Beim Anblick dieser überdimensionalen und doch eher schwebend aufgehängt wirkenden und silbrig in Metall gegossen Faust auf der NordArt 2015 in Rendsburg-Büdelsdorf fielen mir zunächst die kernigen ur-deutschen Begrifflichkeiten zu einer geballten Faust ein ...: Denn die Nationalsozialisten hatten seinerzeit den internationalen sozialistisch antikapitalistischen Begriff des "Hand- oder Kopfarbeiters" für ihre ideologischen Propagandazwecke adaptiert und dafür aber die Bandwurmbegriffe "Arbeiter der Stirn" und "Arbeiter der Faust" geprägt. Die klangen anscheinend besonders martialisch, grob, kraftvoll, willensstark, "arisch" - aber auch irgendwie gleichmacherisch - denn sie sollten einen in der "Volksgemeinschaft" gewollten gleichwertigen Stand zwischen den vorwiegend intellektuell Tätigen und Akademikern auf der einen Seite und den Handwerkern und Facharbeitern auf der anderen Seite neu definieren und zusammenführen - und das wiederum hatte wohl etwas mit dem damaligen volksdeutschen Verständnis von "Ehre" und der damit verbundenen gleichwertigen "Pflichterfüllung für Volk und Vaterland" aller leistungsfähigen und leistungswilligen "Volksgenossen" zu tun - auch um unzureichend Leistungsfähige und Leistungswillige entsprechend zu brandmarken und zu selektieren ...
Liu Bolin (China): FAUST - S!NEDi|photography |
Aber diese hier installierte Skulptur von Liu Bolin (China) setzt diesem gemeinhin kraftstrotzenden Faustsymbol wohl doch irgendwie ein allerletztes Mahnmahl: Hier ertrinkt und verabschiedet sich justement das Kraft- und Willens-Symbol des 20. Jahrhunderts ... - Friede seiner Asche ... gluck-gluck - weg war es ...
Die Faust ist trotz ihrer Größe nicht bedrohlich und heroisch als Zeichen der Revolution und der aufbäumenden Kampfbereitschaft und der emsigen selbstlosen Fleißarbeit in die Höhe gereckt - sondern sie erglänzt silbrig im Sonnenlicht mild blinzelnd auf einem Inselchen inmitten eines kleinen mit Seerosen überschwommenen Teiches in einem fast asiatisch anmutenden Park auf dem Ausstellungs-Freigelände der NordArt - und ist kopfüber in den Sumpf gerammt - eine Faust aus dem Nichts - eine Faust wie aus dem Himmel - vielleicht aus einem geschlagenen Luftloch heraus ...
Mit diesem alten Faustsymbol kann die heutige globale Kultur insgesamt hoffentlich nur noch wenig anfangen: Die sensibel ausgestreckte Hand dagegen repräsentiert die tastende Kommunikation und die Kontaktaufnahme in der heutigen Zeit mit ihrem "Erspüren" der eigenen Befindlichkeit im Aufeinandertreffen mit den Befindlichkeiten eines Gegenübers - im gleichberechtigten Dialog ...
Ein alter Lehrer, der uns in die Geheimnisse germanistischer Raffinessen einweihte, rieb bei besonders kniffligen Fragestellungen immer gern die Fingerkuppen von Daumen und Zeigefinger kreisend aneinander und fragte dann vielsagend: "Spüren Sie das ?", wenn er uns sensibilisieren wollte für gefühlsmäßige Bedeutsamkeiten in der Sprache ...: Mit einer Faust - auch nicht mit einer silbernen - gelingt eine solche Bewegung nicht - und auch nicht diese defizile in-sich-hinein-horchende Geste ...
Gerade im Zeitalter der virtuellen Medien hat diese geballte Faust an Symbolik ausgedient: Was zählt ist das sensible Ertasten und Erspüren des Nächsten, der Situation, der Befindlichkeiten, des Jetzt & Hier ...
In meiner Kindheit noch hielten wir unsere Faust "aus Spaß" angeberisch dem Kontrahenten unter die Nase - mit den Worten: "Hier - riech mal -- riecht nach Friedhof" ... - denn aus den "Karl-May-Bänden" war uns "Old Shatterhand" ja geläufig, der Name stand ja englisch für „Alte Schmetterhand“ ... - für einen Faustschlag, der - einmal getroffen - "kein Gras mehr wachsen lässt" ...
IS und ISIS sind da an der türkischen Grenze noch Repräsentanten dieses uralten archaischen Faust- und Blut- & Boden-Prinzips ... - aber dieses Prinzip kommt keineswegs "silbrig glänzend" auf seinen letzten Tagen daher: Es ist das auf Erden allerletzte Sammelbecken für ideologisch-religiös gestörte und verblendete Menschen, denen das eigene verantwortungsvolle Denken und Tun abhanden gekommen ist oder nie ausgebildet wurde, und die sich so unter einen vermeintlichen gemeinsamen ideologisch-religiös verbrämten Schirm flüchten: Augen zu - und durch - koste es was es wolle ...: Selbstaufgabe ohne Aussicht auf eine positive Resonanz noch in diesem Leben ... und wenn es denn im Hier & Jetzt mit den funktionierenden gleichberechtigten sozialen Kontakten nicht klappt, bleiben ja noch die 72 zu Dienste gehenden Jungfrauen im Paradies nach dem bösen Erwachen im Jenseits - eigentlich "nur" eine überdimensionierte erweiterte Selbsttötung im hirngewaschenen Wahn ...
Und auch die vielzitierte geballte "Faust in der Tasche" exponiert sich ja eben nicht glänzend im Sonnenlicht - und spiegelt nicht das Gewölk wider: Sondern hält die eigene Aggression trotz größter Herausforderung geradezu jesuanisch im Zaum - hält viel mehr "die andere Wange auch noch hin" - und nicht mehr "Auge um Auge - Zahn um Zahn" ...
Und dieses heldenhaft Heroische hat glücklicherweise wohl international insgesamt an Kraft verloren, wirkt etwas antiquiert und geradezu lächerlich, auch wenn immer wieder allerorten oftmals ein persönlicher "Kick" mit Adrenalinausschüttung gesucht und provoziert wird: in Arobatik, Mutproben, Extremsportarten - oder eben in IS- und ISIS-Selbstverpflichtungen usw. - und wer sich dem nicht stellt, gilt in irgendeinem Lebensabschnitt vielleicht irgendwo und irgendwann als "Memme" - aus einem anderen diametral gegenüberliegenden Fenster aber vielleicht trotzdem als eine Art verehrungswürdiger "Antiheld" - als der, der sich verweigert, der sich auflehnt, der nicht mitmacht, sich entgegenstellt, der aus dem Mainstream herausfällt ...
Die silbern geballte Faust-Installation von Liu Bolin, die sich im kräuselnden Nass widerspiegelt und die doch eigentlich nur in weichen Modderschlamm boxt - wie auf einen wehrlosen Sandsack - und wenn sie alsdann gänzlich zu Wasser gelassen ist, wird sie von schwebenden Wasserrosen endgültig überwuchert - und blinkt dann vielleicht grünspan- und algenbewuchert aus der Tiefe ...