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Wahlkampf: DEMOKRATIE WAGEN ! - Das Wünschbare ins Machbare wandeln | Plädoyer für eine "Koalition der Einladungen"

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ROT-ROT-GRÜN bzw. MINDERHEIT
















Eine Bundesregierung mit Links oder gar mit Minderheit - das sind immer noch die großen politischen Tabus in Deutschland. Und in den vergangenen Wochen haben sich Sozialdemokraten und Linke geradezu in die Hand versprochen, diese Tabus nicht zu verletzen. Merkel dankt! Aber was soll das? Sozialdemokraten und Linke müssten inzwischen bemerkt haben: Mit einem "Weiter so!" wird kein Genosse Kanzler.

Was die Minderheitsregierung angeht, hält Linken-Ikone Gregor Gysi das für "nicht verantwortbar". Und Gabriel sagt, beinahe wortgleich über eine Tolerierung durch die Linken: "Das wäre unverantwortlich und deswegen wird es so was ganz sicher mit der SPD nicht geben." Dann ist man sich also immerhin in diesen Fragen völlig einig. Zu Unrecht. Die Linken sind nicht "unkalkulierbar" und eine Minderheitsregierung ist durchaus zu verantworten - wenn man sie richtig führt.

Hannelore Kraft hat das in Nordrhein-Westfalen vorgemacht. Da leben 17,5 Millionen Einwohner - immer noch. Die Düsseldorfer Minderheitsregierung hielt anderthalb Jahre und man sieht nicht, wie sie dem Land oder der Demokratie oder sonst wem geschadet haben könnte. Außer der CDU. Es ist ein Zeichen für die freiwillige Selbstbeschränkung der deutschen Medien und der deutschen Politik, dass die Minderheitsregierung in solchem Misskredit steht.

Das Wünschbare ins Machbare wandeln

Wenigstens der ehemalige Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf hat neulich in der Online-Ausgabe des Magazins "Cicero" ein Plädoyer dafür gehalten. "Wechselnde Mehrheiten bedeuten (...) einen Zugewinn an Demokratie, weil politische Entscheidungen wieder aus den Hinterzimmern der Koalitionsausschüsse und Kungelrunden ins Parlament verlagert werden und unterschiedliche politische Konzepte wieder deutlich werden."

Wohlgemerkt: Minderheitsregierung ist etwas anderes als Tolerierung. Die ist ja nichts als eine versteckte Koalition des schlechten Gewissens. Hannelore Kraft nannte ihre Regierung dagegen "Koalition der Einladungen". Was für ein hübsches Wort! Es liegt darin eine freundliche Leichtigkeit, die dem Denken in den Begriffen von Koalitionsdisziplin und vom Kleineren Übel längst abhanden gekommen ist. Bei zwei Haushalten konnte die Ministerpräsidentin auf die Linken setzen. Den "Schulkonsens" erreichten SPD und Grüne zusammen mit der CDU. Ihre Pläne zur Reform der Kommunalfinanzen wiederum fanden keine Unterstützung bei CDU und Linken, dafür aber bei der FDP.

Das ist kein politisches Chaos. Das nennt man Demokratie. Das hat auch Gysi noch nicht verstanden, der neulich gesagt hat: "Was soll eine Bevölkerung mit einer Bundesregierung anfangen, die in den Fragen A und B mit der Linken und bei den Fragen C und D mit der Union stimmt, dann vielleicht mit der FDP? Es widerspricht dem gegebenen Demokratieverständnis." Gerade dieses Verständnis gilt es endlich zu erneuern! Hannelore Kraft sagte ihrem Parlament am Ende: "Wir haben etwas vorangebracht, was anfangs niemand geglaubt hat und was der Demokratie gutgetan hat."
Wer sagt, Politik sei die Kunst des Machbaren, greift zu kurz. Politik ist die Kunst, das Wünschbare ins Machbare zu wandeln.

Mit den sagenhaften Worten "Mehr Demokratie wagen" begann Willy Brandts Kanzlerschaft. Inzwischen ist die Lage ernster geworden. Auf ein Mehr wagen wir gar nicht zu hoffen. Der Kanzler-Kandidat der SPD sollte einfach plakatieren lassen: "Demokratie wagen!" Das wäre schon was. Aber will Peer Steinbrück das? Will die SPD das? Oder - mit Gregor Gysi: "Es geht immer um die Frage: Bleibt die SPD auf der Gegenseite oder nicht?"




aus: S.P.O.N. - Im Zweifel links: Demokratie wagen! - Eine Kolumne von Jakob Augstein - 
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-kolumne-warum-die-spd-mit-den-linken-kooperieren-soll-a-917271.html

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