"Identitäre" Störer
Begegnung der braunen Art
Mit Parolen gegen Debatten: Am Montag störte eine rechte Jugendgruppe eine Veranstaltung unseres SPON-Kolumnisten Jakob Augstein. Hier berichtet er von dem Zwischenfall - und darüber, was er dabei über die neuen Nazis lernte.
Am vergangenen Montag moderierte ich im Berliner Maxim-Gorki-Theater eine Diskussionsveranstaltung, die von Radio Eins live übertragen wurde.
Margot Käßmann war zu Gast, die frühere Bischöfin. Wir sprachen über die Politisierung der Religion. Frau Käßmann war bei der Burka angekommen. Sie sagte, sie sei gegen dieses Instrument der Unterdrückung, aber auch gegen ein Verbot. Da rief ein Mann im Saal "Heuchler", und plötzlich skandierte ein Chor immer wieder dieses Wort: "Heuchler."
Zwei Reihen im Publikum erhoben sich, Schilder wurden gereckt, Fäuste geballt, Parolen gebrüllt. Aber das waren lauter nett aussehende, adrette junge Leute. Sie hielten ordentlich ihre Schilder. Sie brüllten ordentlich. Und als man sie des Saales verwies, gingen sie ordentlich davon. Darf ich vorstellen: die "Identitäre Bewegung", unsere neuen Nazis.
Die "Identitären" haben ihre Wurzeln in Frankreich, sie wurden in Österreich prominent, und seit einiger Zeit gibt es sie auch in Deutschland. Der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen nannte die Gruppe vor ein paar Jahren noch eine "virtuelle Erscheinungsform des Rechtsextremismus" mit "bislang wenig Realweltbezug". Das hat sich geändert. Es ist ja eine rechte Revolution im Gange, und die kann solche Fußtruppen gut gebrauchen.
In seinem "Kälbermarsch" hat Bert Brecht gedichtet: "Sie tragen ein Kreuz voran auf blutroten Flaggen / Das hat für den armen Mann einen großen Haken." Ins Maxim-Gorki-Theater hatten die "Identitären" auch ihren Haken mitgebracht, schwarz auf gelbem Grund, den griechischen Buchstaben Lambda. Er stammt aus dem Film "300". Die Spartaner, die im Abwehrkampf gegen die östlichen Invasoren ihr Leben geben, tragen dieses Zeichen auf ihren Schilden. Die alten Nazis entlehnten ihr Symbol alten Mythologien, die neuen einem amerikanischen Spielfilm. Das ist insofern bemerkenswert, als es gerade Globalisierung und Amerikanisierung sind, gegen die sie sich wehren. Aber gegen die Macht der Popkultur ist kein Kraut gewachsen, auch kein braunes.
Margot Käßmann und ich selbst waren nicht durch Zufall das Ziel der Aktion. Im Netz schreiben die Rechtsaktivisten, Käßmann und Augstein seien, "diejenigen, die einer Einwanderungsgesellschaft das Wort reden und dem Großen Austausch so den Weg ebnen". Der "Große Austausch", die Schreckensvision der Rechten: Das deutsche Volk wird durch ein neues, durchmischtes ersetzt.
Globalisierung, Migration, Multikulturalismus sind des Teufels
Ich habe die "Identitären" Nazis genannt. Man muss mit dem Wort vorsichtig sein. Es sind nicht alle, die eine andere Meinung haben, Nazis. Aber hier trifft es zu. Diese Leute predigen weder Eroberungskrieg noch Judenmord. Ihre Ideologie heißt "Ethnopluralismus". Jedes Volk hat ein Recht auf seinen eigenen Raum - und soll da auch bitte bleiben. Globalisierung, Migration, Multikulturalismus sind des Teufels. Das Wort "Raum" erinnert nicht umsonst an Martin Heidegger und Carl Schmitt, Heroen der neuen wie der alten Rechten. Denn so fesch sich dies "Identitären" geben, so alt ist ihr Denken. Es sind junge Greise, die da demonstrieren.
Sie träumen den Traum eines modernen Faschismus. Ihre Helden sitzen in Russland und in Ungarn. Wenn sie unter sich sind, in ihren Zeitschriften, im Netz, bei ihren Tagungen auf den Burgen und Schlössern ihrer vermögenden Förderer, geben sie sich ihren Allmachtsfantasien hin, ihren Visionen von der "Reconquista", der Befreiung des Landes von Islamismus und linkem Mainstream. Am Ende aber läuft es schlicht auf die Ausschaltung des Gegners hinaus - vor allem die Ausschaltung der unabhängigen Medien.
Ich bin nicht sicher, ob ich es als Kompliment auffassen soll, dass ich in den Plänen der "Identitären" namentlich erwähnt werde. Der österreichische "Identitäre" und Rechtsaktivist Martin Sellner hat in einem Aufsatz die Strategie seiner Bewegung so beschrieben: Die Journalisten, die er als "Camarilla" bezeichnet, müssten "aus ihren, letztlich illegitimen und undemokratischen Machtpositionen entfernt werden. Hier ist kein Einlenken, kein Umdenken und kein Ausgleich möglich. Solange sie tagtäglich mit ihrer suizidalen Agenda des Selbsthasses die 'demokratische Mitte' diktieren, ist ein identitärer Grundkonsens gegen den Großen Austausch undenkbar. Keine metapolitischen Überlegungen führen an der Tatsache vorbei: solange - etwas zugespitzt - ein Augstein im Spiegel schreiben darf, ist eine deutsche und europäische Zukunft unmöglich."
An diesem Abend im Gorki-Theater haben mir die modernen Nazis ihr Gesicht gezeigt. Es ist jung und glatt und kalt. Ich habe in das Gebrüll der Demonstranten hinein gefragt, warum sie mich einen "Heuchler" nennen, und was sie von uns wollen. Sie haben nicht geantwortet. Nicht die Form des Protests ist das Problem. Sondern ihr Inhalt. Und es ist nicht das Gebrüll, das Angst macht. Sondern die Weigerung zu reden.
Die Rechten haben die Öffentlichkeit gesucht. Sie haben sie bekommen.
Helfen wir ihnen dabei, wenn wir davon berichten? Ja. Wäre es darum besser zu schweigen? Nein.