Albert Giacometti and Francis Bacon at the Tate Gallery, London, in 1965 (Foto:© Graham Greene) |
Mit Giacometti und Bacon wagt die Fondation Beyeler den Vergleich zweier völlig unterschiedlicher Künstler.
Von Philipp Meier | NZZ
«Dies ist der Mann, der mich mehr als irgendein anderer beeinflusst hat.» Alberto Giacometti war Francis Bacons grosses Vorbild. Was aber mag der acht Jahre jüngere Bacon, der künstlerisch ganz andere Wege ging, in Giacometti gesehen haben? Kann das uns vielleicht eine Gegenüberstellung dieser beiden Giganten der modernen Kunst verraten?
Solche Künstlerdialoge sollen ja manchmal fruchtbar sein. Erst gerade ist im Kunstmuseum Winterthur eine Schau zu Giacometti und Hodler eröffnet worden. Und vor anderthalb Jahren kombinierte das Musée Picasso in Paris die Kunst des dort beheimateten Meisters mit Werken Giacomettis, während gleichzeitig die Frankfurter Schirn-Kunsthalle Giacometti mit Bruce Nauman zusammenbrachte. Das hat manchmal auch einen etwas didaktischen Anstrich. Wir sollen vergleichen und alles in neuem Licht sehen.
Nun also in der Fondation Beyeler Giacometti und Bacon. Sie haben sich immerhin gekannt. Während ihrer Retrospektiven in der Tate Gallery in den sechziger Jahren sind sie sich jedenfalls begegnet. Gemeinsam sollen sie ganze Londoner Nächte durchzecht haben. Die ausschweifende Lebensführung war beiden eigen. Der eine, Bacon, trank übermässig, der andere, Giacometti, rauchte fast ununterbrochen. Auch waren sie mit derselben Frau im Bett: Isabel Rawsthorne, die Malerin, die Bacon mit Giacometti bekannt gemacht hatte, soll die einzige Frau gewesen sein, mit der sich der homosexuelle Brite je auf ein erotisches Abenteuer einliess. Als Modell hat Isabel, die schöne, trinkfeste Lebefrau, ins Werk beider Eingang gefunden. Mit beiden persönlich bekannt war schliesslich auch Ernst Beyeler. Er vermittelte als Galerist ihre Arbeiten, und in seiner Sammlung sind Hauptwerke von ihnen zu finden. Grund genug also für eine solche Doppelausstellung.
Die Kuratoren können denn auch verblüffende formale Übereinstimmungen zutage fördern. So soll Bacon etwa den Käfig, in den er gerne seine gespenstischen Päpste setzte, von Giacometti übernommen haben. Vergleichbar sind auch der obsessive Schaffensdrang, der permanente Zweifel am eigenen Werk, das unbedingte Bekenntnis zur menschlichen Figur. Beide sind in der Nachkriegszeit zu Ruhm gelangt. Das Menschenbild war von zwei Weltkriegen erschüttert. So wird in der Ausstellung auch stimmig argumentiert, dass sich Giacometti wie Bacon mit denselben wohl existenzialistisch angehauchten Fragen nach dem modernen Menschen befassten. Einsamkeit und Schmerz, Sexualität und Gewalt, Leben und Tod – die Nöte des Daseins waren immer schon grosse Themen der Kunst.
Nichts als Chaos
Während solche Parallelen die Gegenüberstellung zweier völlig verschiedener Œuvres etwas einleuchtender machen, ist für den Besucher aber eigentlich vor allem das Unvereinbare das Interessante. Und dieses kann er an rund hundert Exponaten feststellen. Das ist bisweilen irritierend. Hellwach jedenfalls erblickt man das vermeintlich längst Bekannte plötzlich wie zum ersten Mal. Da ist der eine, Bacon, mit seiner lauten Malerei von poppig knalligen Farben und einem manchmal fast cartoonartigen Stil. Und da ist der andere, weitaus stillere Giacometti, der in Gips und Ton arbeitete und die Farbtönung der Erde auch in seiner Malerei bevorzugte. Der Zusammenstoss der beiden Werke führt unweigerlich dazu, dass das eine das andere in seiner Eigenheit heraushebt.
Die Schau gewährt auch einen Einblick in die Arbeitssituation der beiden Künstler. In einer Multimedia-Installation werden die Ateliers der Protagonisten in bewegten Bildern rekonstruiert, die auf historischem Fotomaterial beruhen. Die beengten Raumverhältnisse dieser Ateliers – der von Giacometti porträtierte Japaner Isaku Yanaihara sprach von einer Bruchbude – und vor allem das totale Chaos darin verraten jedenfalls mehr über eine allfällige Seelenverwandtschaft als alle herbeigezogenen Parallelen in Leben und Werk. In diese Höhlen zogen sich Giacometti und Bacon täglich zurück, um ihren ureigenen Kampf mit der Kunst auszufechten.
Denn von Arbeiten in herkömmlichem Sinn konnte in diesen chaotischen Klausen keine Rede sein. Da ging es nicht ums Konzipieren, Entwerfen und Ausführen von Kunstwerken, wie es heute so viele Kunstschaffende tun, als übten sie irgendeine Profession aus. Die Werke, die Bacon und Giacometti schufen, wenn man hier überhaupt von Erschaffen in einem kreativ-schöpferischen Sinn sprechen kann, sind eigentlich keine fertigen künstlerischen Produkte. Es sind vielmehr durch Zufall begonnene, oft wieder abgebrochene, meist unvollendete und vor allem irgendwie immer gescheiterte Versuche geblieben.
Das sieht man den Exponaten auch an. Dass sie hier überhaupt gezeigt werden können, verdankt sich oft dem Einschreiten von Drittpersonen. Im Fall von Alberto Giacometti war es der Bruder Diego, der immer wieder Arbeiten vor dem Zerfall oder, noch schlimmer, vor der Zerstörung durch die eigene Hand des Künstlers rettete und für die Vorbereitung zum Bronzeguss zur Seite nahm. Bei Bacon geht die Anekdote, dass sein Galerist jeweils Bilder für fertig befand, bevor sie von der aggressiven Arbeitswut ihres Urhebers bis zur Unkenntlichkeit zugemalt oder gar willentlich vernichtet werden konnten.
Kunst als Exzess
Vor allem aber sprechen die Werke selber von diesem täglichen Wahnsinn, dem sich Giacometti wie Bacon aussetzten. Giacomettis Figuren sind von Narben und Schrunden, Rissen und Kerben übersät, die er ihnen in seinem Ringen mit der Unmöglichkeit, einem adäquaten menschlichen Abbild näherzukommen, mit dem Taschenmesser zufügte. Dasselbe gilt für seine Porträtbilder, die zerkratzt sind von suchenden Pinselhieben im Kampf um den richtigen Ausdruck. Manchmal bleibt von den Porträtköpfen in zentimeterdicker grauer Farbschicht, die alles davor sichtbar Gewesene unter sich begraben hat wie eine Schlammlawine, fast nur noch ein gespenstisch aus unergründlicher Leere starrendes Augenpaar übrig.
Nichts als Krise sind auch Bacons Gemälde. Delirierende Pinselschlieren zwingen Körper in unmögliche Verrenkungen, rote Farbe spritzt wie Blut aus aufgeplatzten Fleischhaufen. Mit obszön weiss leuchtender Ölfarbe werden Knochen und Zähne blossgelegt, schwarze Pfeile unterstreichen die Bewegungsrichtungen sich windender Leiber. Und alle Torsion und Konvulsion gefriert plötzlich in der Schockstarre eines krampfhaft herausgepressten Schreis, als ob Bacon seine Figuren auf den elektrischen Stuhl gefesselt hätte.
Michel Leiris, der von beiden Künstlern porträtiert wurde, hat einmal in Bezug auf Giacometti bemerkt, was geradeso gut Bacon hätte gelten können: «Ich mag die Bildhauerei Giacomettis, weil alles, was er macht, die Versteinerung einer Krise zu sein scheint.» Im Grunde war beider Schaffen in einer permanenten Krise begriffen. Das macht die zwei Künstler zu Schicksalsgenossen.
In letzter Konsequenz betraf die Krise ihre ganze seelische wie körperliche Existenz. Was wir sehen in der Fondation Beyeler, ist deshalb weit entfernt von gewöhnlichen Kunstprodukten. Es ist vielmehr die zu Kunst erstarrte Verausgabung eines Lebens als Exzess. Das lässt uns diese Werke bisweilen wie kostbare Reliquien erscheinen.
Riehen, Fondation Beyeler, bis 2. September. Katalog Fr. 62.50.
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Einsamkeit und Schmerz, Sexualität und Gewalt, Leben und Tod: diese ewigen Themen in der Kunst haben diese beiden Künstler sich wie im Delir regelrecht immer wieder neu ausgewrungen. Der eine mit seinen zerhackten und verstellten Torsi - der andere, der im Ringen mit dem Abbild die Figur jeweils bis aufs Skelett traktierte ...
Beide Künstler wollten dem Menschen "beikommen", beide haben vor Abscheu mit gleichzeitiger Empathie mit dem Modell gerungen und sich in ihm verloren - eben um den Kern abzubilden.
Es ging nicht um die saftige Frucht rundherum, es ging um den Kern, den Stein, der innen drin schlummert und freigelegt werden wollte ...
Insofern arbeiteten beide auch als Ausgräber und Archäologen: nämlich zur unverbrüchlichen Substanz vorzustoßen, da wo die Gene sich bilden und brodeln und köcheln - da wo vielleicht das Erb-"gut" blüht - was sich dann beim Freilegen und Erforschen Schicht um Schicht vielleicht letztlich als stinkig, faulig, schleimig, eitrig - als "schlecht" entpuppte ...
In ihrer künstlerischen Besessenheit wurden beide oft zu Massenmördern an ihren jeweiligen Motiven. Irgendeinen Trost jedenfalls kann man in ihren Arbeiten nur erahnen: vielleicht - in dem Eingeschlossenes von ihnen freigelegt - und aus einer Enge be-freit wird ... - S!