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Siehe: Ein Mensch - Ein ZEIT-Gespräch mit PS!apst Franziskus

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»Ich kenne auch die leeren Momente«

Was bedeutet Glaube? Ein ZEIT-Gespräch mit Papst Franziskus


S!|graphik

Das erste Interview mit einem deutschen Journalisten in der vierjährigen Amtszeit von Papst Franziskus wurde behandelt wie eine geheime Staatssache. Die Redaktion der ZEIT wurde gebeten, zu schweigen – am besten, bis wir endlich dem Papst gegenüberstehen. Nach langer Anbahnung kam die Einladung zum Gespräch vom Papst persönlich.

Der Treffpunkt ist im Gästehaus Santa Marta im Vatikan: ein Besprechungsraum, der weniger repräsentativ kaum sein könnte; sechs Lehnstühle, grün bezogen, eine Anrichte, ein Abbild von Johannes XXIII., ein Fernseher. Hier empfängt der Papst nahezu jeden Besuch, wie bei allen anderen Gesprächen gibt es nicht einmal ein Glas Wasser. Papst Franziskus wohnt genau über diesem Besprechungsraum, das Schlafzimmerfenster geht direkt auf eine Mauer.

Der Papst, der im vergangenen Dezember 80 Jahre alt wurde, spricht langsam, mit großer Konzentration und Vitalität, aber mit so leiser Stimme, dass es schwerfällt, ihm ohne Nachfragen bis in die letzte Nuance zu folgen.

Das auf Italienisch geführte Gespräch wurde vom Papst selbst autorisiert, er verglich die deutsche Übersetzung mit der Originalversion, die ein Mitarbeiter aufgenommen hatte. Seine Redigaturen waren sehr viel sparsamer und verhaltener als all das, was wir bei der ZEIT in der Regel von Politikern zurückbekommen.

ZEIT: Heiliger Vater, Mitte der achtziger Jahre hielten Sie sich längere Zeit in Deutschland auf, um Ihre Dissertation über den Priester und Philosophen Romano Guardini fertig zu schreiben. Es heißt, dass Sie damals von einem Gemälde vollkommen überwältigt gewesen seien, dem Bild Maria Knotenlöserin, das ein Barockmaler um 1700 schuf und das in der Kirche St. Peter am Perlach in Augsburg hängt.

Franziskus: Nein, das stimmt nicht.

ZEIT: Das stimmt nicht?

Franziskus: Ich war nie in Augsburg!

ZEIT: Ich habe es in einer richtig guten Biografie über Sie gelesen.

Franziskus: Fast hätte ich gesagt: Typisch Journalisten! (lacht) Die Geschichte war so: Zu Weihnachten hatte mir eine Ordensschwester, die ich in Deutschland kennengelernt hatte, eine Grußkarte mit diesem Bild geschickt. Das Bild machte mich sofort neugierig. Nicht weil es so großartig wäre, es ist ziemlich mittelmäßiger Barock.

ZEIT: Aber es zeigt ein ungewöhnliches Motiv: Maria mit einem weißen Band in den Händen, voller Knoten.

Franziskus: Das Bild greift einen Satz des Kirchenvaters Irenäus von Lyon aus dem 2. Jahrhundert auf. Der Stifter des Bildes hatte Schwierigkeiten mit seiner Frau. Ich will nicht sagen, dass sie sich schlugen, aber ...

ZEIT: ... irgendetwas stimmte nicht ...

Franziskus: ... ja, irgendetwas war nicht in Ordnung, aber er liebte seine Frau, und seine Frau liebte ihn, und es gab keine Schwiegermutter, die dazwischenfunken konnte. (lacht) Also suchte der Mann Rat bei einem Jesuitenpater. Der nahm das lange weiße Band, das bei der Trauung des Paares verwendet worden war, und betete zur Jungfrau Maria, denn er hatte bei Irenäus gelesen, dass der Knoten von Evas Sünde durch Marias Gehorsam gelöst werde. Er bat also die Madonna um die Gnade, die Knoten aufzulösen.

ZEIT: Die Knoten auf dem Bild stehen also für lauter ungelöste Probleme.

Franziskus: Ja – und das Bild ist zum Dank entstanden, denn am Ende hat die Muttergottes dem Paar die Gnade gewährt.

ZEIT: Die beiden sind zusammengeblieben, und durch Sie ist das Bild berühmt geworden. So wurden von diesem ohnehin nicht besonders schönen Gemälde weitere, auch nicht so gelungene Kopien angefertigt: Eine hängt in Buenos Aires, eine habe ich gerade im Empfangssaal dieses Gästehauses gesehen, in dem wir jetzt sitzen. Sie werden inzwischen verfolgt von diesem Bild!

Franziskus: Das könnte man sagen. (lacht) Aber es hat mir so gut gefallen, dass ich angefangen habe, Postkarten davon zu verschicken.

ZEIT: Wenn Sie mir dieses persönliche Bekenntnis als Katholik erlauben: Zu Weihnachten war ich mit meiner achtjährigen Tochter beim Krippenspiel in unserer kleinen Gemeinde – in Hamburg leben Katholiken in der Diaspora ...

Franziskus: ... ich war einmal in Hamburg, zu einer Taufe in Wandsbek, in den achtziger Jahren, darum hatten mich argentinische Landsleute gebeten!

ZEIT: Meine Geschichte aus Hamburg spielt jetzt, in der Gegenwart: Bei diesem Krippenspiel an Heiligabend war zum wiederholten Male kein Priester anwesend, was ziemlich trostlos war. Danach habe ich mich an den Hamburger Erzbischof gewandt und ihn gefragt, wie es möglich ist, dass an einem Tag, an dem so viele Katholiken wie sonst nie in die Kirche gehen, kein Priester mehr zugegen ist. Der Bischof, der neu und noch ziemlich jung ist, hat mir geantwortet, dass der Priestermangel für ländliche Gebiete mit wenigen Katholiken noch viel schlimmer ist und dass auch er noch nicht wisse, wie sich das ändern lasse. Die Statistiken bei uns sind verheerend: immer weniger Gläubige, immer weniger Priester, immer mehr offene Stellen.

Franziskus: Ja, das ist ein großes Problem. Auch in der Schweiz sieht es nicht gut aus. Viele Gemeinden haben brave Frauen: Sie erhalten den Sonntag aufrecht und feiern Wortgottesdienste, also ohne die Eucharistie. Das Problem ist aber der Mangel an Berufungen. Und dieses Problem muss die Kirche lösen.

ZEIT: Wie?

Franziskus: Ich glaube ... – Sie merken, ich spreche auch als bekennender Katholik, ich bin übrigens auch gläubig, wissen Sie? (lacht) Der Herr hat uns gesagt: Betet! Das ist es, was fehlt: das Gebet. Und es fehlt die Arbeit mit jungen Leuten, die Orientierung suchen. Es fehlt der Dienst an den anderen. Die Arbeit mit jungen Menschen ist schwierig, doch sie ist notwendig, denn die Jungen verlangen danach. Sie sind die großen Verlierer der modernen Gesellschaft, in zahlreichen Ländern gibt es keine Arbeit für sie.

ZEIT: In Deutschland ist aber die Jugendarbeitslosigkeit kein großes Problem, sie liegt bei nur sieben Prozent.

Franziskus: Das ist ein Privileg! Aber hier in Italien sind fast 40 Prozent der jungen Leute unter 25 arbeitslos. In anderen Ländern Europas sind es fast 50 Prozent, in bestimmten Landesteilen sogar beinahe 60 Prozent! Arbeitslosigkeit ist ein riesiges Problem. In dieser Hinsicht mag es in Deutschland anders aussehen, doch es gibt noch ein weiteres Problem ...

ZEIT: Nämlich?

Franziskus: Die Geburtenrate.

ZEIT: Die ist bei uns im europäischen Vergleich niedrig, aber nicht niedriger als in Italien.

Franziskus: Und wo es keine jungen Männer gibt, gibt es auch keine Priester. Das ist ein ernstes Problem, das wir in der nächsten Synode über junge Menschen angehen müssen, und es hat nichts mit Proselytismus zu tun. Durch Proselytismus erhält man keine Berufungen ...

ZEIT: ... verzeihen Sie, aber ich verstehe nicht, was Proselytismus meint.

Franziskus: Das ist das Abwerben Andersgläubiger, wie bei einer Wohltätigkeitsorganisation, die Mitglieder anwirbt. Dann kommen viele junge Leute, die sich nicht berufen fühlen und die die Kirche ruinieren werden. Entscheidend ist die Auswahl. Und auch die Empörung der Menschen – wie Sie und Ihre Tochter sie empfunden haben: Wieso ist hier kein Priester, um die Eucharistie zu feiern? Das schwächt die Kirche, denn eine Kirche ohne Eucharistie hat keine Kraft. Die Berufung von Priestern stellt ein Problem dar, ein enormes Problem.

ZEIT: Es braucht also die wahre Berufung, wie Sie sie empfunden haben, als Sie kurz davorstanden zu heiraten?

Franziskus: Aber nicht doch!

ZEIT: Als Sie siebzehn waren ...

Franziskus: ... aber ich war nicht dabei zu heiraten! (lacht)

ZEIT: Zumindest hatten Sie eine Verlobte, ich habe das so gelesen.

Franziskus: Das stimmt, ich hatte eine Verlobte, aber Journalisten übertreiben – Verzeihung! (lacht)

ZEIT: Deshalb überprüfe ich doch jetzt auch alles!

Franziskus: Das ist gut, es wird immer viel erzählt, aber ich bin ein ganz normaler Mensch. Kein bisschen ungewöhnlicher als andere.

ZEIT: Allein die Tatsache, dass Sie das sagen, ist außergewöhnlich.

Franziskus: Na gut, vielleicht ist nicht alles an mir gewöhnlich.

ZEIT: Wenn Sie auf die Jungen setzen wollen – müssen Sie dann nicht Anreize schaffen, die heute fehlen? Ihnen beispielsweise sagen, dass man nicht mehr auf ein Gefühls- und Liebesleben verzichten muss, um Priester zu werden? Als Bischof vielleicht oder als Kardinal – aber nicht als Priester?

Franziskus: Über den freiwilligen Zölibat wird in diesem Zusammenhang immer wieder gesprochen, vor allem dort, wo es an Klerus mangelt. Doch der freiwillige Zölibat ist keine Lösung.

ZEIT: Was ist mit den Viri probati, jenen »bewährten Männern«, die zwar verheiratet sind, aber aufgrund ihres nach katholischen Maßstäben vorbildlich geführten Lebens zu Diakonen geweiht werden können?

Franziskus: Wir müssen darüber nachdenken, ob Viri probati eine Möglichkeit sind. Dann müssen wir auch bestimmen, welche Aufgaben sie übernehmen können, zum Beispiel in weit entlegenen Gemeinden.

ZEIT: In weit entlegenen Gemeinden? Den konservativen amerikanischen Kardinal Raymond Burke, der als einer Ihrer ärgsten Widersacher im Vatikan gilt, haben Sie gerade auf die Insel Guam irgendwo im Pazifik geschickt – manche sagen: verbannt.

Franziskus: Kardinal Burke ist wegen eines schrecklichen Vorfalls dorthin gereist. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, es gab dort einen schlimmen Missbrauchsfall, und er ist ein exzellenter Jurist, aber ich glaube, dass der Auftrag fast schon erledigt ist.

ZEIT: Warum ist das für die katholische Kirche nicht der richtige Moment, um den Zölibat aufzuheben oder zu lockern?

Franziskus: Es geht der Kirche stets darum, den richtigen Augenblick zu erkennen, zu erkennen, wann der Heilige Geist nach etwas verlangt. Deshalb sagte ich, über die Viri probati wird weiter nachgedacht.

ZEIT: In einigen Gegenden der Welt wächst die Kirche, während sie woanders wie in Europa schrumpft. Hat sich Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt, darauf bezogen, als er sagte: »Die Kirche der Zukunft wird klein werden«?

Franziskus: Ja, das hat er gesagt, und ich glaube, man kann es wörtlich auch so verstehen. Die Mehrheit der Leute denkt, dass sie gläubig sind oder agnostisch, ohne jedoch einer Kirche anzugehören. Allerdings weiß ich nicht mehr, wie genau Benedikt sich ausgedrückt hat. Bestimmt kann man seine Sicht teilen, und bestimmt ist sie fundiert, denn alles, was Benedikt sagt, hat Hand und Fuß. Er ist ein großer Theologe.

ZEIT: Er ist ja auch ein deutscher Theologe.

Franziskus: Eben. (lacht)

ZEIT: Gianfranco Ravasi, Kurienkardinal und Präsident Ihres Kulturrates, hat heute Morgen – nur wenige Stunden vor unserem Gespräch – im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur gesagt, dass er das Diakonat der Frau für möglich hält. War das mit Ihnen abgesprochen?

Franziskus: Ich will Ihnen sagen, wie es war, denn es gibt – bei allem Respekt – diesen Informationsfilter namens Journalisten. Die Sache war so: Vor ungefähr einem Jahr habe ich sämtliche Oberinnen der Ordensgemeinschaften einberufen. Sie sind gekommen, und ich habe ihnen vorgeschlagen, sie sollten statt der förmlichen Ansprache, für die ich sowieso nicht viel übrig habe, Fragen stellen. Ein Dialog ist so viel stärker, so viel menschlicher. Eine der Fragen lautete fast wörtlich: Allem Anschein nach gab es in der alten Kirche Diakoninnen. Wieso bilden wir nicht eine Studienkommission, um herauszufinden, was diese Frauen taten und ob sie geweiht waren oder nicht? Ich habe geantwortet: Ja, warum nicht? Das wäre eine gute Gelegenheit, das Thema zu erforschen. Sie stellten mir eine Bedingung: Ich soll mit Kardinal Müller (dem ehemaligen Bischof von Regensburg und heutigen Präfekten der Glaubenskongregation, Anm. d. Red.) reden. Ich habe die Oberin und Kardinal Müller angerufen und gesagt: Schicken Sie mir bitte eine Liste von rund zehn Personen, Männern und Frauen, die der Kommission angehören sollen. Dann habe ich eine Kommission aus möglichst offenen, kompetenten Leuten von beiden Listen zusammengestellt. Es ging darum, das Thema zu erforschen, und nicht, eine Tür zu öffnen.

ZEIT: Und was ist beim Forschen bislang herausgekommen?

Franziskus: Ein syrischer Professor erklärte: Die Frage ist nicht, ob es geweihte Frauen gab oder nicht, sondern was sie taten. Er nannte drei Dinge: Die Frauen halfen bei der Taufe, bei der Salbung kranker Frauen, und wenn eine Frau sich beim Bischof darüber beklagte, von ihrem Mann geschlagen zu werden, schickte der Bischof eine Diakonin, um die blauen Flecke zu untersuchen. Mal sehen, was die Kommission noch herausfindet. Im März kommt sie, soweit ich weiß, zum dritten Mal zusammen, und ich werde vorbeischauen und mich nach dem Stand der Dinge erkundigen.

ZEIT: Ihre Anwesenheit wird man als Ermutigung sehen!

Franziskus: Das ist die Aufgabe der Theologie: Sie muss forschen, um den Dingen auf den Grund zu gehen, immer. Das gilt auch für das Studium der Heiligen Schrift. Die historisch-kritische Methode: Was hat dies in jener Zeit bedeutet? Was heißt es heute? Wahrheit ist, keine Angst zu haben. Das sagt uns die historische Wahrheit, die wissenschaftliche Wahrheit: Habt keine Angst! Das macht uns frei.

ZEIT: So ähnlich sagt es auch Freud, den Sie häufiger zitieren: Man müsse seinen Ängsten immer entgegengehen.

Franziskus: Ängste schließen Türen. Die Freiheit öffnet sie. Und wenn die Freiheit klein ist, öffnet sie immerhin ein Fensterchen. (lacht)

ZEIT: In der katholischen Kirche, zumindest in der, wie ich sie erlebe, gibt es sowohl unter den Geistlichen als auch unter den Gläubigen ein Thema, das fast immer ausgespart wird: die persönliche Glaubenskrise. Wer mit seinem Glauben hadert, wird alleingelassen. Darüber wird nicht geredet. Wie kann man Zweifelnden helfen?

Franziskus: Im März werde ich mich mit römischen Priestern treffen und dieses Thema ansprechen. Wie kann man als Priester sowohl in seinem Glauben als auch an seinen Krisen wachsen? Ohne Krisen kann man nicht wachsen. Das gilt für alle Menschen. Das biologische Wachsen selbst ist eine Krise. Die Krise des Kindes, das zum Erwachsenen wird. Im Glauben ist es nicht anders. Als Jesus hört, wie sicher sich Petrus ist – das erinnert mich an zahlreiche katholische Fundamentalisten –, sagt er: Dreimal wirst du mich verleugnen. Aber ich werde für dich beten. Petrus hat Jesus verleugnet, er ist in eine schwere Krise geraten. Und dann haben sie ihn zum Papst gemacht. (lacht) Ich will nicht sagen, dass die Krise das tägliche Brot des Glaubens ist, doch ein Glaube, der nicht in die Krise gerät, um an ihr zu wachsen, bleibt infantil.

ZEIT: Sie meinen, die Krise ist ein Zeichen für einen erwachsenen Glauben?

Franziskus: Ja. Er wird durch die Krise erwachsen.

ZEIT: Sie haben einmal zugegeben, dass es in Bezug auf den Glauben nicht nur dunkle Momente in Ihrem Leben gab, sondern auch solche, in denen Sie auf Jesus sogar wütend geworden sind.

Franziskus: Es gibt durchaus dunkle Momente, in denen ich sage: »Herr, das begreife ich nicht!« Und das sind nicht nur Momente innerer Dunkelheit, sondern Bedrängnisse, die ich mir selbst eingebrockt habe, durch meine Schuld, denn ich bin ein Sünder, und dann werde ich wütend. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. (lacht)

ZEIT: An die eigenen Sünden?

Franziskus: Nein, ich werde nur nicht mehr wütend. (lacht) Mein Herr ist ein Herr der Sünder, nicht der Gerechten – auch der Gerechten, aber die Sünder liebt er mehr. Die Krise hilft uns, im Glauben zu wachsen. Ohne Krise können wir nicht wachsen, denn das, was uns heute erfüllt, erfüllt uns morgen nicht mehr. Das Leben stellt einen auf die Probe.

ZEIT: Aber es ist ja nicht nur das große Unglück in der Welt, es sind die persönlichen Katastrophen, die einen am Glauben verzweifeln lassen. Es gibt Momente, in denen man sogar bezweifelt, ob es Gott, ob es Jesus überhaupt gibt. Kennen Sie das auch?

Franziskus: Ja. Ja ... (Pause) Momente der Leere ... (Pause) Ich habe von dunklen Momenten gesprochen und von leeren Momenten. Ich kenne auch die leeren Momente.

ZEIT: Wie findet man zum Glauben zurück?

Franziskus: Der Glaube ist ein Geschenk. Er wird einem gegeben.

ZEIT: Er kommt von selbst wieder?

Franziskus: Ich bitte darum, und Er antwortet mir. Früher oder später. Manchmal muss man in einer Krise verharren. Der Glaube ist nichts, was man sich erwirbt.

ZEIT: Was ist er? Ist er eine Kraft, eine Freude, ein Licht, das Sie in sich spüren?

Franziskus: Ja, auch.

ZEIT: Ist er auch Überzeugung?

Franziskus: Ja, sowohl das eine als auch das andere. Er ist Licht, er ist Überzeugung, er ist die hermeneutische Fähigkeit ...

ZEIT: ... also die Fähigkeit, Texte zu interpretieren ...

Franziskus: ... ja, um das Leben zu deuten. Der Glaube ist ein Geschenk.

ZEIT: Das muss ein riesiges Geschenk sein, denn wer glaubt, findet Trost und Erklärungen!

Franziskus: Was sagt Jesus zu jenen, die klein im Glauben sind? Alles ist möglich für den, der glaubt! Was sagt der Mann, der ihm seinen Sohn zur Heilung bringt? Hilf meinem Unglauben! Das ist der Weg des Glaubens. Der Glaube kann verloren gehen. Er ist ein Geschenk, um das man jeden Tag aufs Neue bitten muss. Wie oft in meinem Leben habe ich mich versündigt, weil ich entgegen meinem Glauben wie ein Ungläubiger gehandelt habe! Das sind Momente der Leere. Man muss den Herrn demütig um den Glauben bitten.

ZEIT: Glauben Sie, der Mensch ist von Natur aus gut – oder gut und böse zugleich?

Franziskus: Der Mensch ist das Abbild Gottes. Der Mensch ist gut. Aber er war auch schwach, er wurde in Versuchung geführt und wurde verwundet. Die Güte des Menschen ist eine verwundete Güte.

ZEIT: Macht das die Menschen schlecht?

Franziskus: Schlechtigkeit ist etwas anderes, viel Schlimmeres. In der mythischen Erzählung der Erschaffung der Welt im 1. Buch Mose wird der Sündenfall beschrieben. Doch Adam ist nicht böse, er ist schwach, der Teufel hat ihn in Versuchung geführt. Die erste böse Tat wird von seinem Sohn Kain begangen. Kain handelt nicht aus Schwäche, sondern aus Eifersucht, Neid und Herrschsucht. Das ist die Schlechtigkeit des Krieges, der wir bei all denen begegnen, die töten, morden oder Waffen herstellen. Hier ist der Geist des Bösen am Werk.

ZEIT: In dem Punkt sind Sie sehr konkret. Im Gegensatz zu anderen – auch deutschen – Theologen, die den Teufel als eine Metapher sehen, sind Sie überzeugt, dass der Teufel existiert.

Franziskus: Das ist richtig.

ZEIT: Wie stellen Sie sich diesen Teufel vor?

Franziskus: Ich weiß es nicht, aber er macht mir das Leben bisweilen trotzdem schwer. Dem Glauben nach ist der Teufel ein Engel. Ein gefallener Engel. Und daran glaube ich.

ZEIT: Das glauben Sie wirklich?

Franziskus: Ja, das ist mein Glaube. Viele Versuchungen, mit denen ich zu kämpfen habe, sind nicht dem Teufel, sondern meinen persönlichen Schwächen geschuldet. Aber bei vielen anderen hat er sehr wohl die Finger im Spiel.

ZEIT: Können Sie mir ein Beispiel geben?

Franziskus: Da müssen Sie meinen Beichtvater fragen! (lacht)

ZEIT: Was ist Ihrer Meinung nach Teufels Werk?

Franziskus: Eifersucht, Neid, Kriege.

ZEIT: Ausbeutung?

Franziskus: Auch Ausbeutung. Die Auflehnung gegen das Werk Gottes, gegen den Menschen als Abbild Gottes – das ist das Werk des Teufels. Ich rede nicht mit ihm, wissen Sie?

ZEIT: Versucht er denn, mit Ihnen zu reden?

Franziskus: Man darf nicht mit ihm reden. Jesus hat niemals mit dem Teufel gesprochen. Er hat einen anderen Weg gefunden: Das erste Mal, als er ihm nach dem Fasten in der Wüste begegnet, antwortet er nicht mit eigenen Worten, sondern mit Worten aus der Bibel. Man redet nicht mit ihm, denn er gewinnt immer. In der Schöpfungsgeschichte hat er gewonnen. Das zweite Mal sagte Jesus: »Weg mit dir, Satan!« Er hat ihn fortgejagt. In der Jesusgeschichte gibt es keinen einzigen Dialog mit dem Teufel. Jesus warnt seine Jünger vor dem weltlichen Geist, vor der Weltlichkeit, die für ihn der Teufel ist, der Beherrscher der Welt.

ZEIT: Und soll man mit einem Menschen reden, der mordet und vernichtet, oder spricht man da bereits zum Teufel?

Franziskus: Der Mensch kann sich als Teufel verkleiden, er kann sich sogar für den Teufel halten und ihm seine Seele verkaufen, doch er ist immer noch das Abbild Gottes. Also darf man ihn nicht ignorieren.

ZEIT: Glauben Sie, Gott könnte am Ende auch Massenmördern wie Hitler oder Stalin verzeihen?

Franziskus: Ich weiß es nicht, schon möglich ... ich weiß es nicht. Aber ich kann Ihnen etwas schildern, das mich zutiefst berührt hat. Im burgundischen Ort Vézelay – wo der Jakobsweg beginnt – steht die Basilika Sainte-Marie-Madeleine. Dort gibt es ein Kapitell, auf dessen einer Seite der erhängte Judas zu sehen ist und auf der anderen der gute Hirte, der ihn auf seinen Schultern fortträgt. Das war die Theologie des Mittelalters, wie die Mönche sie lehrten. Der Herr vergibt bis zuletzt.

ZEIT: Aber man muss ihn um Vergebung bitten?

Franziskus: Zumindest muss man die Last seiner Sünde spüren. Ich behaupte nicht, dass Judas im Himmel und gerettet ist. Aber ich behaupte auch nicht das Gegenteil. Ich sage nur: Seht euch dieses Kapitell an und was die Mönche des Mittelalters gedacht haben, die die Menschen mit ihren Skulpturen den Katechismus lehrten. Und seht euch die Bibel an, in der es heißt: Als Judas sich seiner Tat bewusst wird, geht er reuig zu den Hohepriestern. Die Bibel gebraucht das Wort Reue. Vielleicht hat er nicht um Vergebung gebeten, aber es hat ihn gereut.

ZEIT: Hoffen wir, dass es so war!

Franziskus: Je mehr des Herrn sind, desto besser.

ZEIT: Finden Sie es legitim, für seinen eigenen Vorteil zu beten?

Franziskus: Wie meinen Sie das?

ZEIT: Im Sinne von: Hilf mir, das Fußballspiel zu gewinnen, mach, dass ich genug Geld habe, um mir das Auto zu kaufen. Sie sagten, es sei legitim, für seinen Glauben zu beten.

Franziskus: Ja, für den Glauben zu beten, das ist legitim.

ZEIT: Wo sind für Sie die Grenzen des Gebets?

Franziskus: Man darf um Gutes bitten, zum Beispiel: Hilf mir, das nötige Geld zusammenzubekommen, damit ich meine Familie durch diesen Monat bringen kann. Das ist legitim. Aber zu beten: Mach, dass ich viel Geld oder viel Einfluss bekomme, ist es nicht. Denn dann bittet man um etwas, das einen in die Gewalt des Weltlichen führt. Fragen kann man zwar alles, aber ... Beim letzten Abendmahl redet Jesus mit seinen Jüngern und sagt, dass er für sie gebetet habe. Und wofür hat er gebetet? Dass sein Vater sie nicht von der Welt nehmen, sondern sie vor dem Geist des Weltlichen schützen möge. Wir dürfen nicht um den Geist des Weltlichen bitten, der Hochmut und Unterdrückung ist, sondern um Dinge, die die Welt gestalten, uns zu Brüdern machen, Frieden und Gutes schenken. Zu beten: Hilf mir, meine Frau umzubringen, ist wohl weit davon entfernt.

ZEIT: Mafiosi bekreuzigen sich manchmal, ehe sie jemanden umbringen.

Franziskus: Das ist eine Krankheit. Es ist eine Krankheit, die Religion zu benutzen wie beispielsweise manche Mafiosi in Südamerika. Sie nennen sich Christen und heuern einen Killer an, um ein Problem aus dem Weg zu räumen. Danach gehen sie in die Kirche.

ZEIT: Sie sagten zwar vorhin, Sie würden nicht mehr so schnell wütend, aber: Empören Sie solche Dinge nicht?

Franziskus: Ein bisschen. Aber noch wütender macht es mich, wenn die Heilige Mutter Kirche, meine Mutter, meine Braut, sich nicht so verhält, wie es das Evangelium vorgibt.

ZEIT: Man hat überhaupt das Gefühl, dass christliche Werte heute nicht hoch im Kurs stehen. Die westliche Welt ist geteilt und driftet weiter auseinander. Der Populismus, vor allem von rechts, ist auf dem Vormarsch, und neue politische Bewegungen greifen auch direkt die parlamentarische Demokratie an. Wie soll sich ein Christ dazu verhalten?

Franziskus: Für mich war der Begriff Populismus immer missverständlich, da er in Südamerika eine andere Bedeutung hat. Anfangs wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte, weil ich ihn nicht richtig verstand. Populismus bedeutet, das Volk zu benutzen, richtig? Denken Sie an das Jahr 1933, nach dem Scheitern der Weimarer Republik. Deutschland war verzweifelt, von der Wirtschaftskrise 1929 geschwächt, und dann kam dieser Mann daher und sagte: Ich kann, ich kann, ich kann! Er hieß Adolf. So ist es dann gelaufen. Er hat das Volk davon überzeugt, dass er konnte. Populismus braucht immer einen Messias. Und auch eine Rechtfertigung: Wir bewahren die Identität des Volkes!




ZEIT: Vielleicht, weil man sich sonst zu nichts wirklich bekennen kann?

Franziskus: Vielleicht.

ZEIT: Weil es auch kaum noch politische Vorbilder gibt?

Franziskus: Als die großen Politiker der Nachkriegszeit wie Schuman oder Adenauer von der Einheit Europas träumten, schwebte ihnen nichts Populistisches vor, sondern die Verbrüderung Europas, vom Atlantik bis zum Ural. Diese Männer besaßen die Gabe, ihrem Land zu dienen, ohne sich ins Zentrum zu stellen, und das machte sie zu großen Anführern. Sie mussten kein Messias sein. Populismus ist böse und endet schlecht, wie das vergangene Jahrhundert gezeigt hat.

ZEIT: Finden Sie wirklich, dass die heutige Lage mit 1933 vergleichbar ist? Sie sagen sogar, wir befänden uns im Dritten Weltkrieg.

Franziskus: Das mit dem Weltkrieg habe ich häufiger gesagt, ja.

ZEIT: Was meinen Sie damit?

Franziskus: Die ganze Welt befindet sich im Krieg. Denken Sie nur an Afrika.

ZEIT: Aber das sind kleinere Konflikte.

Franziskus: Deshalb spreche ich auch von einem Dritten Weltkrieg, der sich stückchenweise ausbreitet. Denken Sie an die Ukraine, an Asien, an das Drama von Sindschar im Irak, an diese armen Menschen, die vertrieben wurden. Wieso spreche ich von Krieg? Weil er mit modernen Waffen geführt wird. Ein ganzes Netzwerk von Waffenfabrikanten hält ihn am Laufen. Aber um das klarzustellen: Ich sage nicht, dass wir uns heute in der gleichen Situation befinden wie 1933. Ganz und gar nicht. Das war nur ein Beispiel, um den Populismus zu veranschaulichen.

ZEIT: Auch wenn er nicht mit 1933 zu vergleichen ist: Macht Ihnen dieser Populismus Sorgen?

Franziskus: Der europäische ja, ein wenig. Das, was ich über Europa denke, habe ich in meinen drei europäischen Reden gesagt. Zwei habe ich in Straßburg gehalten und die dritte, als ich den Karlspreis erhielt. Ich bekomme nicht gern Ehrungen, das ist der einzige Preis, den ich angenommen habe, und auch nur, weil sie mich so sehr drängten und sagten, es sei wichtig, dass ich mich an Europa wende. Das habe ich dann getan, doch meine vier Vorredner – Jean-Claude Juncker, Martin Schulz und Donald Tusk sowie der Aachener Oberbürgermeister – waren sehr viel bissiger als ich. Heftiger, energischer.

ZEIT: Der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach über die Flüchtlingskrise und nannte sie sinngemäß eine epochale Herausforderung, Europas Werte gerieten ins Wanken, darum sei es Zeit, für Europa zu kämpfen.

Franziskus: Ja, die waren viel mutiger als ich.

ZEIT: Die Sehnsucht der Menschen nach großen Vorbildern, wie Sie es sind, scheint heute stärker denn je zu sein. Fühlen Sie sich manchmal von den Erwartungen erdrückt?

Franziskus: Ich sehe mich nicht als etwas Besonderes. Ich finde eher, dieses Bild wird mir nicht gerecht, es ist übertrieben. Ich bin – ich will nicht sagen: »ein armer Teufel«, aber ich bin ein ganz normaler Mensch, der tut, was er kann. So fühle ich mich. Und wenn dann jemand wer weiß was über mich sagt, dann tut mir das nicht gut.

ZEIT: Sagen Sie das auch auf die Gefahr hin, viele in der Kurie zu enttäuschen, die sich nach einem unfehlbaren Vater sehnen?

Franziskus: Es gibt nicht den Vater, sondern nur den Menschen. Alle Eltern sind Sünder in der Gnade Gottes, denn nur das gibt uns den Mut, weiterzumachen und dieser verwaisten, vaterlosen Zeit Leben zu schenken. Ich bin Sünder und bin fehlbar, und wir dürfen nicht vergessen, dass die Idealisierung eines Menschen stets auch eine unterschwellige Art der Aggression ist. Wenn ich idealisiert werde, fühle ich mich angegriffen.

ZEIT: Liegt die Aggression darin, dass ein Vorbild keine Fehler machen darf?

Franziskus: Ja, auch das. Man gesteht mir nicht zu, ein fehlbarer Sünder zu sein.

ZEIT: Fühlen Sie sich von den Angriffen aus dem Vatikan gegen Sie getroffen?

Franziskus: Nein. Ich will ehrlich sein: Seit ich zum Papst gewählt wurde, habe ich meinen Frieden nicht verloren. Ich kann verstehen, wenn meine Art, die Dinge anzugehen, manchen nicht gefällt, das ist völlig in Ordnung. Jeder darf seine Meinung haben. Das ist legitim und menschlich und bereichernd.

ZEIT: Sind die Plakate, die in Rom aufgetaucht sind und Ihnen vorwerfen, unbarmherzig zu sein und Ihre Kardinäle nicht anzuhören, oder der gefälschte Osservatore Romano, in dem Sie auf jede der Ihnen gestellten Fragen mit »Ja und nein« antworten, bereichernd?

Franziskus: Der gefälschte Osservatore Romano nicht, aber der römische Dialekt der Plakate war großartig. Den hat nicht irgendeiner von der Straße geschrieben, sondern ein kluger Kopf.

ZEIT: Jemand aus dem Vatikan?

Franziskus: Nein, ich sagte doch: ein kluger Kopf. (lacht) Wie auch immer, das war großartig!

ZEIT: Es ist großartig, dass Sie darüber lachen können!

Franziskus: Aber ja doch. Es gibt dieses Gebet, das Thomas Morus zugeschrieben wird, das bete ich jeden Tag: »Herr, schenke mir Sinn für Humor!« Der Herr bewahrt mir meinen Frieden und schenkt mir viel Sinn für Humor. Allerdings bin ich noch nicht so weit wie der wunderbare Pater Kolvenbach, der 25 Jahre lang Generaloberer der Jesuiten war und im vergangenen Jahr gestorben ist. Er konnte über sich und andere herzlich lachen, sogar sich selbst auf den Arm nehmen, doch stets auf konstruktive und positive Art.

ZEIT: Aber gibt es nicht eine Art von Kritik, bei der Sie als Papst sagen müssen: »Basta, jetzt reicht’s!«?

Franziskus: Ich habe schon so viele Male »Basta!« gesagt!

ZEIT: Und, ist das angekommen?

Franziskus: Das ist angekommen.

ZEIT: Auch bei Kardinal Burke?

Franziskus: Ich empfinde Kardinal Burke nicht als Widersacher.

ZEIT: Es gibt da eine Geschichte, die ziemlich kompliziert zu erzählen ist, sich aber auf einen Kern reduzieren lässt: Im Malteserorden gibt es den deutschen Großkanzler, Albrecht von Boeselager. Ihm wird vorgeworfen, nicht verhindert zu haben, dass bei einem Hilfsprojekt in Myanmar Kondome zur Aids-Prävention verteilt wurden. Daraufhin wurde er von einem Protegé des Kardinals Burke entlassen. Sie haben Boeselagers Entlassung rückgängig gemacht und stattdessen Burkes Protegé um seinen Rücktritt gebeten.

Franziskus: Das Problem beim Malteserorden war eher, dass Kardinal Burke mit der Sache nicht umgehen konnte, weil er nicht mehr allein agierte. Ich habe ihm den Titel des Patronus nicht aberkannt. Er ist noch immer Patronus des Malteserordens, doch geht es darum, beim Orden ein wenig aufzuräumen, und deshalb habe ich einen Delegaten dorthin geschickt, der über ein anderes Charisma verfügt als Burke.

ZEIT: Ist Charisma ein Geschenk oder etwas, was man sich im Laufe der Zeit aneignet? Ist Ihr Charisma ein Geschenk Gottes, oder haben Sie es den schweren und den schönen Phasen Ihres Lebens zu verdanken?

Franziskus: Schon möglich, dass es auch mit dem Leben zusammenhängt, es lässt einen wachsen. Die Frage ist: Ist es einem selbst zu verdanken, wenn man 40, 50 Jahre alt wird, oder ist es ein Geschenk Gottes? Es ist beides. Und wie gesagt: Ich habe nie meinen Frieden verloren, und ich bitte um den Sinn für Humor, der ist ein Gottesgeschenk – denn das Leben ist schön!

ZEIT: Das Leben ist schön!: Haben Sie den Film von Roberto Benigni gesehen?

Franziskus: Ja, nur dass es in den Lagern so ordentlich und sauber war, hat mir daran nicht gefallen. In den wirklichen Lagern ging es ganz anders zu. Aber es ist ja nur ein Film. Die Botschaft hat jedenfalls gestimmt.

ZEIT: Die katholische Kirche Deutschlands, die evangelische Kirche Deutschlands und der scheidende Bundespräsident haben Sie eingeladen, unser Land im Lutherjahr 2017 zu besuchen. Werden Sie kommen?

Franziskus: Auch die Kanzlerin hat mich eingeladen. Aber das wird schwierig dieses Jahr, es sind so viele Reisen geplant. Um dem Problem vorzugreifen, bin ich vergangenes Jahr zu den Lutheranern ins schwedische Lund gefahren, um den Beginn des Reformationsgedenkjahres zu begehen und das 50-jährige Bestehen des katholisch-protestantischen Dialogs zu feiern. Der Terminkalender ist dieses Jahr sehr voll.

ZEIT: Vielleicht gibt es auch Länder, die Ihnen im Moment wichtiger sind, wie Russland, China oder Indien?

Franziskus: Nach Russland kann ich nicht fahren, denn dann müsste ich auch in die Ukraine. Noch wichtiger wäre eine Reise in den Südsudan, aber ich glaube nicht, dass das möglich ist. Auch eine Reise in den Kongo war geplant, aber das wird mit Kabila (Joseph Kabila ist dort Präsident, Anm. d. Red.) wohl auch nicht gehen. Dann stehen noch Indien, Bangladesch und Kolumbien auf dem Programm, einen Tag geht es nach Fátima in Portugal, und soweit ich weiß, steht noch eine Studienreise nach Ägypten an. Klingt nach einem vollen Kalender, nicht wahr?

ZEIT: Ja. Sie werden also auch 2018 wohl eher nicht nach Deutschland kommen können.

Franziskus: Ich weiß es noch nicht, noch ist nichts dergleichen geplant.

ZEIT: Das werden viele in Deutschland mit Bedauern hören. Sie hätten den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sehen sollen, nachdem Sie sich getroffen haben: Er schien ganz beseelt zu sein!

Franziskus: Er ist ein guter Mann. Er hat (wechselt ins Deutsche) Feuer im Herzen.

ZEIT: Damit haben Sie ihm ein großes Kompliment gemacht: Als besonders feurig ist er bei uns noch nicht aufgefallen.

Franziskus: Bei unserem persönlichen Gespräch hat er deutsch gesprochen, und ich habe gesagt: (wechselt ins Deutsche) »Langsam, bitte langsam!«

ZEIT: Aber Sie verstehen Deutsch gut?

Franziskus: Wenn Sie langsam sprechen, schon, aber (wechselt ins Deutsche) ohne Übung habe ich es verlernt.

ZEIT: Ich habe Ihnen etwas auf Deutsch mitgebracht – die Übersetzung eines Gebetes des heiligen Franz von Assisi, Ihres Namensgebers: Friede. Darf ich es Ihnen zeigen?

Der Papst nimmt es in die Hände und liest. Bei einer Zeile hält er inne und zeigt mit dem Finger darauf: »Herr, lass mich trachten, (...) nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.«

Franziskus: Das berührt mich. Das ist mir wichtig. Darf ich das mitnehmen?

Der Papst steckt das Gebet ein.

ZEIT: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Franziskus: Ich danke Ihnen, und bitte verzeihen Sie, wenn ich Ihre Erwartungen nicht erfüllen konnte.

ZEIT: Das denke ich ganz und gar nicht.

Franziskus: Beten Sie für mich!

MITARBEIT: MARIE AMRHEIN, CAROLINE VON BAR, KAROLINE KUHLA UND VERENA VON KOSKULL (ÜBERSETZUNG)


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Friede  
Ein Gebet 
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.


Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Franz von Assisi (1181–1224)



→ ZEIT-Gespräch aus: DIE ZEIT No 11 - 9. März 2017, Seite 13





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