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FATHER JOHN MISTY


Tägliches Kontrastprogramm unserer "gerechten" Welt ...

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Meldungen meiner Tageszeitung von heute morgen:

Das ist nun von der deutschen "Willkommenskultur"übriggeblieben - die Merkel-Administration ist sang- und klanglos eingeknickt vor PEGIDA, AfD, Seehofer und Ost-€uropa - sowie den international künstlich geschürten und aufgeblähten Übergriffs- und Anschlags-Ängsten ... (Stichwort: #lastnightinsweden) ...: 

Nun werden selbst Menschen aus Afghanistan abgeschoben, wo es "sichere Regionen" geben soll (de Maiziere) - so sicher - dass die Bundeswehr immer noch dort "am Hindukusch unsere Freiheit verteidigen muss" (Peter Struck, 2012 verstobener ehemaliger Verteidigungsminister im Kabinett Schröder ...) - 

Von den Zuständen an Spaniens millionenschweren Grenzzäunen in Gibraltar und in der spanischen Exklave Ceuta an der marokkanischen Küste nach "Nafri" ("Nordafrika" im internen Polizei-Sprachgebrauch) ganz zu schweigen - oder den Zuständen in türkischen oder griechischen Flüchtlingslagern - sowie den vielen tausend Flüchtlingsleichen im Mittelmeer ...:

  • ab - die Post: 
  • ab-schieben und 
  • ab-schotten 

statt vernünftiger Politik - und so bleibt uns das Problem auf die nächsten Jahrzehnte garantiert erhalten ...




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Apropos spanischer Grenzzaun in der spanischen Exklave Ceuta an der marokkanischen Küste - 

Genau auf der anderen Küstenseite - im nahegelegenen auch durch Zäune gesicherten Gibraltar - trägt sich dieser Tage folgendes Kontrastprogramm zu:

Nach dem beigelegten Streit um unbezahlte Rechnungen in Millionenhöhe hat die größte Segeljacht der Welt Gibraltar verlassen. 

Die in Kiel gebaute 143 Meter lange und 90 Meter hohe keilförmige, futuristisch aussehende "Sailing Yacht A" lag dort etwa eine Woche an der Kette wegen einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Eigner, dem russischen Milliardär Andrej Melnitschenko, und der schleswig-holsteinischen Nobiskrug-Werft. Vor einem Gericht in Gibraltar hatten sich die Parteien über die Zahlung von 15,3 Millionen Euro geeinigt. Foto: dpa


Flüchtling auf spanisch-uropäischen Grenzzaun  (Archiv)


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#Bielefeldbuntundweltoffen

Bündnis gegen Rechts: Jeder Bürger kann sich ablichten und auf Facebook stellen - und so ganz
persönlich Gesicht zeigen für eine bunte Stadt. Das Ende der Aktion ist zunächst offen

Von Kurt Ehmke (NW)

Bielefeld. Eine starke AfD, fremdenfeindliche Töne aus Washington und Paris - der Rechtspopulismus blüht auf. Dem will das Bündnis gegen Rechts nicht tatenlos zusehen. Es hat eine neue Aktion, eine, die nicht gegen etwas ist, sondern für etwas: Für "ein weltoffenes und buntes Bielefeld". Wiebke Esdar: "Das ist uns wichtig, wir wollen proaktiv ein positives Zeichen setzen."

Und so soll es aussehen: Es wurde eine transportable Stell-wand produziert, dazu weitere Banner und Plakate - alle mit demselben Slogan. Die Bielefelder sollen sich nun in jedweder Form mit dem Handy vor diesen ablichten - und so Gesicht zeigen und am Ende ein Fotoalbum füllen. Einerseits will das Bündnis selbst mit der Stellwand an vielen Orten der Stadt auftauchen, andererseits wird alles aber auch verliehen und kann so für Aktionen genutzt werden - es könnte sich also der komplette Fußballklub genauso zeigen wie der Saunaklub.

Klaus Rees: "Uns geht es darum, dass die Menschen ihr ganz eigenes, persönliches Bekenntnis ausdrücken." Rees weiter: "Keiner von uns ist hier Partei, die Aktion ist deshalb ohne jede Grenze einsetzbar." 

Bis wann? "Bis unsere Initiative überflüssig geworden ist", sagt Sozialpfarrer Matthis Blomeier.
Termine, Kontakt, Transparent-Verleih, Aktionswochen und mehr


  • Die Fotos können bei Facebook hochgeladen werden - verlinkt werden sollen sie auf die Seite facebook. com/Bielefeld StelltSichQuer
  • Erbeten wird die Nutzung dieser beiden Hashtags: BielefeldzeigtGesicht Bielefeldbuntundweltoffen
  • Wer Transparente für Aktionen leihen möchte, mailt an bielefeld_stellt_sich _quer@yahoo.de
  • Der gesamte März gehört den "Aktionswochen gegen Rassismus" - das Motto lautet dieses Jahr: "Rassismus - nicht mit mir!"
  • Den Abschluss bildet am 31. März ein Fest der Vielfalt in der Volkshochschule
  • Um die offene Gesellschaft geht es am 26. Februar im TAM - ab 11 Uhr

© 2017 Neue Westfälische
03 - Bielefeld-Sennestadt, Donnerstag 23. Februar 2017

Todesfälle durch Homöopathie ???????????????????

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Lesen Sie die ganze Meldung dazu hier
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da macht der spiegel ganz groß auf dicke hose mit der schlagzeile "...Todesfälle durch Homöopathie" - richtiger aber wäre die überschrift:
"Behörde prüft Todesfälle durch falsch dosierte Homöopathie-Globuli an Kleinkindern" gewesen.

man kann fast die uhr danach stellen, wann immer wieder durch den blätterwald aufmacher gegen die homöopathie geistern - und ich werde den verdacht nicht los, als sei dazu neben der vermeintlichen sensation auch dabei eine gehörige portion von bezahlten pr-fake-news der pharmazeutischen konkurrenz und der allopathischen ärztevereinigungen - denn gleichzeitig wird ja auch in dem artikel vermeldet: australien, die usa und russland hätten die homöopathie "offiziell" an den pranger gestellt - nur hier in deutschland, dem geburtsland der homöopathie durch den arzt samuel hahnemann (1755-1843), übernimmt jetzt eine parlamentarische staatssekretärin die schirmherrschaft eines homöpathischen ärztetages - aber das sei ja vielleicht auch dem hier tobenden wahlkampf geschuldet, denn viele hunderttausend bürger schwören auf die hahnemann-verdünnungen und -verschüttelungen oder die "schüssler-salze".

naja - und die usa (unter trump) und auch russland (unter putin) als die großen die homöopathie ablehnenden staaten sind ja auch in ihrer seriösität nicht mehr das was sie mal waren ... inwieweit dort korrupte oder pharmazeutisch-wirtschaftlich abhängige interessenverbände als regierungslobby mit den ton dafür angeben sei mal dahingestellt ...

ich nehme zum ein- und durchschlafen ab und an ein- bis zweimal  5 - 8 tropfen "neurexan" der firma "-heel" ein und hatte damit immer 100-prozentigen erfolg - sie hielten was sie versprachen. und was dabei nun die placebo-anteile, also reine einbildung, oder echte naturwissenschaftlich begründbare wirkweise ist, ist mir dabei völlig schnurz: was hilft hat recht - und "neurexan" empfahl noch neulich ein apotheker einer älteren dame, die nach schlaf-tabletten fragte ...




ich benutze noch ein paar andere ausgegoogelte homöopathische präparate - immer mit erfolg - und immer mit dem wissen, bei in deutschland verarbeiteten erzeugnissen: z.b. von der dhu (deutsche homöopathische union) - wala oder heel eigentlich auf der guten überprüften seite zu stehen - ohne nebenwirkungen - nur bei homöopathischen versandmitteln aus dem ausland sollte man vielleicht vorsichtig sein ... - die kommen mir nicht in die tüte:

aber da wird ja die crux liegen: wenn ich nach meinen jeweiligen gefühlten beschwerden mir ein passendes homöopathisches mittel ausgoogele, verlieren die ärzte und die allopathisch beherrschten pharmazeuten ihre einnahmen dabei - und das gut funktionierende "gesundheits"-system mit seinen milliardenschweren gewinnen erleidet etwas einbußen: denn: "je mehr er hat - je mehr er will ... nie schweigen seine klagen still" ... - und deshalb auch immer wieder der sturm auf die homöopathie ...

apropos placebo-wirkungen der homöopathischen mittel: meine nichte verabreicht ihrem hund z.B. bei durchfällen und anderen wehwehchen grundsätzlich homöopathische globuli von der tier-heilpraktikerin - auch immer mit promptem erfolg - obwohl der hund sich ja wohl keine eigenen placebo-wirksamen affirmationen entwickelt. allein irgendwelche wirkmächte lösen das wiederherstellen seines wohlbefindens aus ... - wir alle rätseln was das ist oder sein könnte und mit unserem "logischen" und kausalem denken ist das kaum zu erklären oder gar messbar nachweisbar - also somit "un-wissenschaftlich" - quacksalberei: aber - wer oder was heilt hat recht - basta ... S!


Rassistischer Brief an das "Miniatur-Wunderland" - Hamburg

rasterfahndung - upload

NordArtLaboratorium

Martin Lüttge ist tot

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Der "grüne" Volksschauspieler Martin Lüttge ist tot

von Peter Jungbluth | NDR



Martin Lüttge, dem breiten Fernsehpublikum besser bekannt als Tatort-Kommissar Bernd Flemming, ist am vergangenen Mittwoch im schleswig-holsteinischen Plön gestorben. Der gebürtige Hamburger, der zuletzt in Seedorf im Kreis Segeberg lebte, wurde 73 Jahre alt.

Martin Lüttge nach einer Fotobearbeitung von S!NED!

Bühne und Leben - beides musste für ihn immer zusammenpassen. Glaubwürdigkeit war ihm daher am wichtigsten. Martin Lüttge wollte vor allem ein aufrichtiger, ehrlicher Charakter sein - und das ist ihm geradezu vorbildlich gelungen.

Erfindung des Zelttheaters war die größte Rolle

Konsequent wie wenige andere verabschiedete er sich schon in den 70er-Jahren vom Staatstheater und zog fortan mit einem Zelt und einer freien Truppe durch Deutschland. Die Erfindung dieses Zelttheaters und die Zusammenarbeit mit den Schauspielern bezeichnete er selbst als seine größte Rolle und die intensivste Erfahrung seines Lebens.

Der Theaterhof Priessenthal in der Nähe des oberbayerischen Burghausen wurde dem gebürtigen Hamburger Martin Lüttge zur Heimat. Dort, auf einem versteckten Öko-Bauernhof, lebte er mit seinen Schauspielkollegen und schrieb moderne Volksstücke, die immer auch einen politischen Anspruch hatten und nie betulich waren. Dem volkstümlichen Theater warf er vor, "dass die Storys einfach so dämlich sind. Es kann ja gern eine Verwicklungsgeschichte sein, aber wenn sie an den entscheidenden Momenten einfach nicht stimmt, sondern einfach irgendwas behauptet wird, was Menschen nie tun, nur um eine seichte Schlusspointe hinzukriegen, dann finde ich das ein bisschen gemein, weil die Menschen sich doch im Theater einlassen."

Nachfolger von Götz George im Tatort

Szene aus dem Spielfilm "Der Lord von Barmbeck": Martin Lüttge als Julius Adoilf Petersen  1973 stand Martin Lüttge als Einbrecherkönig Julius Adolf Petersen, bekannt als "Lord von Barmbeck", vor der Kamera.
Das breite Publikum kannte Martin Lüttge natürlich als Tatortkommissar Bernd Flemming. 15 Mal stand er für den WDR in Düsseldorf vor der Kamera, als Nachfolger von Götz George. "'Was für eine Figur könntest du dir vorstellen', wurde ich gefragt", erinnerte er sich später daran. "Da habe ich gesagt, dass ich eine bestimmte Art von Krimis überhaupt nicht mag: reine Action und Geballer und Angstmache. " Seine Figur solle dagegen etwas Bodenständiges und Normales haben und sich psychologisch an einen wirklichen Polizisten anlehnen, so Lüttge.

Als junger Mann ging Martin Lüttge Ende der 50er-Jahre nach England, wo er auf einem Kälbermasthof arbeitete. Doch rasch begeisterte er sich für die Schauspielerei. In München ließ er sich professionell ausbilden und wurde Mitte der 60er-Jahre für Film und Fernsehen entdeckt. Eine seiner ersten Rollen war ein Tresorknacker in der Serie Hafenpolizei. Als Einbrecherkönig Julius Adolf Petersen stand er 1973 in dem Film "Der Lord von Barmbeck" vor der Kamera.

Rechtschaffen und prinzipientreu wie wenige

Einfühlsam brachte Martin Lüttge auch die Gebrüder Grimm auf die Bühne. Zutiefst rechtschaffene, etwas dröge Germanistikprofessoren, die erst durch die politischen Umstände zu Kämpfern für Rechtsstaatlichkeit und freie Meinungsäußerung wurden. Aufrichtigkeit war auch hier das zentrale Anliegen."Wir halten uns für Mitbegründer der Grünen", so Lüttge. "Das war ja die gleiche Bewegung damals und wir sind dabei geblieben."

Wenige hielten so konsequent an ihren politischen Prinzipien und an ihrer Lebenseinstellung fest wie dieser Schauspieler, dem jeder Fanatismus völlig fremd war. Das machte Martin Lüttge daheim in Priessenthal zu einem ausgesprochenen Sympathieträger. Er konnte ein ganzes Dorf von sich überzeugen und das ist allemal schwerer als ein Staatstheaterpublikum zu begeistern.

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Ich habe in Bethel in den 70er Jahren Erika Lüttge, geborene von Delius (1915–1997) noch erleben dürfen - die Mutter von Martin Lüttge.  
Erika Lüttge war eine musisch äußerst begabte und durchsetzungsfähige emanzipierte Frau, die als gelernte Krankenschwester damals ein Haus für schwerst-mehrfachbehinderte Menschen in Bethel leitete. 
Hier hat sie schon damals den heute allgegenwärtigen Begriff "Inklusion" ganz praktisch ohne großes Bamborium gelebt, denn sie hat mit den stark gehandicapten meist epilepsiekranken und verhaltensgestörten Menschen mit großer Akribie kleine Theaterstücke "nach allen Regeln der Kunst" eingeübt.  
Ich erinnere eine Situation, als sie den für sie nicht ganz so wichtig bewerteten Leitungs-Facharbeitskreis absagte und stattdessen eine "Generalprobe" für ein "Schauspiel" im Rahmen des nächsten Elterntages in ihrem Haus als "viel wichtiger und unaufschiebbar" vorzog ... 
Für mich eine unvergessliche Frau - und im Zuge ihres Agierens traf ich auch einmal damals noch ganz unscheinbar auf den Sohn Martin Lüttge, der seine Mutter gerade besuchte - und dem man in den Gesichtszügen seine "Sohnschaft" durchaus ansah - dem ich beim gemeinsamen Herausgehen die Tür zufällig aufhielt ... 
Erst viel später wurden mir die Zusammenhänge dann klar - und wem ich da in diesem Augenblick die Tür aufgehalten hatte ... S!


Lieber Martin Schulz ... - ein Brief von Christoph Butterwegge

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Christoph Butterwegge - Cartoon-Bearbeitung: S!|art


Christoph Butterwegge trat 2005 wegen der Agenda 2010 aus der SPD aus. In einem offenen Brief an den SPD-Kanzlerkandidaten fordert er eine Abkehr von Hartz IV. (Quelle: FR)


Lieber Martin Schulz!

Kürzlich saßen Sie bei der Bundesversammlung neben mir in der ersten Reihe. Wir haben beide die soziale Gerechtigkeit zum Leitbild unserer politischen Arbeit erhoben, weshalb ich große Hoffnungen hinsichtlich einer Veränderung der Regierungspolitik unseres Landes in Sie setze. Illusionen bezüglich der Wandlungsfähigkeit einer Partei, aus der ich 2005 wegen der Agenda 2010, der Hartz-Gesetze und der Tatsache ausgetreten bin, dass sie trotz einer rot-rot-grünen Bundestagsmehrheit und der Möglichkeit einer Regeneration in der Opposition eine große Koalition mit der Union bildete, hege ich gleichwohl nicht.

Dadurch maßlos frustrierte Mitglieder und Millionen frühere Wähler der SPD projizieren heute ihre politischen Wunschvorstellungen auf Sie, obwohl sie die Parteiführung in der Vergangenheit immer wieder enttäuscht hat. Auf mehrere Tausend Neueintritte seit Ihrer – von Sigmar Gabriel schlau inszenierten – Nominierung als Kanzlerkandidat und SPD-Vorsitzender können Sie stolz sein. 1972, im Jahr des „Willy“-Wahlkampfes, wurden allerdings mehr als 100 000 Mitglieder unter 35 Jahren aufgenommen. Trotzdem hat die wenig später mehr als eine Million Mitglieder zählende Partei momentan nicht einmal mehr 500 000. Dass jedoch vor allem viele junge Menschen in die SPD drängen, seit Sie Angela Merkel herausfordern, zeigt die enorme Anziehungskraft solcher Ideale wie Solidarität und sozialer Gerechtigkeit zu einer Zeit, in der sich die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft.

Wie mir scheint, haben Sie die wachsende soziale Ungleichheit als Hauptproblem der Gesellschaftsentwicklung erkannt, gehen aber nicht über Andeutungen hinaus, wie die bestehenden Verteilungsverhältnisse korrigiert werden können. Sonst müssten Sie mit Hartz IV auch den Kern des Reformwerks infrage stellen, das Gerhard Schröder in seiner „Agenda 2010“ genannten Rede begründet hat. Die harten Zumutbarkeitsregelungen und die drakonischen Sanktionen der Jobcenter vor allem für unter 25-Jährige sind nicht bloß für die Betroffenen entwürdigend, sondern haben auch Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften genötigt, schlechtere Arbeitsbedingungen und niedrigere Löhne zu akzeptieren. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Änderungsvorschläge dazu.

Was nützt den Erwerbslosen die von Ihnen ins Gespräch gebrachte Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere, wenn ein Viertel aller Neuzugänge überhaupt nicht in seinen Genuss kommt und die große Mehrheit der Erwerbslosen bloß noch das Arbeitslosengeld II bezieht? Im Rahmen des „Hartz IV“ genannten Gesetzespaketes wurde mit der Arbeitslosenhilfe eine den Lebensstandard der Langzeiterwerbslosen noch halbwegs sichernde Lohnersatzleistung, die 53 bzw. (bei Vorhandensein unterhaltsberechtigter Kinder) 57 Prozent des letzten Nettoentgelts betrug, durch eine Lohnergänzungsleistung auf Fürsorgeniveau, das Arbeitslosengeld II, ersetzt. Dies war der mit Abstand schwerste Eingriff in das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik. Dazu kann heute kaum schweigen, wer glaubwürdig für mehr Gerechtigkeit eintritt.

Zwar konzedieren Sie, dass die SPD im Rahmen der „Agenda“-Politik bestimmte Fehler gemacht hat, die Sie nach Ihrer Wahl zum Bundeskanzler korrigieren möchten. In Wirklichkeit war die Agenda 2010 aber selbst der entscheidende Fehler und ihre Konzeption des „aktivierenden“ Sozialstaates grundfalsch, weil diese den Erwerbslosen unterstellt, passiv und deshalb an ihrer Situation selbst schuld zu sein. Dagegen beruht die Politik des aktiven Sozialstaates, wie man ihn bis dahin kannte, auf der Erkenntnis, dass nicht die Betroffenen faul sind, sondern das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem sie leben.

Sie, verehrter Martin Schulz, beschränken Solidarität m. E. zu sehr auf die Mitte der Gesellschaft und fordern Gerechtigkeit für „hart arbeitende Menschen, die sich an die Regeln halten“, wie das schon Bill Clinton tat, bevor er die US-amerikanische Sozialhilfe abschaffte. Millionen Erwerbslose würden gern hart arbeiten, sind jedoch – manchmal jahrzehntelang – durch ihre schlechte berufliche Qualifikation, eine Betriebsschließung oder eine schwere Krankheit daran gehindert. Die nächste – hoffentlich von Ihnen geführte – Bundesregierung sollte sich zuerst um diese Erwerbslosen, sozial am meisten Benachteiligten und Transferleistungsbezieher kümmern, weil alle Menschen – keineswegs nur Berufstätige und Gesetzestreue – das Recht haben, in Würde zu leben.

Selbiges gilt natürlich für Kleinstrentnerinnen und Kleinstrentner. Denen und Millionen Arbeitnehmern nützt die von Ihnen angekündigte „Stabilisierung des Rentenniveaus“ wenig, weil sich Letzteres aufgrund der unter Rot-Grün in die Rentenanpassungsformel eingefügten Dämpfungs- oder besser: Kürzungsfaktoren der Armutsgrenze immer stärker annähert. Erforderlich wäre die Rückkehr zum Rentenniveau der Jahrtausendwende, als es 53 Prozent (heute: 48 Prozent) betrug und den Lebensstandard von jahrzehntelang  sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Ruhestand noch halbwegs garantierte. Die kürzlich von der großen Koalition beschlossene Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge schwächt die gesetzliche Rentenversicherung weiter und liefert deren Mitglieder erneut den Risiken der Kapitalmärkte aus, wo sich das auch vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel beklagte „Riester-Desaster“ jederzeit wiederholen kann.

Nötig ist die Absage an einen neoliberalen Gerechtigkeitsbegriff, wie ihn der letzte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vertrat, als er 2003 eine Lanze für „Leistungsgerechtigkeit“ brach und diese Position kurz vor der Bundestagswahl 2013 bekräftigte: „Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“ Nein, unser Sozialstaat muss sich um alle Menschen kümmern, die Probleme haben, auch und gerade um solche, die wie Schwerstbehinderte, Obdachlose und Drogenabhängige nicht als „Leistungsträger“ im Steinbrück’schen Sinne gelten können!


Martin Schulz - Cartoon-Bearbeitung: S!|art

In den jüngsten Meinungsumfragen liegt Ihre Partei zwar vor CDU und CSU. Um die von Ihnen erzeugte Aufbruchstimmung bis zum Wahlsonntag am 24. September 2017 zu erhalten, sind neben einem unverbrauchten, sympathischen und humorvollen (Spitzen-)Personal jedoch ein attraktives Programm, eine realistische Macht- bzw. Mehrheitsperspektive der SPD sowie ein gemeinsames Projekt der künftigen Regierungspartner erforderlich. Zusammen mit der Union wären soziale Gerechtigkeit und eine Agenda der Solidarität selbst mit Ihnen als Bundeskanzler nicht zu verwirklichen. Dazu bedarf es vielmehr einer rot-rot-grünen Koalition und einer breiten außerparlamentarischen Bewegung. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke verbindet das Bekenntnis zu einer solidarischen Bürgerversicherung, die – auf alle geeigneten Versicherungszweige ausgedehnt – den Sozialstaat wieder auf ein festes Fundament stellen und sich als gemeinsame programmatische Plattform einer R2G-Koalition eignen würde.

Kaum ertönt Ihr Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit mit der realistischen Chance eines politischen Richtungswechsels, schon warnen Lobbyisten, neoliberale Ökonomen und andere Bedenkenträger, der „Standort D“ könne unter der Bürde steigender Sozialleistungen zusammenbrechen. Angesichts der wütenden Reaktionen einzelner Wirtschaftsverbände auf Ihre bisherigen Reformvorschläge benötigen Sie mehr Mut, zu dem Frank-Walter Steinmeier nach gewonnener Wahl die Deutschen in seiner Rede vor der Bundesversammlung aufgefordert hat. Ohne weiterreichende Forderungen lassen sich nämlich auch im Falle Ihrer Wahl zum Kanzler die sozialen Verwerfungen und politischen Fehlentwicklungen seit der Jahrtausendwende nicht überwinden.

Mit solidarischen Grüßen

Ihr Christoph Butterwegge - http://www.christophbutterwegge.de/

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Zur Person
Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. 
Am 12. Februar 2017 kandidierte Butterwegge als Parteiloser für die Linke für das Amt des  Bundespräsidenten. 
Zuletzt hat er das Buch „Armut“ (PapyRossa Verlag 2017)  veröffentlicht. FR

S!NED!|art: Die Forsten treu zu hegen das Wildbret zu erlegen mein´ Lust hab ich daran - Halli. - oder: hirsch|heiß|ich

NS-"Euthanasie" trifft nach über 70 Jahren auf "gesunden Menschenverstand" - Skizze aus einer Förderschule ...

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Symbolische Situations-Illustration

NS-"Euthanasie" trifft nach über 70 Jahren auf "gesunden Menschenverstand" - 

Skizze aus einer Förderschule ...


Über 160 Schülerinnen und Schüler mit Körperbehinderungen, Beeinträchtigungen des Lernens durch Bewegungs- und Wahrnehmungsstörungen sowie Mehrfachbehinderungen bekommen in der Albatros-Schule in Bielefeld-Senne eine besondere auf ihre jeweilige Beeinträchtigung zugeschnittene Förderung.

Im Vordergrund steht die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und den Therapeuten und Therapeutinnen einer angegliederten Abteilung für Ergotherapie und Krankengymnastik sowie das Lernen und Leben im Ganztagsunterricht in kleinen Klassen nach individuellen Förderplänen.

So können größtenteils auch Schüler mit schweren Mehrfachbehinderungen in das Unterrichtsgeschehen und den Schulalltag integriert werden. Sie erleben gemeinsamen Unterricht, Spiel, Mahlzeiten, Pflege, Selbstständigkeitstrainig und therapeutische Behandlung. In den Klassen arbeiten Sonderschulkräfte und Fachlehrerinnen als Team, das zeitweise unterstützt wird von einer Kinderpflegerin, Krankenschwester oder "Bufdis" (Bundesfreiwilligendienstleistende) bzw. jungen Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr.

Jeweils 9 - 12 Schülerinnen und Schüler bilden eine Klassengemeinschaft und haben zusätzlich zum Klassenraum auch einen Förderraum für individuellen Unterricht, Spiel, Mahlzeiten oder Ruhephasen zur Verfügung. Neben einigen Therapieräumen für Ergotherapie, Psychomotorik, Krankengymnastik benutzen die Schüler auch ein Therapieschwimmbad, einen Werkraum, Musikraum und eine Lehrküche.

Auf Einladung der Lehrerin, Frau Rohe-Peitzmann, besuchte ich nun gestern eine Abschlussklasse dort, die sie mit einer weiteren Lehrkraft, Herrn Palm, und zwei Unterrichtshelfern betreut: Eine Klassengemeinschaft, bestehend aus 11 jungen Männern und einer jungen Frau im Alter von 17-18 Jahren mit unterschiedlichen körperlichen oder auch geistigen Handicaps oder auch Mehrfachbehinderungen.

Symbolische Situations-Illustration




Ich hatte mich auf diesen Besuch besonders vorbereitet, denn ich sollte dort vom "Euthanasie"-Opfer-Schicksal meiner Tante Erna Kronshage (1922-1944) berichten, wobei mir Frau Rohe-Peitzmann schon in der Einladung ja mitgeteilt hatte: "Das Thema 'Euthanasie' stellt für diese Schülergruppe natürlich eine besondere Herausforderung dar, da sie in der NS-Zeit ebenfalls davon betroffen gewesen wären."

Es ist also schon eine echte Herausforderung - für alle Beteiligten - aber irgendwie denke ich auch immer: Es ist wichtig, dass im Zeitgeist der "Inklusion" - der gleichberechtigten Hereinnahme und Teilhabe aller Menschen mit allen Macken und Nuancen in diese Gesellschaft - dieser Personenkreis aus den notwendigen und sie betreffenden geschichtlichen Informationen nicht ausgeklammert werden darf: Die NS-"Euthanasie" stellt ja wohl die perverseste und allerkonsequenteste Form einer "Ex-klusion" und totalen und unwiderruflichen Ausgrenzung dar - im Sprachgebrauch des NS-Regimes der "Ausmerze" - und trifft hier nach über 70 Jahren in der Albatros-Schule auf das diametral gegenüberliegende Gegenteil - auf den Geist der "In-klusion" und der Integration - und klärt so gut es geht darüber auf, das extreme politische Regime und Ideologien Behinderungen als nicht opportun erleben können - und manchmal sogar versuchen, sich ihrer ganz billig zu entledigen ...

Ich habe also meine bisherige "Routine"-PowerPoint-Präsentation einige Male entsprechend überarbeiten müssen und in den gezeigten Bildexponaten auch reduziert und vereinfacht - besonders eben auch in der Sprache - habe aber versucht, die immanente Komplexität des damaligen endgültigen "Euthanasie"-Geschehes um Erna Kronshage weiterhin in seinen diffizilen Gegebenheiten einigermaßen mitzuteilen.

Nach verschiedenen Auslesen blieb dann ein Kern von 22 Bildimpressionen mit überarbeiteten einfachen Texten dazu übrig:

PowerPoint-Präsentation: BASIC & SHORT
click here


Ich traf auf eine sehr gut vorbereitete Klassengemeinschaft, die als Einstimmungs-Aufgabe den Ablauf von Ernas Schicksal bereits in Abschnitts-"Schlagzeilen" auf ein Plakat in die richtige Ablauf-Reihenfolge untereinander geklebt hatte, anhand der Vor-Informationen aus den einschlägigen Internet-Blogs.

Und meine größte Sorge, vielleicht sprachlich nicht richtig "rüberkommen" zu können, verflog eigentlich rasch: als ich die Fragen las, die jeder Schüler und die Schülerin formuliert und aufgeschrieben hatte - denn ein Schüler z.B. fragte darin - wörtlich - : "Auf welcher Basis wurde die Diagnose (Schizophrenie) gestellt?" - und das war ja nun schon eindeutig astreine "Inklusions-Hochprache", die ich bisher selbst bei manchen meiner Gespräche mit Gymnasial-Schülern dazu kaum angetroffen habe.

Überhaupt überraschte mich die Lebendigkeit und die angemessene Reaktionsfähigkeit zu diesem heiklen Thema - bis zu bitteren Neige: nämlich Ernas Tod nach dem 484-Tage andauernden Opfermartyrium ...

Und die vielen selbständigen und unverblümten Bewertungen und folgerichtigen Zusammenfassungen vieler gezeigter Bildinformationen und Schicksalsdetails.

Da war bedeutend mehr Informationshunger und Geschehens-Teilnahme als bisher bei "gehobeneren" Präsentationen in gymnasialen Schülergruppen oder Fachgruppen oder auch "Alten-Cafés", die ich bisher in den Jahren zuvor mit diesem Thema besucht hatte.

Ich traf gestern zu diesem "Euthanasie"-Thema auf eine motivierte und hochinteressierte Schülergruppe, deren körperliche oder auch geistige Beeinträchtigungen für mich wenigstens in Vergessenheit gerieten - und die sich trotz aller Handicaps und sicherlich auch schon erlebter Diskriminierungen im gelebten Alltag einen ausgezeichneten "gesunden Menschenverstand" bewahrt haben.

Die betroffenen Rückmeldungen am Ende lauteten zum Beispiel:

  • "Wie können Ärzte nur so etwas tun - Erna suchte ja Hilfe - und stattdessen wurde sie umgebracht ..." - 
  • "Die Erna hat bis zu ihrem Tod viel Schreckliches erlebt. Wir wollen jetzt aber auch noch den 'Stolperstein' für sie besuchen und ihr Geburtshaus sehen ..."
  • "Wie schrecklich wäre das - wenn wir alle zwangssterilisiert würden. Das war ein Verbrechen...".
  • "Die Erna muss ja schrecklich sauer gewesen sein auf ihre Schwester, weil die ihr ja solche Dinge aus Gütersloh gar nicht erzählt hat" ... - Ich: Nee - die Frieda hat das aber auch ganz anders - ohne Probleme oder Einschränkungen hinterher erlebt ... -"Ach, weil damals die Nazis noch nicht so weit waren ?" - Ich: Nee - Frieda war ja 1939 dort, als es mit der NS-Psychiatrie bereits losgegangen war - aber sie hatte eben überhaupt keine auffällige Erkrankung - sondern ging nach 4 Wochen 'Erholung' nach einem nervlichen Zusammenbruch wiederhergestellt nach Hause ...
Diese Schülergruppe beschäftigt sich gleichzeitig in Unterrichtseinheiten mit den "Menschenrechten"- und dieses Thema "Euthanasie" war dazu eine gute Ergänzung - aber man spürte dazu auch dieses neue - vielleicht schon "inklusive" Selbstbewusstsein jedes Einzelnen dazu:

  • "Ich bin ich - 
  •   und ich bin wer - 
  •   und ich persönlich beurteile aufgrunddessen, 
  •  was um mich geschieht oder geschehen ist ..."

Da ich selbst 40 Jahre in verschiedenen Professionen mit behinderten Menschen gearbeitet habe, bin ich über die gestern angetroffene für mich so überraschend "neue" selbstbewusste und selbständige Entwicklung ganz begeistert ... S!

Aktion T4 Blog - Interview zur Opferbiographie Erna Kronshage

WANTED - DER TURM DER BLAUEN PFERDE

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„Vermisst“ lautet der Titel der nächsten Ausstellung im Haus am Waldsee (3. 3. bis 5. 6.). Es geht um Franz Marcs Gemälde „Der Turm der blauen Pferde“, das 1919 von der Berliner Nationalgalerie erworben wurde und seitdem als berühmtestes Werk des expressionistischen Künstlers gilt, der 1916 im Ersten Weltkrieg fiel. 1937 gelangte es in die NS-Propagandaausstellung „Entartete Kunst“, wurde jedoch auf Proteste hin wieder entfernt und später von Hermann Göring für seine Sammlung erworben.

Danach verliert sich die Spur, Gerüchten zufolge soll es 1945 im Haus am Waldsee aufgetaucht sein, dem früheren Sitz der Reichsfilmkammer. Andere Zeugen wollen es später im benachbarten Jugendheim gesehen haben. Heute gilt die Ikone der Moderne als verschollen, auf seine Wiederkehr wird immer noch gehofft.

Das ist der Stoff, aus dem Ausstellungen gemacht werden können. Parallel mit dem Haus am Waldsee, das zeitgenössische Künstler eingeladen hat, sich mit dem „Turm der blauen Pferde“ zu beschäftigen, widmet sich die Staatliche Graphische Sammlung in München dem Thema. Spuren und Legenden um Marcs Gemälde sollen Teil der Berliner Ausstellung werden. Umso mehr ist das Haus am Waldsee auf Hilfe angewiesen und sucht Zeugen. „Wer erinnert sich an Geschichten aus der Kindheit oder hat nach 1945 Gerüchte über den Verbleib des berühmten Gemäldes gehört?“ lautet der Aufruf. „Wer meint, das Bild von Franz Marc nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin-Zehlendorf gesehen zu haben?"

Auskünfte nimmt das Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, entgegen. (info@hausamwaldsee.de).

tagesspiegel



Franz Marcs "Turm der blauen Pferde"

Sag mir, wo die Tiere sind

1945 verschwand Franz Marcs „Turm der blauen Pferde“. Spurlos. Zuletzt wurde das berühmte Bild im Haus am Waldsee gesehen. Ein Berliner Kunst-Krimi. VON NICOLA KUHN  |Tagesspiegel

Mit„Vermisst. Der Turm der blauen Pferde“ wird der Komplex Raubkunst, Verdrängung, Verlust erstmals aus der historischen Betrachtung in größerem Umfang in eine aktuelle, künstlerische Auseinandersetzung überführt. Der Zeitpunkt könnte nicht besser gewählt sein – im Jahr der Documenta, die sich als Ursprungsort einer rehabilitierten Moderne in Deutschland gerne der Sammlung Gurlitt angenommen und ähnliche Fragen gestellt hätte. Zugunsten einer offiziösen Präsentation durch den Bund musste Documenta-Macher Adam Szymczyk jedoch seinen Plan wieder aufgeben. Die Bilder werden stattdessen im Herbst in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen sein, flankiert von einer Schau im Berner Kunstmuseum, das seit Ende 2016 endgültig als Gurlitt-Erbe feststeht.

Norbert Bisky findet eingängige Metapher für die Umstände des Verlustes

Der Fall Marc liegt jedoch anders, von Schmutz und Schuld bleibt er unbefleckt. Um die Täter geht es hier nicht, fehlt doch der Gegenstand für einen Streit. Auch kann von Amnesie nicht wirklich die Rede sein bei einem Bild, das einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis besitzt: als Höhepunkt der Moderne, als Lieblingsbild der Weimarer Republik, als Vermächtnis eines Künstlers, der 36-jährig im Krieg fiel, als kristalline Vision einer besseren Welt, in der die Schönheit der Tiere gefeiert wird.

Eine eingängige Metapher findet Norbert Bisky für die Umstände des Verlustes. Er malte das Bild in seinen Maßen 200 mal 130 Zentimeter nach, fügte möglichst originalgetreu den Rahmen samt Inventarisierungsnummern der Nationalgalerie und der NS-Aktion „Entartete Kunst“ hinzu und demolierte schließlich das Werk. Den Besucher empfängt ein zerfetztes, von Brandspuren gezeichnetes Bild am Boden des ersten Saals. Marcs brutaler Tod, die Gewalt gegen Kunst, ja die Verfolgung im „Dritten Reich“ fallen im drastischen Arrangement zusammen.

Für Marc haben Tiere eine metaphysische Bedeutung

Ähnlich reagiert Via Lewandowsky, der einen präparierten Schimmel in den Gartensaal der Villa platziert, durchbohrt von Pfeilen wie der heilige Sebastian. Der Dresdner Künstler brachte die Idee von Antonello da Messinas Märtyrergemälde aus der Sempergalerie mit. Für Marc, der Pferde liebte und bei einem Erkundungsritt an der Front tödlich von einem Schrapnellsplitter getroffen wurde, haben Tiere eine metaphysische Bedeutung. In einem Feldbrief an seine Frau schrieb er: „Der unfromme Mensch, der mich umgab, (vor allem der männliche) erregte meine wahren Gefühle nicht, während das unberührte Lebensgefühl des Tieres alles Gute in mir erklingen ließ. Und vom Tier weg leitete mich ein Instinkt zum Abstrakten.“ Wie eine Erscheinung steht Lewandowskys Schimmel nun im Raum, Marcs elaboriertes künstlerisches Konzept wird damit auf die banale Realität heruntergebrochen.

Auch Christian Jankowski geht wörtlich vor. Sein Prinzip der Partizipation wendet er auf den gesamten Museumsapparat der Neuen Nationalgalerie an, indem er detailgetreu die Überstellung einer Leihgabe durchspielen lässt. Nur existiert das Werk bekanntermaßen nicht mehr. Der Generaldirektor der Staatlichen Museen, der Leiter der Neuen Nationalgalerie, die Restauratorin, die Depotmitarbeiter machen alle mit. Es wird vermessen, gehoben, mit der Lupe inspiziert, was nur in der Vorstellung existiert. Neben dem Film, der den vermeintlichen Transport und die Übergabe vorführt, sind in der Ausstellung als weitere Requisiten des Abwesenden leere Haken an der Wand zu sehen, dazu ein Klimagerät, außerdem der Leihvertrag, die Versicherungspolice (über 65 Millionen Euro), das Protokoll der Restauratorin.

"Turm der blauen Pferde" gegen Drogen getauscht

Was wäre, wenn? Diese Frage steht im Raum. Ja, sie begrüßt den Besucher geradezu durch Tobias Rehbergers Lichtkunstwerk, das auf dem maroden Schuppen neben dem Haus am Waldsee thront. „Something else is possible“, steht in greller Neonschrift geschrieben und besaß montiert auf ein Gebäude auf Ibiza oder eine Frankfurter Galerie ganz andere Bedeutung. Im Zusammenhang mit der „Vermisst“-Ausstellung eröffnet sie neu das Nachdenken über den Verbleib von Marcs Bild. Vielleicht wurde es 1947 nochmals gesehen, diesmal im Nachbarhaus, einem Jugendheim. Sollten Pfadfinder es zum Entzünden eines Lagerfeuers benutzt haben? Die Gerüchteküche dürfte erneut zu brodeln beginnen.

Marcel van Eeden denkt sich gleich eine Geschichte aus, die er in seiner Zeichnungsserie erzählt. Der „Turm der blauen Pferde“ wird darin gegen Drogen getauscht, in der Nachkriegszeit holt sich ein ehemaliger Nazi das Bild aus dem Zehlendorfer Versteck und verschwindet damit auf Nimmerwiedersehen. Wer weiß, vielleicht befindet es sich heute in einem Schließfach in der Schweiz. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Den Fall Gurlitt hätte auch niemand für möglich gehalten.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 5. Juni, Di bis So 11 – 18 Uhr.


NS-"Euthanasie": Leidensweg & Widerstand der Rosa Schillings

Banksy's Krieg ist eine Kissenschlacht

SWR2 tandem-Audio-Feature: Der lange Arm von Scham und Schuld - Das Geheimnis der Familie Frick - Von Natalie Akbari

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Der lange Atem von Scham & Schuld | Familiengeheimnis der Familie Frick | SWR Audio-Feature

Zum Feature: CLICK ON THIS PICTURE - und dann auf>

Julia Frick aus Lambsheim in der Pfalz ist Mitte 20, Studentin, hat viele Freunde und einen festen Freund. Doch seit ihrem 18. Geburtstag zieht es sie auch in die Vergangenheit. An diesem Tag träumt sie von ihrem Großvater, der 1941 starb und über den in der Familie nicht gesprochen wird. Was sie dann herausfindet, erschüttert die ganze Familie: Ihr Opa war Opfer des Euthanasie-Programms der Nazis. Nicht weil er behindert gewesen wäre: Sein Schwager, ein SS Offizier, ließ ihn wegen eines simplen Nervenzusammenbruchs einliefern - obwohl er wusste, was das bedeutet. Julia will ihren Großvater wieder ins Gedächtnis der Familie holen und bringt Menschen, die jahrzehntelang geschwiegen haben, zum Reden.

Weitere Links hierzu: Click here & here


XVIII

Siehe: Ein Mensch - Ein ZEIT-Gespräch mit PS!apst Franziskus

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»Ich kenne auch die leeren Momente«

Was bedeutet Glaube? Ein ZEIT-Gespräch mit Papst Franziskus


S!|graphik

Das erste Interview mit einem deutschen Journalisten in der vierjährigen Amtszeit von Papst Franziskus wurde behandelt wie eine geheime Staatssache. Die Redaktion der ZEIT wurde gebeten, zu schweigen – am besten, bis wir endlich dem Papst gegenüberstehen. Nach langer Anbahnung kam die Einladung zum Gespräch vom Papst persönlich.

Der Treffpunkt ist im Gästehaus Santa Marta im Vatikan: ein Besprechungsraum, der weniger repräsentativ kaum sein könnte; sechs Lehnstühle, grün bezogen, eine Anrichte, ein Abbild von Johannes XXIII., ein Fernseher. Hier empfängt der Papst nahezu jeden Besuch, wie bei allen anderen Gesprächen gibt es nicht einmal ein Glas Wasser. Papst Franziskus wohnt genau über diesem Besprechungsraum, das Schlafzimmerfenster geht direkt auf eine Mauer.

Der Papst, der im vergangenen Dezember 80 Jahre alt wurde, spricht langsam, mit großer Konzentration und Vitalität, aber mit so leiser Stimme, dass es schwerfällt, ihm ohne Nachfragen bis in die letzte Nuance zu folgen.

Das auf Italienisch geführte Gespräch wurde vom Papst selbst autorisiert, er verglich die deutsche Übersetzung mit der Originalversion, die ein Mitarbeiter aufgenommen hatte. Seine Redigaturen waren sehr viel sparsamer und verhaltener als all das, was wir bei der ZEIT in der Regel von Politikern zurückbekommen.

ZEIT: Heiliger Vater, Mitte der achtziger Jahre hielten Sie sich längere Zeit in Deutschland auf, um Ihre Dissertation über den Priester und Philosophen Romano Guardini fertig zu schreiben. Es heißt, dass Sie damals von einem Gemälde vollkommen überwältigt gewesen seien, dem Bild Maria Knotenlöserin, das ein Barockmaler um 1700 schuf und das in der Kirche St. Peter am Perlach in Augsburg hängt.

Franziskus: Nein, das stimmt nicht.

ZEIT: Das stimmt nicht?

Franziskus: Ich war nie in Augsburg!

ZEIT: Ich habe es in einer richtig guten Biografie über Sie gelesen.

Franziskus: Fast hätte ich gesagt: Typisch Journalisten! (lacht) Die Geschichte war so: Zu Weihnachten hatte mir eine Ordensschwester, die ich in Deutschland kennengelernt hatte, eine Grußkarte mit diesem Bild geschickt. Das Bild machte mich sofort neugierig. Nicht weil es so großartig wäre, es ist ziemlich mittelmäßiger Barock.

ZEIT: Aber es zeigt ein ungewöhnliches Motiv: Maria mit einem weißen Band in den Händen, voller Knoten.

Franziskus: Das Bild greift einen Satz des Kirchenvaters Irenäus von Lyon aus dem 2. Jahrhundert auf. Der Stifter des Bildes hatte Schwierigkeiten mit seiner Frau. Ich will nicht sagen, dass sie sich schlugen, aber ...

ZEIT: ... irgendetwas stimmte nicht ...

Franziskus: ... ja, irgendetwas war nicht in Ordnung, aber er liebte seine Frau, und seine Frau liebte ihn, und es gab keine Schwiegermutter, die dazwischenfunken konnte. (lacht) Also suchte der Mann Rat bei einem Jesuitenpater. Der nahm das lange weiße Band, das bei der Trauung des Paares verwendet worden war, und betete zur Jungfrau Maria, denn er hatte bei Irenäus gelesen, dass der Knoten von Evas Sünde durch Marias Gehorsam gelöst werde. Er bat also die Madonna um die Gnade, die Knoten aufzulösen.

ZEIT: Die Knoten auf dem Bild stehen also für lauter ungelöste Probleme.

Franziskus: Ja – und das Bild ist zum Dank entstanden, denn am Ende hat die Muttergottes dem Paar die Gnade gewährt.

ZEIT: Die beiden sind zusammengeblieben, und durch Sie ist das Bild berühmt geworden. So wurden von diesem ohnehin nicht besonders schönen Gemälde weitere, auch nicht so gelungene Kopien angefertigt: Eine hängt in Buenos Aires, eine habe ich gerade im Empfangssaal dieses Gästehauses gesehen, in dem wir jetzt sitzen. Sie werden inzwischen verfolgt von diesem Bild!

Franziskus: Das könnte man sagen. (lacht) Aber es hat mir so gut gefallen, dass ich angefangen habe, Postkarten davon zu verschicken.

ZEIT: Wenn Sie mir dieses persönliche Bekenntnis als Katholik erlauben: Zu Weihnachten war ich mit meiner achtjährigen Tochter beim Krippenspiel in unserer kleinen Gemeinde – in Hamburg leben Katholiken in der Diaspora ...

Franziskus: ... ich war einmal in Hamburg, zu einer Taufe in Wandsbek, in den achtziger Jahren, darum hatten mich argentinische Landsleute gebeten!

ZEIT: Meine Geschichte aus Hamburg spielt jetzt, in der Gegenwart: Bei diesem Krippenspiel an Heiligabend war zum wiederholten Male kein Priester anwesend, was ziemlich trostlos war. Danach habe ich mich an den Hamburger Erzbischof gewandt und ihn gefragt, wie es möglich ist, dass an einem Tag, an dem so viele Katholiken wie sonst nie in die Kirche gehen, kein Priester mehr zugegen ist. Der Bischof, der neu und noch ziemlich jung ist, hat mir geantwortet, dass der Priestermangel für ländliche Gebiete mit wenigen Katholiken noch viel schlimmer ist und dass auch er noch nicht wisse, wie sich das ändern lasse. Die Statistiken bei uns sind verheerend: immer weniger Gläubige, immer weniger Priester, immer mehr offene Stellen.

Franziskus: Ja, das ist ein großes Problem. Auch in der Schweiz sieht es nicht gut aus. Viele Gemeinden haben brave Frauen: Sie erhalten den Sonntag aufrecht und feiern Wortgottesdienste, also ohne die Eucharistie. Das Problem ist aber der Mangel an Berufungen. Und dieses Problem muss die Kirche lösen.

ZEIT: Wie?

Franziskus: Ich glaube ... – Sie merken, ich spreche auch als bekennender Katholik, ich bin übrigens auch gläubig, wissen Sie? (lacht) Der Herr hat uns gesagt: Betet! Das ist es, was fehlt: das Gebet. Und es fehlt die Arbeit mit jungen Leuten, die Orientierung suchen. Es fehlt der Dienst an den anderen. Die Arbeit mit jungen Menschen ist schwierig, doch sie ist notwendig, denn die Jungen verlangen danach. Sie sind die großen Verlierer der modernen Gesellschaft, in zahlreichen Ländern gibt es keine Arbeit für sie.

ZEIT: In Deutschland ist aber die Jugendarbeitslosigkeit kein großes Problem, sie liegt bei nur sieben Prozent.

Franziskus: Das ist ein Privileg! Aber hier in Italien sind fast 40 Prozent der jungen Leute unter 25 arbeitslos. In anderen Ländern Europas sind es fast 50 Prozent, in bestimmten Landesteilen sogar beinahe 60 Prozent! Arbeitslosigkeit ist ein riesiges Problem. In dieser Hinsicht mag es in Deutschland anders aussehen, doch es gibt noch ein weiteres Problem ...

ZEIT: Nämlich?

Franziskus: Die Geburtenrate.

ZEIT: Die ist bei uns im europäischen Vergleich niedrig, aber nicht niedriger als in Italien.

Franziskus: Und wo es keine jungen Männer gibt, gibt es auch keine Priester. Das ist ein ernstes Problem, das wir in der nächsten Synode über junge Menschen angehen müssen, und es hat nichts mit Proselytismus zu tun. Durch Proselytismus erhält man keine Berufungen ...

ZEIT: ... verzeihen Sie, aber ich verstehe nicht, was Proselytismus meint.

Franziskus: Das ist das Abwerben Andersgläubiger, wie bei einer Wohltätigkeitsorganisation, die Mitglieder anwirbt. Dann kommen viele junge Leute, die sich nicht berufen fühlen und die die Kirche ruinieren werden. Entscheidend ist die Auswahl. Und auch die Empörung der Menschen – wie Sie und Ihre Tochter sie empfunden haben: Wieso ist hier kein Priester, um die Eucharistie zu feiern? Das schwächt die Kirche, denn eine Kirche ohne Eucharistie hat keine Kraft. Die Berufung von Priestern stellt ein Problem dar, ein enormes Problem.

ZEIT: Es braucht also die wahre Berufung, wie Sie sie empfunden haben, als Sie kurz davorstanden zu heiraten?

Franziskus: Aber nicht doch!

ZEIT: Als Sie siebzehn waren ...

Franziskus: ... aber ich war nicht dabei zu heiraten! (lacht)

ZEIT: Zumindest hatten Sie eine Verlobte, ich habe das so gelesen.

Franziskus: Das stimmt, ich hatte eine Verlobte, aber Journalisten übertreiben – Verzeihung! (lacht)

ZEIT: Deshalb überprüfe ich doch jetzt auch alles!

Franziskus: Das ist gut, es wird immer viel erzählt, aber ich bin ein ganz normaler Mensch. Kein bisschen ungewöhnlicher als andere.

ZEIT: Allein die Tatsache, dass Sie das sagen, ist außergewöhnlich.

Franziskus: Na gut, vielleicht ist nicht alles an mir gewöhnlich.

ZEIT: Wenn Sie auf die Jungen setzen wollen – müssen Sie dann nicht Anreize schaffen, die heute fehlen? Ihnen beispielsweise sagen, dass man nicht mehr auf ein Gefühls- und Liebesleben verzichten muss, um Priester zu werden? Als Bischof vielleicht oder als Kardinal – aber nicht als Priester?

Franziskus: Über den freiwilligen Zölibat wird in diesem Zusammenhang immer wieder gesprochen, vor allem dort, wo es an Klerus mangelt. Doch der freiwillige Zölibat ist keine Lösung.

ZEIT: Was ist mit den Viri probati, jenen »bewährten Männern«, die zwar verheiratet sind, aber aufgrund ihres nach katholischen Maßstäben vorbildlich geführten Lebens zu Diakonen geweiht werden können?

Franziskus: Wir müssen darüber nachdenken, ob Viri probati eine Möglichkeit sind. Dann müssen wir auch bestimmen, welche Aufgaben sie übernehmen können, zum Beispiel in weit entlegenen Gemeinden.

ZEIT: In weit entlegenen Gemeinden? Den konservativen amerikanischen Kardinal Raymond Burke, der als einer Ihrer ärgsten Widersacher im Vatikan gilt, haben Sie gerade auf die Insel Guam irgendwo im Pazifik geschickt – manche sagen: verbannt.

Franziskus: Kardinal Burke ist wegen eines schrecklichen Vorfalls dorthin gereist. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, es gab dort einen schlimmen Missbrauchsfall, und er ist ein exzellenter Jurist, aber ich glaube, dass der Auftrag fast schon erledigt ist.

ZEIT: Warum ist das für die katholische Kirche nicht der richtige Moment, um den Zölibat aufzuheben oder zu lockern?

Franziskus: Es geht der Kirche stets darum, den richtigen Augenblick zu erkennen, zu erkennen, wann der Heilige Geist nach etwas verlangt. Deshalb sagte ich, über die Viri probati wird weiter nachgedacht.

ZEIT: In einigen Gegenden der Welt wächst die Kirche, während sie woanders wie in Europa schrumpft. Hat sich Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt, darauf bezogen, als er sagte: »Die Kirche der Zukunft wird klein werden«?

Franziskus: Ja, das hat er gesagt, und ich glaube, man kann es wörtlich auch so verstehen. Die Mehrheit der Leute denkt, dass sie gläubig sind oder agnostisch, ohne jedoch einer Kirche anzugehören. Allerdings weiß ich nicht mehr, wie genau Benedikt sich ausgedrückt hat. Bestimmt kann man seine Sicht teilen, und bestimmt ist sie fundiert, denn alles, was Benedikt sagt, hat Hand und Fuß. Er ist ein großer Theologe.

ZEIT: Er ist ja auch ein deutscher Theologe.

Franziskus: Eben. (lacht)

ZEIT: Gianfranco Ravasi, Kurienkardinal und Präsident Ihres Kulturrates, hat heute Morgen – nur wenige Stunden vor unserem Gespräch – im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur gesagt, dass er das Diakonat der Frau für möglich hält. War das mit Ihnen abgesprochen?

Franziskus: Ich will Ihnen sagen, wie es war, denn es gibt – bei allem Respekt – diesen Informationsfilter namens Journalisten. Die Sache war so: Vor ungefähr einem Jahr habe ich sämtliche Oberinnen der Ordensgemeinschaften einberufen. Sie sind gekommen, und ich habe ihnen vorgeschlagen, sie sollten statt der förmlichen Ansprache, für die ich sowieso nicht viel übrig habe, Fragen stellen. Ein Dialog ist so viel stärker, so viel menschlicher. Eine der Fragen lautete fast wörtlich: Allem Anschein nach gab es in der alten Kirche Diakoninnen. Wieso bilden wir nicht eine Studienkommission, um herauszufinden, was diese Frauen taten und ob sie geweiht waren oder nicht? Ich habe geantwortet: Ja, warum nicht? Das wäre eine gute Gelegenheit, das Thema zu erforschen. Sie stellten mir eine Bedingung: Ich soll mit Kardinal Müller (dem ehemaligen Bischof von Regensburg und heutigen Präfekten der Glaubenskongregation, Anm. d. Red.) reden. Ich habe die Oberin und Kardinal Müller angerufen und gesagt: Schicken Sie mir bitte eine Liste von rund zehn Personen, Männern und Frauen, die der Kommission angehören sollen. Dann habe ich eine Kommission aus möglichst offenen, kompetenten Leuten von beiden Listen zusammengestellt. Es ging darum, das Thema zu erforschen, und nicht, eine Tür zu öffnen.

ZEIT: Und was ist beim Forschen bislang herausgekommen?

Franziskus: Ein syrischer Professor erklärte: Die Frage ist nicht, ob es geweihte Frauen gab oder nicht, sondern was sie taten. Er nannte drei Dinge: Die Frauen halfen bei der Taufe, bei der Salbung kranker Frauen, und wenn eine Frau sich beim Bischof darüber beklagte, von ihrem Mann geschlagen zu werden, schickte der Bischof eine Diakonin, um die blauen Flecke zu untersuchen. Mal sehen, was die Kommission noch herausfindet. Im März kommt sie, soweit ich weiß, zum dritten Mal zusammen, und ich werde vorbeischauen und mich nach dem Stand der Dinge erkundigen.

ZEIT: Ihre Anwesenheit wird man als Ermutigung sehen!

Franziskus: Das ist die Aufgabe der Theologie: Sie muss forschen, um den Dingen auf den Grund zu gehen, immer. Das gilt auch für das Studium der Heiligen Schrift. Die historisch-kritische Methode: Was hat dies in jener Zeit bedeutet? Was heißt es heute? Wahrheit ist, keine Angst zu haben. Das sagt uns die historische Wahrheit, die wissenschaftliche Wahrheit: Habt keine Angst! Das macht uns frei.

ZEIT: So ähnlich sagt es auch Freud, den Sie häufiger zitieren: Man müsse seinen Ängsten immer entgegengehen.

Franziskus: Ängste schließen Türen. Die Freiheit öffnet sie. Und wenn die Freiheit klein ist, öffnet sie immerhin ein Fensterchen. (lacht)

ZEIT: In der katholischen Kirche, zumindest in der, wie ich sie erlebe, gibt es sowohl unter den Geistlichen als auch unter den Gläubigen ein Thema, das fast immer ausgespart wird: die persönliche Glaubenskrise. Wer mit seinem Glauben hadert, wird alleingelassen. Darüber wird nicht geredet. Wie kann man Zweifelnden helfen?

Franziskus: Im März werde ich mich mit römischen Priestern treffen und dieses Thema ansprechen. Wie kann man als Priester sowohl in seinem Glauben als auch an seinen Krisen wachsen? Ohne Krisen kann man nicht wachsen. Das gilt für alle Menschen. Das biologische Wachsen selbst ist eine Krise. Die Krise des Kindes, das zum Erwachsenen wird. Im Glauben ist es nicht anders. Als Jesus hört, wie sicher sich Petrus ist – das erinnert mich an zahlreiche katholische Fundamentalisten –, sagt er: Dreimal wirst du mich verleugnen. Aber ich werde für dich beten. Petrus hat Jesus verleugnet, er ist in eine schwere Krise geraten. Und dann haben sie ihn zum Papst gemacht. (lacht) Ich will nicht sagen, dass die Krise das tägliche Brot des Glaubens ist, doch ein Glaube, der nicht in die Krise gerät, um an ihr zu wachsen, bleibt infantil.

ZEIT: Sie meinen, die Krise ist ein Zeichen für einen erwachsenen Glauben?

Franziskus: Ja. Er wird durch die Krise erwachsen.

ZEIT: Sie haben einmal zugegeben, dass es in Bezug auf den Glauben nicht nur dunkle Momente in Ihrem Leben gab, sondern auch solche, in denen Sie auf Jesus sogar wütend geworden sind.

Franziskus: Es gibt durchaus dunkle Momente, in denen ich sage: »Herr, das begreife ich nicht!« Und das sind nicht nur Momente innerer Dunkelheit, sondern Bedrängnisse, die ich mir selbst eingebrockt habe, durch meine Schuld, denn ich bin ein Sünder, und dann werde ich wütend. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. (lacht)

ZEIT: An die eigenen Sünden?

Franziskus: Nein, ich werde nur nicht mehr wütend. (lacht) Mein Herr ist ein Herr der Sünder, nicht der Gerechten – auch der Gerechten, aber die Sünder liebt er mehr. Die Krise hilft uns, im Glauben zu wachsen. Ohne Krise können wir nicht wachsen, denn das, was uns heute erfüllt, erfüllt uns morgen nicht mehr. Das Leben stellt einen auf die Probe.

ZEIT: Aber es ist ja nicht nur das große Unglück in der Welt, es sind die persönlichen Katastrophen, die einen am Glauben verzweifeln lassen. Es gibt Momente, in denen man sogar bezweifelt, ob es Gott, ob es Jesus überhaupt gibt. Kennen Sie das auch?

Franziskus: Ja. Ja ... (Pause) Momente der Leere ... (Pause) Ich habe von dunklen Momenten gesprochen und von leeren Momenten. Ich kenne auch die leeren Momente.

ZEIT: Wie findet man zum Glauben zurück?

Franziskus: Der Glaube ist ein Geschenk. Er wird einem gegeben.

ZEIT: Er kommt von selbst wieder?

Franziskus: Ich bitte darum, und Er antwortet mir. Früher oder später. Manchmal muss man in einer Krise verharren. Der Glaube ist nichts, was man sich erwirbt.

ZEIT: Was ist er? Ist er eine Kraft, eine Freude, ein Licht, das Sie in sich spüren?

Franziskus: Ja, auch.

ZEIT: Ist er auch Überzeugung?

Franziskus: Ja, sowohl das eine als auch das andere. Er ist Licht, er ist Überzeugung, er ist die hermeneutische Fähigkeit ...

ZEIT: ... also die Fähigkeit, Texte zu interpretieren ...

Franziskus: ... ja, um das Leben zu deuten. Der Glaube ist ein Geschenk.

ZEIT: Das muss ein riesiges Geschenk sein, denn wer glaubt, findet Trost und Erklärungen!

Franziskus: Was sagt Jesus zu jenen, die klein im Glauben sind? Alles ist möglich für den, der glaubt! Was sagt der Mann, der ihm seinen Sohn zur Heilung bringt? Hilf meinem Unglauben! Das ist der Weg des Glaubens. Der Glaube kann verloren gehen. Er ist ein Geschenk, um das man jeden Tag aufs Neue bitten muss. Wie oft in meinem Leben habe ich mich versündigt, weil ich entgegen meinem Glauben wie ein Ungläubiger gehandelt habe! Das sind Momente der Leere. Man muss den Herrn demütig um den Glauben bitten.

ZEIT: Glauben Sie, der Mensch ist von Natur aus gut – oder gut und böse zugleich?

Franziskus: Der Mensch ist das Abbild Gottes. Der Mensch ist gut. Aber er war auch schwach, er wurde in Versuchung geführt und wurde verwundet. Die Güte des Menschen ist eine verwundete Güte.

ZEIT: Macht das die Menschen schlecht?

Franziskus: Schlechtigkeit ist etwas anderes, viel Schlimmeres. In der mythischen Erzählung der Erschaffung der Welt im 1. Buch Mose wird der Sündenfall beschrieben. Doch Adam ist nicht böse, er ist schwach, der Teufel hat ihn in Versuchung geführt. Die erste böse Tat wird von seinem Sohn Kain begangen. Kain handelt nicht aus Schwäche, sondern aus Eifersucht, Neid und Herrschsucht. Das ist die Schlechtigkeit des Krieges, der wir bei all denen begegnen, die töten, morden oder Waffen herstellen. Hier ist der Geist des Bösen am Werk.

ZEIT: In dem Punkt sind Sie sehr konkret. Im Gegensatz zu anderen – auch deutschen – Theologen, die den Teufel als eine Metapher sehen, sind Sie überzeugt, dass der Teufel existiert.

Franziskus: Das ist richtig.

ZEIT: Wie stellen Sie sich diesen Teufel vor?

Franziskus: Ich weiß es nicht, aber er macht mir das Leben bisweilen trotzdem schwer. Dem Glauben nach ist der Teufel ein Engel. Ein gefallener Engel. Und daran glaube ich.

ZEIT: Das glauben Sie wirklich?

Franziskus: Ja, das ist mein Glaube. Viele Versuchungen, mit denen ich zu kämpfen habe, sind nicht dem Teufel, sondern meinen persönlichen Schwächen geschuldet. Aber bei vielen anderen hat er sehr wohl die Finger im Spiel.

ZEIT: Können Sie mir ein Beispiel geben?

Franziskus: Da müssen Sie meinen Beichtvater fragen! (lacht)

ZEIT: Was ist Ihrer Meinung nach Teufels Werk?

Franziskus: Eifersucht, Neid, Kriege.

ZEIT: Ausbeutung?

Franziskus: Auch Ausbeutung. Die Auflehnung gegen das Werk Gottes, gegen den Menschen als Abbild Gottes – das ist das Werk des Teufels. Ich rede nicht mit ihm, wissen Sie?

ZEIT: Versucht er denn, mit Ihnen zu reden?

Franziskus: Man darf nicht mit ihm reden. Jesus hat niemals mit dem Teufel gesprochen. Er hat einen anderen Weg gefunden: Das erste Mal, als er ihm nach dem Fasten in der Wüste begegnet, antwortet er nicht mit eigenen Worten, sondern mit Worten aus der Bibel. Man redet nicht mit ihm, denn er gewinnt immer. In der Schöpfungsgeschichte hat er gewonnen. Das zweite Mal sagte Jesus: »Weg mit dir, Satan!« Er hat ihn fortgejagt. In der Jesusgeschichte gibt es keinen einzigen Dialog mit dem Teufel. Jesus warnt seine Jünger vor dem weltlichen Geist, vor der Weltlichkeit, die für ihn der Teufel ist, der Beherrscher der Welt.

ZEIT: Und soll man mit einem Menschen reden, der mordet und vernichtet, oder spricht man da bereits zum Teufel?

Franziskus: Der Mensch kann sich als Teufel verkleiden, er kann sich sogar für den Teufel halten und ihm seine Seele verkaufen, doch er ist immer noch das Abbild Gottes. Also darf man ihn nicht ignorieren.

ZEIT: Glauben Sie, Gott könnte am Ende auch Massenmördern wie Hitler oder Stalin verzeihen?

Franziskus: Ich weiß es nicht, schon möglich ... ich weiß es nicht. Aber ich kann Ihnen etwas schildern, das mich zutiefst berührt hat. Im burgundischen Ort Vézelay – wo der Jakobsweg beginnt – steht die Basilika Sainte-Marie-Madeleine. Dort gibt es ein Kapitell, auf dessen einer Seite der erhängte Judas zu sehen ist und auf der anderen der gute Hirte, der ihn auf seinen Schultern fortträgt. Das war die Theologie des Mittelalters, wie die Mönche sie lehrten. Der Herr vergibt bis zuletzt.

ZEIT: Aber man muss ihn um Vergebung bitten?

Franziskus: Zumindest muss man die Last seiner Sünde spüren. Ich behaupte nicht, dass Judas im Himmel und gerettet ist. Aber ich behaupte auch nicht das Gegenteil. Ich sage nur: Seht euch dieses Kapitell an und was die Mönche des Mittelalters gedacht haben, die die Menschen mit ihren Skulpturen den Katechismus lehrten. Und seht euch die Bibel an, in der es heißt: Als Judas sich seiner Tat bewusst wird, geht er reuig zu den Hohepriestern. Die Bibel gebraucht das Wort Reue. Vielleicht hat er nicht um Vergebung gebeten, aber es hat ihn gereut.

ZEIT: Hoffen wir, dass es so war!

Franziskus: Je mehr des Herrn sind, desto besser.

ZEIT: Finden Sie es legitim, für seinen eigenen Vorteil zu beten?

Franziskus: Wie meinen Sie das?

ZEIT: Im Sinne von: Hilf mir, das Fußballspiel zu gewinnen, mach, dass ich genug Geld habe, um mir das Auto zu kaufen. Sie sagten, es sei legitim, für seinen Glauben zu beten.

Franziskus: Ja, für den Glauben zu beten, das ist legitim.

ZEIT: Wo sind für Sie die Grenzen des Gebets?

Franziskus: Man darf um Gutes bitten, zum Beispiel: Hilf mir, das nötige Geld zusammenzubekommen, damit ich meine Familie durch diesen Monat bringen kann. Das ist legitim. Aber zu beten: Mach, dass ich viel Geld oder viel Einfluss bekomme, ist es nicht. Denn dann bittet man um etwas, das einen in die Gewalt des Weltlichen führt. Fragen kann man zwar alles, aber ... Beim letzten Abendmahl redet Jesus mit seinen Jüngern und sagt, dass er für sie gebetet habe. Und wofür hat er gebetet? Dass sein Vater sie nicht von der Welt nehmen, sondern sie vor dem Geist des Weltlichen schützen möge. Wir dürfen nicht um den Geist des Weltlichen bitten, der Hochmut und Unterdrückung ist, sondern um Dinge, die die Welt gestalten, uns zu Brüdern machen, Frieden und Gutes schenken. Zu beten: Hilf mir, meine Frau umzubringen, ist wohl weit davon entfernt.

ZEIT: Mafiosi bekreuzigen sich manchmal, ehe sie jemanden umbringen.

Franziskus: Das ist eine Krankheit. Es ist eine Krankheit, die Religion zu benutzen wie beispielsweise manche Mafiosi in Südamerika. Sie nennen sich Christen und heuern einen Killer an, um ein Problem aus dem Weg zu räumen. Danach gehen sie in die Kirche.

ZEIT: Sie sagten zwar vorhin, Sie würden nicht mehr so schnell wütend, aber: Empören Sie solche Dinge nicht?

Franziskus: Ein bisschen. Aber noch wütender macht es mich, wenn die Heilige Mutter Kirche, meine Mutter, meine Braut, sich nicht so verhält, wie es das Evangelium vorgibt.

ZEIT: Man hat überhaupt das Gefühl, dass christliche Werte heute nicht hoch im Kurs stehen. Die westliche Welt ist geteilt und driftet weiter auseinander. Der Populismus, vor allem von rechts, ist auf dem Vormarsch, und neue politische Bewegungen greifen auch direkt die parlamentarische Demokratie an. Wie soll sich ein Christ dazu verhalten?

Franziskus: Für mich war der Begriff Populismus immer missverständlich, da er in Südamerika eine andere Bedeutung hat. Anfangs wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte, weil ich ihn nicht richtig verstand. Populismus bedeutet, das Volk zu benutzen, richtig? Denken Sie an das Jahr 1933, nach dem Scheitern der Weimarer Republik. Deutschland war verzweifelt, von der Wirtschaftskrise 1929 geschwächt, und dann kam dieser Mann daher und sagte: Ich kann, ich kann, ich kann! Er hieß Adolf. So ist es dann gelaufen. Er hat das Volk davon überzeugt, dass er konnte. Populismus braucht immer einen Messias. Und auch eine Rechtfertigung: Wir bewahren die Identität des Volkes!




ZEIT: Vielleicht, weil man sich sonst zu nichts wirklich bekennen kann?

Franziskus: Vielleicht.

ZEIT: Weil es auch kaum noch politische Vorbilder gibt?

Franziskus: Als die großen Politiker der Nachkriegszeit wie Schuman oder Adenauer von der Einheit Europas träumten, schwebte ihnen nichts Populistisches vor, sondern die Verbrüderung Europas, vom Atlantik bis zum Ural. Diese Männer besaßen die Gabe, ihrem Land zu dienen, ohne sich ins Zentrum zu stellen, und das machte sie zu großen Anführern. Sie mussten kein Messias sein. Populismus ist böse und endet schlecht, wie das vergangene Jahrhundert gezeigt hat.

ZEIT: Finden Sie wirklich, dass die heutige Lage mit 1933 vergleichbar ist? Sie sagen sogar, wir befänden uns im Dritten Weltkrieg.

Franziskus: Das mit dem Weltkrieg habe ich häufiger gesagt, ja.

ZEIT: Was meinen Sie damit?

Franziskus: Die ganze Welt befindet sich im Krieg. Denken Sie nur an Afrika.

ZEIT: Aber das sind kleinere Konflikte.

Franziskus: Deshalb spreche ich auch von einem Dritten Weltkrieg, der sich stückchenweise ausbreitet. Denken Sie an die Ukraine, an Asien, an das Drama von Sindschar im Irak, an diese armen Menschen, die vertrieben wurden. Wieso spreche ich von Krieg? Weil er mit modernen Waffen geführt wird. Ein ganzes Netzwerk von Waffenfabrikanten hält ihn am Laufen. Aber um das klarzustellen: Ich sage nicht, dass wir uns heute in der gleichen Situation befinden wie 1933. Ganz und gar nicht. Das war nur ein Beispiel, um den Populismus zu veranschaulichen.

ZEIT: Auch wenn er nicht mit 1933 zu vergleichen ist: Macht Ihnen dieser Populismus Sorgen?

Franziskus: Der europäische ja, ein wenig. Das, was ich über Europa denke, habe ich in meinen drei europäischen Reden gesagt. Zwei habe ich in Straßburg gehalten und die dritte, als ich den Karlspreis erhielt. Ich bekomme nicht gern Ehrungen, das ist der einzige Preis, den ich angenommen habe, und auch nur, weil sie mich so sehr drängten und sagten, es sei wichtig, dass ich mich an Europa wende. Das habe ich dann getan, doch meine vier Vorredner – Jean-Claude Juncker, Martin Schulz und Donald Tusk sowie der Aachener Oberbürgermeister – waren sehr viel bissiger als ich. Heftiger, energischer.

ZEIT: Der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach über die Flüchtlingskrise und nannte sie sinngemäß eine epochale Herausforderung, Europas Werte gerieten ins Wanken, darum sei es Zeit, für Europa zu kämpfen.

Franziskus: Ja, die waren viel mutiger als ich.

ZEIT: Die Sehnsucht der Menschen nach großen Vorbildern, wie Sie es sind, scheint heute stärker denn je zu sein. Fühlen Sie sich manchmal von den Erwartungen erdrückt?

Franziskus: Ich sehe mich nicht als etwas Besonderes. Ich finde eher, dieses Bild wird mir nicht gerecht, es ist übertrieben. Ich bin – ich will nicht sagen: »ein armer Teufel«, aber ich bin ein ganz normaler Mensch, der tut, was er kann. So fühle ich mich. Und wenn dann jemand wer weiß was über mich sagt, dann tut mir das nicht gut.

ZEIT: Sagen Sie das auch auf die Gefahr hin, viele in der Kurie zu enttäuschen, die sich nach einem unfehlbaren Vater sehnen?

Franziskus: Es gibt nicht den Vater, sondern nur den Menschen. Alle Eltern sind Sünder in der Gnade Gottes, denn nur das gibt uns den Mut, weiterzumachen und dieser verwaisten, vaterlosen Zeit Leben zu schenken. Ich bin Sünder und bin fehlbar, und wir dürfen nicht vergessen, dass die Idealisierung eines Menschen stets auch eine unterschwellige Art der Aggression ist. Wenn ich idealisiert werde, fühle ich mich angegriffen.

ZEIT: Liegt die Aggression darin, dass ein Vorbild keine Fehler machen darf?

Franziskus: Ja, auch das. Man gesteht mir nicht zu, ein fehlbarer Sünder zu sein.

ZEIT: Fühlen Sie sich von den Angriffen aus dem Vatikan gegen Sie getroffen?

Franziskus: Nein. Ich will ehrlich sein: Seit ich zum Papst gewählt wurde, habe ich meinen Frieden nicht verloren. Ich kann verstehen, wenn meine Art, die Dinge anzugehen, manchen nicht gefällt, das ist völlig in Ordnung. Jeder darf seine Meinung haben. Das ist legitim und menschlich und bereichernd.

ZEIT: Sind die Plakate, die in Rom aufgetaucht sind und Ihnen vorwerfen, unbarmherzig zu sein und Ihre Kardinäle nicht anzuhören, oder der gefälschte Osservatore Romano, in dem Sie auf jede der Ihnen gestellten Fragen mit »Ja und nein« antworten, bereichernd?

Franziskus: Der gefälschte Osservatore Romano nicht, aber der römische Dialekt der Plakate war großartig. Den hat nicht irgendeiner von der Straße geschrieben, sondern ein kluger Kopf.

ZEIT: Jemand aus dem Vatikan?

Franziskus: Nein, ich sagte doch: ein kluger Kopf. (lacht) Wie auch immer, das war großartig!

ZEIT: Es ist großartig, dass Sie darüber lachen können!

Franziskus: Aber ja doch. Es gibt dieses Gebet, das Thomas Morus zugeschrieben wird, das bete ich jeden Tag: »Herr, schenke mir Sinn für Humor!« Der Herr bewahrt mir meinen Frieden und schenkt mir viel Sinn für Humor. Allerdings bin ich noch nicht so weit wie der wunderbare Pater Kolvenbach, der 25 Jahre lang Generaloberer der Jesuiten war und im vergangenen Jahr gestorben ist. Er konnte über sich und andere herzlich lachen, sogar sich selbst auf den Arm nehmen, doch stets auf konstruktive und positive Art.

ZEIT: Aber gibt es nicht eine Art von Kritik, bei der Sie als Papst sagen müssen: »Basta, jetzt reicht’s!«?

Franziskus: Ich habe schon so viele Male »Basta!« gesagt!

ZEIT: Und, ist das angekommen?

Franziskus: Das ist angekommen.

ZEIT: Auch bei Kardinal Burke?

Franziskus: Ich empfinde Kardinal Burke nicht als Widersacher.

ZEIT: Es gibt da eine Geschichte, die ziemlich kompliziert zu erzählen ist, sich aber auf einen Kern reduzieren lässt: Im Malteserorden gibt es den deutschen Großkanzler, Albrecht von Boeselager. Ihm wird vorgeworfen, nicht verhindert zu haben, dass bei einem Hilfsprojekt in Myanmar Kondome zur Aids-Prävention verteilt wurden. Daraufhin wurde er von einem Protegé des Kardinals Burke entlassen. Sie haben Boeselagers Entlassung rückgängig gemacht und stattdessen Burkes Protegé um seinen Rücktritt gebeten.

Franziskus: Das Problem beim Malteserorden war eher, dass Kardinal Burke mit der Sache nicht umgehen konnte, weil er nicht mehr allein agierte. Ich habe ihm den Titel des Patronus nicht aberkannt. Er ist noch immer Patronus des Malteserordens, doch geht es darum, beim Orden ein wenig aufzuräumen, und deshalb habe ich einen Delegaten dorthin geschickt, der über ein anderes Charisma verfügt als Burke.

ZEIT: Ist Charisma ein Geschenk oder etwas, was man sich im Laufe der Zeit aneignet? Ist Ihr Charisma ein Geschenk Gottes, oder haben Sie es den schweren und den schönen Phasen Ihres Lebens zu verdanken?

Franziskus: Schon möglich, dass es auch mit dem Leben zusammenhängt, es lässt einen wachsen. Die Frage ist: Ist es einem selbst zu verdanken, wenn man 40, 50 Jahre alt wird, oder ist es ein Geschenk Gottes? Es ist beides. Und wie gesagt: Ich habe nie meinen Frieden verloren, und ich bitte um den Sinn für Humor, der ist ein Gottesgeschenk – denn das Leben ist schön!

ZEIT: Das Leben ist schön!: Haben Sie den Film von Roberto Benigni gesehen?

Franziskus: Ja, nur dass es in den Lagern so ordentlich und sauber war, hat mir daran nicht gefallen. In den wirklichen Lagern ging es ganz anders zu. Aber es ist ja nur ein Film. Die Botschaft hat jedenfalls gestimmt.

ZEIT: Die katholische Kirche Deutschlands, die evangelische Kirche Deutschlands und der scheidende Bundespräsident haben Sie eingeladen, unser Land im Lutherjahr 2017 zu besuchen. Werden Sie kommen?

Franziskus: Auch die Kanzlerin hat mich eingeladen. Aber das wird schwierig dieses Jahr, es sind so viele Reisen geplant. Um dem Problem vorzugreifen, bin ich vergangenes Jahr zu den Lutheranern ins schwedische Lund gefahren, um den Beginn des Reformationsgedenkjahres zu begehen und das 50-jährige Bestehen des katholisch-protestantischen Dialogs zu feiern. Der Terminkalender ist dieses Jahr sehr voll.

ZEIT: Vielleicht gibt es auch Länder, die Ihnen im Moment wichtiger sind, wie Russland, China oder Indien?

Franziskus: Nach Russland kann ich nicht fahren, denn dann müsste ich auch in die Ukraine. Noch wichtiger wäre eine Reise in den Südsudan, aber ich glaube nicht, dass das möglich ist. Auch eine Reise in den Kongo war geplant, aber das wird mit Kabila (Joseph Kabila ist dort Präsident, Anm. d. Red.) wohl auch nicht gehen. Dann stehen noch Indien, Bangladesch und Kolumbien auf dem Programm, einen Tag geht es nach Fátima in Portugal, und soweit ich weiß, steht noch eine Studienreise nach Ägypten an. Klingt nach einem vollen Kalender, nicht wahr?

ZEIT: Ja. Sie werden also auch 2018 wohl eher nicht nach Deutschland kommen können.

Franziskus: Ich weiß es noch nicht, noch ist nichts dergleichen geplant.

ZEIT: Das werden viele in Deutschland mit Bedauern hören. Sie hätten den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sehen sollen, nachdem Sie sich getroffen haben: Er schien ganz beseelt zu sein!

Franziskus: Er ist ein guter Mann. Er hat (wechselt ins Deutsche) Feuer im Herzen.

ZEIT: Damit haben Sie ihm ein großes Kompliment gemacht: Als besonders feurig ist er bei uns noch nicht aufgefallen.

Franziskus: Bei unserem persönlichen Gespräch hat er deutsch gesprochen, und ich habe gesagt: (wechselt ins Deutsche) »Langsam, bitte langsam!«

ZEIT: Aber Sie verstehen Deutsch gut?

Franziskus: Wenn Sie langsam sprechen, schon, aber (wechselt ins Deutsche) ohne Übung habe ich es verlernt.

ZEIT: Ich habe Ihnen etwas auf Deutsch mitgebracht – die Übersetzung eines Gebetes des heiligen Franz von Assisi, Ihres Namensgebers: Friede. Darf ich es Ihnen zeigen?

Der Papst nimmt es in die Hände und liest. Bei einer Zeile hält er inne und zeigt mit dem Finger darauf: »Herr, lass mich trachten, (...) nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.«

Franziskus: Das berührt mich. Das ist mir wichtig. Darf ich das mitnehmen?

Der Papst steckt das Gebet ein.

ZEIT: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Franziskus: Ich danke Ihnen, und bitte verzeihen Sie, wenn ich Ihre Erwartungen nicht erfüllen konnte.

ZEIT: Das denke ich ganz und gar nicht.

Franziskus: Beten Sie für mich!

MITARBEIT: MARIE AMRHEIN, CAROLINE VON BAR, KAROLINE KUHLA UND VERENA VON KOSKULL (ÜBERSETZUNG)


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Friede  
Ein Gebet 
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.


Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Franz von Assisi (1181–1224)



→ ZEIT-Gespräch aus: DIE ZEIT No 11 - 9. März 2017, Seite 13




[ˈɛkːɛ ˈhɔmoː] - Siehe - ein Mensch ... Das ZEIT-Gespräch mit dem Papst

abgeblättert & kein blatt vor den mund nehmen

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