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Beten im Motorentakt ...

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THOMAS BAYRLE
Gebete und Motoren

Von PETER IDEN | FR


Im Kunstbau des Lenbachhauses in München setzt Thomas Bayrle Maschinen in Bezug zu Formen des frommen Gebets. Wie geht das?

Man geht nicht fehl, Thomas Bayrle, dessen Anfänge als Maler und beachtlicher Zeichner zurückreichen in die Zeit um 1960, den erfolgreichsten Frankfurter Künstler seiner Generation zu nennen. Über die Jahre sind ihm, der seiner Bodenhaftung wegen auch ein hochgeschätzter Lehrer der Städel-Akademie war, viele Ehrungen zuerkannt worden. Seine in der Frankfurter Rundschau zwischen 1980 und 1982 veröffentlichten „Lebenszeichen“, verfasst während eines längeren Aufenthalts in Kalifornien, lesen sich heute als Beiträge zur Dokumentation einer Epoche.

Bildwerke von Thomas Bayrle finden sich momentan an mehreren Orten, als Ankunftsüberraschung in der Eingangshalle des Flughafens von Turin ebenso wie im Institute of Contemporary Art in Miami, es ist seine erste Einzelausstellung in den USA, und auf näherliegendem Terrain auch im sogenannten Kunstbau in München, einem langgestreckten, ursprünglich als U-Bahn-Station geplanten Trakt, der von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu einer Halle für Wechselausstellungen umfunktioniert wurde und bespielt wird. Hier sind in einer aufgelockerten Präsentation Arbeiten des Künstlers zu sehen, von denen einige bereits im unübersichtlichen Kontext der Kasseler documenta von 2012 gezeigt wurden.

In München wird nun klarer als damals in Kassel, welch enormen Spannungsbogen Bayrle riskiert, indem er nämlich Maschinen in Bezug setzt zu Formen des frommen Gebets. Wie geht das? Die Ausstellung ist bestückt mit Automotoren, die aufgeschnittenen sind, so dass die in ständiger Bewegung gehaltenen Kolben und Zahnräder in ihrem Zusammenspiel sichtbar werden, eine Erfahrung, die für manchen lehrreich sein mag, der über die Funktion des Antriebs in seinem Wagen Genaueres nicht weiß oder womöglich auch lieber nicht wissen will. Die Motoren verschiedener Hersteller, für die Demonstration ihrer (ähnlichen) Arbeitsweisen geöffnet, werden gleichsam ummantelt von Ton-Collagen, die ihre Herkunft in Gesängen der kirchlichen Liturgie haben.

„Rosenkranz“, 2009.  Foto: Thomas Bayrle, VG Bild-Kunst, Bonn 201

Auf diese zweifellos seltsam eigenwillige Verbindung ist Bayrle nach eigener Darstellung durch Kirchgänge gebracht worden, bei denen er Gelegenheit fand, den Rosenkranz betende Katholiken zu beobachten. Die monotone Repetition der immergleichen Gebetstexte und Fürbitten, gerichtet an und unterwegs in die Ewigkeit, versteht der so gelenkig wie waghalsig sich zwischen den Welten spiritueller und technischer Bemühungen tummelnde Artist, als Parallelfall zu der allerdings leider, da Motoren bekanntlich endlich sind, nicht auf Ewigkeit hin ausgelegten Wiederholung maschineller Abläufe.

Wobei hinsichtlich mindestens der Funktionen von Gebet und Motor einige Differenzen zu bedenken sind: Von dem einen werden Leistungen als Gnade des unbekannten Adressaten mit ungewissem Ausgang erhofft, während die von der Maschine erwartete Leistung von dieser im Regelfall relativ zuverlässig auch erbracht wird. So zuverlässig, dass sie – was einst Jean Tinguely im Garten des New Yorker MoMA vorgeführt hat – sogar dazu veranlasst werden kann, sich selbst zu zerstören.

Noch ein anderer Unterschied von Gebet und Maschine liegt darin, dass das Beten schon selber, als Akt des Gläubigen, auf Rettung zielt – während Maschinen zwar notwendige Produktionsprozesse und damit das praktische Leben erleichtern können, ihr Einsatz aber zugleich Gefahren impliziert, die den Benutzer sich als Täter und Opfer erleben lässt. Was das Beispiel gerade des Automotors belegt.

Das ironisch Kritische hat sich gehalten

Diese kritische Dimension von Phänomenen, die für die Massen- und Konsumgesellschaft prägend sind, hat Bayrle schon früh beschäftigt. Gegen Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts realisierte er Objekte, manchmal in sich beweglich, in denen aus Hunderten von seriell gereihten Gesichtern ein großes gebildet wurde, das „Great Face“, etwa die Physiognomie Marilyn Monroes, zusammengesetzt aus den entindividualisierten Gesichter ihrer Bewunderer. Nach Art verstellbarer Jalousien konnten die Oberflächen dieser Bildkästen, mit Hilfe von dahinter montierten Elektromotoren, so verändert werden, dass dann die Züge der Monroe sich fließend in die Maos verwandelten. Aus gleichartigen Einzelteilen entstand, durch deren serielle Wiederholung, eine übergreifende Form, zu der die Reihung der Einzelelemente sich kommentierend verhält: Die Masse schafft die Idole, die Monroe wie Mao.

Das Spielerische, ironisch Kritische an Bayrles Kunst hat sich bis heute gehalten. In München sind unter den ausgestellten Motoren auch solche, die wie in Autos jeweils zwei Scheibenwischer antreiben: Für einen heiteren Augenblick mag man in den gleichmäßig ins Leere sich wiederholenden Bewegungen der Wischer etwas von dem bedeutet sehen, was am Kulturbetrieb dessen routinierter Selbstbezug ist.

Lenbachhaus München, Kunstbau: bis 5. März. Zu der Ausstellung liegt ein Künstlerbuch vor, hrsg. von Matthias Mühling und Eva Huttenlauch. www.lenbachhaus.de

Thomas Bayrle - S!|montage nach einem foto von "franklandau"

ich bin viele

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Jedem Dierche sing Pläsierche ... - als ich so 10 - 12 jahre alt war, spielte ich mit meinem freund detlev oft kaspertheater ... leider hatten wir nicht so viel puppen - und eben für jede charaktere nur eine ... - aber dieses bild erinnert mich daran ... - denn heute ist es umgekehrt: viele figuren aber nur ein aufoktroyierter charakter (bild nach AFP) ...


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es ist nie zu spät: mit einigen kleinen meldungen und kommentaren werdet ihr mich zukünftig auch fortlaufend auf "facebook" antreffen:



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Aleppo

ur-deutsche familiengeheimnisse und der ur-ur-opa...

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ich beschäftige mich auf meiner homepage ja auch mit den familiengeheimnissen - um die aufarbeitung der geschehnisse in nazi-deutschland, die ja jede familie der "ur-deutschen" mit sich irgendwie herumzuschleppen hat - denn die überwiegende mehrheit aller deutschen familien war ja vor 75-80 jahren dem ns-regime zugetan - ganz im gegensatz zu vielen migranten-familien, die heutzutage bei uns sind - und die von diesen "ur-deutschen" argwöhnisch betrachtet werden ...

bei den rufen: "wir sind das volk"! werden dann diese "kernigen" familiengeheimnisse gerne verdrängt und ausgeblendet. mir ist wichtig, dass wir uns unserer "weißen flecken" im familienbewusstsein auch stellen - so oder so ...: zu stolz und überheblichkeit haben da die meisten wohl wenig anlass: bei der frage, was (ur-ur-)opa damals in uniform gemacht hat - oder wo (ur-ur-)opa damals zuhause war - und wie und warum die familie jetzt da ist - wo sie ist ... - ob nicht etwa auch eine "wirtschaftsflucht" sich womöglich mit dahinter verbirgt ...


du musst was "anständiges" lernen ....

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man müsste das salär von vielleicht nur mittelmäßigen bundesliga-spielern mal mit diesen kunst-erlösen vergleichen ...😕😕

Nederlands - dat gij hebt heel goed gedaan

Alpha & Omega

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(Foto: taz/David W./fotocase.de)






















→ mit diesem foto aus der taz ist eigentlich die welt erklärt: 

  • die konflikte im nahen osten - 
  • das verhältnis arm vs. reich - 
  • oben und unten - 
  • und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein lichtlein her ...
  • wo komm ich her - wo gehe ich hin - warum bin ich -
  • leben - tod & ewigkeit


und - tschüss ...



gut - dass wir mal drüber gesprochen haben ...

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gut - dass wir mal drüber gesprochen haben ...

zum 90. geburtstag für martin walser

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Martin Walser wird in der kommenden Woche 90.

SWR und 3sat haben ihn mit einem langen Feature während einer Autofahrt mit ihm rund um den Bodensee geehrt - das ich gerade bei 3sat schauen konnte.

Und deshalb möchte ich teilhaben lassen - die Vorschau zunächst seht ihr hier:





S!NED!|graphic nach nach einem foto von: matsas|badische zeitung

und am schluss des geburtstags-epos wünschte sich martin walser diese musik



und hier walsers umstrittene friedenspreis-dankesrede 1998:



Erna - ganz expressiv | S!NED!|art

Hier wåå ich mit Schulzi schommå tängkng dœ. Harry Rowohlt

da hatte frauke petry nix zu bestellen ...

bärtige mumie

Die Externsteine sind bei GEO "magische Orte"

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S!NED!|photography: Die Silhouette der Erxnsteine - just wenn die Sonne drüber lugt ...

wie aus dem nichts ...

windowstars

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S!NED!|art: windowstars

die schönheit der demokratie - bürgerkunde in 6 minuten

Botho Strauß: Reform der Intelligenz

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Weshalb ist die Malerei im 20. Jahrhundert abstrakt geworden? Weil sie das Soziale, dem Figürlichen angebunden, nicht mehr ertragen konnte.

DIE ZEIT No 14|2017 | S. 41/42 | Feuilleton  ·


Botho Strauß 

Reform der Intelligenz

Wir leben mit denkfaulem Kitsch über Minderheiten, Toleranz und Menschenrechte. Aber es gibt einen Ausweg aus dem Niedergang des Denkens


Das kritische Bedenken der Lage erfährt seine eigene Krise. Es ist, als ob die Lage ein wie üblich und wie früher geartetes Denken abstoße wie alten Lack und es als verbraucht und inkommensurabel erscheinen lasse. Nun ist seit Längerem der untergründige Strom beliebigen Geplappers so stark, dass davon auch die feineren Sondierungen weiter oben nicht unberührt bleiben, ja selbst oft in den Strudel des billigen Meinens geraten.

Tube. Claes Oldenburg - pinterest
Ideenkitsch – weitläufiges Flachrelief aus Gedankenpolyester. Kitsch der Toleranz, Kitsch des Weltweiten, Humankitsch, Kitsch der Minderheiten und der Menschenrechte, Klima-Kitsch und Quoten-Kitsch, Kitsch von Kunst und Wahn – dies alles sich vorstellen als eine erstarrte Paste, ausgedrückt aus einer Tube wie von Claes Oldenburg. Dick aufgetragen, obszön vorquellende Paste aus zerquetschter Tube.

Nun, es herrscht Unruhe, und jede Entwicklung kann sich überstürzen.

Immerzu jähes Geschehen, das dem Bedenken zusetzt, ihm den Atem raubt, weil es sich wieder einmal in die Ordnung des bereits Geschehenen nicht fügen will. Jedoch, indem es nun einmal dem menschlichen Ermessen sich darbietet und Menschen es nach ihrer Gewohnheit irgendwie unter Dach und Fach bringen müssen, bemerken dabei die wenigsten, dass dies jähe Geschehen ihr Dach und Fach längst in Stücke schlug.

Eine »grundlegende Reform der Intelligenz« forderte Ortega y Gasset im Buch des Betrachters, nämlich eine, die sich vom öffentlichen Gebrauch, den Normen des öffentlich Denkbaren, abwendet. Das hieße heute: wider die kritische, die durch Kommunikation ausgeleierte, erschöpfte, die immer im Ganzen überblickbare, die nie und niemanden überraschende Intelligenz. Stattdessen für ein sacrificium intellectus, dargebracht dem Undurchdringlichen, dem Staunen, der Verwirrung und dem Schweigen. Bei Ortega heißt es dazu noch: Der Geist ist nur etwas wert, wenn er niemandem nützt und aus der »tönenden Einsamkeit« des Lebens (Juan de la Cruz) aufsteigt.

Die Perturbierten, die Verwirrten, die den aufgewirbelten, von den Füßen ihnen zu Kopf stei-genden Staub der Stunde denken, der ein wenig glitzern mag in der Abendsonne, aber schnell hinfällig wieder zu Boden sinkt. Die Äußerungen zur gegenwärtigen Lage, die mehr vergegenwärtigen wollen als promptes politisches Bekennen, leiden häufig an der nämlichen Schwäche: Sie sagen nichts als das Naheliegende. Gute Reflexion entfernt indessen ihren Gegenstand, bis er sich etwas befremdlich und damit vielleicht erkenntnisergiebiger ausnimmt als im aufgegriffenen Zustand.

Perturbatio: Ein Weltführer, der nicht führen kann, stiftet Verwirrung, ein Volksentscheid (Brexit) wider alle Vernunft stiftet Verwirrung, eine Regierungschefin überblickt die Tragweite ihrer Entscheidung nicht und stiftet Verwirrung, ein Terrorakt, eine neue Rechte stiften Verwirrung et cetera. Vielleicht legten die Verlautbarer besseres Zeugnis ab, wenn sie eine Weile innestünden der Verwirrung, deren weit ausladende Schwingung bis an sich selbst herankommen ließen, statt unverzüglich sich mit den alten Ordnungsklischees zu behelfen. (Oder als Fazit Hamlet falsch zu zitieren: Die Welt ist aus den Fugen.)

S!NED!|art: ver(w)irrungen

Ist es politische Unbeholfenheit, ist es mangelndes Sprachgedächtnis, ein und dasselbe Volk, sofern es sich richtig verhält, demos, wenn aber nicht, dann abschätzig populus zu rufen?

Es erweist sich wohl als Illusion, dass dem »neuen Menschen«, dem Vernetzten, ein entwickelteres Sensorium entstünde für dicht verwobene Hintergründe, Beziehungen und Zusammenhänge, die jemandem, der sinnlich gleichsam auf »analoger« Stufe zurückblieb, niemals zugänglich wären. Im Gegenteil: Von gesteigerter Empfänglichkeit, unruhigem Vorausgefühl in Zeiten des Umbruchs ist wenig zu spüren. Auch das hohe Erwarten ist aus der Schar verschwunden. Der menschliche Instinktersatz, das einst hoch entwickelte Wittern wird von der nüchternen Präzisionspflicht, welche die Technik auferlegt, einerseits und andererseits von ideologischen Gaukeleien bedrängt und eingeschränkt. Es ist so gut wie abgestorben. Man widmet sich mit jeweils kurzsichtigem Eifer den »zeitnahen« Umwälzungen. Zudem findet sich jedermann in jedem Augenblick seines Lebens in Gesellschaft, übt sich in unmissverständlicher Verständigung. Nichts trennt den konsensitiven schärfer vom sensiblen Menschen als seine geschäftige Ahnungslosigkeit.

Soziomania, Soziozentrismus: Die Gesellschaftsgesellschaft war die Geistesleidenschaft des 20. Jahrhunderts, soll es ewig dabei bleiben?

Spielte bei einem Epochenwechsel, wie wir ihn erleben, der Intellekt überhaupt noch eine Rolle, so würde er zunächst seine Interessenzone überprüfen und sich mit Überdruss von den entleerten Diskursen des Sozialen abwenden, dem er zuvor die Vorherrschaft über alle menschlichen Belange gesichert hatte.

»Die Gesellschaft« war ein Spektakel des 19. und 20. Jahrhunderts. »Der Mensch«, vorerst nur eine dramatische Skizze, rückt nun an seine Stelle, ein neues Existenzial bestimmt die Handlung, ohne beim Repertoire vorangegangenen Menschseins sich absichern zu können. Man weiß noch wenig über das endgültige Drama zu sagen.

Wozu hat es einmal Wittgenstein und Beckett gegeben? Um uns vor der Hegemonie des Sozialen über Geist und Dasein zu schützen. Oder: gesellschaftsbereinigte Kunst. Rothko, Hitchcock und Jean-Pierre Melville. Um uns vom Sozialen zumindest zu beurlauben.

Weshalb ist die Malerei im 20. Jahrhundert abstrakt geworden? Weil sie das Soziale, dem Figürlichen angebunden, nicht mehr ertragen konnte.

Das Über-Geheiß des Sozialen abzuschütteln käme heute dem Gottessturz Nietzsches gleich.

Es wäre wohl zuvörderst ebenso nur eine laute Proklamation.

Wir lesen die Skeptiker nicht, weil sie mit ihren Aussagen so schön recht haben, sondern weil sie den besseren Stil schreiben und uns von der großen menschlichen Kraft der Negation überzeugen, dank derer uns das Denken von den Dingen befreit.

Alle Zukunftsträume, den Typus des Intellektuellen betreffend, sind schon deshalb Schäume, weil Intellektuelle von der Mutter aller Revolutionen zur Welt gebracht wurden und nun im Alter von über 200 Jahren als verbraucht und überlebt angesehen werden müssen; sie werden also wieder aus der Geschichte verschwinden. Wir werden noch einmal bei Vico neu beginnen. Das poetische Wissen wird gegen den erschöpften Intellekt wiedererstarken. Wir werden aufhören, der Jugend eine vorrangige Bedeutung beizumessen. Wir werden nur noch Väter kennen.

Linke Geister bewegen sich im Laufe des Lebens zur Mitte hin und beschweren sie mit ihrem knörzigen, ermüdeten Linkstum.

Rechte Geister fliehen zeitlebens die Mitte und verlieren sich später in der Tiefe der Zeiten.

Der zentripetalen Tendenz folgt allein der Linke. Falls er nicht vom Eifer ergriffen wird, ein Fanatiker-Gen besitzt, dann gerät er nicht selten in die Symmetriefalle und wechselt nach rechts außen.

Der Reaktionär hingegen ist das Nachhaltigste, was die Denkwirtschaft hervorgebracht hat.

Er pflegt die Bestände und meidet Wegwerfprodukte.

Außerdem stiftet er nachhaltiger als die Liberalen Unruhe. Gerade weil nichts so ist, wie er’s sieht und erst recht nicht: sich dorthin entwickelt, wo er’s haben möchte – kein Wiedererstarken von Kirche, Sitte, Autorität in Sicht –, versammelt er die größtmögliche Potenz an Phantasma und Fiktion in sich.

An die Stelle der äußeren Konventionen sind unzählige konsensitive Verbindlichkeiten getreten, welche das Übereinstimmen unter den verschiedensten Naturen erleichtern und schließlich unwidersprechbar machen, der Einzelne wird’s bei sich kaum noch bemerken.

Verflucht, poète maudit wäre in der Kommunikationswelt nicht der, der weiterhin Tabus bricht oder irgendwo im Schlamm der Laster wühlt, als vielmehr jener, der mit schwerer Zunge spricht und dessen Sprache für die meisten keinen Mitteilungswert besitzt. Schon der Schwerverständliche ist ein Ausgestoßener.

Leugnen wird niemand, dass aus dem Bereich des Sekundären (also der »Gesellschaft«, nicht des Staats) die demokratische Diktatur entstehen könnte mit strikten Vorgaben zur rhetorischen Korrektheit: eine Kommunikationsherrschaft, die keinerlei Abweichung von der Leichten Sprache mehr duldet.

Die Anbindungen sind überall gekappt. Man hat zu viel investiert in E-manu-zipation, das Aus-der-Hand-Geben, und darüber die gegebene Hand verachtet. Die stürzenden Eisklippen in der Antarktis, Signalbild der Erderwärmung, geben gleichermaßen ein warnendes Symbol für die stürzenden Klippen des Andenkens.

Lange Zeit konnte man das Erreichte nur in der Projektion auf ein Unerreichliches hin ordnen. Inzwischen wird das Erreichte einfach nur überboten. Mit anderen Worten: Das Unerreichliche verschwindet als ideelles (= sittliches) Kriterium, wenn auf einer nach oben offenen Leistungsskala das Erreichte fortschreitend höher markiert wird.

Das letzte Ziel der in ständigem Selbstbezug voranschreitenden Befreiungen, die unsere Moral betreffen, ist allen unbekannt. Weder (das immer nachgebende) Gesetz noch Mentalität oder Sitte werden da Einhalt gebieten, und immer werden die Befreiten finden, dass das Erreichte wiederum nicht ausreicht, bis eines Tages der Selbstverzehr der Freiheit einsetzt und den Aufstieg der Tyrannei von Barbaren begünstigt.

Gesinnung ist dem Triebleben näher verwandt als dem Geistesleben, steht dem Lustprinzip näher als der Erkenntnis.

Das System, in dem freie Menschen zu allen Dingen frei sich äußern dürfen, besitzt bedauerlicherweise keine integrierte thermostatische Regelsteuerung, kann also selbst nicht verhindern, dass sein unvergleichlicher Vorteil sich auf die Dauer zu einem Laster deformiert, indem nun die Menschen oder Leute nicht mehr aus freien Stücken reden, sondern unter einen manischen Äußerungszwang geraten. Gerade der Verschämteste wird von der Lust geplagt, sich zu zeigen, im unerfahrbaren Raum unzähliger Gäste sich darzubieten. Von allen Sondersensationen des Sexus hat der Exhibitionismus weltweit den Sieg davongetragen.

Das Geheime wird also in der Poesie überleben.

Aus der Liebe, der Diplomatie, dem Wissen, dem privaten Haus ist es längst vertrieben.

Schwer zu hacken aber ist die verschlüsselte Metaphorik. Ihr Autor läuft geringe Gefahr, sei-nes geistigen Eigentums beraubt zu werden.

Was der Romantiker gegen die beginnende Industrieepoche war, muss der poetische Myste gegen die amusische Intellektualität der Wissensgesellschaft sein.

Intellekt, das ist cognitio praecox– man versteht, noch bevor man eindringt.

Botho Strauß - Bildbearbeitung: S!NED!|art
Zuvörderst muss der Autor sich selbst als Kerbpfahl spüren, in den seine Zeit ihre schrecklichen Schulden schnitt. Die billige Rationalität, die Verachtung der Verzweiflung, die Herabsetzung von Größe, die verleumdete Überlieferung, das Denken ohne Dank, die Selbstherrlichkeiten jeder Neuerung, die befleckte Unempfänglichkeit, der Mangel an Mangelempfinden ...

Dann aber möchte er wohl ein Wechsler sein, ein Umsetzer und Wandler von Strömen – etwa den des Zynismus (jener Intelligenz, die sich einbildet, noch intelligenter als die Intelligenz zu sein) oder nur der kaltschnäuzigen Nüchternheit wandeln in warmen Enthusiasmus. Im Zynismus, der in der deutschen Gemütsgeschichte vor Brecht nicht bekannt ist, doch dann in seinem Gefolge die maßgebliche Intellektualität von Ostdeutschland beherrschte und zum Teil noch immer beherrscht, im Zynismus steckt ja eine enorme Kraft, die restlos mit sich selbst zufrieden ist. Die Selbstzufriedenheitsschubkraft also gilt es zu nutzen und im Handumdrehen in königliche Demut, in Staunen, Entdecken und Bewundern zu transformieren. Ein starker kleiner Transformator muss man sein. Das wäre der Anfang.
"Von allen Sondersensationen des Sexus hat der Exhibitionismus weltweit den Sieg davongetragen...": Von Botho Strauß erschien zuletzt der Prosaband »Oniritti Höhlenbilder« (Hanser Verlag, München 2016). Seine zivilisationskritischen Essays wie der »Anschwellende Bocksgesang« (1993) stießen häufig auf lebhafte Resonanz


"von allen sondersensationen des sexus hat der exhibitionismus weltweit den sieg davongetragen": S!|art


also - ich sag ganz ehrlich - manchmal - oder zumeist - versteh ich beim verschwurbelten botho strauß nur "bahnhof" - und das war auch beim "bocksgesang" vor 24 jahren nicht viel anders ... und doch habe ich immer das gefühl, als wäre mein "geist willig - aber mein fleisch zu schwach" - will sagen: ich bin vielleicht mit meiner "reformierten intelligenz" (s. titel) nahe dran, was er mir sagen will ... - und vielleicht bin ich auch nur zu "ehrfürchtig" um mir einzugestehen, dass das was ich da lese, auch nur so, wie ich es verstehe, gemeint ist vom guten alten botho ... - dass ich seinem geschwurbel also durchaus "immanent" folgen kann - aber mir nicht traue, mir das auch einzugestehen ...: und dann tröstet mich dieser satz: "von allen sondersensationen des sexus hat der exhibitionismus weltweit den sieg davongetragen" ... - was ich dann so verstehe: sich bloßzustellen, seinen ganz (all)gemeinen senf überall dazuzugeben, ist schon eine art sucht - ein trieb - und deshalb betreibe ich dieses blog und auch noch die anderen und die neuen facebook-seiten nach dem motto: "er hat es schon wieder getan" ... - und deshalb mache ich meinen mantel auf: und schreibe diese zeilen hier - und bin wahrscheinlich genauso befriedigt dabei wie der botho strauß, der diesen seinen text in der "zeit" mal wieder "zur schau gestellt" hat ... S!

Zu Botho Strauß: "Obszön sind immer die anderen" - FR | DIE WELT | DEUTSCHLANDRADIO KULTUR

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