ich war gestern in gütersloh, in der dortigen landesklinik, und habe dort einer gruppe von schülern vom allzu steil herabfallenden 484 tage andauernden "euthanasie"-leidensweg meiner tante erna kronshage berichtet. diese schüler waren zu einer begegnungs- und hospitationswoche dort in der psychiatrischen abteilung. morgens hatten sie schon das leucht-namensband in der klinikkirche gesehen, das die 1.017 deportierten patienten-namen einzeln aufzählt - und nachmittags dann meine powerpoint-präsentation mit dem einschlägigen bild- und faktenmaterial zu ernas schicksal.
ich habe dabei ganz zu anfang die oben eingeblendete illustration gezeigt - mit dieser aussage götz alys:
Jeder achte heutige Deutsche ist direkt mit jemandem verwandt, der Opfer dieser Morde wurde. Und wenn Sie die angeheirateten Verwandten dazunehmen, würde fast jeder in der Familie einen finden. Aber in den meisten Familien wurde darüber nicht gesprochen. Die Ermordeten sind vergessen."(Götz Aly) -
[Das gesamte Interview lesen Sie→hier]
gegen dieses genannte "vergessen" ankämpfen - das sind die anliegen der leute, die sich mit den opferbiografien ihrer durch die ns-"euthanasie" ermordeten verwandten auseinandersetzen und die ergebnisse dann auch mit klarnamen veröffentlichen ... dabei geht es nicht darum, mit dem zeigefinger "du-du-du" zu drohen - sondern es geht um den versuch, jedem einzelnen opfer seine würde insofern wiederzugeben, das man seinen namen nennt und in die "(v)er-inner(lich)ung" ruft.
götz aly schreibt in seinem buch "die belasteten"und sagt in dem interview oben ganz deutlich, das diese "täter"- und "wegschau"-generation hier und da schon auch ein dem damaligen allgemeinen zeitgeist geschuldetes interesse gezeigt habe, dass durch den tod dieser sie belastenden behinderten angehörigen vielleicht durch diese "euthanasie"-maßnahmen eine art "befreiung" zu erfahren war - eine erleichterung. adolf hitler hat ja entsprechende dankesbriefe von eltern behinderter und getöteter kinder erhalten.
als ich diese zeilen zum ersten mal las, war ich erschrocken - und wollte schon auf meinen opa verweisen, der als kleiner bauer und handwerker sich vehement für seine tochter erna ins zeug gelegt hat, einsprüche abgeschickt hat und auf entlassung aus der "heilanstalt" gedrängt hat - was aber dann letztlich doch doch ein kampf gegen windmühlen war... erna kronshages leidensweg endete 100 tage nach der deportation in die vernichtungsanstalt dort am 20.2.1944.
und doch: ich bin zwar erst 3 jahre nach ernas tod auf die welt gekommen - mein kämpfender opa war bereits 4 monate nach ernas tod gestorben - aber die weiteren zeitzeugen in der 13-köpfigen und später weit verzweigten großfamilie haben das andenken an erna in sich erfolgreich eingefroren, abgespalten oder still in ihren herzen bewegt: ernas schicksal wurde verdrängt und verschwiegen - und wahrscheinlich auch vergessen.
und erst 40 jahre nach ihrem tod habe ich angefangen, nach ihrem schicksal zu forschen und zu recherchieren.
inzwischen sind von den rund 300.000 ns-"euthanasie"-toten vielleicht insgesamt ca. 300 einzelschicksale erforscht und bekannt. das entspricht also ca. einem promille = 0,001 - 1‰ ...
insgesamt hat also götz aly für die allermeisten menschen in deutschland recht: ihre eventuellen verstrickungen mit den "euthanasie"-aktionen und den opfern sind vergessen. diese übrigbleibenden ca. 299.700 ermordeten sind oft unbetrauert, auch innerlich in den verwandten und nachkommen "verscharrt" - und um ihre würde kümmert sich niemand - und je nach fortschreiten der historie werden sich immer weniger menschen mit ihnen befassen.
die schüler von gestern da in gütersloh, waren zum teil regelrecht aufgeschreckt - und hatten größtenteils "noch nie davon so intensiv gehört" - sie haben sich bedankt.
um nochmal auf die angaben von aly zurückzukommen: "jeder achte erwachsene deutsche" - das bedeutet bei rund 61 millionen wahlberechtigten rund 7.625.000 "betroffene" und infragekommende menschen - abzüglich der angehörigen und nachkommen der erst rund 300 opfer, die eben jetzt ca. 75 jahre nach den krankenmorden namentlich erforscht werden ...
das sind aber auch über 7 millionen menschen, die in deutschland - vielleicht auch unbewusst - mit den oftmals verdrängten aber hier und da noch irgendwie wirksamen "familiengeheimnissen" umgehen lernen müss(t)en.
also - liebe schüler: es gibt noch viel zu tun - packt es ruhig an ... - S!