THOMAS BAYRLE
Gebete und Motoren
Von PETER IDEN | FR
Im Kunstbau des Lenbachhauses in München setzt Thomas Bayrle Maschinen in Bezug zu Formen des frommen Gebets. Wie geht das?
Man geht nicht fehl, Thomas Bayrle, dessen Anfänge als Maler und beachtlicher Zeichner zurückreichen in die Zeit um 1960, den erfolgreichsten Frankfurter Künstler seiner Generation zu nennen. Über die Jahre sind ihm, der seiner Bodenhaftung wegen auch ein hochgeschätzter Lehrer der Städel-Akademie war, viele Ehrungen zuerkannt worden. Seine in der Frankfurter Rundschau zwischen 1980 und 1982 veröffentlichten „Lebenszeichen“, verfasst während eines längeren Aufenthalts in Kalifornien, lesen sich heute als Beiträge zur Dokumentation einer Epoche.
Bildwerke von Thomas Bayrle finden sich momentan an mehreren Orten, als Ankunftsüberraschung in der Eingangshalle des Flughafens von Turin ebenso wie im Institute of Contemporary Art in Miami, es ist seine erste Einzelausstellung in den USA, und auf näherliegendem Terrain auch im sogenannten Kunstbau in München, einem langgestreckten, ursprünglich als U-Bahn-Station geplanten Trakt, der von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu einer Halle für Wechselausstellungen umfunktioniert wurde und bespielt wird. Hier sind in einer aufgelockerten Präsentation Arbeiten des Künstlers zu sehen, von denen einige bereits im unübersichtlichen Kontext der Kasseler documenta von 2012 gezeigt wurden.
In München wird nun klarer als damals in Kassel, welch enormen Spannungsbogen Bayrle riskiert, indem er nämlich Maschinen in Bezug setzt zu Formen des frommen Gebets. Wie geht das? Die Ausstellung ist bestückt mit Automotoren, die aufgeschnittenen sind, so dass die in ständiger Bewegung gehaltenen Kolben und Zahnräder in ihrem Zusammenspiel sichtbar werden, eine Erfahrung, die für manchen lehrreich sein mag, der über die Funktion des Antriebs in seinem Wagen Genaueres nicht weiß oder womöglich auch lieber nicht wissen will. Die Motoren verschiedener Hersteller, für die Demonstration ihrer (ähnlichen) Arbeitsweisen geöffnet, werden gleichsam ummantelt von Ton-Collagen, die ihre Herkunft in Gesängen der kirchlichen Liturgie haben.
„Rosenkranz“, 2009. Foto: Thomas Bayrle, VG Bild-Kunst, Bonn 201 |
Auf diese zweifellos seltsam eigenwillige Verbindung ist Bayrle nach eigener Darstellung durch Kirchgänge gebracht worden, bei denen er Gelegenheit fand, den Rosenkranz betende Katholiken zu beobachten. Die monotone Repetition der immergleichen Gebetstexte und Fürbitten, gerichtet an und unterwegs in die Ewigkeit, versteht der so gelenkig wie waghalsig sich zwischen den Welten spiritueller und technischer Bemühungen tummelnde Artist, als Parallelfall zu der allerdings leider, da Motoren bekanntlich endlich sind, nicht auf Ewigkeit hin ausgelegten Wiederholung maschineller Abläufe.
Wobei hinsichtlich mindestens der Funktionen von Gebet und Motor einige Differenzen zu bedenken sind: Von dem einen werden Leistungen als Gnade des unbekannten Adressaten mit ungewissem Ausgang erhofft, während die von der Maschine erwartete Leistung von dieser im Regelfall relativ zuverlässig auch erbracht wird. So zuverlässig, dass sie – was einst Jean Tinguely im Garten des New Yorker MoMA vorgeführt hat – sogar dazu veranlasst werden kann, sich selbst zu zerstören.
Noch ein anderer Unterschied von Gebet und Maschine liegt darin, dass das Beten schon selber, als Akt des Gläubigen, auf Rettung zielt – während Maschinen zwar notwendige Produktionsprozesse und damit das praktische Leben erleichtern können, ihr Einsatz aber zugleich Gefahren impliziert, die den Benutzer sich als Täter und Opfer erleben lässt. Was das Beispiel gerade des Automotors belegt.
Das ironisch Kritische hat sich gehalten
Diese kritische Dimension von Phänomenen, die für die Massen- und Konsumgesellschaft prägend sind, hat Bayrle schon früh beschäftigt. Gegen Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts realisierte er Objekte, manchmal in sich beweglich, in denen aus Hunderten von seriell gereihten Gesichtern ein großes gebildet wurde, das „Great Face“, etwa die Physiognomie Marilyn Monroes, zusammengesetzt aus den entindividualisierten Gesichter ihrer Bewunderer. Nach Art verstellbarer Jalousien konnten die Oberflächen dieser Bildkästen, mit Hilfe von dahinter montierten Elektromotoren, so verändert werden, dass dann die Züge der Monroe sich fließend in die Maos verwandelten. Aus gleichartigen Einzelteilen entstand, durch deren serielle Wiederholung, eine übergreifende Form, zu der die Reihung der Einzelelemente sich kommentierend verhält: Die Masse schafft die Idole, die Monroe wie Mao.
Das Spielerische, ironisch Kritische an Bayrles Kunst hat sich bis heute gehalten. In München sind unter den ausgestellten Motoren auch solche, die wie in Autos jeweils zwei Scheibenwischer antreiben: Für einen heiteren Augenblick mag man in den gleichmäßig ins Leere sich wiederholenden Bewegungen der Wischer etwas von dem bedeutet sehen, was am Kulturbetrieb dessen routinierter Selbstbezug ist.
Lenbachhaus München, Kunstbau: bis 5. März. Zu der Ausstellung liegt ein Künstlerbuch vor, hrsg. von Matthias Mühling und Eva Huttenlauch. www.lenbachhaus.de