Streit um Asylbewerberheim in Berlin: Der überforderte Kiez
INKLUSION & DIE ALLTAGSWIRKLICHKEIT:
ALLES WAS FREMD IST SOLL DRAUSSEN BLEIBEN
Von Christina Hebel | SPIEGEL-ONLINE
Im Berliner Bezirk Hellersdorf wird eine ehemalige Schule zu einem Asylbewerberheim umgebaut, Ende des Monats sollen die ersten Flüchtlinge kommen. Anwohner sind verunsichert, viele lehnen die Unterkunft vor ihrer Haustür ab. Die NPD versucht die Stimmung für sich zu nutzen.
Berlin - Viel musste er sich schon anhören: "Ich habe erfahren, ihr beschäftigt Polen, da wollte ich doch mal schauen." Oder: "Mal sehen, wann es hier brennt." Eine Drohung? "Hunde, die bellen, beißen nicht", sagt der Mann, aber weiß man es? Er zuckt mit den Schultern, seinen Namen will er lieber nicht nennen.
Er arbeitet für ein privates Unternehmen, das sich im Auftrag der Stadt Berlin um den Umbau der seit Jahren leerstehenden Max-Reinhardt-Schule im Bezirk Marzahn-Hellersdorf kümmert. Einen Umbau, den viele im Kiez ablehnen. Das ehemalige Gymnasium, drei graue vierstöckige Plattenbauten, ein mit Unkraut zugewucherter Schulhof, wird zu einem Asylbewerberheim umfunktioniert, so hat es der Bezirk kürzlich entschieden.
Bauarbeiter sind nun dabei, aus Klassenzimmern Wohnräume zu machen - auch an diesem Samstag, die Zeit drängt. Erst soll das Gebäude 200, später einmal 400 Flüchtlingen Zuflucht bieten. Ende Juli sollen die ersten 50 Asylsuchenden aus Syrien und dem Irak kommen.
Mischung aus Ängsten und Vorurteilen
Fremde, die im Kiez nicht so recht erwünscht sind. Das Wort Asylbewerberheim macht hier Angst, erinnert es doch an 1992, an den Überfall des Flüchtlingsheims in Lichtenhagen, randalierende Neonazis, Anwohner, die zuschauten. In den bunt angemalten DDR-Plattenbauten, die sich kilometerweit am nordöstlichen Rand Berlins aneinanderreihen, wollen die Leute vor allem eins - ihre Ruhe.
Und so ist "aber" das Wort, das man häufig zu hören bekommt, wenn über das Flüchtlingsheim gesprochen wird. Dann folgen Erklärungen wie: "Das alte Gebäude ist aber doch gar nicht geeignet für die Flüchtlinge" oder "Uns fehlen aber doch Schulen, unsere Schülerzahlen wachsen". Es ist eine verquere Melange aus Ängsten und Vorurteilen in einem Viertel, in dem Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit hoch sind, der Alkohol bei manch einem schon am Morgen fließt.
Nicola Ponitka ist eine der wenigen im Kiez, die ihren Ausländerhass direkt und mit Namen äußert. Die 18-jährige Mutter sagt Sprüche wie: "Ausländer machen Dreck und Müll, bringen Kriminalität. Ich will eine Mauer um Deutschland."
"Die haben uns überrumpelt"
Ein Bewohner, der gegenüber der Schule wohnt und anonym bleiben will, formuliert es so: "Jetzt kommt da so was rein - der Asylant." Alle im Block hätten Angst, um ihre Kinder, ihre Autos, sagt er, als er Hundefutter und Brot aus seinem grünen Kleinwagen lädt. "Die haben uns überrumpelt", schimpft er.
Mit die meint er den Bezirk und die Politiker. Diese haben im Fall des Hellersdorfer Flüchtlingsheims in der Tat keine gute Figur gemacht - trauriger Höhepunkt: eine Informationsveranstaltung am Mittwoch. Bis zu 900 Anwohner waren gekommen, um sich über das Asylbewerberheim zu informieren, angereist waren auch 70 NPD-Anhänger aus Berlin und Brandenburg. Sie nutzten den Abend, um Stimmung zu machen. Es war kein guter Abend für Hellersdorf, von den Politikern widersprach den Rechtsextremen so gut wie niemand.
Immer wieder ergriffen sie das Mikrofon - auch NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke, der vom Landesverfassungsschutz als langjährig aktiver Neonazi bezeichnet wird. Auf einigen T-Shirts von Teilnehmern stand laut Beobachtern das Datum: 22. bis 26. August 1992 - die Tage von Rostock-Lichtenhagen. "Nein zum Heim", "Volksverräter", "Lügen" skandierten Mitglieder der NPD. Linke riefen "Nazis raus", es kam zu Rangeleien.
Von Pogromstimmung sprach später die Linken-Bundestagabgeordnete Petra Pau. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), sah sich genötigt, die Berliner zur Besonnenheit zu mahnen.
Lärm gegen NPD-Parolen
Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) nennt die Veranstaltung "schlimm". Er hatte mit dem für Asylbewerber zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales dazu eingeladen. Komoß muss sich nun Fragen gefallen lassen, warum das Treffen so eskaliert ist. Er steht am Samstag auf dem Platz vor dem Rathaus Hellersdorf, Demonstranten rufen "Nazis raus" und "Haut ab". Laute Musik dröhnt aus Boxen, Trillerpfiffe ertönen.
Die NPD versucht wenige Meter weiter einmal mehr, gegen Ausländer zu hetzen. Sie tourt an diesem Tag mit einem Laster durch die Hauptstadt, darauf prangt die Aufschrift "Einwanderung stoppen!" Das NPD-Fahrzeug hält auch vor dem Asylbewerberheim. Ein Anhänger macht Fotos - eine Provokation. In Kreuzberg, an der ersten geplanten Station, waren die Rechtsextremen am Morgen allerdings erst gar nicht aufgetaucht, 450 Gegendemonstranten warteten dort.
Doch in Hellersdorf will die NPD nun Flagge zeigen, auch wenn sie nur mit 15 Leuten vertreten ist. Landeschef Schmidtke versucht gegen den Lärm der mittlerweile 500 Gegendemonstranten anzukommen - er hält nur eine kurze Rede. Eier fliegen, Schmidtke muss mit Schirmen geschützt werden.
Neuer Anlauf für Info-Veranstaltung
SPD-Mann Komoß räumt derweil ein, dass die Behörden die Lage einige Tage zuvor unterschätzt hätten. Dabei gab es Anzeichen genug, dass Rechtsextreme die Diskussion über das Flüchtlingsheim ausnutzen würden. Auf Facebook hetzt die "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf" gegen die Unterkunft. "Wir sind das Volk! Nein zum Heim!" steht da. Es sollen auch Flugblätter verteilt worden sein. Mit den Flüchtlingen kämen Müll, Drogenhandel, Gewalt und Prostitution in den Kiez, heißt es dort. Laut Verfassungsschutz gehört der Bürgerinitiative mindestens ein ehemaliges Mitglied der NPD an.
Komoß weiß, dass in den kommenden Wochen viel Arbeit auf ihn zukommt. Er will den Anwohnern die Angst nehmen, ihnen erläutern, dass die Flüchtlinge ein Recht auf Asyl haben, sagt er. Es sei Zeichen der Menschlichkeit, die Flüchtlinge in Hellersdorf aufzunehmen. Auf Facebook hat sich mittlerweile eine Unterstützer-Gruppen "Hellersdorf hilft Asylbewerbern" gegründet. Ende August will der Bürgermeister zu einer zweiten Informationsveranstaltung einladen, dieses Mal soll sie besser vorbereitet werden, verspricht er.
Noch ein Eklat kann sich der Bezirk nicht leisten, dessen Ruf nun noch mehr gelitten hat. "Jetzt sind wir nicht nur Plattensiedlung, sondern auch Rechtenhochburg", seufzt eine junge Frau. Die Politiker müssen das wieder geradebiegen", fordert Angelika Schulze, eine 65-jährige Anwohnerin. Sie kann die Ängste der Menschen nicht verstehen: "Die sind doch nur künstlich geschürt." Die Politiker müssten den Leuten vor Augen halten, was es für Flüchtlinge bedeute, kein Zuhause mehr zu haben.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-streit-um-geplantes-asylbewerberheim-in-hellersdorf-a-910964.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/buerger-verhindern-npd-kundgebung-in-berlin-a-910956.html
.............................
sinedimeint dazu:
Erst neulich berichtete ich hier im Blog über einen ähnlichen Eklat in Herford/Westfalen, wo Ewiggestrige nächtens Anti-Pamphlete gegen die Einrichtung eines Wohnappartmenthauses mit Gastronomie für Menschen mit Behinderungen der Lebenshilfe geklebt hatten - http://nunchic.blogspot.de/2013/06/inklusion-ausgrenzungspamphlete-in.html - und Herford liegt ja gemessen an Berlin in der allerfinstersten und verschlafenen Provinz ...
In diesem Berlin nun, in Deutschlands so "toleranter und bunter Weltstadt", passiert gegenüber den Asylbewerbern, die hauptsächlich aus den kriegsgeschüttelten Regionen Syrien und dem Irak kommen, etwas ganz Ähnliches ... Auch wenn - zugegeben - natürlich mal wieder solch ein Asylbewerberheim in Berlins abseitsgelegenste Randlage gedrängt werden soll - und wo vielleicht deshalb auch so etwas wie provinzielle Verhältnisse wie in Herford herrschen - und natürlich außerhalb der City oder gar dem Regierungsviertel, denn da würde der Anblick ja - wahrscheinlich so die Überlegung - auch nur stören - da sind bestenfalls schwarze Präsidenten mit ganz ganz großen Kopfhörern zum Abhören willkommen...
Die deutsche Seele hat eben mit diesen Gedanken der allgemeinen "Inklusion", also der uneingeschränkten Annahme, Gleichberechtigung, Eingliederung und offenen Begegnung aller Menschen in der Gesellschaft - egal welcher Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Beeinträchtigung usw.- große Probleme - auch noch fast 70 Jahre bzw. zwei Generationen nach dem Ende der unseligen NS-Zeit und mitten in einer "global" denkenden und übervernetzten Welt.
Soziale Inklusion, die im Grundrecht und in den Menschenrechten verbrieft ist, betrifft keineswegs nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch Senioren, Migranten, Kinder und Jugendliche mit besonderen Herausforderungen usw. Eine tatsächliche Inklusionsmaßnahme bestünde z.B. darin, Asylbewerber gar nicht erst in eigens für sie eingerichteten Heimen wie da in Berlin geplant unterzubringen. Als Gruppen, die schlicht durch angebotene Weiterbildungsmaßnahmen inkludiert werden müssten, bezeichnet das „Deutsche Institut für Erwachsenenbildung“ „Migrant/inn/en, Geringqualifizierte, Langzeitarbeitslose und funktionale Analphabeten“.
Vieles "Fremde" oder erstmal "fremd und ungewöhnlich Daherkommende" wird von einem Großteil der bereits vorhandenen Bevölkerung offen oder auch hinter vorgehaltener Hand, gespickt mit uralten Vorurteilen, überaus ängstlich und engstirnig oder politisch verbrämt abgelehnt. Dabei sind diese aktiven Ablehner keineswegs immer Alteingesessene, sondern sind oftmals auch aus irgendwelchen persönlich-privaten oder wirtschaftlichen Gründen erst selbst dort ansässig geworden, wo sie jetzt die neuen Nachbarn nicht dulden wollen - oft selbst auch "Gestrandete" nach einer privaten "Flucht" - z.B. vor dem verlassenen Ehepartner, vor der pleitegegangenen Firma, in der man angestellt war - und ähnlichen unterschiedlichsten Schicksalsschlägen ...
Eine Solidarität mit den Menschen, die nun aus den immer noch brennenden Kriegsgebieten nach Deutschland kommen, ist leider nur bei Wenigen uneingeschränkt vorhanden. In der Weltstadt Berlin genauso wie in der verschlafenen Provinz in Herford. Und dabei haben die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse der letzten 100 Jahre ganze Familien, oder die Geschwister einer Glaubensgemeinschaft und die Bewohner ganzer Orte und Regionen zu Fluchten aus ihrem "angestammten" Wohnsitzen veranlasst. Und überall da, wo der Deutsche als "Reise-Weltmeister" mit seinem Flieger im Ausland landet - ist er daselbst ein "Fremder" - und das gilt auch immer noch für Mallorca, Lloret de Mar und Antalya ...
Aber BILD-ONLINE beschert uns währenddessen folgende Schlagzeile mit dazugehörendem Jubeltext:
und zählt in dem Artikel 100 Gründe dafür auf - unter anderem ... "weil die ganze Welt nach Deutschland reist"... - und ... "weil man so schnell weg ist (eine Flugstunde nach Polen, zwei nach Italien, drei nach Israel)" ...
Das alles klingt gemessen an den tatsächlichen Vorkommnissen und der tatsächlichen Mentalität da in der Metropole Berlin, in Marzahn-Hellersdorf, und neulich in Herford und anderswo doch ziemlich abgehoben und unangemessen: ...WIR DEUTSCHEN - und allmählich schon wieder: DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND - ÜBER ALLES ...http://www.bild.de/news/inland/umfrage/100-gruende-warum-deutschland-das-beliebteste-land-der-welt-ist-31289464.bild.html:
Doch aufgepasst:"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch": Seit fünfzig Jahren kennen die Deutschen diesen Satz von Bertolt Brecht. Er steht im Epilog des Theaterstücks "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", das die Hitlerzeit und den Nazismus in die Gangsterwelt transferiert.
Ja - wenn Deutschland anfängt, wieder in allen Disziplinen "Weltmeister" werden zu wollen - ÜBER ALLES zu dominieren - auch nach eigenem Selbstverständnis:
In der Formel 1, im Fußball vielleicht - aber auch als "Spar-Welt-" und zumindest nach Merkelscher-Lesart auch "Spar-Europameister" und dann noch als unverbesserlicher "Müll-Sortier-Weltmeister": dann fängt dieser Schoß des Faschismus an, wieder fruchtbar zu werden: Die NSU-Mordserie und der derzeitig laufende Prozess dazu haben das bereits deutlich vor Augen geführt - und es gibt ja seit über 20 Jahren ja immer mal wieder diese oftmals erschütternden Scharmützel der rechtsradikalen Neofaschisten hier und da mit "fremden"feindlichen Hintergründen - im Osten und auch im Westen der Republik - die in ihren Dimensionen schon oft an die "Reichspogromnacht" erinnern lassen.
Allmählich wird wieder klar, dass dieser Brecht'sche Satz nicht nur Bedeutung hat für den Deutschunterricht an Gymnasien. Es ist dies ein Satz von eindeutiger deutscher und gegenwärtiger Wahrheit ... - und wir sollten uns daran erinnern und uns von der Decke wieder abkratzen, zu der wir nur zu gern hochfliegen bzw. aufsteigen:
Wir sollten rasch all diese eigenartig fruchtbaren Gefilde wieder ein für allemal trockenlegen und den Stöpsel ziehen ...
INKLUSION & DIE ALLTAGSWIRKLICHKEIT:
ALLES WAS FREMD IST SOLL DRAUSSEN BLEIBEN
Von Christina Hebel | SPIEGEL-ONLINE
Im Berliner Bezirk Hellersdorf wird eine ehemalige Schule zu einem Asylbewerberheim umgebaut, Ende des Monats sollen die ersten Flüchtlinge kommen. Anwohner sind verunsichert, viele lehnen die Unterkunft vor ihrer Haustür ab. Die NPD versucht die Stimmung für sich zu nutzen.
Berlin - Viel musste er sich schon anhören: "Ich habe erfahren, ihr beschäftigt Polen, da wollte ich doch mal schauen." Oder: "Mal sehen, wann es hier brennt." Eine Drohung? "Hunde, die bellen, beißen nicht", sagt der Mann, aber weiß man es? Er zuckt mit den Schultern, seinen Namen will er lieber nicht nennen.
Er arbeitet für ein privates Unternehmen, das sich im Auftrag der Stadt Berlin um den Umbau der seit Jahren leerstehenden Max-Reinhardt-Schule im Bezirk Marzahn-Hellersdorf kümmert. Einen Umbau, den viele im Kiez ablehnen. Das ehemalige Gymnasium, drei graue vierstöckige Plattenbauten, ein mit Unkraut zugewucherter Schulhof, wird zu einem Asylbewerberheim umfunktioniert, so hat es der Bezirk kürzlich entschieden.
Bauarbeiter sind nun dabei, aus Klassenzimmern Wohnräume zu machen - auch an diesem Samstag, die Zeit drängt. Erst soll das Gebäude 200, später einmal 400 Flüchtlingen Zuflucht bieten. Ende Juli sollen die ersten 50 Asylsuchenden aus Syrien und dem Irak kommen.
Mischung aus Ängsten und Vorurteilen
Fremde, die im Kiez nicht so recht erwünscht sind. Das Wort Asylbewerberheim macht hier Angst, erinnert es doch an 1992, an den Überfall des Flüchtlingsheims in Lichtenhagen, randalierende Neonazis, Anwohner, die zuschauten. In den bunt angemalten DDR-Plattenbauten, die sich kilometerweit am nordöstlichen Rand Berlins aneinanderreihen, wollen die Leute vor allem eins - ihre Ruhe.
Und so ist "aber" das Wort, das man häufig zu hören bekommt, wenn über das Flüchtlingsheim gesprochen wird. Dann folgen Erklärungen wie: "Das alte Gebäude ist aber doch gar nicht geeignet für die Flüchtlinge" oder "Uns fehlen aber doch Schulen, unsere Schülerzahlen wachsen". Es ist eine verquere Melange aus Ängsten und Vorurteilen in einem Viertel, in dem Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit hoch sind, der Alkohol bei manch einem schon am Morgen fließt.
Nicola Ponitka ist eine der wenigen im Kiez, die ihren Ausländerhass direkt und mit Namen äußert. Die 18-jährige Mutter sagt Sprüche wie: "Ausländer machen Dreck und Müll, bringen Kriminalität. Ich will eine Mauer um Deutschland."
"Die haben uns überrumpelt"
Ein Bewohner, der gegenüber der Schule wohnt und anonym bleiben will, formuliert es so: "Jetzt kommt da so was rein - der Asylant." Alle im Block hätten Angst, um ihre Kinder, ihre Autos, sagt er, als er Hundefutter und Brot aus seinem grünen Kleinwagen lädt. "Die haben uns überrumpelt", schimpft er.
Mit die meint er den Bezirk und die Politiker. Diese haben im Fall des Hellersdorfer Flüchtlingsheims in der Tat keine gute Figur gemacht - trauriger Höhepunkt: eine Informationsveranstaltung am Mittwoch. Bis zu 900 Anwohner waren gekommen, um sich über das Asylbewerberheim zu informieren, angereist waren auch 70 NPD-Anhänger aus Berlin und Brandenburg. Sie nutzten den Abend, um Stimmung zu machen. Es war kein guter Abend für Hellersdorf, von den Politikern widersprach den Rechtsextremen so gut wie niemand.
Immer wieder ergriffen sie das Mikrofon - auch NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke, der vom Landesverfassungsschutz als langjährig aktiver Neonazi bezeichnet wird. Auf einigen T-Shirts von Teilnehmern stand laut Beobachtern das Datum: 22. bis 26. August 1992 - die Tage von Rostock-Lichtenhagen. "Nein zum Heim", "Volksverräter", "Lügen" skandierten Mitglieder der NPD. Linke riefen "Nazis raus", es kam zu Rangeleien.
Von Pogromstimmung sprach später die Linken-Bundestagabgeordnete Petra Pau. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), sah sich genötigt, die Berliner zur Besonnenheit zu mahnen.
Lärm und Protest gegen NPD-Parolen: 500 Demonstranten gegen 15 NPD-Funktionäre |
Lärm gegen NPD-Parolen
Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) nennt die Veranstaltung "schlimm". Er hatte mit dem für Asylbewerber zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales dazu eingeladen. Komoß muss sich nun Fragen gefallen lassen, warum das Treffen so eskaliert ist. Er steht am Samstag auf dem Platz vor dem Rathaus Hellersdorf, Demonstranten rufen "Nazis raus" und "Haut ab". Laute Musik dröhnt aus Boxen, Trillerpfiffe ertönen.
Die NPD versucht wenige Meter weiter einmal mehr, gegen Ausländer zu hetzen. Sie tourt an diesem Tag mit einem Laster durch die Hauptstadt, darauf prangt die Aufschrift "Einwanderung stoppen!" Das NPD-Fahrzeug hält auch vor dem Asylbewerberheim. Ein Anhänger macht Fotos - eine Provokation. In Kreuzberg, an der ersten geplanten Station, waren die Rechtsextremen am Morgen allerdings erst gar nicht aufgetaucht, 450 Gegendemonstranten warteten dort.
Doch in Hellersdorf will die NPD nun Flagge zeigen, auch wenn sie nur mit 15 Leuten vertreten ist. Landeschef Schmidtke versucht gegen den Lärm der mittlerweile 500 Gegendemonstranten anzukommen - er hält nur eine kurze Rede. Eier fliegen, Schmidtke muss mit Schirmen geschützt werden.
Neuer Anlauf für Info-Veranstaltung
SPD-Mann Komoß räumt derweil ein, dass die Behörden die Lage einige Tage zuvor unterschätzt hätten. Dabei gab es Anzeichen genug, dass Rechtsextreme die Diskussion über das Flüchtlingsheim ausnutzen würden. Auf Facebook hetzt die "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf" gegen die Unterkunft. "Wir sind das Volk! Nein zum Heim!" steht da. Es sollen auch Flugblätter verteilt worden sein. Mit den Flüchtlingen kämen Müll, Drogenhandel, Gewalt und Prostitution in den Kiez, heißt es dort. Laut Verfassungsschutz gehört der Bürgerinitiative mindestens ein ehemaliges Mitglied der NPD an.
Komoß weiß, dass in den kommenden Wochen viel Arbeit auf ihn zukommt. Er will den Anwohnern die Angst nehmen, ihnen erläutern, dass die Flüchtlinge ein Recht auf Asyl haben, sagt er. Es sei Zeichen der Menschlichkeit, die Flüchtlinge in Hellersdorf aufzunehmen. Auf Facebook hat sich mittlerweile eine Unterstützer-Gruppen "Hellersdorf hilft Asylbewerbern" gegründet. Ende August will der Bürgermeister zu einer zweiten Informationsveranstaltung einladen, dieses Mal soll sie besser vorbereitet werden, verspricht er.
Solidaritäts-Transparent in Marzahn-Hellersdorf pro Asylbewerberheim (Originalfoto: DPA/SPIEGEL-FOTOSTRECKE) |
Noch ein Eklat kann sich der Bezirk nicht leisten, dessen Ruf nun noch mehr gelitten hat. "Jetzt sind wir nicht nur Plattensiedlung, sondern auch Rechtenhochburg", seufzt eine junge Frau. Die Politiker müssen das wieder geradebiegen", fordert Angelika Schulze, eine 65-jährige Anwohnerin. Sie kann die Ängste der Menschen nicht verstehen: "Die sind doch nur künstlich geschürt." Die Politiker müssten den Leuten vor Augen halten, was es für Flüchtlinge bedeute, kein Zuhause mehr zu haben.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-streit-um-geplantes-asylbewerberheim-in-hellersdorf-a-910964.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/buerger-verhindern-npd-kundgebung-in-berlin-a-910956.html
.............................
sinedimeint dazu:
Erst neulich berichtete ich hier im Blog über einen ähnlichen Eklat in Herford/Westfalen, wo Ewiggestrige nächtens Anti-Pamphlete gegen die Einrichtung eines Wohnappartmenthauses mit Gastronomie für Menschen mit Behinderungen der Lebenshilfe geklebt hatten - http://nunchic.blogspot.de/2013/06/inklusion-ausgrenzungspamphlete-in.html - und Herford liegt ja gemessen an Berlin in der allerfinstersten und verschlafenen Provinz ...
In diesem Berlin nun, in Deutschlands so "toleranter und bunter Weltstadt", passiert gegenüber den Asylbewerbern, die hauptsächlich aus den kriegsgeschüttelten Regionen Syrien und dem Irak kommen, etwas ganz Ähnliches ... Auch wenn - zugegeben - natürlich mal wieder solch ein Asylbewerberheim in Berlins abseitsgelegenste Randlage gedrängt werden soll - und wo vielleicht deshalb auch so etwas wie provinzielle Verhältnisse wie in Herford herrschen - und natürlich außerhalb der City oder gar dem Regierungsviertel, denn da würde der Anblick ja - wahrscheinlich so die Überlegung - auch nur stören - da sind bestenfalls schwarze Präsidenten mit ganz ganz großen Kopfhörern zum Abhören willkommen...
Die deutsche Seele hat eben mit diesen Gedanken der allgemeinen "Inklusion", also der uneingeschränkten Annahme, Gleichberechtigung, Eingliederung und offenen Begegnung aller Menschen in der Gesellschaft - egal welcher Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Beeinträchtigung usw.- große Probleme - auch noch fast 70 Jahre bzw. zwei Generationen nach dem Ende der unseligen NS-Zeit und mitten in einer "global" denkenden und übervernetzten Welt.
Soziale Inklusion, die im Grundrecht und in den Menschenrechten verbrieft ist, betrifft keineswegs nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch Senioren, Migranten, Kinder und Jugendliche mit besonderen Herausforderungen usw. Eine tatsächliche Inklusionsmaßnahme bestünde z.B. darin, Asylbewerber gar nicht erst in eigens für sie eingerichteten Heimen wie da in Berlin geplant unterzubringen. Als Gruppen, die schlicht durch angebotene Weiterbildungsmaßnahmen inkludiert werden müssten, bezeichnet das „Deutsche Institut für Erwachsenenbildung“ „Migrant/inn/en, Geringqualifizierte, Langzeitarbeitslose und funktionale Analphabeten“.
Vieles "Fremde" oder erstmal "fremd und ungewöhnlich Daherkommende" wird von einem Großteil der bereits vorhandenen Bevölkerung offen oder auch hinter vorgehaltener Hand, gespickt mit uralten Vorurteilen, überaus ängstlich und engstirnig oder politisch verbrämt abgelehnt. Dabei sind diese aktiven Ablehner keineswegs immer Alteingesessene, sondern sind oftmals auch aus irgendwelchen persönlich-privaten oder wirtschaftlichen Gründen erst selbst dort ansässig geworden, wo sie jetzt die neuen Nachbarn nicht dulden wollen - oft selbst auch "Gestrandete" nach einer privaten "Flucht" - z.B. vor dem verlassenen Ehepartner, vor der pleitegegangenen Firma, in der man angestellt war - und ähnlichen unterschiedlichsten Schicksalsschlägen ...
Eine Solidarität mit den Menschen, die nun aus den immer noch brennenden Kriegsgebieten nach Deutschland kommen, ist leider nur bei Wenigen uneingeschränkt vorhanden. In der Weltstadt Berlin genauso wie in der verschlafenen Provinz in Herford. Und dabei haben die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse der letzten 100 Jahre ganze Familien, oder die Geschwister einer Glaubensgemeinschaft und die Bewohner ganzer Orte und Regionen zu Fluchten aus ihrem "angestammten" Wohnsitzen veranlasst. Und überall da, wo der Deutsche als "Reise-Weltmeister" mit seinem Flieger im Ausland landet - ist er daselbst ein "Fremder" - und das gilt auch immer noch für Mallorca, Lloret de Mar und Antalya ...
Aber BILD-ONLINE beschert uns währenddessen folgende Schlagzeile mit dazugehörendem Jubeltext:
"DEUTSCHLAND IST DAS BELIEBTESTE LAND DER WELT: Es gibt viele gute Gründe, Deutschland zu mögen. Die Welt hat das erkannt, wie eine Umfrage der britischen BBC unter 26 000 Menschen in allen Erdteilen zeigt. Überall gelten wir als „symphatisch“, „weltoffen“ und „innovativ“. Auch eine Online-Befragung des Goethe-Instituts zur europäischen Kultur bestätigt das. Das Ergebnis von 22 235 ausgefüllten Fragebögen: Berlin ist die beliebteste Stadt, Deutschland das beliebteste Land Europas..."
und zählt in dem Artikel 100 Gründe dafür auf - unter anderem ... "weil die ganze Welt nach Deutschland reist"... - und ... "weil man so schnell weg ist (eine Flugstunde nach Polen, zwei nach Italien, drei nach Israel)" ...
Das alles klingt gemessen an den tatsächlichen Vorkommnissen und der tatsächlichen Mentalität da in der Metropole Berlin, in Marzahn-Hellersdorf, und neulich in Herford und anderswo doch ziemlich abgehoben und unangemessen: ...WIR DEUTSCHEN - und allmählich schon wieder: DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND - ÜBER ALLES ...http://www.bild.de/news/inland/umfrage/100-gruende-warum-deutschland-das-beliebteste-land-der-welt-ist-31289464.bild.html:
Doch aufgepasst:"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch": Seit fünfzig Jahren kennen die Deutschen diesen Satz von Bertolt Brecht. Er steht im Epilog des Theaterstücks "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", das die Hitlerzeit und den Nazismus in die Gangsterwelt transferiert.
Ja - wenn Deutschland anfängt, wieder in allen Disziplinen "Weltmeister" werden zu wollen - ÜBER ALLES zu dominieren - auch nach eigenem Selbstverständnis:
In der Formel 1, im Fußball vielleicht - aber auch als "Spar-Welt-" und zumindest nach Merkelscher-Lesart auch "Spar-Europameister" und dann noch als unverbesserlicher "Müll-Sortier-Weltmeister": dann fängt dieser Schoß des Faschismus an, wieder fruchtbar zu werden: Die NSU-Mordserie und der derzeitig laufende Prozess dazu haben das bereits deutlich vor Augen geführt - und es gibt ja seit über 20 Jahren ja immer mal wieder diese oftmals erschütternden Scharmützel der rechtsradikalen Neofaschisten hier und da mit "fremden"feindlichen Hintergründen - im Osten und auch im Westen der Republik - die in ihren Dimensionen schon oft an die "Reichspogromnacht" erinnern lassen.
Allmählich wird wieder klar, dass dieser Brecht'sche Satz nicht nur Bedeutung hat für den Deutschunterricht an Gymnasien. Es ist dies ein Satz von eindeutiger deutscher und gegenwärtiger Wahrheit ... - und wir sollten uns daran erinnern und uns von der Decke wieder abkratzen, zu der wir nur zu gern hochfliegen bzw. aufsteigen:
Wir sollten rasch all diese eigenartig fruchtbaren Gefilde wieder ein für allemal trockenlegen und den Stöpsel ziehen ...
"Unterdrückt nicht die Fremden, die bei euch im Land leben, sondern behandelt sie genau wie Euresgleichen. Jeder von euch soll seinen fremden Mitbürger lieben wie sich selbst. Denkt daran, dass auch ihr ... Fremde gewesen seid." DIE BIBEL: 3. Mose 19,33-34