"Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht.", das war einer jener markigen Sätze auf der Bundespressekonferenz vor der Sommerpause, mit denen Angela Merkel punkten wollte - mit denen sie zeigen wollte, wer hier der Chef ist, und wer hier folglich "die Richtlinien der Politik" zu bestimmen hat - und nach dem 22.09.2013 auch weiterhin bestimmen will ...
"Meiner Kenntnis nach nicht ..."
Doch auf die eigentlich logische Frage bei einer solchen Pressekonferenz in der sechsten Woche nach den Enthüllungen von Edward Snowden zu den PRISM-Ausspähungen der NSA gegenüber den deutschen Internet- und Telefonnutzern, ob es "irgendein Abkommen oder irgendeine Rechtsgrundlage" gebe, die den Amerikanern erlaube, in Deutschland Bundesbürger auszuspähen - antwortete die "Chefin" kurz und knapp: "Meiner Kenntnis nach nicht."
"Überwachtes Deutschland": die späten Folgen von Notstands- und G-10-Gesetzgebung
Und dabei hatte doch der Freiburger Historiker Prof. Josef Foschepoth in seinem im Jahr 2012 erschienenen Buch “Überwachtes Deutschland – Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik” hier bereits umfassend geforscht - und die Ergebnisse mit dem Buch auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Was sich aus den von Foschepoth veröffentlichten Quellen ergibt, ist bestürzend für die Bürger der Bundesrepublik, die nämlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Souveränität dieses Staates nach wie vor beschränkt ist: Die Westmächte haben weiterhin massive Sonderrechte, einmal zur Stationierung von Streitkräften in Deutschland und zum Schutz dieser ihrer Streitkräfte.
Unter der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD verabschiedete der Deutsche Bundestag 1968 ein Gesetzespaket, das aus drei Teilen bestand: einer Notstandsverfassung, den Notstandsgesetzen und dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Dieses letztere so genannte G10-Gesetz schränkt Artikel 10 des Grundgesetzes, nämlich die Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses, massiv ein.
Mit den Notstandsgesetzen und dem G10-Gesetz waren also so seit 1968 die gesetzlichen oder administrativen Regelungen geschaffen worden, um den Notstandsvorbehalt und den Überwachungsvorbehalt der Westmächte abzulösen durch die gesetzliche und völkerrechtliche Verpflichtung, die “geheimdienstlichen Interessen der drei West-Mächte in vollem Umfang wahrzunehmen und zu erfüllen”.
Im Ergebnis überwachen die Allierten ab 1968 also nicht mehr mit ausschließlich eigener Infrastruktur und eigenem Personal, sondern die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland übernehmen diese “Dienstleistung” qua gesetzlicher Verpflichtung an ihrer Stelle und (teilweise) in ihrem Auftrag. Dabei scheint das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zuständig zu sein für die “individuelle Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs zur präventiven Abwehr von Gefahren für die innere Sicherheit” und der Bundesnachrichtendienst (BND) für die “allgemeine oder auch strategische Überwachung des Auslands und ausländischer Einrichtungen und Vertretungen in der Bundesrepublik”.
Die weitreichenden Forderungen, insbesondere der Amerikaner, nach Überwachung wurden pauschal begründet mit der “Förderung und Wahrung der Sicherheit ihrer Truppen”. Unter dieser immer gleichen Vertragsfloskel waren sämtliche nachrichtendienstlichen Aktivitäten einschließlich der Post- und Fernmeldeüberwachung, welche die Bundesregierung zunächst aufgrund der Vorbehaltsrechte … und seit 1968 aufgrund deutschen Rechts und Verfassungsrechts verpflichtet war, einzuräumen und zuzulassen, so Foschepoth.
Diese Verstrickungen in Sachen nachrichtendienstlicher Aktivitäten haben sich auch nach der Wiedervereinigung und der Erlangung der "Souveränität" nicht gravierend verändert.
Deshalb steht bis heute in Artikel 10, dass der, der aus nachrichtendienstlichen Gründen überwacht wird, keinen Anspruch hat, darüber informiert zu werden. Gleichzeitig wurde – ein Unding für einen Rechtsstaat – der Rechtsweg ausgeschlossen. Mit dieser Regelung war die Gewaltenteilung faktisch aufgehebelt, wie renommierte Staatsrechtler kritisierten. Diese massive Einschränkung des Rechtsstaates ist bis heute nicht aufgehoben. Sie geht im Kern zurück auf alliiertes Recht.
Selbst die berühmten Zwei-plus-Vier-Verhandlungen 1990 zur Erlangung der vollen Souveränität haben diesen Sonderstatus überlebt.
Als die SPD 1990 im Bundestag wissen wollte, auf welcher Rechtsgrundlage die Special Forces der Amerikaner in Deutschland jetzt arbeiteten, bekam sie vom Staatsminister im Auswärtigen Amt zu hören: auf dem Aufenthaltsvertrag von 1954 und dem Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut.
Sämtliche Verträge und Vereinbarungen, sämtliche Gesetze und Verfassungsänderungen, die Grundlage für die Fortführung der alliierten Kontrollen waren und sind, wurden weder geändert, noch gekündigt, sondern gelten bis heute unverändert fort, so die deutsch-alliierte Verwaltungsvereinbarung zum G 10 Gesetz von 1968.
Das alliierte Recht zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs ist weder in der alten, noch der neuen Bundesrepublik außer Kraft gesetzt worden.
Die Unkenntnis einer deutschen Kanzlerin zu Recht und Ordnung - bzw.: "Was sie sich nicht zu sagen wagt" ...
Was also mit den Forschungsarbeiten von Foschepoth nun seit einem Jahr auch veröffentlicht ist, und gerade heutzutage in verschiedenen Verlautbarungen bekräftigt wird, sollte doch der Bundeskanzlerin als "Chefin" und ihrem Regierungsapparat als "Insiderin" erst recht bekannt sein - und mit diesen Fakten sollte sie auf einer Bundespressekonferenz zu solch einem Thema auch gespickt sein und so vortragen ... - sonst wird das Volk da draußen einfach nur vernatzt - um es mal so mild auszudrücken ...
Und es wäre doch eigentlich auch ganz einfach, Frau Bundeskanzlerin - Sie könnten formulieren: Was Herr Snowden da aufgedeckt stimmt, meine Damen und Herren. Die Amerikaner handeln mit ihren NSA-Nachrichtendiensten gegenüber der Bundesrepublik nach ihnen als Verbündeten und ehemaligen Besatzern eingeräumten Rechten - sind also verfassungsmäßig rechtens. Artike 10 GG ist deutlich eingeschränkt. Wir müssen in Verhandlungen darauf drängen - diese Vorbehalte auszuräumen - um so endlich volle Souveränität zu erhalten. Artikel 10 GG kann dann neu gefasst werden - dafür werde ich kämpfen ... [ ... wenn da nicht die Bedrohungen der Extremisten im eigenen Land wären ... - und mit der Einschränkung von Art. 10 ordentlich Macht auszuüben wäre ...] ...Frau Merkel kümmert sich aber gar nicht tatsächlich um diese Angelegenheit. Sie konstatiert zwar "deutsches Recht" auf "deutschem Boden" - aber sie kennt anscheinend die defizilen und einschränkenden Details dieses "deutschen Rechts" gar nicht, dass ja immerhin auch Grundrechte (Art. 10 GG) berührt - und spielt - wie schon so oft - auf Zeit: Jetzt ist erst einmal in die Sommerpause [und also "tote Hose"], so hofft sie - und dann kommt die Wahl - und dann sehen wir mal weiter ...
Hoffentlich geht endlich mal dieser Sch[l]uss nach hinten los ...
Hierzu unbedingt auch:
http://nunchic.blogspot.de/2013/07/nsa-abhorskandal-das-system-des-kalten.html
Literatur: sz.de: "Ich bin die Chefin. Ich weiß von nichts" - und http://blog.polygon.de/2013/07/01/aktuelles/zur-uberwachung-durch-die-nsa-hullt-sich-die-bundesregierung-in-schweigen/2804, BZ-Interview vom 20.07.2013 mit Prof. Foschepoth