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geschafft: wenn sie dies lesen, liegt die längste nacht, das schwärzeste schwarz, die winterdepri dieser jahreszeit hinter uns. ab jetzt werden die tage wieder länger - das tageslicht fängt an, das dunkel zu besiegen. (nach "welt"-titelseite vom 21.12.2017)
WINTERSONNENWENDE
Von Kathrin Spoerr | welt.edition
Es ist der 21. Dezember, der dunkelste Tag des Jahres. Seit Tagen, nein Wochen freue ich mich auf heute.
Dunkler als heute kann es 365 Tage lang nicht mehr werden. Wir müssen nur noch heute überstehen, dann überstehen wir alles.
Die Sonne wird heute um 8.15 Uhr aufgehen. Um 15.54 Uhr, nach ungefähr 7,5 Stunden, wird sie schon wieder untergehen. Man wird es nicht sehen können, man weiß es dank Wetter-App, der man alles glaubt, auch, dass die unsichtbare Sonne irgendwo scheint.
Ja, die Sonne scheint irgendwo. Richtig hell wird es heute trotzdem nicht werden. Es sei denn, es passiert ein kleines Wunder: Es müsste sehr kalt werden, es müsste sehr viel Schnee fallen, und der Himmel müsste wolkenlos sein. Dann könnte Folgendes passieren: Die Sonne scheint auf den Schnee, und der Schnee reflektiert die Sonne, und es würde ein Wintertag werden, der so hell ist, dass man die Augen zusammenkneifen müsste, heller als jeder Sommertag. So hell, dass man sich noch jahrelang daran erinnern würde. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich.
Wahrscheinlicher ist das: Oben, wo an guten Tagen der Himmel ist, wird es genauso grau sein wie unten bei uns. Wahrscheinlicher ist auch das: dass es heute mindestens einmal regnen oder (schlimmer) nieseln wird. Dunkel, nass, kalt, das ist wahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich wird heute der schrecklichste Tag des Jahres werden.
Dunkelheit ist der Antagonist des Lichts
Das ganze Fühlen und Fürchten rund um den Dezember hat natürlich mit Astronomie zu tun, mit der Achse der Erde, die um 23,27 Grad geneigt ist und die sich in dieser schiefen Lage um sich selbst und um die Sonne dreht, aber wen interessiert schon Astronomie, wenn die Winterdepri das Sagen hat.
Übrigens wird am nördlichen Polarkreis die Sonne heute den ganzen Tag lang tatsächlich nicht aufgehen. In Orten wie Jokkmokk oder Jänkisjärvi in Nordschweden, die genau auf dem 66,33. Breitenkreis liegen, bleibt es an diesem einen Tag des Jahres ganz dunkel. Allenfalls wird es ein bisschen Streulicht am Horizont geben, so viel, dass man vielleicht eine halbe Stunde lang Zeitung lesen kann, aber nur, wenn man gute Augen hat. Dann wird die Sonne, die nicht aufgegangen war, schon wieder hinabfallen auf die andere Seite, und die Nacht, die gar nicht aufgehört hatte, wird wieder beginnen. Alkohol hilft, das wissen die Menschen im Norden.
Die, die auf der Erdkugel noch weiter oben leben, haben heute schon mehrere Tage oder Wochen keine Sonne mehr gesehen. Je weiter im Norden, desto länger währt die totale Dunkelheit schon. Am Nordpol ist es am heutigen Tag schon ein Vierteljahr lang komplett dunkel, und noch ein weiteres Vierteljahr lang wird es dort komplett dunkel bleiben.
Die Dunkelheit am Nordpol ist allerdings nicht schlimm, weil es am Nordpol niemanden gibt, der die Dunkelheit schlimm finden, sich nach der Sonne sehnen und seine Winterdepri mit Alkohol bearbeiten müsste. Alles in Ordnung also am Nordpol.
Bei uns ist es anders. Überall gibt es Menschen.
Der Mensch hat es gern dunkel, wenn er schläft. Eine ganze Industrie stellt Anlangen zur Erzeugung gewollter Dunkelheit zur Verfügung: Rollläden, Vorhänge, Rollos, Jalousien und Fensterläden. Gegen die selbst hergestellte Dunkelheit hat niemand etwas einzuwenden. Anders ist es mit der Dunkelheit, die am 21. Juni anfängt, sich auszubreiten, jeden Tag ein bisschen länger, und die am 21. Dezember auf der ganzen nördlichen Hälfte der Erde ihren Höhepunkt erreicht.
Ab heute geht’s bergauf
Es gibt diese sehr dunkle Dezemberdunkelheit, die am dunkelsten ist, wenn der Apple-Weckton „Ente“ uns aus dem Schlaf quakt. Wenn wir die Augen öffnen und das Gleiche sehen wie mit geschlossenen Augen: schwarz. Wenn wir in der Schwärze liegen, in der keine Uhr tickt, weil Funkuhren nicht ticken müssen. Wenn wir den Lichtschalter und den Schmerz auf der Netzhaut fürchten. Wenn wir Kinder, die gerade vom Surfen im warmen Ozean träumen oder von Katzen, die Schmetterlinge jagen, wecken müssen, raus aus den Träumen, rein in die Schwärze.
Mit der Dezemberdunkelheit verhält es sich wie mit der Angst im Horrorfilm. Es ist blöd, wenn im Horrorfilm etwas Schreckliches passiert. Aber Blöder als das Schreckliche, ist die Erwartung des Schrecklichen. Und ist der Schrecken vollbracht, folgt darauf immer die Erlösung, das Schöne, das Ende des Schreckens.
So ist es auch mit der Dunkelheit im Winter. Sie zu erwarten ist schlimm. Sie zu ertragen ist möglich. Sie überwunden zu haben ist herrlich.
Dunkelheit ist der Antagonist des Lichts. Man muss kein Philosoph sein, um zu merken, dass die Dunkelheit Voraussetzung ist für die Helligkeit. Wer sich über Licht freuen will, muss zuvor die Dunkelheit ertragen haben. Es geht nicht anders. An diesem 21. Dezember haben wir alle das vollbracht.
Wir haben die längste Nacht des Jahres hinter uns gelassen. Und der dunkelste Tag ist auch schon halb rum. Freitag wird die Sonne erst um 15.55 Uhr untergehen. Wir haben eine Minute gewonnen, eine Minute Licht. Jeden Tag werden es ab morgen ein paar Minuten mehr sein. Und darum ist die große Dunkelheit von heute ein kleiner Grund zur Freude. Gute Nacht.
Anthem -Leonard Cohen
Deutsche Übertragung
Die Vögel sangen
Im Morgengrauen
Fang nochmal von vorn an
Hörte ich sie krächzen
Verweile nicht bei dem
Was vergangen ist
Oder noch kommen wird
Ja, die Kriege werden
Weiter gehen
Die heilige Friedenstaube
Sie wird wieder eingefangen
Gekauft und verkauft
Und wieder gekauft werden
Sie wird nie frei sein.
Läute die Glocken, die noch klingen
Mach ein Ende mit all deinen Mühen
Da ist ein Riss, ein Riss in allem
Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt
Wir fragen nach Zeichen
Die Zeichen wurden geschickt
Die Geburt verraten
Die Ehe erloschen
Ja, es ist ein Witwenstand
In jeder Form der Regierung
Zeichen, die wir alle sehen können
Ich kann nicht mehr mitlaufen
In dieser gesetzlosen Masse
Während die Mörder in den oberen Etagen
Ihre Gebete lauthals plärren
Aber sie haben etwas heraufbeschworen
Einen Gewittersturm
Und sie werden noch von mir hören
Läute die Glocken, die noch klingen
Mach ein Ende mit all deinen Mühen
Da ist ein Riss, ein Riss in allem
Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt
Du kannst eins und eins zusammenzählen
Aber die Summe wirst du nie ziehen können
Du kannst zum Marsch aufrufen
Dazu bedarf es keiner Trommel
Jedes Herz, jedes Herz
Jedes liebende Herz wird herbeieilen
Wenn auch wie die Flüchtlinge
Läute die Glocken, die noch klingen
Mach ein Ende mit all deinen Mühen
Da ist ein Riss, ein Riss in allem
Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt
Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt
Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt