aufgesprüht
KAIRO-STREETART
als CITIYLEAKS-Beitrag in Köln
Sein letztes Werk in Ägypten malte Abo Bakr vor drei Monaten: Ein Pärchen, ohne Parolen - im Vergleich zu Früherem harmlos. Als die Polizei kam, musste er mit auf die Wache, ein Verfahren wurde eingeleitet. Als er nach acht Stunden freikam, stellte er es fertig. Die Polizei kam wieder. Er sagte: "Ich musste das fertigmachen. Wir sehen uns vor Gericht."
Abo Bakr legt letzte Hand an sein Markenzeichen "Fliegen" - Foto: CITYLEAKS-Beitrag auf https://www.facebook.com/WallsOfFreedom |
Im Feierabendverkehr staunen Kölner aus dem Auto über Abo Bakrs Riesen-Sufi. Ein türkischer Rentner fragt, ob er Malerarbeiten in seiner Wohnung übernehmen kann, Hipster machen Handyfotos, ein syrischer Flüchtling unterhält sich mit Abo Bakr, er sucht eine Übersetzungshilfe.
Vor seinem Bild treffen sich Menschen, die sonst selten zusammenfinden. Es ist aber auf gewisse Weise auch eine sehr bequeme Art, Kunst zu machen, hier in Köln, organisiert, behördlich genehmigt.
Er hat sein Atelier noch immer ein paar Straßen nur vom Tahrir-Platz entfernt, gemeinsam mit 15 Leuten organisieren sie heute vor allem private Treffen, sie wollen außerdem eine Art Refugium gründen, ein Haus, in das sich Künstler zurückziehen können.
"Offiziell ist die Revolution weg", sagt Abo Bakr. "Aber wer sagt das? Wer bestimmt das?" Er schwärmt von Mariam Malak, einer Einser-Schülerin, die durch ihre Abschlussprüfungen fiel, die Familie vermutete dahinter Manipulation. Die 19-Jährige ließ nicht locker und wurde in den letzten Monaten in Ägypten zum Symbol für den Kampf gegen Korruption. Abo Bakr hofft auf neue Generation des politischen Protests.
"Weiterkämpfen", sagt er. Dann sagt er noch:"Aber was macht man in der Zeit zwischen den Kämpfen?"
Die Hebebühne vor der Hauswand wackelt. Ammar Abo Bakr wackelt mit, ein 35-Jähriger mit dunklem Haar und ersten Furchen auf der Stirn, der bei der Arbeit mit dem Pinsel leise singt, sich ganz vertieft. Mit Acrylfarben zieht er auf zehn Metern Höhe die Konturen eines Turbans, im Regen an diesem ersten Herbsttag in Köln zerfließen sie in weiche Flüsse aus Farbe.
An dem vierstöckigen Sechzigerjahrebau im Stadtteil Mülheim wächst unter Abo Bakrs Händen das Porträt eines Sufi, eines Anhängers der asketischen Strömung des Islam. Geschlossen die Augen, gefaltet die Hände, umgeben von bunten Farben. Ein Mann voller Ruhe.
Abo Bakr malt legal, ein paar Tage lang ist er für ein Street-Art-Festival "CITYLEAKS" nach Köln gekommen. Um die Nase des Schläfers schwirren Dutzende Fliegen aus schwarzer Farbe. Die Insekten sind Abo Bakrs Markenzeichen. "Weil sie klein sind, aber immer stören", sagt Abo Bakr. "Ägypten schläft. Vielleicht werden wir aber wieder aufwachen."
Künstler Ammar Abo Bakr: "Weiterkämpfen" - nach einem Foto von: Silviu Guiman | SPIEGEL.de |
Auszug aus: "Graffiti-Kunst in Ägypten: Was vom Arabischen Frühling übrig blieb - Von Eva Thöne | SPIEGEL.de
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"Weil sie klein sind, aber immer stören", sagt der ägyptische Straßenkünstler Abo Bakr, wenn er sein Graffiti-Markenzeichen umschreibt: die Fliegen, die er seinen Werken zusetzt - die Fliegen, die da hartnäckig "immer stören", obwohl sie nur so klein sind - die Masse machts ... Ja - das ist ein gutes Symbol für die StreetArt insgesamt, nicht nur in Kairo oder nun legal in Köln auf der "CITYLEAKS" ...: StreetArt soll und muss stören - "wie die Fliegen" ... StreetArt muss summen und fiepen - und mancher muss dahin abwehrend schlagen weil sie nervös machen und man von ihnen die "Nase voll" hat ... - StreetArt muss ebenso brummen und "Angriffe" fliegen wie die Fliegen ...
Doch leider wird diese so wichtige, vielleicht derzeitig einzige wahre "Kunst" von unten immer mehr vom neoliberalen Kunst-Turbokapitalismus vereinnahmt und "satt" gemacht, der schnöde Mammon wird hierfür als "Fliegenfänger" allerorten benutzt: StreetArt wird inzwischen vielerorts "legal" versprüht - in großen bürgerlichen Museen ausgestellt und auf Kunstmessen und Auktionen vermarktet - und es sind ganz wenige Künstler, die sich dem bewusst entziehen können und wollen ... Doch eine satte rülpsende Zufriedenheit verhindert eindrückliche tatsächliche Kunstimpulse - sie machen müde ...
An dieser Entwicklung haben sicherlich einige StreetArt-Künstler und -Akteure selbst mitgewirkt, in dem sie teilweise echte unverwechselbare "Marken" mit ihren Werken kreiert haben - und selbst nach allen Regeln und Tricks eines wohl ausgeklügelten Marketings sich dem "Markt" andienten und teilweise regelrecht anbiederten ... - die meisten tun das aber, um sich ab und zu auch mal einen "Café-to-Go" zu leisten, mit dessen Genuss vielleicht der Lösungsmittel-Geruch des Sprühlacks etwas unterdrückt werden kann - und man hinter der Atemschutzmaske einmal Luft holt und tief durchatmet ...
Ja - diese "Fliegen" sind aber gleichzeitig auch so etwas wie die "Schmetterlinge im Bauch" der Graffiti-Künstler, die die Liebe zu sich selbst und zu ihrer Kunst wachhalten, die sie immer wieder antreiben - und sie nicht einschlafen lassen: "Vielleicht werden wir wieder aufwachen", wie Abo Bakr meint - auch in Kairo und anderswo - und sich hoffentlich weiterhin ebenso geschickt der populären Vereinnahmung durch das Geld zur Wehr setzen - wie jetzt schon ihrer täglich drohenden Verhaftung durch die jeweiligen "Ordnungshüter", die da gerade "up-to-date" sind ...