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Bücher: Peter Sodann - Ex-Tatort-Kommissar | Bücherbewahrer | Bundespräsidentenkandidat

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Ich möchte hier berichten von einem sehr aufschlussreichen und geschichtsträchtigen Interview, das Susanne Schneider im SZ-Magazin mit dem Schauspieler Peter Sodann geführt hat, der einfach "seine Geschichte nicht wegwerfen kann" ...
 Er sammelt deshalb alle Bücher, die in den DDR-Verlagen zwischen 1949 und 1989 erschienen sind - also die kompletten Verlagsprogramme aus 40 Jahren Literaturproduktion aus diesem besonderen Teil Deutschlands - ein wahrhaft großes und seltsames Unterfangen  - und eine Art "Gnadenhof" /sprich: "Gnadenbibliothek" für Bücher, die eigentlich nach der Wende auf der Müllkippe landen sollten ...
Und - weil Peter Sodann eine solche Bücher- und Geistesvernichtung verhindern will ist er stolzer Besitzer von vier bis fünf Millionen DDR-Bücher: Er sammle und katalogisiere sie, meint Sodann auf die Frage, was "um Gottes Willen" er mit denen vorhabe ...: Er hält sie im "Leben" ...

Und da steigen in mir diese grünlich-schwarz verkratzten Wochenschaubilder von 1933 hoch: Kurz nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 kam es im März im Zuge einer „Aktion wider den undeutschen Geist“ zu einer organisierten und systematisch vorbereiteten Verfolgung jüdischer, marxistischer und pazifistischer Schriftsteller. Dabei handelte es sich um eine von der Deutschen Studentenschaft geplante und durchgeführte Aktion unter Führung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB). Höhepunkt waren die am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz und in 21 anderen deutschen Universitätsstädten groß inszenierten öffentlichen Bücherverbrennungen, bei denen Werke verfemter Autoren von Studenten, Professoren und NS-Organen ins Feuer geworfen wurden ... 
Nach dem Mauerfall wurden tonnenweise Bücher von DDR-Verlagen entsorgt. Keiner wollte die mehr haben - das war alles über Nacht plötzlich Altpapier. "Aber ich lass mir doch meine Vergangenheit nicht nehmen - das wäre ja Kultur- und Identitätsvernichtung", sinniert Sodann in dem Interview, "meine Bibliothek der DDR-Bücher steht allen offen. Und an dieser Stelle muss ich laut sagen: Ohne Spenden läuft hier leider gar nichts." 
In seiner Sammlung in Staucha sind nur etwa eine Million Bücher, in einer Halle in der Nähe liegen die restlichen drei bis vier Millionen. Er ruft die Leute auf - auch über das Internet - ihre Bücher nicht wegzuwerfen, sondern sie zu ihm zu bringen. "Sicher sind viele doppelt und dreifach dabei", meint Sodann lächelnd.

Peter Sodann

Sein Vater war Kommunist, darauf war Sodann immer stolz. Noch heute ist der Schauspieler, 77, bekannt als Leipziger »Tatort«-Kommissar, überzeugter Sozialist. 



Die Liebe zu Büchern hängt mit seinem Vater zusammen. Der habe ihm das Lesen beigebracht, noch bevor er in die Schule kam und der Vater dann eingezogen wurde in den Krieg. Der kleine Peter Sodann habe alles gelesen, was er so an Lesestoff ergattern konnte : "Deutsche Heldensagen", Karl May, "Robinson Crusoe". Aber sein Lieblingsbuch hieß: "Steppke zieht in die Welt" und handelt von einem Waisenjungen, der nach vielen Umwegen endlich "richtige" Eltern findet, die ihn aufnehmen: "50-mal gelesen – und 50-mal geweint", sagt Sodann. Sein Vater war Proletarier und nach gängigen Maßstäben nicht sehr gebildet. Aber es gab Bücher zu Hause, aneinandergereiht ergaben die so einen Meter zwanzig. Die habe er alle noch, und das war für die Verhältnisse, in denen Sodann aufwuchs, ungeheuer viel. 

Peter Sodanns Mutter war Landarbeiterin bei einem Bauern namens Marx (hört-hört!), sein Vater war Stanzer bei den Siemens-Schuckert-Werken in Sörnewitz, nicht weit von Meißen. Die Eltern wohnten in einer alten Mühle in der Kelleretage, als Peter 1936 geboren wurde. Später ist die Familie zu einem Onkel in die Arbeitersiedlung der Siemens-Schuckert-Werke gezogen: Onkel und Tante im Parterre, und die Familie zu dritt im ersten Stock, drei Zimmer, 28 qm. Und diesen "Luxus" konnten sich trotzdem nur wenige Arbeiter dort leisten, diese Wohnungen waren damals mehr was für Angestellte. Ein Nachbar war bei der NSDAP. Und der durfte natürlich nicht wissen, dass der Vater in der Kommunistischen Partei war - was Peter erst mit acht Jahren erzählt bekam, nach dem Tod seines Vaters, der im Krieg getötet wurde ... 

Sodanns Vater wurde erst im Frühjahr 1944, mit 44 Jahren, eingezogen, und sagte zum Abschied: "Peter, ich komm schon wieder." Aber im August war er schon tot. Seit diesem Tag war der damals 8-jährige Peter Sodann "der Mann im Haus". Und das alles hat seit Kindheit an sein Leben natürlich stark beeinflusst - so stark - dass sich Peter Sodann bis heute als politischer Mensch bezeichnet.
Dass sein Vater Kommunist war, habe ihn stolz gemacht. Seit dieser Kindheit will er bereits die Welt verbessern. Er sei in die Freie Deutsche Jugend eingetreten und habe dann mit 14 auch im selben Werk, in dem sein Vater gearbeitet hat, eine Lehre zum Werkzeugmacher angefangen. Das war natürlich zwischenzeitlich ein volkseigener Betrieb, die "Elektrowärme Sörnewitz". 

Auf den Satz der SZ-Interviewerin, dem Westen hätten ja die Menschen größtenteils leid getan, die in der DDR hätten leben müssen, kontert Sodann: "So ein Quatsch. Ich fand schon als Jugendlicher, dass ich im richtigen Teil Deutschlands lebe. Mir hat nicht alles gefallen, wirklich nicht. Aber ich hatte immer Zukunftsgedanken mit diesem Land"... 

Vom Werkzeugmacher über Umwege zum Schauspieler zum Bibliothekar

Schon in seinem ersten Zeugnis stand: »Peter macht gern Faxen« - und außerdem habe er eine "große Schnauze" gehabt, weil er immer der Kleinste gewesen sei, meint Peter Sodann heute. Ursprünglich wollte er Clown werden, aber weil ihm niemand sagen konnte, wie man das wird, habe er gemeint, Tischler wäre gut. Nur war er zu klein dafür, und hätte seine Arme überm Kopf halten müssen, um hobeln zu können... Und als dann die Frage kam, ob er nicht Werkzeugmacher lernen wolle, habe er sich gedacht: "Hast ja eigentlich och noch nich gemacht, kannste ja mal machen...". Und dieser Satz wurde einer der Leitsätze, die ihn sein Leben über begleitet haben. 

So auch 2008, als er für Die Linke als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten aufgestellt wurde: "Bundespräsident hast ja eigentlich och noch nich gemacht, hab ich mir gedacht, kannste ja mal machen. Ich bin’s ja nun nicht geworden. Horst Köhler hat mir nach der Wahl eine Audienz gewährt, da sagte er, er sei ein bisschen sauer auf mich. Ich weiß schon warum. Weil ich in Reden manchmal gesagt habe: Köhler ist die Steigerungsform von Kohl. Am Ende hatte ich recht. Kohl, Köhler, am Verkohlsten"... 

Aber nochmal zurück zur Werkzeugmacherlehre: Mit sechzehn einhalb wurde Peter Sodann Geselle, mit 18 zog er von zu Hause aus, weil er auf der Arbeiter- und Bauernfakultät in Dresden das Abitur nachgemacht hat - also quasi auf dem "2. Bildungsweg" - wie das zumindest im "Westen" hieß... Und anschließend habe er auf der Theaterhochschule in Leipzig aus Schillers "Die Räuber" vorgesprochen und wurde mit »völlig unbegabt« bewertet. Daraufhin habe er vier Semester Jura studiert, aber sein Professor meinte, sein Schauspieltalent erkannt zu haben und schickte ihn zurück zur Theaterhochschule. Mit Umwegen hat die Aufnahme dort beim zweiten Mal geklappt. 

Weil Peter Sodann "den Sozialismus aufbauen wollte", ist er schließlich in die SED eingtreten - und den Sozialismus aufbauen, das will er nach wie vor. Auch wenn er die DDR nicht wiederhaben möchte. Als er in die Partei eintreten wollte, sei er zum Pfarrer Leuner gegangen, dem gleichen, der seiner Mutter und ihm die Todesnachricht vom Vater überbracht hatte. Und Peter war getauft und konfirmiert und sagte zum Pfarrer: "Ich trete in die Partei ein - und aus der Kirche aus". Doch sei er bis heute ein "betender Kommunist".

Sodann: "Ich bin nicht der Christ, der betet: 'Lieber Gott, mach mich fromm.' Ich habe mich gefragt, woher die schwarzen Löcher in der Materie kommen? Vom Urknall müssen sie uns nichts erzählen, denn von nichts kommt nichts. Ja - und wenn wir die schwarzen Löcher und den Urknall nicht verstehen, dann kann ich auch gleich an den lieben Gott glauben. Wenn es ihn gegeben hat, dann hat er uns mit der Erde ein Riesengeschenk gemacht – allerdings nicht ganz durchgearbeitet, denn wir müssen sterben. Das ist das Doofe auf der Erde. Deshalb liegt immer eine kleine Traurigkeit über ihr."

1961 wurde Peter Sodann aus der SED ausgeschlossen - aber nicht wegen seines Glaubens - sondern wegen der Politik: "Ein Genosse darf nicht vor dem Richter stehen. Ich stand vor ihm. Einer der Gründe waren die Auftritte mit meiner Kabarettgruppe, dem 'Rat der Spötter'. Ich hatte einem Stoffhund ein Loch in den Hintern gebohrt und ihm das Neue Deutschland in den Hintern geschoben und wieder herausgezogen. Bei der Vorstellung habe ich dann ins Publikum gesagt: 'Sehnse, nicht mal der Pfeffi kann das verdauen.'"

Das brachte Peter Sodann neun Monate ins Gefängnis. Aber auch hieraus ergab sich wieder ein späterer Vorteil: Ohne die Gerichtsverhandlung, in der Werner Krecek als Schöffe saß, wäre er nicht nach der Wende 15 Jahre der Tatort-Kommissar aus Leipzig gewesen: Er hatte in 25 Jahren auf der Bühne und im Film schon vieles gespielt, außer einem Kommissar. Und ein Freund hatte ein Drehbuch geschrieben nach Tatort-Manier. Er ging damit zu Rudolf Mühlfenzl, der für die Treuhand das DDR-Fernsehen auflösen sollte, und fragte ihn, ob er nicht ein bisschen Geld übrig habe. Ja, sagte der, das habe er, aber er müsse erst seinen Berater fragen. Und dies war dieser Herr Krecek. Der sagte dann zu Mühlfenzl: "Dies alles sind wunderbare Menschen." Tja, so hat ihn die Geschichte eingeholt. Und  Peter Sodann wurde der Kommissar Bruno Ehrlicher: "Bruno" wegen seines Grundschullehrers - und "Ehrlicher", weil er tatsächlich "ehrlicher" sein wollte als diese Westkommissare.

Denn nach der Wende gibt es zu viele Historiker, die Peter Sodann leider als "Hysteriker" bezeichnen muss, weil sie Dinge schreiben über ein Land, "in dem ich entweder nicht gelebt habe – oder ich hab die ganze Zeit geschlafen." 

Peter Sodann ist überzeugt davon, er habe für die Wende mehr gemacht als alle, die in letzter Sekunde auf den Zug aufgesprungen sind. 


Das Original-Interview von Susanne Schneider findet sich im "Süddeutsche Zeitung Magazin", Heft 11/2014 


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