Marslandschaft |
"Der Mars kann für uns kein Ausweg sein"
Interview: Der Wissenschaftsjournalist, Hochschullehrer und Fernsehmoderator Harald Lesch hält eine Digitaldiktatur auf Erden für wesentlich wahrscheinlicher als Städte auf erdnahen Planeten
Herr Professor Lesch, Ihr berühmter Kollege Stephen Hawking meint, die Erde würde schon in 100 Jahren unbewohnbar sein und wir sollten zum Mars umziehen. Was halten Sie davon?
Harald Lesch: (lacht) Naja, ich halte das ehrlich gesagt für völligen Blödsinn. Mir ist völlig schleierhaft, wie man den Mars zum Wohnen verwenden soll. Diesen Planeten in irgendetwas zu verwandeln, was auch nur erdähnlich wäre, dauert sehr sehr sehr lange - deutlich länger als 100 Jahre. Dort eine Atmosphäre zu schaffen, ist eine Sache von Tausenden, wenn nicht Zigtausenden von Jahren.
Warum?
Lesch: Wenn eine Atmosphäre da wäre, würden sich die Monde vom Mars daran reiben und auf die Marsoberfläche donnern. Es wäre für unabsehbare Zeit keine lebensfähige Umwelt da. Der Mars kann überhaupt kein Ziel sein.
Könnten Milliarden Menschen "umziehen"?
Lesch: Wir sind vor 50 Jahren zum Mond geflogen - seither nie wieder. Wir haben derzeit nicht mal ein Antriebssystem, um irgendwas Größeres auch nur zum Mond zu bringen - egal, was die Herrschaften aus dem Silicon Valley uns erzählen. Die Amerikaner versuchen immer noch, die alten Saturn-V-Triebwerke zu verbessern, damit sie eines Tages wenigstens mal wieder jemanden zum Mond bringen können. In meinen Augen ist das entweder ein Publicity-Gag, um eine BBC-Sendung, oder ein Buch von Hawking zu bewerben.
Und was ist mit dem Weltuntergangsszenario? Ruiniert nicht die Menschheit nach Kräften tatsächlich ihren Planeten?
Lesch: Wenn wir keinen nuklearen Holocaust verursachen, dann könnte das über Klimawandel laufen. Das würde aber nicht dazu führen, dass die Welt, sondern dass die Menschheit untergeht. Darüber kann man schon nachdenken. Aber auch in dem Fall wird es nicht so sein, dass schlagartig von einem Tag auf den anderen alle Menschen weg sind, sondern es wird immer Inseln geben, auf denen Menschen überleben. Wenn sich die Industrienationen durch Kriege zerstören würden, wäre das zwar fürchterlich, aber auch noch kein Menschheitsuntergang.
Bezeichnenderweise gibt es keinen Science Fiction-Film, der ein optimistisches Zukunftsszenario entwirft...
Lesch: Das liegt auch daran, dass wir uns mit Wissenschaft und Technik in eine Situation gebracht haben, die wir nicht mehr beherrschen. Hawking hat schon früher auf das Problem mit automatisierten Systemen, die sogar autonome Waffensysteme sein können, hingewiesen. Eines Tages könnten die Maschinen die Herrschaft übernehmen. Darüber muss man ernsthaft debattieren. Je intelligenter die Software in den Maschinen wird, desto größer ist die Gefahr, dass so etwas passiert wie in dem Film "I Robot", wo Roboter die Sache in die Hand nehmen.
Oder gar "Terminatoren".
Lesch: Oder "Terminatoren". Wir sind doch jetzt schon teilweise Sklaven von Technologie. Wir sind ja ganz geil auf diese Smartphones, die uns Raum und Zeit organisieren. Wir sind ständig online, werden mit Infos bombardiert, an denen wir nichts ändern können. Wir rüsten uns mit Geräten aus, von denen wir mehr und mehr abhängig werden. Da sind etwa Maschinen, die unseren Luftverkehr und Energiehaushalt regeln. Blackouts und Hackerangriffe sind reale Gefahren. Viele Wissenschaftler haben schon davor gewarnt, so mit der künstlichen Intelligenz weiter zu machen wie uns das die Freunde aus dem Silicon Valley unterschieben wollen: Noch mehr automatisieren, noch schneller werden und so weiter.
Wie wird das enden?
Lesch: Technologisch sind wir viel weiter als ethisch. Wir haben keine vernünftige Technik-Ethik, die uns sagt, wie wir in Zukunft mit Technologien umgehen sollen, die Wirklichkeit manipulieren, für die wir überhaupt kein Gefühl haben. Autonome technische Systeme arbeiten mit unmenschlich hohen Geschwindigkeiten. Maschinen können immer, überall und machen alles besser. Wir sind in einer Technikfalle. Je mehr neue Ideen es gibt, noch mehr zu automatisieren, umso tiefer wird die Falle. Die Frage ist also - und das hat nix mit Mars zu tun - ob wir nicht in einer Art Digitaldiktatur enden, in einer Welt, in der Maschinen definieren, was wichtig, richtig und gut ist. Das wäre zumindest in meinen Augen ein Weltuntergang.
Ein Weltuntergang, dem wir uns nicht durch Auswandern auf den Mars entziehen könnten...
Lesch: Und den wir selbst verursacht haben, indem wir immer mehr Verantwortung an Maschinen übergeben. Diese Gefahr droht uns nicht erst in 100 Jahren, schon jetzt, wenn die Arbeit 4.0 erst mal richtig über uns herein bricht und große Mengen an Arbeitsplätzen wegfallen, vor allem für Menschen, die keine so hohe Ausbildungsstufe haben. Aber selbst die Juristen werden sich in Zukunft damit auseinandersetzen müssen, dass in den Anwaltskanzleien Software die einfacheren Fragestellungen bearbeitet. Dass wir alle in empathischen Berufen wie Lehrer und Pfleger tätig werden können, halte ich für einen völligen Blödsinn.
Noch mal zurück zum Auswandern auf den Mars oder anderswohin: Unnötige Gedankenspiele?
Lesch: Es wird uns nichts nutzen, so zu tun, als könnten wir auf den Mars auswandern. Der Mars ist absehbar kein Platz, wo Menschen leben können. Die Erde ist ein Paradies und wird für lange lange, lange Zeit der einzige Platz sein, wo wir Menschen leben können. Wir sollten zusehen, dass wir ihn nicht weiter verhunzen.
Was ist denn der Grund für diese Auswanderungs-Ideen? Ablenkungsmanöver? Braucht die NASA wieder mehr Geld?
Lesch: Keine Ahnung. Ich habe den Eindruck, Einzelpersonen wollen solche Ideen als Public Relation Gag unter die Menschheit jubeln. Wir haben viele Probleme, die mit einfacher Technologie gelöst werden können - wenn wir an den Klimawandel oder die Energiewende denken. Hier braucht?s nur die Umsetzung.
Zur Person
Harald Lesch (56) ist ein deutscher Astrophysiker, Naturphilosoph, Wissenschaftsjournalist, Fernsehmoderator und Hochschullehrer. Er ist Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München.
Das Gespräch führte Ralf Müller
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03 - Bielefeld Süd, Mittwoch 10. Mai 2017