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Film "Nebel im August" lichtet ein Tabu ... | Tagesspiegel Berlin: Die vergessenen Opfer

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Filmplakat
Die vergessenen Opfer

Seit 2014 gibt es ein Denkmal, das an die "Euthanasie"-Morde erinnert. Und auch an die Zwangssterilisierten, die bis heute nicht als "rassisch Verfolgte" anerkannt sind. 

VON SANDRA DASSLER | TAGESSPIEGEL BERLIN

„Ich hatte ja keine Ahnung“. Marshall Bush tritt zwei Schritte zurück, schaut auf die blaue Glasfront und vertieft sich kurz darauf wieder in die multimediale Informationstafel. Tafel und Glasfront gemeinsam bilden das Denkmal für die sogenannten Euthanasie-Opfer der Nationalsozialisten. „Sogenannt“ ist in diesem Zusammenhang ein äußerst wichtiges Wort, denn Euthanasie kommt aus dem Griechischen und bedeutet leichter oder gar schöner Tod. Die Nazis wussten, wie man Sprache missbraucht. Hitler hatte schon 1935 von einem „Euthanasie-Programm“ gesprochen, umgesetzt wurde es ab Beginn des 2. Weltkriegs.

Geplant wurde der Massenmord genau hier, in der später abgerissenen Villa der Berliner Tiergartenstraße 4, weswegen das Töten auch Aktion „T 4“ genannt wurde. „Ich hatte zwar schon mal davon gehört“, sagt Marshall Bush: „Aber erst, wenn man hier die Schicksale erfährt, die Fotos der Opfer sieht, ihre Briefe liest, wird einem bewusst, dass das tatsächlich geschehen ist, dass die menschliche Zivilisation so etwas zugelassen hat. Unfassbar.“

Marshall Bush, der in San Francisco als Wissenschaftler arbeitet, hat mit seiner Frau Arlene den Gedenkort gleich neben der Philharmonie nur zufällig entdeckt. „Vom Holocaust-Denkmal haben wir gewusst“, sagt Arlene Bush: „Aber dieses hier muss neu sein.“ Tatsächlich wurde es 2014 eingeweiht – nach langem Kampf auch von Angehörigen der Opfer. Seit 1989 gab es eine Gedenktafel im Boden, die allerdings oft übersehen wurde.

„Opfer zweiter Klasse“


Erinnerung und Gedenken. Seit 2014 erinnert das Denkmal in der Tiergartenstraße 4 an die Opfer von „Euthanasie“ und Zwangssterilisation - FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA


Mädchen und Jungen einer Schulklasse aus Schleswig-Holstein diskutieren lautstark über die Bedeutung der blauen, etwa 30 Meter langen und drei Meter hohen Glaswand. Die Gymnasiasten haben die „Euthanasie“-Morde der Nazis im Leistungskurs Geschichte behandelt. Mehr als 300 000 Menschen wurden in Deutschland, Österreich und in den besetzten Gebieten getötet: geistig und körperlich Behinderte, psychisch Kranke, Süchtige, Suizid-Gefährdete, Homosexuelle – oder einfach nur sogenannte Unangepasste. Wie Ernst Lossa, der 14-jährige Sohn eines fahrenden Händlers aus der Minderheit der Jenischen. Er war Halbwaise, galt als unerziehbar und wurde mit einer Giftspritze in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren ermordet. Zuvor hatte er immer wieder versucht, anderen Patienten zu helfen.

Ernst Lossa.FOTO: KRANKENHAUS KAUFBEUREN/von Cranach


Der Journalist und Autor Robert Domes hat die Geschichte von Ernst Lossa in seinem Roman „Nebel im August“ mit großer Sensibilität aufgeschrieben. Der gleichnamige Film unter Regie von Kai Wessel läuft derzeit in den Kinos. Und lenkt die Aufmerksamkeit auch auf jene, die manchmal als „Opfer zweiter Klasse“ bezeichnet werden.

Tatsächlich sei dieses Kapitel sehr spät aufgearbeitet worden, sagt der Historiker Robert Parzer. Er ist seit 2010 Redakteur des virtuellen Informationsortes „gedenkort-t4.eu“ und seit 2014 für die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas tätig, die auch die Gedenkorte für die Sinti und Roma, die Homosexuellen und eben die Euthanasie-Opfer betreut.

Thema war jahrzehntelang tabu

Nicht getötet, aber zwangssterilisiert wurden weitere 400 000 Frauen und Männer, darunter viele Jugendliche, die Ärzte als „lebensunwert“ oder „minderwertig“ einstuften. „Noch heute gelten diese Zwangssterilisierten nicht als rassisch Verfolgte des NS-Regimes“, sagt Robert Parzer: „Sie sind also den anderen Opfern nicht gleichgestellt. Das bedeutet nicht nur weniger Geld, sondern ist einfach ungerecht. Zumal es vom Bundesfinanzministerium immer noch mit Gutachten begründet wird, die Anfang der 60er Jahre jene Menschen erstellten, die oft selbst als Ärzte, Psychiater oder Eugeniker in die Verbrechen der „NS-Rassenhygiene“ verstrickt waren. Oder diese zumindest nicht verwerflich fanden.

Auf dem Foto ist das Euthanasie-Opfer Anna Lehnkering (links) mit einer Freundin. Sie wurde als "Lebensunwert" vergast. FOTO: PRIVAT

In vielen Familien der Opfer war das Thema jahrzehntelang tabu, sagt Parzer. Angehörige schwiegen aus Scham, Unkenntnis, Unsicherheit. „Oft fragt erst die dritte Generation wirklich nach: Wer ist denn diese Frau auf dem Bild? Was ist mit ihr geschehen?“

Bei Sigrid Falkenstein war es ähnlich. Ihr Vater hatte sie gebeten, die Familiendaten zu digitalisieren, bei der genealogischen Suche gab die heute 70-jährige Berlinerin auch den Namen seiner Schwester ein: Anna Lehnkering. Und fand ihn völlig überraschend auf einer Liste von NS-„Euthanasie“-Opfern. „Anhand des Geburtsdatums war schnell klar, dass das meine Tante war“, sagt Sigrid Falkenstein: „Mein Vater erinnerte sich nur bruchstückhaft, erzählte mir, dass er Anna als freundlich und gutmütig in Erinnerung habe. Es gibt ein Foto, wo er als Zwölfjähriger liebevoll und beschützend auf seine Schwester schaut. Ansonsten wusste er nur, dass sie irgendwann in irgendeiner Anstalt gestorben sei.“

In Wahrheit wurde Anna Lehnkering, die lernbehindert war, im März 1940 in der Tötungsanstalt Grafeneck im baden-württembergischen Landkreis Reutlingen ermordet. Vergast – wie mehr als zehntausend weitere Behinderte. In Grafeneck begann mit der „Aktion T 4“ die systematisch-industrielle Vernichtung von Menschen, die letztlich in den Holocaust mündete.

Anna, sagt Sigrid Falkenstein, die ein Buch über ihre Tante geschrieben hat, erfüllte die Selektionskriterien der Mörder perfekt. Sie galt im Sinne der NS-Rassenideologie als „unheilbar erbkrank“, war außerdem „ökonomisch unbrauchbar“, eine „Ballastexistenz“ und „nutzlose Esserin“. Mit einem roten Plus im Meldebogen wurde sie von ärztlichen Gutachtern in Berlin, die sie nicht einmal kannten, als „lebensunwert“ zur Vernichtung bestimmt.

Förderkreis Gedenkort T4 e.V.

Anna wurde nur 24 Jahre alt. Ihr Foto steht heute ebenso wie ihre Geschichte auf der langen Dokumentationstafel in der Tiergartenstraße. Wo eigentlich ein richtiges Informationszentrum entstehen sollte. Dafür reichten aber die vom Bund bereitgestellten 500 000 Euro nicht aus.

Inzwischen hat sich in Berlin der Förderkreis Gedenkort T4 e.V. gegründet. Die Mitglieder treten auch dafür ein, dass Euthanasiegeschädigte nicht vergessen und Zwangssterilisierte endlich als rassisch Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt werden.

Die Geschichten über Ernst Lossa und Anna Lehnkering könnten dabei helfen. Gerade hat der Bundestag entschieden, bei der Holocaust-Gedenkstunde am 27. Januar 2017 die Opfer der NS-„Euthanasie“ in den Mittelpunkt zu rücken.

Marshall Bush aus Kalifornien findet das dringend notwendig. „Die Welt weiß noch zu wenig von diesem Kapitel“, sagt er: „Und es ist sehr, sehr wichtig, dass viele davon erfahren.“

Tagesspiegel Berlin


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Bis zu 300.000 Menschen sind Opfer der verschiedenen NS-"Euthanasie"-Aktionen von 1939-1945 geworden. Betroffen waren alle Regionen quer durch das Reich und auch die besetzten und annektierten Gebiete - auch die "Provinz" z.B. in Ostwestfalen-Lippe: 
Während des 484-Tage andauernden "Euthanasie"-Martyriums von >Erna Kronshage (1922-1944) aus Senne II, (Krs. Bielefeld) wurde sie sowohl zwangssterilisiert als dann schlussendlich auch umgebracht ...
Über ihr Schicksal können Sie sich >hier informieren und im >Kompakt-DokuBlog mit Bildmaterialien ... - einen ausführlichen Studien- und Doku-GedenkBlog dazu finden Sie >hier ...
NS-"Euthanasie"-Opfer ERNA KRONSHAGE 1922-1942



Film "Nebel im August": Interview mit dem "Euthanasie"-Experten Michael von Cranach | Tagesspiegel Berlin

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Interview mit Euthanasie-Forscher Michael von Cranach

Der stille Massenmord

Die Nazis beginnen 1939 hinter den verschlossenen Türen der Psychiatrie, Menschen zu ermorden. Michael von Cranach hat die Geschichte der Euthanasie erforscht. 

VON BJÖRN ROSEN | TAGESSPIEGEL BERLIN

Michael von Cranach, geboren 1941, ist einer der wichtigsten Experten zum Thema Euthanasie im Nationalsozialismus. Von 1980 bis 2006 war er ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren im Allgäu, wo er die Aufarbeitung der Vergangenheit entschieden vorantrieb. Das Team des Films "Nebel im August", der jetzt in den Kinos läuft, hat er beraten.
Michael von Cranach. FOTO: DORIS SPIEKERMANN-KLAAS

Herr von Cranach, unter den Nazis wurden psychisch Kranke und Behinderte systematisch vergast und vergiftet. Trotz 200 000 Opfern wissen die meisten Leute wenig über dieses Verbrechen.

Das hängt sicher mit dem Stigma zusammen, mit dem Behinderte und psychisch Kranke bis heute behaftet sind. Es gab auch keinen richtigen Neuanfang, keine Zäsur nach 1945. Inzwischen wurde viel geforscht, und die Quellenlage ist ausgezeichnet. Es gibt Krankenhausunterlagen, Akten der Gerichtsprozesse nach dem Krieg, Zeitzeugen-Befragungen durch die Alliierten …

Gerade ist der Film „Nebel im August“ in den Kinos angelaufen. Er erzählt die Geschichte eines Opfers: Ernst Lossa, der 1944 mit 14 Jahren ermordet wurde. Ein realer Fall, den Sie entdeckt haben.

Als ich seine Krankenakte das erste Mal in den Händen hielt, war ich vom Bild des Jungen tief beeindruckt. Er schaut so wissend.


Ernst Lossa | Foto: von Cranach | KLINIK KAUFBEUREN

Lossa war weder schwer psychisch krank noch behindert. Warum kam er trotzdem in die Psychiatrie?

Er war Halbwaise, schwer erziehbar, machte Probleme in der Schule. Eine Ärztin am Kaiser-Wilhelm-Institut für Psychiatrie in München hat ihn untersucht. Ihre Diagnose lautete: asozialer Psychopath, genetisch bedingt, eine Besserung im Erwachsenenalter sei nicht zu erwarten. So wurde er in die Kinderfachabteilung der psychiatrischen Anstalt Kaufbeuren eingewiesen. Andere Patienten wurden schon nach ein paar Wochen getötet, er aber blieb zwei Jahre am Leben. Ärzte und Pfleger hatten Zweifel, ob er dort überhaupt hingehörte.

Sie wurden 1980 ärztlicher Direktor der Kaufbeurer Klinik. War da noch etwas von der Nazivergangenheit spürbar?

Die Möbel, die mit Lackfarben gestrichenen Wände, die überbelegten Krankensäle – all das entsprach den alten Zeiten. Als ich jetzt den Film geschaut habe, für den die Inneneinrichtung aus den 1940er Jahren detailgetreu nachgestellt wurde, fühlte sich das unerhört echt an. 1980 stand die Psychiatriereform erst am Beginn. Es waren so viele Patienten, und die Hälfte lebte seit Jahren und Jahrzehnten in der Klinik. Alles war sehr hierarchisch und paternalistisch, es ging vor allem darum, die Patienten zu disziplinieren. Mir war klar, hier muss sich was ändern.

Und deshalb begannen Sie – als einer der ersten deutschen Klinikdirektoren – mit der Aufarbeitung der NS-Euthanasie?

Konfrontiert mit diesem Elend entstand das Bedürfnis, zu klären, was in der Vergangenheit passiert war. Zuerst habe ich mit einem Lehrer aus Kaufbeuren gesprochen, der eine Untersuchung durchgeführt und Hausverbot in der Klinik bekommen hatte. Ich las historische Literatur, Kranken- und Prozessakten. Später haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet, junge Assistenten schlossen sich der Recherche an. Viele sagen mir voller Bewunderung: Mein Gott, was habt ihr da geschafft! Tatsächlich sind wir kaum auf Widerstand gestoßen. Allen war klar, dass dieses Thema besprochen werden muss. 2200 Kaufbeurer Patienten sind während der Nazizeit ermordet worden.

D. Valentin Faltlhauser
Die Figur des Direktors im Film beruht auf Ihrem Vorvorgänger Valentin Faltlhauser. Als Zuschauer ist man anfangs verwirrt, denn er wirkt sympathisch.

Gott sei Dank hat man ihn so dargestellt!

Was meinen Sie?

Diese Ambivalenz entspricht der Wahrheit. In den 20er Jahren war Dr. Faltlhauser ein bedeutender Psychiatriereformer. Er trat für eine Behandlung der Patienten in ihrem Lebensumfeld ein, ganz modern. Noch 1935 schrieb er in einem Lehrbuch, dass Leute, die Schwerkranke töten wollen, nicht verstanden haben, dass Glück und Leid im Leben zusammengehören und dass es das Wesen des Menschen ist, das zu ertragen. Spätestens mit Beginn der Euthanasie 1939 geriet er spürbar in eine berufliche Sackgasse – und entschied sich, doch mitzumachen. Am Ende war er, wie in den Nürnberger Ärzteprozessen festgestellt wurde, einer der zehn schlimmsten Täter.

Faltlhauser handelte aus Karrierismus. Ein typischer Fall?

Kumpanei, Hierarchiedenken und Angst um die Karriere spielten oft eine Rolle. Aber das erklärt nicht alles. Als wir mit der Forschung begannen, glaubten wir, die Nationalsozialisten hätten die Idee von „lebenswert“ und „lebensunwert“ aufgebracht und ihre Aktionen durchgezogen. Doch die Täter waren in der Mehrzahl keine Nazischergen, es handelte sich um die humanistisch ausgebildete Elite der Psychiatrie. Kaum einer leistete Widerstand. Und das bestimmt nicht aus Angst. Kein Arzt, der sich dem Programm entzog, hat gravierende Nachteile erlebt. Mit den Jahren sind wir zu dem Ergebnis gekommen: Die Euthanasie war ein psychiatrisches Programm. Die Nazis haben bloß möglich gemacht, was vorher lange diskutiert worden war.

Schon im 19. Jahrhundert hatte es unter Ärzten eine Euthanasiedebatte gegeben.

Einen Höhepunkt erreichte die Diskussion 1920, als der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche in einem Buch „die Freigabe zur Vernichtung lebensunwerten Lebens“ forderten. Sie argumentierten, dass es behinderte Menschen gebe, die keinen Willen und keine Autonomie haben und denen damit die Grundeigenschaften eines Menschen fehlen: Man müsse diese Leute gar nicht töten, weil sie ja gar keine Person sind – man könne sie einfach „vernichten“.

Auch bei der NS-Euthanasie ging es darum, angebliche „Parasiten“ und „unnütze Esser“ zu beseitigen. Wie wurde darüber entschieden, wen man tötete?

Es gab zwei entscheidende Kriterien: eine chronische Erkrankung oder Behinderung und die Arbeitsfähigkeit. Wer über einen längeren Zeitraum in einer Einrichtung lebte und dort keine Arbeiten verrichten konnte, musste sterben. Die Steuerung lag in Berlin …

Der Hauptsitz der Euthanasie-Aktion befand sich in der Tiergartenstraße 4, wo heute die Philharmonie steht.

… doch die eigentlichen Entscheidungen wurden in den Kliniken getroffen. Die Ärzte wussten, wie sie die Meldebögen, die sie nach Berlin schickten, auszufüllen hatten.

In den ersten zwei Jahren wurden die Euthanasieopfer durch Gas getötet. Warum stoppte man das 1941 plötzlich?

Die Nazis hatten sechs Tötungsanstalten mit Gaskammern eingerichtet. Die Patienten wurden in grauen Bussen abgeholt und dorthin gebracht. Man wollte so wenig Zeugen wie möglich haben. Trotzdem wurde das Sterben nach und nach bekannt. Es gab Proteste von Angehörigen, manche von ihnen sogar Nazifunktionäre. Graf von Galen, Bischof von Münster, hat im August 1941 eine eindrucksvolle Predigt gehalten, in der er konkret beschrieb, was passierte, und von Mord sprach. Außerdem war für die Nazis das Programm eine Art Probelauf für den Holocaust. Man kann zeigen, dass viele der Teams, die in den Euthanasie-Tötungsanstalten wie Hadamar in Hessen oder Pirna in Sachsen arbeiteten, nach 1941 in den Konzentrationslagern in Polen tätig waren.

„Nebel im August“ spielt hauptsächlich in der zweiten Phase …

Man spricht von dezentraler Euthanasie.

… und eine Krankenschwester taucht auf, die in die Klinik versetzt wurde, um zu töten. Sie flößt den Kindern das in hohen Dosen tödliche Schlafmittel Luminal ein. Gab es solche „Todesengel“ tatsächlich?

Auch diese Figur basiert auf einer realen Person. Faltlhauser hatte in Berlin beantragt, dass ihm in der Tötung erfahrenes Personal geschickt wird. Und so kamen 1944 zwei Schwestern nach Kaufbeuren, eine davon war Pauline Kneissler. Sie hatte von 1939 bis 1941 in Hadamar gearbeitet, dann in einem Konzentrationslager und bekam in der Kaufbeurer Zweigstelle Irsee schließlich eine eigene Tötungsstation. Faltlhauser entwickelte noch eine andere Methode, um Patienten zu töten: die Hungerkost. Die Leute bekamen nur noch dünne Suppe – in Wasser gekochte Gemüsereste – und waren nach wenigen Monaten so geschwächt, dass sich aus der kleinsten Erkältung eine tödliche Lungenentzündung entwickelte.

Im Film leistet eine Nonne Widerstand. Doch die offizielle Haltung der Kirche war: Wir müssen durchhalten, bis der Albtraum vorüber ist, und die Sterbenden so lange begleiten. Eine Form von Mittäterschaft?

Natürlich hätten sie durch eine Kündigung ein Zeichen setzen können. Die Nonnen waren nicht informiert worden, aber als die ersten Transporte in die Tötungsanstalten abgingen, wunderten sie sich, warum die Patienten ohne ihre Wertsachen verlegt wurden. Wenige Tage später brachte ein Auto die Kleidung der Leute in Wäschesäcken zurück. Angehörige, die eine Todesnachricht bekommen hatten, riefen an und wollten über die Umstände informiert werden. Nun wussten die Nonnen Bescheid und kamen dadurch in einen großen ethischen Konflikt, der noch größer wurde, als sie in der Küche, die von ihnen geleitet wurde, die Hungerkost kochen mussten.

Der Historiker Götz Aly sieht die Angehörigen als Komplizen. Insgeheim, so argumentiert er, seien viele froh gewesen, dass ihnen das Mordprogramm die Last psychisch kranker oder behinderter Familienmitglieder abgenommen habe.

Das kann ich nicht bestätigen. In Kaufbeuren haben wir einen Ordner mit 150 Briefen von Angehörigen an den Direktor gefunden, die gerade vom Tod ihres Kindes, ihrer Mutter oder ihres Bruders erfahren haben. Diese Briefe zeigen: Alle wussten, was passiert war, und die überwiegende Mehrzahl der Angehörigen ist erschüttert und vorwurfsvoll.

Warum haben dann nicht mehr Leute versucht, ihre Angehörigen aus den Kliniken herauszuholen?

Das muss man aus der Praxis der damaligen Psychiatrie verstehen. In den Anstalten wurde zu dieser Zeit – auch schon vor dem Nationalsozialismus – alles getan, um Angehörige zu entmutigen, allzu engen Kontakt zu den Patienten zu halten. Außerdem hatten die Menschen regelrecht Angst vor diesem Ort. Die Patienten, die oft jahrelang in den Kliniken lebten, wurden so von ihren Familien entfremdet.

Gibt es in der Geschichte ein Tötungsprogramm, das mit der NS-Euthanasie vergleichbar ist?

Nein. Psychisch Kranke sind jedoch immer besonders gefährdet. In Kriegen sind sie oft die ersten Opfer. In Jugoslawien wurden zum Beispiel während des Kriegs Anfang der 90er Jahre viele Patienten einfach erschossen. Einerseits, weil es schwierig ist, in einer solchen Ausnahmesituation eine Anstalt organisatorisch aufrechtzuerhalten. Andererseits, weil in der Aufregung des Kämpfens und Tötens psychologische Schranken fallen.

Warum kamen die Ärzte nach Kriegsende meist mit geringen Strafen davon?

Immerhin gab es die Nürnberger Ärzteprozesse. Dort wurden zwei der Hauptverantwortlichen zum Tode verurteilt. Doch nach 1947 übergaben die Alliierten die Justiz den deutschen Behörden, und man kann deutlich sehen, wie das Interesse am Thema plötzlich völlig verschwindet. Es gab zwar noch zwei Wellen von Prozessen, aber die Taten wurden verharmlost und die Täter zu lächerlichen Strafen verurteilt. Die Mehrheit der Ärzte, Pfleger, Schwestern arbeitete meist in der gleichen Funktion wie zuvor und hatte kein Interesse, etwas aufzudecken. Die Angehörigen waren ratlos und schämten sich, und selbst die Kirchen verhielten sich still. Sie waren schließlich sogar der Träger mancher Anstalt gewesen.

Faltlhauser wurde vom Landgericht Augsburg zu drei Jahren Haft verurteilt.

Ursprünglich klagte man ihn wegen Mordes an, daraus wurde im Verlauf der Verhandlung Beihilfe zum Totschlag in minderwertigen Fällen. Die drei Jahre musste er nicht absitzen. Selbst seine Pension bekam er auf dem Gnadenweg zurück.

Hat die Beschäftigung mit der NS-Euthanasie Ihre Meinung zum Thema Sterbehilfe beeinflusst?

Extrem. Ich bin Gegner jeder Form von aktiver Sterbehilfe.

Hat Sie mal jemand um Hilfe gebeten?

Gott sei Dank ist das nur einmal passiert. Ich erinnere mich an eine Patientin mit einer Brustkrebserkrankung in meiner Anfangszeit in der Klinik. Sie hatte grauenvolle Wunden, man konnte ihr medizinisch nicht mehr helfen. Innigst bat sie mich wieder und wieder: Helfen Sie mir zu sterben! Ich habe es abgelehnt. Ich stehe noch zu dieser Entscheidung, auch wenn mir immer wieder Zweifel kommen, ob sie richtig war.

Mit Pränataldiagnostik kann man die Geburt behinderter Kinder vermeiden.

Ein ganz schwieriges Thema. Vor allem wird der gesellschaftliche Druck wachsen, das zu tun. Ich kann jede Mutter verstehen, die glaubt, sich ein Kind mit Downsyndrom nicht zumuten zu können. Aber ich verstehe auch die Vereinigung der Downsyndrom-Kinder in den USA, die fordern, dass ein Schwangerschaftsabbruch wegen der Diagnose Downsyndrom verboten wird. Sie sagen: Dann gäbe es uns bald gar nicht mehr, und das wäre schade.

Tagesspiegel Berlin

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Bis zu 300.000 Menschen sind Opfer der verschiedenen NS-"Euthanasie"-Aktionen von 1939-1945 geworden. Betroffen waren alle Regionen quer durch das Reich und auch die besetzten und annektierten Gebiete - auch die "Provinz" z.B. in Ostwestfalen-Lippe: 
Während des 484-Tage andauernden "Euthanasie"-Martyriums von >Erna Kronshage (1922-1944)aus Senne II, (Krs. Bielefeld) wurde sie sowohl zwangssterilisiert als dann schlussendlich auch umgebracht ...
Über ihr Schicksal können Sie sich >hier informieren und im >Kompakt-DokuBlog mit Bildmaterialien ... - einen ausführlichen Studien- und Doku-GedenkBlog dazu finden Sie >hier ...
NS-"Euthanasie"-Opfer ERNA KRONSHAGE 1922-1942


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Marx in Amerika - Kulturzeit-Beitrag mit dem Blick nach vorn ...

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in den USA feiern die ideen von karl marx vor allem bei jungen leuten ein comeback. woher kommt diese neue begeisterung?


mir hat dieser kulturzeit-beitrag mut gemacht in ansonsten ja recht finsteren zeiten. früher sagte man, was jetzt in den usa gedacht wird, ist mit 2-3 jahren verzögerung nach €uropa rübergeschwappt ... - vielleicht geht es bei der digitalen vernetzung heutzutage etwas schneller ... - auf alle fälle wäre es eine echte alternative zu pegida- und afd-getöse hierzulande: eine neue, vernetzte linke junge, hoffentlich nachhaltige bewegung mit den  ideen von bernie sanders, yanis varoufakis und slavoj žižek ... - glück auf - auf geht's ... - vielleicht ist es der lichtstreifen am horizont - S!

Bäriges

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Foto nach "teddys-kreativ.de"


Bärig

Ist Ihnen Ihr Kollege oder gar der Chef gestern mit einem Teddybär unter dem Arm begegnet? Dann sollten Sie sich nicht wundern, denn gestern war der »Nimm-Deinen-Teddybär-mit-zur-Arbeit-Tag«, der für den zweiten Mittwoch im Oktober terminiert, bisher aber wohl vor allem in Amerika (Wo sonst?) etabliert ist. 

Eine Bekannte nahm den Tag allerdings ebenfalls zum Anlass für das öffentliche Bekenntnis in einem sozialen Netzwerk, dass ihr Teddybär sie jeden Tag bei ihrer Tätigkeit in einem westfälischen Finanzamt begleitet. Wer jetzt bedauert, den Tag verpasst zu haben, an dem die Zuneigung zum Teddy zelebriert werden darf, sei beruhigt. 

Im November wird es ebenfalls kuschelig: dann warten am 
  • 7. der »Umarme-einen-Bären-Tag« und am 
  • 16. der »Feier-eine-Party-mit-deinem-Bären-Tag« 
auf unerschrockene Teddy-Fans.


Maike Stahl | WESTFALEN-BLATT, 13.10.2016


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Nicht ohne meinen Teddy
Jeder Siebte reist mit Kuscheltier

Nicht nur Kinder nehmen Teddybären mit in den Urlaub - jeder siebte deutsche Erwachsene hat auf Reisen ein Kuscheltier dabei. Das ergibt eine aktuelle Umfrage.

Fast jede fünfte Frau (19 Prozent) will auf Reisen nicht auf das Schmusetier verzichten, bei den Männern ist es jeder Neunte (11 Prozent), zeigt eine Umfrage. Von denen, die ohne Kuscheltier reisen, hat fast die Hälfte (48 Prozent) Verständnis dafür, wenn andere Reisende mit ihrem Stofftier unterwegs sind. Im Auftrag von lastminute.de wurden 1100 Erwachsene in Deutschland befragt.

Gefragt wurde auch nach den Gründen für das Kuscheltier als Reisebegleiter. Für 41 Prozent ist es ein Glücksbringer. 14 Prozent der Befragten können ohne das Tier nicht einschlafen, 13 Prozent wollen sich unterwegs nicht so alleine fühlen, 9 Prozent wollen an jedem Reiseziel ein Foto mit dem Kuscheltier machen. - 

dpa - n-tv

BOB DYLAN: Literatur-Nobelpreis 2016

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BOB DYLAN
BLOWIN' IN THE WIND 
SONGTEXT ÜBERSETZUNG

Wieviele Straßen muss ein Mann runter laufen,
bevor man ihn einen Mann nennen kann??
Wie viele Meere muss eine weiße Taube überfliegen,
bevor sie im Sand schlafen kann?

Ja und wie oft müssen die Kanonenkugeln fliegen,
bevor sie für immer verbannt sind?
Die Antwort mein Freund verweht im Wind.
Die Antwort weht im Wind.


Wieviele Jahre kann ein Berg existieren,
bevor er ins Meer gewaschen wird?
Wieviele Jahre können einge Menschen existieren,
bevor sie frei sein dürfen?

Ja und wie oft kann man den Kopf in den Sand stecken
und so tun, als würde man nichts sehen?
Die Antwort mein Freund weht im Wind.
Die Antwort weht im Wind.


Wie oft muss ein Mensch hinaufschauen,
bevor er den Himmel sehen kann?
Und wieviele Ohren muss der Mensch haben,
bevor das Weinen eines anderen hört?

Und wieviele Tode wird es brauchen, bis wir wissen,
dass schon zu viele Menschen gestorben sind?
Die Antwort mein Freund verweht im Wind.
Die Antwort verweht leider im Wind


Wie viele Straßen auf dieser Welt,
sind Straßen voll Tränen und Leid?
Wie viele Meere auf dieser Welt,
sind Meere der Traurigkeit?
Wie viele Mütter sind lang schon allein,
und warten und warten noch heut'?

Die Antwort, mein Freund
weiß ganz allein der Wind,
die Antwort weiß ganz allein der Wind.


Wie große Berge von Geld gibt man aus,
für Bomben, Raketen und Tod?
Wie große Worte macht heut' mancher Mensch,
und lindert damit keine Not?
Wie großes Unheil muss erst noch gescheh'n,
damit sich die Menschheit besinnt?

Die Antwort, mein Freund
weiß ganz allein der Wind,
die Antwort weiß ganz allein der Wind.


Wie viele Menschen sind heut' noch nicht frei
und würden so gerne es sein?
Wie viele Kinder geh´n abends zur Ruh´
und schlafen vor Hunger nicht ein?
Wie viele Träume erflehen bei Nacht,
wann wird es für und anders sein?

Die Antwort, mein Freund
weiß ganz allein der Wind,
die Antwort weiß ganz allein der Wind.






BOB DYLAN
BLOOD IN MY EYES
SONGTEXT ÜBERSETZUNG

Ich glaub nicht an die Geheimnisse die du hast, 
aber ich will wissen 
- Wie schläfst du nachts?
Und ich bin über dich hinweg, Glückwunsch.Und danke für den ganzen Schmerz, denn damit machte es so viel mehr Spaß.
Da ist nichts mehr zu sagen. 
Die Gefühle sind bereits tot.
Und ich glaub da ist jetzt kein Weg,
Alles was gesagt wurde ist gesagt.Ich warte auf einen anderen Tag, auf einen anderen Weg.
Ich glaube nicht, dass du es schaffst den ganzen Schmerz zu vertreiben.
Also lass ich das alles hinter mir,
doch ich gehe mit Blut in meinen Augen.
Ich habe durch die Linien gesehen,während ich den Lügen zu lange geglaubt habe.Ich weiß nach wie vor nicht wie ich es tat.
Und jetzt wurde der Krieg erklärt, 
die Kampflinien werden gezeichnet.
Und ich kann nicht mehr klar sehen, 
wegen all dem Blut in meinen Augen.
Da ist nichts mehr zu sagen. Die Gefühle sind bereits tot.Und ich glaub nicht, dass da jetzt ein Weg ist.Alles was gesagt wurde, ist gesagt.
Ich warte auf einen anderen Tag,
auf einen anderen Weg.
Ich glaube nicht, dass du all den Schmerz vertreiben kannst.Also lasse ich alles zurück,aber ich gehe mit Blut in meinen Augen.




BOB DYLAN
WITH GOD ON OUR SIDE 
SONGTEXT ÜBERSETZUNG

Mein Name tut nichts zur Sache.
Mein Alter bedeutet weniger.
Das Land aus dem ich komme,
nennt man den mittleren Westen.
Dort wurde ich unterrichtet und erzogen
die Gesetze zu befolgen.
Und dass das Land in dem ich lebe
Gott auf seiner Seite hat.
Die Geschichtsbücher erzählen es.Sie erzählen es als gut.Die Kavallerie legte an.Die Indianer fielen.Die Kavallerie legte an.Die Indianer starben.Das Land war jung.Mit Gott auf seiner Seite.
Der spanisch-amerikanische
Krieg hatte seinen Tag.
Und auch der Bürgerkrieg
war bald abgelegt.
Und die Namen der Helden,
ich gebe zu bedenken,
mit Gewehren in den Händen
und Gott auf ihrer Seite.
Der Erste Weltkrieg, Jungs.Er kam und ging.Den Grund zum kämpfenhabe ich nie verstanden.Aber ich habe gelernt ihn zu akzeptieren.Ihn mit Stolz zu akzeptieren.Für dich zählen die Toten nicht,wenn Gott auf deiner Seite ist.
Als der Zweite Weltkrieg
zu Ende ging,
vergaben wir den Deutschen.
Und wir waren Freunde.
Obwohl sie sechs Millionen (Menschen) ermordeten.
In den Öfen haben sie gebraten.
Die Deutschen haben jetzt auch
Gott auf ihrer Seite.
Ich habe mein ganzes Lebengelernt die Russen zu hassen.Wenn ein Krieg kommt,müssen wir gegen sie kämpfen.Sie zu hassen und zu fürchten,zu laufen und zu verstecken.Und ich akzeptiere es tapfermit Gott auf meiner Seite.
Aber jetzt haben wir Waffen
aus chemischem Staub.
Wenn diese abgefeuert werden, dann sind wir gezwungen,
diese abzufeuern, wir müssen.
Ein Knopfdruck.
Und ein globaler Schlag.
Und du stellst keine Fragen, 
wenn Gott auf deiner Seite ist.
In vielen dunklen Stunden,habe ich darüber nachgedacht,dass Jesus Christus durch einen Kuss verraten wurde.Aber ich kann nicht für dich denken.Du musst selbst entscheiden,ob Judas IskariotGott auf seiner Seite hatte.
So, nun da ich gehe,
bin ich hundemüde.
Die Verwirrung die ich fühle
kann man nicht in Worte fassen. 
Die Worte füllen meinen Kopf
und fallen zu Boden. 
Wenn Gott auf unserer Seite ist,
wird er den nächsten Krieg aufhalten.



Eugen Drewermann - 25 jahre danach - ein Nachschlag ...

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Nochmal zu Eugen Drewermann und seiner kirchlichen Verurteilung vor 25 Jahren - hier der Aufsatz eines geläuterten Kollegen aus dem gleichen Stall - gefunden in PUBLIK-FORUM, 19/2016, S. 32
Eugen Drewermann als Foto|grafik

 Er ist seiner Zeit voraus

25 Jahre nach der kirchlichen Verurteilung von Eugen Drewermann: Eine Betrachtung in drei Kapiteln

Von Peter Eicher

Das Urteil: Der Angeklagte wusste, dass er ohne seine Verurteilung nicht beweisen konnte, wie recht er hatte. Er war es dem Christentum schuldig, sich verurteilen zu lassen. Wie anders hätte er die klerikalen Richter öffentlich ihres Selbstwiderspruchs überführen können?

Eugen Drewermanns Klage lautet, dass die Kleriker der römisch-katholischen Hierarchie, statt religiös zu existieren, Dogmen verteidigen. Der dogmatische Missbrauch des Evangeliums zerstöre nicht nur den poetischen, therapeutischen und sozialen Sinn der Botschaft Jesu, er halte die Angehörigen der römisch-katholischen Kirche auch in einer absurden Angst vor Gott fest.

Dem Privatdozenten wurde am 8. Oktober 1991 wegen dogmatisch »falscher« Formulierungen erst das Lehramt, dann im Januar 1992 das Priesteramt entzogen. Die damals verurteilte symbolische Auslegung der Bibel wird heute problemlos in allen Kirchen nachgebetet. So ziemlich alles, was heute mühsam nachbuchstabiert wird – etwa die Sakramente für wiederverheiratet Geschiedene oder die ökologischen Konsequenzen der katholischen Ethik –, stand bei Drewermann schon 1991 als katholischer Standard fest. Die Wirkung war in Frankreich, in den deutschsprachigen Ländern, in Italien, Polen, Brasilien und in den USA stets dieselbe: Es wurde verstanden, dass die Kritik am Dogmatismus der Hierarchie die Voraussetzung eines frei gewordenen Christentums in der Gegenwart sei.

Die religiöse Existenz: Vor 250 Jahren hat Jean-Jacques Rousseau in seinem pädagogischen Hauptwerk »Émile oder Über die Erziehung« seinem Émile erklärt, was Religion sei. Als assoziierender Spaziergänger nahm er die Kunst der Psychoanalyse und die Notwendigkeit einer neuen Verwurzelung des Menschen in der Natur vorweg. Die innere Religiosität, erklärte der savoyardische Vikar im großen Erziehungsroman der Moderne, sei etwas anderes als das, was die Theologen und die Priester verwalteten. Sie sei jedem Menschen ins Herz geschrieben. Gott sei durch die Natur vernehmbar, insbesondere durch die Natur des Menschen. Und was da – auch beim Spazierengehen – zu vernehmen sei, könne durchaus als freundlicher Wink eines gütigen Gottes verstanden werden. Deshalb seien wir nicht auf Offenbarungen angewiesen, die einem auserwählten Volk oder einer »wahren Religion« zuteil geworden seien. Für die Christen genüge es, die Lehren Jesu in sich selbst zu finden und sie zu praktizieren. Niemand, der Krieg führt oder auf undemokratische Weise an die Macht kommen will, könne sich mit religiösen Schriften rechtfertigen.

Eugen Drewermanns Theologie wird dem Anspruch dieser Moderne an die freie Selbstverantwortung in Sachen Religion gerecht. Doch anders als Rousseau es sich vorstellte, hat er zweihundert Jahre nach der Aufklärung und der Französischen Revolution erkennen müssen, dass kein Friede zwischen der hierarchischen Kirche und dem religiös frei gewordenen Einzelnen eingekehrt ist. Noch immer müssen die meisten katholisch Getauften, wenn sie ihre religiöse Existenz in Freiheit leben möchten, in sich selber die Institution überwinden, die sie von Geburt an für sich vereinnahmt hat. Dafür ist die therapeutische Durcharbeitung der eigenen Biografie nach Eugen Drewermann die hilfreichste Form der Aufklärung.

Die Zukunft der Erde: 1991 hatte niemand unter den katholischen Würdenträgern das sich abzeichnende Gesamtwerk von Drewermann auch nur annähernd verstanden. Denn dem stets höchst konzentrierten Beobachter der Gegenwart ging es schon damals um die Ökologie, um die Überwindung des Krieges als einer perversen Form der Wirtschaft und um die Freiheit jeder menschlichen Existenz.

Nach seiner Verurteilung war Eugen Drewermann noch freier als zuvor, sich mit diesen zentralen Fragen der Gegenwart zu beschäftigen. In bald hundert Publikationen hat er die drei Dimensionen der globalen Not der Gegenwart durchgearbeitet:

Wie können wir überleben, wenn wir die Natur zerstören, die das Leben ermöglicht?

Warum beteiligen wir uns an Wirtschaftsformen, welche die sozialen Ungerechtigkeiten nicht mindern, die Stoffe der Erde und der Atmosphäre ausbeuten, das Leben der Tiere verbrauchen und dabei Millionen von Mitmenschen als Mittel zum Zweck vernichten?

Wer kann die Angst, welche der unerkannte Grund für diese destruktive Entwicklung ist, mildern oder gar überwinden?

Eugen Drewermann ist der erste katholische Schriftsteller, der in und nicht neben der biologischen Evolution lebt. Ohne sich im Geringsten auf szientistische Reduktionen einzulassen, vermittelt er die religiöse Existenz mit einem unbeschränkten Interesse an den Wissenschaften. Und er ist mehr als ein Marxist an der Überwindung des destruktiven Kapitalismus interessiert.

Warum mehr?

Weil er daran festhält, dass «Gott» kein Faktor der Ökonomie, sondern die Liebe selbst ist. Die Liebe aber ist kein Gegenstand. Sie ist das, was der Menschensohn im Johannesevangelium von sich selber sagt: »Ich bin die Tür.«

Peter Eicher, geboren 1943, emeritierter katholischer Theologe, war viele Jahre Kollege von Eugen Drewermann an der Universität Paderborn.

... auf die erde geplumpst | S!

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S!
                                                                       
die tür geht auf
an der raststätte nach süden
da stehst du vor mir
wie aus dem nichts
wie ich es mir immer erträumt habe
aber ich - ich bin in begleitung
und du - du hast auch jemanden dabei

das funkeln aus deinen augen ist erloschen
das ist mir schon auf deiner homepage aufgefallen, 
die ich ab und zu aus lauter langeweile aufsuche
da hinunter 
sind längst die sterne
auf die erde geplumpst

und mir sind sie jetzt schnuppe
ich wünsche mir nichts mehr
wenn ich sie aufglühen sehe
wenn sich der blaue lichtschein
mit einem ganz zarten spektralring
auf der eisfläche spiegelt
auch jetzt an der tür 
verzieht sich mein gesicht nur automatisch 
zu einem gequälten faltigen lächeln

hier drin geht nicht mal eine funzel an
woher - wohin - und guten tag
und dann habe ich mir doch
bei deiner abfahrt
die autonummer gemerkt
falls du mich mal auf der a2 überholst
du hast es ja immer so eilig ... 

sinedi
S!

flüchtlingskanzlerin a.d.

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Die Marionette wurde fallengelassen ...


Deutschlandtag der Jungen Union

"Flüchtlingskanzlerin" a.D.

Florian Pfitzner, Düsseldorf | NW

Warum sie am Ende sitzengeblieben sind, als einzige Gruppe in der Halle, sich ihre Hände nur schwer zum Beifall rührten, hat kaum jemand verstanden. Zwei, drei Mal ist Angela Merkel auf sie zugegangen: Sie hat die Leistungen ihres Bundeslandes gewürdigt, bei der Flüchtlingsbewegung, beim Länderfinanzausgleich, und trotzdem zeigte sich die Junge Union Bayern fast schon gelangweilt vom Auftritt der CDU-Vorsitzenden im Paderborner Schützenhof.

"Fluchtursachen bekämpfen", schön und gut, davon haben sie zuletzt viel gehört, während es die AfD in zehn Parlamente geschafft hat. Rechts von der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, sagte einst CSU-Übervater Franz Josef Strauß. Inzwischen fragt man sich über Bayern hinaus, wann der Satz endlich wieder gilt.

In Paderborn setzte Merkel ein Zeichen der Versöhnung an ihre Parteijugend, die im Vorjahr wie CSU-Chef Horst Seehofer eine "Obergrenze für Flüchtlinge" gefordert hatte. Inzwischen, da die Zahl der registrierten Flüchtlinge tief gesunken ist, rufen die Jungen nach einer härteren Gangart bei der Integration und bei der Abschiebung.

Im Gegensatz zu anderen Jugendorganisationen steht die Junge Union rechts von ihrer Mutterpartei. Man hat das beim Auftritt des heimlichen Stars des "Deutschlandtags" in Paderborn gemerkt: CSU-Generalsekretär Scheuer echauffierte sich mit schrillem Feldgeschrei bis zur Heiserkeit. Er prangerte "Wirtschaftsmigranten" an, die das deutsche Asylrecht aushöhlten, verlangte von Zuwanderern die Anerkennung der "deutschen Leitkultur" und rief nach einem "Einwanderungsbegrenzungsgesetz".

Die ehemalige Bullenhalle des städtischen Schützenhofs kochte fast über vor bierseliger Begeisterung. Als die Schweißperlen getrocknet und die letzten Weizengläser ausgetrunken waren, kühlte man sich wieder ab.

Merkel ist vor dem Wahljahr 2017 schlau genug, das aufzunehmen und - zunächst nur rhetorisch - nach rechts zu schwenken. Also versprach sie Großes: eine "nationale Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden". Kürzere Asylverfahren, schnellere Abschiebungen. Ihr Innenminister hat die dafür nötigen Vorgaben eingetütet; zuletzt jagte eine Asylrechtsverschärfung die nächste: von der Wohnsitzauflage über die Einschränkung des Familiennachzugs bis zur unangekündigten Abschiebung nach langjährigem Aufenthalt. Da mag man sich fragen, was die rechtskonservative JU Bayern noch stört.

Im Wahlkampf hat die Regierungschefin genauso wenig mit einer "Flüchtlingskanzlerin" gemeinsam wie das "Integrationsgesetz" mit Integration. Merkel ist eine Flüchtlingskanzlerin a.D.

© 2016 Neue Westfälische, Montag 17. Oktober 2016

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ja - und das wissen wir ja schon seit Sommer 2015 - eigentlich denkt die kanzlerin ganz anders ... - aber man hat sie zurückgepfiffen - die gespenster afd und pegida und csu und seehofer mit söder im nacken ... man könnte auch "umfaller"-kanzlerin sagen: denn ihr slogan: "wir schaffen das" ist jetzt endgültig eingeschmolzen worden und tropft wie ranziger schmalz - und die pegidas haben anscheinend recht, wenn sie brüllen: "wir sind das volk" - wenigstens benimmt sich unsere regierung unisono so - nur der gabriel durfte mal mit viel getöse und tagelangen diskussionen den dummen august geben und mal denen den "stinkefinger" zeigen, als man ihn auf seinen nazi-papa ansprach ...

ich habe hier im blog bereits im märz 2016 mit der merkelschen cdu/csu-verarsche des tatsächlichen volkes in sachen "flüchtlingspolitik"abgerechnet - und jetzt, 7 monate später merken es auch die kommentatoren der provinzpresse ... 

auf dem altar der populisten wurde die "willkommenskultur" geopfert, weil seehofer und söder das mit den österreichischen nachbarn so vereinbart hatten - und mit de maiziere im schlepptau so durchsetzen konnten:... die balkan-route wurde zugemauert und der erdogan und der orbán mit geld geschmiert - und nun stellt man fest, "dass die zahl der registrierten flüchtlinge tief gesunken ist" - toll - dabei hat das mehr mit physik als mit politik zu tun - denn dafür platzen die flüchtlingszahlen in den lagern in der türkei, dem libanon, und jordanien aus allen nähten - deren versorgungsbudget ja von den industriestaaten halbiert wurden - und die zahl der wasserleichen im mitteleer nimmt weiterhin drastisch zu ...

das ist nämlich so wie im leben: wenn man in einen fluss eine staumauer setzt, staut sich das wasser ... - aber wasser sucht sich immer einen weg (... und flüchtlinge auch ...) und eines tages bricht der stau und es schwappt über und überschwemmt die dahinterliegenden lande ... - ich sag ja: das ist simple physik für das 4. schuljahr - aber mit politik hat abschottung nichts zu tun ... 

ich war im sommer 2015 mal so weit mir vorzustellen, angela merkel bei der nächsten wahl für ihre flüchtlingspolitik zu unterstützen - aber das war nur so ein unreflektiertes aufflackern - jetzt ist wieder alles beim alten: "flüchtlingskanzlerin" a.d. ... - vielleicht sammelt sie damit ja ein paar zittrige kreuze von der afd ein - und chuat choan - und viel spass auch ... S!





WIDERFAHRNIS - Bodo Kirchhoff bekommt den Deutschen Buchpreis 2016

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S!|photography: benetztes gespinst


Bodo Kirchhoff überzeugt die Jury

Großes Wort, schöne Geschichte

Für »Widerfahrnis« erhält Bodo Kirchhoff den Deutschen Buchpreis

Auszeichnung: "Ein vielschichtiger Text" sei die Novelle "Widerfahrnis", loben die Kritiker und verleihendem 68-jährigen Autor den Deutschen Buchpreis 2016






Bodo Kirchhoff gehört seit vielen Jahren zu den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren des Landes. Jetzt hat der 68-Jährige für seinen mit der Flüchtlingskrise verwobenen Liebesnovelle "Widerfahrnis" den Deutschen Buchpreis erhalten. Die Entscheidung der Jury gab der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am Montagabend in Frankfurt bekannt.

Mit dem Preis wird traditionell am Vorabend der Frankfurter Buchmesse die beste literarische Neuerscheinung des Jahres im deutschsprachigen Raum ausgezeichnet. Mit dem Sieg erhält Kirchhoff ein Preisgeld von 25.000 Euro.

»Am Anfang stand ein machtvolles Wort, und ich habe eine Geschichte zu diesem Wort gesucht.« Das ist ihm gelungen: Die literarische Welt gratuliert Bodo Kirchhoff (68), der gestern für seine Novelle »Widerfahrnis« den Deutschen Buchpreis erhalten hat.

In Bodo Kirchhoffs 224-seitiger Novelle »Widerfahrnis« – gemäß der Definition von Marcel Reich-Ranicki allerdings ist jedes erzählendes Werk mit mehr als 200 Seiten ein Roman – lernen sich zwei Menschen, Mann und Frau jenseits der 50, kennen und fahren spontan ins Blaue. Ehe sie sich’s versehen, landen sie in Sizilien, wo ihnen eine kleine Bettlerin zuläuft, ein Flüchtlingskind aus Afrika. Treibt die Kleine einen Keil zwischen die aus der Zeit gefallenen Spritztourer? Oder ist ihr Trip die Chance auf einen Neubeginn?

Kirchhoffs Novelle (Frankfurter Verlagsanstalt, 21 Euro) ist eine Parabel, die auf kleinem Raum Geschehnisse behandelt, wie sie sich derzeit in der großen Welt mit großen Folgen abspielen. Wie es ein Jurymitglied formulierte: »Bodo Kirchhoffs Sprache ist gegen Kitsch imprägniert.«

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Preisträger 2016

Widerfahrnis
von Bodo Kirchhoff

Reither, bis vor kurzem Verleger in einer Großstadt, nun in einem idyllischen Tal am Alpenrand, erhält überraschend abendlichen Besuch. In sein Leben tritt Leonie Palm, zuletzt Besitzerin eines Hutgeschäfts. Sie hat ihren Laden geschlossen, weil es der Zeit an Hutgesichtern fehlt, und er seinen Verlag, weil es zunehmend mehr Schreibende als Lesende gibt. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise ohne Ziel, die sie nach Sizilien führt. Unterwegs teilen sie Geschichten aus ihrer Vergangenheit und lassen die Zukunft neu auf sich zukommen. Dabei begegnet ihnen ein Mädchen, das sich ihnen stumm anschließt.

Begründung der Jury

"Bodo Kirchhoff erzählt vom unerhörten Aufbruch zweier Menschen, die kein Ziel, nur eine Richtung haben – den Süden. Es treibt sie die alte Sehnsucht nach der Liebe, nach Rotwein, Italien, einem späten Abenteuer. Als sie eine junge Streunerin auflesen, begegnen sie den elementaren Themen ihrer Vergangenheit wieder: Verlust, Elternschaft, radikaler Neuanfang. Kirchhoff gelingt es, in einem dichten Erzählgeflecht die großen Motive seines literarischen Werks auf kleinem Raum zu verhandeln. Gleichzeitig erzählt er von unserer Gegenwart und davon, wie zwei melancholische Glückssucher den Menschen begegnen, die in der Jetztzeit den umgekehrten Weg von Süden nach Norden antreten. Kirchhoffs „Widerfahrnis“ ist ein vielschichtiger Text, der auf meisterhafte Weise existentielle Fragen des Privaten und des Politischen miteinander verwebt und den Leser ins Offene entlässt."

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Die Jury bezeichnete das Buch als "vielschichtigen Text, der auf meisterhafte Weise existenzielle Fragen des Privaten und des Politischen miteinander verwebt und den Leser ins Offene entlässt". Dem 68-jährigen Kirchhoff sei es zugleich gelungen, "in einem dichten Erzählgeflecht die großen Motive seines literarischen Werks auf kleinem Raum zu verhandeln".

Der eilige Leser ist bei Kirchhoff allerdings nicht an der richtigen Stelle, denn man braucht Geduld: Langsam, akribisch, fast wie in Zeitlupe beschreibt der Autor in "Widerfahrnis", was seinen Figuren widerfährt, faltet die Situationen auf, in die sie hineingeraten. Immer wieder gibt es neue Wendungen, und der Ausgang der Geschichte zeigt sich erst im letzten Satz.

Bodo Kirchhoffs Novelle kreist um die großen Themen des Lebens, um Liebe, Glück, Verlust, Tod, und er zeigt sich dabei als ein kluger, altersweiser Erzähler.

Kirchhoff ist Autor zahlreicher Romane wie zuletzt "Verlangen und Melancholie" (2014) und "Die Liebe in groben Zügen" (2012 - auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis) sowie "Infanta" (1990). Er lebt in Frankfurt und am Gardasee.

Bekannt wurde der Autor auch durch seine Drehbücher für Film und Fernsehen wie die "Tatort"-Serie.




Im Finale konkurrierten sechs Romane um die renommierte Auszeichnung. Neben Kirchhoff standen auf der Shortlist fünf weitere Autoren aus Deutschland und Österreich: Reinhard Kaiser-Mühlecker ("Fremde Seele, dunkler Wald"), André Kubiczek, ("Skizze eines Sommers"), Thomas Melle ("Die Welt im Rücken"), Eva Schmidt ("Ein langes Jahr") und Philipp Winkler ("Hool"). Die fünf Autoren der Shortlist erhalten je 2.500 Euro.




Für den Deutschen Buchpreis haben Verlage aus Deutschland, der Schweiz und Österreich 178 Neuerscheinungen eingereicht. Vor der Shortlist hatte die Jury eine 20 Titel umfassende Longlist erstellt. Der Deutsche Buchpreis wird vom Dachverband des Deutschen Buchhandels seit dem Jahr 2005 vergeben. Er hat sich zur wichtigsten Auszeichnung der Branche entwickelt.

Im vergangenen Jahr gewann Frank Witzel den Preis mit seinem Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969".

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Hintergrund

  • Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben.
  • Er will den besten Roman des Jahres in deutscher Sprache küren.
  • Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dürfen Titel einreichen.
  • Eine siebenköpfige Jury, deren Besetzung jährlich wechselt, wählt zunächst 20 Titel für die Longlist aus. Später wird die Auswahl auf eine Shortlist von sechs Titeln verkürzt.
  • Der Gewinner erhält 25.000 Euro, die anderen fünf Finalisten bekommen jeweils 2.500 Euro.
  • Bisherige Gewinner waren: 2015: Frank Witzel; "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969", 2014: Lutz Seiler; "Kruso", 2013: Terézia Mora; "Das Ungeheuer", 2012: Ursula Krechel; "Landgericht", 2011: Eugen Ruge; "In Zeiten des abnehmenden Lichts", 2010: Melinda Nadj Abonji; "Tauben fliegen auf", 2009: Kathrin Schmidt; "Du stirbst nicht", 2008: Uwe Tellkamp; "Der Turm", 2007: Julia Franck; "Die Mittagsfrau", 2006: Katharina Hacker; "Die Habenichtse" und im Jahr 2005: Arno Geiger; "Es geht uns gut".


Patchwork - zusammengestellt von S!NED! - mit Texten und Videos von deutscher-buchpreis.de - WESTFALEN-BLATT - und Thomas Maier und Stephan Maurer© 2016 Neue Westfälische, Dienstag 18. Oktober 2016


Glück

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also - mir geht das auf den senkel - dieses miese in die welt schauen - und überall das haar in der suppe finden - obwohl - ganz freisprechen davon kann ich mich auch nicht ...

aber das ist das alte problem mit dem halb-|vollen/-leeren glas wasser: das glas ist halb gefüllt - und die optimisten sagen, es sei halb voll - und die pessimisten sagen, es sei halbleer... - und beide lager haben recht... - es kommt auf die sichtweise an...

da ist es gut, wenn man einen neuen deutschen "glücksatlas" hat...
erstaunlich sind die ergebnisse auch insofern, dass doch scheinbar die medien mit ihren clicks und einschaltquoten fast immer katastrophen melden müssen, um an die werbeschaltungen der agenturen zu gelangen - wenn die medien mal den spieß umdrehen würden, um nur "glück" zu vermelden, ginge ihr anzeigengeschäft wahrscheinlich in den keller... - komisch ... S!


S! - deutsches glück



Zufriedenheit der Deutschen

Der Westen lacht, der Osten schmollt

Die Deutschen sind so glücklich wie nie - das zumindest besagt der neue Glücksatlas. Und: mit zunehmender Toleranz steige auch das Wohlbefinden. Doch lässt sich das tatsächlich so sagen?

Von Juri Auel | SPIEGEL-ONLINE

Wo leben die glücklichsten Deutschen? Was ist ihr Geheimnis? Und wie wirkt sich die Flüchtlingskrise auf den Gemütszustand der Nation aus? Das sind Fragen, die interessieren, und wer Antworten zu bieten hat, kann sich einer großen Aufmerksamkeit sicher sein.

Lesen Sie den ganzen SPIEGEL-Beitrag hier ...

ein abschaltbarer fiktiver klamauk - mehr nicht ...

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zu diesem fernsehsessel- und kartoffelchips-"terror - ihr urteil" am montagabend in der ard:

nee - ich hab das wdr-machwerk in der ard gar nicht eingeschaltet, sondern stattdessen ein höhenfeuerwerk hier bei einem volksfest in der nähe verfolgen können - ... weil ich es von vornherein aufgrund der aggressiven werbekampagnen (sogar während des "polizeirufs" als unterzeile) einfach für einen quotenbringer mit viel klamauk hielt ... - und ein theater-ticket hatte ich auch schon verschmäht, weil das stück ja in ungeheuer großer kultureller vielfalt (oder ist es die armut der kulturbudgets ..??) quer durch die republik rauf & runter gespielt wurde - und fast immer mit dem gleichen abstimmungsergebnis ...

wdr und ard hätten besser daran getan, wenn sie echte justiz-experten wie professor wolfgang schild oder den bundesrichter thomas fischer über das theaterstück (!) hätten diskutieren lassen: was ist "fiktion" und klamauk - und was ist dran an dem machwerk ... bundesrichter fischer hat seine ausführliche "zeit"-kolumne dazu - oder besser gesagt, seinen "verriss" des gesamten prozederes - überschrieben mit: "Darf das Fernsehen elementare Rechtsfragen so lange verdrehen, bis ein Film daraus wird? Ein Lehrstück über den Missbrauch des lieben Zuschauers ..." - 

beide, herr schild und herr fischer, machen klar, dass die ard/der wdr um der quoten willen einfach vorgaukeln, als sei das ganze problem irgendwie vielleicht mal "in echt" - und dass das recht sich durch zuschauervoten beugen ließe ... auch der "justitiable" autor von schirach hat ein hopplahopp-theater(!)stück verfasst, bei dem ja vielleicht eine fiktive perspektive immer immanent ist - und wo er "in der freiheit der kunst" schon einmal "elementare rechtsfragen" als ausgewiesener "rechtsexperte" durch den wolf der tatsächlichen rechtsprechung drehen darf ... - und der zuschauer kauft sich dafür ja an der kasse ein ticket ...
Auch wenn ...
Maria Gresz, SPIEGEL-TV


eine andere frage ist, ob das gebührenbezahlte tv so einen schrumps mitmachen muss - aber es geschieht ja zu einer zeit, wo pegida brüllt: "wir sind das volk" - und so kann man ja auch mal mit justiz-kitsch unter dem reißerischen titel "terror" so tun, als seien wir endlich bei einem tatsächlichen "volksgerichtshof" - pardon: ich meine natürlich: tv-zuschauer-schöffengerichtshof angekommen ("das fernsehgericht tagt" - alles schon mal dagewesen ... - und dann die elenden "gerichtsshows" in den privaten sendern) - wo nun die mehrheit über recht und unrecht - über schuld und unschuld abstimmen kann - bei allem was recht ist ... alles ganz echt fiktiv - und gut dass wir mal drüber geredet haben - chuat choan ... S!


Das Fernsehgericht tagt: Die große Strafkammer des Schwurgerichts Berlin verhandelt im ARD-Film „Terror“ den „Fall Lars Koch“. - nach DPA-Foto


"Der Staat darf niemals einen Abschuss befehlen"

Interview: Der Bielefelder Strafrechts-Professor Wolfgang Schild - selbst Buchautor zu dem Stück*) - kritisiert den ARD-Film "Terror - Ihr Urteil". Auch er würde einen Bundeswehr-Piloten freisprechen, der in Gewissensnot ein entführtes Flugzeug zum Absturz bringt


Herr Schild, was meinen Sie als Professor für Strafrecht: Ist der fiktive Kampfpilot Lars Koch zum Mörder geworden, als er sich entschloss, ein von Terroristen entführtes Flugzeug abzuschießen, bevor es in ein Stadion gesteuert werden konnte?

Wolfgang Schild: Nein. Ich hätte ihn freigesprochen - so wie auch die knappe Mehrheit der Studenten, mit denen ich den ARD-Film geschaut habe. Aber aus Gründen, die in dem Film überhaupt nicht thematisiert werden. Deshalb halte ich das Werk und seine Vorlage von Ferdinand von Schirach auch für ganz schlecht: Es führt die Zuschauer in die Irre, ist manipulativ und stellt juristische Fragen völlig falsch dar. 

Was genau ist denn falsch?

Schild: Der Film tut so, als gebe es im deutschen Strafrecht keinen Unterschied zwischen rechtswidrigem Verhalten und persönlich vorwerfbarer Schuld. Eine Tat kann Unrecht sein, ohne dass der Täter sich schuldig gemacht hat. Dann nämlich, wenn er sich wie der Pilot in einem unauflösbaren Gewissenskonflikt befunden hat. Jeder von uns ist dankbar, dass er in einer solchen Situation wohl nie sein wird: Ganz allein dort oben, das Flugzeug steuert auf das vollbesetzte Stadion zu, es bleiben nur Sekunden für die Wahl für oder gegen den Abschuss. Wer in einer solchen existenziellen Notsituation eine Entscheidung trifft, den trifft strafrechtlich keine Schuld, auch wenn die Entscheidung rechtlich falsch, also Unrecht war. Dieses Unrecht können wir ihm nicht zum Vorwurf machen.

Also wäre Pilot Koch kein Mörder, auch wenn der Abschuss rechtswidrig war?

Schild: Ja. Das Strafrecht kennt den Begriff des entschuldigenden Notstands. In Paragraf 35 des Strafgesetzbuchs steht, dass ein Mensch ohne Schuld handelt, wenn er durch eine rechtswidrige Tat Gefahr von sich selbst oder Angehörigen abwendet. Hätten sich Ehefrau und Kind im Stadion befunden, dann wäre der Abschuss, um sie zu retten, Unrecht, aber entschuldigt gewesen. Dieser Paragraf lässt sich in unserem Fall zwar nicht direkt, aber doch parallel anwenden, vorausgesetzt, dass der Angeklagte tatsächlich in Entscheidungsnot war und nicht nur rechthaberisch seine eigenen Wertvorstellungen durchgesetzt hat. Dass im ersten Fall ein solcher "übergesetzlicher entschuldigender Notstand" eingreift, das ist unter Strafjuristen überwiegende Meinung. Insofern gibt es das juristische Dilemma, das v. Schirach und die ARD behaupten, nicht. Der Fall lässt sich mit dem geltenden Strafrecht entscheiden. Es geht in einem Strafprozess, den das Stück ja vorspielt, nicht um ein Moralproblem, sondern um die rechtliche Lösung eines Gewissenskonfliktes. 

86 Prozent der Zuschauer haben im Tele-Voting für "nicht schuldig" plädiert. Ist diese Mehrheit damit im Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht?

Schild: Das kann niemand wissen, weil niemand weiß, worüber die Betreffenden eigentlich abgestimmt haben. Mein Urteil jedenfalls akzeptiert voll die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Der Pilot hat unrechtlich gehandelt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es kein Gesetz geben darf, das den Abschuss eines Flugzeugs erlaubt und damit den Befehl zu einem Abschuss möglich macht. Das hat Bestand. Der Staat darf niemals die Anordnung treffen, auf diese Weise Leben gegen Leben abzuwägen. Das ist nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Nicht entschieden hat das Verfassungsgericht aber, ob ein Pilot, der den Knopf drückt, individuelle Schuld auf sich lädt. Und darum geht es in einem Strafprozess. Dass die ARD und Schirach diesen Unterschied nicht klargemacht haben, ist ein schwerer Fehler. Damit haben sie die Zuschauer in die Irre geführt. Ganz davon abgesehen, dass der ganze Film manipulativ war. Die ganze Inszenierung - angefangen vom Bildschnitt - war von vornherein auf einen Freispruch angelegt. Das Ergebnis stand von Anfang an fest.


Das Gespräch führte Sigrun Müller-Gerbes | NW - © 2016 Neue Westfälische, Mittwoch 19. Oktober 2016

*) Wolfgang Schild
   Verwirrende Rechtsbelehrung: Zu Ferdinand von Schirachs "Terror"
   Taschenbuch, 76 Seiten, Lit Verlag (erscheint im November 2016)
   ISBN-10: 3643134819
   ISBN-13: 978-3643134813

Lesen Sie auch dazu die Kolumne: Fischer im Recht / Die ARD, das Recht und die Kunst - ZEIT-ONLINE

Ist "überflüssig"überflüssig ... ??? - Von überflüssigen Worten ...

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Künstler sammelt überflüssige Worte

Buchmesse: Die einen geben Konferenz-Blabla ab, andere unnütze Füllwörter oder ungeliebte Spitznamen. Dafür bekommen sie Brief und Siegel - und ein unverbrauchtes Wort aus einer Fantasiesprache

Von Sandra Trauner | NW|dpa

"Eigentlich" ist das verhassteste Wort der deutschen Sprache. In Dirk Hülstrunks "Büro für überflüssige Worte" wird kein Begriff so häufig symbolisch abgegeben wie dieses. Noch bis zum Wochenende sammelt der Frankfurter Performancekünstler im Begleitprogramm der Buchmesse Worte ein, die Besucher am liebsten aus der deutschen Sprache verbannt sehen würden.

Ein Künstler aus dem ehemals günstigen, jetzt hippen Frankfurter Stadtteil Gallus gibt "Gentrifizierung" ab. "Ich kann?s nicht mehr hören", sagt Michael Blöck und stempelt energisch in Neon-Pink das Wort "überflüssig" quer über sein persönliches Unwort. Karin Künstner, die Deutsch für Ausländer unterrichtet, schreibt "völkisch" auf ihre Karte - "weil ich das furchtbar finde, dass so Nazisprache wieder verwendet wird". Eine passionierte Feuilleton-Leserin stört sich an "konnotiert" - "weil es jeder ständig benutzt, sobald es ein bisschen intellektueller sein soll", sagt Irene Kessler-Stenger.

Schüler bringen Schimpfwörter oder verhasste Spitznamen

"Sie müssen unterschreiben", erklärt Hülstrunk seinen Kunden und heftet dann die Karte an die Pinnwand hinter seinem Schreibtisch. "Sale" hängt schon dort, "gefühlig", "Konsolidierungsbeitrag" und natürlich "eigentlich". Dann greift er in seinen Karteikasten und gibt den Kunden ein neues Wort für das abgegebene alte. "Flitapof" für Gentrifizierung, "Jizötisumidan" für völkisch und "foginänik" für konnotiert. "Und was bedeutet das?", fragt Karin Künstner verwirrt. "Nichts", sagt Hülstrunk, es sei ein Wort aus einer Fantasiesprache. "Sie können es mit einer neuen Bedeutung aufladen."

Ein Schreibtisch und eine Topfpflanze, Stempel und Stempelkissen, eine Pinnwand, ein Karteikasten, fertig ist das mobile "Büro für überflüssige Worte". Zum ersten Mal hat Hülstrunk es im vergangenen Jahr auf einem Straßenkunst-Festival in Finnland aufgebaut. In Deutschland war er schon in einer Stadtbibliothek und bei der Industrie- und Handelskammer zu Gast. Nun ist seine sprachkritische Aktion Teil des Buchmessen-Begleitprogramms "Open Books".

Als "Anlass, über Sprache ins Gespräch zu kommen" sieht der Songpoet, Autor, Schreibwerkstatt-Leiter und Poetry-Slam-Veranstalter seine Aktion. Er hofft, dass sein Büro auch "eine kleine sprachtherapeutische Wirkung" hat. Welche Worte abgegeben werden, hängt vor allem vom Ort ab, wo das Büro sich gerade befindet, und dem Personenkreis, der dort verkehrt. Teilnehmer von Kongressen gaben häufig Worthülsen wie "durchaus" ab. Senioren störten sich an dem flapsigen "Hallo". Sprachschüler hatten Probleme mit vielen Umlauten wie in "Frühstück". Schüler bringen Schimpfwörter oder verhasste Spitznamen wie "Schätzchen". Auch Bürokratiemonster wie zum Beispiel "Bundesdurchschnittskostensatz" werden gern abgegeben. "Überraschend" findet Hülstrunk, dass - anders als er es erwartete - kaum Anglizismen abgegeben werden.

Häufig gehe es um persönliche Befindlichkeiten, sagt Hülstrunk - manchmal habe das Abgeben ungeliebter Worte aber auch einen "sprachmagischen Aspekt: Die Leute denken, wenn das Wort weg ist, ist auch die Sache aus der Welt." Sie geben dann "Krieg" ab oder ihren "Schnupfen".

S!|Montage

© 2016 Neue Westfälische, Freitag 21. Oktober 2016

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manchmal frage ich mich, ob nicht auch dieses blog überflüssig ist - und reiner selbstzweck, um mich ausreichend zu beschäftigen in meinem beruflichen ruhestand - wenigstens wenn ich an manchen tagen die "klicks" zähle, die manch ein post erzielt, den ich voller erwartungen eingestellt habe - und den ich viel zu oft mit aufwendiger photo|graphic aufpeppe - bzw. glaube, ihn optisch aufgepeppt zu haben - denn ein bild sagt ja immer mehr als 1000 worte - und bei einem gestalteten bild sind deshalb oft genug alle worte überflüssig ...

aber ich tröste mich damit, was alles an überflüssigem auf den markt an waren geschleudert wird, um den turbokapitalismus am laufen zu halten - und was dann bald schon wieder aus diesem markt ruckzuck verschwunden ist ... und zu besichtigen ist bei den zweit- und drittverwertern oder auf den flohmärkten der welt - ehe es dann den weg in die müllverbrennungsanlage nimmt ...

mein überflüssiges wort wäre übrigens "grenze", weil grenzen im wahrsten sinne des wortes nur eingrenzen - und unrecht und kriege heraufbeschwören, und für "blut & boden" stehen und abschotten - und wir deutschen können ja davon ein lied singen - und haben erlebt, wie überflüssig eine "grenze" sein kann ... oder wie willkürlich grenzen gezogen werden oder wieder fallen ... (oder-neiße) - und sie ist überall auf der welt überflüssig und ein hirngespinst... - manche denken es wären natürliche gewachsene phänomene - aber es waren immer nur fürze im kopf ... im nahen osten sehen wir oft schnurgerade grenzen, die von britischen vermessern seinerzeit je nach bodenschätze gezogen wurden und eingezeichnet - und dann ist es eben pech, wenn die grenzlinie mitten durch kurdistan verläuft oder eben nicht zwischen sunniten und schiiten oder in nordirland nicht zwischen katholischen und protestantischen volksgruppen oder zwischen wallonen und flamen in belgien - alles völlig überflüssig - ich weiß, herr orbán sieht das an der ungarischen staatsgrenze ganz anders - und die verlief auch noch ganz anders, als seine vorfahren als wirtschaftsflüchtlinge ins pannonische becken einwanderten ... - ja wir sollten darauf achten, dass wir "geschichte" oder "vergangenheit" nicht mit auf den misthaufen der worte als "überflüssig" entsorgen ... S!

LEONARD COHEN: you can not see in front of eyes the hand: you want it darker ...

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Leonard Cohen lebt seine Religion ...

Nun noch dunkler

Seit jeher sind die Lieder von Leonard Cohen religiös gefärbt. Am Freitag erscheint Cohens neues Album voll endzeitlicher Texte. Doch er sagt, er wolle weitermachen und 120 Jahre alt werden.

Die Welt kennt ihn als knorrigen Poeten, der die ewige Ballonmütze des Zeitungsjungen mit dem Borsalino des dunklen Dandys zu seinen Markenzeichen machte. Der kanadische Songpoet Leonard Cohen trauert um seine Muse, die im August starb. Sein am Freitag erscheinendes Album "You want it darker" dringt nun in endzeitliche Gefilde vor. So sehr, dass sich der 82-Jährige wohl zum öffentlichen Zurückrudern genötigt sah. In einem Interview sagte er, er neige zu Übertreibung und Drama. Er werde weitermachen und wolle 120 Jahre alt werden.

In Montreal kam Leonard Cohen zur Welt, im Vorort Westmount, einem Viertel der Wohlhabenden, vor allem protestantischer und jüdischer Einwanderer der dritten Generation. Leonards Vater Nathan besaß dort ein renommiertes Textilkaufhaus; das Haus der Familie stand in der Belmont Avenue 599. Der eher stille Knabe erbte von seinem Vater Zurückhaltung und Korrektheit; seine musische Gabe und den Hang zur Melancholie soll er von der Mutter Masha mitbekommen haben, der Tochter eines aus Russland ausgewanderten Talmud-Gelehrten.

Hang zum Geheimnisvollen und Mystischen

Leonards Vorfahren hatten das Judentum in Kanada mitaufgebaut. Urgroßvater Lazarus wanderte in den 1860ern aus Litauen ein. Der angesehene Kaufmann wurde Vorsteher einer Synagogengemeinde, sein jüngerer Bruder Tzvi Hirsch Cohen Oberrabbiner von Montreal. Leonards Großvater Lyon setzte die Kohanim-Tradition fort, bekleidete internationale zionistische Ämter.

Zeit seines Lebens hat Leonard Cohen den Sabbat beachtet - aber er behielt auch immer einen Hang zum Geheimnisvollen, Pathetischen, Mystischen. So brachte er sich etwa Grundtechniken der Hypnose bei, mit einer dunklen, ruhigen, sanften Stimme, seinem Markenzeichen.

Zweite Karriere als Singer-Songwriter

Sein eigentlicher Zugang zur Kunst war immer die Poesie. "Let Us Compare Mythologies", hieß 1956 sein erster Gedichtband. Erste Erfolge erlaubten ihm Reisen in Europa und einen mehrjährigen Aufenthalt auf der griechischen Insel Hydra. Dort schrieb er zwei Romane und den Gedichtband "Blumen für Hitler". Und lernte die Liebe seines Lebens kennen. Als er Hydra 1967 verließ, schrieb er ihr den Song "So long, Marianne".

Im bewegten "Summer of Love" startete Cohen eine zweite Karriere als Singer-Songwriter - mit der Absicht, mit dem schnellen Geld wieder Muße zum Gedichteschreiben zu haben. Doch die Musik blieb, auch über seine düsterste depressive Phase Anfang der 70er Jahre hinaus. Mit der Kalifornierin Suzanne Elrod zeugte er Sohn Adam und Tochter Lorca. Und auch wenn sich Leonard 1979 von ihr trennte, sagte Suzanne später: "Ich habe mich immer verheiratet gefühlt. Leonard ist der verantwortlichste Mensch, den man sich vorstellen kann." 1990 etwa harrte er nach einem Verkehrsunfall über Wochen am Krankenbett Adams aus.

Anleihen im Buddhismus

Cohens Gedichte und Lieder sind voll von religiösen Anleihen, Zitaten, Brechungen und Variationen. Der Song "Who by Fire" etwa greift auf die Liturgie zum Jom Kippur und zum jüdischen Neujahr zurück. Das Album "Various Positions" (1984) enthält unter anderem sein rätselhaftes "Hallelujah" und auch den Song - oder ist es ein Gebet? - "If it be Your Will".

Ein ausgelaugter Leonard Cohen sucht Anfang der 90er die Stille in einem buddhistischen Kloster in den Bergen nahe Los Angeles. Er übt sich in Selbstdisziplin und japanischer Zen-Meditation und wird 1996 unter dem Namen "Jikan" (deutsch: "der Raum zwischen zwei Stillen") zum Mönch ordiniert - der berühmteste Schüler von Zen-Meister Kyozan Joshu Sasaki (1907-2014). Cohens jüdischem Glauben tat das keinen Abbruch, wie er erläutert: Es gehe beim Zen nicht um Anbetung oder ein Gottesbild, sondern um Meditation. "Ich habe eine Religion, und ich suche keine andere. Ich bin ein Jude."

Anspielungen auf baldigen Tod

Das hätte es also sein können mit dem Sänger Leonard Cohen - hätte nicht seine Managerin in den fünf Jahren, die er im Kloster verbrachte, fast sein ganzes Vermögen veruntreut. So musste es weitere Alben und Tourneen geben. Je mehr sich der Lebenskreis des leidenden Mystikers schließt, desto mehr Anspielungen auf einen baldigen Tod enthalten Cohens Texte.

Diese Tendenz hat sich mit dem neuen Album "You want it darker" noch einmal verstärkt. Im August starb die Norwegerin Marianne Ihlen, Leonards Muse und einstige Geliebte auf Hydra. In einem Brief an die Sterbende schrieb er: "Ich glaube, ich werde dir sehr bald folgen. Ich bin nah bei dir, dicht genug, dich zu berühren." Ein Freund berichtet, Marianne habe beim Hören der Worte ihre Hand ausgestreckt. "Du willst es dunkler haben»" so lautet der Refrain des neuen Titelsongs; "dann löschen wir doch die Flamme aus. Hineni, hineni - ich bin bereit, o Herr."

Alexander Brüggemann
domradio (KNA)



LEONARD COHEN - TRAVELING LIGHT

I’m traveling light
It’s au revoir
My once so bright, my fallen star
I’m running late, they’ll close the bar
I used to play one mean guitar
I guess I’m just somebody who
Has given up on the me and you
I’m not alone, I’ve met a few
Traveling light like we used to do

Good night, good night, my fallen star
I guess you’re right, you always are
I know you’re right about the blues
You live some life you’d never choose
I’m just a fool, a dreamer who forgot to dream of the me and you
I’m not alone, I’ve met a few
Traveling light like we used to do

Traveling light
It’s au revoir
My once so bright, my fallen star
I’m running late, they’ll close the bar
I used to play one mean guitar
I guess I’m just somebody who
Has given up on the me and you
I’m not alone, I’ve met a few
Traveling light like we used to do

But if the road leads back to you
Must I forget the things I knew
When I was friends with one or two
Traveling light like we used to
I’m traveling light

freuds couch - mein bild zum sonntag ...

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und wenn die maden
und wenn die maden
aus den tiefen der analyse schlängeln
die zuvor mit dem nürnberger trichter
eingebracht und zugeführt wurden

all diese eiweiß-bolzen
all diese eiweiß-bolzen
mit dem knorpel-knoten auf dem rücken
die wie auf den höckern eines mini-kamels
abrollen von vorn nach hinten
von hinten nach vorn
hin und wieder her
wie wüste schiffe

ich höre ihr feuchtes schmatzen noch
ich höre ihr feuchtes schmatzen noch
rieche ihren zarten schmelz
bevor der therapeut mit der zunge schnalzt
und dann "heureka" ruft:
"es war deine mutter"
"lange bevor du - lange bevor ..."

ich hatte tränen in den augen:
ich hatte tränen in den augen:
ja - jetzt konnte ich das endlich
zuordnen - wie meine mutter
wie meine mutter damals
wie meine mutter damals
die milch zum kochen brachte ...

nie ist sie übergekocht ...
nie ist sie übergekocht ...
alles ging glatt
kein anbrennen auf dem koksofen
und wir hatten auch immer
krabben im haus
gleich neben der kernseife
neben der schüssel 
auf dem hocker nebenan

ich dankte dem herrn therapeut
ich dankte dem herrn therapeut
aufs äußerste
uns tröstete ihn - und sprach
ihm letztendlich mut zu ...
"nein - nein - nein", sagte er, 
"bitte nicht - ich schicke dir
die rechnung wie immer zu - 
bis zum nächsten mal..."
bis zum nächsten mal...


sinedi


immer am feldkreuz vorbei - und dann links: effektenboerse

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effektenboerse - S!-art = XXL = CLICK HERE


"eine fernbeziehung zerbrach lautlos"
ist das etwa deine letzte notiz zu uns?
oder war das meine abschluss-feststellung
und das war ja gar nicht so lautlos
aus meiner sicht
waren da viel seitengeräusche
und gischt spritzte ins gesicht
damals und all die jahre
hin und her - gerutscht und geflutet
auf der rückfahrt ging es 
immer am feldkreuz vorbei
das kruzifix - bestimmt 200 jahre alt
und er - jimmy - dräute nie nach hinten
ich musste kein schlechtes gewissen haben
aber er lächelte immer einladend
in die gegenrichtung
und wies mir den weg
und als ich dazu sinniere und meinen
liegesessel hochfahre in sitzposition
fällt doch gleichzeitig 
überaus erschreckend
die stehlampe mit dem deckenfluter um:
das beschwerungsinlett seines fußes
war vor altersschwäche zerbröselt
just als ich über das feldkreuz sinnierte
ehe unsere fernbeziehung lautlos zerbrach
bestimmt schon vor 200 jahren ...

sinedi


knall - du hast einen - ich hab einen - alle haben ihren knall

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knallgeräusche | S!|art = XXL = CLICK HERE




viele städte und landschaften melden in jüngster zeit knallgeräusche - ordentliche kawenzmänner, die zumeist nachts nicht nur kleinkinder zum schreien bringen - vom erschrecken ganz zu schweigen - schlimmer als bei horrorclowns ... in berlin hat man forschungen dazu angestellt - aber keine lösung gefunden. es knallt ... S!

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Nächtlicher Knall erschreckt

Lärmbelästigung: Ein explosionsartiges Geräusch reißt nachts die Bewohner von Milse aus ihren Betten. Und nicht nur die: In ganz Deutschland tritt das Phänomen auf

Von Jens Reichenbach | NW

Im Frühjahr regte sich im Internet eine große Gruppe von Facebook-Nutzern, um nach der Ursache für einen lautstarken, nächtlichen Knall im Bielefelder Osten zu suchen. Schüsse? Eine Explosion? Dumme Jungen? Thesen gab es viele. Eine Antwort gab es nie. Doch die Ursache für das Knallphänomen war nicht zu ergründen. Jetzt ist es in Milse wieder aufgetaucht.

Dana Born aus Milse und ihre vier Monate alte Tochter Inga sind inzwischen richtig genervt. Denn der ohrenbetäubende Knall hat sie bereits mehrfach aus dem Schlaf gerissen: "Es rummst so dermaßen laut, dass bei uns an der Hebridenstraße die Scheiben gewackelt haben", sagt die 30-Jährige. Beispielsweise am Freitag, 7. Oktober, war Inga gegen 23 Uhr von dem Knall wach geworden, obwohl alle Fenster geschlossen war. Sie fing an zu schreien. In der folgenden Nacht rummste es gegen 2 Uhr. "Davon bin sogar ich aufgewacht", so Born. Als sie auf dem Balkon nachsah, hörte sie Stimmen. "Unmittelbar danach."

Born versichert: "Es war immer die gleiche Art von Knall - extrem laut." Zuerst habe sie an Schüsse gedacht, aber es klinge eher wie bei einer kurzen Explosion, sagt sie nachträglich. "Lange nachgehallt hat der Knall aber nicht."

Anfangs mutmaßten die genervten Eltern, dass es jede Nacht gekracht habe. Inzwischen glauben sie, dass es nur am Wochenende passiert war. "Wir werden jetzt mal drauf achten." Einig sind die Milser darüber, dass es zwischen 23 und 2 Uhr krachte.


Weder eine Autofehlzündung noch Schüsse

Das deckt sich mit den Beobachtungen vieler Bielefelder, die sich im Frühjahr in der Facebook-Gruppe "Bielefelder / innen 2.0" ausgetauscht hatten. Damals schien der Knall aus dem Bielefelder Osten zu kommen - viele nannten die Heeper Fichten als Ursprungsort, andere Sennestadt. Irgendwann baten sie Radio Bielefeld um Hilfe, und die legten eine beeindruckende Recherche vor: Jeden Morgen überprüften die Redakteure eine weitere These zu dem "mysteriösen Knall". Leider ohne Ergebnis.

Immerhin: Der Wetterdienst schloss ein meteorologisches Phänomen aus, Überschallflugzeuge kamen wegen der nächtlichen Uhrzeit nicht in Frage und die Stadtwerke können so einen Knall weder mit ihrer Ferngasleitung noch im Umspannwerk oder am Gasometer erzeugen. Die Polizei fand zwar Platzpatronen an den Heeper Fichten, aber die dazugehörigen Waffen sind leiser. Für handelsübliche Silvester-Böller war die Detonation zu heftig. Auch Jäger kommen nicht in Frage, der ADAC schloss Autofehlzündungen aus.

Dana Born nickt: "Vielleicht ist das so ein Gag unter Jugendlichen." Im Internet hatte sie gelesen, dass jemand Luftballons mit einem Knallgasgemisch in die Luft steigen und dann explodieren lasse. Andere sprechen von sehr potenten Polenböllern.

Bielefeld ist nicht die einzige Stadt, die von solchen mysteriösen Knall-Phänomenen heimgesucht wird. Über einen ähnlichen Knall im Berliner Wedding berichteten bereits 2014 Spiegel Online, Sat.1, BILD und Tagesspiegel. Dort machten sich sogar Toningenieure auf die Ursachensuche. Auch ohne Erfolg. Mitte Oktober 2016 trat der Knall auch in Berlin wieder auf - auch dort ist der Tatort gewandert - vom Wedding nach Steglitz.

Aber nicht nur Berlin und Bielefeld sind betroffen. Der freie Journalist Ralf Heimann hat sich in seinem Internetblog "Operation Harakiri" der Sache angenommen. Unter dem Titel "Wie ein Knall Deutschland ratlos macht" listet er 19 vergleichbare Knallrätsel auf, die mit der ersten Meldung vom 15. Januar 2013 aus dem hessischen Emsdorf beginnen. In Sylt, Münster, Braunschweig und Göppingen. Teilweise berichten Zeitungen, dass Bürger sogar den Notruf gerufen haben. Am 23. Februar 2015 wanderte Heimann mit seinem Knall-Tagebuch auf die Facebook-Seite "der mysteriöse Knall" und sammelte weitere Meldungen - bis er im Februar 2016 den letzten Beitrag postete: Einen Beitrag über die Ursachensuche von Radio Bielefeld.

Der Knall ist zurück.



© 2016 Neue Westfälische, Donnerstag 27. Oktober 2016

planet-wissen.de


Wenn Christsein Geborgenheit ist. - 95 Thesen zum Glauben heute aus der ZEIT

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DIE ZEIT No. 45 | GLAUBEN & ZWEIFELN | S. 51:

Was ist heute christlich?

Im Oktober 1517 schlug Martin Luther 95 Thesen ans Kirchenportal in Wittenberg. Zum Reformationsjahr baten wir 95 Autoren um ihre Antwort auf die Frage, was für sie der Kern des Glaubens sei. Hier drucken wir, was Theologen und Politiker, Dichter und Kabarettisten, Wirtschaftsbosse und Journalisten sagen


nach einem foto von jörg gläscher aus seiner serie "lutherland" ... - Quelle: DIE ZEIT | S!|art

     

Kirche und Politik sollten mehr auf Luther hören: den Leuten aufs Maul schauen und deutsch mit ihnen reden!

Markus Söder, CSU, bayerischer Finanzminister 


Christ sein heißt frei sein, großzügig sein und voller Hoffnung. Christen sind Brückenbauer und keine Brückenwächter. Die zentrale Botschaft des neuen Testaments heißt: »Fürchtet euch nicht«, und deshalb glauben Christen fest daran, dass das Beste noch kommt. Christ sein heißt auch, manchmal fünfe gerade sein zu lassen. Ein prima Christ ist Franziskus, schade, dass er kein Protestant ist.

Harald Lesch, Astrophysiker 


Der Schatz der Kirche sind nicht die Kirchensteuerzahler, sondern die, die von Herzen geben.

Gerhard Polt, Kabarettist 


Christlich sein heißt das Doppelgebot der Liebe ernst nehmen, das Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat: Gott und den Nächsten lieben. Beides kann nie auseinandergerissen werden. Nächstenliebe ohne Gottesbeziehung würde uns abschneiden von den Kraftquellen, aus denen wir leben. Gottesdienst ohne Nächstenliebe wäre bloßer Kult. Radikale Liebe zu Christus heißt radikale Liebe zur Welt. Es heißt öffentliche Einmischung da, wo die Schwachen ignoriert oder mit Füßen getreten werden. Wer fromm ist, muss auch politisch sein. Christlich sein heute, das bedeutet, aus der Zuversicht zu leben. Fest darauf zu vertrauen, dass Gewalt und Unrecht nicht das letzte Wort haben. 

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)


Als kleiner Junge fand ich Glauben toll. Ich ging in die Kirche und hörte den Satz: »Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.« Super, dachte ich, ich bin ein Kind, ich komme ins Himmelreich. Heute ist der Glaube die Basis meines Lebens. Am schönsten, wenn ich das kindliche Urvertrauen spüre. Wenn Christsein Geborgensein ist.

Kilian Trotier, Redakteur ZEIT:Hamburg 


Die große Zeit des Christentums liegt nicht hinter uns. Sie liegt noch vor uns. Das Evangelium ist für Deutschland und Europa noch lange nicht »ausgereizt«.

Reinhard Marx, Kardinal, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK)


Christlich ist, sich nie über einen anderen Menschen zu erheben. Und christlich ist es, nie jemandes Stiefel zu lecken. Deshalb: Nie herrisch sein und nie hündisch!

Matthias Naß, Internationaler Korrespondent der ZEIT


Luther macht die Bibel zum Maßstab. Dort sagt Jesus: »Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.«Wer Fremde beherbergt, sich der Menschen auf der Flucht erbarmt, steht in der Nachfolge Jesu von Nazareth. Nicht Pegida verteidigt das vermeintlich christliche Abendland, sondern Menschen in all den Gemeinden, die für Geflüchtete einstehen, verteidigen christliche Werte!

Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin 


Christsein in dieser friedlosen Welt heißt: Sagen, was ist, damit es nicht so bleibt.

Thomas Schiller, Chefredakteur epd 

10 

Ich denke, Luthers »Christenmensch« sollte frisch, fromm, fröhlich, frei sein. Frisch: Die Begegnung mit ihm erfrischt. Fromm: Man merkt, dass ihn der Glaube trägt. Fröhlich: Er strahlt die Leichtigkeit der Erlösten aus. Frei: Er ist offen gegenüber allen Menschen.

Joachim Zirkler, Pfarrer, Lutherischer Weltbund 

11 

Auch wir Muslime brauchen eine Reform(ation). Luther und den Islam verbindet die Einsicht, dass keine vermittelnde Instanz zwischen Gott und Mensch nötig ist. Allahs Barmherzigkeit ist grenzenlos. Mit dieser Einsicht beginnt die Freiheit. Wir brauchen muslimische »Luthers«!

Abdel-Hakim Ourghi, Professor für Religionspädagogik 

12 

Christlich bedeutet heute, auch als Protestant Luther gegenüber kritisch zu sein. Er schuf eine der bedeutendsten Bibelübersetzungen der Welt, aber ließ (in folgenschweren religiösen Vorurteilen gefangen) dem Volk der Bibel keine Gerechtigkeit widerfahren.

Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main

13 

»Wir nehmen auch Muslime!« Leider muss man das noch einmal sagen. Zwar boten die Deutschen im vergangenen Jahr Hunderttausenden bedrängten Mitmenschen Schutz. Doch: »Wir nehmen nur Christen«, tönten selbst ernannte Bewahrer unseres christlichen Abendlandes. Wie hohl und kalt wären unsere stolzen Kathedralen ohne Mitgefühl. Unser christliches Bekenntnis wäre seit 2000 Jahren vergessen, hätte Jesus in der Kernfrage der Barmherzigkeit Unterschiede akzeptiert.

Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin 

14 

Christlich ist, was Christus entspricht. Also muss er unser Maßstab, Fundament und Quelle sein. Da sind wir uns einig. Vor ihm sehen wir zwar beide, die Katholischen wie die Evangelischen, schlecht aus. Doch etwas Besseres als Jesus Christus gibt es nicht. Luther hat zu Recht gesagt: Es gilt, »was Christum treibet«. Ließen wir uns ganz von ihm treiben, wären wir längst eins. Nach 500 Jahren ist es darum höchste Zeit, ganz zu werden, was wir sind: Christen.

Walter Kasper, emeritierter Kurienkardinal 

15 

Das größte Problem, das ich heute mit meiner Kirche habe, ist, dass sie mir nicht dabei hilft, zu glauben. Nur Menschen, die begnadet sein müssen oder sehr naiv, schaffen es als Erwachsene, weiter ungebrochen am Glauben festzuhalten. Die Regel sind doch eher der bohrende Zweifel und lange Phasen der Abgewandtheit, in denen man sich nicht mehr aufgehoben fühlt bei seinem Gott. Die ernüchternden Erkenntnisse der Wissenschaftler, auch der Historiker, über Jesus und seine Zeit tun ihr Übriges. Wir gehen in die Kirche und halten schon die Tatsache, dass wir dort nicht alleine sind und den Rahmen der Liturgie haben, für eine Bestätigung, dass es da irgendwo etwas geben muss. Ich wünschte mir, dass man mit den Zweifeln nicht allein gelassen wird. Aber es kommt mir manchmal so vor, als ob das die Frage ist, die Christen heute am meisten verdrängen: »Bist du eigentlich sicher, dass du glaubst?«

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT 

16 

Die Kirche, vollgestopft mit Barockengeln. Der Altarraum, vollgestopft mit Kommunionskindern. Mittendrin ein Pfarrer namens Heil – schönes Detail. Mit einer Pranke Köpfchen tätschelnd, mit der anderen Hostien verteilend. Da piepst es: »Bisschen trocken. Gibt’s die auch mit Marmelade?« Die Kinder kichern, der Pfarrer wütet. Ich finde meinen Spruch bis heute gut. Das Christentum? Viel Glaube. Wenig Humor.

Rudi Novotny, ZEIT-Redakteur, Chancen 

17 

Der Kern des Christentums besteht in der Gewissheit, dass Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, in seinem Sohn Jesus Christus Gestalt angenommen hat und als Mensch geboren wurde; dass also der Schöpfer zu seinem eigenen Geschöpf geworden ist, um die für die Menschenseele tödliche, von Adam ererbte Sünde auszulöschen und jedem einzelnen Menschen die Möglichkeit einer Rückkehr zu der diesem von Beginn an zugedachten Gottebenbildlichkeit zu eröffnen.

Martin Mosebach, Schriftsteller

Bildquelle: DIE ZEIT






















18 

Ich bin froh, dass vor uns nicht mehr die Trennung der Kirche liegt wie 1517. Wir Christen sind auf dem Weg zur Einheit. Sie hat bereits begonnen. Papst Franziskus, der wie Luther vom Vertrauen auf Jesus Christus erfüllt ist, macht mir als evangelischem Pfarrer Mut. 

Jens-Martin Kruse, evangelischer Pfarrer in Rom 

19 

Eine gemeinsame Wallfahrt der katholischen und evangelischen Bischöfe ins Heilige Land hat ein Zeichen gesetzt. Wir christlichen Kirchen brauchen nicht den Eigensinn und die Rechthaberei, mit denen wir den Menschen den Blick auf Gottes Größe und Barmherzigkeit verstellen. Die Kirche ist ökumenisch, oder sie ist nicht Kirche!

Hans-Jochen Jaschke, Weihbischof 

20 

Ich habe bei der Konfrontation mit Menschen, die hassen, begriffen: Christlich ist, sich dem Hass zu stellen, gerade auch dem, der sich gegen einen selbst richtet. Und sich dabei nicht vom Hass anstecken zu lassen. 

Klaus Mertes, Jesuit, Schulleiter 

21 

Christentum ist keine Seelenwellness. Paulus erklärt, dass Gott gleich einem Töpfer das Recht habe, aus seinem Ton – sprich: uns – zu machen, was er will: Tafelgeschirr oder Nachtgeschirr. Welch krasse Beleidigung menschlicher Autonomie und Würde! Doch nur solch krasses Christentum kann uns Selbstgefälligen Stachel im Fleische sein. Honig schmiert uns der Zeitgeist schon genug ums Maul.

Thea Dorn, Schriftstellerin 

22 

Als ehemaliger Christ, heute Atheist, kenne ich das Spektrum des Glaubens. Was christlich ist, ist relativ. Homophobie (1. Kor. 6, 9; Tim. 1,9), Sexismus (1. Kor. 14, 34) und die Ausgrenzung Andersdenkender (Mat. 10, 35) sind fundamentale christliche Werte. Ich wünsche mir ein Christentum, das sich von seinen Ursprüngen emanzipiert.

Misha Vérollet war Zeuge Jehovas und schrieb das Buch »Goodbye, Jehova!«

23 

Eine Gesellschaft, die mit ihren kulturellen, auch religiös begründeten Traditionen ihre eigene Identität pflegt, kann dem Fremden Raum geben, ohne sich bedroht zu fühlen. Wir sollten deshalb den Mut haben, uns auch unter Andersdenkenden selbstbewusst zu christlichen Werten zu bekennen.

Monika Grütters, Kulturstaatsministerin 

24 

Jesus Christus sagte seinen Nachfolgern zu: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Das Christentum braucht gerade heute die weltweite und konfessionsüberschreitende Gemeinschaft der Kirchen. Leider gibt es noch krampfhaftes Bemühen um konfessionelle Abgrenzung. Luther hat in vier großen soli-Sätzen gesagt, wodurch wir erlöst sind: solus christus, sola gratia, sola scriptura, sola fide. Ich möchte ein aktuelles solus hinzufügen: solus communis, »allein in Gemeinschaft«. Nur in Gemeinschaft mit Christus gründet sich Kirche, und nur so können wir das Christentum leben. 

Nikolaus Schneider war Ratsvorsitzender der EKD 

25 

Egal, wo ich in meinem Leben hingekommen bin (neue Stadt, neues Land, anderer Kontinent), in christlichen Gemeinden habe ich mich immer sofort zu Hause gefühlt. Christlicher Glaube ist für mich, Heimat in der ganzen Welt zu finden. 

Sarah Schaschek, Redakteurin ZEIT LEO 

26 

Reformation heißt Transformation: Umkehr vom herrschenden Optimierungswahn mit seinen ausbeuterischen Kehrseiten, hin zu einem menschlichen Maß. Das bedeutet: Ja zu Grenzen, zu Fehlern, zu Genügsamkeit; Ja zu Gott, der mich freundlich von Selbstvergötterung befreit.

Ilse Junkermann, evangelische Landesbischöfin in Mitteldeutschland

27 

Christen sollten lernen, wie inspirierend Pfingsten ist, in vielen Sprachen reden, verstehen, Brücken bauen. Sie erkennen dann auch, dass das Christentum ungeeignet ist für jede Form der Abschottung und dass sie sich nur fürchten müssen, wenn sie nicht mehr das leben, wovon sie überzeugt sind; nicht mehr sagen, was ihnen heilig ist; und als Christen nicht zueinander finden.

Annette Schavan, deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl

28 

Und meine ungläubigen Lippen beten voller Inbrunst / Zu Mensch, dem Gott all meiner Gläubigkeit.« Mein lebenslängliches Credo, so singe ich es im Großen Gesang. Menschen, an die einer wie ich glaubt, sind wunderbar verschieden. Aber gleich sind sie auch. Jedoch nur in ihrer Gleichheit vor dem Gesetz. Juden und Christen haben diese Egalität mit den Zehn Geboten festgeschrieben. Das garantiert eine lebendige Demokratie.

Wolf Biermann, Liedermacher 

29 

Das Reformationsgedenkjahr hilft uns, das Christentum im Land zu stärken. Wir feiern dieses Jubiläum anders: Früher neigten wir zur Abgrenzung voneinander und damit zu einer überhöhten Selbsteinschätzung. Jetzt sind auch wir Katholiken mit eingeladen, können vieles sogar mitgestalten. Wir Christen haben den Mut, unser Versagen einzugestehen. Dies darf nicht zu einer neuen Selbstgefälligkeit führen. Wir brauchen in dieser zerschundenen Welt Offenheit, um tiefe Wunden zu heilen, vor allem durch Aufrichtigkeit, Solidarität und Barmherzigkeit. 

Karl Lehmann, Kardinal 

30 

»Ein rechter Christ sei, so Martin Luther, ›fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen‹ – wunderbar! Und das möglichst ohne Teufelsangst, Grobianismus und antirömischen Affekt.«

Johannes zu Eltz, Stadtdekan in Frankfurt am Main 

31 

»Sind die auch christlich?«, fragen meine Kinder mich, wenn sie im Alltag Menschen treffen, die schon mal im Gottesdienst waren. Im säkularisierten Osten Deutschlands ist Christlichsein nicht selbstverständlich. Und man erkennt Christen deutlicher: an ihrem Engagement und weil sie jederzeit auskunftsfähig sein müssen über den eigenen Glauben. 

Kathrin Oxen leitet das Zentrum für Predigtkultur in Wittenberg

32 

Das Luther-Jahr führt uns zur kritischen Selbstbefragung: Wie hältst du’s mit dem kulturellen Erbe der Reformation? Mit dem Glauben? Und auch: mit dem Nachbarn, dem Fremden? Ich hoffe, dass wir im anderen zuallererst den Menschen sehen. Und dass in den zu uns kommenden Muslimen vor allem der gläubige und friedliche Zeitgenosse gefunden werden kann.

Bodo Ramelow, Ministerpräsident, Thüringen 

33 

Christlich ist es, der altruistischen Seite eine Chance zu geben. Wir alle tragen sie in uns, doch viele gestehen sich das nicht ein, begrenzen das Kümmern auf Familie oder Freunde. Doch das Wohl des anderen zu verfolgen ist ein menschlicher Ansporn, genau wie Egoismus und Konkurrenzstreben. Wir sollten ihn zulassen, entwickeln, ausbauen.

Uwe Jean Heuser, ZEIT-Ressortleiter Wirtschaft 

34 

Fliehende an den Grenzen, Armutsexplosionen, politische Schwelbrände – jeden Tag ist zu sehen, was und wer barmherzig ist. Seinen Reichtum teilen, also christlich leben – es ist offensichtlich, dass man dazu nicht Christ sein muss. Es reicht schon, wie Buddha und Gandhi zeigten, ein uneitler, anständiger und mutiger Mensch zu sein.

Susanne Mayer, Kulturreporterin der ZEIT 

35 

Für mich als Katholik ist Luther heute kein Gegner. In einem hatte er auf jeden Fall recht: Die Kirche muss die Sprache des Volkes sprechen. Dann wird die Botschaft des Evangeliums auch verstanden. Ihm ging es um den Glauben, nicht um Befindlichkeiten. Luther war übrigens Katholik.

Jens Spahn, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium 

36 

Das Christentum ist die Religion der Nächstenliebe. Eine Gesellschaft, die in erster Linie auf Eigenliebe und Egoismus setzt, in der Reichtum ebenso erblich ist wie Armut, in der die profitabelsten Konzerne die niedrigsten Steuern zahlen, während viele Menschen trotz harter Arbeit nicht mehr zu wirklichem Wohlstand gelangen, ist nicht nur ungerecht, sondern auch unchristlich. Sie muss verändert werden.

Sahra Wagenknecht, Oppositionsführerin Die Linke 

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Der Finsternis das vorletzte Wort lassen.

Elisabeth von Thadden, ZEIT-Redakteurin im Feuilleton 

38 

Vertrauen, Hoffnung und Gelassenheit sind Geschenke des christlichen Glaubens: das Vertrauen darauf, dass das Leben einen Sinn hat, die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, und schließlich die Gelassenheit, weil wir »nie tiefer fallen können als in Gottes Hand«.

Reiner Haseloff, Ministerpräsident, Sachsen-Anhalt 

39 

Die Kirche Christi verbindet Zeit und Ewigkeit. Deshalb steht der Glaube an das ewige Leben seit mehr als 1500 Jahren am Ende des Credos aller Christen. Und der Glaube an Gott, den Schöpfer, am Anfang. Ohne diese beiden Glaubenssätze könnte das Schifflein Christi wohl kaum das Meer des dritten Jahrtausends durchqueren.

Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der KNA 

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Um 3.45 Uhr aufstehen! Von seinem Glück nichts abgeben, Populismus mit Populismus bekämpfen, Menschen nach Hautfarbe, Religion, Sexualität beurteilen, den Untergang des Abendlandes propagieren und dabei die Nächstenliebe mit Füßen treten, Arm gegen Ärmer ausspielen – all das ist unchristlich. Sorry, wie war noch mal die Frage? Ach so. Fakten umdrehen, bis sie einem in den Kram passen, ist auch nicht christlich.

Dunja Hayali, Fernsehmoderatorin 

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Christlich, zutiefst christlich ist, auf eine Selbstrettung des Menschen, auch eine Rettung der Welt durch den Menschen nicht zu setzen. Ohne die Gnade Gottes geht gar nichts, selbst der Glaube ist eine Gnade. Die Autonomie des Menschen wird radikal begrenzt. Unchristlich ist der Gedanke der Machbarkeit. Für die Moderne und ihr Fortschrittsvertrauen muss wahres Christentum ein Ärgernis sein und bleiben.

Jens Jessen, ZEIT-Redakteur im Feuilleton 

42 

Mit 20 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten. Meinem Vater, der Pfarrer war, habe ich das nie gesagt. Meine Werte konnte ich mit dem Wort christlich, das Parteien für sich vereinnahmen, nicht mehr in Einklang bringen. Christlich heißt für mich einfach: nicht hassen. Jetzt, da mein Vater nicht mehr da ist, bin ich sicher, er hätte mich verstanden.

Peter Lohmeyer, Schauspieler 

43 

Christlich ist die Friedensbotschaft Jesu und das oberste Gebot: Du sollst nicht töten – wider alle Ideologie vom gerechten Krieg. Christlich ist Luthers Mahnung: »Man lasse die geyster auff eynander platzen vnd treffen. Aber die faust halltet stille.«

Christoph Dieckmann, Reporter der ZEIT 

44 

Christ zu sein bedeutet für mich, an Gott zu glauben, an die Auferstehung und an die versöhnende Botschaft des Neuen Testaments, verkörpert durch Jesus Christus. In der Welt von heute bedeutet Christ sein für mich auch, in die Welt zu gehen, in der Welt zu bestehen und in der Welt zu handeln – in Verantwortung und Demut vor Gott.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister 

45 

Tue Gutes – aber überlege erst, wie das, was du zu tun beabsichtigst, tatsächlich wirkt, damit die gute Absicht keine bösen Konsequenzen hat.

Hans-Werner Sinn, Ökonom 

46 

Als evangelischer Kantor der Dresdner Frauenkirche bin ich von der verbindenden Kraft der Musica Sacra überzeugt. Unser Chor tritt in Dresden nicht nur vor Christen auf. Und wir waren als Botschafter der Versöhnung auch schon beim Papst in Rom. Verbunden sind wir alle durch den Einen. 

Matthias Grünert, Kantor, Frauenkirche Dresden 

47 

Ein Menschenrecht auf ein Geheimnis, auf einen Raum des unerschütterlichen Vertrauens. Dafür sollen Christen sich einsetzen und die Kirchen, die seit Jahrhunderten diesen Raum hüten. Das Wort »Transparenz« in der digitalen Gesellschaft hat für politische Institutionen zu gelten – nicht für den einzelnen, zunehmend gläsernen Menschen.

Johanna Haberer, Professorin für Theologie 

48 

Ich bin in Sorge, dass wir mit der Digitalisierung die politische Steuerung der Gesellschaft verlieren. Andererseits hoffe ich, dass wir Christen eine Zukunftsoption sind. Die Zukunft erfordert, dass sich jede Glaubensüberzeugung oder Weltanschauung in den Dienst der gesamten Menschheit stellt. Davon sind wir leider sehr weit entfernt.

Dieter Althaus, Ministerpräsident a. D. 

49 

Christlicher Glaube befreit aus selbst verschuldeter Unmündigkeit. Er ist das Fenster der Vernunft. Wer es öffnet, atmet den Geist der Freiheit. Zynismus hat keinen Platz.

Christian Wolff, evangelischer Pfarrer in Leipzig 

50 

Der von Luther verordnete Selbstzweifel macht vielleicht nicht immer rasend glücklich. Aber wer mit Bomben und Macheten hantiert, um diesen Selbstzweifel in Schach zu halten, blutet schneller aus.

Mariam Lau, ZEIT-Redakteurin Hauptstadtbüro 

51 

Christsein heißt contemplatio in actione. Die Unterscheidung der Geister im Durcheinander dieser Welt praktizieren; Gott suchen und finden in allen Dingen; sich voll und ganz einsetzen, weil Gott uns hält.

Hans Zollner, Jesuit 

52 

Mich interessieren Zusammenhänge zwischen Religion und politischer Ordnung. Zum Beispiel fällt ins Auge, dass auf dem Index wahrgenommener Korruption, den Transparency International jährlich veröffentlicht, die Integritäts-Spitzenplätze kontinuierlich von protestantisch geprägten Ländern besetzt sind.

Gertrude Lübbe-Wolf, Bundesverfassungsrichterin a. D. 

53 

Christ sein heißt, im Leben und Sterben seine Hoffnung auf Christus zu setzen. In diesem Bekenntnis findet sich die Kirche geeint.

Gerhard Ludwig Müller, Kardinal und Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre 

54 

Dort, wo die Urchristen lebten, braucht es Sicherheit für Christen. Ihre Zukunft im Entstehungsgebiet der Botschaft Christi ist Voraussetzung für den friedlichen Dialog. Das Christentum darf nicht nachlassen, das offene Gespräch mit der anderen großen Religion, dem Islam, zu führen.

Cem Özdemir, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen

55 

»Christ sein bedeutet, nicht gewalttätig zu werden, wenn jemand einen Witz über den Heiland macht, keine Fahnen anzuzünden, keine Menschen zu töten, sondern, wenn der Witz gut ist, zu lachen. Auch Jesus hatte Humor: Er stellte sich drei Tage tot, nur um seine Jünger zu erschrecken.«

Felix Dachsel, ZEIT-Redakteur im Ressort Z 

56 

Luther sagt: »Der Glaube ist und soll auch sein ein Stehfest des Herzens, der nicht wackelt, bebt, zappelt und zweifelt, sondern fest steht und seiner Sache gewiss ist.« Glaube ist somit kein Glaube an etwas, sondern ein im Innersten gewonnenes Lebensvertrauen. Es hilft, Selbst- und Weltzweifel ebenso zu bestehen wie Belastungen und Ängste.

Friedrich Schorlemmer, evangelischer Theologe 

57 

Für mich ist es unchristlich, die Welt zu verachten, nur weil sie plural ist. So macht man Religion zur Waffe. Ohne Pluralismus keine Aufklärung. Wer davor Angst schürt, vor dem muss man Angst haben.

Eva Bucher, ZEIT-Autorin 

58 

Christlich ist, wer den Lehren Jesu nachstrebt. Heute würde das bedeuten, angesichts der Verbrechen der Kirchengeschichte um Vergebung zu bitten. Und den Andersgläubigen und Ungläubigen ein Vorbild an Toleranz zu werden.

Gero von Randow, ZEIT-Redakteur Politik 

59 

Christlich handeln heißt ethisch handeln und Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Das gilt für Unternehmer und Manager genauso wie für jeden Einzelnen. Es kommt auf die Tat an. Dieser Kern der Reformation gilt unverändert.

Rolf Buch, Vorstandschef, Dax-Konzern Vonovia 

60 

Sich dem Leben stellen, der von Gott anvertrauten Verantwortung! Das eigene Leben teilen, andere sehen, fühlen, achten, lieben! Etwas bewegen für die, die es selber nicht können und schaffen! Gutes tun und fröhlich jeden Tag wieder neu Christin werden.

Andrea Nahles, Bundesarbeitsministerin 

61 

Ein Christ soll Aug und Ohr aufmachen für das, was nottut. Er soll das Herz aufmachen, auch seine Grenzen. Er soll sich aufmachen. Offen sein. Aufbruch wagen. Ein guter Aufmacher wäre, wenn die katholische Welt zum Reformationsjubiläum titelte: »Versöhnte Verschiedenheit wird Wirklichkeit«.

Markus Schächter war Intendant des ZDF und berät jetzt den Vatikan 

62 

Christlich sein heißt auch heute antimodern sein, den Widerstand gegen den Zeitgeist zu wagen – auch wenn man dadurch Nachteile hinnehmen muss. Das war zur Zeit Jesu nicht anders als zu jener Thomas von Aquins, Luthers, des »Dritten Reichs« oder der DDR-Diktatur. 

David Berger, katholischer Theologe 

63 

Die Bibel, das Buch aller Christen, versammelt die schönsten, die schwierigsten Texte. Ihre Botschaft ist kein Rezept. Sie unterliegt dem ständigen Strom der Lesarten und Deutungen. Die katholische Kirche hat – trotz aller Entgleisungen – den Strom gebändigt und das genuin Christliche über 2000 Jahre hinweg bewahrt. Man kann es nicht definieren. Man sollte es feiern: in Liturgie und Eucharistie.

Ulrich Greiner, Kulturkorrespondent der ZEIT 

64 

Je mehr die christlichen Kirchen auf Randfragen fixiert sind, desto mehr verlieren sie ihre Mitte aus den Augen. Wenn Gott nicht im Mittelpunkt steht, schaffen die Kirchen sich selbst ab. 

George Augustin, Professor für Dogmatik 

65 

Gott offenbart sich nicht nur sonntags zwischen 10 und 11 Uhr. Die transzendente Natur unseres Lebens ist entweder gar nicht oder immer präsent – wir sind in der Regel nur zu abgelenkt, um sie wahrzunehmen. Daher: Christ sein heißt, ein Sensorium zu entwickeln für das, was jenseits des Weltgetriebes liegt. 

Ulrich Schnabel, ZEIT-Redakteur Wissen 

66 

Ich halte es mit dem jungen Luther. Der rät 1515 einem Mitbruder, nicht den eigenen Kräften zu vertrauen, sondern in der Verzweiflung zu sagen: Herr Jesus, du bist meine Gerechtigkeit! Christlich ist also das Akzeptieren der eigenen Unvollkommenheit.

Stefan Rhein, Direktor der Luther-Gedenkstätten 

67 

Das Christentum ist herrlich ungerecht. Als Heranwachsender leuchtet einem nicht ein, dass der verlorene Sohn wieder aufgenommen wird, obwohl er das Geld des Vaters verprasst hat. Und warum man die andere Wange hinhalten soll? Auf dem Schulhof war man nur zu schwach, sich zu wehren. Trost dieser seltsamen Religion: Die Schwachen sind die Starken – und dies nicht erst im Himmelreich.

Adam Soboczynski, ZEIT-Ressortleiter Feuilleton 

68 

Gott die Ehre zu geben, statt Irdisches zu vergötzen: sich um seine Mitmenschen zu sorgen, statt nur um sich selbst zu kreisen; in der Freiheit zu bestehen, statt sie nur in Anspruch zu nehmen – das ist für mich Leben aus dem Geist der Reformation. Eine Zeit, in der die Vergötterung des Geldes und der Egoismus nach der Vorherrschaft drängen, braucht Menschen mit Demut vor Gott, mit Liebe zum Nächsten und der Bereitschaft zu verantworteter Freiheit. 

Wolfgang Huber war Ratsvorsitzender der EKD 

69 

Die Zukunft der Reformation ruht tief in ihrer Vergangenheit, dort, wo Luthers Hass auf die Juden begann. Barmherzige Christen ließen die Schoah geschehen. Eine glaubwürdige Reformation erfordert die Aufarbeitung der Vergangenheit und verurteilt den neuen Antisemitismus im Gewand von Antizionismus. Zum gegenseitigen Respekt zwischen Juden und Christen gibt es keine vernünftige Alternative. Gott sei Dank.

Louis Lewitan, Coach 

70 

Die Christen müssen daran erinnern, dass alle Vielfalt der Sprachen, Religionen, Kulturen nichts ist, worauf die Menschen stolz sein können. Denn im Anfang gab es nur eine Sprache und eine Kultur. Der Hochmut der Menschen hat diese universale Einheit zerstört, wie man in der Geschichte vom Turmbau zu Babel nachlesen kann. Jetzt und immer gilt es, die alte Einheit der Menschheit zu suchen und mit Gottes Gnade wiederherzustellen.

Benedikt Erenz, ZEIT-Reporter 

71 

Heute wäre christlich, von Jesus als Juden zu sprechen, ohne gleichzeitig das Judentum als defizitär herabzusetzen und das Andauern des Bundes Gottes mit dem jüdischen Volk in Zweifel zu ziehen.

Walter Homolka, Rabbiner 

72 

Als ich nach dem Tod von Rupert Neudeck, dem Gründer von Cap Anamur, noch einmal ein Interview mit ihm im Radio hörte, dachte ich: Das ist wahrhaft ein von christlichem Handeln bestimmtes Leben. Schon bei seiner ersten Aktion rettete er Menschenleben, obwohl er nicht wusste, wo die Geretteten unterkommen sollten. Er hat den Menschen wichtiger genommen als die Regel, wie Luther. Ich glaube, es geht auch eine Nummer kleiner: jeden Menschen als Menschen sehen und ihm so im Alltag begegnen. Das ist für mich christlich.

Julia Jäkel, CEO Gruner + Jahr 

73 

Diese Woche stand ich in den Alpen auf 2200 Meter Höhe, der Himmel riss auf, und Zugspitze, Albspitze, Wetterstein waren zu sehen – es war überirdisch schön. Sosehr ich im städtischen Alltag zu den Zweiflern gehöre, dort oben nicht. Dort packt mich Ehrfurcht vor der, ich könnte sagen Natur, aber ich denke – Schöpfung. Christlich ist, so viel Schönheit nicht als Zufall zu betrachten und im Tal seinen Teil dazuzutun, sie zu erhalten.

Götz Hamann, ZEIT-Redakteur Digitaler Wandel 

74 

Das Adjektiv christlich? War mal eine Hegemonialkeule: Attribut der Mehrheitsgesellschaft, Zutat einer Leitkultur, Synonym für anständig. Das ist vorbei. Heute, in unserer säkularen Vielfaltsgesellschaft, bezeichnet »christlich« nur noch eine Kategorie von Religion, Punkt. Diese Präzision ist gut für Gläubige wie Nichtgläubige.

Stefan Schmitt, Stellv. ZEIT-Ressortleiter Wissen 

75 

»Christlich« bedeutet für mich als Muslim in erster Linie Religion als Privatsache, eine immer wieder kritische Auseinandersetzung mit dem Glauben und eine zeitgemäße Auslegung religiöser Grundsätze.

Abdul-Ahmad Rashid, ZDF-Redakteur und Islamwissenschaftler

76 

Mein Vers für die Tür: Im Matthäus-Evangelium steht: »Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.« So übersetzt Herr Doktor Luther die fünfte Lobpreisung. Illusion? Aber ein Ziel!

Jürgen Flimm, Intendant der Berliner Staatsoper 

77 

Für mich bedeutet christlich vor allem: achtsam mit seinen Mitmenschen umgehen! Im Alltag Nächstenliebe, Mitleid und Toleranz zeigen! Aber auch die Freude über häufige kleine Wunder gehört zum Christentum. Und gelegentlich über ein größeres. Ist es nicht wundervoll, dass wir seit über 70 Jahren fast überall in Europa Frieden haben – nach Jahrtausenden ständiger Kriege? Und dass die Würde des Menschen die Leitidee unseres Grundgesetzes ist?

Rainer Esser, Geschäftsführer des ZEIT-Verlages 

78 

Christlich ist, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu kennen – und zu verstehen, dass der Gesunde den Ekel vor dem Verblutenden überwindet, für ihn sorgt und, wenn er es selbst nicht mehr kann, andere damit beauftragt und dafür bezahlt. Fremdenliebe ist die Revolution, die das Christentum in die Welt gebracht hat.

Ellen Überschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages 

79 

Christin zu sein bedeutet für mich die Verpflichtung: Geld und materiellen Erfolg nicht zu wichtig nehmen und Menschen nie daran zu messen. 

Elisabeth Niejahr, ZEIT-Redakteurin im Hauptstadtbüro 

80 

»Wir schaffen das« ist für mich Christentum, verdichtet in drei Worten.

Karen Heumann, Vorstand der Agentur thjnk 

81 

»Ich wünsche mir in diesen Zeiten der Wut öfter mal einen Luther, der den ganzen Pegidas, Hatern und Reichsbürgern die christlichen Grundwerte unseres Abendlandes an die Tür nagelt.«

Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen, Obmann im Bundestagsausschuss Digitale Agenda 

82 

Zu der Barmherzigkeit, die Angela Merkel mit dem demütigen Hochmut einer Protestantin ihrem Volk verordnet hat, gibt es als Kontrapunkt nur eins: die zutiefst christliche, für zeitgemäße Inanspruchnahme nicht zur Verfügung stehende Musik von Johann Sebastian Bach. Ein Leben ohne Bach wäre arm und trostlos.

Petra Kipphoff, ZEIT-Autorin 

83 

Beim Feierabendbier in der Kneipe wollte mein bester Freund mich überzeugen, dass Gott nur eine menschliche Bierlaune ist. An eine Bierlaune zu glauben, die Gott ist, antwortete ich, ist immer noch besser, als an nichts zu glauben und Bier zu trinken.

Raoul Löbbert, Redaktionsleiter »Christ & Welt« 

84 

Nicht aufgeben! Wenn ich knapp davor bin, kommt mir dieser Paulus-Satz zu Hilfe: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Michael Göring, Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung 

85 

»Hospital« kommt von Gastfreundschaft. Und »Charité« nicht von Shareholder. Mitgefühl und Solidarität sind der Kern abendländischer Medizin. Für Christen ist kein Mensch »Fallpauschale«, Mammon. Schmerz und Einsamkeit haben nicht das letzte Wort. Es gibt nach Luther auch ein »Heilertum« aller Gläubigen: Wenn wir jemandem die Hand reichen, haben wir »heilende Hände«. Ja, wir werden alle eines Tages sterben. Aber an allen anderen Tagen eben nicht! 

Eckart von Hirschhausen, Kabarettist 

86 

Christlich ist es, sich von christlichen Werten wie Nächstenliebe leiten zu lassen – auch und gerade im Umgang mit Menschen, die keine Christen sind.

Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender Daimler AG 

87 

Welche Sünden mochten die im Fegefeuer kochenden Männer begangen haben, die vom Lindwurm vergewaltigten Frauen? Ich denke an Gewalt und Unrecht heute, die Menschen einander im Namen höherer Moral zufügen: Da schätze ich mich glücklich, mit offenem Haar durch den Park zu spazieren, frei zu wählen, was ich studiere, wer unser Land regiert, mit wem ich das Bett teile. Luthers Abkehr von der Gewaltandrohung im Namen Gottes machte das friedvolle Miteinander von Männern und Frauen möglich. Das Sicherheitsgefühl der Frauen ist die zarteste, fragilste Errungenschaft der westlichen christlichen Welt.

Julia Franck, Schriftstellerin 

88 

Mein Glaube definiert sich nicht über Rituale oder strenge Regeln, was ich wann genau tun muss. Dagegen muss ich mich aber immer fragen und fragen lassen können, ob mein Handeln und mein Wirken von Jesus gebilligt würden.

Frank J. Weise, Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

89 

»So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!«, sagt Jesus. Im Judentum heißt es noch knapper: »Das Gesetz des Königreiches ist das Gesetz.« So wurde die Trasse zum modernen liberalen Staat gelegt, der auf der Trennung von Thron und Altar ruht, wo Bürgerrechte nicht vom richtigen Glauben abhängen. Diesen Schritt hat der Islam noch nicht getan; die weltliche Macht hat sich dem göttlichen Gesetz zu beugen.

Josef Joffe, Herausgeber der ZEIT 

90 

Reformation, Gegenreformation und Konfessionalisierung haben dazu geführt, dass eine ursprünglich »katholische« Weite des Christentums in enge, konkurrierende Konfessionskirchen aufgespalten wurde. Heute gilt es, das Ganze der christlichen Botschaft, ihre Vielfalt wiederzuentdecken, denn catholon heißt ja »gemäß dem Ganzen« und widerspricht allen Fundamentalismen. 

Hubert Wolf, Kirchenhistoriker 

91 

Für besonders christlich halten sich Europas Radikalpazifisten. Sie predigen gegen Waffen, als gehörte dazu Mut. Mutig aber sind Christen im Irak, die sich mit Waffen gegen den »Islamischen Staat« wehren. Junge Kämpfer tragen als Tätowierung ein Kreuz. Es ist das Symbol für das Ende aller Gewalt. Trotzdem wütet sie weiter. Dieses Dilemma zu leugnen und anderen vom sicheren Hochsitz der Moral Pazifismus zu empfehlen ist nicht christlich, sondern brutal. 

Evelyn Finger, ZEIT-Ressortleiterin Glauben & Zweifeln 

92 

Das Kreuz. Wir haben es durch Rauchverbots-Schilder ersetzt. Und im schwarzen Nachmittag auf Golgota stirbt der geschundene Leib, Augen voller Blut und Wasser, die Zähne bis zu den Wurzeln entblößt, Schwärme von Fliegen an Händen und Füßen, von allen verlassen, auch von seiner Religion.

Thomas Hürlimann, Schriftsteller 

93 

»Effata!«, sagte Jesus zu dem Taubstummen, das heißt: Öffne dich! Jesus berührte Zunge und Ohren, und der Mann konnte hören und reden. Dieses »Effata!« verstehe ich als Auftrag für Christen heute: erst hören und die Wahrheit suchen, dann aufstehen und bekennen. 

Manuel Hartung, ZEIT-Ressortleiter Chancen 

94 

Im 500. Jahr nach Luther ist die Rolle der Autoritäten in den Kirchen weiter zu hinterfragen. Was der Glaube bedeutet, welche ethischen Schlüsse zu ziehen sind, das sind individuelle Fragen aufgeklärter Menschen. Bischöfe können Argumente bieten, aber keine Schablonen für Lebensführung. Mehr Raum für individuelle Überzeugung kann dem Christentum nicht schaden.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP 

95 

Wenn die Kirchen und Kathedralen im Winter geheizt wären, würden die Gläubigen nicht so oft Schnupfen haben. Und sie würden nach dem Gottesdienst auch nicht immer so böse schauen und jeden verachten, der nicht mit ihnen gefroren hat.

Maxim Biller, Schriftsteller 

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 ... und ich habe da ja schon vor geraumer zeit meinen senf dazu getan:


bild zum sonntag: zwergstrauchheide am kahlen asten - david hockney nachempfunden

nach 500 jahren: franziskus = luther - luther = franziskus

längst überflüssig: Ist das verbraucht - oder kann das weg ... ???

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(bildquelle: nw)


 Ab in den Papierkorb

Ist das verbraucht - oder kann das weg ... ???

Aktion: Zahlreiche Leser haben uns ihre "überflüssigen Worte" geschickt. "Sozusagen" und "nichtsdestotrotz" führen die Liste an

Von Stefan Brams | NW

Auf der Frankfurter Buchmesse konnten Gäste "überflüssige Worte"abgeben. Der Künstler Dirk Hülstrunk hatte die Aktion in seinem "Büro für überflüssige Worte"gestartet. Die Berichterstattung über Hülstrunks Aktion hatten wir zugleich mit einem Aufruf an unsere Leser verbunden, uns ihre "überflüssigen Worte" zu schicken. Mehr als 30 Leser haben mitgemacht. Hier eine Auswahl der Leser-Vorschläge.

Führte Hülstrunks Hitliste das Füllwort "eigentlich"an, so landete bei unseren Lesern "sozusagen" ganz vorne. Günter Sahm hat beobachtet, dass SPD-Chef Gabriel es "fast in jedem zweiten Satz verwendet". Für Sahm ist es schlicht "Wortmüll, der ab in den Korb gehört". Monika Höhne hat festgestellt, dass Kanzlerin Merkel sprachlich zumindest ganz nah bei ihrem Vize ist und ebenfalls nicht auf "sozusagen" verzichten mag. Verwendet werde es von ihr "wie immer ohne sinnvollen Zusammenhang". Für Eva Steffens ist es schlicht ein "Graus" und Renate Schröder findet es "entsetzlich - ein Wort ohne jede Aussage".

Uta Ulrich aus Detmold mag das Wort "oft" nicht, das sie zudem "unschön falsch" findet. Sie plädiert dafür, es durch "häufig" zu ersetzen. Ihre Begründung: Letzteres sei wunderbar zu steigern: "häufig, häufiger, am häufigsten. Und wie ist es mit ,oft?: etwa oft, öfter, am öftersten? Sogar der Rechner unterstreicht es als falsch."

Bernhard Zurheide gibt "nur" und "auch" ab. Mit "nur" werde versucht, die größten Gemeinheiten und Schlechtigkeiten herunterzuspielen". Und "auch" ist für ihn ein "typisches Mitmach- und Mitläuferwort"."Ich wollte nur auch mal eine Mail an Sie senden", schließt er seine Zuschrift augenzwinkernd.

Monika Höhne macht es kurz: "Der Ausdruck ,sag ich mal'ist genauso beliebt wie überflüssig!". Monika Hüls hält das Wort "superlecker" für überflüssig, "weil es nur wenig aussagt". Und da man es überall liest, nehme man es kaum noch ernst. Und so entgehe einem vielleicht, "dass sich mal auch etwas wirklich besonders Schmackhaftes dahinter verbirgt".

In dem Satz "Ich kann leider nicht persönlich kommen", hält Ursula Mecking das "persönlich" für überflüssig. "Vielleicht unpersönlich?", fragt sie zurück.

Wilfried Thiede hat beobachtet, dass offenbar kein Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit mehr ohne Forderung nach einem "neuen Narrativ" auskommt. Er mutmaßt, dass es offensichtlich den "Paradigmenwechsel" abgelöst hat. Zudem kritisiert er, dass "zeitgleich" das treffendere "gleichzeitig" abgelöst hat und mutmaßt: "Möglicherweise ist es aus dem Sportteil der Zeitungen in den allgemeinen Sprachgebrauch herübergeschwappt."

Für Sigrid Tenge-Erb ist die Satzeinleitung "ich denke""eine überflüssige und zugleich arrogante Einleitung zur Darstellung einer persönlichen Meinung". Liesel Schmüser hat sich angewöhnt während eines Gesprächs im Freundes- oder Familienkreis Füllwörter mitzuzählen. Vor allem "im Prinzip", "halt", "lange Rede kurzer Sinn" sind ihr dabei als häufig benutzte Füllwörter negativ aufgefallen.

Manfred Düscher stößt die Formulierung"Würde ich sagen" negativ auf, "denn entweder ich sage etwas oder eben nicht und komme nicht so pflaumenweich daher". "Wörter" hält er auch für überflüssig, weil "Worte" der korrekte Plural sei.

"Dämlich" findet Peter Sewerin "nichtsdestotrotz" und "zeitnah". Ersterem schließt sich auch Christine Reuner an und bringt zudem ihre Abscheu gegenüber dem Wort "Erwartungshaltung" zum Ausdruck. Für Brigitte Nischik ist "nichtsdestotrotz" ein "Dada-Wort, das sich in die deutsche Sprache eingeschlichen hat." Eveline Taut hält "von daher gesehen" für überflüssig und Bianca Radau findet "bio" sogar "völlig überflüssig". "Ich frage mich jedes Mal von welchem Agrarplaneten die Produkte stammen sollen und wie viele Lichtjahre der wohl entfernt ist".

Jakob Geier regt sich über die inflationäre Verwendung von "definitiv" auf, "an dessen Stelle doch ein einfaches ,Ja? genügen würde".

Das Wort "immer" möchte Maria Ast gestrichen wissen. Ihre Begründung: ",Immer? kann nur Enttäuschung, Frust, Unfrieden produzieren - weil wir es mit etwas Absolutem gleichsetzen. Freiheit und Frieden, Versöhnung, Verständnis und Veränderung ist mit ,immer? nicht zu erreichen."

Zum Schluss dieses Artikels sei Sabine Hütwohl zitiert. Sie empfiehlt uns Abschied zu nehmen von "mal gerade eben". Denn alles, was wir "mal gerade eben" machen wollen, klappt sowieso nicht, wie wir uns das in dem Moment wünschen. Irgendwas kommt immer dazwischen. Dazu fehlt dann wohl doch schlicht die Konzentration, die jede Tätigkeit für sich scheinbar braucht. So führen diese Worte ständig zu enttäuschten Erwartungen, zu Frust." Und wer will das schon. Daher ab in den Papierkorb damit.

© 2016 Neue Westfälische, Montag 31. Oktober 2016



ich habe bereits am 21.10. in diesem blog (link) über das "büro für überflüssige worte" vom künstler dirk hülstrunk berichtet - und von einer ganzen reihe von wortschrott - und möchte deshalb diese leserbefragung der nw hinzufügen ... - 
wiederum muss ich in diesem zusammenhang auf den ollen luther verweisen, der ja derzeitig in aller munde ist: er hat ja bei der übersetzung der bibel gern "dem volk auf das maul geschaut" - der publizist bruno preisendörfer meint zu luther: "Luther war ein wortgewaltiger Mensch, bisweilen auch ein echter Abkanzler, der mit viel Einfallsreichtum auf allen Ebenen herumpolterte – womit er gewissermaßen dem "Sound" seiner Zeit entsprach, der kulturgeschichtlich als Grobianismus charakterisiert worden ist. Gegen diesen Grobianismus gab es damals schon Kampfschriften, die ihrerseits so wortgewaltig wie wortgewalttätig waren", - und deshalb werden wir auch 500 jahre später immer wieder inflationäre und falsche benutzung von worten hören - jeweils in wellen - wie wir es ja schon von der mode und den sitten kennen.
zur zeit wundert man sich ja allerseits über die "verrohung" der sprache: und mit all diesen vermeintlichen füllseln zeichnet sich eben auch eine "hochsprache" aus - mit "lügenpresse - halt die fresse" ist eben auch ein selten erreichter tiefpunkt in bildung, "deutscher" (!) sprachverschlankung und denkfaulheit erreicht - in diesem unserem lande ...

neben dem wort "grenze", über das ich mich ja schon ausgelassen hatte - muss ich das wort "gerne"diesem wort- und sinnschrott hinzufügen ...: an jeder discounterkasse, in jedem restaurant, bei jedem friseur, bei jeder weiteren dienstleistung wird dieses wort geradezu reflexiv und tatsächlich inflationär verwandt: und dadurch gerät der tatsächliche sinn z.B. in "ich hab dich zum fressen gern" völlig in misskredit... 
liebe dienstleiter: verzichtet in euren serviceschulungen auf dieses "unwort" - das wort "gerne" habt ihr in seiner schönen freundlich vereinnahmenden bedeutung endgültig verbrannt ... S!


die überflüssigsten worte aus dem "büro"...

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