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Street-Art geht in die Tiefe - oder der Sache auf den Grund ... | 1010 malt auf die Pariser Autobahn ...

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STREET|ART 
Kunst auf Pariser Autobahn

Haarscharf am Abgrund vorbei

Von Sören Harder | SPIEGEL.de 

In einem Pariser Autobahnring klafft ein riesiger Krater, aber kaum ein Autofahrer nimmt ihn wahr. Denn der Abgrund ist eine Illusion.

Foto: Galerie Itinerrance

Berufsverkehr auf der Pariser Stadtautobahn Périphérique: Autos und Lastwagen verstopfen die Straße, es geht nur langsam voran. An einer Stelle macht die Autobahn plötzlich einen leichten Schlenker, weicht auf ein kurzes neues Stück Fahrbahn aus. Daneben klafft auf dem alten Autobahnabschnitt ein gigantisches Loch - Schicht um Schicht führt es tiefer ins schwarze Nichts. Die Pariser ahnen nichts davon, dass sie in ihren Autos keine zehn Meter sprichwörtlich am Abgrund vorbeifahren.

SPIEGEL-Fotostrecke Juliette Hüsler
Schöpfer dieses Abgrunds, dieses Portals mit seiner faszinierenden wie beängstigenden Wirkung ist der Hamburger Künstler 1010, gesprochen TenTen. Er ist in den vergangenen Jahren zu einem international gefragten Künstler avanciert, bekannt durch seine Gemälde von Löchern und Portalen an Häusern und Wänden. Das in Paris ist sein bislang größtes - und das erste auf einer Autobahn.

"Halb Paris fährt jeden Tag dran vorbei, aber niemand kann das Kunstwerk wirklich sehen", sagt er. "Das gefällt mir." Den Parisern wiederum dürfte gefallen, dass alles nur eine Illusion ist; geschaffen mit rund 400 Litern Farbe.

SPIEGEL-Fotostrecke Juliette Hüsler
Wo natürliche Formen fremd wirken

Der Ort? Ein stillgelegtes Stück Autobahn am 13. Arrondissements der französischen Hauptstadt. "Der ganze Bezirk erinnert an die Hamburger Hafencity", so der Künstler. "Geschlossene Effizienzbauten aus Stahl und Glas. Viele Büroflächen und darüber Wohnungen zum gehobenen Preis."

Im 13. Arrondissements sitzt auch die Galerie Itinerrance. Schon häufiger hat sie nationale wie internationale Künstler dazu eingeladen, ihre Kunstwerke auf öffentlichen Flächen auszustellen. Die Galerie gab auch den Anstoß für das Autobahn-Gemälde von 1010. Als Mehdi Ben Cheikh, Leiter der Galerie, erfuhr, dass der Straßenabschnitt mehrere Monate ungenutzt bleiben würde, war klar: Dort musste Kunst installiert werden. Er fragte 1010 an.

Dann ging alles ganz schnell. Durch vorherige Ausstellungen im öffentlichen Raum besaß die Galerie ein Netzwerk an Kontakten, das die Genehmigung deutlich vereinfachten. "Das war natürlich sehr hilfreich", so 1010.

Was ist wahre Größe?

Dann stand der Künstler nur noch vor der Frage: Was mache ich dort? "Ich habe mir das Gelände zuerst über Google Maps angesehen. Alles ist dort der Architektur und dem Verkehr unterworfen. Ich entschied mich dafür, natürliche Formen zu nutzen, weil diese dort nahezu fremd erscheinen. Besonders aus der Vogelperspektive", sagt 1010.
So entstand sein Graffiti-Gemälde mit den weichen, wellenartigen Rändern. Es wirkt so, als fahre es Schritt für Schritt in einen Abgrund, einen Krater, ein Loch - einzigartig, aber doch ein typisches 1010-Kunstwerk.

Ende Mai war es dann soweit: Der Künstler und seine drei Assistenten sprühten das Gemälde auf den Straßenbelag. Das Loch in der Pariser Autobahn ist mit gut 4500 Quadratmetern das bislang größte Kunstwerk von 1010: "Von der Fläche her stimmt das", gibt sich der Künstler bescheiden. "Ob es mein größtes ist, muss jeder selbst entscheiden." Er male lieber, als Rankings aufzustellen.

Fotomaterial SPIEGEL-Fotostrecke Juliette Hüsler + Galerie ITINERRANCE

SPIEGEL-Fotostrecke Juliette Hüsler


Ich habe schon oft hier im Blog von der Kunstform STREET|ART berichtet, die ja ein besonderes öffentlich wahrnehmbares Genre innerhalb der bildenden Kunst darstellt und uns hauptsächlich als Graffiti wahrnehmbar entgegentritt. Die Kunst hat in dieser Form das oft muffige und elitäre Museum oder die Kunsthalle verlassen - und bereichert uns und unsere Wahrnehmung, ohne dass wir erst Eintritts- oder gesellschaftliche Schranken zu überwinden hätten. Kunst etabliert sich im öffentlichen Raum ...

Und hier nun mit der Arbeit von 1010 hat sich eine weitere Spielart der Street|Art entwickelt: Kunstwerke, die in ihrer ganzen Dimension eigentlich nur aus dem Helikopter oder mittels Foto- und Videodrohne in ihren ganzen Ausmaßen zu erkennen sind - also nicht mehr vertikal an die Hauswand oder Mauer gesprüht - sondern direkt auf die horizontale Basis - z.B. auf den Asphalt einer Autobahn - komponiert und aufgetragen werden. Die Leinwand hat hier endgültig ausgedient ... Und in solchen riesigen Dimensionen und der Eroberung des Weichbildes eines städtebaulichen Ensembles oder einer Landschaft - eben des gesamten öffentlichen Raumes überhaupt - entwickelt diese Form von Street|Art auch eine Nähe zur Land|Art und auch beispielsweise zu den Arbeiten von Jeanne-Claude & Christo ...



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