Dorothea Grünzweig erhält Kurt Sigel-Lyrikpreis
„Feine Sprachbilder“: Die Lyrikerin Dorothea Grünzweig erhält den mit 4000 Euro dotierten Kurt Sigel-Lyrikpreis des deutschen PEN-Zentrums.
Die Wiederkunft der Orgeln
I
Es ist ein Pflock in uns getrieben
auch wenn wir neben und
nicht im Gefängnis leben
ein Pflock aus Tönen
so laufen wir nicht fort
Die Kathedralen sind herangerückt
wir sind gebettet an Kathedralen
auf die wir lauschen weil sie im Innern
Orgeln schlagen
Wir lauschen
hier sind die Muscheln an unserem Kopf
die wir wie schwere Krüge
stützen müssen
wir gehen in die Orgelhocke
in die Orgelknie
vertraut schon unserem Kindesbein
ein einziges Neigen und
Beugen vor der Musik
II
Sonnenorgeln
Schattenorgeln der Kathedralen
wir lauschen im Licht
der Sonnenorgeln lauschen
im Schatten der Schattenorgeln
stemmen die Muscheln
dass sie nicht brechen
werden den Tonpflock nicht
ausziehn und uns an Orgelstatt
an anderes halten
werden nicht
aufstehn verleugnen gehen
III
Die Schattenorgeln
sind dicht bei den Sonnenorgeln
der Abstand beträgt einen Viertelton
so wie wir
dicht beim Gefängnis
dicht bei den Kathedralen wohnen
mit einem kleinen Dazwischen
das abwehrt die Macht
der Deckungsgleiche
ein Reibungsraum ist vorhanden
wo alles Abgeblühte Öde
zu Sand zermahlen wird damit
wirs nur noch
wegzublasen brauchen
IV
Das Orgeln ist kein Trostgesang
kein Hirtenaug uns ruhig zu weiden
kein Winterweizen der sich dann
emporlebt wenn
die Eisschicht bricht
es ist ein ungebärdiges Gestehn
von Wünschen von Verzweiflung
ein Stampfen Schlagen Schreien
Lustschluchzen Lobschluchzen aus Brustwerk Hauptwerk
gegen den Himmel ein Jagen über Tod- und Auferstehungsgrenzen
ist Löschung unsrer Augen
V
Wir hören sind betört
sind hörig reine Form Spiralen
bald von Orgeln hochgerissen
bald gestaucht
Orgeln die wie’s am Anfang war
in offene Kindsgemüter
das Majestätische in Überlebensgrösse
gleich einem Vormund eintreten
Orgeln ihr
Brausen bei den Fruchtgewässern
vor unserem Anfang schon uns in
das Fleisch gesenkt
als ein Organ
als das Geschlecht
als unsere Orgelleiblichkeit und jetzt
durch Orgeln wiederkünftig
in den herangerückten Kathedralen
werden auch wir
weil wir dafür geschaffen sind
wir werden auch geschlagen
VI
Der arme Zungenwurm
wie er
sich krümmt und windet
weil er ins Wortreich will
bei diesem Toben
und ist es ihm verwehrt
(Quelle: lyrikline)
Dorothea Grünzweig
* 25.12.1952, Korntal bei Stuttgart , Deutschland
lebt in: Dorf in Südfinnland, Finnland
Nach ihrem Studium der Germanistik und Anglistik verbrachte sie zunächst einige Jahre in England und Schottland. Danach unterrichtete sie sieben Jahre lang in einem Internat in Süddeutschland. Seit 1989 lebt Grünzweig in Finnland, wo sie neun Jahre an der Deutschen Schule Helsinki tätig war.
1997 erschien ihr erster Gedichtband ...
„Feine Sprachbilder“: Die Lyrikerin Dorothea Grünzweig erhält den mit 4000 Euro dotierten Kurt Sigel-Lyrikpreis des deutschen PEN-Zentrums.
Die Lyrikerin Dorothea Grünzweig erhält den mit 4000 Euro dotierten Kurt Sigel-Lyrikpreis des deutschen PEN-Zentrums. Die Jury lobte in einer Mitteilung vom Dienstag Grünzweigs feine Sprachbilder. Dadurch lasse sie die Leser „Tod, Trauer, Verlassenheit und die wuchernde Natur neu sehen“. Grünzweigs Texte seien findig und originell. Die Lyrikerin wurde 1952 im baden-württembergischen Korntal geboren. Seit 1998 lebt sie in einer Kommune in Finnland. Stifter des Preises ist der Frankfurter Schriftsteller Kurt Sigel. Die Auszeichnung, die alle zwei Jahre vergeben wird, soll am 26. April bei der Jahrestagung der Schriftstellervereinigung in Göttingen verliehen werden. (dpa|tagesspiegel)
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Die Wiederkunft der Orgeln
I
Es ist ein Pflock in uns getrieben
auch wenn wir neben und
nicht im Gefängnis leben
ein Pflock aus Tönen
so laufen wir nicht fort
Die Kathedralen sind herangerückt
wir sind gebettet an Kathedralen
auf die wir lauschen weil sie im Innern
Orgeln schlagen
Wir lauschen
hier sind die Muscheln an unserem Kopf
die wir wie schwere Krüge
stützen müssen
wir gehen in die Orgelhocke
in die Orgelknie
vertraut schon unserem Kindesbein
ein einziges Neigen und
Beugen vor der Musik
II
Sonnenorgeln
Schattenorgeln der Kathedralen
wir lauschen im Licht
der Sonnenorgeln lauschen
im Schatten der Schattenorgeln
stemmen die Muscheln
dass sie nicht brechen
werden den Tonpflock nicht
ausziehn und uns an Orgelstatt
an anderes halten
werden nicht
aufstehn verleugnen gehen
III
Die Schattenorgeln
sind dicht bei den Sonnenorgeln
der Abstand beträgt einen Viertelton
so wie wir
dicht beim Gefängnis
dicht bei den Kathedralen wohnen
mit einem kleinen Dazwischen
das abwehrt die Macht
der Deckungsgleiche
ein Reibungsraum ist vorhanden
wo alles Abgeblühte Öde
zu Sand zermahlen wird damit
wirs nur noch
wegzublasen brauchen
IV
Das Orgeln ist kein Trostgesang
kein Hirtenaug uns ruhig zu weiden
kein Winterweizen der sich dann
emporlebt wenn
die Eisschicht bricht
es ist ein ungebärdiges Gestehn
von Wünschen von Verzweiflung
ein Stampfen Schlagen Schreien
Lustschluchzen Lobschluchzen aus Brustwerk Hauptwerk
gegen den Himmel ein Jagen über Tod- und Auferstehungsgrenzen
ist Löschung unsrer Augen
V
Wir hören sind betört
sind hörig reine Form Spiralen
bald von Orgeln hochgerissen
bald gestaucht
Orgeln die wie’s am Anfang war
in offene Kindsgemüter
das Majestätische in Überlebensgrösse
gleich einem Vormund eintreten
Orgeln ihr
Brausen bei den Fruchtgewässern
vor unserem Anfang schon uns in
das Fleisch gesenkt
als ein Organ
als das Geschlecht
als unsere Orgelleiblichkeit und jetzt
durch Orgeln wiederkünftig
in den herangerückten Kathedralen
werden auch wir
weil wir dafür geschaffen sind
wir werden auch geschlagen
VI
Der arme Zungenwurm
wie er
sich krümmt und windet
weil er ins Wortreich will
bei diesem Toben
und ist es ihm verwehrt
(Quelle: lyrikline)
Dorothea Grünzweig - S!|bearbeitung nach einem Privatfoto im tagesspiegel |
Dorothea Grünzweig
* 25.12.1952, Korntal bei Stuttgart , Deutschland
lebt in: Dorf in Südfinnland, Finnland
Nach ihrem Studium der Germanistik und Anglistik verbrachte sie zunächst einige Jahre in England und Schottland. Danach unterrichtete sie sieben Jahre lang in einem Internat in Süddeutschland. Seit 1989 lebt Grünzweig in Finnland, wo sie neun Jahre an der Deutschen Schule Helsinki tätig war.
1997 erschien ihr erster Gedichtband ...