Korbinianapfel-Aquarell von Aigner |
das - meiner Meinung nach - gezielt von braungesinnten Vandalen gemeuchelt wurde, weil es symbolisch für das stete Andenken an den Widerstand gegen Rechts 2011 auf der dOCUMENTA gepflanzt wurde, hatte doch der tatsächliche Apfelzüchter und Apfelmaler Korbinian Aigner, ein Priester, der als Dorfpfarrer wegen seines NS-Widerstandes denunziert wurde, im KZ Dachau diese Apfelsorte hinter einer Baracke heimlich als internierter Zwangsarbeiter gezüchtet, zunächst "KZ 3" genannt, die dann aber nach seinem Vornamen in die neue Apfelsorte "Korbinianapfel" umgetauft wurde ...
Und doch - diese Tat ist keine Petitesse, etwa weil sich ja viele Besucher und Kasseler sowieso schon seit 4 Jahren verwundert die Augen gerieben hatten: "Und das soll Kunst sein ???" Nein - diese Tat passt in diese aufgewühlte Schwarz-Rot-Goldene und immer mehr ins Neu- bzw. wieder mal Senfbraune abdriftende Zeit: Zwischen Griechenlandkrise und Flüchtlingspolitik, zwischen AfD und Pegida, zwischen dem Fußball-Weltmeister-Titel von 1990, dem nun mit Pomp ("Mia san mia" - "Wir sind wieder wer!"...) gedacht wird, zwischen dem 7:1-Halbfinale gegen Brasilien in Brasilien im letzten Jahr, zwischen dem erneuten Weltmeister-Titel dort und zwischen mittlerweile einem deutschen Radfahrer im Gelben Trikot des Spitzenreiters der Tour de France.
Sascha Lobo hat in seiner neuesten Kolumne in SPIEGEL.de diesem Neo-Nationalismus nachgespürt:
Deutschland taumelt einem zutiefst beschämenden und gefährlichen Neo-Nationalismus entgegen, einem offen und aggressiv ausgelebten neuen deutschen Überlegenheitsgefühl.
Tatsächliche und ernstgemeinte BILD-Schlagzeile vom 07.07.2015 |
Das ist kein Zufall, eine neo-nationalistische Stimmung breitet sich aus, in Politik, Medien und Bevölkerung. Es ist akzeptabel geworden, "Deutschland zuerst!" nicht nur zu denken, sondern auch zu schreien: Die "Bild"-Zeitung bringt Merkel mit Pickelhaube auf das Titelblatt und ruft nach einer "eisernen Kanzlerin" gegen Griechenland, mehr widerlicher Nationalismus ist kaum denkbar, völlig unabhängig von der jeweiligen Position zur Krise.
Und die "Bild" ist nicht allein, denn quer durch die Medienlandschaft - und die Politik - ist der Ton gegenüber Griechenland und den Griechen geprägt von einem nationalistischen Furor, der verbalen Fackeln und Mistgabeln entspricht. Das ist nicht nur meine Interpretation - der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen spricht erkennbar verstört davon, wie "die Griechenland-Hetze bei uns angefangen hat". Die Wirkung: In der Öffentlichkeit scheint immer mehr akzeptiert, Hass und Verachtung über Nichtdeutschen auszukübeln. Das ist Neo-Nationalismus.
Weil Pöbeln gegen Nichtdeutsche ja gerade überall stattfindet:
- Im ZDF spricht ein Anwohner von "Auffanglagern für den Abschaum".
- Ein Facebook-Beitrag zum Flüchtlingsheim in Freital, explizit bezogen auf die Flüchtlingskinder im Originalsound: "Hundekot Ist noch zu gut für die! Jedes DEUTSCHE Kind einen Zimmermannshammer kaufen und wenn Dreck Kinder kommen sofort mit der Spitze In den Schädel schlagen. Sind ja Strafunmuendig. Gott sei Dank kommen bald Zeiten In der aufgeräumt wird. Dann bestimmt ein Deutschland und sie werden ausgerottet."
- Sigmar Gabriel formuliert in einem politischen Strategiepapier:" ... die Sorge vor Alltagskriminalität, 'Überfremdung' oder die Höhe der Rente gleichermaßen: Keine dieser Alltagssorgen darf der SPD fremd sein, auch dann nicht, wenn sie 'nur' subjektiv empfunden werden". Dieser Satz stellt nicht nur implizit eine fatale und überdies falsche Verbindung zwischen Kriminalität, Ausländern und Rentenhöhe her. Noch schlimmer ist, dass diese Aussage eine Abkehr von der Realität bedeutet: Rassisten auch dann ernst nehmen, wenn ihre Argumente nur ausgedacht sind. Das ist die Bedeutung.
- Eine Unfasslichkeit ist dem "Focus" - hoffentlich unabsichtlich - in den Ticker gerutscht: "Sie riefen Sieg Heil - Asylgegner in Freital gehen auf eigene Ordner los". Wie bitte? Ein gewalttätiger Mob, der "Sieg Heil" brüllt, das sind bloß "Asylgegner"? Das ist, als würde man den "IS" als "nicht einverstanden mit der Homoehe" bezeichnen.
Wir müssen dem Neo-Nationalismus entschieden entgegentreten, überall, wo er auftritt, im Netz, in den Medien, in der Politik, auf der Straße. Bevor Menschen brennen.