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Lothar König, Wutpfarrer aus Jena

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Prozess gegen Anti-Nazi-Aktivisten


nach einem Foto von Matthias Hiekel/dpa | otz


Der Wutpfarrer Lothar König

Mit Materialien von Julia Jüttner | SPIEGEL-ONLINE 
und Sebastian Erb | TAZ

Der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen Landfriedensbruch gerät völlig zur Farce: Angebliche Beweise lösen sich in Luft auf, Protokolle entlastender Aussagen verschwinden auf ominöse Weise. König und seine Verteidiger stellen das Gericht bloß.

Als Lothar König wusste, dass der Prozess gegen ihn unausweichlich bevorstand, kramte er Christa Wolfs "Kassandra" aus dem Bücherregal. Darin schreibt die Schriftstellerin, Literaturstar in der DDR und Dissidentin: 
"Tiefer als von jeder anderen Regung, tiefer selbst als von meiner Angst, bin ich durchtränkt, geätzt, vergiftet von der Gleichgültigkeit der Außerirdischen gegenüber uns Irdischen. Gescheitert das Wagnis, ihrer Eiseskälte unsre kleine Wärme entgegenzusetzen."

Lothar König steht am Dienstagabend im Raum 3317 der Evangelischen Hochschule in Dresden, eine Hand in der Tasche seiner Cargohose, und spricht von dieser "unsren kleinen menschlichen Wärme" und von Wut, "die uns längst verlorengegangen ist". Beides hat ihn bewogen, am 19. Februar 2011 zur größten Anti-Nazi-Demo Deutschlands an die Elbe zu fahren: Wärme für seine Mitmenschen und Wut auf die Rechtsextremen, die dort alljährlich der Bombardierung Dresdens 1945 gedenken.
"Wo keine Empörung ist, geschieht Unrecht", sagt König. Mehr als neun Stunden hat er an diesem Tag auf der Anklagebank vor dem Amtsgericht Dresden gesessen - er ist wegen schweren Landfriedensbruchs, Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Strafvereitelung angeklagt. Er soll bei den schweren Krawallen damals in Dresden Demonstranten zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufgehetzt haben. König bestreitet das, als Pfarrer und Seelsorger hatte er Jugendliche der Jungen Gemeinde Jena begleitet. Er muss sich wie Kassandra fühlen, die Seherin, die Prophetin des Untergangs, der man kein Gehör schenkte.

Dem Kampf gegen den Rechtsextremismus verschrieben

Mehr als hundert Dresdner drängen sich im Raum 3317, lauschen dem Pfarrer mit Rauschebart, der schon als Schüler seine Bewunderung für Alexander Dubcek, Leitfigur des Prager Frühlings, kundtat, von der Staatssicherheit bespitzelt wurde, gegen die DDR-Staatsmacht aufbegehrte, Montagsdemos organisierte. "Die Wochen, die wir '89 auf die Straßen gingen, was für eine friedliche Revolution uns gelungen ist", sagt König stolz. Auch damals muss der Antrieb Wut gewesen sein. "Ich wünsche mir Wut", sagt er laut. "Keinen Hass, aber Wut."

Oder als er mit seiner Ehefrau Eva nach Jena kam. In den neunziger Jahren hätte von zehn Befragten gerade einmal einer gewusst, was am 8. Mai 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, passiert ist. "Ein einziger", ruft König voller Empörung. Solche Erlebnisse haben ihn geprägt, er hat sein Leben dem Kampf gegen Rechtsextremismus verschrieben. Er war einer der wenigen, der ahnte, dass sich Neonazi-Prototypen wie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu tickenden Zeitbomben entwickeln können. Er hat aufgeschrien, ernst genommen hat ihn keiner.

Für einen wie König ist es selbstverständlich, dass er Jahr für Jahr am 19. Februar nach Dresden fährt, um sich den Tausenden von Rechtsextremen in den Weg zu stellen. Bereits bei der ersten Mahnwache 1982 ist er aus Protest um die Frauenkirche gelaufen, den "staatstragenden Nazi-Akt unterbinden", wie er sagt.

Doch wenn es nach der Staatsanwaltschaft Dresden geht, soll König dafür bestraft werden. Allein: Die angeblichen Beweise, auf die Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer ihre Anklage stützt, lösen sich zunehmend in Luft auf. 

Am Dienstag und Mittwoch geht es um das Geschehen am Nachmittag des 19. Februar 2011. Als Zeugen hat die Staatsanwaltschaft Polizisten aufzubieten. Ihre Aussagen belasten König schwer. Er soll etwa einem anderen Mann seine Mikrofonlage zur Verfügung gestellt haben, damit dieser die Menge auffordern konnte: „Deckt die Bullen mit Steinen ein!“

Alexander E. ist Leiter einer Einsatzhundertschaft der Bundespolizei. Sie hatten ihren Einsatz fast beendet, mit neun Kleinbussen waren sie auf dem Weg ins Hotel, als sich ihr Weg mit Lothar Königs blauen VW-Bus kreuzte. Vor Gericht wiederholt E: Er sei sich sicher, die Aussage so gehört zu haben, aus nächster Nähe.

Die JG Stadtmitte hat zurückgefilmt

Die Verteidigung präsentiert nun aber Polizeivideos und Videos, die die JG Stadtmitte selbst aufgenommen hat. Einer ihrer Leute filmte vom Dach des VW-Busses aus. Die Aufnahmen zeigen ein Bild, das nicht zu den Aussagen der Polizisten passt. Zu der Zeit, als die Durchsage gefallen sein soll, ist der VW-Bus längst an E.s Polizeiauto vorbeigefahren. Und vor allem: Aus dem Lautsprecher erklingt die ganze Zeit Musik: „Bella Ciao“, das italienische Partisanenlied, das unter Nazi-Gegnern zum Hit geworden ist.



Daran können sich angeblich weder E. noch seine Kollegen erinnern. „Ich habe mich in meinen Vernehmungen auf meine Erinnerung berufen“, sagt E. „Wenn Ihr Video etwas anderes zeigt, erinnere ich mich womöglich falsch.“

Auf dem Video ist ebenso zu sehen: Als König angeblich das Polizeiauto rammen will, weicht er einer Person aus, die auf die Straße gelaufen ist. Eine befragte Polizistin kann sich plötzlich nicht mehr genau erinnern, wie die Situation genau abgelaufen ist. Und im nun aufgetauchten Protokoll sprach ein Polizist davon, dass König gebremst habe. Eine Aussage also, die den Angeklagten eher entlastet.

Lautsprecher oder Megafon?

Vor Gericht drängt sich ein Verdacht auf: Haben sich die Polizisten abgesprochen? Im März 2011 sprach E. noch von „einem Lautsprecher oder einem Megafon“, von dem die Gewaltaufruf gekommen sein soll. Ein halbes Jahr später ist er sich sicher, dass es aus Königs Lautsprecher kam. Alexander E. erzählt ganz offen, dass er und seine Kollegen sich zusammengesetzt hätten, als klar war, dass es zu einem Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs kommt.
Man habe „Erinnerungen zusammengetragen“, so E. Einen Polizisten, der später befragt wird, ertappen die Verteidiger bei einer offenkundigen Lüge. Erst behauptet er, er habe seine damalige dienstliche Erklärung selbst verfasst. Dann kommt heraus: Sie stimmt zu einem Großteil wortgleich mit der überein, die vorher ein Kollege verfasst hatte.


Laut Anklageschrift soll König eine gewaltbereite Menge angeführt haben. Doch davon ist in den Videos nichts zu sehen. Zwar kann man erkennen, dass vereinzelt Gegenstände auf Polizeiautos geworfen werden. Aber der blaue VW-Bus ist da nicht in der Nähe. Und auch von der großen Menge an vermummten Demonstranten, von der die Polizisten berichten: keine Spur.

So sitzt auch am Mittwoch, dem fünften Prozesstag, ein Polizeibeamter im Zeugenstand und bestätigt, was König seit Monaten gebetsmühlenartig behauptet: Der Pfarrer bremste den blauen Transporter mit Lautsprechern, den er lenkte, als eine Polizeikolonne an ihm vorbeisauste. "Er wollte uns nicht rammen, sonst hätte er nicht gebremst", sagt Ronny V., stellvertretender Gruppenführer. Auch die folgenden Fahrzeuge habe König nicht blockiert. Der Pfarrer sei schätzungsweise 20 km/h gefahren und sollte er "kurz nach links" gezogen sein, dann nicht weil er die Polizei-Karawane habe ausbremsen oder gar rammen wollte, sondern, so Ronny V., "weil er sich vielleicht erschrocken hat".

Protokolle auf ominöse Weise verschwunden

Diesen Ablauf hat Gruppenführer V. dezidiert bei einer Vernehmung ausgesagt. Doch ein Protokoll der Befragung fehlt in der Hauptakte, wie sich am Mittwoch herausstellte - wieder einmal. Mehrfach ist die Verteidigung darauf gestoßen, dass entlastendes Beweismaterial schlichtweg nicht der Ermittlungsakte beigefügt wurde. Auch die Befragungsprotokolle zweier anderer Beamte, die den Pfarrer nicht belasten konnten, sind auf ominöse Weise "verschwunden".

Und so bricht es am Mittwoch auch aus Pfarrer König heraus, er brüllt die Staatsanwältin an: "Für mich stehen vier Jahre auf dem Spiel und meine Berufskarriere! Und Sie lachen!" Schmerler-Kreuzers Grinsen verwandelt sich in einen Strichmund. Königs Verteidiger Johannes Eisenberg und Lea Voigt werfen ihr vor, "systematisch Ermittlungsergebnisse aus den Akten gelassen zu haben". Der Vorsitzende Richter Ulrich Stein läutet eiligst eine Pause ein.

Doch die Gemüter beruhigen sich nicht. Wer nicht selbst dem grotesken Schauspiel in Saal A 2.133 des Amtsgerichts Dresden beiwohnt, würde es nicht für möglich halten. Spätestens die Videos von Polizei und Verteidigung, die am Dienstag gezeigt worden sind, widerlegen den Vorwurf, König habe mit seinem Bus in Nötigungsabsicht gehandelt oder Demonstranten zugerufen: "Deckt die Bullen mit Steinen zu!" Die Beweisaufnahme scheint geradezu sinnlos.

"Der Verdacht einer Straftat rückt in so weite Ferne, dass man nicht mal mehr von einem Anfangsverdacht reden kann", bringt es Königs Verteidigerin Voigt vor Gericht auf den Punkt. Was soll denn überhaupt noch aufgeklärt werden? Ratlose Gesichter in Saal A 2.133.

Im Publikum sitzt Michael Lehmann, Personaldezernent und Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. "Seit der Wende ist Lothar König der erste evangelische Pfarrer, der vor Gericht steht", sagt er. Lehmanns Anwesenheit bestätigt einmal mehr das Vertrauen der Kirche in König. "Er war zur betreffenden Zeit am fraglichen Ort", räumt Lehmann ein, "aber wir wissen, dass Lothar König deeskaliert hat." So wie Lothar König seit Jahrzehnten auf die Barrikaden geht - friedlich, gewaltfrei.

Kassandra steht am Ende des Trojanischen Krieges als Gefangene Agamemnons vor den Mauern von Mykene und wartet auf den Tod. Fest blickt sie ihrem Ende entgegen. Der Tod war auch Dienstagabend Thema, als König in der Evangelischen Hochschule sprach: "Wenn alles vorbei ist, dann geht es erst los", rief er seinen Zuhörern zu. Aus seinen Worten brach wieder diese unbändige Wut durch. "Aber wenn dann nichts mehr kommt, Leute", sagte König lachend, "dann gibt's echt Zoff!"


Der sogen. "Lauti" mit Pfarrer König am Steuer,
der im Prozess eine große Rolle spielt ..
Zuvor hat Pfarrer König am Dienstagabend seine Wut nach der Sitzung auf seine ganz persönliche Art abreagiert: Er geht zu seinem blauen "Lauti", (Lautsprecher-Bulli) den seine Unterstützer bei jedem Verhandlungstag vor dem Gerichtgebäude parken und aus dem laut Musik herausdudelt wie an jenem 19. Februar 2011. In diesem Moment dröhnt "L.A. Woman" von The Doors aus den Boxen. König hebt seine nackten Füße, die ganzjährig in Sandalen stecken, und tanzt mit hochgerissenen Armen. Mitten im Dresdner Dauerregen.

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sinedi's kommentar:

warum versuchen da sogenannte bundes"beamte" (von uns steuerpflichtigen bürgern besoldet !!!) diesen ehrbaren und sicherlich auch streitbaren pfarrer da vor gericht vorzuführen und mundtot zu machen oder gar sein berufsleben zu zerstören - mit einer menge an den haaren - oder an seinem bart - herbeigezauberten pseudobeschuldigungen - die alle im elbschlamm der dresdener uferwiesen bis jetzt elendig eingesackt und abgesoffen sind ...
das sind z.t. beamte der gleichen doch auch irgendwie belasteten behörden, die nie etwas von den taten der rechtsradikalen 10-fachen nsu-mörder über 10 jahre lang mitbekommen haben, obwohl sie doch informanten und verdeckte ermittler angesetzt hatten - und infos vorlagen ...
  
und diese gerichte - diese justiz - von altersher vollkommen "neutral" und "unvoreingenommen" - als dritte - unabhängige - "gewalt" im staate (darum heißt der staatsanwalt ja auch staats-anwalt...) ... (exekutive, legislative, judikative - so hab ich das wenigstens im "bürgerkunde-unterricht in den sechziger jahren vermittelt bekommen... - wenn diese drei - völlig unabhängig voneinander - und unvoreingenommen und unbestechlich und ungekauft ohne jede kungelei und absprache ihren job machen - nennt man das in der regel "demokratie") - rechtsstaat ??? - das ist in diesem prozess bis jetzt eine farce - das erinnert mich bei solch einer konstruierten anklage eher an "volksgerichtshof", herrn freisler & co. ... (und dann noch das tohuwabohu im münchener nsu-prozess - das alles ist kaum zum aushalten ...).
irgendwie ticken da scheinbar die uhren anders: auf dem rechten auge blind zu sein - und die linke zu jagen und mit bodenlosen vorwürfen zu überziehen, das war doch sache in der brd in den ausgehenden 70er- / anfang der 80er- jahre ... - jedenfalls als diese fraglichen beamte (hoffentlich immer pünktlich von mutti oder der staatlich gerprüften krippenpflegerin) noch alle täglich mehrmals gewickelt wurden ...  

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