Meine Oma wohnte ganz in der Nähe eines kleinen Bahnhofes, an dem regelmäßig die Senne-Bahn hielt, die zwischen Bielefeld und Paderborn pendelte.
Und wenn ich in dem alten Fachwerkgehöft von Oma übers Wochenende zu Besuch war - und die Dampflok nach dem Halt im Bahnhof wieder anfuhr und sich allmählich wieder in Bewegung setzte mit ihrem stampfend-dampfenden Gekeuche, sagte mir meine Oma im Takt der Anfahrtgeräusche folgende Zeilen auf - quasi um der Lok "Dampf zu machen":
Die -al-te- Lok - sie -kann- nicht mehr ...
Es -geht- so schwer - es -geht- so schwer...
[und wenn sie dann allmählich schneller wurde ...]
Jetzt gehts schon bes-ser - geht schon bes-ser -
Geht schon bes-ser ...
[und dann - wenn die Lok mit den Waggons allmählich auf Touren kam - und sich dann verabschiedete ...]
Jetzt gehts besser -
Dankeschön - Dankeschön - Dankeschön ...
Ich habe diesen Sprechmelodie-Rhythmus-Reim hier erwähnt, weil ich ihn bei Google im www. nicht finden konnte - und weil er sonst - nach dem Aussterben der Dampflok - sicherlich vollends in Vergessenheit geraten würde...
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s!NEdi|photo|graphic: lok i u. ii |
Die Lokomotive
Da liegt das zwanzig Meter lange Tier,
die Dampfmaschine,
auf blank geschliff’ner Schiene,
voll heißer Wut und sprungbereiter Gier...
Da lauert, liegt das langgestreckte Eisenbiest –
Sieh da, wie Öl- und Wasserschweiß
wie Lebensblut, gefährlich heiß,
ihm aus dem Radgestänge, den offenen Weichen, fließt.
Es liegt auf sechzehn roten Räderpranken,
fiebernd, langgeduckt zum Sprunge,
und Fieberdampf stößt röchelnd aus den Flanken.
Es kocht und pocht die Röhrenlunge –
Den ganzen Rumpf die Feuerkraft durchzittert:
Er ächzt und siedet, zischt und hackt
im hastigen Dampf- und Eisentakt –
Dein Menschenwort wie nichts im Qualm zerflittert.
Das Schnauben wächst und wächst –
Du, stummer Mensch, erschreckst.
Du siehst die Wut aus allen Ritzen gären –
der Kesselröhren Atemdampf
ist hochgewühlt auf sechzehn Atmosphären!
Gewalt hat jetzt der heiße Krampf:
Das Biest, es brüllt, das Biest, es brüllt,
der Führer ist in Dampf gehüllt.
Der Regulatorhebel steigt nach links;
der Eisenstier harrt dieses Winks...
Nun bafft vom Rauchrohr Kraftgeschnauf:
Nun springt es auf! Nun springt es auf!
Und ruhig gleiten und kreisen auf endloser Schiene
die treibenden Räder hinaus auf dem blänkernden Band;
gemessen und massig die kraftangefüllte Maschine,
der schleppende, stampfende Rumpf hinterher...
Dahinten – ein dunkler, verschwimmender Punkt,
darüber – zerflatternder – Qualm...
Gerrit Engelke
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Leben
Sein Vater, ursprünglich kaufmännischer Angestellter, dann Inhaber eines Weißwarengeschäftes, wanderte 1904 nach Amerika aus, Mutter und Schwester folgten ihm 1910.
Nach der Volksschule schloss er seine Malerlehre mit der Gesellenprüfung ab und war ab 1909 in verschiedenen Unternehmen beschäftigt. Nebenher besuchte er Abendkurse in der hannoverschen Kunstgewerbeschule und erhielt dort zwei Preise. Das Museum August Kestner kaufte 1914 80 Aquarelle und Zeichnungen von ihm an.
Nachdem er 1913 Richard Dehmel begegnete, verhalf ihm dieser zu ersten Publikationen in Paul Zechs Zeitschrift Das neue Pathos und vermittelte ihn an die Werkleute auf Haus Nyland, die in ihre Zeitschrift Quadriga Engelkes Textsammlung "Dampforgel und Singstimme. Rhythmen" aufnahmen. Engelke wurde Mitglied bei den Werkleuten und verfasste gemeinsam mit Heinrich Lersch und Karl Zielke den Kriegslyrikband Schulter an Schulter. Gedichte von drei Arbeitern (1916).
1915 bot ihm Lersch an, ihn für seine Kesselschmiede zu reklamieren. Engelke lehnte ab und wurde zum Kriegsdienst einberufen. Am 11. Oktober 1918 geriet er als Soldat der deutschen Armee bei Cambrai schwer verwundet in Kriegsgefangenschaft und starb zwei Tage später in einem britischen Lazarett. Er fand seine letzte Ruhe auf dem Soldatenfriedhof von Étaples an der französischen Kanalküste.
Leistung
Seine deutlich zeitbezogene Dichtung gibt seinem Werk innerhalb der Arbeiterdichtung eine Sonderstellung. Er fängt die Zeitstimmung auf einzigartige Weise ein in seinen lyrischen Zeugnissen zu Großstadt und Technik. Er verzichtet auf tradierte künstlerische Möglichkeiten und entwickelt neue Formen, seine erlebten Welten sprachlich zu fassen. Doch wie die anderen Arbeiterdichter auch (Karl Bröger, Heinrich Lersch, Ernst Preczang, Bruno Schönlank) zog er sich auf politisch unverbindliche Positionen zurück. Ob sich der früh Verstorbene anders als die Genannten entwickelt hätte, bleibt Spekulation. (WIKIPEDIA)