Klaus Brinkbäumer, Chefredaktur DER SPIEGEL:
Die Lage am Samstag
Liebe Leserin, lieber Leser,
ein Anschlag per Lkw in Nizza; ein Anschlag per Axt in Würzburg; ein Parteitag, bei dem ein narzisstischer Demagoge, dessen einzige Stärke dieser gewaltige Klang seines Namens ist, zum Präsidentschaftskandidaten ernannt wird; dann diese Woche der Dunkelheit in der Türkei; und nun die Toten von München. Das ist die Bilanz der vergangenen zehn Tage, die wie eine weitere Verdichtung eines ohnehin intensiven Jahres wirkt. Ist die Weltlage schlimmer als je zuvor? Nein, auch frühere Zeiten waren kriegerisch und tödlich, und es gab die Angst vor dem Atomschlag, auch die Angst vor dem Terror der RAF, vieles andere mehr, das allerdings langsam aus der kollektiven Erinnerung verschwindet.
Ist die Welt also wieder einmal aus den Fugen geraten? Ja, an allzu vielen Schauplätzen sieht es so aus. Politische Fehler wie verlogene, halbherzige oder unterlassene Interventionen im Irak, in Libyen oder Syrien haben sowohl Terrorismus als auch Völkerwanderungen in Gang gebracht. Die Globalisierung hat Kontinente, Länder, Städte aufgeteilt in Gewinner und Verlierer, und die Verlierer können die Produkte der Globalisierung, Smartphone und Social Media, nutzen, um ihre Wut [und ich füge hinzu: ihre angst] zu organisieren. ...
........................................................ja - da hat es der SPIEGEL-chefredakteur heute morgen zum ausdruck gebracht, wo einem selbst die worte fehlen ... was war das für eine nacht: die meldung, die verwirrungen, die beobachtungen der "zeugen", die sich teils widersprechen und es der polizei so schwermachen in ihrer ermittlungsarbeit: und viel zu viele menschen, die sich in solchen situationen selbst profilieren müssen, ihre schlüsse, ihr halbwissen, ihr vermeintliches ausschnittswissen in die sozialen netzwerke stellen - oder ihr verwackeltes handy-video bei youtube hochladen: seht her - also ich will mit meinen aktionen mindestens auch so viel aufsehen erregen wie jener durchgeknallte attentäter dort ...
bei bild-de ist die tonspur eines solchen handy-videos verschriftlicht wiedergegeben - das spricht bände über "die lage" dieser nation: wenn durchgeknallte menschen ihre pure angst übertönen müssen, um sich als helden zu generieren:
BILD dokumentiert das Wortgefecht in Passagen. Vieles ist nicht eindeutig herauszuhören.
DIE ABSCHRIFT DES DIALOGS
► Anwohner 1: „ … hat seine Waffe geladen“
► Weiterer Anwohner: „... bei den Bullen … “
► Anwohner: „Ihr scheiß Kanaken … “
► Anwohner 2: „Ihr lauf da umeinander. Ihr Wichser, Alter!“
► Mutmaßlicher Täter: „Ich bin Deutscher.“
► Ein Anwohner: „Wichser bist Du! Ein Wichser.“
► Mutmaßlicher Täter: „Seid Ihr jetzt zufrieden?“
► Ein Anwohner: „Wichser du.“
► Mutmaßlicher Täter: „ Ich bin hier geboren worden. In einer Hartz-IV-Gegend. (...) Ich war in stationärer Behandlung.“
► Mutmaßlicher Täter: „Ich habe nix getan!“
► Ein Anwohner: „Du Wichser.“
► Mutmaßlicher Täter: „Kein Wort mehr. Halten Sie die Schnauze … !“
► Ein Anwohner: „Du Wichser Du!“
► Jemand schreit: „Ey! ( … ) Ihr VolIidioten.“
Dann fallen 2 Schüsse, Pause, Schreie. Dann wieder zwei Schüsse. Das Video endet.
die polizei sagt eindeutig, gehen sie in ihre wohnungen - aber nein: da meinen menschen, "zuerst mit dem toten sprechen" zu müssen - und ihn auch noch provozieren: "ein aufs maul - un gutt is, alter" ...
nicht die "weltlage ist schlimmer als je zuvor", sondern die menschen in diesem unserem lande: in diesem alltäglichen krieg arm gegen reich verführen die digitalen möglichkeiten und die sozialen netzwerke dazu, sich nicht mehr still in den "luftschutzbunker" zu verziehen, sondern die angst verführt dazu, sich zu präsentieren - sich "final" darzustellen - und dem verhalten des nachbarns in konkurrenz noch eins draufzusetzen: das ist das gefährliche ... - wir gefährden uns selbst mit so einem getöse ... - da wird inzwischen die privat-adresse des täters offen ins netz gestellt - und die ersten erkenntnisse, dass der täter einen facebook-account gehackt hat, um menschen zu dem schnellrestaurant zu locken, wird kommentiert mit: "...das kranke schwein ... - ...der war mehr als krank, ein perverser perser ...".
"angst essen seele auf" - heißt ein weitsichtiger auch hier zutreffender spielfilm-titel von r.w.fassbinder ...
schon bei der attacke in würzburg habe ich ja auf dieses eigenartigen konglomerat von amoklauf mit abschließender einkalkulierter (selbst-)tötung durch sich selbst oder durch die sicherheitskräfte bezug genommen. das ist sicherlich der jüngst immer häufiger anzutreffende spezialfall eines „erweiterten“ suizids bzw. eines "mitnahme-suizids", bei dem häufig dem täter nicht bekannte menschen opfer sind. die sogenannten "selbstmord-attentäter" treten ja in ähnlicher manier auf ... - es ist zumeist die tat eines psychisch erkrankten ("ich war in stationärer behandlung ..." - polizei: "wegen depressiver erkrankungen in behandlung") oder von menschen ohne jede persönliche perspektive - meist noch jugendlich jung (dieser david diesmal war gerade 18 ...), deren geplanter abgang dann aber nicht so stickum und allein wie zum beispiel beim robert enke stattfinden soll - sondern noch einmal ein crescendo - einen abschließenden paukenschlag - setzen soll - wie auch beim herbeigeführten germanwings-absturz in den alpen 2015 - das wird regelrecht zur seuche von labilen menschen - und dann gibt es so oberhelden, die das dann auch noch provozieren und filmen und dem suizidalen typen mit ihren handlungen noch flankieren: deeskalation und "beistand" - und ganz natürliche mitmenschlichkeit - sehen diametral anders aus: nämlich vielleicht wirklich mal einfach die schnauze halten, alter - und sich ins stille kämmerlein verziehen - vielleicht hilft beten ...S!