- John Cage -
- die Malerei -
- die Gruppe „Die Blaue Vier“ -
und
- Jawlenskys „Meditation“ für 25 $ auf Ratenzahlung ...
John Cage begann seine künstlerische Laufbahn in den 1930er Jahren - zunächst als Maler. Bedauerlicherweise ging John Cages frühes Werk verloren und wahrscheinlich hat er selbst daran den größten Anteil, wohl, weil er diese Bilder nicht gelten ließ. Malerei im engeren Sinne war ihm zu beschränkt. Cage wollte interdisziplinär arbeiten, Grenzen niederreißen.
John Cage | S!NEDi|bild|bearbeitung |
Die frühen Bilder, das Interesse an Tanz (man denke an die lebenslange Kooperation mit Merce Cunningham), die Bevorzugung des Schlagzeugs, die Präparierung am sowie Aktionen mit dem Klavier, die Einbeziehung von Plattenspielern, Radio- und TV-Geräten zeigen den von Anfang an selbst im eigentlich musikalischen Werk von Cage gewichtigen Anteil des Visuellen. Mit eben dieser Öffnung der Gattungsgrenzen leistete er den größten Beitrag zur Ganzheit der Künste im 20. Jahrhundert. In diesen Zusammenhang gehört die veränderte Rolle des ausführenden Musikers ebenso wie die des bis dahin nur passiven Zuhörers beziehungsweise Betrachters, der bei Cage aktiver und partizipierender Realisator des Kunstwerks wird.
John Cage und die Gruppe „Die Blaue Vier“ ist in dieser Entwicklung ein wichtiger Aspekt, der nur wenigen Spezialisten bekannt ist. Eine Art Schlüsselrolle nimmt in dieser Zeit das Ölgemälde „Meditation“ des Expressionisten Alexej von Jawlensky ein: Cage hat dieses Bild 1935 erworben, obwohl der damalige Kaufpreis von 25 Dollar eigentlich nicht in seinem Budget lag. Mühsam hat der 22-Jährige die Dollars einzeln abgestottert. Das Bild, auf dem ein magisches Gesicht zu sehen ist, muss jedoch etwas in ihm ausgelöst haben. Völlig begeistert schrieb Cage an Jawlensky:„Nun ist es in mir. Ich schreibe Musik. Sie sind mein Lehrer.“
Die "Bilder", die Cage später"gelten" ließ, waren abstrakte Partituren - geschriebene Musik ... |
Damals - ab Mitte April 1934 - studierte Cage Harmonielehre bei Adolph Weiss, dem ersten US-amerikanischen Schüler Arnold Schönbergs, und belegte Kurse in moderner Harmonie an der „New School of Social Research“, New York, bei Henry Cowell. 1935 kehrte er nach Los Angeles zurück und nahm bis 1937 Privatunterricht in der Kompositionstechnik Kontrapunkt bei Schönberg. In diesem Jahr begann Cage eine Beziehung zu der 23 Jahre älteren Pauline Schindler und lernte die Galeristin Galka Scheyer kennen, von der er für 25 US-Dollar eben dieses kleine Gemälde Meditation von Alexej von Jawlensky aus dem Jahr 1934 erwarb, das er mit einem Dollar anzahlte.
Alexej von Jawlensky: Meditation, 1934 - 18 x 12,7 cm |
1939 organisierte Cage in der Cornish School in Seattle sogar kleine Ausstellungen mit Arbeiten von Paul Klee, Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky, auf Vermittlung von Galka Scheyer, r, die sich in Kalifornien seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre bemühte, die Werke von Feininger, Jawlensky, Klee und Kandinsky zu vermitteln – Cage war begeistert!
Alexej von Jawlenskys „Meditationen“ - er malte in seinen letzten Schaffensjahren eine Reihe Werke in verschiedensten Farbnuancen und Ausdrucksstärken - haben wenig von jenem glückseligen Zustand, den die Praxis der inneren Sammlung gemeinhin verspricht. Statt seliger Ruhe blicken dem Betrachter auf merkwürdige Weise verstimmte Gesichter entgegen, mit geschlossenen Augen zwar, aber eben doch deutlich geplagter und gequälter, als man dies von einem meditierenden Menschen erwarten würde.
Tatsächlich fertigte Alexej von Jawlensky seine „Meditationen“ in den letzten Jahren seines Lebens. In dieser Zeit machte sich die Krankheit des Malers zunehmend bemerkbar, prägte seinen Alltag und somit auch seine künstlerische Arbeit: Ende der 1920er-Jahre stellte von Jawlensky erste Symptome einer rheumatoiden Arthritis fest, die schließlich auch ärztlich diagnostiziert wurde. Kuraufenthalte konnten seine Beschwerden nur zeitweilig lindern, immer wieder machten dem Maler Lähmungserscheinungen vor allem in den Händen, später auch in den Beinen zu schaffen. Nach und nach entwickelte der deutsch-russische Künstler eine Methode, trotz seiner teils massiven körperlichen Einschränkungen weiterhin malen zu können. Mit einfachsten Mitteln, im kleinen Format mit langen, durchgehenden Pinselstrichen auf Malpapier oder Karton gebracht, konnte Jawlensky mit dieser Methode bis zur vollständigen Lähmung im Jahr 1938 noch Hunderte Arbeiten realisieren.
In ihrer enorm reduzierten Form, der zum Ende hin nahezu monochromen Farbauswahl und dem nur aufs Nötigste beschränkten Pinselstrich stellen die „Meditationen“ einen deutlichen Kontrast zu den früheren, oft äußerst farbenprächtigen Malereien des expressionistischen Künstlers dar. Das Motiv der Gesichter hingegen zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesamtwerk Alexej von Jawlenskys. Geboren und aufgewachsen in Russland, widmete sich der Maler nach dem Besuch an der Russischen Kunstakademie zunächst dem Realismus. In Deutschland traf Jawlensky bald einige seiner langjährigen Weggefährten, stellte zusammen mit den Künstlern des Blauen Reiter aus und entwickelte so zunehmend seinen eigenen Malstil, der ihn mit seinem ungewöhnlichen Einsatz von Farbe, Licht und Form als einen herausragenden Vertreter des frühen Expressionismus kennzeichnet. 1917 schließlich entdeckte Jawlensky sein Interesse für das menschliche Gesicht, dem er sich in der Reihe „Mystische Köpfe“ widmete. Es folgten die „Heilandsgesichter“ und schließlich die „Abstrakten Köpfe“, die in ihrer deutlichen Reduktion und in dem zunehmenden Verzicht auf individuelle Merkmale bereits als eine Vorwegnahme der späteren Meditationen gedeutet werden können.
Jawlenskys Meditationen - eine Auswahl |
In seinem letzten Werkzyklus zeigt sich also ein durchaus paradoxes Moment: Einerseits lesen sich die „Meditationen“ wie eine logische Weiterentwicklung des künstlerisch eingeschlagenen Werdegangs von Jawlensky, andererseits sind die hier gewählten Mittel eindeutig von den zum Schluss stark eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten des Malers bestimmt. Verbunden mit der persönlichen Biografie wird der melancholische Eindruck, den zahlreiche Gesichter ausstrahlen, nochmals verstärkt. Gleichwohl sind Jawlenskys „Meditationen“ alles andere als ein unmittelbarer Ausdruck physischen Leidens. Jawlensky entwickelt in den letzten Jahren seines Lebens noch einmal eine völlig neue Bildsprache, die einerseits stark von den körperlichen Einschränkungen geprägt ist, diesen gleichzeitig aber zu trotzen scheint. Allein mit den Möglichkeiten von Farbe, Duktus und Form schafft der Maler eine Werkreihe, die eine solche Kraft entwickelt, dass sie dem tatsächlichen, dem physischen und zum Schluss schmerzvollen Leben eigenständig entgegensteht. Dazu passt, was Alexej von Jawlensky bereits als Mitglied der„Neuen Künstlervereinigung München“ und somit lange Zeit vor seinem körperlichen Gebrechen verkündete: „Ein Kunstwerk ist eine Welt, nicht Nachahmung der Natur.“
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