Filz und Kungelei
BANANA|BAY
Bayern, die deutsche Mini-Bananenrepublik
Hybris, Gier, Doppelmoral, Selbstüberschätzung paaren sich in der bayerischen Politik mit Filz und Kungelei. Die CSU schwelgt in Allmachtsfantasien und verliert den Bezug zur Realität.
Eine Abrechnung von Thomas Schmoll - stern.de
Ein Bundesverdienstkreuz schmückt ungemein. Sein Träger kann mit stolzer Brust - zum Beispiel über die Gänge einer Staatskanzlei - laufen, schließlich hat er sich ganz besonders um das Wohl Deutschlands verdient gemacht. So einen Orden möchten wir auch, müssen es sich die bayerischen Minister Markus Söder (Finanzen) und Ludwig Spaenle (Kultus) gedacht haben. Sie schlugen sich gegenseitig vor, der hohen Auszeichnung würdig zu sein. Die zwei sind Freunde oder besser: Amigos. Der Akt der Selbstbeweihräucherung war Ministerpräsident Horst Seehofer, so deckte es der "Münchner Merkur" auf, zu viel der Kumpanei: "Er wollte den Eindruck verhindern, dass sich zwei Politiker da einen Orden zuschanzen", schrieb die Zeitung.
Die Geschichte ist exemplarisch für den Freistaat Bayern am Anfang des 21. Jahrhunderts: Politiker, die jedes Gespür für Maßhalten und Anstand verloren haben oder dabei sind, es zu verlieren, sollten sie es denn überhaupt jemals besessen haben. Es sind genau die Politiker, die in Bierzelten vorgeben, nah am Volk zu sein, aber jeden Bezug zur Realität verloren haben. Sie haben einen ausgeprägten Hang zu Gier, Hybris, Chuzpe, Doppelmoral, Arroganz und Selbstüberschätzung. Sie predigen Wasser und trinken Wein. Sie verstehen das Land, das sie regieren, auch ein Stück weit als Selbstbedienungsladen nach dem Motto: Regeln sind zum Brechen oder nur für die anderen da.
Machterhalt als Wegweiser
In Bayern war das schon immer so. Was dieser Tage an die Öffentlichkeit gelangt über Raffgier, Tricksereien und Verquickungen ist nicht die Rückkehr der Spezlwirtschaft und der Filzfabrikanten. Das Amigo-System war nie verschwunden. Es ist nur nicht mehr ganz so dreist wie zu Zeiten des Franz-Josef Strauß. Selbst der Verlust der jahrzehntelangen absoluten Mehrheit der CSU bedeutete nicht das Ende der Allmachtsfantasien. Spätestens seit (dem Streit um) Karl-Theodor zu Guttenberg wissen wir, dass vielen Christsozialen der Kompass verloren gegangen ist für das, was politisch, aber auch moralisch und ethisch vertretbar ist. Der maßgebliche Wegweiser ist Machterhalt. Der funktioniert wie ein Autopilot. So begegnet die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär Kritik, dass sie ihren Freund bis kurz vor der Hochzeit zweieinhalb Jahre in ihrem Büro beschäftigte, rein formaljuristisch. In diesem Sinne ist ihr vielleicht nichts anzukreiden. Dass so etwas da draußen - nicht nur bei Arbeitslosen - als Raffke-Mentalität rüberkommt, spielt keine Rolle.
Als Horst Seehofer 2008 die Führung der CSU und des Freistaates übernahm, hatte er es sich auf die Fahnen geschrieben, der Vetternwirtschaft den Garaus zu machen und den Filz aufzudröseln. Seit 2000 ist es Abgeordneten des Münchner Landtags untersagt, nahe Verwandte zu beschäftigen. Doch es galten Ausnahmen für bestehende Verträge. Der inzwischen zurückgetretene Fraktionschef Georg Schmid und weitere 16 der 92 CSU-Parlamentarier nutzten die Ausnahmen ganz im Sinne des Mottos der christlichen Seefahrt: "Frauen und Kinder zuerst!" Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Georg Winter, beschäftigte seine Gattin und zwei Söhne. Er stellte die Buben mit 13 und 14 Jahren ein - kurz vor Erlass des Beschäftigungsverbots für Verwandte. Seehofer ging nicht dagegen vor, obwohl die Selbstreinigung der politischen Hygiene gut getan hätte.
Fall Hoeneß ist nur der Gletscher des Eisbergs
Ein Gletscher des bayerischen Eisbergs ist der Fall Hoeneß. Der Fiskus ist in Bayern so stark unterbesetzt, dass Spötter den Freistaat als Steueroase bezeichnen. Das Risiko, beim Tricksen und Schönrechnen erwischt zu werden, gilt als eher gering. Dass Details aus den Ermittlungsbehörden dringen, mag ein Fest für investigative Journalisten sein. Doch man höre auf die Klage des Präsidenten des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghoff: "Gerade in diesem Fall scheint das Steuergeheimnis verletzt worden zu sein, das dem Schutz des Bürgers dient."
Seehofer, eitel, wie er ist, plauderte offen aus, dass er schon von den Ermittlungen gegen den Bayern-München-Präsidenten wusste, ehe der "Focus" den Skandal publik machte. Warum wurde ihm das mitgeteilt? Muss ein Ministerpräsident wissen, dass ein Fußball-Funktionär möglicherweise Dreck am Stecken hat? Natürlich entsteht dadurch nur ein weiterer schlimmer Verdacht, zumal jedermann weiß, wie nahe diverse CSU-Spitzenpolitiker seit Jahrzehnten dem Verein stehen: Hoeneß könnte einen Tipp aus der Landesregierung erhalten und sich deshalb zur Selbstanzeige entschlossen haben, die das Strafmaß mildert, wenn sie rechtzeitig bei den Behörden eingeht. Legendär ist der Rat des früheren Finanzministers Ludwig Huber an Franz Beckenbauer, Geld in die Schweiz zu bringen: "Franz, wenn was ist, nur melden!"
Der Aufsichtsrat des Fußballvereins ist eine Melange aus Sport, Wirtschaft, Politik und Medien. Ihm gehören Edmund Stoiber, langjähriger CSU- und Regierungschef in Bayern, ebenso an wie Helmut Markwort, Herausgeber des Münchner Magazins "Focus", VW-Chef Martin Winterkorn und weitere Topmanager der Konzerne Audi, der Telekom, Adidas sowie Unicredit, die sich als Sponsoren und Ausrüster engagieren. Adidas und Audi sind direkt an der Bayern München AG mit 9,1 Prozent beteiligt. Aufsichtsratsvorsitzender ist der mutmaßliche Steuerbetrüger Uli Hoeneß.
Adidas neben der Hoeneß-Wurstfabrik
Adidas kaufte 2002 seinen damaligen 10-Prozent-Anteil an der (nicht börsengehandelten) Aktiengesellschaft für rund 75 Millionen Euro. Zwei Jahre zuvor soll nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus Hoeneß auf einem Konto der Schweizer Privatbankgruppe Vontobel ungefähr zehn Millionen Euro für Spekulationsgeschäfte an der Börse mittels Kredit und Bürgschaft zur Verfügung gestellt haben. Nach ein oder zwei Jahren soll der Bayern-Mann den Betrag zurückgezahlt haben. Adidas hat seinen Sitz im fränkischen Herzogenaurach, einen Steinwurf von Nürnberg entfernt, wo Hoeneß seine Wurstfabrik hat. In Bayern ist man halt gerne nah beieinander.
Text: Thomas Schmoll, stern.de - s!NEdi|photo|bearbeitungen