... the Big Brother is watching you ... -
Zum Besuch des Friedensnobelpreisträgers Obama in Deutschland
Also hat George Orwell doch Recht gehabt mit seiner Vision von "1984", jenem Grusel-Polit-und damaligen Science-fiction-Thriller, den er zwischen 1946 und 1948 zu Papier brachte, und der dann 1949 erschien - in dem eine allgegenwärtige „Gedankenpolizei“ die Bevölkerung überwacht. Im nicht abschaltbaren und in beide Richtungen funktionierenden Staatsfernsehen, mit dessen Hilfe gleichzeitig alle Wohnungen visuell überwacht und abgehört werden, wird Hass geschürt. Dieser Hass wird den Menschen ständig eingehämmert und dient dazu, die Bevölkerung durch das gemeinsame, allgegenwärtige und scheints übermächtige Feindbild zusammenzuschweißen und von ihrem entbehrungsreichen und von harter Arbeit geprägten Leben abzulenken.
Im Lauf der Handlung im Thriller wird beiläufig die Frage aufgeworfen, ob die Konflikte und der Terror nicht vielleicht insgeheim selbst inszeniert würden, um mittels des auf diese Weise heimlich selbstgeschaffenen Zustands einen Vorwand für die massive Überwachung, den permanenten Ausnahmezustand und die umfassende Unterdrückung zu schaffen.
Und nun stellt sich, 65 Jahre nachdem "1984" zu Papier gebracht wurde, heraus: Ja - wir alle sind im Visier der US-Dienste. Die Enthüllungen des IT-Experten Edward Snowden machen zur Gewissheit, was bislang nur paranoide Netz-Nerds und linke Spinner behaupteten: Wir werden überwacht. Jederzeit und überall. Und es sind die Amerikaner, die uns überwachen. Am Dienstag kommt der Chef des größten und totalsten Kontrollsystems, das je von Menschen erfunden wurde, zu Besuch, ein gewisser Mr. President Barack Obama, Friedensnobelpreisträger seines Zeichens.
Die Aufregung ist groß. Angela Merkel hat bestellen lassen, mit dem Präsidenten auch über die Machenschaften des US-Dienstes NSA zu sprechen. Das Bundesinnenministerium schickte schon mal einen Katalog mit 16 Fragen zum peinlichen Sachverhalt an die US-Botschaft. Aber Obama muss keine Angst haben. Der deutsche Innenminister Friedrich sagte zwar: "So geht man nicht mit Freunden um." Aber er meinte damit nicht den Umstand, dass unsere "Freunde" uns bespitzeln. Er meinte die Kritik daran.
Jeder deutsche Staatsbürger sollte von seiner Regierung erwarten können, gegen Ausspähmaßnahmen anderer Regierungen geschützt zu werden. Aber der deutsche Innenminister sagt: "Wir sind sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten." Friedrich versucht nicht einmal, die eigene Inkompetenz in dieser Sache zu bemänteln: "Alles, was wir darüber wissen, wissen wir aus den Medien", hat Friedrich gesagt. Da geht es ihm wie dem Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen: "Ich wusste nichts davon." Und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die offensichtlich auch keine Ahnung hatte, findet: "Diese Meldungen sind in hohem Maße beunruhigend." Bei allem Respekt: Diese Leute sollen unsere Rechte schützen? Wenn das nicht so beklemmend wäre, wäre es lächerlich.
Der überwachte Mensch ist kein freier Mensch
Besonders hübsch war auch Friedrichs Satz vom Wochenende: "Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich die USA an Recht und Gesetz halten." Das stimmt. Das Problem besteht nicht in der Verletzung irgendwelcher Gesetze. In den USA sind die Gesetze selber das Problem. Die NSA hat ja nicht mal eben ihre Befugnisse überschritten, als sie allein im Monat März 97 Milliarden Datensätze weltweit in ihre gigantischen Speicher sog. Sie hat im Auftrag des gesamten amerikanischen Regierungssystems gehandelt: Exekutive, Legislative und Judikative, Demokraten und Republikaner, Kongress und Senat und die höchsten Gerichte - sie sind alle dafür. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, konnte achselzuckend sagen: "Es ist legal."
Worum geht es der National Security Agency? Um die Sicherheit, wie ihr Name nahelegt? Egal in welchem System, egal zu welchem Zweck: Der überwachte Mensch ist kein freier Mensch. Und jeder Staat, der im vorgegebenen Interesse der Sicherheit systematisch wesentliche Menschenrechte bricht, handelt verbrecherisch.
Prism ist "nur die Spitze des Eisbergs"
Das Überwachungsprogramm Prism sei "eigentlich ein relativ kleiner Teil eines wesentlich umfassenderen und zudringlicheren Abhörprogrammes", berichtet die Nachrichtenagentur AP. Die National Security Agency (NSA) zweige an Internetknotenpunkten im großen Stil Daten ab, "sie kopiert den Internet-Traffic, der die USA erreicht oder verlässt, und leitet ihn für Analysezwecke weiter". Der Zweck des kürzlich enthüllten Programms namens Prism sei es lediglich "aus der Kakophonie des Internet-Rohdatenstroms Bedeutung zu extrahieren".
Diese Lesart würde die dunklen Andeutungen diverser US-Politiker seit den Prism-Enthüllungen erklären. Nach einem Treffen mit Geheimdienstleuten in der vergangenen Woche hatte etwa die demokratische Senatorin Loretta Sanchez aus Kalifornien gesagt, Prism sei "nur die Spitze des Eisbergs".
Wer meinte, die Drohnenangriffe in Pakistan oder das Lager von Guantanamo seien bedauerliche Ereignisse am Ende der Welt, der hält jetzt inne. Wer bisher noch dachte, die Folter in Abu Ghuraib oder das Waterboarding in den CIA-Gefängnissen gehen ihn nichts an, der denkt jetzt um. Und man muss sich nicht mehr wundern, mit welcher "Konsequenz" die Occupy-Aktivisten auf dem Rund des Globus überall gejagt und bekämpft werden.
Ja - es ist ja schon so, dass der "Verteidigungs"minister der Bundesrepublik zum Bau eigener Drohnen, die letztlich im zur Zeit geltenden Recht immer nur illegal operieren können, mal gerade 500 Millionen €URO in den Sand setzt - aber nun an der Anschaffung von "Hubschrauber-Drohnen" interessiert ist, die auch "nur" "überwachen" sollen (..."die tun nix - die spielen nur" ...) - aber in letzter Konsequenz sicherlich auch immer die Lizenz zum Töten in sich tragen - und wenn es "nur" Zusammenstöße mit Passagierflugzeugen sind, denn die Drohnen würden ja im Geheimen starten und sind vom zivilen Radar wohl kaum zu erfassen ...
Die Amtsbezeichnung Bundes"verteidigungs"minister hat sich da allmählich überholt...
Wer dachte, dass wir alle "im Westen" auf der Seite der Guten sind und dass nur die anderen die Menschenrechte mit Füßen treten, dem gehen die Augen auf: In den USA herrscht heute ein Regime, das in dem Sinne totalitär ist, als es Anspruch auf totale Kontrolle erhebt. Auch der sanfte Totalitarismus ist einer.
Die Sprache des Kapitals - des Geldes ...
Glaubt jemand im Ernst, der Besucher aus Washington werde der Bundeskanzlerin und ihrem Innenminister versichern, dass amerikanische Behörden künftig die Rechte deutscher Staatsbürger respektieren? Nur Europa kann die amerikanischen Allmachtsphantasie brechen. Europa könnte eigene Netzsysteme aufbauen, die sich der amerikanischen Überwachung entziehen. Frank Schirrmacher empfahl das am Wochenende: "Das braucht Subventionen, eine Vision groß wie die Mondlandung."
Doch viel einfacher wäre es, amerikanische Firmen zur Einhaltung europäischer Gesetze zu zwingen. Die EU-Kommission kann das. Der Entwurf für eine neue Datenschutzverordnung liegt vor. Er muss nur umgesetzt werden. Dann können zwar die amerikanischen Geheimdienste das europäische Recht weiterhin mit Füßen treten - aber die US-Netzgiganten Google, Apple, Microsoft und Facebook, die mit der NSA wahrscheinlich aufs Engste verbandelt sind, und die mit einer halben Milliarde Europäer Geld verdienen wollen, müssen unsere Gesetze befolgen. Wenn sie bei der unerlaubten Weitergabe von Daten erwischt werden, so sieht es die Novelle vor, müssen sie Strafe zahlen. Dann, da darf man sicher sein, werden diese Unternehmen Druck auf die eigene Regierung ausüben. Zwei Prozent des weltweiten Umsatzes schlägt der Entwurf vor. Das ist sehr viel Geld. Diese Sprache versteht Amerika.
Nach Bekanntwerden des geheimen, umfassenden PRISM-Überwachungsprogramms des US-Geheimdiensts NSA im Juni 2013 erlebt das Buch in den USA und Großbritannien ein Revival. Es stieg nach Medienberichten in der Liste der meistverkauften Bücher des Internet-Buchhändlers Amazon.com in den USA auf Rang 66 und in Großbritannien auf Platz 42 ...
S!NEDi - mit Materialien aus der S.P.O.N.-Kolumne "Im Zweifel links": Jakob Augstein: "Besuch des Allmächtigen": http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-kolumne-besuch-des-allmaechtigen-a-906084.html
Zum Besuch des Friedensnobelpreisträgers Obama in Deutschland
Süddeutsche Zeitung | 18.06.2013 | S. 4 |
Im Lauf der Handlung im Thriller wird beiläufig die Frage aufgeworfen, ob die Konflikte und der Terror nicht vielleicht insgeheim selbst inszeniert würden, um mittels des auf diese Weise heimlich selbstgeschaffenen Zustands einen Vorwand für die massive Überwachung, den permanenten Ausnahmezustand und die umfassende Unterdrückung zu schaffen.
Und nun stellt sich, 65 Jahre nachdem "1984" zu Papier gebracht wurde, heraus: Ja - wir alle sind im Visier der US-Dienste. Die Enthüllungen des IT-Experten Edward Snowden machen zur Gewissheit, was bislang nur paranoide Netz-Nerds und linke Spinner behaupteten: Wir werden überwacht. Jederzeit und überall. Und es sind die Amerikaner, die uns überwachen. Am Dienstag kommt der Chef des größten und totalsten Kontrollsystems, das je von Menschen erfunden wurde, zu Besuch, ein gewisser Mr. President Barack Obama, Friedensnobelpreisträger seines Zeichens.
Die Aufregung ist groß. Angela Merkel hat bestellen lassen, mit dem Präsidenten auch über die Machenschaften des US-Dienstes NSA zu sprechen. Das Bundesinnenministerium schickte schon mal einen Katalog mit 16 Fragen zum peinlichen Sachverhalt an die US-Botschaft. Aber Obama muss keine Angst haben. Der deutsche Innenminister Friedrich sagte zwar: "So geht man nicht mit Freunden um." Aber er meinte damit nicht den Umstand, dass unsere "Freunde" uns bespitzeln. Er meinte die Kritik daran.
Jeder deutsche Staatsbürger sollte von seiner Regierung erwarten können, gegen Ausspähmaßnahmen anderer Regierungen geschützt zu werden. Aber der deutsche Innenminister sagt: "Wir sind sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten." Friedrich versucht nicht einmal, die eigene Inkompetenz in dieser Sache zu bemänteln: "Alles, was wir darüber wissen, wissen wir aus den Medien", hat Friedrich gesagt. Da geht es ihm wie dem Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen: "Ich wusste nichts davon." Und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die offensichtlich auch keine Ahnung hatte, findet: "Diese Meldungen sind in hohem Maße beunruhigend." Bei allem Respekt: Diese Leute sollen unsere Rechte schützen? Wenn das nicht so beklemmend wäre, wäre es lächerlich.
Der überwachte Mensch ist kein freier Mensch
Besonders hübsch war auch Friedrichs Satz vom Wochenende: "Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich die USA an Recht und Gesetz halten." Das stimmt. Das Problem besteht nicht in der Verletzung irgendwelcher Gesetze. In den USA sind die Gesetze selber das Problem. Die NSA hat ja nicht mal eben ihre Befugnisse überschritten, als sie allein im Monat März 97 Milliarden Datensätze weltweit in ihre gigantischen Speicher sog. Sie hat im Auftrag des gesamten amerikanischen Regierungssystems gehandelt: Exekutive, Legislative und Judikative, Demokraten und Republikaner, Kongress und Senat und die höchsten Gerichte - sie sind alle dafür. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, konnte achselzuckend sagen: "Es ist legal."
Worum geht es der National Security Agency? Um die Sicherheit, wie ihr Name nahelegt? Egal in welchem System, egal zu welchem Zweck: Der überwachte Mensch ist kein freier Mensch. Und jeder Staat, der im vorgegebenen Interesse der Sicherheit systematisch wesentliche Menschenrechte bricht, handelt verbrecherisch.
Prism ist "nur die Spitze des Eisbergs"
Das Überwachungsprogramm Prism sei "eigentlich ein relativ kleiner Teil eines wesentlich umfassenderen und zudringlicheren Abhörprogrammes", berichtet die Nachrichtenagentur AP. Die National Security Agency (NSA) zweige an Internetknotenpunkten im großen Stil Daten ab, "sie kopiert den Internet-Traffic, der die USA erreicht oder verlässt, und leitet ihn für Analysezwecke weiter". Der Zweck des kürzlich enthüllten Programms namens Prism sei es lediglich "aus der Kakophonie des Internet-Rohdatenstroms Bedeutung zu extrahieren".
Diese Lesart würde die dunklen Andeutungen diverser US-Politiker seit den Prism-Enthüllungen erklären. Nach einem Treffen mit Geheimdienstleuten in der vergangenen Woche hatte etwa die demokratische Senatorin Loretta Sanchez aus Kalifornien gesagt, Prism sei "nur die Spitze des Eisbergs".
Wer meinte, die Drohnenangriffe in Pakistan oder das Lager von Guantanamo seien bedauerliche Ereignisse am Ende der Welt, der hält jetzt inne. Wer bisher noch dachte, die Folter in Abu Ghuraib oder das Waterboarding in den CIA-Gefängnissen gehen ihn nichts an, der denkt jetzt um. Und man muss sich nicht mehr wundern, mit welcher "Konsequenz" die Occupy-Aktivisten auf dem Rund des Globus überall gejagt und bekämpft werden.
Ja - es ist ja schon so, dass der "Verteidigungs"minister der Bundesrepublik zum Bau eigener Drohnen, die letztlich im zur Zeit geltenden Recht immer nur illegal operieren können, mal gerade 500 Millionen €URO in den Sand setzt - aber nun an der Anschaffung von "Hubschrauber-Drohnen" interessiert ist, die auch "nur" "überwachen" sollen (..."die tun nix - die spielen nur" ...) - aber in letzter Konsequenz sicherlich auch immer die Lizenz zum Töten in sich tragen - und wenn es "nur" Zusammenstöße mit Passagierflugzeugen sind, denn die Drohnen würden ja im Geheimen starten und sind vom zivilen Radar wohl kaum zu erfassen ...
Die Amtsbezeichnung Bundes"verteidigungs"minister hat sich da allmählich überholt...
Wer dachte, dass wir alle "im Westen" auf der Seite der Guten sind und dass nur die anderen die Menschenrechte mit Füßen treten, dem gehen die Augen auf: In den USA herrscht heute ein Regime, das in dem Sinne totalitär ist, als es Anspruch auf totale Kontrolle erhebt. Auch der sanfte Totalitarismus ist einer.
Die Sprache des Kapitals - des Geldes ...
Glaubt jemand im Ernst, der Besucher aus Washington werde der Bundeskanzlerin und ihrem Innenminister versichern, dass amerikanische Behörden künftig die Rechte deutscher Staatsbürger respektieren? Nur Europa kann die amerikanischen Allmachtsphantasie brechen. Europa könnte eigene Netzsysteme aufbauen, die sich der amerikanischen Überwachung entziehen. Frank Schirrmacher empfahl das am Wochenende: "Das braucht Subventionen, eine Vision groß wie die Mondlandung."
Doch viel einfacher wäre es, amerikanische Firmen zur Einhaltung europäischer Gesetze zu zwingen. Die EU-Kommission kann das. Der Entwurf für eine neue Datenschutzverordnung liegt vor. Er muss nur umgesetzt werden. Dann können zwar die amerikanischen Geheimdienste das europäische Recht weiterhin mit Füßen treten - aber die US-Netzgiganten Google, Apple, Microsoft und Facebook, die mit der NSA wahrscheinlich aufs Engste verbandelt sind, und die mit einer halben Milliarde Europäer Geld verdienen wollen, müssen unsere Gesetze befolgen. Wenn sie bei der unerlaubten Weitergabe von Daten erwischt werden, so sieht es die Novelle vor, müssen sie Strafe zahlen. Dann, da darf man sicher sein, werden diese Unternehmen Druck auf die eigene Regierung ausüben. Zwei Prozent des weltweiten Umsatzes schlägt der Entwurf vor. Das ist sehr viel Geld. Diese Sprache versteht Amerika.
Nach Bekanntwerden des geheimen, umfassenden PRISM-Überwachungsprogramms des US-Geheimdiensts NSA im Juni 2013 erlebt das Buch in den USA und Großbritannien ein Revival. Es stieg nach Medienberichten in der Liste der meistverkauften Bücher des Internet-Buchhändlers Amazon.com in den USA auf Rang 66 und in Großbritannien auf Platz 42 ...
S!NEDi - mit Materialien aus der S.P.O.N.-Kolumne "Im Zweifel links": Jakob Augstein: "Besuch des Allmächtigen": http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-kolumne-besuch-des-allmaechtigen-a-906084.html