Die Neandertaler waren fast wie wir, nur besser
Künstler sollen sie gewesen sein, Humanisten und sogar Vegetarier: Sucht der moderne Mensch in ihnen womöglich nach sich selbst?
Urs Hafner | NZZ
Unsere Grosseltern haben wir vielleicht gekannt, von der Urgrossmutter wissen wir noch eine Anekdote zu berichten, der Ururgrossvater, hat man uns einmal gesagt, sei eingewandert. Weiter zurück wissen wir nichts von unseren Vorfahren, ausser wir gehören einer grossbürgerlichen oder adligen Sippe an, die einen wappengeschmückten Stammbaum führt. Doch auch in diesem Fall führte die konsequente Auflistung aller Familienangehörigen, auch der illegitimen, rasch in die Unübersichtlichkeit. Unsere Ahnen sind und bleiben uns fremd.
Aber nicht alle. Wenn wieder einmal ein uralter Knochen ausgegraben und ein noch älterer bearbeiteter Stein oder gar eine durchbohrte Muschel gefunden wird, die eine weitere Etappierung der Menschheitsgeschichte erlaubt, ist die mediale Abdeckung riesig. Interessiert folgen wir den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur grauen Vorzeit. Man könnte meinen, zwischen uns und unseren Urahnen bestehe eine innige Verbindung. Je mehr wir über die Ursprünge des Homo sapiens wüssten, könnte man denken, desto mehr erführen wir über uns.
Am Gesamtbild ändert sich jeweils wenig: Über die ersten Menschen, die vor 200 000 Jahren in Afrika lebten und vor 40 000 Jahren nach Westeuropa zogen, weiss man fast nichts. Weder über die soziale Stratifikation ihrer Gesellschaft noch über ihre Kommunikation oder ihre kosmogonischen Vorstellungen. Zu viel Zeit ist seither verstrichen, zu wenige Spuren sind überliefert.
Also wird wild drauflosspekuliert, natürlich immer wissenschaftlich verbrämt. Wehren können sich ja die Betroffenen nicht. Neuerdings gilt der Neandertaler, ein «Vetter» des Homo sapiens, der vor etwa 30 000 Jahren ausstarb, als der «erste moderne Künstler». Sogar abstrakte Kunst soll er geschaffen haben, wie Wissenschaftsjournalisten zu berichten wissen. Archäologen fanden an Höhlenwänden in Spanien rote und schwarze Darstellungen von Tiergruppen und Händen sowie rätselhafte Punkte und geometrische Zeichen.
Was hat das alles zu bedeuten? Das weiss niemand. Mögen die Zeichnungen auch einen «symbolischen» Akt belegen, so sind sie sicher keine «Kunst» im heutigen Sinn, also keine experimentellen, freien Produktionen von Spezialistinnen und Spezialisten – von Künstlern eben –, die von ihrer Umwelt mehr oder weniger als solche anerkannt wurden. Die Ausdifferenzierung des Systems Kunst fällt in das 19. Jahrhundert. Vorher sind Künstler Handwerker, die Aufträge von Herren ausführen. Zu viel Kreativität wäre da eher hinderlich gewesen.
Wo wären wir ohne ihn?
Was Kunst ist, entscheidet der Kontext. Dieser aber ist im Fall der Neandertaler nahezu unbekannt. Durfte jeder und jede einfach Punkte an die Wand malen, wie und wo er gerade wollte? Oder hatte einer einen Aussetzer, als er die Höhlenwände vollmalte? Vielleicht zeugen die Zeichen ja weniger von einer magischen Beziehung zum Numinosen als vom Bemühen, Sachverhalte nüchtern aufzulisten? Vielleicht sind die Tierdarstellungen ein Inventar. Und die Punkte und Zeichen eine Aufstellung über Schulden oder ein Strafregister? Man weiss es nicht.
Doch mit der Kunst nicht genug. Der veredelte Neandertaler wird auch als «der erste Europäer» bezeichnet, der in uns weiterlebe. Gemäss den Berechnungen deutscher Anthropologen nämlich besitzt die Bevölkerung Europas noch heute einen Anteil aus dem Erbgut des Neandertalers, weil sich dieser mit dem aus Afrika eingewanderten Homo sapiens vermischt habe. Darauf würden nicht nur unsere helle Haut, sondern auch die blauen Augen hinweisen.
Vor allem aber hätten wir vom Neandertaler unseren Einfallsreichtum geerbt: Ohne ihn wären wir nicht so weit gekommen, wie wir heute sind. Die industrielle Revolution etwa stünde noch vor uns. – Die Schweine hätten wohl nichts dagegen und die unzähligen Kriegstoten auch nicht.
Man male sich aus: der Neandertaler – ein Künstler des Abstrakten, bei genügend grosszügiger Interpretation der Befunde vielleicht sogar fast ein wenig Europäer (ob er dennoch nationalistisch dachte?) und auf jeden Fall ein Innovator! Die Vorstellungen sind schlicht absurd, ganz abgesehen davon, dass «wir Europäer» weder eine rassische noch eine kulturelle Einheit bilden und dass die Menschheitsgeschichte immer Migrationsgeschichte war. Manchmal macht die Geschichte Sprünge, die kaum zu begreifen sind. Eben noch war der Neandertaler im allgemeinen Bewusstsein ein idiotisch gekrümmter Halbaffe, der nur seine Keule zu gebrauchen wusste. So stellte sich die paläontologische Forschung «unsere» Vorfahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor.
Ein Humanist, ein weiser Mann
Eine zeichnerische Rekonstruktion, die sich auf ein im französischen La Chapelle-aux-Saints gefundenes Skelett stützt, zeigt ein wenig vertrauenerweckendes Monstrum, das gewaltbereit hinter einem Felsen auf seine Beute lauert. Zu seinen Füssen liegen Schädel und andere Knochen, die von seinen Opfern und wohl auch seiner letzten Mahlzeit übrig geblieben sind.
«Meyers Konversationslexikon», neben dem «Brockhaus» der Wissensspeicher des deutschen Bürgertums noch im letzten Jahrhundert, wusste um 1890 mitzuteilen, die Urmenschen hätten ein höchst kümmerliches Leben geführt und Menschenfleisch verzehrt. Daneben hätten sie immerhin ganz elementare Künste beherrscht – von abstrakter Kunst natürlich keine Rede. Aber ja, sie hätten es zum Beispiel verstanden, sich gegen Klima und Witterung zu schützen und einfache Waffen, Geschirr und Kleidung zu verfertigen.
Wie die Urmenschen gelebt hätten, so das Lexikon weiter, lasse sich am besten an den noch existierenden Naturvölkern studieren, die immer wieder auf eine noch tiefere Kulturstufe und in die Barbarei zurückfallen würden. Der Begriff Barbarei, hielt «Grimms Wörterbuch» um 1850 fest, bezeichne sowohl den Landstrich in Afrika, der von den Berbern bewohnt werde, als auch Unmenschlichkeit und Grausamkeit.
Noch vor hundert Jahren also distanzierte sich die Wissenschaft von den ersten Menschen. Sie hob deren Wildheit hervor: Mord, Totschlag, Kannibalismus seien in ihrem Alltag die Regel gewesen. Die Entwicklungsleistung der Menschheit bestand nach damaliger Lehrmeinung darin, dass der Mensch seine Anfänge, die Barbarei aus Afrika, überwunden habe. Der weisse Europäer, so das stolze Fazit, das man vor hundert Jahren zog, zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht mehr ist, was er einmal war; andere Rassen haben dies vielleicht noch vor sich. Ganz anders das Bild, das heute gezeichnet wird: Die Rekonstruktion des Neandertalers, die etwa im Neanderthal-Museum bei Düsseldorf zu besichtigen ist, schaut den Betrachter freundlich an, vertrauensvoll und nachdenklich. Die Figur, die Madame Tussauds Kabinett entsprungen scheint, strahlt nichts Aggressives, nichts Primitives aus. Der neue Neandertaler ist ein Humanist, ein weiser Mann; und das ebenfalls rekonstruierte Neandertaler-Mädchen ein kesses Kid.
Die moderne Wissenschaft sagt: Wir, also die Menschen, sind, was wir schon immer waren. Wir sind sozusagen schon immer modern gewesen. All die guten Eigenschaften unserer Urahnen leben in uns weiter. Die ersten Menschen waren also findige Kreative – und sie unterscheiden sich im Kern kaum von uns Heutigen. Sie waren genauso intelligent wie wir. Und, noch besser: Zeitweise waren sie sogar Vegetarier. Eigentlich fehlten ihnen bloss die Sonnenkollektoren vor den Höhlen.
Da werden Märchen wahr
Kürzlich haben Verhaltensbiologen das narrative Grundmuster unserer Kultur hervorgehoben: Schon die ersten Menschen seien Geschichtenerzähler gewesen. Und Narration und Kooperation seien eng miteinander verknüpft. Die Gesellschaft gründet also auf dem Sichmitteilen, nicht auf Herrschaft und Gewalt. So werden Märchen wahr.
Klar, das neue Bild des Neandertalers ist uns sympathischer als das alte. Nur schon, weil es darauf verzichtet, sogenannt unterentwickelte Nichteuropäer zu degradieren. Jüngste Forschungsresultate stützen das Bild. Trotzdem ist seine projektive Seite nicht zu übersehen. Das heutige Bild des Neandertalers betreibt Identitätspolitik, genauso wie dasjenige des 19. Jahrhunderts. Damals wurde das «Andere», der Trieb, die Gewalt, der Schmutz und der Makel, am zivilisierten Menschen ausgeblendet und auf den Menschen der Urzeit übertragen. Heute will man dasselbe, das Primitive, am Neandertaler gar nicht mehr sehen. Im neuen Bild des Neandertalers klingt zudem das Ideal des innovativen Individuums an, das sich in der hyperdynamischen Gegenwart nicht weniger clever zu behaupten weiss als zwischen den Mammuts der Steinzeit.
Was suchen wir in den bemalten Höhlen der Vorzeit? Die innige Verbindung, die wir zwischen uns und unseren Vorfahren sehen, wenn wir ehrfürchtig den neusten ältesten Knochen eines Homo bestaunen. Sie soll uns darin bestätigen, dass wir sind, was wir zu sein glauben.
Künstler sollen sie gewesen sein, Humanisten und sogar Vegetarier: Sucht der moderne Mensch in ihnen womöglich nach sich selbst?
Urs Hafner | NZZ
Unsere Grosseltern haben wir vielleicht gekannt, von der Urgrossmutter wissen wir noch eine Anekdote zu berichten, der Ururgrossvater, hat man uns einmal gesagt, sei eingewandert. Weiter zurück wissen wir nichts von unseren Vorfahren, ausser wir gehören einer grossbürgerlichen oder adligen Sippe an, die einen wappengeschmückten Stammbaum führt. Doch auch in diesem Fall führte die konsequente Auflistung aller Familienangehörigen, auch der illegitimen, rasch in die Unübersichtlichkeit. Unsere Ahnen sind und bleiben uns fremd.
Aber nicht alle. Wenn wieder einmal ein uralter Knochen ausgegraben und ein noch älterer bearbeiteter Stein oder gar eine durchbohrte Muschel gefunden wird, die eine weitere Etappierung der Menschheitsgeschichte erlaubt, ist die mediale Abdeckung riesig. Interessiert folgen wir den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur grauen Vorzeit. Man könnte meinen, zwischen uns und unseren Urahnen bestehe eine innige Verbindung. Je mehr wir über die Ursprünge des Homo sapiens wüssten, könnte man denken, desto mehr erführen wir über uns.
Am Gesamtbild ändert sich jeweils wenig: Über die ersten Menschen, die vor 200 000 Jahren in Afrika lebten und vor 40 000 Jahren nach Westeuropa zogen, weiss man fast nichts. Weder über die soziale Stratifikation ihrer Gesellschaft noch über ihre Kommunikation oder ihre kosmogonischen Vorstellungen. Zu viel Zeit ist seither verstrichen, zu wenige Spuren sind überliefert.
Also wird wild drauflosspekuliert, natürlich immer wissenschaftlich verbrämt. Wehren können sich ja die Betroffenen nicht. Neuerdings gilt der Neandertaler, ein «Vetter» des Homo sapiens, der vor etwa 30 000 Jahren ausstarb, als der «erste moderne Künstler». Sogar abstrakte Kunst soll er geschaffen haben, wie Wissenschaftsjournalisten zu berichten wissen. Archäologen fanden an Höhlenwänden in Spanien rote und schwarze Darstellungen von Tiergruppen und Händen sowie rätselhafte Punkte und geometrische Zeichen.
Was hat das alles zu bedeuten? Das weiss niemand. Mögen die Zeichnungen auch einen «symbolischen» Akt belegen, so sind sie sicher keine «Kunst» im heutigen Sinn, also keine experimentellen, freien Produktionen von Spezialistinnen und Spezialisten – von Künstlern eben –, die von ihrer Umwelt mehr oder weniger als solche anerkannt wurden. Die Ausdifferenzierung des Systems Kunst fällt in das 19. Jahrhundert. Vorher sind Künstler Handwerker, die Aufträge von Herren ausführen. Zu viel Kreativität wäre da eher hinderlich gewesen.
Wo wären wir ohne ihn?
Was Kunst ist, entscheidet der Kontext. Dieser aber ist im Fall der Neandertaler nahezu unbekannt. Durfte jeder und jede einfach Punkte an die Wand malen, wie und wo er gerade wollte? Oder hatte einer einen Aussetzer, als er die Höhlenwände vollmalte? Vielleicht zeugen die Zeichen ja weniger von einer magischen Beziehung zum Numinosen als vom Bemühen, Sachverhalte nüchtern aufzulisten? Vielleicht sind die Tierdarstellungen ein Inventar. Und die Punkte und Zeichen eine Aufstellung über Schulden oder ein Strafregister? Man weiss es nicht.
Doch mit der Kunst nicht genug. Der veredelte Neandertaler wird auch als «der erste Europäer» bezeichnet, der in uns weiterlebe. Gemäss den Berechnungen deutscher Anthropologen nämlich besitzt die Bevölkerung Europas noch heute einen Anteil aus dem Erbgut des Neandertalers, weil sich dieser mit dem aus Afrika eingewanderten Homo sapiens vermischt habe. Darauf würden nicht nur unsere helle Haut, sondern auch die blauen Augen hinweisen.
Vor allem aber hätten wir vom Neandertaler unseren Einfallsreichtum geerbt: Ohne ihn wären wir nicht so weit gekommen, wie wir heute sind. Die industrielle Revolution etwa stünde noch vor uns. – Die Schweine hätten wohl nichts dagegen und die unzähligen Kriegstoten auch nicht.
Man male sich aus: der Neandertaler – ein Künstler des Abstrakten, bei genügend grosszügiger Interpretation der Befunde vielleicht sogar fast ein wenig Europäer (ob er dennoch nationalistisch dachte?) und auf jeden Fall ein Innovator! Die Vorstellungen sind schlicht absurd, ganz abgesehen davon, dass «wir Europäer» weder eine rassische noch eine kulturelle Einheit bilden und dass die Menschheitsgeschichte immer Migrationsgeschichte war. Manchmal macht die Geschichte Sprünge, die kaum zu begreifen sind. Eben noch war der Neandertaler im allgemeinen Bewusstsein ein idiotisch gekrümmter Halbaffe, der nur seine Keule zu gebrauchen wusste. So stellte sich die paläontologische Forschung «unsere» Vorfahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor.
Ein Humanist, ein weiser Mann
Eine zeichnerische Rekonstruktion, die sich auf ein im französischen La Chapelle-aux-Saints gefundenes Skelett stützt, zeigt ein wenig vertrauenerweckendes Monstrum, das gewaltbereit hinter einem Felsen auf seine Beute lauert. Zu seinen Füssen liegen Schädel und andere Knochen, die von seinen Opfern und wohl auch seiner letzten Mahlzeit übrig geblieben sind.
«Meyers Konversationslexikon», neben dem «Brockhaus» der Wissensspeicher des deutschen Bürgertums noch im letzten Jahrhundert, wusste um 1890 mitzuteilen, die Urmenschen hätten ein höchst kümmerliches Leben geführt und Menschenfleisch verzehrt. Daneben hätten sie immerhin ganz elementare Künste beherrscht – von abstrakter Kunst natürlich keine Rede. Aber ja, sie hätten es zum Beispiel verstanden, sich gegen Klima und Witterung zu schützen und einfache Waffen, Geschirr und Kleidung zu verfertigen.
Wie die Urmenschen gelebt hätten, so das Lexikon weiter, lasse sich am besten an den noch existierenden Naturvölkern studieren, die immer wieder auf eine noch tiefere Kulturstufe und in die Barbarei zurückfallen würden. Der Begriff Barbarei, hielt «Grimms Wörterbuch» um 1850 fest, bezeichne sowohl den Landstrich in Afrika, der von den Berbern bewohnt werde, als auch Unmenschlichkeit und Grausamkeit.
Noch vor hundert Jahren also distanzierte sich die Wissenschaft von den ersten Menschen. Sie hob deren Wildheit hervor: Mord, Totschlag, Kannibalismus seien in ihrem Alltag die Regel gewesen. Die Entwicklungsleistung der Menschheit bestand nach damaliger Lehrmeinung darin, dass der Mensch seine Anfänge, die Barbarei aus Afrika, überwunden habe. Der weisse Europäer, so das stolze Fazit, das man vor hundert Jahren zog, zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht mehr ist, was er einmal war; andere Rassen haben dies vielleicht noch vor sich. Ganz anders das Bild, das heute gezeichnet wird: Die Rekonstruktion des Neandertalers, die etwa im Neanderthal-Museum bei Düsseldorf zu besichtigen ist, schaut den Betrachter freundlich an, vertrauensvoll und nachdenklich. Die Figur, die Madame Tussauds Kabinett entsprungen scheint, strahlt nichts Aggressives, nichts Primitives aus. Der neue Neandertaler ist ein Humanist, ein weiser Mann; und das ebenfalls rekonstruierte Neandertaler-Mädchen ein kesses Kid.
Die moderne Wissenschaft sagt: Wir, also die Menschen, sind, was wir schon immer waren. Wir sind sozusagen schon immer modern gewesen. All die guten Eigenschaften unserer Urahnen leben in uns weiter. Die ersten Menschen waren also findige Kreative – und sie unterscheiden sich im Kern kaum von uns Heutigen. Sie waren genauso intelligent wie wir. Und, noch besser: Zeitweise waren sie sogar Vegetarier. Eigentlich fehlten ihnen bloss die Sonnenkollektoren vor den Höhlen.
Da werden Märchen wahr
Kürzlich haben Verhaltensbiologen das narrative Grundmuster unserer Kultur hervorgehoben: Schon die ersten Menschen seien Geschichtenerzähler gewesen. Und Narration und Kooperation seien eng miteinander verknüpft. Die Gesellschaft gründet also auf dem Sichmitteilen, nicht auf Herrschaft und Gewalt. So werden Märchen wahr.
Klar, das neue Bild des Neandertalers ist uns sympathischer als das alte. Nur schon, weil es darauf verzichtet, sogenannt unterentwickelte Nichteuropäer zu degradieren. Jüngste Forschungsresultate stützen das Bild. Trotzdem ist seine projektive Seite nicht zu übersehen. Das heutige Bild des Neandertalers betreibt Identitätspolitik, genauso wie dasjenige des 19. Jahrhunderts. Damals wurde das «Andere», der Trieb, die Gewalt, der Schmutz und der Makel, am zivilisierten Menschen ausgeblendet und auf den Menschen der Urzeit übertragen. Heute will man dasselbe, das Primitive, am Neandertaler gar nicht mehr sehen. Im neuen Bild des Neandertalers klingt zudem das Ideal des innovativen Individuums an, das sich in der hyperdynamischen Gegenwart nicht weniger clever zu behaupten weiss als zwischen den Mammuts der Steinzeit.
Was suchen wir in den bemalten Höhlen der Vorzeit? Die innige Verbindung, die wir zwischen uns und unseren Vorfahren sehen, wenn wir ehrfürchtig den neusten ältesten Knochen eines Homo bestaunen. Sie soll uns darin bestätigen, dass wir sind, was wir zu sein glauben.
nun haben wir ja quasi zwei kultur- (oder sagt man wohl "kultus"- ?)staatsministerinnen, nämlich frau grütters und frau müntefering: die erstere für die innere größere kultur - die zweite für die "außen"-kultur ... - und dazu länder- kultusminister - und eine kultusministerkonferenz: will sagen - bei der zuständigkeit für den neandertaler wird es überschneidungen geben - da bin ich mir ganz sicher ... - und dann ja wahrscheinlich zoff: human zoff, rassen-zoff, parteipolitischen zoff: ist der neandertaler ur-deutsch - oder doch mehr europäisch - oder doch ein weltbürger ... - und was will mir das heute sagen ???
frau grütters habe es ja mit der "erinnerungs-"politik", las ich heute irgendwo. und der neandertaler ist ja - je nachdem wie man das sieht - auch gegenstand einer persönlichen erinnerung fast von jeder/jedem von uns - und da wir zu wenig von seiner "kultur" wissen - bedarf es bei ihm wohl keiner ausdrücklichen "gedenk-kultur" ... - oder doch ... ???
und - wie gedenken wir dann seiner ??? früher haben wir uns ja wohl eher geschämt - über sein brutales aussehen, seine vermeintliche primitivität - heute motzen wir ihn auf und unterstellen ihm "humanität", "kultur" und die "schönen künste" ... - und wollen direkt stolz sein auf einen solchen urahnen - er ist natürlich einer von uns ...
so wie sich unser alltägliches rassenbild ändert von epoche zu epoche - so werden wir auch den neandertaler mal verehren, um ihn dann wieder zu verleugnen und uns seiner abzuspalten ...
aber wenn wir unsere vergangenheit und unsere familiengeschichte der letzten 100 jahre schon nicht mehr erforschen wollen - und opas fotokasten einfach auf die mülle werfen - und seinen "gefrierfleischorden" vom "russland-feldzug" - sprich: der stalingrad-niederlage - verkloppen wir auf dem flohmarkt - und onkel peter damals ... - da decken wir mal lieber den mantel des schweigens drüber - und dass wir alle mehr oder weniger unseren migrationshintergrund in der familie mit uns schleppen ... - und viele unserer vorfahren ganz simple wirtschaftsflüchtlinge waren ... - - das ist zwar fakt - aber niemand will das wahrhaben ...
ich meine - ist bei einer solchen ausgangslage eigentlich irgendwie wichtig, wer der neandertaler oder der ötzi waren - das ist doch noch höchstens interessant für den nächsten museumsbesuch an einem verregnten urlaubstag ... - S!