Der SPIEGEL veröffentlicht in seiner heutigen Ausgabe 38/2013 auf Seite 138 einen Aufsatz von Ferdinand von Schirach (*1964) mit der Überschrift: "BÜRGERRECHTE | Die Würde ist antastbar | Warum der Terrorismus über die Demokratie entscheidet" ...Dieser Aufsatz wird illustriert mit Bildern von Riccardo Vecchio (*1970)
Ich möchte hier zwei für mich entscheidende Absätze dieses sehr lesenswerten Aufsatzes einstellen und ein "Drohnenbild" aus den Illustrationen dazu ...
Illustration: Riccardo Vecchio | DER SPIEGEL 38/2013 | S. 139 |
Die westliche Welt wird am Umgang mit dem Recht entschieden
In der Nacht zum 2. Mai 2011 erschossen amerikanische Soldaten den Terroristen Osama Bin Laden. Den Befehl dazu gab der Präsident der Vereinigten Staaten.
Als der Tod des Terroristen verkündet wurde, brach in Amerika Jubel aus, in New York tanzten Menschen auf der Straße. Barack Obama verkündete stolz: »Der Gerechtigkeit ist Genüge getan."
Kurz darauf sagte die deutsche Bundeskanzlerin: »Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten." Und damit wir uns nicht über Merkels Freude wundern, erklärte Volker Kauder, die Kanzlerin habe sich natürlich ganz christlich gefreut: »Als Christ gibt es für mich das Böse in der Welt. Osama war böse. Und man darf sich als Christ freuen, wenn es weniger Böses auf der Welt gibt."
Aber vielleicht ist es doch nicht so leicht. Darf ein einzelner Mann oder eine Regierung wirklich als Ankläger, Verteidiger und Richter in einer Person entscheiden, wer lebt und wer stirbt?
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Die Anhänger des Feindstrafrechts, der Polizist, der Folter androht, Barack Obama mit seinem Tötungsbefehl und Angela Merkel in ihrer Freude - sie alle irren sich. Mit den Rechten des Menschen ist es nämlich in Wirklichkeit wie mit der Freundschaft.
Sie taugt nichts, wenn sie sich nicht auch und gerade in den dunklen, in den schwierigen Tagen bewährt. Unser Konsens, dass unsere Regierungen niemals bewusst einen Rechtsbruch begehen dürfen, die Grundlage unserer Verfassungen also, wird jetzt dauernd verletzt:
- Kriegsdrohnen töten Zivilisten,
- Terroristen werden gefoltert und rechtlos gestellt,
- unsere E-Mails und SMS werden von den Geheimdiensten gelesen, weil wir unter Generalverdacht stehen.
Das alles geht zwar nicht von unserer Regierung aus, und das Recht verlangt von niemanden etwas, was er nicht leisten kann. Natürlich kann die Kanzlerin Guantanamo nicht auflösen oder die NSA abschaffen - ihren Eid hat sie also nicht gebrochen. Aber das allein reicht nicht, die Aufgabe der Regierung geht viel weiter. Wenn Politiker nicht mehr alles tun, um die Verfassung zu schützen, wenn sie den fremden Rechtsbruch mittragen und wenn er manchmal sogar Freude in ihnen auslöst, stellt das uns selbst in Frage.
Die westliche Welt, ihre Freiheit und ihr Selbstverständnis, wird nicht an Autobahnmaut, Steuererhöhung oder Pflegeversicherung *) entschieden - sie entscheidet sich am Umgang mit dem Recht.
aus: Ferdinand von Schirach | Die Würde ist antastbar | SPIEGEL 38/2013 | S. 138-141
*) Anmerkung S!NEDi: ... und erst recht nicht an einer "Schlandkette", dem schräggeträllerten "Pippi-Langstrumpf-Lied" oder einer "Stinkefinger-Geste" ...
Von Ferdinand von Schirach ist gerade sein neuer Roman "Tabu" im Piper Verlag erschienen