Die Documenta 14
14. Ausgabe: Die weltgrößte Kunstschau wird am 10. Juni in Kassel eröffnet. Bis zu einer Million Besucher werden erwartet. Mehr als 160 Künstler sind dabei. Viele von ihnen haben zwei Kunstwerke geschaffen - für Griechenland und Deutschland. Rund 30 Orte werden bespielt
Von Sandra Trauner und Göran Gehlen
Kassel. Kassel rüstet sich für die Documenta. Bis zuletzt wurde gebaut und gehängt, aufgestellt und ausgepackt. Ab Samstag, 10. Juni, geht?s los für die Öffentlichkeit. Auf vielen öffentlichen Plätzen in der Innenstadt sind schon jetzt Kunstwerke zu sehen.
Der Obelisk auf dem Königsplatz, eine 16 Meter hohe Steinsäule, ist fertig, ebenso die "Mühle des Blutes" in der Karlsaue. In dem barocken Park ist eine Schneise entstanden - auch sie ein Kunstwerk. Am Tempel-Nachbau "Parthenon der Bücher" hängen Tausende verbotene Bücher. Die historische Torwache ist komplett hinter alten Jutesäcken verschwunden. In einem Park in der Nordstadt entstand eine neun mal neun Meter große Pyramide.
Knapp 30 Orte bespielt die Documenta in Kassel. Fast alle Museen der Stadt sind dabei, aber auch ungewöhnliche Locations wie ein ehemaliges Lederwaren-Geschäft, ein Kino, eine Halle auf dem Universitätsgelände oder die ehemalige Hauptpost. Das Gebäude liegt in einem Problemviertel - nur wenige Meter entfernt gab es vor ein paar Tagen eine Messerstecherei. Von außen ist noch nichts zusehen, aber während der Documenta soll das einer der Hauptveranstaltungsorte sein.
Die Post, verrät ein Pressesprecher, werde für die 100 Tage der Ausstellung in "Neue Neue Galerie" umbenannt. Dort sollen die aktuellsten künstlerischen Positionen zu sehen sein, während im Museum "Neue Galerie" vor allem historische Positionen ausgestellt werden. Im Fridericianum ziehen Kunstwerke aus der Sammlung des Museums für Zeitgenössische Kunst (EMST) ein. Weit über 200 Werke aus Athen sind eingetroffen und platziert worden.
Eigenwilliges Kunstwerk: In Plastik eingehüllte Bücher hängen am Stahlgerüst des "Parthenon of Books" von Marta Minujín in Kassel. Plakate werben für die Schau. Foto: dpa |
Auf den ersten Teil gab es gemischte Reaktionen
Wenn man von Athen auf Kassel schließen kann, erwartet die Besucher bis Mitte September vieles, was unter der Bezeichnung Performance und Intervention läuft. Auch Soundkunst hat einen großen Anteil. Wispernde Lautsprecher in der Stadt, Tänzer zwischen antiken Tempeln, ein Zelt zum gemeinsamen Essen, Schafe blau einfärben oder auf Rentierfellen chillen - wie die Kasseler Version der Athener Documenta aussieht, bleibt trotzdem spannend.
In einem Land, in dem Menschen unter der Schuldenlast des Staates kollabieren und Flüchtlinge vor den Küsten ertrinken, standen politische Probleme im Zentrum vieler Arbeiten. In Kassel kommt laut Pressestelle ein weiterer Themenschwerpunkt dazu: Restitution, die Rückerstattung geraubter, enteigneter oder zwangsverkaufter Kulturgüter. Eigentlich wollte Szymczyk den Gurlitt-Nachlass nach Kassel holen, aber der Plan scheiterte am Veto der Politik.
Mehr als 160 Künstler hat Szymczyk zur Documenta eingeladen. Die meisten haben zwei Werke für die beiden Standorte geschaffen, die sich mal mehr, mal weniger aufeinander beziehen. Nur wenige Objekte ziehen von Athen nach Kassel um. Einige Arbeiten bestehen sogar im Zurücklegen der Strecke zwischen beiden Städten. So sind vier Reiter derzeit zu Pferd quer durch Europa unterwegs.
Die Reaktionen auf den ersten Teil der Ausstellung waren gemischt: "Athen mag eine geniale Idee von Adam Szymczyk gewesen sein, aber eine Idee allein reicht dann doch nicht für die wichtigste Kunstausstellung der Welt", befand die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Auch die Zeit urteilte eher kritisch: "Zu vieles bleibt halb gar, treuherzig, wohlfeil. Zu vieles ist kulturell wertvoll, doch ästhetisch ohne Reiz." Andere nahmen den Orts- und Perspektivwechsel als Befreiungsschlag wahr, zum Beispiel der in Athen lebende deutsche Archäologe Vinzenz Brinkmann. "Szymczyk rettet die Idee der Documenta", findet er. In Kassel habe es gewisse "Abnützungsfaktoren" gegeben, zu viel Glätte, zu viel Event. Dabei sei die Ausstellung doch geboren "aus der Irritation heraus". Szymczyk habe das erkannt und "der Idee des Widerständigen neue Kraft gegeben".
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Vom großen Schweiger zum Welten-Erklärer
Porträt: Der Pole Adam Szymczyk leitet
das weltgrößte Kunstfestival
Von Sandra Trauner
Kassel/Athen. Vor fünf Jahren war Adam Szymczyk ein weitgehend unbekannter Kurator mit polnischem Pass und einem Job in der Schweiz. Dann wurde er zum künstlerischen Leiter der Documenta 14 gewählt, dem vielleicht einflussreichsten Job der Kunstwelt. Plötzlich stand der eher introvertierte Mann mit der Strubbel-Frisur im Rampenlicht - wo er sich augenscheinlich ziemlich schnell unwohl fühlte.
Steht nicht gern im Rampenlicht: Adam Szymczyk. Foto: dpa |
Szymczyk gilt als politischer Kurator
"Die Kunst ist seine Sprache", sagt Museumsdirektorin Susanne Gaensheimer über ihn. Sie war Mitglied der Jury, die Szymczyk 2013 zum Documenta-Leiter wählte. Das Konzept, mit dem er sich gegen fünf Konkurrenten durchsetzte, war kühn: Er wollte die Documenta, die seit 1955 in Kassel stattfindet, gleichberechtigt in zwei Städten durchführen. Noch vor der Eröffnung in Kassel sollte die Schau im von Finanzkrise und Flüchtlingsansturm gebeutelten Athen beginnen.
Szymczyk wurde 1970 in Polen geboren. Er studierte Kunstgeschichte in Warschau, jobbte in Galerien, schrieb Kritiken. In den 1990er Jahren absolvierte er eine Kuratoren-Ausbildung in Amsterdam. 2003 wurde er Direktor der Kunsthalle Basel. 2008 ko-kuratierte er die "Berlin Biennale". Nachdem er zum künstlerischen Leiter der Documenta ernannt worden war, listete ihn das britische Magazin Art-Review auf Platz zwei der einflussreichsten Personen in der Kunstwelt.
Schweizer Weggefährten attestierten ihm "eine unbestechliche intellektuelle Brillanz", beschrieben ihn aber auch als "scheu und wenig zugänglich". "Seine Ausstellungen waren immer eine Herausforderung, auch für Kunstgewohnte." Szymczyk habe "ein intellektuelles Programm" gemacht, "weg von der Malerei, hin zu Leere, zu Reduktion, zu installativen Arbeiten, zu Interventionen". Dieser Linie blieb er auch im ersten Teil der Documenta treu. In Athen gibt es so viele Performances zu sehen wie nie zuvor.
Er will etwas sagen, zur Lage der Welt
Szymczyk gilt als politischer Kurator, der etwas sagen will zur Lage der Welt. "Wir müssen wieder Verantwortung übernehmen und wie politische Subjekte handeln, anstatt das einfach den gewählten Vertretern zu überlassen", sagte er in Athen. Szymczyk versteht sich als Teamplayer. Bei der Eröffnungspressekonferenz - seine Vorgängerin trug bei diesem Anlass einen ebenso langen wie unverständlichen Essay vor - saß er inmitten seiner Künstler auf der Bühne und war Teil einer non-verbalen Performance, bevor er seinen Mit-Kuratoren das Wort überließ.
Szymczyk rät den Besuchern, möglichst unvoreingenommen zur Documenta zu kommen, sich treiben und überraschen zu lassen "Eine Ausstellung sollte eine Erfahrung sein. Eine Erfahrung ohne große vorprogrammierte Erwartungen", sagte er. Bis zu eine Million Gäste werden in beiden Städten erwartet. Szymczyk würde dann nicht nur mit dem Zwei-Städte-Konzept sondern auch mit einem Besucherrekord in die Geschichte eingehen.
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03 - Bielefeld Süd, Mittwoch 07. Juni 2017