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Martin Lüttge ist tot

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Der "grüne" Volksschauspieler Martin Lüttge ist tot

von Peter Jungbluth | NDR



Martin Lüttge, dem breiten Fernsehpublikum besser bekannt als Tatort-Kommissar Bernd Flemming, ist am vergangenen Mittwoch im schleswig-holsteinischen Plön gestorben. Der gebürtige Hamburger, der zuletzt in Seedorf im Kreis Segeberg lebte, wurde 73 Jahre alt.

Martin Lüttge nach einer Fotobearbeitung von S!NED!

Bühne und Leben - beides musste für ihn immer zusammenpassen. Glaubwürdigkeit war ihm daher am wichtigsten. Martin Lüttge wollte vor allem ein aufrichtiger, ehrlicher Charakter sein - und das ist ihm geradezu vorbildlich gelungen.

Erfindung des Zelttheaters war die größte Rolle

Konsequent wie wenige andere verabschiedete er sich schon in den 70er-Jahren vom Staatstheater und zog fortan mit einem Zelt und einer freien Truppe durch Deutschland. Die Erfindung dieses Zelttheaters und die Zusammenarbeit mit den Schauspielern bezeichnete er selbst als seine größte Rolle und die intensivste Erfahrung seines Lebens.

Der Theaterhof Priessenthal in der Nähe des oberbayerischen Burghausen wurde dem gebürtigen Hamburger Martin Lüttge zur Heimat. Dort, auf einem versteckten Öko-Bauernhof, lebte er mit seinen Schauspielkollegen und schrieb moderne Volksstücke, die immer auch einen politischen Anspruch hatten und nie betulich waren. Dem volkstümlichen Theater warf er vor, "dass die Storys einfach so dämlich sind. Es kann ja gern eine Verwicklungsgeschichte sein, aber wenn sie an den entscheidenden Momenten einfach nicht stimmt, sondern einfach irgendwas behauptet wird, was Menschen nie tun, nur um eine seichte Schlusspointe hinzukriegen, dann finde ich das ein bisschen gemein, weil die Menschen sich doch im Theater einlassen."

Nachfolger von Götz George im Tatort

Szene aus dem Spielfilm "Der Lord von Barmbeck": Martin Lüttge als Julius Adoilf Petersen  1973 stand Martin Lüttge als Einbrecherkönig Julius Adolf Petersen, bekannt als "Lord von Barmbeck", vor der Kamera.
Das breite Publikum kannte Martin Lüttge natürlich als Tatortkommissar Bernd Flemming. 15 Mal stand er für den WDR in Düsseldorf vor der Kamera, als Nachfolger von Götz George. "'Was für eine Figur könntest du dir vorstellen', wurde ich gefragt", erinnerte er sich später daran. "Da habe ich gesagt, dass ich eine bestimmte Art von Krimis überhaupt nicht mag: reine Action und Geballer und Angstmache. " Seine Figur solle dagegen etwas Bodenständiges und Normales haben und sich psychologisch an einen wirklichen Polizisten anlehnen, so Lüttge.

Als junger Mann ging Martin Lüttge Ende der 50er-Jahre nach England, wo er auf einem Kälbermasthof arbeitete. Doch rasch begeisterte er sich für die Schauspielerei. In München ließ er sich professionell ausbilden und wurde Mitte der 60er-Jahre für Film und Fernsehen entdeckt. Eine seiner ersten Rollen war ein Tresorknacker in der Serie Hafenpolizei. Als Einbrecherkönig Julius Adolf Petersen stand er 1973 in dem Film "Der Lord von Barmbeck" vor der Kamera.

Rechtschaffen und prinzipientreu wie wenige

Einfühlsam brachte Martin Lüttge auch die Gebrüder Grimm auf die Bühne. Zutiefst rechtschaffene, etwas dröge Germanistikprofessoren, die erst durch die politischen Umstände zu Kämpfern für Rechtsstaatlichkeit und freie Meinungsäußerung wurden. Aufrichtigkeit war auch hier das zentrale Anliegen."Wir halten uns für Mitbegründer der Grünen", so Lüttge. "Das war ja die gleiche Bewegung damals und wir sind dabei geblieben."

Wenige hielten so konsequent an ihren politischen Prinzipien und an ihrer Lebenseinstellung fest wie dieser Schauspieler, dem jeder Fanatismus völlig fremd war. Das machte Martin Lüttge daheim in Priessenthal zu einem ausgesprochenen Sympathieträger. Er konnte ein ganzes Dorf von sich überzeugen und das ist allemal schwerer als ein Staatstheaterpublikum zu begeistern.

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Ich habe in Bethel in den 70er Jahren Erika Lüttge, geborene von Delius (1915–1997) noch erleben dürfen - die Mutter von Martin Lüttge.  
Erika Lüttge war eine musisch äußerst begabte und durchsetzungsfähige emanzipierte Frau, die als gelernte Krankenschwester damals ein Haus für schwerst-mehrfachbehinderte Menschen in Bethel leitete. 
Hier hat sie schon damals den heute allgegenwärtigen Begriff "Inklusion" ganz praktisch ohne großes Bamborium gelebt, denn sie hat mit den stark gehandicapten meist epilepsiekranken und verhaltensgestörten Menschen mit großer Akribie kleine Theaterstücke "nach allen Regeln der Kunst" eingeübt.  
Ich erinnere eine Situation, als sie den für sie nicht ganz so wichtig bewerteten Leitungs-Facharbeitskreis absagte und stattdessen eine "Generalprobe" für ein "Schauspiel" im Rahmen des nächsten Elterntages in ihrem Haus als "viel wichtiger und unaufschiebbar" vorzog ... 
Für mich eine unvergessliche Frau - und im Zuge ihres Agierens traf ich auch einmal damals noch ganz unscheinbar auf den Sohn Martin Lüttge, der seine Mutter gerade besuchte - und dem man in den Gesichtszügen seine "Sohnschaft" durchaus ansah - dem ich beim gemeinsamen Herausgehen die Tür zufällig aufhielt ... 
Erst viel später wurden mir die Zusammenhänge dann klar - und wem ich da in diesem Augenblick die Tür aufgehalten hatte ... S!



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