s!NEdi|photo|graphic: ein fünklein der vernünftigkeit ... |
Die Seele hat etwas in sich, ein Fünklein der Vernüftigkeit, das nimmer erlischt, und in dies Fünklein versetzt man das Bild der Seele als in das oberste Teil des Bewusstseins; und es ist auch ein Erkennen in unsern Seelen, das äussern Dingen nachgeht, nämlich das sinnliche und Verstandeserkennen, das in Gleichnissen und in der Sprache vor sich geht, das verbirgt uns dies. Wie sind wir Söhne Gottes? Das ist, dass wir ein Wesen haben mit ihm. Doch was wir darunter verstehen, dass wir Söhne Gottes sind, das ist zu verstehen von dem äussern Verstehen und von dem innern Verstehen. Das innere Erkennen ist, was sich vernünftig fundieret auf das Wesen unserer Seele. Doch ist es nicht das Wesen der Seele, es ist vielmehr darein gewurzelt und ist etwas vom Leben der Seele. Wir sagen, dass das Verstehen etwas Lebendes der Seele sei, das heisst vernünftiges Leben, und in diesem Leben wird der Mensch geboren zu Gottes Sohn und zu dem ewigen Leben, und dies Erkennen ist ohne Zeit, ohne Raum, und ohne Hier und ohne Jetzt. In diesem Leben sind alle Dinge eins und alle Dinge gemeinsam, alle Dinge alles in allem und allem geeinigt.
Meister Eckhart | * um 1260 in Hochheim oder in Tambach; † vor dem 30. April 1328 in Avignon
aus: Predigt "Von stetiger Freude" - Meister Eckharts mystische Schriften. Berlin 1903, S. 43-48
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Hier lesen Sie Meister Eckardt. Um zu verstehen, was er schreibt, muss man wohl seine Texte meditieren und kontemplieren, denn dann fällt das Verständnis letztlich leichter.
Seine Texte sind oftmals dunkel und von mystischen Paradoxien durchsetzt - und gleichen so eher den zen-buddhistischen Koans, widerspruchsvollen Sätzen also, an denen der lesende Geist zunächst schier zerbrechen will, um dann endlich allmählich in die reine und gemeinte Anschauung der Wirklichkeit zu gelangen ...
Das bekannteste Koan, das inzwischen auch im Westen Allgemeingut geworden ist, ist die Frage nach dem Geräusch einer einzelnen klatschenden Hand (Hakuins Sekishu, von Meister Hakuin Ekaku).
Ja, diese Passagen wollen oft wie Koans im Hirn hin- und hergewälzt und abgewogen werden, wollen "geschmeckt" werden. Und mit dieser Textmeditation kann man Geschmack an ihnen finden. Manche Kirchenväter, so auch Luther, nannten diese ergebnisoffene innere Betrachtung ein "Ruminieren", also ein "Wiederkäuen" ..., bei dem man "innerlich fühlt", wann der Grund gefunden und erkannt ist ...