Das Kunstwerk "Auf der Lichtung" von Anthony Cragg steht im Herzen von Sennestadt - S!NED!-art |
Georg Büchner
Dantons Tod
Zweiter Akt - Fünfte Szene
Ein Zimmer
Es ist Nacht.
Danton (am Fenster).
Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, dass wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen?– September! –
Julie (ruft von innen). Danton! Danton!
Danton. He?
Julie (tritt ein). Was rufst du?
Danton. Rief ich?
Julie. Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September!
Danton. Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Gedanken.
Julie. Du zitterst, Danton!
Danton. Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam.
Julie. Georg, mein Georg!
Danton. Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht mehr denken, wenn das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich schreien wie Kinder; das ist nicht gut.
Julie. Gott erhalte dir deine Sinne! – Georg, Georg, erkennst du mich?
Danton. Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, siehst du. – Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?
Julie. Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's.
Danton. Wie ich ans Fenster kam – (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle Lichter aus...
Julie. Ein Kind schreit in der Nähe.
Danton. Wie ich ans Fenster kam – durch alle Gassen schrie und zetert' es: September!
Julie. Du träumtest, Danton. Fass dich!
Danton. Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es gleich sagen – mein armer Kopf ist schwach – gleich! So, jetzt hab ich's:
Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren Mähnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift.
Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster – und da hört' ich's, Julie.
Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht geschlagen. – O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im September, Julie?
Julie. Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris...
Danton. Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt...
Julie. Die Republik war verloren.
Danton. Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rücken lassen, wir wären Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter – ist das nicht billig?
Julie. Ja, ja.
Danton. Wir schlugen sie – das war kein Mord, das war Krieg nach innen.
Julie. Du hast das Vaterland gerettet.
Danton. Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mussten. Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muss ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! – Es muss; das war dies Muss. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muss gefallen? Wer hat das Muss gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?
Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. –
Jetzt bin ich ruhig.
Julie. Ganz ruhig, lieb Herz?
Danton. Ja, Julie; komm, zu Bette!