Der Text unten kam mir hoch - ähnlich wie das "innere Säuern" des Heiner Müller - als Reaktion auf das besagte WDR-Hörspiel von 1997 - gesendet 2014 - das ich mir aus jenem legendären WDR-"Hörspielspeicher" anhörte:
Zu Schlingensief, der ja leider auch viel zu früh verstorben ist, und der als 1960 geborener Jüngling vielleicht die innere ehrliche Wut der "68-er" gar nicht mehr richtig verstehen und als Wirtschaftswunder-Knabe gar nicht mehr nachvollziehen konnte - der diese 68-er-Generation, zu der ich mich zweifellos dazugehörig zähle, in diesem Stück mit Lehm beschmeißt, sich über hehre Ansinnen lustig macht, um sie, wenn es irgend geht, zu desavauieren - eigentlich als Blaupause zu den damals zerstrittenen Grünen, die diese hehren Generationsideale in der Fischer-Schröder-Ära unbarmherzig verraten und in den Ausguss der Geschichte geschüttet und zertrampelt haben (siehe z.B. die persönliche Entwicklung von Claudia Roth von "Ton-Steine-Scherben" zum Hautevolee-aufgepinkten Rauschgoldengel ...) - ja - da musste mir folgerichtig eine "Beerdigungs"-Zeichnung für die 68-er in den Sinn kommen, die ich am Heiligen Abend 1979 anfertigte bzw. anfertigen musste - voller innerer Beteiligung ... - und deren innere emotionale Würde ich nie "verraten" könnte ...
Aber auch für Schlingensief und Roth galt und gilt: Bei Anfällen jedweder Art immer zuerst den Abflussstöpsel ziehen ...
S!
Rocky Dutschke '68 (zum Anhören hier clicken...)
Von Christoph Schlingensief
Ein Aufstand gegen die ewig richtig Gerechten und politisch Korrekten. In einer furiosen Collage zerstört Christoph Schlingensief die Illusion der "Verarbeitung" von Geschichte in monströsen Mischungen und emotionsgeladenen Improvisationen.
Hier stürzen nicht nur Dutschke und seine Klassenkameraden vom Sockel, dieses Hörspiel ist ein Generalangriff auf die Generation der 1968er. Es zertrümmert Bilder und Formeln einer überständigen Epoche. "Live geschaltet aus drei Studios" hören wir zwölf Redakteure, ausgewählt in einem Preisausschreiben: Wolf Biermann, Margret Kleinert, die Redakteurin für "Gedenken ohne Schmerzen", schließlich sogar Heiner Müller. "Das Essen kommt von der Pizzeria Antonia." Man spricht über Hobbys, Arbeit und Rudi Dutschke. Der geht in diesem Hörspiel nochmal auf die große Reise nach West-Berlin; er stürmt die Kaufhäuser und verfängt sich in den ideologischen Schlingen des Kapitalismus. Währenddessen lassen es sich die zwölf Redakteure im Studio gut gehen, Wolf Biermann steppt, und Heiner Müller offenbart im Interview Details über Lustgewinn und sein "inneres Säuern". Am Ende liegt Margret Kleinert tot in Studio 3. Es riecht nach Gas.
Mit Sophie Rois, Bernhard Schütz, Astrid Meyerfeldt, Achim von Paczensky, Christoph Schlingensief u. a.
Regie: Christoph Schlingensief
Produktion: WDR 1997/50’
Redaktion Martina Müller-Wallraf
Zu Schlingensief, der ja leider auch viel zu früh verstorben ist, und der als 1960 geborener Jüngling vielleicht die innere ehrliche Wut der "68-er" gar nicht mehr richtig verstehen und als Wirtschaftswunder-Knabe gar nicht mehr nachvollziehen konnte - der diese 68-er-Generation, zu der ich mich zweifellos dazugehörig zähle, in diesem Stück mit Lehm beschmeißt, sich über hehre Ansinnen lustig macht, um sie, wenn es irgend geht, zu desavauieren - eigentlich als Blaupause zu den damals zerstrittenen Grünen, die diese hehren Generationsideale in der Fischer-Schröder-Ära unbarmherzig verraten und in den Ausguss der Geschichte geschüttet und zertrampelt haben (siehe z.B. die persönliche Entwicklung von Claudia Roth von "Ton-Steine-Scherben" zum Hautevolee-aufgepinkten Rauschgoldengel ...) - ja - da musste mir folgerichtig eine "Beerdigungs"-Zeichnung für die 68-er in den Sinn kommen, die ich am Heiligen Abend 1979 anfertigte bzw. anfertigen musste - voller innerer Beteiligung ... - und deren innere emotionale Würde ich nie "verraten" könnte ...
Aber auch für Schlingensief und Roth galt und gilt: Bei Anfällen jedweder Art immer zuerst den Abflussstöpsel ziehen ...
S!-Graphik - der Original-Grafik von 1979 nachempfunden, die bei einem Wohnungsbrand leider verlorenging ... |
Ach - wissen Sie - ich habe das damals gezeichnet - wie der Rudi da so in der Badewanne ertrunken dalag - das Erbrochene schwamm da vor ihm im Seifenschaum ... - ich hab das damals als Rosen angedeutet - und das sollte ästhetischer wirken - obwohl das Antlitz im Tod ja eigentlich immer auch irgend etwas Ästhetisches hat. Ich habe ja selbst damals bei Menschen mit Epilepsien gearbeitet - und habe auch plötzliche Anfälle in der Badewanne miterlebt - zum Glück ist das immer alles gutgegangen: Und ich hatte es eingebläut bekommen: Menschen mit Epilepsie dürfen nie - niemals - alleine baden ... - und wenn es zu einem Anfall kommen sollte, muss die Begleitperson immer sofort - also geistesgegenwärtig - den Stöpsel aus dem Badewannenabfluss ziehen - damit der Wasserspiegel sich sofort senkt, denn der bewusstlose Veranfallte rutscht ja mit seinen Atemorganen sofort unter Wasser - und muss auch oft noch erbrechen, weil er sich am Badewasser verschluckt, was dann zusätzlich die vital benötigte Sauerstoffzufuhr massiv behindert ... - und er wird dann oft - wie wir sagten - "blitzeblau" - also hauptsächlich die Lippen, die dann ins Badewasser eingetaucht waren ...
So blaue zyanotische Lippen in dem meist ja gelblichen Badewasser mit Schaumkrone, war ja optisch, ich meine, war ja von der Farbgebung im Moment recht interessant - fast grünlich ... - phosphorn ein wenig - beleuchtet von der Waschschrankbeleuchtung ...
Ich meine - so ins Detail bin ich mit meiner Zeichnung damals natürlich nicht gegangen - es war ja schließlich Weihnachten - Heiligabend - ich habe auch nur mit Tusche bzw. mit dem Stabilo point 88 - fine 0,4 - die Zeichnung skizzenhaft rasch hingeworfen - und dann ganz leicht farblich nuanciert - und ich brauchte lange für Rudis Gesicht in der Wanne, denn es sollte ja nicht nach Karikatur aussehen - es sollte ernsthaft ausdrücken - gerade an einem Heiligen Abend - eben jenes - also Rudi's - "Es ist vollbracht ..." - sein "Marsch durch die Institutionen" war nun - "nach langem schweren Leiden" doch noch jäh zum Ersaufen gekommen - so wie es sein Attentäter und viele seiner Gegner schon seinerzeit erhofft hatten ...
Und ich sah damals vor meinem inneren Auge - gleichzeitig - beim Zeichnen dieser makabren Heiligabend-Szene - wie in stinkereichen Verlegerhaushalten der großen Boulevardpresse zum Heiligen Abend ungefähr zeitgleich mit den Dienstboten mit Champus angestoßen wurde - aus Kristallgläsern versteht sich ... - und erst neulich las ich, das nur gut eine Woche später auf einer Parkbank ein erfolgreicher Sohn und Haupterbe aus einem dieser Haushalte seinem Leben ein Ende setzte - und bis heute halten sich die Gerüchte - dass der eine Spätmord mit dem anderen Selbstmord - wie man so sagt - etwas miteinander zu tun gehabt hätten - willkürlich oder unwillkürlich - flüchtig - (also "flüchtig" von "Fluch" und von (Verantwortungs-) "Flucht"...) - direkt oder indirekt aber irgendwie verstrickt ineinander - oder so ...
Aber weil ich beim spontanen und betroffenen Zeichnen der einen Szene ja die Fortsetzung ganz anderswo ein paar Tage später gar nicht kannte und auch nicht ahnen konnte - sah ich nur den zerknautschten Rudi mit seinem klebrig nassen Haar - und hörte gleichzeitig die Kristallgläser klingen ... das war schon makaber genug ...
Ich zeichnete eigentlich auch aus einer Art "Emotionalflucht" - ich musste was zu tun haben und wollte ganz ernsthaft und wahrhaftig eine innere Szene beschreiben - um nicht heulen zu müssen - schon aus Rücksicht auf meinen damals achtjährigen Sohn - der seinen Vater am Heiligen Abend doch nicht einfach heulen sehen durfte - und er verstand ja auch nichts von meinem Schmerz ... Und doch fühlte ich auch: Das ist jetzt der endgültige Schlusspunkt einer Ära, die versucht hatte, "ehrlich" zu sein, ehrlich vor dem eigenen Gewissen, die das Elend in der Welt, hübsch angerichtet vom Kapitalismus mit all ihren Großverlegern und korrumpierten Profipolitikern, geschmiert von den Rüstungskonzernen, nicht ausblendete und zu entlarven versuchte ... - und ebenso die Verstricktheiten der einzelnen oft unter Bannfluch gestellten Familiengeheimnisse in Bezug zu den Aktivitäten im Nationalsozialismus, die in fast jeder Familie umhergingen und nachts die Albträume befeuerten - und nach solch dringend notwendiger Aufarbeitung und Offenlegung konnte man vielleicht endlich wieder morgens ehrlichen Auges in den noch oft genug beschlagenen Spiegel blicken ...
Und diese Ära war da am Heiligen Abend 1979 sang- und klanglos ertrunken - ertrunken in einem längst fälligen Anfall insgesamt, der bei so viel Schmach und Aussichtslosigkeit und Verstricktheiten und Vertuschungen und Lügen auf Dauer nicht zu unterdrücken war - und es war niemand da, der wenigstens den Stöpsel aus dem Badewannenabfluss ziehen konnte ...
S!