hochgestreckt |
Ja - haben wir denn sonst keine Sorgen? Da beschäftigen sich die deutschen bzw. westeuropäischen Medien zur Freude der versammelten marktkonformen Demokratur-Akteure um Frau Merkel und Herrn Schäuble mit einem ausgestreckten Mittelfinger, den ein noch nicht ministeriabler Gastredner des "Subversive-Festivals" in Zagreb im Mai 2013 ganz nebenbei und lapidar gezeigt hatte, um damit deutlich zu machen, was er von der damaligen Finanzpolitik der riesigen Anleihen seines Landes im Jahre 2010 gegenüber den €U-Finanzpartnern hielt: der Stinkefinger galt den riesigen Darlehen, zu deren Bedienung und Rückzahlung man sich somit verpflichtet hatte, statt andere Stundungen in Anspruch zu nehmen ...
So hatte sich Griechenland im wahrsten Sinne mit Haut & Haaren der €U anheimgegeben - wie man ja heutzutage sieht - und dagegen hatte Varoufakis den bösen Finger gezeigt - übrigens in Griechenland eine ganz normale abwehrende Geste - längst nicht so moralisch verbrämt besetzt wie hier in Deutschland, wo eine solche Geste im Straßenverkehr mit bis zu 4000,-- € Bußgeld geahndet wird, und wofür bereits 1994 Stefan Effenberg von der damaligen Fußball-WM in den USA zurück nach Hause geschickt - und aus dem Kader gestrichen wurde ... - und der eigentlich als Gentleman geltende Fußballtrainer Ottmar Hitzfeld wurde 2012 für zwei Spiele als Schweizer Nationaltrainer gesperrt, weil er in einem WM-Qualifikationsspiel diese erschröcklich obszöne Geste zeigte... - ja - und wie groß war die Aufregung bei Peer Steinbrücks Stinkefinger-Geste auf der Titelseite des Magazins der "Süddeutschen Zeitung": er reagierte damit auf die Kritik an seinem an Pannen reichen Wahlkampf. Das Echo dazu wurde massiv und negativ parteipolitisch-moralisch einseitig völlig humorlos im Wahlkampf 2013 entsprechend überhöht aufgepeppt ...- eben typisch "deutsch" - ... Ursprünglich verteidigte Steinbrück die Geste, im Rückblick bezeichnete er sie als Fehler.
Das Phänomen des "Stinkefingers" tauchte schon in der ausgehenden Antike auf. Ursprünglich trugen Ärzte Salben mit dem längsten der Finger, also dem Mittelfinger auf, weil sie damit am tiefsten in Körperöffnungen eindringen konnten. Doch der Mittelfinger galt zunehmend als obszön. Er wurde deshalb als der digitus impudicus, der schamlose Finger, bezeichnet. Ärzte gingen dazu über, Salbe mit dem Zeigefinger aufzutragen.
Der Grund für dieses obszöne Empfinden war auch, dass der längste Finger als Phallussymbol angesehen wurde. Schon vor den Römern sprachen daher die Griechen vom Mittelfinger als dem"geilen" Finger. Der Philosoph Diogenes Laertios streckte etwa in diesem Bewusstsein dem berühmten Athener Redner Demosthenes zu dessen Bloßstellung den Mittelfinger entgegen. Also - eine ur-griechische Geste ...
Ja - die Medien kennen sich in dem so moralisch verkorksten Deutschland mit dem gestreckten Mittelfinger von Sportlern und Politikern bestens aus - und suchten jetzt nach einem Haar in der griechischen Suppe - und der heimliche Regierungssprecher Günter Jauch entblödet sich auch noch, ein solches zusammengesuchtes "Argument" tatsächlich ins Spiel zu bringen ...- völlig haltlos aus dem Zusammenhang gerissen - was in dieser so konstruierten "Deutungshoheit" vom "Täter" Varoufakis mit diesem hineininterpretierten unterstellten "Sinn" nur als "Fälschung" deklariert werden konnte - und ihm auch so vorkommen musste ...: Nicht der lapidare Stinkefinger ist gefälscht - wohl aber die ihm so unterstellte gemeinte Bedeutungsaussage dazu ...
drum merke: ... und wenn Du denkst, es geht nix mehr - kommt irgendwo aus dem TV-Archiv ein lang gestreckter Mittelfinger her ...
S!-bearbeitung aus dem Video-Still |
Debattenbeitrag zum "Mittelfinger" Varoufakis
"Den Finger in die richtige Richtung gestreckt"
spiegel.de
Die Politiktheoretiker Slavoj Zizek und Srecko Horvat haben 2013 jenen Kongress organisiert, auf dem Giannis Varoufakis die Mittelfinger-Geste zeigte. Hier erklären sie in einem Debattenbeitrag ihre Sicht auf die Diskussion in Deutschland.
Als zwei der Organisatoren und Teilnehmer des Subversive-Festivals in Zagreb im Mai 2013 freuten wir uns sehr, dass Giannis Varoufakis unserer Einladung gefolgt war, einen öffentlichen Vortrag auf dem Festival zu halten und sein Buch "Der globale Minotaurus" vorzustellen. Als Antwort auf eine Frage aus dem Publikum zeigte Herr Varoufakis damals nicht Deutschland oder den Deutschen den Mittelfinger. Er bezog sich auf die Situation im Januar 2010. Sein Ansatz war, dass Griechenland damals besser bei seinen privaten Gläubigern hätte in Verzug geraten sollen, als riesige Anleihen bei seinen europäischen Partnern - einschließlich natürlich Deutschland - zu tätigen.
Im Zuge der aktuellen Empörung wurden Varoufakis' Geste (oder besser gesagt: Redewendung) und ihre Bedeutung von deutschen Medien aus dem Kontext gerissen und in brutalster Propaganda-Manier manipuliert: Seine Redewendung von vor zwei Jahren wurde auf eine komplett andere Situation bezogen. Warum also wurde das unbedeutende Detail von einer Konferenz in Zagreb ausgegraben? Die Antwort ist nicht schwer zu erraten: Es ist Teil einer höchst zweifelhaften Strategie, die Syriza-Regierung zu diskreditieren.
Was uns allen Sorgen bereiten sollte, ist das Niveau, auf dem persönliche Attacken gegen die Schlüsselfiguren von Syriza gefahren werden. Herr Varoufakis wird dafür kritisiert, dass er in einer komfortablen Wohnung wohnt. All die rassistischen Klischees über die vermeintlich faulen Griechen, die nur auf Kosten hart arbeitender Europäer leben wollen, werden schamlos bedient. Welche Realität soll damit verschleiert werden?
Das Opfer werden wir alle sein
Sowohl in den Verhandlungen mit der €U als auch in seinen öffentlichen Stellungnahmen hat Herr Varoufakis stets auf maßvolle Weise versucht, einen rationalen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Dabei zeigte er soviel Kompromissbereitschaft, dass es in Griechenland schon zu ersten Demonstrationen gegen Syriza gekommen ist.
Was er und Griechenland nun im Gegenzug bekommen, ist die wiederholte und beschämende Weigerung, sich auf eine ernsthafte Verhandlung einzulassen. Um eine rationale Debatte zu vermeiden, begeben sich deutsche Medien immer stärker auf das Niveau der Boulevardpresse und stellen Tsipras und Varoufakis als Exzentriker da, die nur Zirkustricks aufführen und unverantwortliche demagogische Vorschläge präsentieren.
Stinkefinger in Schwarz-Rot-Gold |
Die traurige Botschaft von alldem ist eindeutig: Um das Ganze noch schlimmer zu machen, muss Griechenland nicht nur in finanzielle Ketten gelegt bleiben, sondern auch erniedrigt werden. Das letztendliche Opfer werden wir alle sein - oder auf den Punkt gebracht: €uropa.
Insofern Varoufakis "Deutschland den Finger gezeigt hat", bezog sich das Wort "Deutschland" nicht auf den Staat oder die Bevölkerung, sondern auf die deutsche Regierung, die damals (wie auch heute) die wichtigste Verfechterin der katastrophalen Sparpolitik der €U ist. Insofern war der Finger in die richtige Richtung gestreckt. Diese Botschaft kam bei allen auf dem Subversive-Festival im Mai 2013 unmissverständlich an - und sollte es heute, besonders in Deutschland, eigentlich auch.
Der wahre Skandal ist deshalb nicht der Gebrauch der guten alten griechischen Tradition des Mittelfingers - und wer hat nicht schon mal in seinem Leben den Mittelfinger gezeigt? Sondern das, was die deutsche Regierung Griechenland und dem Rest Europas antut. In der Debatte um kleine Finger sollten wir also nicht vergessen, was für einen riesigen Finger Berlin und Brüssel in Richtung Griechenland zeigen.
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Slavoj Zizek, 65, ist einer der bekanntesten Kulturtheoretiker der Gegenwart. Der in Ljubljana geborene Denker war 1990 in Slowenien Präsidentschaftskandidat. Seine Texte wurden von Hegel und Marx beeinflusst, aber auch durch den Psychonanalytiker Jacques Lacan. Hier schreibt er gemeinsam mit dem Philosophen Srecko Horvat, dem 1983 geborenen Gründer des linken Subversive-Festivals im kroatischen Zagreb.-----------------------------
Gerhard Haderer | stern.de
Bitterböse, aber treffende Zeichnungen:
Im Anflug auf Athen | Gerhard Haderer|stern.de |