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1968 - ein Mythos ???

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«Die 68er waren Getriebene von den Dämonen der Zeit»
Aufbruch in eine befreite Moderne oder Beginn eines Werteverfalls? Wie die 68er-Bewegung zu beurteilen ist, erläutert der Historiker Gerd Koenen in «NZZ Standpunkte».

Kathrin Klette | NZZ

ZUM VIDEO: CLICK HERE

Der deutsche Publizist und Historiker Gerd Koenen kann auf eine wertvolle Erfahrung zurückblicken: An der 68er-Bewegung nahm er selbst als linksradikaler Politaktivist teil, später setzte er sich in seinem wissenschaftlichen Werk kritisch mit der Ideologie der Jugendrevolte und seiner eigenen Rolle in der Bewegung auseinander. Rückblickend sagt er heute, seine stärkste Erinnerung an die damalige Zeit sei, «zu all den Dingen, die da draussen in der Welt passierten, in einem unmittelbaren Kontakt zu stehen». Wesentlich ist für ihn im Nachhinein eine Erkenntnis: Je mehr die Bewegung mit Theorie und Ideologie aufgeladen worden sei, desto enger sei die Welt geworden.

Rebellion gegen die Weltordnung nach 1945
Die 68er-Bewegung war zwar eine weltweite Revolte; dennoch wurden die Proteste von den jeweiligen historischen Begebenheiten der einzelnen Länder geprägt, wie Koenen erläutert: Die USA standen unter dem Eindruck der Bürgerrechtsbewegung und des Vietnamkriegs, in Frankreich wurde das Verhältnis zur früheren Kolonie Algerien aufgearbeitet, und Deutschland setzte sich mit dem Nationalsozialismus auseinander. Das Verbindende der 68er-Bewegung sei gewesen, so Koenen, dass die Nachkriegsgeneration gegen die Weltordnung rebellierte, die die Weltkriegsgeneration nach 1945 errichtet hatte.

«1968» – ein Mythos wird besichtigt
Vor 50 Jahren erhob sich die Jugend in den westlichen Industriestaaten gegen die Welt ihrer Väter. Dabei strebten zumal die deutschen Kinder von Marx und Coca-Cola nicht weniger als die Weltrevolution an. Während die linke Revolte im Politischen krachend auflief, hat sie die Liberalisierung der Lebenswelt stark vorangetrieben. Trotzdem scheiden sich bis heute die Geister über ihr Vermächtnis. Mit dem Historiker Gerd Koenen unterhalten sich der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer und die Politikphilosophin Katja Gentinetta über Aufbruch und Scheitern, Utopie und Ideologie, Ursachen und Folgen der Bewegung. Koenen gehört zu den wenigen 68ern, die den eigenen gewaltbereiten Radikalismus kritisch hinterfragt haben.

Das Erstaunliche war, dies stellt auch Koenen fest, dass die Mitglieder der 68er-Bewegung zur «Jeunesse dorée» gehörten: Aufgewachsen im Wohlstand der Nachkriegszeit, noch dazu mit guten Bildungschancen ausgestattet, ging es ihnen eigentlich gut. Dennoch waren sie «Getriebene von den Dämonen der Zeit», die dem Frieden nicht trauten, wie Koenen sagt: misstrauisch gegenüber dem Establishment und in Furcht vor einem neu aufkommenden Militarismus und Faschismus, angefeuert etwa unter anderem durch den Erlass der Notstandsgesetze in Deutschland im Mai 1968. Manche Vorbilder seien dabei im Kampf für Frieden und Freiheit durchaus verklärt worden: Dass Politiker wie der vietnamesische Premierminister Ho Chi Minh oder auch der Revolutionär Che Guevara keineswegs nur gut waren, hätten viele erst spät erkannt, sagt Koenen.

«Kult der Militanz»
Heute sind vor allem die positiven und lebensbejahenden Aspekte der 68er-Bewegung präsent: Woodstock, Hippies, Flower-Power. Die sexuelle Revolution, unter anderem ins Leben gerufen durch Oswalt Kolle, befreite die Menschen von den bis dahin vielfach vorherrschenden strengen und einengenden Vorstellungen von Sexualität. Das Paradoxe war jedoch, dass die 68er-Bewegung keineswegs immer nur friedlich war: Einige Figuren der Revolte, erzählt Koenen, etwa Rudolf Dutschke oder die «Spontis» in Frankfurt, traten damals durchaus autoritär auf; bisweilen sei ein «Kult der Militanz» zu spüren gewesen. Letztlich war auch die Rote Armee Fraktion (RAF) ein Produkt der 68er-Bewegung. Mit dem ursprünglichen theoretischen Gerüst der Jugendbewegung hatte diese Gruppe laut Koenen nichts mehr zu tun: «Bei der RAF war der leere Existenzialismus der Tat das Entscheidende», sagt er. Koenen sieht hier zumindest strukturelle Parallelen zum heutigen Islamismus, dem sich plötzlich radikalisierte junge Menschen anschliessen.

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"Das Erstaunliche war, dies stellt auch Koenen fest, dass die Mitglieder der 68er-Bewegung zur «Jeunesse dorée» gehörten: Aufgewachsen im Wohlstand der Nachkriegszeit, noch dazu mit guten Bildungschancen ausgestattet, ging es ihnen eigentlich gut."
das höre ich als 68er heutzutage immer wieder. aber ich zähle zur 68er-generation alle die, die 1968 ca. 18 - 35 jahre alt waren. ich weiß nicht, wie gerd koenen in bochum und gelsenkirchen aufgewachsen ist, er ist ja auch ein 68er - aber die oben definierten geburtsjahrgänge von ca. 1933 - 1950 mussten ja alle 
  • den desolaten zumeist am boden und in trümmern liegenden schulbetrieb nach 1945 durchlaufen - wo es zumeist auch noch schulgeld gab für "höhere schulen" - kleinstklassen zumeist mit anderen jahrgängen in einem klassenraum usw. - viele 68er haben dann ja die höheren schul-reifeprüfungen damals erst auf dem zweiten bildungsweg erhalten (z.b. auch gerhard schröder) oder keinen offiziellen abschluss (wie z.b. joschka fischer) - und ich habe bis zu meinem beruflichen ruhestand in insgesamt 7 berufen vollgültige abschlüsse erreicht: das leben war spannend und in der postmoderne schon recht patchworkartig.
  • wir mussten selbst die trümmern des krieges auch im weitesten sinne von den straßen und aus den wohnungen räumen - 
  • viele mussten auf ihre väter warten, die vielleicht noch in kriegsgefangenschaft waren oder die danach ganz neu anfangen und zurechtfinden mussten - oder auch gar nicht mehr zurückkamen - 
was daran "vergoldete jahrgänge" ["jeunesse dorée"] sein könnten ... das sei mal dahingestellt ...

ich bin jahrgang 1947 - und ich weiß nicht wo aus meiner kindheitszeit eine "wohlstandskindergeneration" hätte heranwachsen können. 
wir lebten zu 5. (2 erwachsene - 3 kinder) in einer notdürftig ausgebauten wohnungs-zwangsbewirtschafteten mini-mietwohnung von ca. 45-50 qm - mit plumps-klo im keller ... 

"wohlstand" ???: mein vater verdiente damals um die 350,00 DM als straßenbahnschaffner für uns 5 - das war unser "wohlstand" ... 

und an werten geschaffen haben wir, dass wir heute ohne ein von unseren eltern überkommenes erbe in eigentums-wohnungen leben oder gar im eigenen häuschen mit garten - und dabei mit pünktlich zurückgezahlten hochverzinsten krediten vielen handwerkern bundesweit brot & arbeit ermöglicht haben. 

mein "marsch durch die institutionen" führte mich vom kleinen noch 18 monate "dienenden" zivildienstleistenden - als kriegsdienstverweigerer mit geprüftem gewissen vor der staatlichen prüfungskomission - im sozialbereich "hinauf" bis zum leiter eines heimverbundes mit zunächst 108 plätzen - und das ging nur mit einigen berufsbegleitenden und mühsamen mehrjährigen nachqualifizierungen ... - das ist mir nicht in den schoß gefallen ... - und zählt für mich auch zur "lebensleistung"eines 68ers... - 
symbolische bühnen-szene zu einem song von michael jackson

ja - als "68er" fühle ich mich immer noch - in einem durchaus positiven sinn. ich gehörte zwar nie zu irgendeinem "harten kern" - zu keiner "k"-gruppe - war aber mitglied bei den jusos in der spd und kurz in der gaz als vorläufer-partei zu den "grünen" - und ich habe auch nicht mein marx-buch oder die "rote bibel" von mao unterm kofkissen liegen gehabt - dann schon eher die echte bibel - denn mein vater war mal früher diakon in bethel gewesen, ehe er dann aus gründen einer selbstbestimmten persönlichkeitsentfaltung, die man ihm dort versagte, bethel wieder verließ. - und ich kam als so geborener "gutmensch" und kriegsdienstverweigerer ende der 60er/anfang der 70er in bethel wieder an - und schulte dort dann um - vom gelernten schriftsetzer zum erzieher/heilpädagogen und heimleiter.

und doch hat mir die 68er epoche (!) als "zeitgeist" auch ohne die marxistisch-leninistische theorie-unterfütterung zu meiner selbstbestimmten persönlichen entfaltung den im nzz-video angesprochenen nötigen "drive" und den mut als im grunde ängstlichen mensch gegeben - und ich fühle und fühlte mich "ein-stück-weit" (alte sponti-floskel) getragen durch diese formale gesellschaftliche befreiung, die von dort ausging und uns forttrug und das knöchern vertrocknete land bewässerte und ergrünen ließ - und lässt (!)... - wenn sie so wollen bin ich heute wohl ein jesuanisch anarchistischer links-alt-"68er" - etwas kompliziert, aber das wird man ja heute wohl noch sagen dürfen 👦 ...
überhaupt lese ich mit allen abwertungen der 68er einhergehend immer öfter auch abwertungen der "sozialen berufe" allgemein ... folglich erleben wir heute einen mangel im sozialbereich an qualifizierten bewerbern, weil man diesen berufszweig kaputtredet und das einstiegsniveau herabsetzt bis zur unkenntlichkeit - und total unterbezahlt - und auch die gleichstellung der geschlechter hat hier noch keinen einzug gehalten: es sind und bleiben fast ausschließlich "frauen"berufe - ... ein "gestandener deutscher mann" leert doch nicht die bettpfanne anderer menschen - womöglich noch von "ausländern" ... 
alle diejenigen, die also über diese "sozial-fuzzies" und "gutmenschen" verächtlich ihre nase rümpfen, sollten sich überlegen, wer denn ihr kind nach dem autounfall pflegt und trainiert und wiederherstellt - und wer die mama im altenheim betreut und dort ihre vollgepillerten pampers hoffentlich zur rechten zeit wechselt ...
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wams: gretchen dutschke
am wochende erschien in der "welt am sonntag" ein langes interview des herausgebers stefan aust und eines kollegen mit gretchen dutschke, 76, witwe von rudi dutschke.

in einem kommentar in der "welt" dazu schrieb ich: 
ich wenigstens freue mich, dass neben den hardlinern der 68er-ablehner und -leugner nun auch menschen zu wort kommen, die mittenmang dabei waren - im falle von gretchen dutschke auch viel persönliches leid ertragen mussten - und trotzdem kurz vor ihrem 76. geburtstag sagen: "ich bin stolz auf deutschland - und auf die 68er" ...
dazu fragte dann ein(e) "Aurora": "was sind denn 68er-Leugner?"

meine antwort dazu:

das sind die menschen, die heute meinen die 68er hätten nichts aber auch gar nichts bewirkt - oder wie der "welt"-autor tilman krause, der kürzlich einen artikel/einen verriss veröffentlichte mit dem titel: "die 68er haben rein gar nichts erfunden"...
was man also nicht mag oder wahrhaben will, verschweigt man, macht es nieder, ignoriert es, spaltet es ab - verleugnet es: das sind die "68er-leugner" ...: die in den 68ern nur ein paar krakeelende studenten oder die maßlos radikalisierte "raf "sehen (deren höhepunkt erst 9 jahre nach 68 war - vom "deutschen herbst" jedenfalls spricht man erst 1977) - die aber die globale "aufbruchstimmung", das gesamte befreiende klima insgesamt in dieser epoche - und den mut eines "zivilen ungehorsams" und widerstands gegen das überkommene establishment auch in den eigenen familien und lebensbereichen nicht sehen wollen - oder heute negieren ... - 
  • die experimente und befreiungen in sozialen bereichen, im zusammenleben von mann und frau (beginn der "emanzipation"), die befreiungen im bereich der sexuellen orientierung (verhütung, "pille", abtreibung, homosexualität, transsexualität u.a.) - 
  • herabsetzung der volljährigkeit von 21 auf 18 - und die damit verbundene legitime emzipation und partizipation
  • im gesamten kulturellen bereich und in der kunst - (z.b.: literatur: beat-literatur - cut-up - slam -  musik: john cage, pop u.a. - kunst: joseph beuys, jean-michel basquiat, andy warhol, informel, cobra, SPUR u.a.) 
  • im politischen bereich: grüne  und antiautoritäre bewegungen - auch im ostblock: polen, cssr, jugoslawien - die "außerparlamentarische opposition" (apo) und in ihrem gefolge auf lokaler ebene die "bürgerinitiativen" als neue instrumente einer basisdemokratie -
  • in schule, studium und ausbildung (antiautoritäre erziehung, verbot der züchtigung, aufwertung des kindes) - 
  • widerstand gegen die (auch atomare) wiederbewaffnung, friedensbewegungen, anti-akw-bewegungen - 
  • und nicht zuletzt: aufarbeitung des ns-horrors auch in den eigenen familien durch recherche in den archiven usw.
"die 68er" - das ist ja als begriff wie wir oben im video von koenen schon mehrfach gehört haben, eine künstlich konstruierte einordnende jeweils willkürlich festgelegte narrative rückkonstruktion, die in ihren jeweiligen begrenzungen und ihrem umfang immer wieder neu zu definieren wäre. die heute von uns so bezeichneten "68er" wussten selber 1968 ff. nicht, dass sie einmal so benannt werden ...

überhaupt - man müsste eine art "stammbaum" aus der historie entwickeln, wenn man seriös darstellen möchte, was alles originär aus dem "geist" der 68er angeschoben und befeuert worden ist. nur so könnte man der fülle dieser entwicklung geschichtlich und kulturell einigermaßen beikommen - und diesem kraus-artikel: "die 68er haben rein gar nichts erfunden" auch entsprechend paroli bieten ... dabei ist natürlich nicht alles exakt zwischen dem 01.01. und dem 31.12.1968 aus dem hut gezaubert worden - aber aus dem zeitgeist entwickelten sich entsprechende initiativen - im guten - z.b. apo und bürgerinitiativen und basisdemokratie ... - wie eben auch im schlechten: die raf und deren morde ... eine ähnliche entwicklung ins extreme sehen wir ja heute auch bei den dschihadisten unter den muslimen ...



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