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Am besten nicht mal ignorieren... - Droste trifft Brok

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Droste trifft Brok - die Aussprache nach 38 Jahren

Doppelinterview: Ihre Geschichte beginnt in den 1970er-Jahren mit einem Konflikt vor dem Ausschuss für Kriegsdienstverweigerer. Fast vier Jahrzehnte danach sprechen der Satiriker und der Politiker über das, was damals war - und erleben eine Überraschung

Herr Brok, erinnern Sie sich noch an den Kriegsdienstverweigerer Wiglaf Droste? Sie haben vor knapp 38 Jahren sein Gewissen geprüft. Er ist durchgefallen.

Elmar Brok: Nein. Mein Bauchgefühl in diesem Gremium war auch immer: Es trifft die falschen. Das war nicht lustig. Damals gab's regelrechte Schulungen für Leute, die Kriegsdienstverweigerer werden wollten. Die waren clever. Diejenigen, die nicht so clever waren, verfingen sich in den Fragen. Ein Gewissen kann man nicht erforschen. Wenn einer geschickt lügt, isses so.

links (!): wiglaf droste - rechts: elmar brok | S!-bearbeitung nach einem foto von ulf hanke - nw


Wiglaf Droste: Gewissen misst sich an dem, was man getan hat und wie man sich dazu stellt. Als 17-Jähriger hat man außer Schule, Sport und ersten Kontakt zu Mädchen noch nicht groß etwas vorzuweisen, wie soll man da von Gewissen sprechen? Bei einem 50-jährigen Aufsichtsrat käme eventuell etwas mehr auf dem Kerbholz zusammen.

Wie wurde denn das Gewissen geprüft?

Brok: Ich nehme jetzt doch noch etwas Salz, wie Sie's im Profil angekündigt haben.

Droste: Einen Sack Salz auf das Brot! Da gab es die klassischen Fangfragen. Wenn man eine ehrliche Antwort gab, hatten sie einen. Soll man sagen, man ist Buddhist? Ist doch Quatsch. Beim zweiten Verfahren ist mein Antrag durchgegangen, und der ganze Käse war vom Tisch.

Sie haben dann Zivildienst gemacht?

Droste: Ich war beim Arbeiter-Samariter-Bund, von sehr arm bis reich war alles dabei. 1980 lebten noch viele überzeugte Nationalsozialisten. Dann steht man vor einem, der fragt: Sind Sie eigentlich als Feigling geboren? Oder haben Sie so schreckliche Eltern? Der ist aber inkontinent, und die innere Stimme sagt: Dass ich dich jetzt wasche und dafür noch einen draufkriege, ist eigentlich einer zu viel, aber ich muss es machen, was soll ich tun?

Brok: Diese Leute gibt es immer noch.

Droste: Es gab auch großartige Begegnungen. Eine ältere Dame zeigte ab und zu Jugendfotos mit schelmischem Lächeln: Na, Jungs, da hätte ich euch ganz schön schwindelig gespielt, damals. Sie hatte noch einen Wunsch, wollte unbedingt an die See, konnte aber nicht mehr gut laufen und hatte auch keine Verwandten. Ein Kollege und ich haben beschlossen: Der Dienstwagen muss herhalten. Wir hatten einen wunderbaren Tag am Meer, haben die Karre Sonntag wieder in die Garage gefahren und am Montag flippte der Dienststellenleiter total aus. Es gab Einzelgespräche mit allen zehn Zivis, aber alle haben dichtgehalten.

Haben Sie auch Zivildienst geleistet, Herr Brok?

Brok: Nein, ich bin Ersatzreserve Zwo und durfte in Friedenszeiten nicht eingezogen werden, weil ich mein rechtes Auge mit sechs Jahren durch Krebs verloren habe. Seitdem trage ich ein Glasauge. Ich bin aber gemustert worden, habe einen Wehrpass und hätte im Kriegsfall eingezogen werden können.

Droste: Da waren Sie zu einer Art Volkssturm eingeteilt.

Brok: ... und hätte mit 'nem Holzgewehr die Lutterbrücke bewacht. Ich hätte gern die Bundeswehr gemacht. In jungen Jahren hat mich das Glasauge sehr viel mehr gestört als heute.

Und trotzdem haben Sie Sport betrieben.

Brok: Ich habe Fußball gespielt, Mittelfeld, hatte sogar ein Bundesligaangebot. Meine Mutter hat den Vertrag aber nicht unterschrieben. Sie fand das für ihren Jungen zu gefährlich. Damals wurde man erst mit 21 volljährig. Ich habe bei 08 Paderborn in der ersten Mannschaft gespielt, dem heutigen SC Paderborn, eine erfolgreiche Mannschaft. Ein knappes Jährchen durfte ich bei den Junioren vom 1. FC Köln mitmachen, habe noch mit Heinz Flohe trainiert. Ich hatte aber die Härte nicht und auch nicht den Antritt. Jetzt bin ich Schalke-Mitglied und bei den Arminen. Zwei Notfälle.

Droste: Oha!

Brok: Sie sind für Borussia? Nix ist vollkommen.

Ein unüberbrückbarer Unterschied!

Brok: Mehr ein kultureller, als ein sportlicher.

Droste: Jetzt wird er aber richtig wild!

Brok: Das ist in Ostwestfalen ja so: Man ist Schalker oder Borusse, Arminia Bielefeld oder der SCP ist natürlich der Zweitclub.

Droste: Arminia ging bei mir nicht. Ich war zehn, als es den Bestechungsskandal gab.

Ihnen beiden liegt Schottland sehr am Herzen. Warum?

Brok: Schottland war die schönste Zeit meines Lebens. Meine Frau ärgert sich schwarz, wenn ich das sage, weil ich sie 14 Tage nach meiner Rückkehr kennengelernt habe.

Droste: Wer will schon die Zweitschönste sein?

Brok: Sie ist die Schönste und mein Glück. Aber es war mein letztes Jahr in "Freiheit". Nach meinem Volontariat beim Deutschlandfunk habe ich 1969/70 ein Jahr an der Uni Edinburgh Europarecht studiert. Mein Sohn hat mir zum 70. Geburtstag eine Reise nach Schottland geschenkt. Er und ich. Es hat mich glücklich gemacht.

Droste: Ich war letzten Sommer erst in Schottland, es gibt da eine alte Familienfreundschaft, die sich auf Kinder und Enkel übertragen hat. Mit zehn war ich das erste Mal da. Mein Neffe hat in Schottland studiert, mein Bruder ist regelmäßig da. Das war immer besonders. Die Deutschfreundlichkeit der Schotten hatte auch damit zu tun, dass die Deutschen gegen die Engländer gekämpft haben.

Brok: Ich hatte damals einen alten VW-Käfer, jeder Kotflügel eine andere Farbe. Damit bin ich in die Highlands gefahren. Die Eltern einer Bekannten hatten ein Sommerhäuschen auf der Isle of Skye, einer der schönsten Plätze dieser Erde. Ich hatte sie auf einer Studentenparty kennengelernt und fuhr mit ihr zu einem Fußballspiel der Glasgow Rangers. Wir hatten uns gerade hingesetzt, da schlug mir einer von hinten mit beiden Pranken auf die Schultern. Ich sprang auf, drehte mich um - und habe um ein Autogramm gebeten: Da stand Sean Connery.

Herr Brok, denken Sie mit Ihren 70 Jahren nicht langsam an Ruhestand?

Brok: Nicht im Ernst, aber Adenauer war 73, als er Bundeskanzler wurde.

Sie könnten Bücher schreiben, zum Beispiel übers Essen. Vielleicht schreiben Sie eins zusammen?

Brok: Ein OWL-Currywurst-Führer wär? doch was! Ich bin in meinem Leben schon bei so einigen Imbiss-Buden eingekehrt.

Sie könnten beide den Gürtel noch weiter schnallen.

Droste: Wir wollen eigentlich über Currywurst sprechen, aber ich muss Ihnen ein Kompliment machen, Herr Brok. Ich gucke mir Talkshows nur an, wenn ich beruflich muss, und fand beeindruckend, wie Sie mit Herrn Sarrazin fertig geworden sind, von dem ich nicht weiß, was der in der SPD will. Sarrazin sagte immer "Faktor fünf". Ich dachte, ich dreh? durch, kann man Menschen auf die Geburtenrate reduzieren? Sie kamen dann so richtig aus dem Sulky und sagten: Ich habe drei Kinder, finden Sie mich auch asozial? Großartig! Das war genau die richtige Antwort, auch wenn die in den nicht mehr eindringt. Da muss erst ein gestandener CDU-Mann kommen, um einem vermeintlichen Sozialdemokraten einen Rest von Humanismus beizubringen!

Brok: Bei Sarrazin ist das nur noch Geschäftsmodell. Er hatte einen Riesenerfolg mit seinem Buch. Wie das immer ist, muss noch einer oben drauf gesetzt werden. Die Populisten wollen, dass wir uns aufregen und tun so, als würden wir, die sogenannten Altparteien, die Wahrheit verschweigen. In den 1930er Jahren hat Joseph Goebbels noch von Systemparteien gesprochen, damit ist aber dasselbe gemeint. In den Talkshows muss ich mich dann rechtfertigen und nicht diese Populisten.

Droste: Der Witz ist doch: In diesem Land darf man fast alles sagen, nur haben die Rechten nicht gelernt, die Antwort zu ertragen, also dass auf Rede auch Gegenrede folgt. Wenn jemand außerhalb ihres Dunstkreises redet, ist das gleich eine Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit. Eigentlich ist das kein politisches, sondern ein psychiatrisches Problem. Wenn man sagt: Wir laden die AfD nur ein, um sie vorzuführen, dann müsste man das aber auch können.

Brok: Die historische und philosophische Bildung muss stark sein. Die Bratpfanne hilft da nichts.

Wie sollten die Medien mit dem Rechtspopulismus umgehen?

Brok: Die Wahrheit sagen, klarmachen, was richtig und was falsch ist. Und nicht alles hochziehen. Wir haben in Westfalen einen schönen Ausdruck: Am besten nicht mal ignorieren. Das wäre ein harter Schlag für die.

Droste: Substanziell existieren die gar nicht. Die sind, wenn man so will, Vampire, leben von der Substanz anderer.

Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, in die Politik zu wechseln, Herr Droste?

Droste: Das würde ich mir nicht zutrauen. Ich hätte große Mühe, nicht hinter meine pazifistische, gewaltlose Überzeugung zurückzufallen, wenn ich mit jemandem wie Herrn Erdogan an einem Tisch säße. Da könnte ich nicht nur aus der Haut fahren.

Brok: Herr Erdogan ist noch einer der sanfteren Gesprächspartner und tobt nur öffentlich. Man könnte mit zwei Dritteln der Staatspräsidenten dieser Erde nicht mehr reden. Über die Freilassung des Ehepaar Yunus musste ich mit Herrn Alijew verhandeln, dem Präsidenten von Aserbaidschan. Das Paar wäre im Gefängnis gestorben, wenn wir nicht organisiert hätten, dass sie dort von einem deutschen Arzt behandelt werden. Noch während der Verhandlungen sind Menschenrechtspresseerklärer zweimal den Präsidenten öffentlich angegangen, dass wir hörten: Jetzt ist es grade schlecht für eine Begnadigung. Die beiden haben deswegen über ein halbes Jahr länger im Gefängnis gesessen. Was machen sie jetzt?

Droste: Ich kann mir moralischen Rigorismus auch deswegen leisten, weil ich nicht praktisch Politik mache. Dass ich 1980 die Grünen wählte, ist eine Jugendsünde. Die Grünen haben nicht zwischen Moral und Politik getrennt. Das gibt den Wählern das Gefühl, das Richtige zu tun, ein guter Mensch zu sein. Für Politik ist das aber egal, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Man sagt ja, das Gewissen eines Menschen ist am reinsten, wenn er am wenigsten Gebrauch davon macht. Ich sehe das anders. Man muss eine Grenze ziehen: Ich verhandele mit denen, aber ich mache mich nicht gemein. Das ist extrem schwierig.

Wir stellen fest: Sie beide sind sich ähnlicher, als wir dachten.

Brok: Ja, die Altersmilde und dann beides Ostwestfalen.

Droste: Die Altersmilde setzt bei mir angeblich auch schon ein. Leser sind Leser, aber es gibt unter ihnen Leute, die sagen: Wo ist diese Schärfe geblieben? Es gibt die Vorstellung, es gäbe "bissige Satiriker". Ein Leser war so penetrant, dem habe ich zurückgeschrieben: Mannscharf sind Schäferhunde, ich war es nie.

Sie beide sind Tabakwaren nicht abgeneigt.

Brok: In einem Ihrer Bücher steht die schöne Geschichte, dass man für das Gute in der Welt auch mal eine Havanna rauchen muss, damit die Mücken vertrieben werden.

Droste: Ja.

Brok: Auf der Fahrt habe ich mir schon eine angesteckt. Auf der Rückfahrt werde ich die zweite Hälfte rauchen.

Droste: Ich hätte jetzt auch eine dabei, aber hier wird es nicht gehen, sonst springt der Brandmelder an.

Brok: Mein Vater rauchte Handelsgold Fehlfarben aus Bünde. Ich durfte ihm aber nie welche schenken. Wenn ihr das macht, sagte er, kann ich nicht mehr zur Mutter sagen: Ich muss mal Zigarren holen. Gegenüber war eine Kneipe, da ging er dreimal täglich Zigarren kaufen und jedes Mal nen Bier, nen Schnaps. Vier Wochen vor seinem 90. Geburtstag ist er an der Bordsteinkante hängen blieben, gestürzt und daran gestorben. Ich will auch 90 werden und den Duft meiner Lieblingskneipe schon in der Nase, tot umfallen. Die Überlegung ist doch nicht so schlecht, oder?

Droste: Das ist ein schönes Ziel, ja.


Das Gespräch hat Ulf Hanke|NW zusammengefasst. Montag,3. April 2017 NW No.79/14 - S.4

  • Elmar Brok, 70, geboren in Verl, macht seit 1980 für die CDU Politik im Europaparlament. Er ist neuerdings Beauftragter der EVP-Fraktion für den Brexit.


  • Wiglaf Droste, 55, ist in Herford geboren, wo der Schriftsteller auch lebt, wenn er nicht gerade unterwegs ist. Er gilt manchen als Kurt Tucholsky unserer Tage.



auch wenn sie im koppe nicht gleich ticken: sie sind ostwestfälisches urgestein - diese beiden ... - und auch bei uns hier ist das so wie im bundesdeutschen leben - zwischen der csu und dem rest der republik: herford liegt eher im norden westfalens - und verl driftet schon etwas nach süden ab - richtung schwarzem paderborn - 


auch ostwestfalen hat ein politisches "südstaatenproblem" ... - und doch sind die gräben nicht so tief als dass man sich nichts mehr zu sagen hätte ... gerade bei äußeren gleichen feinden - wie dem "populismus" von rechts: "am besten nicht mal ignorieren" - da schweißt man sich zusammen und reicht sich sportlich fair die hand ... - und das ist gut so ... S!

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