KULTUR
Nur echt mit Neo-Rauch-Gelb
Von Marc Reichwein | DIE WELT
Die teuersten deutschen Maler der Gegenwart haben alle bei Arno Rink studiert. Nun rückt eine Ausstellung den Mentor in den Vordergrund
Die Witwe ist auch da. Kupferrotes Haar und elegantes Schwarz, dunkle Sonnenbrille. Ihr Mann, Arno Rink, ist im September 2017 gestorben. Er hat die Ausstellung „Ich male!“ im Leipziger Museum der Bildenden Künste nur noch teilweise mit kuratieren können.
Die dunkle Sonnenbrille muss wohl sein. Ein bisschen will sich Christine Rink ja auch schützen. Die nackte Frau auf fast allen Rink-Leinwänden, das ist immer sie. „Darf man in Zeiten der ‚MeToo‘-Debatte ja auch mal betonen“, sagt Alfred Weidinger, der Direktor vom Leipziger Museum der Bildenden Künste zur Eröffnung.
Arno Rink inmitten seines Ateliers - Bildquelle. monopol-kunstmagazin |
Eine Arno-Rink-Retrospektive ist nicht selbstverständlich. Es musste mit Weidinger erst ein Österreicher Direktor im städtischen Kunstmuseum von Leipzig werden, um Arno Rink die Ausstellung zu bescheren, die sein berühmtester Schüler – just saying: Neo Rauch – längst gehabt hat.
Arno/Neo. Rink/Rauch. Schon die Namen klingen ähnlich. Dass Arno Rink der Urahn von Neo Rauch ist, kann man auch sehen: an gewissen Kompositionen, den rätselhaften Gestalten, am meisten aber in den besonderen Farbakzenten. Rinks grelles Gelb ist eine Farbe, die definitiv auch bei Neo Rauch anzutreffen ist. Vielleicht steigen die Preise von Rink jetzt ja noch ein bisschen? In einschlägigen Sammlungen ist er längst vertreten. Dass die Rinks aus Wien, Berlin, aus dem Frankfurter Städel oder der Moritzburg in Halle zahlreich nach Leipzig reisen durften, liegt auch daran, dass sich Rink selbst diese Leihgaben quasi-testamentarisch gewünscht hat. Rund 200 Gemälde, von denen man jetzt rund 60 in Leipzig sehen kann, umfasst das Rink-Œuvre. Da kann man schon mal ein Ausrufezeichen in den Titel der Ausstellung setzen: „Ich male!“
Als Professor und Rektor der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) hatte Arno Rink, Jahrgang 1940, immer einen Namen, aber vielleicht nicht in erster Linie als Künstler, sondern als Lehrer und Mentor. Kunsthistorikerkreise kennen und schätzen Rink als Wegbereiter der figurativen Malerei. Man kann in ihm das entscheidende Bindeglied zwischen der Generation eines Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und der Neuen Leipziger Schule der Nachwendezeit sehen: Neo Rauch, Tim Eitel, Matthias Weischer, David Schnell et cetera.
Im Rink-Werdegang und Werk spiegelt sich die Emanzipation der DDR-Kunst vom sozialistischen Realismus exemplarisch wider: Rinks Frühphase – inklusive seiner eigenen Diplomarbeit, dem Gemälde „Lied vom Oktober II“ zur Russischen Revolution 1917 – bedient noch ganz das, was vom System gewollt und gefragt war. Die politischen Sujets setzen sich mit „Canto Libre“ (Pablo Neruda im Kuba- und Chile-Kontext) fort und führen über erotisch-mythologische Motive zu Rinks besonderer Vorliebe für komplexen Bildaufbau. Leitern, manchmal aber auch nur nicht getilgte Hilfsstriche regieren Rinks Kompositionen der frühen 80er-Jahre, während er später immer düsterer und dunkler wird. In „Die Nacht“ oder „Die Höhle“ sieht die Persönlichkeit psychisch schon sehr mitgenommen aus.
Zu den stillen Sensationen von Arno Rinks Biografie gehört es, dass er vor und nach der Wende als Rektor der Leipziger HGB amtierte. Normalerweise gab es an ostdeutschen Hochschulen nur ein Amt danach oder davor, ein Entweder/Oder. In Zeiten, in den ein ganzes Land abgewickelt und evaluiert wurde, war Rink ein Zeichen seltener Kontinuität. Arbeiten wie die „Ministerprotokolle“ oder „Brennendes Atelier“ zeigen, wie nachhaltig Rink mit der hochschul- und kulturpolitischen Umbruchsituation befasst war. Eine andere Kunst als „Staatskunst“ gab es in diesem Staat namens DDR ja nie.
Schon die ganzen 80er-Jahre müssen als krisenhafte Vorwendezeit gelesen werden: In einer von Nicola Graef gedrehten, sehr empfehlenswerten Dokumentation über Arno Rink (zu sehen in der Arte-Mediathek) verdichtet sich das ganze surreale Theater der DDR-Staatskunst in einer köstlichen Szene: 1987, große Begehung bei einer Ausstellung zeitgenössischer DDR-Malerei in Dresden. Arno Rink erklärt einem sichtlich desinteressiert dreinblickenden Honecker eines seiner Gemälde. Noch viel unvergesslicher lauscht Egon Krenz in der zweiten Reihe. Eine Schlüsselszene für eine Staatsführung, dem die Meinungshoheit über die Kunst längst entglitten war.
Der drohende Exodus des Staates und der Kollaps des persönlichen Freundeskreises – durch Künstler, die von ihren genehmigten Reisen uns nichtsozialistische Ausland nicht mehr zurückkehrten, grundiert Rinks Werk. Melancholie, Trübsal und Rätselhaftigkeit der Vor- und Nachwendezeit finden ihre Entsprechungen in Farben, die bei Arno Rink nur selten einmal froh leuchten. Am besten ist er vielleicht wirklich da, wo er als Porträtist seinen Vorbildern Otto Dix und Max Beckmann nacheifert. Oder wo seine Kompositionen rätselhafte Schatten werfen, die sein Schüler Neo Rauch dann aufgehellt und greller, neonfarbener gemacht hat.
Zu den historischen Verdiensten des Rektors Rink wird man zweierlei zählen dürfen: Zum einen hat er zu DDR-Zeiten Freiräume für die Malerei erhalten und kultiviert. Zum anderen hat er immer an seine Schüler geglaubt, gerade auch in der Nachwendezeit, als figurative Malerei – aus westdeutsch-abstrakter Perspektive – so außer Mode war wie die ganze DDR. Diese biografische Komponente stellt eine bedeutende Eigenheit im malerischen Schaffen Rinks dar – und wird in der Ausstellung prominent gewürdigt.
Fast schon Performance-Charakter nimmt das Jahr 1982 an, in dem sich Rink von seiner Künstlermähne getrennt und fortan mit superkurz beziehungsweise kahl rasierten Schädel gelebt hat. Persönlich scheint Arno Rink alles andere als ein exzentrischer Typ gewesen sein. Im Gegenteil: „Die Liebe und Form der Zuneigung, die mein Mann von allen Seiten erfahren hat, ist einmalig – und kann nur damit zu tun haben, dass er keinen Neid kannte“, erzählt Christine Rink. Das sagt sich so leicht über einen Hochschullehrer, der erst mal gönnen können muss, wenn seine Schüler plötzlich reihenweise berühmt wurden – und berühmter als er selbst. Beim Rausgehen sagt die Witwe mit der dunklen Sonnenbrille: „Ich war Maria Magdalena, ich war eine von Lots Töchtern. Ich stand für so ziemlich alles Modell, was gerade gefragt war. Mehr kann man in einem Werk wirklich nicht vorkommen.“
Arno Rinks Gemälde "Aufstieg 1" von 1985. Breitbeinig melancholisch im Bild sitzt der Maler selbst. Michael Ehritt/© VG BILD-KUNST BONN, 2018 |
- Leipzig, Museum der Bildenden Künste. Bis 19. August.
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das bild "aufstieg" hat mich gleich berührt - mal ganz abgesehen von der kunsthistorisch oder biografisch vielleicht "gemeinten" und formulierten politischen zeitgeist-deutung dieses 1985 entstandenen bildes - also 4-5 jahre vor der wende in leipzig entstanden.
da trägt anscheinend jemand kopfüber herunterhängend einen hauchdünn in "neo-rauch-gelb" gewandeten realistisch ausgeformten weiblichen drahttorso mit schwarzer haarperücke an den beinen armunter eine leiter hinauf: und diese alptraumszene erinnert mich an einen ganz wichtigen schlüsseltraum in meinem leben: in dem ich ebenso kopfüber hinter mir her allerdings über den boden schleifend einen körper zog - die beiden beine unter jede armbeuge geklemmt, um den toten körper zu "entsorgen" - zu entsorgen aus meinem leben ... - aber nicht einfach die person verschwinden zu lassen - sondern besonders diese beherrschende und subtile "macht" und "beeinflussung" dieser person mein lebenlang: endlich weg damit --- auch im traum kamen da überhaupt keine skrupel hoch - und auch im traum wusste ich, dass ich in realität dieser person "ganz in echt" wieder gegenüberstehen würde ...
aber sie hatte nun keine magische interventionskraft mehr - sie konnte mich nicht mehr "verhexen" - ich war nicht mehr moralisch von ihr abhängig - für mich war das eine ganze wichtige befreiung.
als ich dann heute in der WELT diese abbildung aufschlug, kam mir in den sinn, ob arno rink sich auch mit dem "aufstieg" so etwas belastendes, drückendes von der seele gemalt hat - um sich von einer last zu befreien - bei aller melancholie und trauer, die das dann auch beinhaltet ...