem anderen Sinne, dass es Generation nach Generation verschlang, mit Wiederholungszwängen, die aus der Not geboren waren.

Es verstieße gegen die poetische Gerechtigkeit, wenn in diesen Versen das Fabrikleben nur schwarz in schwarz gemalt würde, wenn es nur aus Staub und Lärm, dauernd verschärftem Arbeitstempo, dem Terror der Stechuhr wie der Sirenen bestünde. Martí i Pol kennt auch die lichten Momente, etwa wenn im Frühjahr das schöne Wetter kommt und die Pausen fast einem Picknick ähneln. Da werden «mit sieben weißen Kieseln / sieben Speiseplätze / am Ufer» gemacht. Da wird geschmaust und geblödelt, einem Lehrling mit dem Leinenschuh der nackte Hintern versohlt oder «hinter einem Lagerschuppen, im fernen / und gedämpften Lärm der Maschinen», ein Mädchen geliebt. Ein unschuldiges Vergnügen? Nein, denn die Chefs legen Wert auf Zucht und Ordnung. Würde ein ehebrecherisches Verhältnis wie das der Rita Mirambell mit einem Walker ruchbar, wäre eine Kündigung unvermeidlich. «Wie belämmert, / heilige Muttergottes, / sind doch die Armen.»

Guardiola und Loibl wechseln nach der Arbeiterprosa zu erotischen Gedichten, die von Brüsten, Hüften und brennenden Geschlechtern handeln. Schließlich ist die "Lust ein weiter Horizont", wie Marti i Pol einst dichtete. Seine Gedichte handeln in dieser Phase seines Lebens aber auch vom Alleinsein, Ferne, Einsamkeit, Sehnsucht und Verzauberung. Die Poesie des wohl am meisten vertonten Lyrikers Kataloniens ist filigran und deftig zugleich. Und wunderschön in Verbindung mit dem Klang der katalanischen Sprache.


Es folgen Werke aus den achtziger Jahren, nach dem Ende der Franco-Diktatur, einer Zeit voller Aufbruch: "Lasst uns erneut aufstehen!", "Alles liegt vor uns - und alles ist möglich."




Das waren dann die Zeilen, mit denen sich auch Fußballer inspirieren lassen. Und der Fußballleser Guardiola schließt mit Gedichten aus einem sehr traurigen Buch, mit dem Marti i Pol den Tod seiner Frau versuchte zu verarbeiten und dem "Buch der Einsamkeiten", das er einst Guardiola und seiner Frau Cristina Serra widmete. Für Pep war diese Widmung eine Überraschung, "aber manchmal hatte er solche Ideen".


Dass Martí i Pol 1999 im Namen der katalanischen Kultur für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, war kein Grössenwahn. – Der Autor starb am 11. November 2003. Mit den Bänden des Maro-Verlags und der Edition Delta liegt nun ein beachtlicher Teil seines Œuvres auf Deutsch vor. Nehmt und lest.

Bücher von Miquel Martí i Pol auf Deutsch: 
  • La fàbrica. Gedichte. Aus dem Katalanischen von Johannes Hösle. Maro-Verlag, Augsburg 2014. 104 S.
  • Parlavà-Suite. Jemand wartet. Buch der Einsamkeiten. Gedichte, zweisprachig. Aus dem Katalanischen von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2012. 131 S. 
  • Liebe Marta. Haikus in Kriegszeiten. – Gedichte, zweisprachig. Aus dem Katalanischen von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2010. 153 S. 
  • Der Bereich aller Bereiche. Nach allem. – Gedichte, zweisprachig. Aus dem Katalanischen von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2007. 175 S.


Textquellen: NZZ  und SZ.de und SPIEGEL.de


---------------------------------------------------

Miquel Martí i Pol 
(* 19. März 1929 in Roda de Ter, Osona; † 11. November 2003 in Vic) war ein katalanischer Lyriker.

Miquel Martí i Pol wuchs in Roda de Ter, einem Dorf in der Provinz Barcelona, auf. Er kam aus einer einfachen Familie, besuchte die spanischsprachige Volksschule und begann mit 14 Jahren, in der Textilfabrik Cala Tecla Sala zu arbeiten, in der auch seine Mutter beschäftigt war. Eine Lungentuberkulose zwang den 19-Jährigen ein Jahr lang zur Bettruhe, was ihm gestattete, zu schreiben und vor allem zu lesen. Das Gelesene übersetzte er später ins Katalanische. Sein erster Gedichtband Paraules al vent wurde 1954 mit dem Literaturpreis „Ossa Menor“ ausgezeichnet. In den 1970er-Jahren vertonten Liedermacher der Nova Cançó wie Maria del Mar Bonet, Ramon Muntaner, Lluís Llach, Celdoni Fonoll und Rafael Subirachs seine Gedichte und sorgten für seine Popularität.

Er wurde Mitglied der Partit Socialista Unificat de Catalunya (PSUC), die in der Franco-Diktatur im Untergrund operieren musste.

Zu Beginn der 1970er-Jahre erkrankte er an Multipler Sklerose, was ihn später am Sprechen hinderte, so dass er nur noch mit rudimentärer Artikulation und elektrischer Schreibmaschine kommunizieren konnte. 1977 wurde in Spanien wieder eine demokratische Regierungsform hergestellt. Bei einer „Semana Popular“ 1978 in Osona wurde sein politischer Einsatz von Künstlern wie Antoni Tàpies, Vicent Andrés Estellés, Pere Quart, Joan Brossa, Joan Vinyoli, Ramon Puyol und Xavier Bru de Sala gewürdigt.

Er übersetzte Werke von Antoine de Saint-Exupéry, Simone de Beauvoir, Guillaume Apollinaire, Gustave Flaubert, Emile Zola, Jean Racine, Joris-Karl Huysmans und Roland Barthes ins Katalanische.

1990 schrieb er im Hause des Musikers Lluís Llach die Parlavà-Suite, aus der Llach und die deutsche Schauspielerin Hanna Schygulla zur Diada de Sant Jordi 2010 in der Berliner Kulturbrauerei vortrugen.

Das Buch der Einsamkeiten entstand in den Jahren 1995 bis 1997 und wurde dem Fußballprofi von Barça, Pep Guardiola und seiner Frau Cristina Serra gewidmet. Beide pflegten mit dem Dichter „eine poetische Freundschaft“ und besuchten ihn in Roda de Ter. Guardiola hat Martí i Pols Gedichte gelegentlich öffentlich vorgetragen. Dass er das auch als Trainer beim FC Barcelona vor seiner Mannschaft gemacht habe, verwies Guardiola bei einer Lesung im Literaturhaus München im Juni 2015 in den Bereich der modernen Märchen.

Nach ihm wurde ein Lyrikpreis „Premio de Poesía Miquel Martí i Pol“ benannt. Schulen und Straßen in Katalonien tragen seinen Namen.


Ein stiller Held: Sir Nicholas Winton ist tot ...

0
0


Der "stille Held": Hunderte Kinder vor Holocaust gerettet

Sir Nicholas Winton stirbt im Alter von 106 Jahren


Sir Nicholas Winton: "Ein Vorbild wirklicher Menschlichkeit, grenzenloser Bescheidenheit und bürgerlicher Tapferkeit" -  Bearbeitung nach einem Photo von theguardian.com

669 jüdische Kinder rette er vor den Nazis - die Welt erfuhr davon erst Jahrzehnte später. 

"Wenn es nicht unmöglich ist, 
dann gibt es einen Weg", 
das war sein Lebensmotto.

Nun ist Sir Nicholas Winton gestorben.

Der Brite Sir Nicholas Winton, der 669 jüdische Kinder aus der früheren Tschechoslowakei vor dem Holocaust rettete, ist im Alter von 106 Jahren gestorben. Winton sei am Mittwochmorgen im Beisein seiner Tochter Barbara und von zwei Enkeln friedlich eingeschlafen, teilte der Rotary Club in Maidenhead bei London mit, dessen Mitglied er war.

Winton trägt 1939 eins "seiner Kinder" zum Transportzug -
Photo: NATIONAL ARCHIVES | telegraph.co.uk
Winton hatte unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs acht Züge für jüdische Kinder aus Prag nach London organisiert. In Großbritannien fand er Pflegeeltern, die die Garantiesumme von 50 Pfund aufzubringen bereit waren. "Wenn es nicht unmöglich ist, dann gibt es einen Weg", wurde zu seinem Lebensmotto. Unter den 669 Geretteten waren unter anderem der Filmregisseur Karel Reisz und der britische Labour-Politiker Alfred Dubs.

Zeitungsausschnitt: "Der ruhige Held ist zum Ritter geschlagen
worden" - 2003 von der Queen: Von nun an "Sir" Winton ... -
      Abb.: ebay-auktion 
Jahrzehntelang hatte Winton kein Aufhebens um die beispiellose Rettungsaktion gemacht. Erst im Jahr 1988 machte eine britische Fernsehsendung die Geschichte der Kindertransporte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Er sei nur "am richtigen Ort zur richtigen Zeit gewesen", sagte Winton später einmal.

Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka sagte am Mittwoch, Winton habe 669 Kinder vor Nazi-Verfolgung und dem beinahe sicheren Tod gerettet. Er sei für ihn "ein Vorbild wirklicher Menschlichkeit, grenzenloser Bescheidenheit und bürgerlicher Tapferkeit"gewesen. "Die Welt hat einen großen Mann verloren", teilte der britische Premier David Cameron auf Twitter mit.

Original-"Visum" von einem der so genannten "Winton-Kinder" |
Photo: REUTERS/Toby Melville | Business Insider
Wegen der Rettungsaktion wurde Winton auch der britische Schindler genannt. Doch der Vergleich mit dem Industriellen missfiel dem bescheidenen Mann zeitlebens. Für seine Taten erhielt Winton, der am 19. Mai 1909 in London zur Welt gekommen war, zahlreiche Auszeichnungen. Er wurde dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert. Im Jahr 2003 wurde der frühere Börsenmakler, der von deutsch-jüdischen Einwanderern abstammte, von der britischen Königin zum Ritter geschlagen.

Vorigen Oktober war Winton noch persönlich nach Prag gereist, um den Orden des Weißen Löwen entgegenzunehmen, die höchste staatliche Auszeichnung. Bei der bewegenden Zeremonie waren auch sieben der damaligen Kinder dabei. Winton erinnerte daran, dass viele Länder keine unbegleiteten Kinder als Flüchtlinge aufnehmen wollten. "Viele Politiker begriffen nicht, was auf dem Kontinent geschah", sagte Winton zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs.

Der letzte Zug von Kindern verließ Prag am 2. August 1939. Ein zuletzt geplanter und größter Zug, den Winton organisiert hatte, durfte Prag am 1. September 1939 nicht mehr verlassen, weil an diesem Tag Hitler-Deutschland  in Polen einmarschiert war und alle Grenzen geschlossen wurden ... Heute geht man davon aus, dass die meisten der 250 Kinder an Bord im Konzentrationslager starben.

brk/dpa SPIEGEL.de



*********************************************************


Und hier wieder so ein mutmachendes und muntermachendes Beispiel aus meiner kleinen Doku-Serie: "Wunder gibt es immer wieder": Am 3. Dezember 1938 traf ein 29-jähriger britischer Börsenmakler eine Entscheidung, die sein Leben verändern sollte: Er brach einen Skiurlaub ab, um zu einem Freund Martin Blake nach Prag zu fahren, der ihn verzweifelt um seine Hilfe gebeten hatte. Und diese Entscheidung hat im Nachhinein das Leben von 669 Menschen gerettet.

Winton selbst hat nie jemandem erzählt von dieser Mission, nicht einmal seiner Frau Grete. Erst 50 Jahre später, im Jahr 1988, fand sie dann auf dem Dachboden zufällig ein Sammelalbum mit Fotos, Dokumenten und die Liste der Kinder. Sie brachte diesen Fund zu einem Holocaust-Historiker, der diese Winton-Geschichte dann zunächst für die BBC aufbereitet hat. Und ohne sein Wissen besteht bei der Premiere eines BBC-Beitrages dazu, zu der Winton 1988 natürlich eingeladen war, das Publikum zum größten Teil aus "seinen" noch lebenden "Kinder" oder deren Nachkommen (s. Video-Trailer der BBC-Sendung von 1988 "That's Life" - "So ist das Leben" - oben). 
Eine Statue von Sir Nicholas Winton von
der Künstlerin Flor Kent 
auf dem Prager Hauptbahnhof.
Das Mädchen dieser Figurengruppe
ist nach der Enkelin eines geretteten
"Winton-Kinder" modelliert worden ...
WIKIPEDIA
Sir Winton war einer dieser fast "wunder"-baren "stillen Helden", deren segenreiches Wirken so zufällig beim Stöbern auf dem Dachboden entdeckt wird - und die auch erst selber, vielleicht 50 Jahre später, richtig erfassen, was sie mit ihrem damaligen tatsächlich "selbstlosen" - vielleicht auch selbst schon "vergessenen" - Handeln ausgelöst haben ... - und die dann - wenn auch eben spät - ihre verdiente öffentliche Anerkennung und Auszeichnung und Ehrung erhalten. 

Zum Glück hat Sir Winton das noch hochbetagt bei geistiger Frische erfahren und miterleben dürfen. Wir können uns nur vor einem solchen "stillen Helden" tief verneigen und dankbar sein, auch wenn wir nicht direkt mit den Winton-Kindern zu tun haben ...
Sir Winton wurde insgesamt 3 x für den Friedens-Nobelpreis vorgeschlagen - leider hat er den nie bekommen ... - Warum Barack Obama schon vor seiner Präsidentschaft in den USA diesen Preis jedoch bekam - eigentlich ohne entsprechende Verdienste im einzelnen vorzuweisen - und nicht Sir Winton - bleibt mir schleierhaft ...


siehe auch: hier 




Sir Nicholas George Winton MBE 

(* 19. Mai 1909 in London; † 1. Juli 2015 in Slough) war ein britischer Staatsbürger, der kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs die Rettung von 669 meist jüdischen tschechoslowakischen Kindern vor dem Holocaust organisierte. Diese Aktion wurde als der tschechische Kindertransport bekannt. Winton, der selbst jüdischer Abstammung ist, gilt als „britischer Schindler“.

Nicholas Winton wurde als Kind von Rudolf und Barbara Wertheim, geborene Wertheimer, deutschen Juden, geboren, die zum Christentum konvertiert und im Jahre 1907 nach England ausgewandert waren. 

Am 29. Juli 1915, also im 1. Weltkrieg, änderte die Familie ihren Namen zum englisch klingenden Namen Wortham. 

1938 nach dem Tod des Vaters am 6. Juli 1937 hatten sie ihren Namen von Wortham zu Winton geändert. Nach Schulbesuch und Banklehre arbeitete er bei Banken in England, Hamburg (L. Behrens & Söhne), Berlin (Deutsche Bank unter Oscar Wassermann) und ab 1931 bei der Banque Nationale du Crédit in Paris, die später zur BNP Paribas wurde. 

Nach seiner Rückkehr nach London arbeitete er als Broker. Auf Einladung von Freunden besuchte er statt eines geplanten Skiurlaubs in der Schweiz zu Weihnachten 1938 Prag, das nach der Besetzung des Sudetenlandes von Flüchtlingen bedrängt wurde. Von seiner Herkunft her sensibilisiert, versuchte er zu helfen und nach seiner Rückkehr in London die Ausreise wenigstens von Kindern zu organisieren. Diese war nach den Novemberpogromen möglich durch ein britisches Gesetz für Kinder unter 17 Jahren (Refugee Children Movement). 

Das gelang ihm von London aus mit einem Prager Gewährsmann durch das Auftun von Adoptiveltern, Sammeln von Geld für Visa, Kautionen und Reisekosten für Kindertransporte, deren letzter für den 3. September 1939 geplant war. Nach Ausbruch des Krieges kam dieser Zug nicht mehr zustande. Winton, der sich auch im Alter gemeinnützig betätigte und dafür mit dem Order of the British Empire geehrt wurde, sprach nicht über seine Taten. Auch die Kinder ahnten nichts von seinem Beitrag. Sie glaubten an eine Mitwirkung des Roten Kreuzes. Erst seine Frau fand 1988 in einem Koffer auf dem Speicher des Wohnhauses Material und brachte die Sache an die Öffentlichkeit.


Inmitten „seiner“ Kinder 

1997 produzierte Matej Mináč, ein slowakischer Filmemacher, den Spielfilm All My Loved Ones, an dessen Ende eine Szene mit Winton zu sehen ist. Diese Szene hatte eine solch starke Wirkung, dass Mináč sich entschloss, einen Dokumentarfilm über Wintons Leben zu drehen mit dem Titel: Nicholas Winton – The Power of Good. Dieser Film gewann 2002 den Internationalen Emmy Award in der Kategorie Documentary.

2001 besuchten Charles und Rita Gelman aus Ann Arbor (Michigan, USA) die Tschechische Republik kurz nach dem 11. September. Dort trafen sie auch Matej Mináč und sahen den Film. Danach waren die Gelmans von dem Gedanken überzeugt, dass diesen Film jeder amerikanische Schüler sehen sollte. Heute vertreibt die„Gelman Educational Foundation“ diesen Film kostenlos an Lehrer in ganz Nordamerika.

2011 erschien der Film Sir Nicky – Held wider Willen, im Original Nicky’s Family. In diesem Dokumentarfilm führte Matej Mináč ebenfalls Regie.

Durch die Initiative tschechischer Schüler entstand eine Petition, in der Gymnasiasten und Mittelschüler die entsprechenden Gremien des norwegischen Parlaments auffordern, Nicholas Winton für seine Verdienste den Friedensnobelpreis zu verleihen. Zum 9. Oktober 2007 hatte die Petition bereits 32.233 Unterschriften. 2011 und 2013 fanden abermals Petitionen statt. 2013 unterschrieben sogar 212.000 Menschen die Petition. Eine Zählung vom 14. Juli 2014 kommt sogar auf 281.012 Unterschriften. Winton war insgesamt schon drei Mal für den Friedensnobelpreis nominiert, bekam ihn jedoch weder 2008 noch 2011 bzw. 2013.

Nicholas Winton wohnte in Maidenhead, England. Er wurde 1983 wegen seiner karitativen Arbeit für Ältere als Member in den Order of the British Empire aufgenommen, vor allem aufgrund der Gründung der Abbeyfield-Häuser. In Tschechien wurde er mit dem Freiheitspreis der Hauptstadt Prag ausgezeichnet. Am 28. Oktober 1998 erhielt Winton aus den Händen des Staatspräsidenten Václav Havel den Masaryk-Orden. Am 5. Juli 2001 wurde ein Asteroid nach Winton benannt: (19384) Winton. Im Dezember 2002 wurde Winton von Königin Elisabeth II. für seine Verdienste um die Menschlichkeit zum Ritter geschlagen. Am 28. Oktober 2014 wurde ihm vom Präsidenten Miloš Zeman der Orden des Weißen Löwen, die höchste staatliche Auszeichnung Tschechiens, verliehen.

Im Alter von 100 Jahren erlebte Nicholas Winton die Gedenkfeier in London, wo vor 70 Jahren die Kinder ankamen. Am 4. September 2009 fuhr der historische Zug „The Winton Train“, in dem einige der Holocaust-Überlebenden saßen, im Bahnhof Liverpool Street ein. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder dankten Nicholas Winton persönlich.





Valium von Angela - impuls für die woche -184

0
0



Unser aller Valium von unser aller Angela: 
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht ...


Ruhe ist die erste Bürgerpflicht


Dieses Zitat geht auf eine Aufforderung zurück, die Minister F. W. Graf von der Schulenburg nach der Schlacht von Jena und Auerstedt 1806 in einem öffentlichen Anschlag an die Einwohner Berlins richtete: »Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben! Berlin, den 17. Okt. 1806. Graf v. d. Schulenburg.« Man zitiert den zweiten Satz dieses Textes in leicht abgewandelter Form, um in Situationen allgemeiner Aufregung beschwichtigend auf andere einzuwirken.

Nur die Ruhe bewahren ... - Nicht aufregen - das schadet ...: Ist irgendwas? Ach ja, endlich Sommer. Und bald Urlaub. Und, ach so, diese unangenehme Sache mit Griechenland gibt's ja auch noch. Aber: kein Grund, sich aufzuregen. Eigentlich ist nämlich alles in bester Ordnung.

Denn:"Wir können in Ruhe abwarten", so sprach die Bundeskanzlerin in der Debatte im Bundestag zur Krise in und mit Griechenland. Abwarten ist Angela Merkels Rezept für alles und ihr politisches Programm seit jeher.

"€uropa ist stark, viel stärker als vor fünf Jahren zu Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise, die in Griechenland ihren Ausgang nahm", sagt Frau Merkel mit dem berühmten "Auf-Zeit-spiel-Tremolo" in der Stimme - wie Bundesliga-Trainer beim Stand von 1:0 in der 88. Minute.... Ach so. Ja dann können wir uns tatsächlich alle beruhigt zurücklehnen und den Ferien entgegendämmern. Und wenn sie das so sagt: "€uropa ist stark ..." - hat sie die armen viel zu schwach befundenen Griechen ja in ihrem Dickkopf bereits längst aus €uropa eliminiert ... - €uropa ist stark - aber die Griechen schwächeln - sie gehören eigentlich mit ihrer Purzelbaum-Politik gar nicht mehr dazu ... - raus damit ...

Nur wer selbstbezogen und unsolidarisch auf Europa und die Welt blickt, mag keine Probleme erkennen. Wir haben uns abgesichert. Die Probleme der anderen gehen uns nichts an.

Ruhe bewahren ... - der nächste Donner kommt bestimmt ... - Ursprungsfoto: (c) www.johndcarnessiotis.com

Nur wem europäische Werte wie Humanität und Gerechtigkeit wenig bedeuten, mag in Ruhe abwarten, während sich die Staaten der €uropäischen Union noch nicht einmal auf eine verbindliche Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen einigen können, geschweige denn auf eine Migrationspolitik, die mehr ist als Abschottung.

Denn jetzt ist es schon so weit - wenigstens fernab von Berlin - und nicht nur auf Lampedusa - sondern sogar schon in der deutschen Provinz: Die zentralen Flüchtlingsaufnahmestellen in Bielefeld und Dortmund z.B. sind picke packe voll. NRW kann der mit Wucht hereinbrechenden Flüchtlingswelle nicht mehr standhalten. In Bielefeld werden in einer Turnhalle, die wegen der Schulferien zur Zeit nicht benötigt wird, 400 Feldbetten für die viel zu vielen ungesteuert ankommenden Flüchtlinge aufgestellt: Herzlich Willkommen im "starken €uropa" ... Man hätte das sehen und entsprechende Maßnahmen früher einleiten können. Das gilt vor allem für eine Bundesregierung, die sich dem heraufziehenden Flüchtlingschaos nur zögerlich und widerwillig zuwendet. Und es gibt leider diese "stillen Helden" wieSir Nicholas Winton (clicken) nicht mehr, die ihren Urlaub einfach abbrechen, um eine segensreiche Hilfe zu organisieren - vor 77 Jahren ... - eben weil wir heutzutage "in Ruhe abwarten können - €uropa ist stark!" ... Mit Flüchtlingspolitik lässt sich heutzutage kein Blumentopf mehr gewinnen - so finden wir auch heutzutage keine Sponsoren, die z.B. wie bei einem schwächelnden Bundesliga-Club selbstredend spontan einspringen und helfen - und auch die ostwestfälischen diakonischen Großeinrichtungen halten sich seltsam bedeckt - um lieber ihre positiven Ergebnis-Bilanzen freudestrahlend vorzustellen ...:  €uropa ist stark! Wir können in Ruhe abwarten ...
Am Donnerstagnachmittag kommt ein junger Iraker vor der Notunterkunft an: "Er wollte nicht in die Armee, er wollte keine Menschen töten", erklärt ein Helfer nach kurzem Small Talk mit dem schüchternen jungen Mann. Ihm blieb keine andere Wahl als zu fliehen. "Dabei war er kurz davor, seine Schule zu beenden. Und jetzt sitzt er hier." (NW)

 "€uropa ist stark ... - Wir können in Ruhe abwarten": Kurz nach seiner Ankunft spät in der Nacht schläft dieser Junge bereits auf einem der 400 Feldbetten in einem der Notunterkünfte in Bielefeld. Seine Eltern nehmen derweil Verpflegung, Seife und Handtücher entgegen - für viele das erste Mal nach mehreren Tagen auf der Flucht. | Foto: Christian Mathiesen | NW
















11.000 Menschen in Bielefeld haben zu Jahresbeginn in beeindruckender Weise auf einer Kundgebung deutlich gemacht, dass es hier keinen fruchtbaren Boden für eine ausländerfeindliche "Das Boot ist voll"-Mentalität gibt. Das ist gut so. Aber es schützt nicht vor einer Eskalation der Debatte, wenn wir die Situation nicht beherrschbar machen.

Aber Frau Merkel sagt ja nun mal eben, dass das Thema einer drohenden Griechen-Pleite die Köpfe nicht so sehr beschäftigen muss: Denn wir können ja "in Ruhe abwarten", wie sie versichert - und dann müsste dort in Berlin ja eigentlich Platz sein für mehr aktive Handlungsplanung in der europäischen Flüchtlingsfrage, denn unsere öffentliche Ordnung und deren Planung ist wenigstens punktuell mit dem Ansturm aus Bürgerkriegs- und Hunger-Ländern völlig überfordert...

Naja - mit so einem unappetitlichen "Schmarrn" wie eine menschenwürdige und zeitgemäße Mitteleuropa angemessene Flüchtlingsunterbringung kann man kaum eine "marktgerechte Politik" anschmeißen oder deren schulterklopfende Fleißkärtchen einsammeln - wonach Frau Merkel ja immer als erstes abwartend hinter vorgehaltener Hand Ausschau hält ... 

Frau Merkels Begriff von €uropa besteht aus €U-Kommission, Internationalem Währungsfonds IWF und €uropäischer Zentralbank - und wenn sie an €uropa denkt erscheint jeweils ein dickes und kühles vor ihren Pupillen - sie sieht nicht die Finger des Peloponnes, den springenden skandinavischen Löwen - oder ist es etwa ein hüpfendes Schafslämmlein -, den italienischen Stiefel... - usw. - und sie hört und schmeckt keinen griechischen Syrtaki in und an sich, und summt keine katalanische Sardana - aus einer Paella macht sie sich nichts - und muss lange überlegen, was denn bitteschön ein Oude Genever sein könnte oder ein Uitsmijter...   Vielleicht ist das ihre Pragmatik - als gelernte Naturwissenschaftlerin - dass sie ein "europäisches Haus" oder gar ein schützendes "Nest" in all seiner ganzheitlichen menschlich geborgenen Charakter- und Kultur-Vielfalt nicht denken und fassen kann - und vielleicht ist sie auch gefühlsmäßig als in der DDR-sozialisierte Person im eigentlichen €uropa noch gar nicht inmitten angekommen und Zuhause ... €uropa, das geht über Champions-League und Fußball-€uropameisterschaft hinaus - noch "weiter immer weiter" - wie Olli Kahn das sagen würde - und bei diesem Gedanken einer Europäischen Idee in friedlicher Solidarität und Nachbarschaftshilfe in ihrer Ganzheit und Gründerzeit kann sie sich einige frühere "europäische" Staatslenker inzwischen zum Vorbild nehmen ...

Unter dem maßgeblichen Einfluss von Angela Merkel hat sich die Europäische Union immer mehr entfernt vom Ideal einer tatsächlichen Gemeinschaft, auch im sozialen kulturellen Sinn, die gemeinsam christlich-humanitäre Werte vertritt, gemeinsame Ziele verfolgt und die füreinander einsteht, wenn es darauf ankommt. 

Unter Merkels Mitwirkung ist diese Union zu einer Art permanent tagender Hochhaus-Eigentümerversammlung verkommen, in der man sich bis aufs Blut darum zankt, wie die Kosten für die Dachsanierung einzutreiben sind, wo man sich schon morgens am Briefkasten mit dem Anwalt bedroht, weil der Nachbar von oben zu laut Musik hört, die einem noch dazu überhaupt nicht gefällt.

Gerne ist in Merkels Regierung die Rede davon, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen müsse, dass das Land einen Führungsanspruch habe. Dafür bräuchte es politische Ideen. Eine solche jedoch kann Angela Merkel schon allein deshalb nicht in den Sinn kommen, weil dann ja auch jemand dagegen sein könnte, das macht alles nur unangenehm unruhig - und deshalb werden ja permanent die Meinungsforscher im Regierungsauftrag damit beschäftigt, am Puls der Zeit zu lauschen - und erst danach - also eine im wahrsten Sinne "re-aktionäre""Politik" auf Zuruf mit Soufflage zu betreiben ... - im Paradies der Selbstzufriedenheit, zu dem Angela Merkel dieses Land mit ihrer Zauderhaftigkeit gemacht hat. Und die Stimmen aus 400.000 heiseren afrikanischen Flüchtlingskehlen gehen unter dem Getöse der übrigen 80 Millionen in Deutschland einfach unter, die ja durch die Medien und mit einer sommerlichen Sonnencreme-Orgie am Baggersee und einer Grill-Fete unter grölenden Freunden und Nachbarn jeweils passend unterhalten und abgelenkt werden - und das alles lässt uns weiterhin in Ruhe -  "in Ruhe abwarten" ...


Mit Angela Merkel haben wir uns eingerichtet in der größten, luxuriösesten Wohnung im europäischen Haus, und wehe, es klingelt jemand nach 20 Uhr und fragt nach zwei Eiern und Mehl - oder gar einem Feldbett zum Übernachten. Nein, dieses Haus wird so schnell nicht einstürzen.

Ja - und Frau Merkel kann leider - aus Unvermögen - diesen Unterschied aus dem IKEA-Werbespruch:"Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?" zwischen "Noch-Wohnen"und "Schon-Leben" gar nicht erst erspüren - dazu ist sie - wie vielleicht auch viele andere Politiker - gar nicht mehr sensibel genug ... 

Die Griechen als solche aber (denken Sie an "Zorbas Dance" und den Syrtaki/Syrtos) - und auch die vielen nordafrikanischen Flüchtlinge mit ihren oft in ihrer Heimat traditionell bunten Gewändern, ihren in ihrer Heimat hier und da an Blues- und Reggae-Rhythmen erinnernden Gesängen - die sind immer noch so naiv und verbraucherfern im "marktgerechten" Sinne, so "markt-resistinent" und damit "merkel-polit-resistent" - dass sie das "Dach-überm-Kopf-"Wohnen"/Dahinvegetieren in Massenunterkünften mit vielleicht 12 Std. TV-Dauerberieselung - und ein pures buntes "Leben" mit Zukunftsaussichten - durchaus - noch - zu unterscheiden vermögen ...



Mit Anregungen und Bausteinen aus einem NW-Kommentar "Flüchtlingswelle überfordert NRW-Städte - Organisationsversagen" von Thomas Seim - und einem SPIEGEL.de-Kommentar: "Merkel über Griechenland: Im Paradies der Selbstzufriedenheit" von Stefan Kuzmany

und jetzt: unbedingt hier clicken ...
http://www.spiegel.de/politik/ausland/augstein-zu-griechenland-nein-zum-referendum-kolumne-a-1041705.html




Paul Auster: Steinbruch | Lyrik

0
0
S!NEDi|photography








Steinbruch

Nicht mehr als das Lied davon. Als hätte
der Gesang allein
uns an diesen Ort zurückgeführt.

Wir sind dort gewesen, und wir sind nie dort gewesen. 
Wir sind auf dem Weg zu unserm Ursprung gewesen und 
haben uns verirrt.

Es gibt keine Grenzen
im Licht. Und die Erde
lässt uns kein Wort für
unser Lied. Denn das Bröckeln der Erde
unter unsern Füßen

ist auch schon Musik, und indem wir zwischen diesen Steinen 
gehen, hören wir 
nur uns selbst.

Ich singe daher von nichts,

als wäre dies der Ort,
an den ich nicht zurückkehre -

und sollte es mir doch gelingen, dann zählt 
mein Leben an diesen Steinen ab: vergesst, 
dass ich jemals hier war. Die Welt, 
die in mir schreitet.

ist nicht zu erreichen.


Paul Auster

Griechischer Stolz - Augen zu und durch ...

0
0


Stummer Protest: Mit ausdruckslosem Blick und dem Zettel mit der Wartenummer im Mund sitzt ein Mann im Schatten vor einer Bankfiliale. 120 Euro darf jeder Rentner an diesem Tag abheben ... - Im latenten Background die Wahlplakate für den Volksentscheid ... - Fotos: AP & Getty Images ... | Bearbeitung:S!NEDi


GRIECHISCHER STOLZ -
zwei wesentliche mediengeschichten - 
oder "sprachspiele":

die„deutsch-griechische erzählung“
nach der die griechen faul, steuerbetrügend 
und vieles mehr seien. 
also müssten sie unter kontrolle 
und in finanzielle disziplin gezwungen werden. 

die „griechische Erzählung“
nach der die nationale souveränität 
von der neoliberalen technokratie 
in brüssel bedroht sei. 

als die notlage der griechen 
nicht mehr zu ignorieren war, 
tauchte eine dritte geschichte auf:

die griechen wurden jetzt präsentiert 
als humanitäre opfer, der hilfe bedürftig, 
als hätte ein krieg oder eine naturkatastrophe 
das land getroffen. 

während alle drei geschichten falsch sind, 
ist die dritte wohl die ekelhafteste - 

die griechen sind keine passiven opfer - ...
[einschub sinedi:]
sie leben um zu (über)leben ... 

lyrisch umgesetzt aus: 


Nachsatz: Prägend für den Begriff "Postmoderne" war Jean-François Lyotards Bericht Das postmoderne Wissen, in welchem er die philosophischen Systeme der Moderne für gescheitert erklärt. Bekannt wurde seine Rede vom Ende der großen Erzählungen, worin sich auch die Kernthese seiner Diagnose ausdrückt: Lyotard spricht nicht von philosophischen Systemen, sondern von „Erzählungen“. Die einzelnen modernen „Erzählungen“ legten, so Lyotard, der Welterklärung jeweils ein zentrales Prinzip zugrunde (z. B. Gott oder das Subjekt), um auf dieser Grundlage zu allgemeinen Aussagen zu kommen. Damit scheiden sie jedoch das Heterogene aus oder zwingen das Einzelne unter eine allgemeine Betrachtungsweise, welche gewaltsam dessen Besonderheiten einebnet. Lyotard setzt an die Stelle eines allgemeingültigen und absoluten Erklärungsprinzips (Gott, Subjekt, Vernunft, Systemtheorie, marxistische Gesellschaftstheorie etc.) eine Vielzahl von Sprachspielen, welche verschiedene „Erzählungen“, also Erklärungsmodelle anbieten. Lyotard wendet sich also nicht gegen Rationalität im Allgemeinen, sondern gegen eine bestimmte historische Form der Rationalität, die auf der Ausgrenzung des Heterogenen basiert [nach meinem Verstädnis: ...Vielleicht war es aber auch ganz anders ...]
Dies hat gesellschaftliche Konsequenzen: Dienten in der Moderne die Metaerzählungen noch dazu, gesellschaftliche Institutionen, politische Praktiken, Ethik und Denkweisen zu legitimieren, so geht in der Postmoderne dieser Konsens verloren und löst sich auf in eine Vielzahl von nicht miteinander zu vereinbarenden Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriffen. Zugleich nimmt eine tolerante Sensibilität für Unterschiede, Heterogenität und Pluralität zu und damit die Fähigkeit, die Unvereinbarkeit der Sprachspiele zu ertragen.

Wasser - Zur Erfrischung bei 38,9 °

0
0



Auf der ganzen Welt
gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als Wasser.
Und doch in der Art, wie es dem Harten zusetzt,
kommt nichts ihm gleich.
Es kann durch nichts verändert werden.
Dass Schwaches das Starke besiegt
und Weiches das Harte besiegt,
weiß jedermann auf Erden,
aber niemand vermag danach zu handeln.

Laotse („der Alte“;*600 v.Chr.), ein chines. Philosoph, war vermutlich Archivar am kaiserlichen Hof. Bei seiner Ausreise aus China hinterließ er das Tao Te King („das Buch vom Sinn und dem Leben“), das viele Grundprinzipien des Tai Chi Chuan enthält. 

Tao bedeutet Weg, Vernunft und meint den unfassbaren Urgrund der Welt. Wichtige Begriffe sind: Streben nach der rechten Mitte und Einfachheit. 
Tai Chi ist ein Weg, diesem unfassbaren Urgrund auf leiblichem Weg etwas näher zu kommen.

Quelle - Anregung: weltverbunden leben 2015 - Reich-Gottes-Impulse für jeden Tag, S. 134




Der zeitgenössische Kapitalismus begrenzt die Demokratie ... Slavoj Zizek

0
0
Der Philosoph Slavoj Zizek - S!NEDi|bild|bearbeitung nach SPIEGEL.de | Imago

Der herrschende Kampf ist ein Kampf um eine wirtschaftliche und politische Leitkultur Europas. Die EU-Mächte stehen für den technokratischen Status quo, welcher Europa für Jahrzehnte in Trägheit halten wird. 
Der große Konservative T. S. Eliot hat in seinen "Notes Towards a Definition of Culture" bemerkt, dass es Momente gibt, in denen es nur die Wahl zwischen Häresie und Unglauben gibt: 
  • wenn beispielsweise der einzige Weg, eine Religion am Leben zu halten, die sektiererische Abspaltung von ihrem Korpus ist. 
Dies ist unsere heutige Lage in Bezug auf Europa: Nur eine neue Häresie - momentan von Syriza vertreten - kann jenes sichern, was des Sicherns im europäischen Erbe wert ist: Demokratie, Vertrauen in die Menschen, egalitäre Solidarität. 
Jenes Europa, das gewinnen wird, wenn Syriza ausgebootet ist, wird ein Europa der asiatischen Werte sein. 
Der zeitgenössische Kapitalismus begrenzt die Demokratie.   Slavoj Zizek

(aus einem SPIEGEL.de-Interview


-------------------------------------------------------------------------------

 Slavoj Žižek [ˈʒiʒɛk]
(* 21. März 1949 in Ljubljana, SFRJ) ist ein aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und Theoretiker der lacanianischen Psychoanalyse. Bekannt geworden ist er durch seine Übertragung und Weiterentwicklung der Psychoanalyse Jacques Lacans in das Feld der Populärkultur und der Gesellschaftskritik. Er wird häufig dem Poststrukturalismus zugerechnet, hat sich selbst jedoch mehrfach von dieser Einordnung distanziert. Žižek äußert sich zu vielen Themen. Seine ersten deutschsprachigen Texte wurden 1991 von der Kulturzeitschrift Lettre International publiziert.

Žižek wurde 1949 in der sozialistischen Teilrepublik Slowenien geboren. Zunächst studierte er Philosophie an der Universität Ljubljana, dann studierte er von 1981 bis 1985 an der Universität Paris VIII bei Jacques-Alain Miller, einem Schüler des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan. 1990 war Žižek Kandidat für das sogenannte „kollektive Präsidium“ der Liberaldemokratie Sloweniens, nachdem er bereits im Realsozialismus als Dissident aktiv war. Er war jahrelanger Herausgeber der Zeitschrift der slowenischen Lacan-Schule „Wo Es war“ und setzte sich unter anderem mit der Philosophie des Deutschen Idealismus (besonders Hegel) auseinander, sowie mit Karl Marx und mit zeitgenössischen Denkansätzen aus dem Bereich des Poststrukturalismus, der Medientheorie, des Feminismus und der Cultural Studies. Seine erste englischsprachige Buchveröffentlichung The Sublime Object of Ideology erschien 1989. Seitdem veröffentlichte Žižek über 20 Monographien, in denen er sich zunächst um eine lacanianische Lesart der Philosophie, der Populärkultur und in den letzten Jahren zunehmend der Politischen Theorie bemühte.

Žižek ist unter anderem Professor für Philosophie an der Universität seiner Heimatstadt Ljubljana. 2001 war er Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche.Seit Anfang 2007 ist er International Director des Birkbeck Institute for the Humanities an der University of London.

2004 heiratete er das ehemalige argentinische Model Analia Hounie, das Paar trennte sich jedoch bald wieder. Zuvor war er mit der slowenischen Philosophin und Soziologin Renata Salecl verheiratet, mit der er einen Sohn hat.

Das Werden des Subjekts

Žižeks Texte kreisen um Identitäten, Identitätsbildung und ihre wechselnden Beziehungen zu den sie umgebenden Geflechten aus Ideologien, gesellschaftlichen Verhältnissen und psychischen Konstellationen des Unbewussten. Eine entscheidende Rolle spielt dabei Lacans Konzeption des Anderen, über den sich das Subjekt erst als Eigenes konstituiert. Dieser Andere besitzt nach Lacan zwei Dimensionen: den „großen Anderen“ und den „kleinen anderen“, das Objekt klein a.

Das Objekt klein a ist das Objekt des Begehrens des Subjekts, nach dem das Subjekt hinstrebt und mit dem es sich zu vereinigen versucht – idealtypisch ist hierfür das sexuelle Begehren eines anderen Menschen. Das Objekt dieses Begehrens ist im Grunde beliebig und austauschbar, solange es in den Rahmen des persönlichen Phantasmas, der persönlichen Phantasien, passt, der es erst begehrenswert macht. Denn erst ein bestimmter Ort innerhalb der psychischen Struktur des Subjekts verleiht dem Objekt seine Bedeutung als – wie man mit einem Filmtitel von Luis Buñuel sagen könnte – „obskures Objekt der Begierde“.

Eine der wesentlichen Eigenschaften dieses Objekts klein a– bzw. seiner Position in der Struktur des Subjekts – ist, dass es dem Subjekt immer schon entzogen ist. Gerade der Mangel im Subjekt treibt das Subjekt zu seinen Handlungen an. Žižek veranschaulicht das am Hitchcock'schen Objekt des MacGuffins, einem an sich bedeutungslosen und austauschbaren Objekt (ein Geheimplan, eine Formel etc.), das nur dazu dient, die Handlung des Films in Gang zu bringen: „MacGuffin ist eindeutig objet petit a: der Mangel, das Überbleibsel des Realen, das die symbolische Bewegung der Interpretation in Gang setzt, eine Lücke im Zentrum der symbolischen Ordnung, der bloße Anschein eines zu erklärenden, zu interpretierenden ,Geheimnisses‘.“

Die andere Form eines Anderen ist der große Andere – eine symbolische Instanz, welche die Gesetze und Normen des Sozialen garantiert und die dem Subjekt erst einen Platz innerhalb der Gesellschaft zuweist. Der große Andere kann von verschiedenen Trägern eingenommen werden; es kann ein Elternteil sein, aber auch andere Bezugspersonen, die die Gesellschaft repräsentieren, etwa Lehrer, Richter oder Polizisten. Indem das Subjekt diesen Anderen als Funktionsträger und damit als Träger des Gesetzes anerkennt, ordnet es sich zugleich dem gesellschaftlichen Ganzen unter. Für Žižek besteht in dieser Strukturierung des Subjekts durch den großen Anderen auch die wesentliche Funktionsweise der Ideologie – wofür er in der Regel das Beispiel des Stalinismus anführt.

Aber der große Andere ist nicht bloß eine ideologische Instanz. Denn zugleich – und paradoxerweise – gewinnt das Subjekt durch diese Anerkennung des Anderen erst seinen eigentlichen Subjektstatus, indem es durch sie erst einen Ort findet, von dem aus es sich überhaupt artikulieren kann, an dem es eine Sprache findet. Doch diese Sprache, und mit ihr das Subjekt als solches, ist immer schon vom Anderen bestimmt:„Ich ist ein Anderer“, wie Lacan einen berühmten Satz von Arthur Rimbaud zitiert. So ist das Subjekt im Grunde kein Subjekt, vielmehr ein Ort, der von einem konstitutiven Außen her strukturiert ist – vom großen wie auch vom kleinen Anderen –, der nicht das eigene Selbst ist; ein Gegensatz zur berühmten Definition von Descartes: „ich denke, also bin ich.“

Mit der Betonung dieser Bedeutung des Anderen bleibt Žižek nicht nur den Erkenntnissen Lacans treu, sondern verdeutlicht auch dessen Nähe zu anderen poststrukturalistischen Ansätzen eines „dezentrierten Subjekts“, wie sie sich etwa bei Gilles Deleuze oder Jacques Derrida finden. Žižeks Eigenständigkeit besteht nicht so sehr in diesem Gedanken selbst, sondern mehr in der Heranziehung zahlreicher Beispiele aus der Politik und Populärkultur, insbesondere des Films, mit dessen Hilfe er diese zunächst abstrakten Theorien anwendet und veranschaulicht, aber auch weiterentwickelt.

Das Reale, das Symbolische und das Imaginäre

Eine zentrale Rolle im Denken Žižeks spielt das auf Lacan zurückgehende triadische Modell der drei Strukturbestimmungen der Psyche
  • Reales, 
  • Symbolisches und 
  • Imaginäres (RSI). 
Auch hier besteht Žižeks Leistung vor allem in der Übertragung der abstrakten Lacanschen Begriffe auf Phänomene aus Politik, Philosophie, Alltag und Populärkultur.

Das Reale

Das Reale ist bei Žižek, wie schon bei Lacan, ein recht rätselhafter Begriff und nicht mit der „Realität“ gleichzusetzen. Die Realität des Menschen ist symbolisch konstruiert, also letztlich eine kollektiv praktizierte Fiktion. Das Reale dagegen ist innerhalb dieser Ordnung des Symbolischen ein nicht fingierbarer Kern, der sich nicht symbolisieren, nicht in Worte fassen lässt. Es hat keine positive Existenz, sondern existiert nur als Ausgeschlossenes, das an den Grenzen der gewöhnlichen Realität zum Vorschein kommt.

Nicht alles in der Realität lässt sich als Fiktion entlarven, es bleibt immer ein Rest des Realen übrig – bestimmte Punkte, die mit sozialen Gegensätzen, mit Leben, Tod und Sexualität oder allgemeiner dem logisch-rational nicht Greifbaren zu tun haben. Das Reale, sofern es das Subjekt überfordert und verunsichert, hat stets etwas Traumatisches an sich. Das Reale ist nicht eine tieferliegende Realität hinter der Realität, sondern besteht aus den Leerstellen, welche die Realität unvollständig und inkonsistent machen. Auf die Psychoanalyse bezogen bedeutet dies, dass die Realität nicht nur eine beliebige Erzählung unter vielen anderen ist. Vielmehr muss der Patient den harten Kern des Realen, die traumatische Dimension seiner Innenwelt, erkennen, aushalten und neu erzählen.

Die Triade des Realen/Imaginären/Symbolischen spiegelt sich innerhalb jedes einzelnen dieser drei Bereiche des Psychischen wider. Es gibt also entsprechend drei Modalitäten des Realen:
  • Das symbolische Reale – der auf eine sinnlose Formel reduzierte Signifikant, die wie jede Wissenschaft ans Reale greift, aber kaum nachvollziehbare Vorstellungen produziert.
  • Das reale Reale – ein grauenhaftes Ding, etwa das, was in Horrorfilmen das Gefühl des Horrors vermittelt.
  • Das imaginäre Reale – ein unergründliches Etwas, das als „Erhabenes“ (Kant) durch die Dinge hindurch scheint. Diese Art des Realen wird etwa in dem Film Ganz oder gar nicht – Full Monty daran deutlich, dass sich die arbeitslosen Protagonisten beim Striptease vollkommen ausziehen, wodurch in der zusätzlichen „freiwilligen“ Erniedrigung zugleich etwas Erhabenes, eine eigene Würde sichtbar wird.


Das Symbolische

Das Symbolische bildet die (soziale) Realität des Menschen und deren sprachliche und normative Dimension. Seine Elemente sind Signifikanten, d. h. bedeutungsvolle Zeichen, die sich zu einem„Netz“ der „symbolischen Ordnung“ strukturieren. Seine Geltung bezieht das Symbolische aus der Autorität des großen Anderen, insofern dieser als Herrensignifikant bzw. als Name-des-Vaters das Netz der Signifikanten strukturiert und legitimiert. Es ist damit auch die Sphäre der Herrschaft und der Diskurse – deren Macht Žižek vor allem als symbolische Macht versteht.

Als Herrschaftsverhältnis besitzt das Symbolische, wie schon das Herr-Knecht-Verhältnis bei Hegel, einen dialektischen Charakter, der auf gegenseitiger Anerkennung beruht. So ist „nur der ein König, zu dem sich die anderen als Untertanen verhalten“. Gleichzeitig gibt es immer – außer in der Paranoia – einen gewissen Abstand des Symbolischen zum Realen: „Nicht nur der Bettler ist verrückt, der glaubt, er ist ein König, sondern auch der König, der glaubt er ist ein König.“ Denn dieser hat ja nur das symbolische Mandat eines Königs, ist nur austauschbarer Träger einer ihm eigentlich äußeren Funktion.

Auch das Symbolische besitzt drei Dimensionen:
  • Das reale Symbolische ist der auf eine sinnlose Formel reduzierte Signifikant.
  • Das imaginäre Symbolische entspricht etwa den Jung'schen Symbolen.
  • Das symbolische Symbolische ist das Sprechen und die sinnvolle Sprache, das „volle Sprechen“ etwa einer erfolgreichen Psychoanalyse.
Žižek veranschaulicht das Symbolische am Phänomen des Cyberspace. Als Medium der Kommunikation wirkt dort der Bildschirm, ein Inter-Face (dt. „Zwischen-Gesicht“), das auf die symbolische Vermittlung jedes Sprechens verweist. Zwischen der aussagenden Person und der „Position des Aussagens“ (des Nicknames, der E-Mail-Adresse) besteht eine Kluft: Der Signifikant bin niemals wirklich ich. Der Sprechende erfindet sich nicht selbst, sondern seine virtuelle Existenz wurde in gewisser Weise schon mit dem Cyberspace selbst erfunden. Man hat es hier mit einer fundamentalen Identitätsunsicherheit zu tun, die sich aber nicht in kontingente Simulakren und bloße Zeichenspiele auflösen lässt. Auch hier, wie im sozialen Leben, kreisen die symbolischen Netze um bestimmte, letztlich unauflösbare Leerstellen und Brüche.

Mit dem Beispiel des Cyberspace beantwortet Žižek eine Fragestellung, die für seine Methode und seinen Denkstil typisch ist. Die Frage Žižeks lautet nicht: „Was können wir vom Leben über den Cyberspace lernen“, sondern umgekehrt: „Was können wir vom Cyberspace über das Leben lernen?“. Diese von Žižek in verschiedenen Zusammenhängen variierte Frage-Verdrehung dient der „theoretischen Psychoanalyse“: Im Gegensatz zur „angewandten Psychoanalyse“ will sie nicht die Kunstwerke analysieren und so das Unverständliche und Fremde verständlich machen, sondern einen neuen Blick auf das Gewöhnliche schaffen, den Alltag verfremden und die Theorie am Gegenstand weiterentwickeln.

Das Imaginäre

Das Imaginäre liegt auf der Ebene des Verhältnisses des Subjekts zu sich selbst bzw. zu seinem Selbstbild. Es ist der Ort der Identifikation mit dem eigenen Ich. Dieses imaginäre Selbstverhältnis bildet sich nach Lacan am Blick in den Spiegel auf sich selbst im Spiegelstadium, wobei Lacan betont, dass dieser Blick auf sich selbst, der immer auch den vorgestellten Blick eines Anderen bedeutet, letztlich auf einer „Verkennung“ beruht (siehe dazu auch: Spiegelstadium).

Auch das Imaginäre lässt sich dreifach einteilen:
  • Ein reales Imaginäres (das Phantasma, das den Platz des Realen einnimmt).
  • Ein imaginäres Imaginäres (das Bild selbst).
  • Ein symbolisches Imaginäres (etwa die Archetypen nach Jung). Um über das Imaginäre sprechen zu können, so Lacan, muss man sich immer schon außerhalb des Imaginären befinden: Das Imaginäre ist im Grunde immer schon in das Symbolische eingebettet.
Alle drei Ebenen des Psychischen hängen nach Lacan in einer Art Borromäischer Knoten zusammen, als drei Ringe, die strukturell miteinander verbunden sind und sich gegenseitig Halt geben. Löst man einen von ihnen heraus, sind auch die anderen beiden nicht mehr verbunden, was letztendlich zu einem traumatischen Verlust an Kohärenz und damit zur Psychose führt. Auch in diesem wesentlichen Punkt seines Denkens, den er an zahlreichen Gelegenheiten ausführt und anwendet, bleibt Žižek seinem geistigen Lehrer treu. Neu ist dagegen die Interpretation der Postmoderne und des Politischen, die Žižek aus einer lacanianischen Perspektive unternimmt.

Postmoderne und Ideologie

Insbesondere widmet sich Žižek der Postmoderne, die die Psychoanalyse mit neuen Fragen konfrontiert: Aufgrund des Wegfalls der „patriarchal“ strukturierten Gesellschaft und fest gefügter, autoritärer Ordnungsmuster gerät nämlich ein wichtiger Baustein der Psychoanalyse, der Ödipuskomplex, ins Wanken.

Besonderes Augenmerk richtet Žižek dabei auf die Produktion von Ideologie in gegenwärtigen Gesellschaften, aber auch auf die Funktionsweise von Ideologie im Realsozialismus. Ideologie setzt sich nach ihm immer aus zwei Seiten einer Medaille zusammen: den von einem politischen System öffentlich verkündeten Werten und der so genannten „verdeckten Kehrseite“, einem‚schmutzigen‘ Geheimnis. Das sind die implizit mittransportierten Werte und Prämissen einer Ideologie, die aber, damit eine Ideologie funktionieren und sich reproduzieren kann, unausgesprochen bleiben müssen. All diesen ideologisch geprägten, phantasmatischen Formen des Leugnens oder Ausweichens hält Žižek das Ziel der Psychoanalyse entgegen, das darin besteht, das „Phantasma zu durchqueren“, das Trugbild zu durchschreiten, und zum Kern des Genießens, der sogenannten Jouissance, vorzudringen.

Ein so genannter „authentischer Akt“ zerstört das Phantasma, wenn er dieses vom Standpunkt des gesellschaftlichen Symptoms aus angreift. Dadurch wird eine Geste zum Akt, zum Ereignis, mit Alain Badiou gesprochen gar zum „Wahrheitsereignis“. Ideologie ist die Verzerrung von Nicht-Ideologie, eines ursprünglich „utopischen Moments“ (Fredric Jameson) ins Ideologische. Der nicht-ideologische Anteil der utopischen Sehnsucht sollte jedoch nach Žižek ernstgenommen und respektiert werden. So sollte etwa die Sehnsucht nach Gemeinschaft nicht automatisch als „protofaschistisch“ angesehen oder gar als Wurzel des Faschismus missverstanden werden. Ideologisch wird diese Sehnsucht erst in ihrer faschistischen Umdeutung.

Heutzutage, im Zeitalter des Kulturkapitalismus und der „Postideologie“, funktioniere Ideologie nicht mehr aufgrund eines fanatischen Engagements, sondern vielmehr umgekehrt aufgrund einer inneren Distanz und Gleichgültigkeit, die das symbolische Mandat des Subjekts nicht ernst nehme: Ein Vater verhalte sich heute oft derart distanziert zu sich selbst, dass er sich selbstironisch über die Dummheit beklage, heute überhaupt noch Vater zu sein.

Politisierung und Hegemonie

Im Zeitalter nach dem (angeblichen) Ende der Ideologien kritisiert Žižek die Art und Weise, wie politische Entscheidungen begründet werden. So wird die Kürzung von Sozialausgaben bisweilen als scheinbar objektive Notwendigkeit bezeichnet, die selber keiner politischen Diskussion mehr unterliegen kann. So betrachtet er etwa die bürgerlich-sozialdemokratische Idee einer Bürgerbeteiligung als wenig wirksam, solange nicht langfristig bedeutendere und grundlegendere Maßnahmen ergriffen werden, um die Gesellschaft zu verändern – Maßnahmen etwa zur Begrenzung der Freiheit des Kapitals und zur Unterordnung des Produktionsprozesses unter die Kontrolle der Gesellschaft. Letztlich schwebt Žižek dabei eine radikaldemokratisch-revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft vor, eine „radikale Repolitisierung der Ökonomie“.

Aufbauend auf Herbert Marcuses Schlagwort einer „repressiven Toleranz“ kritisiert Žižek die herrschende Ideologie einer sinnlosen Political Correctness: „Der ,tolerante‘ multikulturelle Ansatz vermeidet“ als Dogma der heutigen Gesellschaft „die entscheidende Frage: Wie können wir den politischen Raum wieder in die heutigen Bedingungen der Globalisierung einführen?“ Žižek plädiert nicht nur für eine„Politisierung der Ökonomie“, sondern auch für eine „Politisierung der Politik“ als Gegenentwurf zur postmodernen Post-Politik. Im Bereich der politischen Entscheidungsfindung im Rahmen einer Demokratie kritisiert er insbesondere das in vielen Ländern faktisch herrschende Zwei-Parteien-System als Erscheinung einer Wahlmöglichkeit, die es im Grunde gar nicht gibt.

Die Existenz gesellschaftlicher Klassen sieht Žižek nicht als primär objektive Bestimmung, als ökonomische Lage gegenüber dem Kapital, sondern in einer„radikal subjektiven“ Position verortet: Das Proletariat ist der lebendige „verkörperte Widerspruch“ der Gesellschaft. Das Einstehen für die eigenen Interessen wird heute oft als egoistisch diskreditiert, tatsächlich aber liegt im Partikularismus für Žižek der Schlüssel zur Dynamik sozialer Bewegungen.

Die Möglichkeit einer Politisierung sieht Žižek – im Anschluss an die Hegemonietheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe – in der Möglichkeit, dass „eine partikulare Forderung als Vertreter für das unmögliche Allgemeine zu funktionieren beginnt“. Erst durch einen Partikularismus im politischen Kampf kann ein Universalismus überhaupt entstehen. So können partikulare Forderungen als „metaphorische Verdichtung“ (Laclau/Mouffe) auf etwas Weiterreichendes abzielen, ja bis zur Rekonstruktion und Infragestellung des gesamten gesellschaftlichen Rahmens reichen.

Žižek sieht demnach den politischen Konflikt situiert zwischen einer wohlgeordneten Gesellschaftsstruktur einerseits und dem ausgeschlossenen Teil, der in dieser scheinbar perfekten Ordnung keinen Platz mehr findet, andererseits. Dieser „Teil ohne Anteil“ am Gesamten (vgl. dazu auch den Begriff des Prekariats) bringt die gesamte Struktur zum Wanken, weil er sich auf ein „leeres Prinzip des Allgemeinen“ bezieht bzw. dieses verkörpert. Gerade der Umstand, dass eine Gesellschaft nicht leicht in Klassen einzuteilen ist, dass es dafür kein„einfaches Strukturmerkmal“ gibt, dass etwa die Mittelschicht auch vom Rechtspopulismus umkämpft ist, ist ein Anzeichen für diesen fortwährenden und unentschiedenen Kampf um Hegemonie innerhalb einer Gesellschaft.

Rezeption und Kritik

Žižek gilt als bekannter und einflussreicher Vertreter des so genannten Poststrukturalismus, welcher vor allem in der Literaturwissenschaft, der Soziologie, der Philosophie und der Politikwissenschaft in den letzten Jahren an Bedeutung gewann. Žižeks zahlreiche Veröffentlichungen und Auftritte auf wissenschaftlichen Kongressen sind mit ein Faktor für die wachsende Popularität lacanianischer Ansätze in den Geisteswissenschaften, deren Anwendbarkeit auf aktuelle und über die Psychoanalyse hinausgehenden Phänomene Žižek an vielen, oft unterhaltsamen Beispielen ausführt. Trotz seiner oft schwer verständlichen, von Gedankensprüngen und schnellen Assoziationen geprägten Ausführungen ist Žižek heute einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten Intellektuellen der Gegenwart.

Oft wurde Žižek für seinen populärwissenschaftlichen, bisweilen unsauberen und nach Pointen heischenden Stil kritisiert, dem die begriffliche und sachliche Schärfe zum Opfer falle. Von manchen wird der „Starphilosoph“ auch abschätzig als „Philosophie-Entertainer“ oder gar „Scharlatan“ bezeichnet. So schreibt Andreas Dorschel in einer Rezension zu Parallaxe:„Zizek schwafelt. Ins Schwafeln gerät, wer eine Sache nicht auf den Punkt zu bringen vermag. […] Dass Zizek Argumentation simuliert, statt bloß beliebig Assoziationen aufzufädeln, was als Form doch dem Inhalt seines Buches angemessen wäre, scheint starre akademische Gewohnheit. Er ist ein Pedant des Wirren. Statt einfach zu spinnen, behängt er das Resultat solchen Tuns mit Fußnoten“.

Inhaltlich wurde bisweilen die Leichtfertigkeit kritisiert, mit der Žižek sein Wissen der Psychoanalyse auf die Gesellschaft überträgt. Zudem habe Žižek einige der Autoren, auf die er sich beziehe, nur ungenügend verstanden: So vor allem Hegel, aber auch Lacan selbst, etwa in dessen Interpretation der Antigone, welche Žižek weitaus dramatischer deute als Lacan.

Scharfe Kritik an Žižeks „Gewaltvisionen“ und seiner philosophischen Leere übt John N. Gray, der in Anspielung auf Žižeks Buch Less Than Nothing (2012) resümiert: „Žižek täuscht Substanz vor, indem er endlos eine im Grunde leere Vision wiederholt, und sein Werk – das die Prinzipien parakonsistenter Logik schön veranschaulicht – ergibt am Ende weniger als nichts“.

Die Ideen insbesondere zur Deutung des Symbolischen, zu Ideologie und Postmoderne der slowenischen Lacan-Schule Žižeks wirkten seit den frühen 1980er Jahren inspirierend auf die inzwischen international bekannt gewordene Bewegung Neue Slowenische Kunst.

Auszeichnungen

Für sein Forschungsprojekt „Antinomien der postmodernen Vernunft“ erhielt Žižek 1999 den mit einer Million Deutsche Mark dotierten Kulturwissenschaftlichen Forschungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen.

WIKIPEDIA

Narzissmus - nach Jacques Lacan

0
0
Das Imaginäre und das Spiegelstadium
nach Jacques Lacan

Blick in den Spiegel: Caravaggios „Narziss“

Die Theorie des Spiegelstadiums (Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, in: Schriften I, S. 61–70) zählt zu Lacans berühmtesten Konzeptionen. Sie geht auf Beobachtungen des Psychologen James Mark Baldwin zurück.

Nach Lacan beginnt das Kind in der Zeit zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat, wenn man es vor einen Spiegel hält, sich selbst in ihm zu erkennen und zu identifizieren, worauf es mit einer „jubilatorischen Geste“ reagiert. Mit einem deutschen Begriff nennt Lacan diesen wichtigen Einschnitt ein Aha-Erlebnis. Von nun an verändert sich der Blick auf das eigene Selbst, ja er wird jetzt überhaupt erst möglich: aus dem in „Partialobjekte“ „zerstückelten“ Blick auf sich aus der Leib-Perspektive wird nun ein Blick von außen, der das Kind erstmals vollständig zeigt. Die jubilatorische Geste ist deshalb auch eine narzisstische Geste der Allmachtsphantasie, in der sich ein „Größenselbst“ („Ideal-Ich“) zeigt, das fortan zur Matrix wird, auf die das Subjekt sein Ich orientiert. Das Spiegelstadium geht darum mit der psychischen Geburt des Ichs einher.

Zugleich aber ist das Spiegelstadium der Beginn einer Entfremdung. Denn im Spiegel sieht das Kind eine körperliche Einheit, die es selbst noch gar nicht fühlt. Es identifiziert sich mit etwas, das es nicht ist, nämlich mit der„totalen Form des Körpers“, und zwar an einem Ort, an dem es sich nicht befindet (nämlich im Spiegel). Deshalb ist das Erkennen im Spiegel zugleich ein imaginäres Verkennen und führt zur Spaltung des Subjekts in „moi“ (Ideal-Ich, das „imaginäre Subjekt“) und „je“, das soziale Ich. Daraus folgt der im Deutschen paradox klingende Satz:„Das ich ist nicht das Ich.“ – „Le je n’est pas le moi.“

S!NNTAGSMALER: Klötzchenspiel

0
0

ich nehme
ich nehme da jetzt ein Klötzchen auf
der da der nimmt jetzt ein klötzchen auf
da nimmt doch der kleine etwas auf
vielleicht ein klötzchen
aus diesem verbund jetzt ein klötzchen
also jetzt ein klötzchen aufzunehmen
macht alles kaputt
das nimmt dem ganzen ja
die stabilität
das macht das ganze system
x-trem instabil
klötzchen aufnehmen geht zwar nur mit
begreifen
instabilität erkennen jedoch geht nur mit überblick 
die anderen schauen mich fragend an
vielleicht - weil ich 
ein klötzchen aufgenommen habe 
ach - ich weiß auch nicht
ich lege das klötzchen wieder zurück 
das finden einige inkonsequent:
behalte dein klötzchen
brüllen sie - mensch behalte dein klötzchen
das ganze hat sich doch längst stabilisiert 
wenn du dein klötzchen
jetzt zurückbeorderst
stürzt doch das ganze system erst recht ein 
ja - was denn nu ...
eben war das klötzchenaufnehmen
nicht systemimmanent
nun hat man sich mit dem
fehlenden klötzchen längst
eingerichtet - sich arrangiert ... 
wir brauchen dein klötzchen nicht mehr
du kannst es behalten
als andenken
pack es in deine
klötzchen-spiel-schachtel ... 
und vergewissere dich
das nächste mal
bevor du ein klötzchen aufnimmst ...
bevor du ein klötzchen aufnimmst ...
sinedi

JAN HUS - ALEXIS TSIPRAS - YANIS VAROUFAKIS - EUGEN DREWERMANN | Ein alter und drei neue Ketzer

0
0

HUS - TSIPRAS - VAROUFAKIS - DREWERMANN

Heute vor 600 Jahren wurde der Reformator Jan Hus in Konstanz verbrannt. Was hat uns sein gewaltsamer ideologisch motivierter Märtyrertod just heute zu sagen ... ???: 

Ich glaube, dass heutzutage die Herren Tsipras und Varoufakis ebenfalls vom €uro-Klerus gnadenlos verurteilt und verbrannt worden wären - wenn das noch so in Mode wäre ... Auch sie werden ja letztlich als Ketzer bezeichnet, die eine neue Lehre der Wirtschaftsökonomie gegen die abgestandene angemuffte Austeritätslehre von Frau Merkel und Herrn Schäuble und dem gesamten von ihnen abhängigen €U-Heiligtümern wie die der €uropäischen Zentralbank, der €U-Kommission und des Internationalen Währungsfonds ... Und Drewermann galt ja schon ein paar Jahre früher der katholischen Kirche als Dissident und Ketzer - und ihm seine Lehrerlaubnis zu entziehen und ihn als Hochschullehrer auszuschließen, kommt ja dem Verbrennen einer Stimme und einer unliebsamen Meinung recht nahe...

In Bezug auf Tsipras und Varoufakis weiß inzwischen jeder vernünftig denkende Mensch:
  • Austerität ist ein strategischer Schildbürgerstreich. Um einen ökonomischen Wurmfortsatz Europas zu disziplinieren wird eine weitere globale Finanzkrise riskiert. Verglichen mit dem Schaden weiterer Bailouts wäre der überfällige Schuldenschnitt für Griechenland Peanuts.
  • Austerität ist politischer Selbstmord, weil der neue nationale Chauvinismus die politischen Extreme fördert, wie der Aufstieg der Rechtspopulisten in ganz Europa zeigt.
  • Austerität ist nationalistischer Egoismus, der das Jahrhundertwerk der europäischen Friedensunion bedroht.
  • Austerität ist wirtschaftlicher Unsinn, weil Sparen in einer wirtschaftlichen Depression weiter die aggregierte Nachfrage schwächt.
  • Austerität ist undemokratische Technokratie, die im Auftrag der Finanzmärkte ohne jedes Mandat die nationalen Demokratien aushöhlt.
  • Austerität ist eine fiskalische Milchmädchenrechnung, weil sich der berüchtigte Schuldenstand beim Schrumpfen der Wirtschaft weiter erhöht und so eine Rückkehr zu den Kapitalmärkten versperrt.
  • Austerität ist entwicklungspolitischer Rohrkrepierer, weil sich notwendige Strukturreformen gegen die Widerstände der Patrone ohne die breiten Unterstützung des Volkes nicht durchsetzen lassen.
  • Austerität ist soziale Ungerechtigkeit, weil sie die Schadlosstellung europäischer Banken und Versicherungen durch die Vernichtung der Lebenschancen einfacher Bürger bezahlen lässt.
  • Austerität ist ein geopolitischer Schuss ins Knie, weil es Europa endlos schwächt und entzweit, wenn es von Russland herausgefordert wird.
  • Austerität ist geschichtsvergessene Selbstgerechtigkeit, weil sie unterschlägt, dass der Wiederaufbau Deutschlands und Frankreichs ohne Schuldenerlass und Marshallplan unmöglich gewesen wäre. Im Gegenteil wiederholt die Austeritätspolitik den tragischen Fehler des Reichskanzlers Brüning, der mit seinem Sparprogramm mitten in der Depression den Nazis den Weg geebnet hat. (Quelle)

Es ist zum Verzweifeln. Scheinbar unbeirrt taumelt Europa den Pfad der Tugend hinab. Sparsamkeit. Disziplin. Ordnung. Die Tugendwächter handeln gegen jede ökonomische Vernunft. Ein Nobelpreisträger nach dem anderen warnt, dass der finanzielle Aderlass den Patienten eher tötet als heilt: Amartya SenPaul KrugmanJoseph Stiglitz, Jeffrey Sachs, Jürgen Habermas, Ulrich Beck, Thomas Piketty. Selbst der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Olivier Blanchard musste zugeben, dass die Steuererhöhungen und Kürzungsorgien der letzten Jahre mehr wirtschaftlichen Schaden angerichtet hatten, als sich die Architekten der Austeritätspolitik jemals vorstellen konnten.

Es ist schon erstaunlich, wie sich Geschichte oftmals in Hunderten von Jahren gleicht und wiederholt: Diesmal sind es - der Neuzeit wohl angemessen - orthodoxe ökonomisch-volkswirtschaftliche Dogmen - die fallen müssen - um einer gesunden Weiterentwicklung willen ... - Aber leider - ich denke - der populistisch wohlfeil aufgeputschte Mob wird ebenfalls - wie in all den Jahren - brüllen: "Kreuziget sie" - verbrennt diese häretischen Ideen von Keynesianern, von antizyklischem Stimulus und von Syriza ...

Und vielleicht pilgern die nachfolgenden Generationen in weiteren 600 Jahren nach Athen - an ein Tsipras-und-Varoufakis-Denkmal - um den größten volkswirtschaftlichen Irrtümern aus alter Zeit zu gedenken: Warten wir aber zunächst dazu das nächste €U-Konzil ab ...

Gedenken wir jedoch zunächst dem Reformator und Märtyrer Johann Hus und all den Parallelen seines "Falles" zu unserer Jetzt-Zeit - mit den Worten von Eugen Drewermann dazu...


Bildnis Jan Hus von Johann Agricola, 1562

Jan Hus 
(nach seinem wahrscheinlichen Geburtsort Husinec, Okres Prachatice, heute Tschechien; * 1. Juli 1372; † 6. Juli 1415 in Konstanz)

auch Johannes Huss genannt, war ein christlicher Theologe, Prediger und Reformator. Er war zeitweise Rektor der Karls-Universität Prag. Als er während des Konzils von Konstanz seine Lehre nicht widerrufen wollte, wurde er auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die nach Jan Hus benannte Bewegung der Hussiten geht zum Teil auf sein Wirken zurück.

Neuere Forschungen geben den 1. Juli 1372 als Geburtsdatum an.

Jan Hus war der Sohn von Joh. Joseph Huß (* 1330 in Husinetz) und dessen Ehefrau von Kowisckcy. Er hatte zwei Brüder namens Hironimus (* 1370) und Benedictus (* 1382). Jan Hus, dessen Vater vermutlich Fuhrmann war, besuchte die Lateinschule in der Handelsstadt Prachatice in Westböhmen und studierte ab ca. 1390 in Prag. Nach dem Studium an der Karls-Universität Prag erlangte er 1396 den akademischen Grad eines Magister Artium, wurde Hochschullehrer und gilt als Verfasser des anonymen Traktats Orthographia Bohemica, in dem erstmals das diakritische System der tschechischen Rechtschreibung vorgeschlagen wurde (mit dem Akut für lange Vokale und dem Punkt für weiche Konsonanten).

Durch Hieronymus von Prag wurde Hus ab 1398 mit den Lehren des Oxforder Theologen John Wyclif vertraut, die er begeistert aufnahm. Tschechische Adelige, die seit der Vermählung der Schwester König Wenzels, Anne von Böhmen, mit Richard II. von England (1382) an der Universität Oxford studierten, brachten von dort Wyclifs Schriften nach Prag – zuerst die philosophischen, später auch die theologischen und kirchenpolitischen. Wyclif forderte aufgrund der sittlichen Verfallserscheinungen des Klerus in England und in Böhmen die Abkehr der Kirche von Besitz und weltlicher Macht.

Jan Hus begann 1398 Theologie zu studieren und wurde 1400 zum Priester geweiht. 1401 wurde er zum Dekan der philosophischen Fakultät ernannt. 1402 wurde er Professor und übte das Amt des Rektors der Prager Universität 1409–1410 aus. Dort lehrte er Theologie und Philosophie.

Wirkung als Priester und Prediger

Ab 1402 predigte Hus in tschechischer Sprache in der Bethlehemskapelle in der Prager Altstadt und führte das gemeinsame Singen während des Gottesdienstes in der tschechischen Landessprache ein. Er hielt dort jährlich rund 200 Predigten auf tschechisch und förderte so auch das tschechische Nationalbewusstsein in dem von einer kleinen deutschen Oberschicht geprägten Land. Hus, der zunächst unter Erzbischof Zbynko Zajíc von Hasenburg großes Ansehen genoss, wurde von diesem mehrfach zum Synodalprediger bestimmt. Er wurde Beichtvater der Königin Sophie von Bayern. Hus predigte eine strenge, tugendhafte Lebensweise und eiferte gegen Zeitgeist und Mode, so dass er gelegentlich die Zünfte der Schuster, Hutmacher, Goldschmiede, Weinhändler und Wirte gegen sich aufbrachte.

Beeinflusst durch die Lehren Wyclifs, kritisierte er den weltlichen Besitz der Kirche, die Habsucht des Klerus und dessen Lasterleben. Er kämpfte leidenschaftlich für eine Reform der verweltlichten Kirche, trat für die Gewissensfreiheit ein und sah in der Bibel die einzige Autorität in Glaubensfragen, im Gegensatz zu der Doktrin der Amtskirche, dass der Papst die letzte Instanz bei Glaubensentscheidungen sei. Von John Wyclif übernahm Hus zudem die Lehre der Prädestination und setzte sich für die Landessprache als Gottesdienstsprache ein.

1408 erfuhr der Prager Erzbischof von Hus' Predigten und enthob ihn daraufhin seiner Stellung als Synodalprediger. Das Lesen der Messe und das Predigen wurden ihm verboten. Er hielt sich aber nicht an diese Verbote, predigte weiterhin gegen Papsttum und Bischöfe und brachte in kurzer Zeit große Teile Böhmens auf seine Seite.

Um der Reformbestrebungen Herr zu werden, unterwarf sich der Prager Erzbischof dem Papst Alexander V., einem der damaligen drei Päpste, und erwirkte von ihm eine Bulle, die die Auslieferung der Schriften Wyclifs und den Widerruf seiner Lehren forderte. Außerdem sollte das Predigen außerhalb der Kirchen verboten werden. Nachdem diese Bulle am 9. März 1410 veröffentlicht wurde, ließ der Erzbischof über 200 Handschriften Wyclifs öffentlich verbrennen und verklagte Jan Hus in Rom. Hus, der sich dort erfolglos durch Abgesandte vertreten ließ, wurde daraufhin im Juli 1410 mit dem Kirchenbann belegt. Gegenpapst Johannes XXIII. bannte ihn im Februar 1411. Hus wurde exkommuniziert und der Stadt Prag verwiesen. Als Folge davon brachen in Prag Unruhen aus.

Aufgrund seiner Beliebtheit, die in Volksdemonstrationen gipfelte, lehrte Hus unter dem Schutz des Königs zunächst noch ein Jahr weiter. Er verurteilte nun die Kreuzzugs- und Ablassbullen von Johannes XXIII. 1412 jedoch musste Hus fliehen.

Jan Hus und das tschechische Nationalbewusstsein

Böhmen war das einzige Königreich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Prag war zu Hus‘ Zeit kaiserliche Residenzstadt. Neben dem Deutschen König und/oder „Römischen“ Kaiser gab es also den Böhmischen König, wenn diese Würden nicht gerade in Personalunion zusammenfielen. Die Bevölkerungsmehrheit in Böhmen waren Tschechen, aber die Deutschböhmen stellten den Großteil der Oberschicht. Viele Deutsche hatten hohe Kirchenämter inne. Wenn Hus gegen die Missstände im Klerus predigte, traf dies entsprechend viele Vertreter der deutschen Nationen.

Als die Prager Karls-Universität zum Abendländischen Schisma Stellung nehmen sollte, war Hus Wortführer der Tschechen. Die Universität war nach den vier „Nationalitäten“ Bayern, Sachsen, Polen und Böhmen gegliedert. König Wenzel hatte sich seit 1408 bereiterklärt, das Konzil von Pisa, das das päpstliche Schisma zu überwinden suchte, zu unterstützen, ebenso wie die böhmische Nation der Universität. Die deutschen Nationen sowie Erzbischof Zbyněk hingegen hielten an ihrer römischen Obedienz fest. Die Fronten verhärteten sich, als sich die Magister der böhmischen Nation zum Wyclifschen Realismus bekannten, der die philosophische Grundlage für die theologische Kritik Hussens und anderer böhmischer Theologen bildete.

Diese Oppositionsbildung führte schließlich zum Kuttenberger Dekret von 1409, das die Stimmenverteilung an der Universität grundlegend änderte. Mit einer Stimmenmehrheit der deutschen Nationen wäre eine neutrale Position gegenüber den beiden Päpsten in Avignon und Rom nicht durchzusetzen gewesen. Wenzel erteilte daher den Böhmen drei Stimmen, den Bayern, Polen und Sachsen zusammen dagegen nur eine. Die Tschechen erklärten sich zusammen mit König Wenzel für neutral, während die Deutschen zusammen mit Erzbischof Zbyněk an Gregor XII. festhielten.

Neben Jan Hus hatte Hieronymus von Prag, der 10 Monate nach Hus auf dem Konzil von Konstanz als Häretiker verbrannt wurde, wesentlichen Einfluss auf die Durchsetzung des Dekrets. Zum ersten Mal spielten bei einem Aufbegehren des tschechischen Volkes nationalistische Motive eine Rolle, die maßgeblich für die Ausbildung des Hussitischen Engagements waren. Infolge des Kuttenberger Dekrets verließen wenigstens 1000 deutsche Studenten mit ihren Professoren Prag und veranlassten die Gründung der Universität Leipzig.

Als der Gegenpapst Johannes XXIII. einen neuen Kreuzzug gegen den König von Neapel verkündete und jedem „Kreuzträger“ vollkommenen Ablass versprach, verurteilte Hus öffentlich diese Praxis, wodurch er großen Zulauf erfuhr. Jedoch zerbrach dadurch endgültig das Verhältnis zum König, der selbst finanzielle Interessen am geplanten Ablasshandel hatte. In Prag brachen neue Unruhen aus, als am 14. Juli 1412 drei junge Männer, die sich öffentlich gegen den Ablasshandel gewandt hatten, hingerichtet wurden. In der Reformbewegung wurden sie sofort als Märtyrer verehrt.

Aufgrund des größer werdenden Drucks floh Hus 1412 aus Prag und lebte bis 1414 auf der Ziegenburg in Südböhmen und auf der Burg Krakovec in Mittelböhmen. Dort verfasste er mehrere seiner Werke und leistete damit einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung der tschechischen Schriftsprache. In dieser Zeit setzte er seine Mitwirkung an der Bibelübersetzung in die Landessprache fort (eine neue vollständige Übersetzung des Alten Testaments und Überarbeitung von älteren Übersetzungen des Neuen Testaments entstand in seiner Umgebung). Erste Veröffentlichung der neuen Textteile erfolgte in seinem Werk Postila (1413).

Hus begab sich nun nach Husinec, seinem Geburtsort. In dieser Phase verfasste er zahlreiche Schriften und Pamphlete. Er erreichte, dass der mit der Kirche in Widerspruch liegende Teil des deutschen Adels ihn und seine Anhänger schützte. Einige hatten sich für den Fall, seine Ideen seien erfolgreich, vermutlich auch Hoffnungen auf die Kirchenbesitztümer gemacht, weil der Klerus nach Wyclifs Lehren bei Unwürdigkeit zu enteignen sei.

Hus durchzog das Land als Wanderprediger und fand zahlreiche Anhänger. 1413 schrieb Hus De Ecclesia (Über die Kirche). Darin vertrat er die Ansicht, dass die Kirche eine hierarchiefreie Gemeinschaft sei, in der nur Christus das Oberhaupt sein könne. Ausgehend vom augustinischen Kirchenbegriff, definierte er die Kirche als Gemeinschaft der Prädestinierten, also aller von Gott erwählten Menschen. In der sichtbaren Kirche gebe es jedoch zudem auch die nicht erwählten Menschen, die das corpus diaboli bildeten. Hus vertrat die Ansicht, dass viele Häupter der Kirche in Wahrheit Glieder des Teufels seien.

Besuch des Konstanzer Konzils

Zusicherung des freien Geleits

Die Unruhen und theologischen Streitigkeiten in Böhmen beschäftigten auch das Konzil von Konstanz ab 1414. Es galt, den Ruf des Landes wiederherzustellen und sich vom Vorwurf, Häresie zu dulden, zu befreien. Der deutsche König Sigismund sicherte Hus freies Geleit (einen salvus conductus für Hin- und Rückreise und die Zeit des Aufenthalts) zu und stellte ihm einen Geleitbrief in Aussicht. Hus machte sich aber schon vorher auf den Weg, um seine Ansichten vor dem Konzil darzustellen. Trotz seiner Exkommunizierung und dem gegen ihn ausgesprochenen Großen Kirchenbann wurde er auf seinem Weg nach Konstanz überall freundlich empfangen. Er erreichte am 3. November Konstanz. Der Papst hob am 4. November 1414 die Kirchenstrafen gegen ihn auf. Zunächst predigte er drei Wochen in einer Herberge in der St.-Paulsgasse - heute Hussenstraße. (Der Standort der Herberge lässt sich nicht mehr eindeutig klären. Das heutige Hus-Museum Konstanz ist in einem Haus aus der damaligen Zeit untergebracht.)

Stationen der Einkerkerung

Am 28. November wurde er zur Bischofspfalz beim Münster gebracht und im Haus des Domkantors eine Woche gefangengehalten. Am 6. Dezember wurde er in einen halbrunden Anbau des Dominikanerklosters auf der Dominikanerinsel im Verlies festgesetzt. Hier durchlebte er einige qualvolle Wochen. Bei Tage wurde er gefesselt und nachts in einen Verschlag gesperrt. Er war dem Gestank einer Kloake ausgesetzt, wurde schlecht ernährt und war von Krankheit gepeinigt. Da mit seinem Tode nicht gedient war – er sollte seine Lehren widerrufen –, wurde er ab 24. März 1415 in ein etwas erträglicheres Quartier, den Barfüßerturm an der späteren Stefansschule, verlegt. Danach wurde er im Gefängnisturm des Schlosses Gottlieben eingekerkert. 

Als Sigismund am 24. Dezember 1414 eintraf, gab er sich über den Bruch des Geleitbriefes zornig, tat aber nichts, um Hus zu helfen. Da er die böhmische Krone seines Bruders Wenzel beerben wollte, war ihm stärker daran gelegen, den Ruf Böhmens zu rehabilitieren. Die Geleitzusage Sigismunds wurde für nichtig erklärt, da Hus seine Ansichten nicht zurücknehmen wolle und deshalb nicht mehr die weltliche Ordnung für ihn zuständig sei, sondern die kirchliche (nach damaliger Auslegung war die Zusage ohnehin nichtig, da es gegenüber einem Häretiker keine verpflichtende Zusage geben konnte).

Im März 1415 floh Papst Johannes XXIII., als dessen Gefangener Hus galt, aus Konstanz. Hus kam am 24. März in den Gewahrsam des Bischofs von Konstanz. Papst Johannes XXIII. wurde bald selbst gefangen genommen, nach Konstanz zurückgebracht und selbst im Schloss Gottlieben eingekerkert.

Am 4. Mai 1415 verdammte das Konzil auch John Wyclif und seine Lehre. Da Wyclif zum Zeitpunkt der Verurteilung bereits 30 Jahre tot war, konnte das Urteil nicht mehr vollstreckt werden. Dafür wurde die Verbrennung seiner Gebeine angeordnet und 1428 tatsächlich durchgeführt.

Hus kam am 5. Juni in das Franziskanerkloster. Dort verbrachte er die letzten Wochen seines Lebens. Vom 5. bis 8. Juni wurde Hus im Refektorium des Klosters verhört. Hus unterstützende böhmische und mährische Adlige erreichten, dass er auf dem Konzil sich und seine Lehren in aller Öffentlichkeit zumindest ansatzweise verteidigen konnte. Das Konzil verlangte von ihm den öffentlichen Widerruf und die Abschwörung seiner Lehren. Hus lehnte dies ab und blieb auch bis Ende Juni standhaft.

Kirchliche Verurteilung

Am Vormittag des 6. Juli 1415 wurde Hus in feierlicher Vollversammlung des Konzils im Dom, dem späteren Konstanzer Münster, auf Grund seiner Lehre von der „Kirche als der unsichtbaren Gemeinde der Prädestinierten“ als Häretiker zum Feuertod verurteilt. Beteiligt am Konzil im Dom waren als Repräsentanten der weltlichen Mächte König Sigismund, Friedrich von Hohenzollern, Ludwig III. von der Pfalz und ein ungarischer Magnat. Die Beteiligten am kirchlichen Schuldspruch waren der Kardinalsbischof von Ostia, der Bischof von Lodi, der Bischof von Concordia und der Erzbischof von Mailand. Da Papst Gregor XII. zuvor abgedankt hatte und Papst Johannes XXIII. (Gegenpapst) kurz zuvor abgesetzt worden war, erfolgte die Verurteilung ohne päpstliche Beteiligung.

Weltliche Hinrichtung

Hus wurde der weltlichen Gewalt übergeben. Im Auftrag des Königs vollstreckte Pfalzgraf Ludwig das als Reichsgesetz geltende Urteil. Jan Hus wurde am Nachmittag des 6. Juli 1415 auf dem Brühl, zwischen Stadtmauer und Graben, zusammen mit seinen Schriften verbrannt. Seine Asche streuten die Henker in den Rhein. Seit dem 20. Jahrhundert erinnert ein Gedenkstein am mittelalterlichen Richtplatz in der danach benannten Straße Zum Hussenstein daran. Die Hinrichtung leitete der Pfalzgraf. Kurz vor der Hinrichtung kam der Reichsmarschall von Pappenheim angeritten und forderte Hus im Namen des Königs Sigismund zum letzten Mal zum Widerruf auf. Hus weigerte sich. „Der Reichsmarschall schlug zum Zeichen der Exekution in die Hände. Die Fackel wurde an den Holzstoß gelegt“.

Abschiedsbrief

In seinem Abschiedsbrief hatte Hus an seine Freunde geschrieben:
„Das aber erfüllt mich mit Freude, dass sie meine Bücher doch haben lesen müssen, worin ihre Bosheit geoffenbart wird. Ich weiß auch, daß sie meine Schriften fleißiger gelesen haben als die Heilige Schrift, weil sie in ihnen Irrlehren zu finden wünschten.“

Jan Hus auf dem Scheiterhaufen (Spiezer Chronik, 1485)

Allgemeine Zeitumstände

Die Verurteilung von Jan Hus fiel in eine Zeit, in der um die weltliche und um die kirchliche Vormachtstellung mit allen Mitteln gekämpft wurde.

Sigismund gewann den Machtkampf gegen seinen Vetter Jobst von Mähren nach dem Tod König Ruprechts. Drei Papstanwärter kämpften um den Anspruch, Papst zu sein, Gregor XII. in Rom, Benedikt XIII. in Avignon sowie Alexander V. (nach ihm Johannes XXIII.) in Pisa. Die Machtfragen wurden geregelt, die unter anderem von Hus eingeforderten Reformen wurden jedoch nicht durchgeführt. Die bestehenden Ordnungen galten nach der Absetzung des Papstes Johannes XXIII. und der Hinrichtung von Jan Hus mit der Wahl des neuen Papstes Martin V. im Konzilsgebäude am Hafen von Konstanz im Jahr 1417 als bestätigt.

Die Hinrichtung löste den ersten Prager Fenstersturz und die Hussitenkriege (1419–1434) aus. Fünf Kreuzzüge wurden gegen die aufständischen Taboriten entsandt. Die Kriege verwüsteten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht nur Böhmen und Mähren, sie griffen auch auf die Nachbarländer über, bis die Hussiten zuerst durch Zugeständnisse, später auch durch innere Zerrüttung besiegt wurden.

Die Lehre des Jan Hus

Hus war stark beeinflusst von den Lehren John Wyclifs. In seinen überwiegend kompilatorischen Schriften sind Wyclifs Anschauungen zum Teil wörtlich wiedergegeben, was der Schriftstellermanier des Mittelalters durchaus entsprach. Einiges hat Hus von Wyclif auch nicht übernommen. So hielt er an der Messe, der Lehre von der Transsubstantiation und der Lehre vom Fegefeuer fest, lehnte die Fürbitte der Maria und der Heiligen jedoch ab.

Der Begriff der Kirche

Nach Jan Hus ist die Kirche die Gesamtheit aller Prädestinierten (der Vorherbestimmten) (ecclesia est universitas praedestinatorum). Ihre Prädestination macht sie zu Mitgliedern der heiligen Kirche. Christus ist das Haupt – und kein Haupt außer ihm – der Kirche, das ihr selbst und jedem einzelnen Mitglied geistliches Leben vermittelt. Es gibt nach Hus von Anfang an nur eine Kirche, deren Mitglieder vorherbestimmt sind und nicht vor dem Tag des Gerichtes Gottes bekanntwerden. Für Hus ist der Begriff Kirche vorwiegend ein geistlicher und weniger ein institutioneller.

Hus unterscheidet zwischen Kirchenmitgliedern der Sache und dem Namen nach. Ein Mitglied der Institution Kirche muss nicht zu den Prädestinierten gehören, genauso wie ein Nichtmitglied der Institution Kirche zur geistlichen Kirche der Prädestinierten gehören kann. Ein Mensch zeigt seine Prädestination durch sein Verhalten.

Hus teilt die Kirche in drei Teile ein: Das Volk, die weltliche Herrschaft und den Klerus. Der weltlichen Herrschaft komme die Aufgabe zu, die Diener Gottes zu beschützen und das Gesetz Gottes zu verteidigen. Die Diener Gottes sollen „die Welt verbessern, die Kirche beleben als die Seele derselben und nach allen Seiten Christus am nächsten folgen“.

Die Geistlichen

Hus verlangt von einem Geistlichen ein wahrhaftiges und heiliges Leben mit dem Ziel, den Gläubigen zu dienen. Er beklagt, dass die Geistlichen seiner Zeit Gott verachteten und durch Gewinnsucht und Heuchelei die Kirche in Verruf brächten. Statt dem Volke zu helfen – so Hus –, berauben sie es, statt es zu verteidigen, unterdrücken sie es noch grausamer als die weltlichen Herren.

Die Geistlichkeit habe die Aufgabe, das Evangelium zu verkünden und dem Volk mit den Sakramenten zu dienen. Auch hier sieht Hus den Gegensatz zur damaligen Priesterschaft, welche nach seinen Worten nicht aus „göttlichem Trieb“ predige, sondern um des Gewinnes willen. Viele forderten Geschenke oder Geld für Salbung, Taufe, Kommunion, Ordination, Konsekration der Altäre und Begräbnisse. Hus kritisiert den Ablasshandel, erfundene Reliquien, Bilderverehrung und erfundene Wunder. Die Gnade Gottes dürfe nicht käuflich sein.

„Die Priester predigen wohl gegen unsere Unzucht und unsere Laster“, so beklagt Hus, „aber von den ihrigen sagen sie nichts, also ist es entweder keine Sünde, oder sie wollen das Privilegium haben“. Die Geistlichen, die im Heer der Gläubigen in vorderster Linie stehen, müssen nach seiner Auffassung auch von allen übrigen Gläubigen ermahnt und bestraft werden können, wenn sie irren oder sündigen.

Das Papsttum

Für Hus war der Begriff Papst genauso wenig ein institutioneller wie sein Begriff der Kirche. Nicht das Amt, sondern das Verhalten befähige einen Papst. Er wandte sich gegen Lehren, dass dem Papst unbegrenzte Autorität zukomme, dass er weder Gott noch Mensch sei, dass der Papst einen Bischof ohne Grund absetzen dürfe und dass er von apostolischen Vorschriften in der Bibel Abstand nehmen dürfe. Mit „der heiligste Vater auf Erden“ könne nur jemand gemeint sein, der auf heilige Weise lebe, Christus in Armut, Demut, Friedfertigkeit und Keuschheit nachfolge, nicht aber jemand, der in offenkundiger Habgier, in offenem Hochmut und in anderen Sünden lebe. Auch hier zeigt sich Jan Hus' Grundhaltung, dass sich Inhaber von kirchlichen Ämtern, inklusive des Papstamtes, an den Aussagen und Werten der Bibel messen lassen müssen, eine Auffassung, die er von Wyclifs Lehre bestätigt sah.

Die heilige Schrift

Hus sah die Bibel als „ganz wahr und hinreichend zur Seligkeit des Menschengeschlechts“ an. Sie sei der Maßstab, nach dem sich das Leben richten müsse. Alle religiöse Wahrheit sei in ihr enthalten. Die Schrift sei eine Waffe gegen den Teufel, die auch schon Christus gebraucht habe, indem er dem Teufel nicht befohlen, sondern argumentiert habe. Er wandte sich gegen die Lehre, dass die Autorität der Kirche über der Bibel stehe. Die so lehrten, wollten sich selbst von Kritik freihalten und das Volk über die Heilige Schrift in Unkenntnis halten, damit es gefügig bleibe.

Hus forderte, nichts zu glauben, festzuhalten, zu behaupten und zu predigen, was nicht durch die Aussagen der Bibel begründbar sei. Die Schrift, so Hus, müsse geglaubt werden, sie sei der Zugang zum Himmelreich.

Das Abendmahl

Das Abendmahl gehörte für Hus zu den „tiefsten und geheimsten und höchsten Mysterien unseres Glaubens“. Es könne von einem Menschen nicht voll begriffen werden. Die geistliche Erfahrung müsse als die wichtigere der sakramentalen Erfahrung immer vorausgehen. Christus habe dieses Sakrament eingesetzt zum Gedächtnis seines Leidens, seines Lebens und Wirkens, seiner Auferstehung und Himmelfahrt. Dies solle der Priester im Gedächtnis haben, wenn er das Sakrament spende. Entgegen der vorherrschenden Lehre seiner Zeit betonte Hus, dass das Abendmahl in Brot und Wein auch für Laien bestimmt sei. Er könne aus der Schrift eine Einschränkung nicht herauslesen. Das Ziel des Abendmahls sei, „In Christo bleiben und ihn bleibend in sich haben; in Ewigkeit nicht sterben; das ewige Leben haben“.

Die Praxis des Abendmahls gehört noch immer zu den theologisch diskutierten Punkten innerhalb der Christenheit. Hus betonte zunächst die Notwendigkeit des Glaubens an die Worte Jesu, welcher sagte, das Brot sei sein Leib und der Wein sei sein Blut. Darüber hinaus würden Brot und Wein durch die vom Priester verlesenen Einsetzungsworte geweiht, so dass das Brot in den wahren Leib Christi und der Wein in das wahre Blut Christi transsubstanziiert (verwandelt) würden.

Häresie

Häresie habe drei Ursachen: Abkehr vom Gesetz Gottes, Lästerung und Ämterkauf. Eine Lästerung sei es, wenn ein Mensch Gott beschuldigt, wenn Gott hartnäckig in Gedanken beleidigt werde, indem man ihm seine Macht nicht zutraut, oder wenn man das, was Gott allein gebühre, einer menschlichen Kraft oder einer anderen Kreatur zuerkenne. In seiner Schrift über Häresie und Simonie (Ämterkauf) wies Hus darauf hin, dass auch Jesus als Lästerer beschuldigt und hingerichtet worden sei. Besonders heftig stritt Hus gegen den Verkauf kirchlicher Ämter, die andere Häresien nach sich ziehe, nicht die Fähigsten auf die Posten bringe und die Menschen verderbe. WIKIPEDIA

Jan Hus ist für mich
wie einer der Meteoriten,
die nachts vom Himmel fallen -
mitten in der Nacht -
und während sie verglühen
für einen Moment lang
die Welt erleuchten ... 
Eugen Drewermann







mein alltäglicher surrealismus .... - die nadja springt unterm bücherturm hervor

0
0
André Breton: Nadja - Bibliothek Suhrkamp 1974

********************************************************************************************





Also -ich nehme an, auf dies Goethe-Sprichwort bezieht bezieht sich der Autor André Breton
am Anfang seiner surrealistischen "Nadja"-Erzählung bezieht ...

********************************************************************************************




WER BIN ICH? WENN ICH MICH AUSNAHMSWEISE AUF ein Sprichwort beziehe: warum kommt in der Tat nicht alles darauf an, zu wissen, mit wem ich »umgehe«? Ich gestehe, daß mich dieses Wort verwirrt, denn es sucht zwischen bestimmten Wesen und mir seltenere Beziehungen zu begründen, unausweichlichere, bestürzendere, als ich dachte. Es sagt viel mehr, als es sagen will, es läßt mich zu Lebzeiten die Rolle eines Gespenstes spielen, offenbar spielt es auf das an, was ich aufhören mußte, zu sein, um der zu sein, der ich bin. Wenn ich es, kaum mißbräuchlich, in diesem Sinne nehme, gibt es mir zu verstehen, daß die objektiven Äußerungen meiner Existenz, die ich nämlich für solche halte, mehr oder weniger vorsätzliche Äußerungen, nur der in die Grenzen dieses Lebens eintretende Teil einer Aktivität sind, deren wirkliches Feld mir ganz und gar unbekannt ist. ...
(Beginn der "Nadja"-Erzählung - S. 7 der 1. Auflage ....)






Möglicherweise will das Leben wie eine chiffrierte Botschaft entziffert werden.

(Eintrag auf dem Rücken des Schutzumschlages von Bretons deutscher "Nadja"-Ausgabe von 1974)

********************************************************************************************

Ähhh - ich bin über die Recherche zu Jacques Lacan und Slavoj Zizek auf mein eingelagertes Nadja-Buch gestoßen, dass ich mühsam dann unten aus einem Bücherturm von ca. 1 Meter Höhe herausziehen und bergen konnte - das Ganze war schon irgendwie passend surreal und bizarr - denn "Nadja" kam quasi aus dem Nichts aus meinem Unbewussten herangeflattert, als ich von Lacans Theorie las, die sich  ver"einfacht" [sic!] in vier Grundannahmen zusammenfassen lässt:
  • Das Ich entwickelt sich im Spiegelstadium, welches die grundlegende Matrix der Subjektivität bildet.
  • Das Subjekt ist ein Sprachwesen, das heißt durch die symbolische Ordnung der Sprache geprägt: „Das Unbewusste ist wie eine Sprache strukturiert.“
  • Das Subjekt ist ein begehrendes Subjekt. Da das Objekt des Begehrens (Objekt klein a) immer schon verloren ist, ist es ein grundsätzlicher Mangel, der das Begehren des Menschen aufrechterhält.
  • Die menschliche Psyche konstituiert sich in der unauflösbaren Trias Imaginäres-Symbolisches-Reales (RSI).
Und keine Angst - ich verstehe das ja auch alles nicht - aber es ist doch gut, dass Lacan und Zizek - und vielleicht sogar Breton in seiner "Nadja" darüber nachgedacht haben - und gut - dass wir hier drüber gesprochen haben ... - schöne Ferien noch ...




Merkel bitte nicht töten ... - das Model mit der seltsamen Botschaft | monopol-magazin

0
0

aufgeschreckt

Fotomontage aus dpa-Fotos: BITTE NICHT ANGELA MERKEL TÖTEN - PLEASE KILL ANGELA MERKEL NOT



Rick-Owens-Model mit politischer Botschaft

"Bitte nicht Angela Merkel töten"


Ein Rick-Owens-Model überrascht auf der Pariser Modewoche mit einer politischen Botschaft 

Text: Daniel Völzke | monopol-magazin.de

Christoph Schlingensief meinte es eigentlich nur gut: "Wenn ich sage 'Tötet Helmut Kohl', bewahre ich ihn davor, weil ich das Bild ausspreche", sagte der Regisseur und Künstler, der wegen genau dieser Forderung einst in Kassel festgenommen wurde. Ob das männliche Model, es am Donnerstag auf der Pariser Modewoche nun gut mit Angela Merkel meinte, ist unter dieser Prämisse gar nicht mehr zu beantworten: Bei der Vorstellung der Sommerkollektion 2016 des Designers Rick Owens entfaltete der Mann auf dem Laufsteg ein Stoffbanner, auf dem im Meister-Yoda-Englisch "PLEASE KILL ANGELA MERKEL NOT" stand. Das "NOT" war dabei die meiste Zeit nicht zu sehen.

Rick Owens selbst will von der Aktion seines Models, mit dem er schon jahrelang zusammenarbeitet und das er "Muse" nennt, nichts gewusst haben – er war außer sich vor Wut. Das Model hat sich bislang nicht geäußert. Ging es um ein politisches Statement? Um Deutschlands dominante Rolle in Europa? Um Merkels Style? Oder war es – wie bei Schlingensief – nur als Bannzauber gedacht? Rätselhaft!

Aber gut: Nachdem kürzlich bei einer Rick-Owens-Show die Penisse der Models sichtbar waren, warum nicht auch einmal ihre dringlichsten Anliegen!



Documenta-Baumfrevel ...

0
0

Der Korbinians-Apfelbaum in Kassel mit Hinweisschild | Bildmaterial: Maximilian Beer | leipzig-almanach.de
Unbekannte zerstören Documenta-Kunstwerk
Korbinians-Apfelbaum wurde zu Kleinholz gemacht

Unbekannte haben aus einem documenta-Kunstwerk in Kassel Kleinholz gemacht: Sie zerstörten einen vom Jimmie Durham 2011 gepflanzten Apfelbaum. Der Baum sollte den Sieg des Lebens über den Naziterror symbolisieren.

Böse Überraschung kurz vor den Feiern zum 60-jährigen Bestehen der Kunstausstellung documenta in Kassel: Im Staatspark Karlsaue wurde eines der dauerhaften Außenkunstwerke zerstört - der Korbinians-Apfelbaum, den Künstler Jimmie Durham 2011 mit Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev gepflanzt hatte. 
Jimmie Durham und Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev pflanzen
das Bäumchen 2011 | Foto: Nils Klinger - monopol-magazin

Der knapp drei Meter hohe Baum fiel vermutlich Vandalen zum Opfer. Die Täter seien mit umfassender Zerstörungswut vorgegangen, hieß es auf Anfrage bei der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK), deren Gärtner den Schaden kürzlich entdecken. Das Gehölz sei komplett aus dem Boden gerissen, sämtliche Äste seien abgebrochen worden.

7.000 Eichen ließ einst der Künstler Joseph Beuys in Kassel pflanzen und prägte damit das Gesicht und den Ruf der Documenta-Stadt nachhaltig. Das Bäumchen, das rund 30 Jahre später Carolyn Christov-Bakargiev, Chefin der Documenta 13, und der Künstler Jimmie Durham in der Karlsaue pflanzte, nimmt sich dagegen bescheiden aus. Und doch ist dieser zu einem Kunstwerk erhobene unscheinbare Stamm etwas ganz Besonderes. Denn die künstlerische Leiterin setzte einen Korbinians-Apfelbaum gemeinsam mit dem Künstler in die Erde und erinnerte damit an den bayerischen "Apfelpfarrer" Korbinian Aigner (1885-1960), der als Gefangener im Konzentrationslager Dachau heimlich Äpfel züchtete.

Während das Bäumchen im Park leicht zu übersehen ist, stoßen Besucher der Weltkunstausstellung an prominenterem Ort noch einmal auf den Namen Korbinian Aigner: Im Fridericianum, dem traditionellem Hauptort der Documenta, finden sich in einem Raum Apfel-Bilder des katholischen Priesters, der sich auch als Künstler betätigte. In einem Zeitraum von 50 Jahren schuf Aigner rund 900 Zeichnungen im Postkartenformat - durchnummerierte Aquarelle, die verschiedene Äpfel und Birnen einzeln oder in Paaren darstellen.

Er weigerte sich, Kinder auf den Namen Adolf zu taufen

Apfelbild 600 | KZ 3: Korbiniansapfel - epd/A.Fischer
An der Wand hängt auch die Nummer 600: Das Bild zeigt ein Apfelpaar, das Aigner "KZ-3" taufte, weil es eine der vier Sorten war, die er im KZ Dachau züchtete. Für den Geistlichen, der in der Perfektion der Frucht die göttliche Schöpfung bewunderte, war die lakonische Namensgebung  wohl so etwas wie eine Mahnung. Später, zum 100. Geburtstag Aigners, wurde der KZ-3 in "Korbiniansapfel" umbenannt.

Korbinian Aigner | HNA
Wer war nun dieser Korbinian Aigner, dem auf der weltgrößten Kunstausstellung fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod ein Denkmal gesetzt wurde? Der Dorfpfarrer aus dem Landkreis Freising zeigte sich offen als Gegner des NS-Regimes, als er in den 1930er-Jahren in seinen Predigten gegen die Nazis wetterte. Er weigerte sich, Kinder auf den Namen Adolf zu taufen und erkannte die Hakenkreuzfahne nicht als deutsche Nationalflagge an.

1940 wurde er aufgrund einer Denunziation verhaftet und kam ins Gefängnis, danach musste er in den KZs Sachsenhausen und Dachau Zwangsarbeit leisten. Aber auch an diesen Schreckensorten demonstrierte er ungebrochenen Widerstand und züchtete heimlich hinter einer Baracke einige Apfelbäume. Hier entstanden die Sorten KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4. Aigner überlebte das KZ und widmete sich nach dem Krieg in seiner Pfarrgemeinde Hohenbercha mit Leidenschaft der Obstkunde, bis er 1966 starb.

KZ-Äpfel - "Was ist daran Kunst?"

Aigners KZ-Äpfel, so kann man im Documenta-Begleitbuch nachlesen, seien "ein bewegendes Symbol für den Holocaust als den Sündenfall der Moderne." Trotzdem stutzen viele Besucher: "Was ist daran Kunst?", fragen sie verunsichert, wenn sie über das Gelände flanieren und auf das Korbiniansbäumchen stoßen. Anders als etwa Beuys "7.000-Eichen-Projekt" fehlt dem dürren Stamm die Ausstrahlung einer spektakulären Kunstaktion.

Korbinians postkartengroße Apfelbilder im Fridericianum in Kassel | HNA
Kassel macht sich in diesem Fall die Position von Frau Christov-Bakargiev zu eigen, nach deren Konzept die Frage zur Definition von Kunst unerheblich sei. "Die Frage ist, ob etwas Wirkung hat", erklärt die Ausstellungsmacherin: "Wenn ein Mensch diesem Apfelbaum begegnet, und dadurch etwas in ihm ausgelöst wird, dann ist es Kunst".

Die Pflanz-Tat der Documenta-Chefin, die sich zu anderen Gelegenheiten als eher kirchenkritische Zeitgenossin profilierte, erinnert an das berühmte Luther-Zitat: "Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."

Bäumchen wird nachgepflanzt

Ob sich die Täter mit der Zerstörungs-Attacke ausdrücklich gegen die Kasseler Weltkunstschau richten wollten, bleibe Spekulation, sagte documenta-Sprecherin Henriette Gallus. Die Akribie, mit der das Bäumchen zu Kleinholz gemacht wurde, sei aber ein Indiz dafür. 

Laut MHK wird auch in Kassel die Natur am Ende die Oberhand behalten: Im Herbst werde ein gleich altes Bäumchen dieser Sorte nachgepflanzt. In weiser Voraussicht hatten die Macher der Documenta 13 gleich ein Ersatzgehölz angeschafft.

Nach Texten von: hr-online.de | evangelisch.de 


Nun ist dieser symbolhafte Documenta-Apfelbaum zerstört und umgebracht worden - und das war sicherlich nicht nur eine Attacke gegen die Kasseler Weltschau - sondern sicherlich auch eine Freveltat gegen das Kunstsymbol und dessen Aussage und Background ... Hier müsste eigentlich der Staatsschutz ermitteln... Es sind ja keine Kavaliersdelikte von trunkenen Spätheimkehrern, wenn auch beispielsweise die "Stolpersteine" des Künstlers Gunter Demnig als Andenken an NS-Opfer gezielt mit Farbe besprüht werden - oder wenn deren Messingplatten in ganzen Bezirken Stück für Stück einfach abgehebelt werden ... - und wenn man so weit gezielt hinein in die Karlsaue geht, um dieses Bäumchen kleinzuschreddern ... - das sind gezielte politisch motivierte Anschläge auf die NS-Opfer-Andenken - die es nun rigoros zu ahnden gilt: es sind rechtsradikale Anschläge auf unsere Gedenkkultur ... - Passt alle mit auf ... - und erstattet bei rechtem Vandalismus sofort Anzeige - denn 
"Wie oft hat man sie schon totgesagt - doch - 
hier im Innern des Landes, da leben sie noch ..."

sang Väterchen Franz schon 1968 ... - meint S!

bild & lyrik_the last minute

0
0



the_last_minute



erst clicken - dann lesen ...



wenn ich so echt müd werd
(so in süddeutschem akzent
in die zunge geschnalzt...)
lässt meine bauchspeicheldrüse
(klingt doch viel niedlicher - 
viel niedlicher als z.B. "pankreas")
vor meinen pupillen jeweils 
die jalousien herunter:
und sehnt sich den alten öuro herbei
ganz verschämt - anheimelnd - 

unter einem halbgeöffneten 

trenchcoatmantel - blankgezogen

mit urlautem schreckgeschrei

fliehen dann ein paar mädchen
die zufällig hingeschaut hatten
hinter all dem moos
wo die dunkelroten spulwürmer
schon kriechen

befriedigt dreh ich mir

den magen um
auf die andere seite
wo die wespen ein stück
birnentorte ausgemacht haben

___richten sie mal ihre kleidung
mann - man hört ja ihr gebrummsel



ganz aufgedreht umschwirren sie

das allerheiligste - und stechen
dann orgastisch bebend
konvulsiv im abebben 
der untergehenden abendsonne
seimbedeckt und dick bekleckert
just nochmal zu

einfach so

wie früher da draußen
im leben:
aus - aus - aus
das spiel ist aus
deutschland ist wohl der
in der welt meistaufgesuchte
drachmentöter
friede seiner asche

sinedi




S!NEDi auf den Spuren von Peter Doig: Schluss mit Lustig ...

0
0

S!NEDi: doigs kahn - 08.07.2015

so ab und an überkommt es mich - dann muss ich ein foto bearbeiten ähnlich den motiven des schottisch/karibischen kunststars peter doig ...
da schwimmt dann der kahn übers nebelig dunstige gewässer - und ein fischer fängt fische - oder schmeißt das kleingeld von seinem letzten bankraub auf nimmer wiedersehen über bord - vielleicht liegt ja sogar noch jemand im rumpf, der das geld zählt - und den wir nicht ausmachen können ... - und wenn gleich der klabautermann aus den fluten auftaucht - sei's drum ...

Peter Doig 
(* 17. April 1959 in Edinburgh) ist ein schottischer Maler.

Er gilt als einer der maßgeblichen und international einflussreichsten Maler der Gegenwart. 
Doigs Gemälde beziehen sich einerseits auf die Geschichte der Malerei und sind andererseits fest im heutigen Leben verankert. Ausgangspunkt für seine Bilder sind oft Reiseprospekte, Zeitungsfotos, Filmstills oder private Schnappschüsse. In ihnen finden sich die wechselnden Umgebungen und Gesellschaften, in denen der Künstler gelebt hat: die gefrorenen Seen seiner Kindheit in Kanada, die schillernde Metropole London oder zuletzt die karibischen Landschaften und urbanen Szenerien von Port of Spain auf der Insel Trinidad. In den Gemälden, deren Ruhe jeden Moment zu kippen scheint, gerinnen Erinnerung, Biographisches, populäre Bilder und erzählte Handlungen zu traumartigen Sequenzen.




Neo-Nationalismus und die "Eiserne Kanzlerin"

0
0

Korbinianapfel-Aquarell von Aigner 

das - meiner Meinung nach - gezielt von braungesinnten Vandalen gemeuchelt wurde, weil es symbolisch für das stete Andenken an den Widerstand gegen Rechts 2011 auf der dOCUMENTA gepflanzt wurde, hatte doch der tatsächliche Apfelzüchter und Apfelmaler Korbinian Aigner, ein Priester, der als Dorfpfarrer wegen seines NS-Widerstandes denunziert wurde, im KZ Dachau diese Apfelsorte hinter einer Baracke heimlich als internierter Zwangsarbeiter gezüchtet, zunächst "KZ 3" genannt, die dann aber nach seinem Vornamen in die neue Apfelsorte "Korbinianapfel" umgetauft wurde ...

Und doch - diese Tat ist keine Petitesse, etwa weil sich ja viele Besucher und Kasseler sowieso schon seit 4 Jahren verwundert die Augen gerieben hatten: "Und das soll Kunst sein ???" Nein - diese Tat passt in diese aufgewühlte Schwarz-Rot-Goldene und immer mehr ins Neu- bzw. wieder mal Senfbraune abdriftende Zeit: Zwischen Griechenlandkrise und Flüchtlingspolitik, zwischen AfD und Pegida, zwischen dem Fußball-Weltmeister-Titel von 1990, dem nun mit Pomp ("Mia san mia" - "Wir sind wieder wer!"...) gedacht wird, zwischen dem 7:1-Halbfinale gegen Brasilien in Brasilien im letzten Jahr, zwischen dem erneuten Weltmeister-Titel dort und zwischen mittlerweile einem deutschen Radfahrer im Gelben Trikot des Spitzenreiters der Tour de France.

Sascha Lobo hat in seiner neuesten Kolumne in SPIEGEL.de diesem Neo-Nationalismus nachgespürt:

Deutschland taumelt einem zutiefst beschämenden und gefährlichen Neo-Nationalismus entgegen, einem offen und aggressiv ausgelebten neuen deutschen Überlegenheitsgefühl.

Tatsächliche und ernstgemeinte BILD-Schlagzeile vom 07.07.2015
Das ist kein Zufall, eine neo-nationalistische Stimmung breitet sich aus, in Politik, Medien und Bevölkerung. Es ist akzeptabel geworden, "Deutschland zuerst!" nicht nur zu denken, sondern auch zu schreien: Die "Bild"-Zeitung bringt Merkel mit Pickelhaube auf das Titelblatt und ruft nach einer "eisernen Kanzlerin" gegen Griechenland, mehr widerlicher Nationalismus ist kaum denkbar, völlig unabhängig von der jeweiligen Position zur Krise.

Und die "Bild" ist nicht allein, denn quer durch die Medienlandschaft - und die Politik - ist der Ton gegenüber Griechenland und den Griechen geprägt von einem nationalistischen Furor, der verbalen Fackeln und Mistgabeln entspricht. Das ist nicht nur meine Interpretation - der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen spricht erkennbar verstört davon, wie "die Griechenland-Hetze bei uns angefangen hat". Die Wirkung: In der Öffentlichkeit scheint immer mehr akzeptiert, Hass und Verachtung über Nichtdeutschen auszukübeln. Das ist Neo-Nationalismus.

Weil Pöbeln gegen Nichtdeutsche ja gerade überall stattfindet: 
  • Im ZDF spricht ein Anwohner von "Auffanglagern für den Abschaum"
  • Ein Facebook-Beitrag zum Flüchtlingsheim in Freital, explizit bezogen auf die Flüchtlingskinder im Originalsound: "Hundekot Ist noch zu gut für die! Jedes DEUTSCHE Kind einen Zimmermannshammer kaufen und wenn Dreck Kinder kommen sofort mit der Spitze In den Schädel schlagen. Sind ja Strafunmuendig. Gott sei Dank kommen bald Zeiten In der aufgeräumt wird. Dann bestimmt ein Deutschland und sie werden ausgerottet."
  • Sigmar Gabriel formuliert in einem politischen Strategiepapier:" ... die Sorge vor Alltagskriminalität, 'Überfremdung' oder die Höhe der Rente gleichermaßen: Keine dieser Alltagssorgen darf der SPD fremd sein, auch dann nicht, wenn sie 'nur' subjektiv empfunden werden". Dieser Satz stellt nicht nur implizit eine fatale und überdies falsche Verbindung zwischen Kriminalität, Ausländern und Rentenhöhe her. Noch schlimmer ist, dass diese Aussage eine Abkehr von der Realität bedeutet: Rassisten auch dann ernst nehmen, wenn ihre Argumente nur ausgedacht sind. Das ist die Bedeutung.
  • Eine Unfasslichkeit ist dem "Focus" - hoffentlich unabsichtlich - in den Ticker gerutscht: "Sie riefen Sieg Heil - Asylgegner in Freital gehen auf eigene Ordner los". Wie bitte? Ein gewalttätiger Mob, der "Sieg Heil" brüllt, das sind bloß "Asylgegner"? Das ist, als würde man den "IS" als "nicht einverstanden mit der Homoehe" bezeichnen.


Wir müssen dem Neo-Nationalismus entschieden entgegentreten, überall, wo er auftritt, im Netz, in den Medien, in der Politik, auf der Straße. Bevor Menschen brennen.


KIRCHE - NEU GEDACHT - impuls für die woche -185

0
0


»DA er aber gefraget ward von den Phariseern / Wenn kompt das reich Gottes? Antwortet er jnen / vnd sprach / Das reich Gottes kompt nicht mit eusserlichen Geberden /Man wird auch nicht sagen / Sihe hie / oder da ist es. Denn sehet / Das reich Gottes ist inwendig in euch.
Lukas 17, 20-21: Luther-Übersetzung 1545





"KIRCHE" MITTEN IM ALLTAG - IMMERZU

GOTT (WIEDER) NÄHERKOMMEN

VON HUBERTUS HALBFAS


Rückbesinnung auf die Jesusbotschaft

Was Jesus interessierte, war eine Lebensordnung, die er als „Herrschaft Gottes“ oder „Reich Gottes“ verstand: keine jenseitige Welt, sondern eine Lebensweise in der Welt der Menschen. Er schrieb in den Alltag dessen göttliche Bestimmung ein. Das machte er konkret durch eine provokante offene Tischgemeinschaft, die Symbol und Realisation seiner Lehre war. In Gleichnissen und mit eigenem Verhalten deutete er seine Mahlgemeinschaften, die in bunter Reihe Männer und Frauen, Arme und Reiche, Pharisäer zwischen Zöllnern und Dirnen versammelten – ein Programm nicht-diskriminierender Gesellschaft. 

Irritierend und provokativ für alle, welche die eigene Identität nur in den Augen von ihresgleichen finden. Darum ist das Evangelium Jesu im eigentlichen Sinne keine Lehre sondern ein Lebensmodus, der seine Überzeugungskraft in sich selbst besitzt. Diese Wahrheit muss nicht geglaubt, nicht bewiesen und nicht verteidigt werden.

Jesus nennt als „Summe“ seiner Lehre wie der gesamten biblischen Überlieferung die „Goldene Regel“: 
„Alles nun, was ihr wollt, dass es euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun; denn darin besteht das Gesetz und die Propheten“(Mt 7,12)
Es ist eine unerhörte Raffung, die alle Menschen als gleich nimmt und einem natürlichen Sittengesetz unterstellt, so dass das rechte Leben keinem Buch, auch nicht einer „Heiligen Schrift“ entnommen werden muss, weil bereits Vernunft und Natur den Weg dazu weisen. Es geht darin nicht um Juden, Griechen oder Auserwählte, sondern um ein egalitäres Gleichstellungsprogramm, welches auch heute noch jedem Menschen vermittelbar und einsichtig ist – ganz gleich ob Christ, Jude, Muslim oder Atheist.

Relativierung paulinischer Theologie

In der frühen Jesusbewegung beginnt bereits die Verkirchlichung. Nun nehmen nur noch Jesus-Leute – nicht mehr jedermann – am Mahl teil, das sich von der offenen Tischgemeinschaft zur kultischen Handlung entwickelt und Elemente alter Opfergedanken aufgreift. Paulus erklärt: Durch Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferweckten, kommt alles Heil, das den Menschen durch den Sühnetod Jesu erschlossen wurde. Das aber ist ein anderer Inhalt als ihn Jesus vertrat. Im Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ oder „barmherzigen Vater“ (Lk 15,11-32) spricht er mit keinem Wort von einer notwendigen Sühne. Der durch Jesu Lehre und Leben erschlossene Gott hat nichts mit „Opfertod“ und Satisfaktion zu tun und weiß darum nichts von Sühne und Begnadigung. Im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner genügt die Bitte: „Gott sei mir Sünder gnädig“, um angenommen zu sein. Kein Beichtstuhl, keine Absolution, keine Gnadenvermittlung durch Sakramente und Kirche, nichts was eine Priesterschaft exklusiv zu vermitteln hätte.

Bei Paulus wird aus einer Lebensweise eine Glaubenslehre, die „Glaubensgehorsam“ verlangt, ansonsten Vergeltung und ewiges Verderben androht. Es ist der Wechsel von der (nicht bestreitbaren) Wahrheit eines gelebten Lebens zum (stets bestreitbaren) Anspruch eines theologischen Lehrsystems. Das Evangelium Jesu und das Evangelium des Paulus sind nicht vereinbar. Die heutige Kirche hat aus der paulinischen Theologie ihre Lehre entwickelt. Der historische Jesus blieb dahinter zurück und wurde sogar vergessen.

Neue kirchliche Strukturen

Das Programm Jesu weist über Kirche hinaus. Es ist eher kirchensprengend, weil es in der menschlichen Gesellschaft gelebt werden will. Daran teil zu haben, lässt von der Kirche erwarten, dem im Apostolischen Glaubensbekenntnis übergangenen historischen Jesus in der eigenen Struktur zentral wieder zu entdecken. Das verlangt eine Kirche von unten, Gemeindeformen, die aus ihren eigenen Prozessen heraus gestaltet werden.

Ein lebendiges Beispiel dafür findet sich im französischen Bistum Poitiers. Dort sind innerhalb von zwölf Jahren mehr als dreihundert örtliche Gemeinden neu entstanden, die von je fünf verantwortlichen Laien geführt werden. Das Modell Pfarrgemeinde wird hier aufgegeben, d.h. die Gemeinde definiert sich nicht mehr vom Pfarrer her. In zwölf Jahren pastoraler Arbeit sind im Erzbistum Poitiers mehr als dreihundert örtliche Gemeinden neu entstanden. „Das Empfinden von Schwäche und Schwund, das bis dahin geherrscht hat, nimmt ab. Spürbar lebt die Hoffnung auf. Die Menschen wandeln sich durch die Ausübung ihrer Aufgaben.“

Die neuen Gemeinden werden nicht gebildet, um fehlende Priester zu ersetzen, sondern um das Evangelium zu leben und viele Fähigkeiten in die Verantwortung einzubinden. Was diesem Kirchenmodell im Wege steht, ist die alte Furcht vor Demokratie in der Kirche. „Sagen wir es in aller Klarheit, hier geht es um Macht“, sagt Bischof Rouet. Diese Position will er dem Pfarrer nicht länger einräumen. Er wertet den heutigen Pfarrermangel als Chance, der Kirche eine neue Zukunft zu erschließen. Das Empfinden von Schwäche und Schwund, das bis dahin geherrscht hat, hat abgenommen. Spürbar lebte die Hoffnung auf. Die Menschen wandelten sich durch die Ausübung ihrer Aufgaben.

Das Evangelium Jesu aber wird längst über die Kirchen hinaus gelebt. Es wirkte im Programm der französischen Revolution »Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit« oder in der Erklärung der Menschenrechte. Es setzt sich fort in der Sozialgesetzgebung der europäischen Staaten; im Internationalen Roten Kreuz; in Organisationen wie Amnesty International, Attac, Ärzte ohne Grenzen als auch in Zielen von Greenpeace oder dem World Wide Fund For Nature (WWF).

Das Evangelium zielt auf weltliche Werte: auf Menschenrechte, Ehrfurcht vor der Natur und dem Leben, soziale Gerechtigkeit, die Würde der Frau, Wahrhaftigkeit. Auch wenn die christlichen Kirchen weitgehend mit sich selbst beschäftigt sind, die von den Propheten Israels und dem Reich-Gottes-Programm Jesu angestoßene Bewegung bleibt Salz der Erde und Licht der Welt. Dieser Anstoß geht von prophetischen und dienenden Menschen aus. Ihr Handeln und ihr Wort künden Gott in der Wirklichkeit der Welt.

Hubertus Halbfas - Quelle:www.reich-gottes-jetzt.de



Gespräch unter Frauen - am nächsten Morgen ... | IST DER RUF ERST RUINIERT, LEBT ES SICH GANZ UNGENIERT ...

Dieses Blog wurde grundlegend aufgeräumt ...

0
0
Aufgeräumt...
Hier wird ab 19.07. ganz neu gebloggt ...

Verspricht S!NEDi
Viewing all 2576 articles
Browse latest View live




Latest Images