Nochmal zu Eugen Drewermann und seiner kirchlichen Verurteilung vor 25 Jahren - hier der Aufsatz eines geläuterten Kollegen aus dem gleichen Stall - gefunden in PUBLIK-FORUM, 19/2016, S. 32
Eugen Drewermann als Foto|grafik |
Er ist seiner Zeit voraus
25 Jahre nach der kirchlichen Verurteilung von Eugen Drewermann: Eine Betrachtung in drei Kapiteln
Von Peter Eicher
Das Urteil: Der Angeklagte wusste, dass er ohne seine Verurteilung nicht beweisen konnte, wie recht er hatte. Er war es dem Christentum schuldig, sich verurteilen zu lassen. Wie anders hätte er die klerikalen Richter öffentlich ihres Selbstwiderspruchs überführen können?
Eugen Drewermanns Klage lautet, dass die Kleriker der römisch-katholischen Hierarchie, statt religiös zu existieren, Dogmen verteidigen. Der dogmatische Missbrauch des Evangeliums zerstöre nicht nur den poetischen, therapeutischen und sozialen Sinn der Botschaft Jesu, er halte die Angehörigen der römisch-katholischen Kirche auch in einer absurden Angst vor Gott fest.
Dem Privatdozenten wurde am 8. Oktober 1991 wegen dogmatisch »falscher« Formulierungen erst das Lehramt, dann im Januar 1992 das Priesteramt entzogen. Die damals verurteilte symbolische Auslegung der Bibel wird heute problemlos in allen Kirchen nachgebetet. So ziemlich alles, was heute mühsam nachbuchstabiert wird – etwa die Sakramente für wiederverheiratet Geschiedene oder die ökologischen Konsequenzen der katholischen Ethik –, stand bei Drewermann schon 1991 als katholischer Standard fest. Die Wirkung war in Frankreich, in den deutschsprachigen Ländern, in Italien, Polen, Brasilien und in den USA stets dieselbe: Es wurde verstanden, dass die Kritik am Dogmatismus der Hierarchie die Voraussetzung eines frei gewordenen Christentums in der Gegenwart sei.
Die religiöse Existenz: Vor 250 Jahren hat Jean-Jacques Rousseau in seinem pädagogischen Hauptwerk »Émile oder Über die Erziehung« seinem Émile erklärt, was Religion sei. Als assoziierender Spaziergänger nahm er die Kunst der Psychoanalyse und die Notwendigkeit einer neuen Verwurzelung des Menschen in der Natur vorweg. Die innere Religiosität, erklärte der savoyardische Vikar im großen Erziehungsroman der Moderne, sei etwas anderes als das, was die Theologen und die Priester verwalteten. Sie sei jedem Menschen ins Herz geschrieben. Gott sei durch die Natur vernehmbar, insbesondere durch die Natur des Menschen. Und was da – auch beim Spazierengehen – zu vernehmen sei, könne durchaus als freundlicher Wink eines gütigen Gottes verstanden werden. Deshalb seien wir nicht auf Offenbarungen angewiesen, die einem auserwählten Volk oder einer »wahren Religion« zuteil geworden seien. Für die Christen genüge es, die Lehren Jesu in sich selbst zu finden und sie zu praktizieren. Niemand, der Krieg führt oder auf undemokratische Weise an die Macht kommen will, könne sich mit religiösen Schriften rechtfertigen.
Eugen Drewermanns Theologie wird dem Anspruch dieser Moderne an die freie Selbstverantwortung in Sachen Religion gerecht. Doch anders als Rousseau es sich vorstellte, hat er zweihundert Jahre nach der Aufklärung und der Französischen Revolution erkennen müssen, dass kein Friede zwischen der hierarchischen Kirche und dem religiös frei gewordenen Einzelnen eingekehrt ist. Noch immer müssen die meisten katholisch Getauften, wenn sie ihre religiöse Existenz in Freiheit leben möchten, in sich selber die Institution überwinden, die sie von Geburt an für sich vereinnahmt hat. Dafür ist die therapeutische Durcharbeitung der eigenen Biografie nach Eugen Drewermann die hilfreichste Form der Aufklärung.
Die Zukunft der Erde: 1991 hatte niemand unter den katholischen Würdenträgern das sich abzeichnende Gesamtwerk von Drewermann auch nur annähernd verstanden. Denn dem stets höchst konzentrierten Beobachter der Gegenwart ging es schon damals um die Ökologie, um die Überwindung des Krieges als einer perversen Form der Wirtschaft und um die Freiheit jeder menschlichen Existenz.
Nach seiner Verurteilung war Eugen Drewermann noch freier als zuvor, sich mit diesen zentralen Fragen der Gegenwart zu beschäftigen. In bald hundert Publikationen hat er die drei Dimensionen der globalen Not der Gegenwart durchgearbeitet:
Wie können wir überleben, wenn wir die Natur zerstören, die das Leben ermöglicht?
Warum beteiligen wir uns an Wirtschaftsformen, welche die sozialen Ungerechtigkeiten nicht mindern, die Stoffe der Erde und der Atmosphäre ausbeuten, das Leben der Tiere verbrauchen und dabei Millionen von Mitmenschen als Mittel zum Zweck vernichten?
Wer kann die Angst, welche der unerkannte Grund für diese destruktive Entwicklung ist, mildern oder gar überwinden?
Eugen Drewermann ist der erste katholische Schriftsteller, der in und nicht neben der biologischen Evolution lebt. Ohne sich im Geringsten auf szientistische Reduktionen einzulassen, vermittelt er die religiöse Existenz mit einem unbeschränkten Interesse an den Wissenschaften. Und er ist mehr als ein Marxist an der Überwindung des destruktiven Kapitalismus interessiert.
Warum mehr?
Weil er daran festhält, dass «Gott» kein Faktor der Ökonomie, sondern die Liebe selbst ist. Die Liebe aber ist kein Gegenstand. Sie ist das, was der Menschensohn im Johannesevangelium von sich selber sagt: »Ich bin die Tür.«
Peter Eicher, geboren 1943, emeritierter katholischer Theologe, war viele Jahre Kollege von Eugen Drewermann an der Universität Paderborn.