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Fels & Felsin

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Kolumne von Fabian Vogt | aus Publik-Forum 15/2017

ein fels aus sand - S!NED!|photography


Fels und Felsin

Jesus hatte ja die Gnade der frühen Geburt. Kaum geboren, schon ein Krippenplatz. Vor allem aber gab es zu seiner Zeit noch keine kirchlichen Gremien. Würde Jesus nämlich heute in der Kirche arbeiten, dann hätte er den Entwurf der Bergpredigt aufgrund ihres gesamtkirchlichen Ansatzes mehreren Ausschüssen zur Kontrolle vorlegen müssen – und die hätten ihn nie und nimmer durchgehen lassen.

Ja, das hätte schon mit dem Satz angefangen: »Bau dein Haus nicht auf Sand, sondern auf Felsen.« Eine Formulierung, bei der ich sofort den Protest des Referenten für gesellschaftliche Verantwortung höre: »Wer, bitte schön, kann sich denn heute im Rhein-Main-Gebiet noch ein Haus bauen? Bei den Grundstückspreisen? Keiner! Diese Wortwahl schließt weite soziale Schichten aus!« Der Referent für gesellschaftliche Verantwortung schlägt deshalb eine Änderung des Textes vor: »Miete deine Wohnung nicht auf Sand, sondern auf Felsen.«

»Ach was«, widerspricht ihm die Gleichstellungsbeauftragte: »Die Formulierung ist sexistisch: Der Sand, der Fels – schon in der Wortwahl zeigt sich der Schniedel-Imperialismus. Warum nicht die Sandbank und die, äh, die … Kennt jemand ein weibliches Wort für Felsen? Nein gut, dann sind wir eben kreativ – das können Frauen ohnehin viel besser als Männer. Also: die Felsin.« Und plädiert für die Formulierung: »Miete deine Wohnung nicht auf einer Sandbank, sondern auf einer Felsin oder einem Felsen.«

»Langsam, langsam«, mischt sich nun der zuständige Dezernent für den interreligiösen Dialog ein. »Der Fels, das ist doch ein uraltes Symbol für Petrus, den Gründer der Kirche. Hier wird also eine radikal christliche Perspektive eingenommen. Und ich muss sagen: Ich spüre da ganz klar einen unterschwelligen Antijudaismus. Als wäre das Christentum besser als das Judentum. Dabei geht es doch darum, auch unsere andersgläubigen Geschwister einzubinden. Wir sollten auf jeden Fall einen Begriff wählen, der niemanden ausgrenzt: Miete deine Wohnung nicht auf einer Sandbank, sondern auf Gestein. Einverstanden?«

Da meldet sich nun auch der Leiter des theologischen Beirats energisch zu Wort: »Ist denn nicht die Zeit solcher bildhafter, symbolischer Formulierungen, die unendlichen Interpretationsspielraum lassen, ohnehin vorbei? Ich meine: Wohnung, Sandbank, Gestein – da denkt ja jede und jeder, was er oder sie will. Dogmatisch ist das jedenfalls höchst uneindeutig. Ich plädiere deshalb für die unmissverständliche Festlegung: Das Geschöpf braucht ein festes Fundament.«

Und nach einer gefühlten Ewigkeit wäre dann eine wachsweiche Formulierung herausgekommen, eine, die garantiert niemandem wehtut – aber eben auch nichts mehr sagt. Und zwar niemandem! Fragt sich nur, ob eine Kirche, die Angst hat anzuecken, das Evangelium überhaupt noch kommunizieren kann. Schließlich gehört es zum Wesen des Evangeliums, dass es aneckt. Und dass es auch mal wehtut. Weil es so existenziell ist. So radikal.

Wer aber manche Verlautbarung kirchlicher Institutionen von heute studiert, kann vermuten, dass dort nicht die radikale und direkte Sprache Jesu gesprochen wird, sondern solche »Sandbank«-Debatten an der Tagesordnung sind. So entstehen übrigens auch Reformationsfeierlichkeiten, bei denen man den Menschen vor lauter Angst anzuecken die mitreißende Geschichte des leidenschaftlichen Professors Martin Luther, der keine Furcht vor drastischen Formulierungen kannte und keinem Streit aus dem Wege ging, gar nicht mehr erzählt, sondern lieber nur ganz allgemein von Freiheit und Gnade säuselt. Nun, vielleicht kann man es so sagen: Wer nicht aneckt, der berührt auch nicht.

Fabian Vogt, geboren 1967, ist evangelischer Pfarrer, Kabarettist im »Duo Camillo« und Schriftsteller. Er lebt mit seiner Familie im Taunus.



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