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Paul Parin zum 100. - Fremdheit ist keine Eigenschaft ... - Frau Petrys "völkisch" einmal ganz "unvölkisch" gesehen ...

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ZDF - Paul Parin zum 100. Geburtstag 
Vor 100 Jahren, am 20. September 1916, wurde Paul Parin geboren. Der Utopist und Begründer der Ethnopsychoanalyse ist eine Jahrhundertgestalt.



Paul Parin zum 100. - Fremdheit ist keine Eigenschaft ... 

Frau Petrys "völkisch" einmal ganz "un-völkisch" gesehen ...

Paul Parin, der am 20. September 100 Jahre alt geworden wäre, Goldy Parin-Matthèy und als Dritter im Bunde Fritz Morgenthaler lebten und arbeiteten am Utoquai 41 in Zürich. Ihre psychoanalytische Praxis hatten sie hier 1952 eingerichtet, nachdem Paul Parin und Goldy Matthèy aus Jugoslawien zurückgekehrt waren, wo sie 1944/45 auf Seiten der Partisanen medizinische Hilfe geleistet hatten. Ab Mitte der 1950-er Jahre gingen sie dann gemeinsam mit Ruth und Fritz Morgenthaler auf Reisen, um in Westafrika unter den Dogon und den Agni die psychoana­lytische Methode zu erproben.


Vor 100 Jahren, am 20. September 1916, wurde Paul Parin in Polzela, Österreich-Ungarn, heute Slowenien, geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er die meiste Zeit in Zürich. Schon früh erkannte er das Unheil des Nationalsozialismus. In Graz studierte er zunächst Medizin und arbeitete als Chirurg. Während des 2. Weltkriegs schloss er sich den jugoslawischen Partisanen an. Nach dem Krieg ließ er sich zum Psychoanalytiker ausbilden und entwickelte zusammen mit seiner Frau Goldy Parin-Matthèy und seinem Kollegen Fritz Morgenthaler nach mehreren Forschungsreisen in Westafrika die Ethnopsychoanalyse. Seine Bücher stießen international auf große Anerkennung. Eine ausführliche Würdigung enthält nebenstehender Beitrag von Roland Kaufhold unter dem Titel: "Befreit Grönland vom Packeis". Das Foto wurde im Oktober 1988 in Zürich aufgenommen. (Foto: Keystone/Keystone/STR)

War es möglich, die Angehörigen von nicht-westlichen Gesell­schaften mit den theore­ti­schen und metho­di­schen Mitteln der Psycho­analyse zu verstehen? Ausgehend von einem univer­sa­lis­ti­schen Menschenbild, verliefen ihre Forschungs­in­ter­essen aber nicht nur in eine Richtung. Die Ethno­psy­cho­analyse sollte auch in der heimat­lichen Umgebung der Schweiz angewendet werden, zur Behandlung von Patien­tinnen und Patienten und zugleich als Form der Gesell­schafts­analyse und –kritik.

Goldy Parin-Matthèy und Paul Parin, welche die Autorin und Journa­listin Ursula Rütten einmal als „vermählte Zwillinge“ bezeichnet hat, blieben Zeit ihres Lebens insti­tu­tionell ebenso unabhängig, wie sie in einem ausge­dehnten, global vernetzten, linken und undog­ma­ti­schen Freun­des­kreis verankert waren. Wobei Freund­schaft hier mehr bedeutet als bloße private Bindungen und Neigungen – ihre Freund­schaften schufen darüber hinaus einen Arbeits- und Diskus­si­onsort. Stefan Zweifel hat die sonntäg­lichen Zusam­men­künfte am Utoquai einmal als Versammlung auf einem Affen­felsen beschrieben, wo er als Kind den Erwach­senen zu Füßen saß und ihren Debatten zuhörte („schöne Paviane“, die sich „Geschichten aus dem Haar lausten“).

Freud­sches Denken

Mir kam die Wohnung, Jahrzehnte später, eher wie eine Zeitma­schine vor. Der Straßenlärm der Durch­gangs­straße war durch die Fenster­scheiben ebenso gedämpft wie das Licht durch die vergilbten Vorgänge, und so konnten wir rauchend und trinkend an jeden belie­bigen Ort der Welt und in jede Zeit reisen. Meist aber landeten wir im frühen 20. Jahrhundert irgendwo in Europa oder in den 1950-er und 1960-er Jahren in Afrika. Trotzdem keine Nostalgie. Jede Geschichte war ein Exempel und das Interesse galt der Gegenwart.

Eine geschlossene Theorie entstand aus der ethno­psy­cho­ana­ly­ti­schen Forschungs­praxis nicht.
Grundlage blieb stets und dezidiert das Freudsche Denken, wie Paul Parin im Namen der Gruppe im Text „Subjekt im Wider­spruch“ erläu­terte: „Erst wenn sich diese Theorie einmal nicht eignete, um unsere Beobach­tungen zu erklären, haben wir sie modifi­ziert, etwas hinzu­gefügt, anderes wegge­lassen oder abgeändert.“ Entscheidend war die Verbindung von Psycho­analyse und Ethno­logie, wobei die Forscher­per­sön­lichkeit mit ihren eigenen kultu­rellen Verstri­ckungen in die Analyse einbe­zogen worden ist.

Das heißt, bei der Forschung war immer auch die eigene Reaktion auf den Forschungs­ge­gen­stand, d.h. auf die anderen Menschen und die fremde Umgebung Teil der Betrachtung, und dieser Ansatz ist für alle quali­tativ arbei­tenden Wissen­schaften bis heute relevant. Es gilt nicht, das eigene Ich (Herkunft, Geschlechte, Generation, usw.) und die eigenen kultu­rellen Verstri­ckungen möglichst „auszu­schalten“, sondern diese zu analy­sieren und produktiv in den Forschungs­prozess einzu­bringen. In den 1950er Jahren waren solche Überle­gungen in der Ethno­logie noch unerhört, galt es doch „im Feld“ eine wissen­schaft­liche Distanz zu wahren, und überdies standen Ethno­logen mit ihrer Forschung zu dieser Zeit noch häufig im Dienst von Kolonial­in­ter­essen. Die kolonialen Unter­tanen sollten erforscht werden, um sie beherrschbar zu machen – das galt nicht nur im Südafrika unter der Apartheid.

Fremdheit ist keine Eigen­schaft

Voraus­setzung und Resultat des ethno­psy­cho­ana­ly­ti­schen Zugangs ist, dass Fremdheit keine Eigen­schaft ist, sondern ein relatio­nales Verhältnis beschreibt. Das passt zu einer zentralen Überlegung Sigmund Freuds, wonach Neurosen keine ihnen eigenen Inhalte haben, die nicht auch bei „Gesunden“, bei Menschen ohne Symptome, zu finden sind. Folgt man diesen Gedanken, existieren weder der Fremde noch der Kranke an sich und aus sich selbst heraus; krank oder fremd ist ein Mensch vielmehr immer nur in Beziehung zu etwas oder zu jemand anderem.

Insofern ist mit der Ethno­psy­cho­analyse auch eine Utopie verbunden, eine Form der Aufklärung, die nicht nur das eigene Fremde einschließt und analy­siert, sondern das Fremde als Eigenes anerkennt. Mit der These, dass sich Psycho­analyse als Form der Gesell­schafts­kritik und der indivi­du­ellen Aufklärung auch in anderen, koloni­sierten Gesell­schaften bewähren würde, sollte eben gerade keine „afrika­nische Psyche“ (re)konstruiert werden. Vielmehr ging es bei den psycho­ana­ly­ti­schen Gesprächen um die Einzig­ar­tigkeit der Personen, aller­dings in ihrer Verstri­ckung in die jeweilige Gesell­schaft und soziale Umwelt. Bei den Agni an der Elfen­bein­küste und den Dogon in Mali stellte sich dies histo­risch und sozio­lo­gisch höchst unter­schiedlich dar und drückte sich in unter­schied­lichen Persön­lich­keits­struk­turen aus. So glücklich und frei sich die Dogon-Gesellschaft zeigte, so verstrickt und bedrückt erlebten die Reisenden die Agni.

Die postko­lo­niale Forderung, „den Anderen“ eine Stimme zu geben, ist in der Ethno­psy­cho­analyse mit ihren Einzel- und Gruppen­ge­sprächen radikal umgesetzt. Denn die Inter­viewten sind nicht Stell­ver­tre­te­rinnen oder Stell­ver­treter einer Gruppe von Anderen, sondern erscheinen in ihrer Indivi­dua­lität, mit ihren Reaktionen und Emotionen, ihren Biografien und Träumen in so unter­schied­lichem Masse fremd und vertraut, wie jeder andere Mensch, dem wir begegnen oder über den wir lesen. Zugleich werden aber auch die materi­ellen und sozialen Struk­turen und Bedin­gungen von Glück und von Scheitern aus den Inter­views und ihren Analysen deutlich.

Goldy und Paul Parin in Mali, ca. 1960; Foto: Fritz Morgen­thaler



Die Ethno­psy­cho­analyse bedarf des Orts- und Perspek­ti­ven­wechsels, sie ist eine Reise in die Fremde und nach Innen, zu den Anderen und zu sich selbst, sie versucht das Gemeinsame zu ergründen und muss dabei geogra­fische und intel­lek­tuelle Orte wechseln, d.h. die eigenen Annahmen immer in Frage stellen. Diese „Pendel­be­wegung zwischen den Kulturen“ (Mario Erdheim) ist gerade in der gegen­wär­tigen politi­schen Lage hoch relevant. Nie treten die Konturen des Eigenen so scharf hervor, wie in der Konfron­tation mit dem Anderen. Die Vorstellung, man habe eine einzige geschlossene Kultur, an die sich die Fremden anzupassen haben, unter­liegt einem Denkfehler. Das was heute so vehement als Kern eigener Kultur verteidigt wird, ist auch in scheinbar homogenen Gemein­schaften das Ergebnis von Vermi­schungen, Neuent­wick­lungen, einer Aushandlung zwischen Innovation und Tradition sowie zwischen Eigenem und Fremdem. Alles verändert sich in diesen fortwäh­renden Aushand­lungen, die Sprache, die Bräuche, die Erzäh­lungen über die Vergan­genheit.

In der Konfron­tation mit Fremdheit, sei es zu Hause oder auf Reisen, wird die eigene Kultur aber plötzlich als scheinbar geschlos­senes Ganzes erfahren, man wird zur Deutschen oder zum Schweizer, zum Europäer oder Afrikaner, während im Alltag solche Defini­tionen weder für die Fremd- noch für die Selbst­zu­schreibung nötig sind – da sind die vielen unter­schied­lichen Identi­fi­ka­tionen und Zugehö­rig­keiten jeder Person weitaus relevanter. Soll man jedoch die eigene Kultur erklären, wird sie zumeist zu einem hyper­realen Ideal, Typisches wird hervor­ge­hoben oder auch konstruiert, abgetrennt von der alltäg­lichen Erfahrung der Unordnung, Unvoll­stän­digkeit und Hybri­dität, die gelebte ‚Kultur’ auszeichnet. Kultur ist immer in Bewegung (und mag diese noch so langsam sein), das Kultur­gewebe ist in unter­schied­lichen histo­ri­schen Epochen geknüpft, sein Material stammt aus ganz verschie­denen Quellen, und wird immer wieder neu inter­pre­tiert. Gerade weil Kulturen – also die Lebens­wirk­lich­keiten von Menschen – immer hybrid sind, geraten sie durch Ortswechsel durch­ein­ander. Das kann produktiv sein oder zu gewalt­tä­tiger Eruption führen.

Ein grosser Erzähler

Heute ist der Utoquai 41 nur noch eine Hausnummer, nichts erinnert mehr an Paul und Goldy, und das passt vielleicht zur Utopie der Ethno­psy­cho­analyse, denn sie hat im Wortsinne keinen Ort, sie kann nur im Gespräch und in der Analyse entstehen, da wo zwei oder mehr zusam­men­treffen und sich darüber einigen, dass sie etwas ergründen wollen.  Die Ethno­psy­cho­analyse hat eine wissen­schaft­liche Praxis initiiert, so Maya Nadig, „die es erlaubt, einen diffe­ren­zie­renden und kreativen Blick auf eine kompli­zierte und schwer zu verste­hende Welt zu werfen. Es ist ein wunderbar mensch­licher Blick, weil er nicht einfach den Anderen unter­sucht, sondern auch die eigene Invol­viertheit und die Gefühle in der Beziehung zum Anderen ernst nimmt. In dieser Mensch­lichkeit der Methode liegt auch ihr politi­sches und revolu­tio­näres Potential.“

„Alle Wörter liegen vor mir auf dem Tisch, aber ich weiß nicht mehr, wie sie zusam­men­ge­hören“

Als klar war, dass Paul bald sterben würde, versam­melten sich die Freunde in großer Zahl um ihn. Vielen schrieben seine Sätze auf. „Alle Wörter liegen vor mir auf dem Tisch, aber ich weiß nicht mehr, wie sie zusam­men­ge­hören“, war einer seinen letzten Sätze. Paul Parin bleibt nicht nur als Ethno­psy­cho­ana­ly­tiker, sondern auch als grosser Erzähler immer in Erinnerung.

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Quelle: "Geschichte der Gegenwart" - Eine ältere Version dieses Beitrag erschien in der Publi­kation „De-Neutralize – Globale Geschichten aus Zürich“, Daniel Kurja­kovic, Franziska Koch, Lea Pfäffli, Bernhard Schär, Eduardo Simantob, Barbara Preisig (Hrsg.), Ein Koope­ra­ti­ons­projekt der VBK (ZHdK), IFCAR (ZHdK), Professur für Geschichte der modernen Welt (ETH), Johann Jacobs Museum, Zürich 2016.

Und noch ein lesenswerter Link zu Paul Parin: "Ich bin ein Weltbürger"

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die von den parins begründete "ethno-psychoanalyse" zeigt der frau petry von der afd, was "völkisch" auch bedeuten kann ... - sie setzt sich ja für eine neue "konnotation" dieses begriffes ein... ethno-psychoanalyse, so wie sie paul parin und goldy betrieben haben, zeigen, wie alle menschen - auf ihre art - gemeinsam ticken ... - nämlich so - dass parins persönliches fazit lautete: "ich bin ein weltbürger" ... - so wie es der christlich-abendländische poet schiller in der "ode an die freude" dichtete: 

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elisium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt, (also auch Burka & Niqab)
Alle Menschen werden Brüder, (also auch Muslime, Christen, Juden, Schwarze, Weiße, Rote usw.)
Wo dein sanfter Flügel weilt.





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