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WISSEN
Tierisch schlau

Von Silvia von der Weiden | welt.de

Von wegen dumme Kuh, blöde Ziege oder faules Schwein: Tiere auf dem Bauernhof sind eigene Persönlichkeiten mit individuellen Bedürfnissen. Sie sind neugierig und lernen wie Menschen auch das Tricksen

Nicht immer geht es bei Schweinen im Stall gemütlich zu, schon gar nicht, wenn es ums Futter geht. Dann wird am Trog gedrückt und gedrängelt, der Schwächere wird weggeschubst. Auch gebissen wird, wenn es sein muss. Futterzeit ist Stress. Das freut weder die Schweine noch den Bauern. Deshalb haben sich Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf in der Nähe von Rostock etwas einfallen lassen: eine Methode für mehr Harmonie im Stall.

Mithilfe von Belohnungen haben die Forscher den Schweinen ihre Namen beigebracht. Nur dann, wenn sie gerufen werden, dürfen sie zum Futterspender gehen. Ein Computerprogramm kennt die Schweinenamen und ruft sie nacheinander auf. „Beate“, tönt es durch den Lautsprecher im Schweinestall und nach einer Weile: „Brunhilde“ oder „Gertrude“.



Entspannt warten die Schweine auf die Maschinenstimme aus dem Lautsprecher. Als Erste springt Sau Beate auf und sprintet zum Futterspender, die anderen Tiere warten erst einmal ab. Zwei Wochen bräuchten die Schweine, um auf ihren Namen zu reagieren, sagt Winfried Otten vom Institut für Verhaltensphysiologie in Dummerstorf.

Beate hat wie auch ihre Artgenossen schnell gelernt, wie die Sache mit dem Futter neuerdings funktioniert. Die elektronische Identifikation am Spender erfolgt über einen kleinen Transponder, den die Sau im Ohr trägt.

Erst wenn Beate in Ruhe ihr Futter aufgefressen hat, wird die Nächste, Brunhilde, aufgerufen. Auch Brunhilde hat die Ruhe weg am Spender, denn der gehört ihr jetzt buchstäblich allein. Und so geht es ohne Keilereien im Stall weiter, bis alle Schweine mit der ihnen zugedachten Ration versorgt sind und satt und zufrieden in ihrer Box ruhen.

Die Aufruffütterung funktioniere so ähnlich wie im Amt, sagt Winfried Otten augenzwinkernd, wo es auch immer der Reihe nach und per Aufruf gehe. In der Natur würden Schweine nie so harmonisch warten, bis sie an der Reihe sind. „Ranghohe Tiere belagern gerne die Futtertröge und lassen rangniedrige nicht heran“, sagt Otten. Durch die Aufruffütterung verhalten sich die Tiere nun friedlicher und sind während des Tages in einer „positiv angespannten Erwartungshaltung“.

Das computergesteuerte System wollen die Dummerstorfer Forscher nun zur Marktreife bringen, um es Landwirten anzubieten.

Welche Tricks sich Tiere ausdenken, wenn es ums Futter geht, hat die Verhaltensforscherin Suzanne Held von der Schule für Veterinärwissenschaften an der Universität in Bristol untersucht. Auch sie hat mit Schweinen gearbeitet. Sie konnte zeigen, dass die Tiere sogar versuchen, Hierarchien zu umgehen. In ihrem Versuch hat die Forscherin einem Schwein das Lieblingsfutter immer an der gleichen Stelle hingelegt. Das Tier hatte das nach kürzester Zeit raus und lief sofort immer an die angestammte Futterstelle.

Das änderte sich jedoch schlagartig, als die Forscherin ein ranghöheres Tier aus der Herde mit ins Gehege ließ. Dann machte das rangniedere Schwein zunächst einen weiten Bogen um die Futterstelle, schnüffelte hier und da – nur nicht an dem Platz, wo sein Lieblingsfutter versteckt war. Held vermutet, dass es mit dem Verhalten den Rivalen täuschen und vom Versteck ablenken wollte, was ihm auch in einer Vielzahl der Fälle gelang.

Schweine sind zudem nicht nur hierarchisch organisiert – sondern auch sensibel, was die Raumtemperatur betriff. Im Stall aber stellt der Mensch die Heizung ein. Wissenschaftler am Prairie Swine Centre im kanadischen Saskatoon erkannten das Problem und versuchten es mithilfe der Schweine zu lösen.



Für das Experiment konstruierten die Forscher einen Schalter, den die Schweine mit der Schnauze betätigen konnten. Eine daran gekoppelte Zeitschaltuhr sorgt dafür, dass die Heizung nur für eine begrenzte Zeit läuft und es nicht zu warm im Stall wird. Wird der Schalter gedrückt, springt ein Heizlüfter an, der sich in unmittelbarer Nähe befindet. Auf diese Weise können die Schweine den direkten Zusammenhang zwischen Schalter und Raumtemperatur herausfinden. Die Warmluftdusche als Sofortbelohnung.

Eine im Stall installierte Videokamera zeichnete die Aktivitäten der Tiere auf. Nach wenigen Tagen hatten die Schweine gelernt, die Stalltemperatur selbstständig zu regulieren. Vor allem tagsüber, wenn die Tiere aktiv waren, drückten sie häufig den Heizungsschalter. Ihre Wohlfühltemperatur lag bei 14 Grad Celsius. Nachts, wenn die Tiere dicht beieinanderlagen, konnte es ruhig ein wenig kühler sein. Um Bauern von ihrem System zu überzeugen, wollen die Forscher nun prüfen, ob es damit nicht nur den Schweinen wohliger ist. Möglicherweise, so ihre Idee, lassen sich so auch Heizkosten sparen.

Es gibt noch etwas anderes, das den Schweinen die Laune vermiest: Langeweile. Die Forscher in Dummerstorf setzen deshalb auf Kaugummi. Die Idee kam ihnen weil sie beobachtet hatten, dass Ferkel und Jungtiere in der freien Natur gerne miteinander spielen. Fehlt ihnen aber im Stall der Platz dazu, dann fangen sie an, sich gegenseitig die Ringelschwänze anzuknabbern. Die Wunden entzünden sich dann leicht.

Um das zu verhindern, wird ihnen nicht selten der Schwanz gekürzt, eine Praxis, die viele Tierschützer beanstanden. Sandra Düpjan vom Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf sagt: „Sinnvoller wäre es, die Tiere zu beschäftigen.“ Zum Beispiel mit Spielzeug und Gummischnüren, auf denen die Ferkel nach Lust und Laune herumbeißen können.

Da Schweine als hochintelligent gelten, versuchen Wissenschaftler, ihre Stallhaltung möglichst angenehm zu gestalten. Aber auch in Kuh- und Ziegenställen soll die Haltung tiergerechter werden. Zwergziegen beispielsweise lernen und experimentieren gerne. Forscher der Universität Rostock und vom Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf haben ihnen deshalb leicht beibringen können, mit einem berührungssensiblen Computerbildschirm zu arbeiten. Um eine Belohnung, in diesem Fall Wasser, zu bekommen, mussten die Tiere lernen, aus einer Anzahl von jeweils vier dargebotenen unterschiedlichen Symbolen nur jene mit der Nase anzustupsen, die ein bestimmtes Merkmal aufweisen, etwa ein weiß markiertes Zentrum.

„Die Ziegen lernen sehr schnell, die Symbole zu unterscheiden, und wissen, welches davon eine Belohnung verspricht“, sagt die Biologin Susann Meyer von der Universität Rostock. Das zeigte sich, als die Forscher die Symbole variierten. Den Ziegen schien es Spaß zu machen, herauszufinden, mit welchem Symbol sie ihre Zusatzration am Computer bestellen konnten. Viele Tiere machten das lieber, als direkt zur Tränke zu gehen.

„Über solche visuellen Wahlaufgaben konnten wir beispielsweise nachweisen, dass Zwergziegen genauso wie wir in Kategorien denken können. Wir sehen auf einen Blick, dass es sich egal mit welcher Farbe oder Größe beispielsweise um einen Stuhl handelt“, sagt die Forscherin. Zwergziegen könnten aufgrund einer bestimmten Gemeinsamkeit verschiedenste Symbole unterscheiden. Mit derartigen kognitiven Herausforderungen im Stallalltag seien die Tiere beschäftigt und fühlten sich wohler.

Und wie kommt gute Laune in den Kuhstall? Auch das wird erforscht, wozu Forscher viel Hightech in den Ställen installiert haben. Videokameras und Pedometer zeichnen die Aktivitäts- und Ruhezeiten der Kühe auf, Infrarotkameras messen ihre Körpertemperatur. Mittels Blutanalysen wird der Spiegel an Stresshormonen gemessen und ein regelmäßiges EKG gibt Auskunft über die Herzgesundheit.

Gundula Hoffmann vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie in Potsdam hat beispielsweise herausgefunden, dass auch Milchkühe wie Schweine temperaturempfindlich sind: „Am wohlsten fühlen sie sich bei zehn Grad Celsius. Bei einer Temperatur von 30 Grad Celsius geraten sie in extremen Stress.“ Dann steige die Atemfrequenz an, die Tiere fressen weniger und sie geben weniger Milch. Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts OptiBarn wollen die Potsdamer Forscher nun intelligente Klimatisierungslösungen für den offenen Milchviehstall entwickeln.

In südlichen Ländern benötigen Milchkühe weniger technische Unterstützung, um gut durch einen heißen Sommer zu kommen. Tropische Rinderrassen sind durch langjährige Zucht besser an höhere Temperaturen angepasst. In ihrem Erbgut finden sich offenbar Anlagen, die sie hitzeunempfindlich machen. Forscher aus Dummerstorf und Brasilien wollen diese Gene nun finden – um künftig in der Zucht auch europäisches Milchvieh fit für heiße Tage zu machen.

Der Tag- und Nachtrhythmus ist für Kühe auch eine Herausforderung, zumindest wenn Menschen einfach an der Uhr drehen. „Genau wie bei Menschen gibt es auch unter den Tieren Frühaufsteher und Nachteulen“, sagt Pål Westermark vom Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf. Der schwedische Wissenschaftler und sein Team erforschen die innere Uhr von Tieren auf dem Bauernhof. Durch die Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit, sagt er, litten Milchkühe, weil sie später gemolken und gefüttert würden. Deshalb will Westermark nun den Biorhythmus von Kühen, später vielleicht auch den von Schweinen erforschen.

Mithilfe von statistischen Methoden und Verfahren, die im Dummerstorfer Institut für Genetik und Biometrie gegenwärtig entwickelt werden, sollen die erhobenen Daten ausgewertet und die innere Uhr „vermessen“ werden. Wie beeinflussen unterschiedliche Lebensrhythmen bei der Kuh körperliche Funktionen, Leistung und Wohlbefinden? Das betrifft vor allem das Licht, das Essverhalten, Stress- und Ruhezustände, die Regeneration im Schlaf, den Lärm und das Stalldesign, so Westermark. „Uns geht es darum, die individuellen genetischen und erblichen Ursachen zu identifizieren.“ Die Erkenntnisse der Wissenschaftler sollen helfen, das Umfeld der Tiere bestmöglich an ihre Bedürfnisse anzupassen.

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