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SIGMAR POLKE - ein ironischer Alchemist | Ehre wem Ehre gebührt ...

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Zur Zeit ist Sigmar Polke "in" - getreu dem unumstößlichen Motto: Ein toter Künstler gewinnt endlich die ihm gebührenden Anteile an Sympathie und Wert ... 
Eine umfassende Retrospektive mit dem Titel "Alibis: Sigmar Polke 1963 - 2010" im MoMA in New York, sowie eine gemeinsame Ausstellung mit Gerhard Richter bei "Christie's" mit dem Titel "Polke/Richter – Richter/Polke" in London - und die Mai-Ausgabe der herrlich neu designten Kunstzeitschrift "art" ehren diesen unberechenbaren deutschen Pop-Art-Künstler posthum (* 13. Februar 1941 in Oels, Niederschlesien; † 10. Juni 2010 in Köln).
Nun - als was geisterte und geistert dieser kreative Mann aber auch durch die einschlägigen Kunst-Gazetten: als "ironischer Alchemist" - als "ein Künstler im psychedelischen Wunderland – zwischen Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll, Hippie-Kultur und politischem Aktivismus" - und vieles andere mehr - aber Sigmar Polke konnte auch "anders" - er war eben ungeheuer vielseitig - ein Künstlerleben in echter "diversity-Vielfalt" - und mit der Rubrik "Pop-Art" allein kaum zu fassen:  
Denn sein letztes öffentliches Projekt vollendete er 2009 für die Zürcher Grossmünster-Kirche:
Sieben Kirchenfenster wurden aus Achatschnitten gefertigt, fünf weitere wurden in Glas gearbeitet und zeigen alttestamentarische Figuren. Und Polke blieb sich auch in diesem Genre treu: die "abstrakten" Achatfenster knüpfen einerseits an spätantike Traditionen an, doch die Steine wurden durch chemische, "alchimistische" Prozesse veredelt, was ihnen eine noch intensivere Farbigkeit verlieh. Für die Glasfenster arbeitete er Motive aus der romanischen Buchmalerei und Fotografien am Computer um. Mit diesem Projekt schloss sich ein Kreis: Bevor Polke an der Kunstakademie Düsseldorf zu studieren anfing, war er bei einem Glasmaler in die Lehrer gegangen.  

KUNST  UND  KIRCHE

Sigmar Polke: Erhabene Spiele in Zürich



Sigmar Polke | nach einem dpa-Foto
Sigmar Polke, der Alchimist der Farben, hat Fenster in der reformierten Zürcher Großmünster-Gemeinde gestaltet. Entstanden ist eine leuchtende Absage an die Nüchternheit.

Zürichs größte Kirche verdankt ihren Ruhm drei seltsamen Heiligen. Kopflos sollen sie den Hügel über der Limmat erstiegen haben, wo Karl der Große, einen Hirschen von Aachen bis hierher verfolgend, sie 500 Jahre später wiederfand. Ulrich Zwingli ließ die Gebeine von Felix, Regula und Exuperantius entfernen. Seitdem hat Zürich keine Heiligen mehr.

Doch ein Patron der Neuen Kunst verleiht dem Wahrzeichen der Stadt mit seinen als Pfeffer- und Salzstreuer bekannten Turmhelmen jetzt neue Weihen. Sigmar Polke, der Alchimist der Farben, erhielt seinen größten öffentlichen Auftrag von der reformierten Zürcher Großmünster-Gemeinde. Kunst-Stars wie Olaffur Eliasson und Katharina Grosse hatten sich um den Auftrag beworben, die zwölf Rundbogenfenster in den Seitenschiffen der spätromanischen Basilika neu zu gestalten; Sigmar Polkes Entwurf überzeugte die Jury – durch seine handwerkliche und inhaltliche Subtilität.

König David ganz in Grün

Mehr noch: Der Künstler, der sich bei jeder Auftragsarbeit bekanntlich von persönlicher Sympathie leiten lässt, fühlte sich unter den Zürchern so wohl, dass er den Großteil der Materialkosten schließlich aus eigener Kasse bezahlte – maximal 400 000 Franken betrug das Gesamtbudget, die Stiftung einer frommen Zürcherin. Großes hatte der Meister aus Köln im Sinn. Weniger, was das Ausmaß der Glasflächen anbelangt – dies nimmt sich vergleichbar bescheiden aus – als hinsichtlich des exklusiven Materials. Nirgendwo sonst gibt es Kirchenfensterscheiben aus dünn geschliffenem Achat und Glas, das mit kostbaren Turmalinen besetzt ist – Halbedelsteinen, denen die Tradition Schaden abwehrende Kraft zuspricht.

Im schillernden Wechselspiel aus abstrakten und figurativen Elementen, Ornament und Konkretion, behandelt Polke das Mysterium der Menschwerdung des Gottessohns, ohne selbst ein bekennender Christ zu sein. Ist doch die Transfiguration, verstanden als Verwandlung von Stoffen und Körpern, seit jeher Thema seiner Kunst. Verwandlung heißt hier Vergeistigung. Von West nach Ost beginnt das zunächst mit abstrakt naturhaften Formen. An kosmische Sphären und geologische Aufrisse erinnern die hauchdünn geschliffenen, künstlich eingefärbten brasilianischen Achate – satte Erdtöne, die über dem Eingang im Nordschiff einer geradezu poppigen Farbenfreude weichen, die an fluoreszierende Schmetterlingsflügel erinnert.


Eines der Fenster, die Sigmar Polke in Zürichs größter Kirche geschaffen hat. Foto: © 2009 Sigmar Polke/Grossmuenster ZH | Badische Zeitung

In zarten Grauabstufungen präsentiert sich im Nordschiff dann das Werden des Menschensohnes in je zwei einander gegenüber stehenden menschlichen Silhouetten. Im Zwischenraum der gestaffelten Profile entsteht der Umriss eines Abendmalkelchs, der als Erlösungszeichen den Prozess der menschlichen Annäherung überstrahlt. Aus einem Foto ist dieses geheimnisvoll oszillierende Wechselbild am Computer entstanden.


Elijas Himmelfahrt Foto: © 2009 Sigmar Polke/Grossmuenster ZH | Badische Zeitung 
Es folgen zwei Präfigurationen Christi: zunächst der Prophet Elija, die einzige biblische Gestalt, die gleich Jesus gen Himmel fuhr – in einem Feuerwagen. Das initialartige "P" vor dem Gefährt, steht es für "Prophet" oder gar für "Polke"? Dann ein seltsam gebrochener David, abstrakt, grün, in der Farbe der Hoffnung. Gegenüber, in tatsächlich gewöhnungsbedürftigem Pink, zelebriert Polke die Opferung Isaaks, die auf das Selbstopfer Christi voraus weist. Das wertvollste der Fenster hat das Motiv des Sündenbocks zum Thema . Was zunächst als abstraktes Muster erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Hinter- und Vorderteil des stellvertretend geopferten Tieres. Diese größtmögliche Offenheit, das spielerische Changieren zwischen mindestens zwei Seh- und Deutungsweisen und der Rückgriff auf medial behandeltes Bildmaterial, gehören zu Polkes Prinzipien. Auch die stilistische Uneinheitlichkeit ist Programm.

Farbige Absage an die Nüchternheit

Obwohl durch eine frühe Glaserlehre mit dem Handwerk bestens vertraut, setzte der Künstler bei der Ausführung auf das Fachwissen des renommierten Zürcher Glasers Urs Rickenbach, der eine spezielle Fusionstechnik anwandte. Keine Glasmalerei im eigentlichen Sinn also, vielmehr subtile Glascollagen . Nur das zentrale Altarfenster durfte Polke nicht ersetzen. Hier erglänzt vor allem in den Morgenstunden eine halbabstrakte rote Geburt Christi – ein Werk des leider noch zu wenig beachteten Avantgardisten Augusto Giacometti von 1933. Polkes Farben nehmen darauf Bezug.

Mit seiner neuen Glaskunst, die ein Spektrum zwischen Pixel-Ästhetik, Informel und neuer Figuration auslotet, hat Sigmar Polke der Kunststadt Zürich nun – nach Giacometti und Chagall im Fraumünster – um weitere spektakuläre Fenster-Attraktionen bereichert. Nach Meinung des Jury-Mitglieds Jacqueline Burckhardt lässt der Meister der Grenzauflösung seinen einstigen Weggefährten Gerhard Richter und sein dem Zufallsprinzip verpflichtetes Kölner Domfenster weit hinter sich. Und Neo Rauchs Figurationen der Heiligen Elisabeth im Naumburger Dom nehmen sich gegen Polkes sublime Farbspiele spröde aus. Die Zürcher und die Besucher ihres Großmünsters werden seine Absage an die sprichwörtliche Schweizer Nüchternheit mit Sicherheit zu schätzen wissen.

Badische Zeitung

EIN UNBEDINGT SEHENSWERTES VIDEO ZU DEN KIRCHENFENSTERN VON SIGMAR POLKE


Sigmar Polke - Church Windows Grossmünster Zürich from ikonoTV on Vimeo.

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