TV-Moderator Günther Jauch liest nach der Putzaktion die Inschrift auf Stolpersteinen. Neben ihm die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer - Fotos: Florian Schuh | dpa | Bild.de | stern.de |
Bewegende Veranstaltungen zum Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938
Prominente wie Moderator Günther Jauch (57), Sänger Max Raabe (50), Liedermacher Klaus Hoffmann (62) und Ex-Bürgermeister Walter Momper (68) haben mit einer besonderen Aktion der Novemberpogrome vor 75 Jahren gedacht. Sie putzten am Samstag in Berlin „Stolpersteine“ – kleine in den Boden eingelassene Messingplatten, die an Opfer des NS-Regimes erinnern.
Max Raabe putzt auch ... |
Bei der Putzaktion im Berliner Stadtteil Schöneberg waren auch Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz (56) und die Zeitzeugin Margot Friedländer (92) mit dabei.
Der Künstler Gunter Demnig gestaltet die kleinen Tafeln, die inzwischen in mehr als 500 Orten Deutschlands und in mehreren Ländern Europas an die Opfer der Nazis erinnern. Immer wieder schänden Unbekannte die Gedenkplatten und beschmieren sie mit dunkler Farbe. Auch in zahlreichen anderen Orten gab es heute Gedenkveranstaltungen.
Es war ein Spaziergang des Grauens. Und doch soll er Mut machen: Indem Prominente am Sonnabend, dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, Stolpersteine in Schöneberg und Charlottenburg putzten, riefen sie auch andere Berliner auf, das grauenhafte Schicksal der Deportierten nicht zu vergessen.
"Es ist gut, wenn möglichst viele sich um Stolpersteine kümmern. So geht das Erinnern weiter", sagte Kulturstaatssekretär André Schmitz (56, SPD) am Vormittag auf dem Wittenbergplatz. Von dort startete er mit Stars aus Show, Politik und Kultur, um Stolpersteine rumd ums KaDeWe zu putzen und weiße Rosen niederzulegen.
Erster Stopp: Passaer Straße 2/3, wo Rosalie Borchardt (88) 1943 den Freitod wählte, um der Deportation zu entgehen. Ihre Nachbarn, das Ehepaar Isaac (76) und Rosa Lesser (74), starben 1942 im KZ. Diese drei Stolpersteine reinigte die Künstlerin Zazie de Paris. Dann wurden Namen und Lebensdaten der Toten verlesen.
Auf dem Weg zur nächsten Adresse erklärte Historiker Bjoern Weigel (33) den Anwesenden, was in den Tagen um den 9. November 1938 in dieser Ecke Charlottenburgs geschah, hielt alte Fotos hoch.
Zweiter Stopp: Marburger Straße 1. Sänger Max Raabe (50) putzte den Stolperstein von Irene Meyer (70), die am 11. Mai 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt starb. "Es ist unbegreiflich, wie die Menschen aus dem Leben gerissen und einer kranken Idee geopfert wurden", sagte Max Raabe. "Es schnürt mir den Hals zu."
Dritter Stopp, ein prachtvoller Altbau: Marburger Straße 3, wo Berlins ehemaliger Bürgermeister Walter Momper (68, SPD) und der Liedermacher Klaus Hoffmann (62) niederknieten, um gemeinsam die vier Stolpersteine am Boden zu schrubben. Sie erinnern an Hermann Frank (84) und die Familie Lefèbre, deren Sohn Lutz keine acht Jahre alt wurde. Der Junge, Mama Hertha (39) und Papa Otto (61) wurden am 12. Januar 1943 zusammen mit 1150 Menschen vom Bahnhof Grunewald nach Auschwitz deportiert und sofort ermordet.
Unter den Gästen der Gedenkveranstaltung ist auch Margot Friedlander (92), Holocaust-Überlebende. Auch sie legt Blumen ab, erklärt: "Das bedeutet mit sehr viel."
Dritter Stopp, das Haus gegenüber: Marburger Straße 16. Hier hatten Anwohner bereits Gerbera und eine gelbe Rose niedergelegt. Fünf Menschen wurden aus dem Haus verschleppt, alle wurden 1943 in Auschwitz ermordet. TV-Star Günther Jauch (57) putzte die Stolpersteine. Es sind die von Leo (58), Hedwig (51), Isabella (16) und Herbert (14) Gluskinos sowie Irmgard Masse (28), einer Kindergärtnerin.
Der Talk-Master bedankte sich bei der 92-jährigen Zeitzeugin Margot Friedlander: "Es ist toll, dass Sie in die Schulen gehen und von Ihrem Schicksal sprechen. Ich bewundere das." Und gegenüber der B.Z. bekannte Jauch: "Wann immer ich Stolpersteine sehe, bleibe ich stehen und denke an das Schicksal jener Menschen."
«Das ist das gute an diesen Steinen: Egal wer da vorbei kommt, egal wann man da vorbei kommt, die sind immer da, und künden immer vom jüdischen Leben in Deutschland und künden von dem großen Verbrechen, das damals verübt wurde», sagte Jauch. Er selbst hockte vor den Steinen und griff zu Putzmittel und Lappen. Berlins Kulturstaatssekretär Andre Schmitz sagte, die «Stolpersteine» erinnerten an Einzelschicksale und zeigten dabei auch das Ausmaß der Verfolgung.
Immer wieder schänden Unbekannte die Gedenkplatten und beschmieren sie mit dunkler Farbe. So etwas sei beschämend, sagte Jauch. «Aber das Gute daran ist, es finden sich sofort immer Bürger die sagen, wir bezahlen sofort die Erneuerung der Steine.» Das sei ein schönes Zeichen dafür, dass sich die Menschen gegen Antisemitismus engagierten.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 hatten Nationalsozialisten einen Großteil der mehr als 1200 Synagogen und jüdischen Gebetshäuser in Deutschland zerstört sowie Tausende andere jüdische Einrichtungen und Geschäfte verwüstet und teilweise geplündert. Bei der Terrorwelle wurden nach Einschätzung von Historikern mehr als 1300 Menschen getötet und über 30 000 Juden in Konzentrationslager verschleppt
Mit Materialien aus: Bild.de | stern.de | bz.berlin | MSN Deutschland
Am 06.12.2012 wurde für meine Tante Erna Kronshage, die Opfer der NS-"Euthanasie" wurde (s. http://erna-k-gedenkblog.blogspot.de/), in Bielefeld-Sennestadt ein Stolperstein gelegt. Bitte klicken Sie auf das Bild - um nähere Einzelheiten dazu zu erfahren ... - und beachten Sie dort bei Interesse weitere themenrelevante Links ... |
Inklusion und die Aufarbeitung der NS-Gewalt
Im Zeichen der gesellschaftlich diskutierten Prämisse einer allgemeinen INKLUSION - wird es Zeit, die radikal ausgegrenzten und durch die NS-"Exklusion" brutal separierten, "niedergeführten" und "ausgemerzten" NS-Gewaltopfer in der Erinnerungsarbeit und im Gedenken in unseren gegenwärtigen Alltag ganz selbstverständlich mit hineinzunehmen - und die Umstände dieser Gewalt und Menschenverachtung zu kommunizieren.
Denn: "Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst", schreibt der Sozialpsychologe Harald Welzer in Anlehnung an Jean Baudrillard ...
Die europaweit aktive Stolperstein-Aktion des Künstlers Gunter Demnig ist die sicherlich zur Zeit bedeutendste Initiative, eben diese längst abgespaltenen Schicksale in das gesellschaftliche Kollektiv-Bewusstsein zurückzubeordern - und ist damit ein notwendiger Teil erfolgreicher gesellschaftlicher und individueller innerer Inklusion und Gewaltprophylaxe.
Vielleicht einfacher ausgedrückt: Zur inneren Barrierefreiheit gehört auch eine permanente und erfolgreiche Aufarbeitung und somit der allmähliche Abbau - nicht die Verdrängung oder Leugnung - all der Schrecken, Schranken und Hindernisse, die das kollektive schlechte Tätergewissen auch unserer Altvorderen über all die Jahre hinweg verdrängt und so zu einem zähen fast undurchdringlichen Wust in uns allen aufgetürmt hat ...
[von wegen: die "Gnade der späten Geburt" - H. Kohl]
sinedi
Videos zur Opferbiographie Erna Kronshages und der Legung des Stolpersteins zu ihrem Gedenken