Babyversorgung im Flüchtlingslager - hier hilft man sich (Bild: Iker Pastor, Anadolu Agency/Getty Images) |
Geburtshilfe am Limit
Hebammen-Alltag: Fehlende Entbindungsstationen, der Kampf um jeden Cent und gefährdete Schwangere - drei Frauen berichten
Von Anneke Quasdorf | NW
Die Anfragen kommen täglich mehrfach, meist klingen die Stimmen aus dem Hörer verzweifelt: Fünf bis sechs Frauen rufen pro Tag bei Hebamme Daniela Wandel im Kreis Minden-Lübbecke an. Helfen kann die Geburtshelferin nicht. "Ich habe erst ab Oktober wieder Kapazitäten." Die Frauen, für die dieser Zeitraum infrage kommt, wissen aber unter Umständen noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Alle anderen haben Pech.
Für Wandel eine schwierige Situation. Sie weiß: Auch woanders werden die Frauen nicht fündig, alle Kolleginnen sind ausgebucht. "Ich mache mir große Sorgen um all die Frauen, die im Sommer entbinden und niemanden an ihrer Seite haben." Denn Wochenbett, das heißt: Blutungen, Schwächung, Rückbildung der Gebärmutter. Es heißt aber auch: Glückshormone, Heultage, Überforderung und Angst. Für all das gibt es die Hebamme. Sie leistet elementare medizinische Versorgung von Mutter und Kind, ist gleichzeitig Stütze und Begleiterin.
Fehlt sie, müssen Mutter und Kind regelmäßig aus dem Haus, zum Gynäkologen und zum Kinderarzt. "Das ist nach einer Geburt anstrengend genug. Kommen Komplikationen wie Brustentzündungen, Fieber, entzündete Kaiserschnittnarben dazu, wird es dramatisch", sagt Veronika Penner, Hebamme aus Bielefeld. "Und da reden wir noch nicht mal über emotionale Bedürftigkeiten."
Gynäkologe Rolf Englisch, Vorsitzender des Landesverbandes der Frauenärzte Westfalen-Lippe, hat noch andere Bedenken: "Wenn Kinder- und Frauenärzte Untersuchungen machen müssen, die bislang die Hebammen geleistet haben - wer soll das zusätzliche Arbeitspensum auffangen?"
Doch nicht nur vor und nach der Geburt, auch währenddessen wird die Versorgungslage immer schlechter. Das betrifft schon die Anzahl der Geburtskliniken. 63 Entbindungsstationen wurden laut der Krankenhausgesellschaft NRW im Land seit 2003 geschlossen, sechs davon in OWL.
In den Kliniken herrscht Personalmangel; vielen Hebammen reicht die Festanstellung nicht aus, um die Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. "Wir wissen, dass es vielerorts Standard ist, dass Hebammen allein drei oder gar fünf Geburten betreuen", sagt die NRW-Vorsitzende des Hebammen-Landesverbands, Barbara Blomeier. "Das sind keine Zustände."
Eine, die weiß, wie sich die Zahlen im Alltag niederschlagen, ist Hebamme Andrea Rautenberg aus Borgentreich. Seit 38 Jahren arbeitet sie in dem Beruf, lange angestellt in Düsseldorf und Bielefeld, heute frei im Kreis Höxter. Sie weiß: "Die Minderversorgung hier auf dem Land ist so groß, dass es für die Frauen wieder ein Risiko darstellt, schwanger zu werden."
Bis zu 50 Kilometer müssten die Frauen zurücklegen, um medizinische Hilfe zu bekommen. "Jetzt hatten wir wochenlang Minusgrade mit Glätte, Eis und Schnee. Die einzigen Geburtskliniken sind in Kassel, Höxter oder Paderborn. Da müssen Sie aus Warburg aber erst hinkommen."
Nicht nur die Patientinnen sind benachteiligt. Auch Hebammen müssen sich auf dem Land weit mehr abstrampeln, um auf ihre Kosten zu kommen. Für einen Geburtsvorbereitungskurs können sie 5,60 Euro brutto pro Stunde abrechnen. Für einen halbstündigen Hausbesuch bekommen sie 26 Euro, Anfahrtswege werden mit 35 Cent pro Kilometer vergütet.
Für Rautenberg bedeutet das: "Wenn ich Kurse gebe, macht?s nur die Masse. Das ist auf dem Land schwierig. Selbst bei einem ausgebuchten Rückbildungskurs stehe ich nach zehn Wochen Kursdauer mit 350 Euro da. Dafür stellt sich kein Handwerker hin."
Ein weiteres Problem: Von der Krankenkasse bekommt Rautenberg einen Radius von 20 Kilometern zugewiesen, innerhalb dessen sie Kilometergeld abrechnen kann. "Damit komme ich im Kreis Höxter nicht aus. Da ist viel Feld und Wald - aber keine Patientin."
Auf den Entbindungsstationen läuft es auch nicht besser, weiß Rautenberg. Jahrelang hat sie Schichtdienste geschoben, zwei bis drei Geburten gleichzeitig betreut. "Damit ist es in einem Schichtdienst aber nicht getan. Da musst du noch auf Telefon und Türklingel achten, dokumentieren und Patientinnen aus der Ambulanz betreuen."
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Mutterseelenallein
Hebammenmangel
Kommentar von Anneke Quasdorf | NW
Auf der Homepage des Hebammenverbandes heißt es: "Immer mehr Fälle von geburtshilflicher Unterversorgung in Deutschland." Ich bin so ein Fall. Zwölf Stunden lag ich allein im Kreißsaal. Das heißt, ganz allein war ich nicht. Da waren noch der Bauch und die Schmerzen und die Angst. Und ab und an eine Hebamme - wenn ich in meiner Verzweiflung nach ihr klingelte.
Am Ende ging es meiner Tochter und mir gut. Wir hatten alles bekommen, was es dazu brauchte - Hygiene, Schmerzmittel, PDA und einen Notkaiserschnitt. Trotzdem waren wir unterversorgt. Denn wir hatten nichts von dem, was es braucht, um das zu schaffen, was Hebammen ein Geburtserlebnis nennen: Beistand, Zeit, Ratschläge, Anleitung und Fürsorge.
Eine Beleghebamme, die mich in Schwangerschaft und zur Geburt begleitete, konnte ich Monate zuvor in Bielefeld nicht mehr finden. Und meinen Mann, der mehr als willig zum Spenden von Fürsorge angetreten war, hatte das Klinikpersonal nach Hause befohlen. Für ihn war kein Platz in dem Vierbettzimmer mit drei leeren Notfall-Betten. Man würde ihn anrufen, wenn es wirklich losginge.
Mein Fall ist einer, wie es ihn vermutlich tausendfach im Jahr in Deutschland gibt. Er ist die logische Konsequenz daraus, was passiert, wenn etwas so Ursprüngliches und Emotionales wie Schwangerschaft und Geburt in die kalkulierenden Mühlen von Wirtschaft und Rentabilität gerät.
Die Lösung für das Dilemma ist einfach: mehr Geld für Hebammenleistungen. Nur so lässt sich der Hebammenberuf retten. Klingt einfach. Der Haken: Es müsste schnell gehen. Wie aussichtsreich das ist, zeigt die Stellungnahme des Gesundheitsministeriums NRW auf eine Anfrage zum Thema. Dort beschäftigt man sich in den kommenden drei Jahren an einem extra eingerichteten runden Tisch damit, wie man die Versorgung durch Hebammen in NRW überhaupt ermitteln könnte. Da hat man keine Fragen mehr. Und auch keine Zuversicht.
Die Hebamme ist einer der ältesten Frauenberufe. Immer schon haben seine Vertreterinnen schwere Schlachten schlagen müssen. Im Mittelalter gegen die Kirche, in der Neuzeit gegen die akademische Medizin. Der Gegner des 21. Jahrhunderts heißt Versicherungsbranche. Und es sieht ganz so aus, als ob die Geburtshelferinnen dieses Mal verlieren.
anneke.quasdorf@ihr-kommentar.de
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03 - Bielefeld Süd, Freitag 03. Februar 2017