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Beltracchi: Fälschen & Zähneputzen

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Die Beltracchi-Festspiele
Nach dem "Selbstporträt" kommt der Dokumentarfilm über den Fälscher





Bild: nach www.manfredesser.de / www.beltracchi-project.de



"Malen war bei uns wie Zähneputzen"

VON ANKE GROENEWOLD | NEUE WESTFÄLISCHE

Lange haben andere über den 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilten Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi geschrieben. Jetzt ist es an dem in Höxter geborenen 62-Jährigen, seine Geschichte zu vermarkten. Der Alt-Hippie arbeitet auf allen medialen Kanälen daran, sich als schlitzohriger Rebell zu verkaufen, der es dem überhitzten Kunstmarkt mal so richtig gezeigt hat. Aber eine Heldengeschichte zu zeichnen, scheint nicht so einfach zu sein, wie einen Max Ernst zu fälschen. 

Die Beltracchi-Festwochen begannen am 16. Januar in der Wochenzeitung Die Zeit und sagenhaften vier Seiten über den "begnadeten Kriminellen" samt Interview und einem Vorabdruck aus dem "Selbstporträt" des Ehepaars Beltracchi. Das 600 Seiten starke Buch brachte der Verlag Rowohlt überraschend einen Tag später heraus. Am 31. Januar saß Beltracchi mit seiner Frau in der Talkshow "3 nach 9". Wo immer sich die beiden präsentieren - sie sind stets gut gelaunt und lachen über ihre eigene Cleverness und die Nachlässigkeit derer, die ihnen auf den Leim gegangen sind und gehen wollten. 

Der Film ist so launig wie sein Protagonist

Dass der kenntnisreiche Autodidakt nicht nur kopiert, sondern handwerklich beachtliche Werke im "Stile von" in die Lücken der Kunstgeschichte hineingemalt hat, trug ihm viel Bewunderung ein. Ein Mann aus armen Verhältnissen, der den entfesselten (Kunst-)Kapitalismus austrickst - das ist ein faszinierendes Schelmenstück, das Beltracchi für manche fast zum Helden werden lässt. Doch sowohl das weitschweifige "Selbstporträt" als auch Arne Birkenstocks erhellend-unterhaltsamer Dokumentarfilm zeigen auf, dass die Sache so einfach nicht ist. 

Der Film ist so launig wie sein Protagonist, temporeich, visuell originell und mit treibender Popmusik unterlegt. Arne Birkenstock gibt dem Paar viel Raum zur Selbstdarstellung. Ein Glücksfall, denn Beltracchi begreift den Film als seine Bühne, auf der er sich großspurig inszeniert. Bereitwillig öffnet das Paar seine Türen, stellt Szenen nach, öffnet das Fotoalbum. 

Beltracchi führt vor, wie man fälscht. Auf dem Flohmarkt spürt er ein wertloses altes Bild auf, entfernt die Farbe, bemalt die Leinwand neu und stopft den Original-Dreck von 1915 wieder in den Rahmen. Der Filmemacher hat das Paar beim Auszug aus der Villa in Freiburg begleitet und dokumentiert ihren Abschied von ihrer Domäne in Südfrankreich, inklusive eines heiteren Abendessens mit französischen Freunden. Einer vergleicht Beltracchi mit Robin Hood. Ein anderer sagt: "Wir bewundern dich." Beltracchi lächelt. 

Stolz wird zum Leitmotiv des amüsanten Porträts, das Chuzpe, aber auch Gier und Skrupellosigkeit aufzeigt. Aufgeflogen ist Beltracchi 2008 mit dem Bild "Rotes Bild mit Pferden". Dass manche die Fälschung als "schönsten Campendonk" rühmten, schmeichelt ihm immer noch. Vergnügt stellen die Beltracchis nach, wie sie ein "historisches" Foto fingierten, das die Echtheit der Fälschungen untermauern sollte. Darauf sei er "bis heute stolz", sagt Beltracchi. Er ist oft stolz. 

Vor laufender Kamera malt er einen Wald à la Max Ernst und schwärmt: "Das wird ein richtig tolles Bild, der schönste Max Ernst, den ich je gemacht habe". Mehr noch: Sein Wald sei sogar schöner als der von Ernst. Der Regisseur mag der Sohn des Beltracchi-Verteidigers sein, aber man kann ihm nicht vorwerfen, die Arbeit seines Vaters mit filmischen Mitteln fortzusetzen. Er verzichtet auf Kommentare, montiert aber entlarvend. So kontrastiert er Beltracchis Aussage "Eine Idee macht noch keine großen Maler" mit einer historischen Filmsequenz. Darin erzählt Max Ernst von kreativen Blockaden und wie er die Eingebung hatte, mit Abrieben zu arbeiten. So etwas ist dem virtuosen Handwerker Beltracchi fremd. Herzblut stecke er in seine Frau und in Kinder, nicht in die Malerei. Die sei schon bei Familie Fischer nichts Besonderes gewesen, sondern so normal "wie Zähneputzen". Die verzweifelte Suche nach Originalität habe ihn nie interessiert, gesteht er im Buch. 

Stolz und Selbstlob treffen bei Beltracchi auf unterentwickeltes Unrechtsbewusstsein. Im Buch legt er dar, dass er den Betrug bereue, nicht aber das Malen der Bilder. Die Fälschungen verklärt er zur aufklärerischen Mission. Sie hätten "die Idee des autonomen Kunstwerks, des Originals und seiner Einmaligkeit in Frage gestellt". Und das sei notwendig gewesen. Dass er Schaden angerichtet hat, davon will er nichts hören. "Sie immer mit Ihrem Schaden. . .", spöttelt er im Film. 

"Illegalität schreckte mich nicht"

Für ihn sei es eine Frage der Moral gewesen, sich den Verlockungen der Kunstszene zu widersetzen, diesem "Schmierentheater", betont er im Buch. "Meine Ablehnung gründete sich auf einem Anarchismus, der vor allem gegen die Kunst-Gesellschaft und ihr Regelwerk gerichtet war. Illegalität schreckte mich nicht. . ." Im Film immer wieder Ausflüchte: "Ich selbst habe ja auch nie ein Bild verkauft, also ich persönlich." 


Bild: nach: SENATOR
Birkenstock lässt weitere Menschen vor die Kamera treten, die den bizarren Kunstmarkt beleuchten. Der hat es dem Fälscher so leicht gemacht, dass man sagen kann, dass er Beltracchi verdient hat. 

Faszinierend ist, wie der Betrüger in der Gier nach Geld und Luxus jenen gleicht, die er verachtet. Denn selbst als er ahnt, dass sich die Schlinge um seinen Hals enger zieht, malt er weiter. "Ich war richtig geil auf einen Palazzo in Venedig." 

In seinem Atelier in Bergisch Gladbach malt Beltracchi jetzt weiter. Seine Strafe verbüßt er im offenen Vollzug. Den Wald im Stil von Max Ernst signiert er legal mit "Ernst Beltracchi". Dafür gebe es einen Markt, glaubt Kunsthistoriker Henry Keazor. Wenig kommerzielle Chancen gibt er einem eigenständigen Gemälde Beltracchis. Es zeigt einen fallenden Engel.



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Kindheit im Kreis Höxter

Geboren 1951 in Höxter, verbrachte Wolfgang Fischer seine ersten sieben Lebensjahre in dem Dorf Altenbergen, heute ein Ortsteil von Marienmünster im Kreis Höxter. 1944 waren seine Mutter und seine vier Geschwister im Selfkant ausgebombt worden. Der Vater geriet in Kriegsgefangenschaft und kam 1948 nach Altenbergen. "Es hielt ihn nicht lange im Dorf", schreibt der Kunstfälscher, der später den Namen seiner Frau Helene Beltracchi annahm. "Er fand eine Arbeit in Paderborn, bei der britischen German Service Organisation auf Schloss Neuhaus restaurierte er die beschädigten Wandmalereien". Da seine Geschwister alle älter gewesen seien, sei er allein aufgewachsen. Die Kinder im Dorf hätten ihn gemieden. "Wegen meines albinohaften Aussehens und meiner Introvertiertheit war ich ihnen suspekt." 

Beltracchi erinnert sich an den Wald, die Gerüche. "Ameisenhügel auf geheimnisvollen Lichtungen wecken in mir noch immer ein Gefühl von Heimat, oder besser: ein Gefühl vom Verlust von Orten, die Heimat hätten werden können." 1957 zog Familie Fischer nach Geilenkirchen, Heimatort der Mutter. (groe)
  • Aus: Helene & Wolfgang Beltracchi: "Selbstporträt", Rowohlt, 608 S., 29,95 €. 
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© 2014 Neue Westfälische, Mittwoch 05. März 2014

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